Netlabel: Cold Transmission – Sampler mit Herzblut und Leidenschaft

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Dass die Szene sich musikalisch nicht mehr weiterentwickelt und es nichts Spannendes mehr zu entdecken gibt, ist ein Unkenruf, der sich schon sehr lange und sehr hartnäckig hält. Wenn man nicht sehr viel Zeit damit verbringt oder verbringen kann, sich im digitalen Netz durch zahlreiche Seiten zu klicken und neue Musik anzuhören, mag man das meinen. Dabei ist das Netz ist voll mit neuer Musik. So voll, dass man sich gar nicht mit allem befassen kann, was musikalisch, szenebezogen und brandneu ist.

Zum Glück gibt es andere, die sich dieser Aufgabe leidenschaftlich und engagiert stellen. So wie das Netlabel und Music Promotion Service Cold Transmission (bandcamp / mixcloud). Das Label bietet neuen Projekten aus den Bereichen des Post-Punk, Coldwave, Shoegaze, New Wave, Goth, Industrial und Darkwave eine Plattform, sich und ihre Musik zu präsentieren. Das Herzblut, dass da drinsteckt müsste förmlich aus dem Bildschirm quellen, erschreckt aber andere Passanten in der Bahn, von daher muss das folgende Interview reichen um der Musik in Ohr und Herz zu verhelfen.

Spontis: Wer ist Cold Transmission?
Andreas: Cold Transmission sind Suzy – meine Ehefrau und mittlerweile CT-Geschäftsführerin – oder auch das „Herz“ hinter allem was nicht unmittelbar mit der Musik zu tun hat (Merch, Vertrieb, Bandcamp-Shop). Yvonne, unsere Grafikerin und langjährige Freundin. Sie setzt alles Design-mäßige bei CT (T-Shirts, Logos, Mixcover usw.) um. Ihr großartiges Design-Talent ist mittlerweile ein Eckpfeiler unseres Erfolgs geworden bzw. war es von Anfang an. Und ich bin wohl der musikalische Mastermind, A&R und DJ hinter allem. Wir sehen uns als unabhängig, unpolitisch und weltoffen.

Spontis: Wie kamt Ihr dazu Cold Transmission ins Leben zu rufen?
Andreas: Das war wohl meine Idee, da ich ständig auf der Suche nach neuen Bands und Songs bin. Dieser Leidenschaft gehe ich jetzt schon fast vierzig Jahre nach. Angefangen hat das Anfang der 80er Jahre mit klassischen Bands wie Depeche Mode, Ultravox, Gary Numan und vielen mehr und aktuell gipfelt das bei Bands wie The Actors, Bootblacks, Delphine Coma, Silent Runners, Crying Vessel und vielen mehr. Es kommt einfach sehr viel Gutes, Neues nach und wir möchten diese Bands sehr gerne mit unserem Musikprojekt fördern und bekannter machen. Begonnen hat es damit, dass wir Mixe über Mixcloud hochgeladen haben, was wir auch heute noch regelmäßig tun, um der Szene neue Songs zu präsentieren, die bis dahin alle auf der Festplatte schlummerten. Hier hauptsächlich mit neueren Bands, auch wenn sich mal der ein oder andere „Klassiker“ darin wiederfindet. Dies hat großen Anklang gefunden und auch dazu geführt, das Bands uns gerne neue Songs zur Verfügung stellen, die wir dann in die Mixe aufnehmen und präsentieren. Anschließend ging dann alles rasend schnell – dann war der Name da (eine Mischung aus Cold Wave und Transmission, natürlich auch eine Anspielung auf eine der Wurzeln dieser Musik), das Design, die Social Media Profile, Bandcamp und die Zeitgeist Sampler.

Das Team von Cold Transmission – (c) Clemens Hess Fotografie

Aus dem Wunsch heraus für uns auch ein T-Shirt zu haben, kreierte Yvonne das erste Design, den „Sehtest“. Das Design erinnert den Sehtest bei dem man erkennen soll, in welche Richtung der kleine Kreis geöffnet ist – auch eine Anspielung an die vielen Stilrichtungen, die es in unserer Szene gibt. Kaum gepostet, wollten viele Leute dieses Shirt auch haben – mit Bands haben wir auch häufiger einen „Trikot-Tausch“ gemacht; das macht sehr viel Spaß – auch die Fotos, die wir von Bands mit dem Shirt geschickt bekommen sind klasse und bereichern unsere Profile im Netz.  Das Shirt haben wir mittlerweile weltweit versendet – von Europa über Nord- und Südamerika bis nach Australien. Und daraus ist nun auch der Merchandise Shop auf Bandcamp entstanden.

Aktuell ist es ein ambitioniertes Hobby, das wir mit viel Herzblut und Leidenschaft neben unseren Hauptberufen ausüben. Wir sind sehr glücklich darüber, was wir in der kurzen Zeit erreicht haben und dass das Projekt so vielen Leuten aus der Szene (weltweit) und auch so vielen Bands gefällt und diese es auch als Plattform sehen größere Bekanntheit zu erlangen. Wir lieben was wir tun und ich denke, dass merken auch die Leute und die Bands. Wenn man etwas mit Leidenschaft macht und dies auch ausstrahlt, wird man authentisch und letztendlich vielleicht auch erfolgreich.

Es kommt uns sehr auf das Zwischenmenschliche an. Wir pflegen sehr enge Kontakte zu den Bands und bauen unser Netzwerk stetig aus, da wir auch sehr gerne auf Festivals und Konzerte gehen. Dieser Aspekt ist uns trotz aller zusätzlichen Arbeit sehr wichtig. Social Media ist hierbei natürlich ein Hauptfaktor, um in Kontakt zu treten. Inzwischen werden wir auch in Bandkreisen weiterempfohlen, so dass wir hier auch häufig angeschrieben werden. Es ist ein Geben und Nehmen zwischen den Bands und uns – zwischenzeitlich sind hier auch engere Freundschaften entstanden; ein sehr schöner Nebeneffekt.

Spontis: Und die „Zeitgeist“-Sampler?
Andreas: Die Idee zu den „Zeitgeist“-Samplern via Bandcamp entstand durch den Kontakt zu den Bands und durch den laufenden Austausch mit ihnen – auch aus dem Wunsch heraus mehr zu machen, als die Mixcloud Shows und einen Schritt weiter zu gehen. Viele der Bands waren von Anfang an gerne dazu bereit Ihre Musik über uns promoten zu lassen und überließen uns gerne einen oder mehrere Songs – manche auch exklusiv. Den Ertrag den wir durch den Verkauf erzielen, stecken wir wiederum in den Erwerb von neuer Musik – so schließt sich dann der Kreis wieder. Demnach unterstützt die Szene sich selbst ein bisschen durch Cold Transmission. Ein schöner Gedanke „Solidarität“, der gar nicht genug geschätzt werden kann.

Spontis: Welche Pläne habt ihr und welche Ziele verfolgt ihr für die Zukunft?
Andreas: Eröffnung unseres Merchandise-Shops auf Bandcamp und die ersten „Fulltime Alben“ -Veröffentlichungen als Netlabel im Sommer / Herbst diesen Jahres. Aktuell sind das die Bands Reconverb (Dänemark), ICY MEN (Ukraine) und Push Button Press (USA). Dabei kommt es uns darauf an unterschiedliche Musikrichtungen zu präsentieren (Dark Wave, Cold Wave, Post-Punk, New Wave, Retro-Wave usw.) Etwas weiter in der Zukunft sehen wir das Projekt als Plattenlabel mit physischen Releases wie z. Bsp. CDs, Vinyl usw. Ausserdem möchten wir mit dem Projekt auch weiterhin Konzerte und Partys veranstalten, was wir aktuell zusammen mit unseren Freunden der Disorder Cologne im Kölner Blue Shell machen – Im Januar gibt es hier das nächste Event mit Ash Code, Bragolin und Nao Katafuchi. Eine erste eigene Cold Transmission Party haben wir Ende Juni bei uns in Frankfurt auch schon veranstaltet. Die Ideen gehen uns also nicht so schnell aus.

Toll wären auch Kooperation mit anderen DJs und Bands im Ausland, denn wir sehen Cold Transmission als internationales Projekt. Der weltweite Zuspruch bestätigt das bei Mixcloud und auch bei Facebook. Mal sehen wo die Reise hingeht…

[mixcloud https://www.mixcloud.com/coldtransmission/cold-transmission-presents-cold-stars-vol-3-nachtplan-special/ width=100% height=120 hide_cover=1]

Wochenschau #4/2018: Ich bin überdrüssig – Londons calling again and again and again!

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Wenn jemand Londons überdrüssig ist, ist er des Lebens überdrüssig; denn in London hat man alles, was das Leben bieten kann.“ Schön wars! Aufmerksamen Verfolgern bei Instagram wird nicht entgangen sein, dass Orphi und Ich in London gewesen sind. Schon wieder! Diesmal auf dem Programm: Der Auftritt der Creeping Terrors, der Besuch einer Party des London Vampire Club, eine Pizza mit den Doktoren vom Schemenkabinett, dem unfassbare Spaziergang am Regents Canal, einem Museumsbesuch im Dunkeln und auf Zeitreise nach Greenwich. Ich kann Euch die Faszination dieser Stadt nicht in rationale Sätze verpacken, ich werde eben nicht satt, mich im Leben dieser Metropole zu duschen. Sie ist Heimat von dem, was mich fasziniert, ausmacht, beeinflusst und inspiriert und bisher hat keine andere Stadt (oder Land) auch nur annähernd diesen Rang eingenommen. Ich glaube, Orphi geht es genauso, denn in ihrem Blog, dem Eulenforst, hat sie den ersten Rückblick zu unserer Reise verfasst. Jetzt brauchen wir noch eine Woche Urlaub, um die gewonnenen Eindrücke zu sortieren und die müden Knochen zu schonen (unfassbare 243.000 Schritte zählte mein Handy). Das beste ist: Wir haben noch eine Woche Urlaub! *yayy!* Zeit, wieder mal eine Wochenschau zu veröffentlichen, denn jetzt bin ich des Lebens erstmal überdrüssig, wie Samuel Johnson (1709-1784) zu sagen pflegte.

Wie die Digitalisierung die Popmusik verändert | Deutschlandfunk

Der Berliner Grufti und Mediensoziologe Robert Seifert hat ein Buch über die Digitalisierung der Pop-Musik geschrieben und war neulich sogar in einem Radio-Beitrag des Deutschlandfunks zu hören, der die Kernaussage und den Inhalt des Buchs gut zusammenfasst: „Alles, was im Überfluss vorhanden und zugänglich ist, verliert an Wert, nicht nur an materiellem. Wie sich die Wertigkeit von Popmusik verändert hat, seit man sie nicht nur zu Hause am Plattenspieler und beim Livekonzert hören kann, sondern immer und überall, und seit man sie sich relativ unaufwändig immer und überall besorgen kann.

Goth Gets Asshole Darkened | The Hard Times

Warum nicht? Nachdem Anal-Bleaching ein ernst genommener Trend zu werden scheint, ist das doch die logische Konsequenz einer Gegenbewegung, oder? „I’d heard of anal bleaching — which I guess is fine for normies who think the sun shines out of their butt or something,” said Carlisle. “But I thought to take it in another direction. I wanted my body to have a dark void, as deep and lightless as my soul.” According to Carlisle, the lengthy and admittedly painful service that left her anus “black, with subtle hints of blue, if you look at it in the light” was performed by candlelight in a windowless room at Silver Lake’s premier “goth spa,” Wallow.“

Das war das Amphi 2018 | Gruftbote (Gothamella)

Nachdem Hagen in seinem Beitrag Kritik für seinen „Vorbeiflug“ erntete, wollte ich eine andere Sichtweise der Dinge präsentieren und habe Gothamellas Beitrag verlinkt. „Fazit: Einmal mehr wurde in Köln klar: Jeder Jeck … ähm … jeder Grufti ist anders, doch die Amphi-Macher kriegen sie alle! Deswegen war das liebevolle Festival unter den Pilzen auch mit 12.500 Besuchern ausverkauft. Gut so – und bis zum nächsten Jahr!

Schwarze Wesen auf dem Flugplatz | Annika Moon

Auch die „spooky alternative blogger“ Annika Moon war unterwegs um das Mera Luna 2018 zu erkunden. Was sie entdeckt hat und unter „People of M’era Luna“ zusammengefasst hat, ist in der Tat spooky. Eine Dame mit aufgeblasenen Gummihandschuhen um den Hals, Leute mit Gummihosen und Pferdeschuhen, jede Menge Hörner und auf ganze Pferde mit blauer Mähne. Vielleicht ein schöner Kontrast zu den Videos, die ich in diesem Fremd-Bericht über das M’era Luna gesehen habe.

„Adolf“ Rufe Band sorgt bei Amphi-Festival für Irritationen | Kölnische Rundschau

Stichwort Amphi, wie auch der Gruftbote berichtet, hat Steve Naghavi von And One wieder von sich Reden gemacht. Bei seinem Auftritt zum Abschluss des Amphi 2018 forderte er das Publikum auf „Gebt mir ein A-D-O-L-F.“ Satire sei es gewesen, behauptet Festival-Veranstalter Kai Lotze: „„Das war eine ironisch-satirische Einlage“, sagt Festival-Veranstalter Kai Lotze. „Ich habe eine einzige Mail dazu bekommen“. 99,9 Prozent der Besucher hätten verstanden, wie die Einlage gemeint war. „Die Gothic-Szene ist eher kosmopolitisch und offen für Minderheiten.“ Naghavi sei Iraner, mit einer Israelin verheiratet. Bald spiele die Band in Tel Aviv.“ Laut der Rundschau ruderte auch die Band zurück und stellte fest: „Steve Naghavi ist selbst Migrant und hatte sehr oft mit Ausländerfeindlichkeit zu tun. Mit Aktionen wie diesen hält And One der Gesellschaft einen Spiegel vor, die in schwierigen Zeiten wie diesen vieles ungefiltert “nachplappert“ ohne nachzudenken.“ 

‚Goths at the Zoo‘ will uncage St. Louis Wild Side | Riverfront Times

Nachdem wir bereits Disney-Land überfallen haben, ist jetzt der Zoo in St. Louis dran. „Goths at the Zoo“ am 30. September. Hui! „This event follows in the tradition of Bats Day, the yearly Disneyland meet-up of California goths that grew into “the largest dark subculture event on the West Coast.” (Fun Fact: There are rumors that there was a less-organized goth Disney meet-up prior to Bats Day called “Baumaus,” which is hilarious.) Bats Day went on hiatus this year (or possibly disappeared into a coffin forever) but smaller events like Goths at the Zoo are popping up all over the country, promising new and fun activities (and providing the safety of a group) for our more morbid cousins.

Robert Smith im Interview zu „seinem“ Meltdown | Post-Punk.com

The Rocky Horror Picture Show wird 43 | YouTube

Am 14. August 1975 wurde der Film in London Uraufgeführt. Eine unfassbare Rolle für Tim Curry, dessen Heimat immer das Musical sein wird.

Black Friday Newsflash | YouTube

Wir erinnern uns in Kurzform. Black Friday, die Neuseeländische Vloggerin und Internetsternchen mit über 620.000 Verfolgern, zog nach einem WGT von Neuseeland nach Deutschland und heiratete Matthias, den sie eben dort kennen lernte. Beide waren Gegenstand eine Doku (Spontis berichtete darüber) und sind auch nach ihrem verwirrenden Frankreich-Erlebnis zu einem Artikel bei Spontis gekommen. Sie zogen gemeinsam von Osnabrück nach Leipzig, um sich dort zu verwirklichen. Es klappte nicht. Beide trennte sich und ließen Facebook und Youtube daran teilhaben. Kurz darauf besuchte Black Friday ihren verblichenen Mr. Owl, den Neuseeländischen Schwarm, den sie für Matthias sitzen ließ und entdeckte ihre Liebe neu. Jetzt muss sie ein Jahr warten, dann kann sie endlich Mr. Owl heiraten. Währenddessen wohnt sie noch mit Matthias Tür an Tür in Leipzig, weil die beiden bei ihrem Umzug sicherheitshalber 2 Wohnungen gemietet haben. Einen Umzug, so Black Friday, können sich beide nicht leisten. Derweil macht sie mit Mister Owl eine Art Song und schreibt weiter an ihrem 3-teiligen Fantasy-Roman, den ihre Verfolger sicherlich schon sehnsüchtig erwarten. Was man nicht alles macht, um seine Authentizität zu wahren.

Das M’era Luna 2018 im öffentlich-rechtlichen Rundum-Sorglos-Paket des NDR

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Schöner hätte das Wetter am vergangenen Wochenende auf dem Mera Luna 2018 nicht sein können, über 25.000 Fans der schwarzen Szene feierten zu einem recht „bunten“ musikalischen Line-Up aller Genre. Elektronisches von The Prodigy, rockiges von Eisbrecher, mittelalterliches von In Extremo oder dark-waviges vom Clan of Xymox. Und wer nicht dabei gewesen ist, muss sich nicht einmal ärgern, denn der NDR hat mit einem Großaufgebot an Personal und Technik so ziemlich jeden Blickwinkel des Mera Luna eingefangen, im Live-Stream aufbereitet und nun auch in der Mediathek zum Abruf bereit. Endlich mal ein sinnvoller Einsatz der Rundfunkgebühren!

Mein bitterer Beigeschmack

Doch die Jubelschreie über die visuelle Aufbereitung eines verpassten Festivals währt nicht allzu lange. Ein bitterer Beigeschmack ist dann schon dabei. Wo sind wir hingekommen? Von den schwarz gekleideten Spinnern, die einst kritisch beäugt, dann provokativ eingeordnet und letztlich müde belächelt wurde zum multimedialen Fernsehgroßereignis. Das Mera Luna 2018 wird als facettenreiches Spektakel präsentiert, bei dem sich Menschen aller sozialen Schichten endlich mal so zeigen können, wie sie es sich vorstellen. Den Flair einer in sich gekehrten, mysteriösen und undurchschaubaren Subkultur mit der Leidenschaft für morbide Ästhetik haben wir abgelegt. Diesen Eindruck hinterlässt das Rundum-Sorglos-Paket des NDR.

Schwamm drüber!

Ich verurteile nichts. Im Gegenteil. Das Mera Luna ist sicher ein großartiges Festival, dass einen unfassbaren Querschnitt durch das bietet, was sich unter dem schwarzen Schirm mit der Aufschrift „Gothic“ so alles tummelt. Ich würde hier jedoch nicht hinfahren um in meine schwarze Welt einzutauchen, sondern vielmehr um den ein- oder anderen Headliner einmal im Konzert zu erleben. Es ist aber für mich kein Treffen unter Gleichgesinnten, denn mit den Fans vom M’era Luna, die der NDR so eindrucksvoll darstellt, habe ich nicht viel gemeinsam. Muss ich aber auch nicht.

Das persönliche Empfinden steht und fällt mit der Erwartungshaltung. So könnte mein Fazit lauten. Und wenn ich ehrlich bin, so großartig unterscheidet sich das nicht wirklich von der Festival-Kultur der 80er. Da gab es nämlich noch gar keine schwarzen Festival und die Bands, die man sehen wollte, traten zusammen mit angesagteren Indie-Bands in völlig anderen Zusammenhängen auf. Wie 1989 beispielsweise, bei Festival „Rock am See“ in Konstanz. Ein ebenso bunter Haufen.

Einen kleinen Unterschied gab es dann doch. Das Fehlen multimedialer Berichterstattung, allgegenwärtigen Kameras, Facebook und Internet reduzierte die Anzahl der Selbstdarsteller und Kostümierte auf ein erträgliches Maß. Pferde, die nicht sprechen dürfen, gab es damals noch nicht:

Ob das „Morgenross“ wirklich glücklich ist, weiß man nicht: Der Festival-Besucher im Pferdekostüm kann nicht reden. „Nein, darf nicht“, sagt seine Halterin Sue, die für die Frage auch mal kurz die Zügel locker lässt. Der Sinn des Ganzen? Ein Rollenspiel der besonders ausgefallen Sorte: Das Ross gebe durch das eingeschränkte Sichtfeld alle Verantwortung an seine strenge Besitzerin ab. Und das habe eben einen gewissen Reiz, meint Sue. Und nein, Tierquälerei sei das ganz und gar nicht. Das „Morgenross“ begebe sich schließlich rein freiwillig in seine devote Rolle0

Ich bedanke mich jedenfalls für das umfangreiche Videomaterial der Bands, das sich bestens eignet, wieder ein bisschen Fernweh zu bekommen. Und wer weiß, vielleicht fahre ich ja irgendwann nochmal zum M’era Luna um herauszufinden, ob sich meine Einstellung zum Zelten verändert hat und ob Großereignisse immer noch nichts für mich sind. Wart ihr in Hildesheim? Wie war Euer M’era Luna 2018? Würde mich freuen, mir anhand eurer Kommentare ein Bild vom drumherum machen zu können :)

Musikperlen – Warum in der Tiefe forschen, wenn junge Riffe so eindrucksvoll sind? (Tauchgang #39)

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Mit zarten 31 Jahren, so ergab eine Umfrage, hören wir auf neue Musik zu entdecken und hören im Grunde immer nur dieselben Lieder. Nun bin ich schon eine ganze Weile in diesem Alter und kann diese kühne Behauptung weder vehement verneinen, noch sie kleinlaut untermauern. Der Musikperlentaucher ist im Grunde die sich erfüllende Prophezeiung dieser Umfrage, ist er doch darauf ausgelegt in meinen alten Schätzen zu baden, um sie denen zu präsentieren, die so etwa 27 Jahre alt sind. Denn mit 27, das ergab die Umfrage auch, entdecken die Deutschen die meiste Musik. Aber natürlich, so rede ich mir ein, bin ich stets offen für Neues und Aufregendes. So habe ich doch beispielsweise vor eine Weile Witchhouse für mich entdeckt.

Nicht desto trotz widme ich diese Ausgabe des Perlentauchers den jungen Riffen, an denen sich die Wellen brechen und die unter Wasser so eine faszinierende Schönheit ausstrahlen.

Sixth June – Drowning

Berlin is the Place to be. Sixth June kommen aus Belgrad und leben seit einer Weile in Berlin. Der Name der Band hat laut Laslo Antal, dem männlichen Teil der Band, nichts mit dem D-Day, Tetris oder sonstigen Ereignissen an diesem Tag zu tun, sondern ist lediglich einer Obsession mit Zahlen zu verdanken. Das Stück „Drowning“ ist eine Einladung der Band, mit ihrer Musik zu versinken. Warum eigentlich Berlin? Offenbar hat die Stadt ihren debilen Charme der 80er wieder ein Stück weit zurück erlangt und ist zum Schmelztiegel europäischer Musikkultur avanciert. Wer sich in London umhört, kann die Faszination für die deutsche Hauptstadt förmlich spüren. Verrückt.

ohGr – Comedown

Ganz so jung ist der Sänger Kevin Ogilvie (Nivek Ogre) dann doch nicht geraten, ist er doch mit Skinny Puppy schon eine ganze Weile unterwegs. Bereits 2000 reichte ihm das jedoch nicht mehr und er fühlte sich kreativ genötigt, ohGr ins Leben zu rufen. Wenngleich es deutliche Parallelen zu Skinny Puppy gibt, so fällt ohGr doch deutlich melodiöser und tanzbarer aus und erreicht auch mein Motivationszentrum schneller. 2011 erscheint unDeveloped. Das Stück „Comedown“ gefällt mir besonders gut. Dabei fällt mir gerade auf, dass das auch schon wieder 7 Jahre her ist. WTF! Wie die Zeit vergeht. Damals hat er sich beim schreiben eines Songs von Michael Jackson Tod beeinflussen lassen.

Boy Harsher – Pain

Ganz großartiges Stück Musik. Das schicke ich gleich mal vorweg. Boy Harsher ist genau mein Geschmack. Kühle, tanzbare Wave-Sounds, die sich an den Möglichkeiten heutiger Sound-Erzeugung laben. Dazu der im Gedicht-Stil vorgetragene Text voller Energie und Melancholie. Lecker! Wie passend, das Sängerin Jae gleich die Bezüge zum Musikperlentaucher in einem Interview mitliefert: „Stellt euch vor, ihr könntet in den Tiefen des Meeres leben. Wie würde eure Unterwasser-Welt aussehen? Jae: Ich glaube, es hätte was von Shelley Winters The Night of the Hunter. Aber ich würde sagen, dass es in dem Song mehr um das Gefühl der Ausgeschlossenheit geht. Es ist diese düstere Abstraktion, die stattfindet, wenn du lieber jemandem nahe sein möchtest. Du lenkst quasi deine emotionalen Interaktionen durch schlammiges Wasser.“ Als Beispiel darf es dann auch nur das Stück „Pain“ sein. Schöner kann man Schmerz nicht präsentieren.

Hagens Festival-Tag in Köln: Amphi-Dampfi ohne Mampfi

Mit einem Rückblick, oder besser gesagt einem Einblick auf das Amphi-Festival 2018 am Kölner Tanzbrunnen stelle ich Euch Hagen vor, ein neuer Autor in unseren Reihen. Hagen besticht nicht nur durch seine ausgeprägte Szene-Erfahrung, sondern auch durch ein besonders schneidiges Mundwerk. Am vergangenen Wochenende war Hagen für einen Tag auf dem Amphi-Festival 2018, wovon er uns unbedingt erzählen wollte.

Nach langem Zögern habe ich mich breitschlagen lassen, doch auch einmal zum Amphi Festival nach Köln zu fahren. Bislang hatte mich die Bandauswahl nie sonderlich interessiert und außerdem spielen irgendwie immer dieselben Headliner. Doch dieses Jahr versuchte man am Samstag wohl mal die alte Garde im wahrsten Sinne des Wortes mit ins Boot zu holen. Auf dem Schiff „MS RheinEnergie“ der Köln-Düsseldorfer Schiffsgesellschaft waren den ganzen Tag Postpunk und Wave angesagt. Das erwies sich später noch als wahrer Segen.

Amphi-Festival 2018 Hagen
Der Ausblick vom Schiff war sehr gotisch.

Apropos Segen: Papst Benedikt ist mit diesem Kahn zum Kirchentag getuckert, wo ihm die Band De Höhner „Da simmer dabei“ trällerte. Da der Papst der kölschen Mundart anscheinend nicht so mächtig ist, hat er die Zeilen mit CSD und Liebeslust wohl überhört und das Schiff trotzdem gesegnet. Kann ja nicht schaden. Noch mehr unnütze Info am Rande: Die Schiffe der Köln-Düsseldorfer Schiffsgesellschaft fahren nicht zwischen Köln und Düsseldorf. Warum das so ist könnte ich auch noch erklären, das würde aber den Rahmen sprengen.

Die Hitze hatte NRW seit Tagen im Griff und genau an diesem Samstag hatten die Szene-Götter wohl ein Einsehen und schickten nur 28 Grad, Wolken und ein bisschen Regen zu uns herunter. Die Deutsche Bahn gab auch wieder mit Böschungsbränden und anderen selbst erfundenen Ausreden ihr Bestes und so kamen wir mit nur einer Stunde Verspätung endlich in Köln-Deutz an. A Projection waren so schon mal für uns passé.

Schnell aus dem Bahnhof raus, der nicht vorhandenen (aber angekündigten) Beschilderung folgen und schon waren wir am Tanzbrunnen, dem Hauptfestivalgelände. Dort kamen uns als erstes ein Wehrmachtssoldat und andere Karnevalisten entgegen und mir wurde mal wieder klar, dass ich mich genau wegen solchen Leute nicht in den 80ern mit Skins geprügelt habe.

Nun ja, die Spinner ausgeblendet, ganz flott und unkompliziert das Tagesbändchen geholt und einmal in die Runde geschaut. 0,5 Liter Kölsch für 5 €, nicht schlecht für so eine Brühe. Da ging die Laune gleich gegen null. Das Gelände war gut gefüllt, doch alles ohne Gedränge. An einer großen Wasser-Station konnte man kostenlos selbst mitgebrachte Behälter befüllen. „Dat Wasser von Kölle is jut“ kam mir spontan in den Sinn, aber darum war ich nicht hier.

Der Rhein selbst hatte allerdings Probleme mit dem Wasser, so dass die dritte Bühne, das besagte Schiff „MS RheinEnergie“, nicht am Tanzbrunnen anlegen konnte. Neuer Standort: Das gegenüber liegende Altstadtufer, sehr zur Freude zahlreicher Touristen, die sich das schwarze Kuddelmuddel anschauen konnten.

Amphi-Festival 2018 Hagen
Very Cool bei 30 Grad, Lebanon Hanover

Also ganz unkompliziert in den Shuttlebus rüber von der „Schäl Sick“ über die Deutzer Brücke. Schäl Sick bedeutet übrigens so viel wie die doofe Seite, so nennen Kölner die Seite des Rheins wo der Dom nicht steht und es hat wirklich nichts mit den Besuchern des Tanzbrunnens zu tun. Das Schiff erwies sich dann als Cap Anamur für geschundene Gruftis. Klimaanlage, vernünftiges Bier und Snacks, die von den Preisen her wirklich in Ordnung waren. Aufmerksames Personal, flotter Thekenservice und saubere WC-Anlagen. Da gab es wirklich nix zu meckern. Und eins stand fest: Hier bleiben wir!

Die Bandauswahl war mit Soviet Soviet, She Past Away, Lebanon Hanover und anderen gut getroffen, so dass man es sich beim gepflegten Weizenbier mit Musikberieselung gut gehen lassen konnte.

Amphi-Festival 2018 Hagen
Das Beste was die Türkei im Moment zu bieten hat: She Past Away / Volkan Caner

Das Schiff war auch nicht überfüllt, der karnevalistische Kostümanteil eher gering und die Stimmung super. So stellt man sich doch das Leben als Rentnergrufti vor. Flusskreuzfahrt unter seinesgleichen mit Musik, guten Gesprächen und – ach ja, ganz vergessen, zurück zur Überschrift – ich habe den ganzen Tag vergessen auch mal was zu essen. Aber wie war das mit „ein Bier sind drei Schnitten Brot“?

Das Amphi Festival scheint sich derweil mehr ausbreiten zu wollen. Nach dem Vorbild des Wave-Gotik-Treffens gibt es nun mit Bändchen auch freien Eintritt in Museen und noch vieles mehr. So hätte sich zum Beispiel der Wehrmachtsangehörige, der mir gleich zu Anfang begegnet ist, mal in der ehemaligen Gestapo Zentrale, dem EL-DE Haus, umschauen können und wäre vielleicht über seine Aufmachung ins Grübeln gekommen.

Amphi-Festival 2018 Hagen
Die italienischen Wirbelwinde Soviet Soviet

Von der Organisation her fand ich es, trotz der wetterbedingten Komplikation, alles sehr reibungslos. Nettes Sicherheitspersonal und sonstige fleißige Helferlein die mehr als entspannt waren. Fazit: Das Festival am Tanzbrunnen ist gar nichts für mich. Nicht meine Musik, nicht meine Leute und ich würde auch nicht noch mal hingehen. Aber da halte ich es wie die Kölner: Jeder Jeck ist anders und das ist auch gut so! Das Schiff allerdings war klasse und es schreit nach Wiederholung.

Pulsar CP1919 auf Joy Divisions legendären Album „Unknown Pleasures“

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Wer kennt nicht die legendäre Wellenform von Joy Divisions Debüt-Album „Unknown Pleasures“ auf T-Shirts, Tassen, Taschen und Jacken? Neuerdings ist sie sogar auf Dr. Martens Schuhen zu finden, wovon ich in diesem Artikel berichtet habe. Ob die Leute, die so ein Paar Schuhe bestellt oder ein Shirt bei H&M gekauft haben, wissen, dass sie ein Stückchen Musikgeschichte zur Schau tragen? Ob sie überhaupt von den wissenschaftlichen Hintergründen dieser Grafik gehört haben?

Die Entdeckung des Pulsars CP1919

Am 28. November 1967 machte die Doktorandin Jocelyn Bell eine bahnbrechende Entdeckung. Zusammen mit ihrem Doktorvater Antony Hewish untersuchte sie Radiosignale aus dem Weltraum. Bei der Analyse der Daten stieß Bell auf ungewöhnliche, regelmäßige Schwankungen in den aufgezeichneten Signalen. Die Quelle befand sich außerhalb des Sonnensystems, aber noch innerhalb der Milchstraße. Anfänglich zogen sie sogar die Möglichkeit einer Entdeckung außerirdischer Intelligenz in Betracht und nannten die Signalquelle scherzhaft „LGM-1“ (für „Little Green Man 1“). Offiziell erhielt sie jedoch die Bezeichnung CP 1919, was für „Cambridge Pulsar“ mit der Rektaszension 19h19m steht. Doch wie kam Peter Saville dazu, die Abbildung der Wellenform als Plattencover für „Unknown Pleasures“ im Jahr 1979 zu verwenden?

Von der Wissenschaft zum Plattencover

Interessanterweise wurde Saville von Joy Division-Mitglied Bernard Sumner auf die wissenschaftliche Aufzeichnung aufmerksam gemacht. Sumner hatte die Daten-Visualisierung 1977 in der Cambridge Encyclopaedia of Astronomy entdeckt. Die ursprüngliche Visualisierung stammte von Harold Craft, einem Radio-Astronomen. Craft war überrascht, als er von der Verwendung seiner Visualisierung auf dem Album erfuhr. Seine erste Reaktion war, in einen Plattenladen zu gehen und sich das Album samt Poster mit seinem eigenen Bild zu kaufen.

Saville, in seiner Rolle als Grafiker, entschied sich dafür, das ursprüngliche Bild von schwarzen Linien auf weißem Grund in weiße Linien auf schwarzem Grund umzukehren. Diese Entscheidung traf er entgegen der Präferenz der Band für das Original. Seine Begründung dafür war: „Ich hatte Sorge, dass es sonst etwas billig aussehen könnte. Ich war überzeugt davon, dass es in Schwarz sexier aussehen würde.“

Diese Entscheidung Savilles, eine wissenschaftliche Visualisierung für ein Musikalbum zu verwenden, erwies sich in der Folgezeit als goldrichtig. Das Cover wurde zu einem der unverwechselbarsten und bekanntesten in der Rockgeschichte. Es hat seitdem eine weite Verbreitung in der Popkultur gefunden und wurde von großen Modelabels wie Stella McCartney, Calvin Klein und Christian Dior verwendet. Sogar H&M hat T-Shirts mit dem Design verkauft. Allerdings waren Savilles Plattencover anfänglich sehr umstritten und riefen laut seinen eigenen Worten „richtige Aggressionen hervor, auch viel Unterstützung, aber halt auch viel Aggression.“

Die Entscheidung Savilles, diese wissenschaftliche Visualisierung zu verwenden und sie auf kreative Weise umzugestalten, hat nicht nur ein ikonisches Albumcover geschaffen, sondern auch eine Brücke zwischen Wissenschaft, Musik und visueller Kunst geschlagen.

CP1919 ist der bekannteste Pulsar der Welt

Das ikonische Bild der Wellenform von CP1919 auf dem Cover von „Unknown Pleasures“ hat sich weit über die Grenzen der Musikwelt hinaus verbreitet. Es findet sich heute auf T-Shirts, Tassen, Taschen, Jacken und sogar auf Schuhen. Die Frage ist, ob die Menschen, die solche Produkte kaufen, sich der wissenschaftlichen und musikalischen Geschichte bewusst sind, die hinter diesem Design steckt.

Die anhaltende Popularität und Wiederverwendung des Designs zeigt auch, wie ein einzelnes Bild zu einem kulturellen Artefakt werden kann, das weit über seinen ursprünglichen Kontext hinaus Bedeutung erlangt. Es ist ein Beispiel dafür, wie visuelle Kunst, Musik und Wissenschaft zusammenkommen können.

Die Bedeutung des „Unknown Pleasures“-Covers geht über seine visuelle Ästhetik hinaus. Es verkörpert den Geist einer Ära, in der Musik, Kunst und Wissenschaft auf einzigartige Weise verschmolzen. Das Design hat nicht nur die Art und Weise beeinflusst, wie wir über Album-Artwork denken, sondern auch, wie wir wissenschaftliche Visualisierungen wahrnehmen und wertschätzen. Interessanterweise hat die Popularität des Covers auch zu einem verstärkten Interesse an der ursprünglichen wissenschaftlichen Arbeit geführt. Viele Menschen, die zunächst nur von der visuellen Ästhetik angezogen wurden, begannen sich für die zugrundeliegende Astronomie zu interessieren. Dies zeigt, wie Kunst als Brücke zur Wissenschaft dienen kann, indem sie komplexe Konzepte auf eine zugängliche und faszinierende Weise präsentiert.

Darüber hinaus hat das Cover eine Debatte über die Rolle von wissenschaftlichen Daten in der Kunst angeregt. Es wirft Fragen auf über das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und künstlerischer Interpretation sowie über die ethischen Implikationen der Verwendung wissenschaftlicher Daten für kommerzielle oder künstlerische Zwecke.

Rückblick: Spontis Family Treffen auf dem WGT 2018

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Montag, 21. Mai 2018. Die morgendliche Wetterfrage am wichtigsten Tag meines Spontis-Jahres, die mich im Grunde genommen jedes Jahr aufs neue quält, konnte ich bei beim Blick aus dem Fenster unseres Appartements gekonnt vom Tisch wischen. Seit Tagen strahlte die Sonne über Leipzig und sorgten neben sonntäglichen Besucherrekorden im heidnischen Dorf auch für ein strahlen auf meinem Gesicht.

Dafür war sicher nicht nur das Wetter verantwortlich, sondern auch die frischen Brötchen, die zu meiner Überraschung auf dem Tisch lagen. Dieser Rabenhorst! Bis in die Puppen hatten Simone und Ralf noch auf der Gothic-Pogo-Party getanzt, um uns dann mit der aufgehenden Sonne frische Brötchen auf dem Rückweg mitzubringen. Doch es sollte noch besser kommen. Anstatt faul und alt im Bett zu liegen, was ich den Beiden angesichts ihres fortgeschrittenen Alters und der Zähigkeit beim Besuch einschlägiger Tanzveranstaltungen auch gegönnt hätte, stehen sie auf der Matte. Wir frühstücken wieder gemeinsam, rätselten gemeinsam und fuhren ebenfalls gemeinsam zum Spontis-Treffen. Ich bin immer noch beeindruckt!

Auf der Wiese angekommen bin ich auch gleich in meinem Element. Leute begrüßen! Nicht, dass mich einer falsch versteht, normalerweise hasse ich es, Leute zu begrüßen und drücke vor solchen Anlässen immer, wenn es sich vermeiden lässt. Selbst im Supermarkt laufe ich einen anderen Gang, wenn im anderen Gang ein flüchtiger Bekannter lauert. Nicht aber auf dem Spontis-Treffen, denn neben alt bekannten Gesichter treffe ich auch dieses Jahr wieder viele neue oder nur vom Namen bekannte Leser, über die ich in aller Kürze etwas erfahren möchte.

Meine Lieblingswebmasterin Sabrina hat beispielsweise neben ihrer Freundin Steffi auch gleich 2 Brüder des legendären Clans der „H“ angeschleppt, mit denen die beiden Damen jeweils verbandelt sind. Erstaunlich! Ich freue mich auch über meine Lieblingsarchäologin Regin Leif, die ich eigentlich überreden wollte Archäologische Artikel für Spontis zu verfassen, nachdem der Dark Spy, für den sie geschrieben hat, seine Segel strich. Auch Ronny, der berühmte Star aus Funk und Fernsehen, war wieder zu Gast und begeisterte zahlreiche Anwesenden durch sein magische Aura. Ich freue mich auch über Jen und Holger, die ich spätestens seit ihrer Einladung in die Villa Regina ins Herz geschlossen habe.

Ich freue mich über meine Lieblinglings-Bogenschützen, Gaming-Mama Patricia und die Prinzessin der Finsternis „Darkmar“, über Libbit aus dem Geisterwald und den Karlsson vom Dach, der mit seiner besseren Häfte gelandet ist. Auch Svenja von Traumverliebt war wieder mit dabei und wurde ebenso herzlich empfangen, auch wenn sie die Pikes zu Hause gelassen hatte. Nicht zu vergessen Thilo und Dana, die ich schon seit gefühlten Ewigkeiten kenne. Von Familie D hat es allerdings nur der Bernd geschafft, gemeinsam haben wir seinem Bruder gehuldigt.

Ich freue mich außerordentlich darüber, dass ich Shan Dark und Micha wieder mal knuddeln darf und bin entwickle den festen Plan, dass wir mal wieder was zusammen verbloggen sollten. Ungünstig, dass ich diesen Plan bis heute für mich behalten habe. Die beiden Heilmanns könnte ich auch den ganzen Tag in den Arm nehmen. Leider kann ich Jenny nicht knuddeln, nur Reinhard ist gekommen, weil seine bessere Hälfte in England verweilt und dort für ihre Bildung sorgt. Ich freue mich über Rebecca, die jüngst ihrem Versprechen nachgekommen ist, etwas für Spontis zu schreiben. Fotograf Konrad und Lady Scarlet sind auch wieder erschienen, ließen sich knuddeln und bereicherten durch ihre Anwesenheit. Ich freue mich auch über die Familie B aus Heidelberg, die ihr wunderschönes Pumpenhaus verlassen haben, um uns zu besuchen. Na gut, nicht nur uns ;)

Heike und Lothar hinterlassen ein rosa Einhorn mit den Worten „Das mussten wir einfach mitnehmen“ und drückten mir die Patenschaft aufs Auge. Auch Adam von Adam & The Ants lieferte pünktlich und bestach durch pure Optik. Meine Lieblingsdoktoren Katharina und Parm vom Schemenkabinett machten ebenfalls ihre Aufwartung. Und auch Dennis und die beiden anderen Katharinas ließen sich nieder und beglückten mich durch ihre Anwesenheit, sowie die frisch vermählten Klammers, die immer noch einen Reisebericht zu den Farör-Inseln schuldig sind. Auch die New Yorkerin Andi Harriman, die den Preis für die weiteste Anreise bekommen hätte, war mit von der Partie und mischte sich und die vielen englischsprachigen Gäste.

Bibi Blue, Mamsell und Matthias, Sandra, GM, Anne von Osteressen, Fränzi, Waldemar und Dennis gehören ja schon zur Familie und ließen meine unkommentierten Knuddel-Attacken tapfer über sich ergehen. Marcus Rietzsch vom Pfingstgeflüster hatte sich meine Kritik zu Herzen genommen und brillierte durch seine lakonische, fränkische Anwesenheit. Ines schleppte ihre müden Knochen ebenfalls auf die Wiese, beteiligte sich phänomenal und klinkte sich dann, ganz zu meiner persönlichen Freude, auch nach dem Treffen bei uns ein, um die wohlverdiente Abschluss-Pizza zu genießen. Schön! Jac Sie und Martin machten ihre Aufwartung und mit Etme Funk und Kat Sin konnte ich einige Worte über die bevorstehenden Veränderungen verlieren. (Ich hoffe, man hält mich auf dem Laufenden)

Cathrine „Fairy Goth Mother“, Jesus, Teddy Walter und Stephie waren sehr zu meiner persönlichen Freude auch wieder mit dabei und so konnte ich letzteren auch noch mal für ihre gelungene Partizipation beim Weihnachtsthema bedanken. Sehr überraschend fand ich dann auch den Besuch von Nikola und Markus, die am Forschungsprojekt „Doing Popular Culture. Zur performativen Konstruktion der Gothic Szene“ arbeiten. So sympathisch und enthusiastisch die Beiden auftreten, muss die Forschung einfach gelingen. Hagen und Nathalie, die Sabrina und Ich auf einem Trödelmarkt entdeckt und verdammt, die Beiden müssen wir einfach mal besuchen.

Und dann war da dieses Mädchen mit den Waffeln, von denen ich gleich 3 gegessen habe. Dankeschön! Bitte denke unbedingt daran, mir eine E-Mail zu schreiben oder sonstwie Kontakt aufzunehmen. Und Irene und Rüdiger waren auch wieder dabei, das hat mich sehr gefreut, denn offenbar haben die Beiden tatsächlich eine neue Heimat gefunden, von der sie einst im Pfingstgeflüster berichteten. Elizabeth aus Italien war auch wieder mit dabei, mit ihrem Freund hat sie zwar Schluss, nicht aber mit uns. Das freut uns sehr! Über Caro Tanzfledermaus konnte ich mich auch wieder freuen, wenn ich doch nur mehr Zeit hätte alle Leute zu besuchen! So geht es mir auch mit Gruftfrosch Stefan oder mit Mirjam von der Weihnachtsgeschichte und all den anderen, die ich hier in diesem Beitrag nicht mehr erwähnen konnte.

Schreibt mir! Kommentiert! Markiert Euch bei Facebook! Goth, ich wünschte mir so sehr, ich hätte so eins von diesen photografischen Gedächtnissen, die sich einfach alles und jeden merken können.

Pikes-Kreis

Der Pikes Kreis ist in diesem Jahr ein wenig geschrumpft, was aber keine Rückschlüsse auf die Besucherzahl zulässt, denn Buttons und Magazine waren am Ende nahezu restlos vergriffen. Wahrscheinlich liegt das sowie nur daran, dass die Gothic Shoe Company so sang- und klanglos verschwunden ist. Natürlich liegt es aber auch daran, dass im vergangenen Jahr weniger sozial-fördernde Maßnahmen, wie zum Beispiel der Gothic-Friday, stattfanden und die Anzahl derer, die sich um und in Spontis versammeln seit ein paar Jahre stagniert. Vor ein paar Jahren schrieb ich in einem Spontis-Magazin über den Vergleich mit einem Bahnhof und irgendwie scheint das immer noch zu passen. Spontis ist ein Bahnhof auf der Reise zur gruftigen Selbstverwirklichung. Pendler kommen öfter vorbei, andere steigen hier um oder bleiben auf einen Keks.

Vielleicht lag es aber auch am Rosa Einhorn, das in der Mitte über die schwarzen Spitzen wachte oder am Wetter oder an noch mehr Gründen, die mir jetzt nicht einfallen wollen.

ich habe mich über jeden gefreut, der gekommen ist, auch wenn die Zeit wie im Fluge vorbeigerauscht ist. Ich habe mich gefreut über das tollen Wetter, die vielen Kekse und selbstgebackenen Spezialitäten. Ich freute mich über Eure Geschichten, Eure Erlebnisse und Eure Eindrücke und die Atmosphäre, die ihr hinterlassen habt. Ohne gleich Esoterisch zu klingen, fand ich die 4 Stunden auf der Wiese hinter der Moritzbastei äußerst spirituell und berührend. Vielen, vielen Dank!

Besonderer Dank

Geht an die Crowdfunder, die es ermöglicht haben, dass JEDER Besucher des Treffens einen Button und ein Magazin mit nach Hause nehmen konnte. Danke an Andreas, Kai, Anja, Reinhard, Svenja, Katharina, Steffi, Jurek, Cathrine, Jana, Meinrad, Katharina & Parm, Dennis, Denise, Bernd, Dagmar, David, Roland, Aristes, Kat Sin, Bibi, Marzenda, Marcus, Tobias, Ronny, Sabrina, Carsten, Silke, Jenny, Carmen, Manuel, Alexandra, Andreas, Jürgen, Thilo, Stefan, Simone, Nicole, Bernd, Jürgen aus Wien und Thomas. Ich habe schon jetzt beschlossen, das nächste Jahr wieder ein solches Projekt durchzuführen und auch eine zugänglichere Plattform zu nehmen, die sich auch nicht rund 50€ einstreicht.

Ganz besonders danke ich auch Simone und Ralf für den tollen Support am Spontis-Day, ein Dankeschön auch an Ines für die Hilfe beim Treffen und natürlich an meine Frau Orphi, ohne die das Treffen fast schon unmöglich geworden ist.

Die Bilder

Alle Bilder vom Spontis-Treffen 2018 findet ihr in unserer Galerie

Alle Bilder vom Spontis-Treffen 2018 findet ihr in unserer Galerie

 

 

Fachtext auf dem Prüfstand. Sind Gothics „posttraditionale Traditionalisten“?

Neulich ist mir ein Text in die Hände gefallen, der eigentlich schon vergleichsweise alt, mir aber ganz offensichtlich völlig durch die Lappen gegangen ist. Ich versuche ja eigentlich irgendwie immer auf dem Stand der Zeit zu bleiben und Literatur um „die Szene“ im Blick zu behalten. Es dünkt mich allerdings, da ist mir tatsächlich nicht nur dieser Text, sondern einiges durch die Lappen gegangen ist oder es einfach nur nie in meinem Horizont geschafft hat. Mein Amazon-Wunschzettel ist daher prall gefüllt und entweder bin ich in naher Zukunft durch den Kauf zahlreicher Bücher und eines neues Bücherregales arm, oder man trifft mich nur noch mit der Nase in Büchern – also praktisch gar nicht mehr, weil mit Büchern gehe ich eigentlich weniger aus dem Haus. Wie dem auch sei, der mir lange entgangene Text sorgte erst mal für reichlich Verwirrung.

 „Gothics – posttraditionale Traditionalisten“

„Hä, was?“ war meine erste Reaktion als ich den genauso genannten Text von Axel Schmidt und Klaus Neumann-Braun auf meinem Bildschirm wiederfand

Gothics, ja. Habe ich eine Vorstellung zu. Traditionalisten, ja, dazu auch. Der Begriff posttraditional ist auch nicht unbemerkt an mir vorübergegangen. Aber alles zusammen? Ich habe diesen Text lange hin und her bewegt. Habe mich lange gefragt, was die Autoren uns damit eigentlich sagen wollen. Und dann beschlossen, dass mal zu einer verständlichen Diskussionsgrundlage zu machen. Oder es zumindest zu versuchen. Vor allem, weil es sich hierbei um einen wissenschaftlichen Fachbeitrag handelt.

Vor ab noch eine kleine Anmerkung zum Verständnis: Die Erhebungen, auf welche sich die Autoren beziehen fanden in den 1990er Jahren statt und befasst sich mit Gothic (Rock) (Die Autoren haben sich mit dem Thema schon in einem ausführlichen Buch befasst, siehe Ende des Artikels ). Der Text wurde 2008 veröffentlicht.

„Hexen und Ritter zwischen Mehrzweckhalle und H&M – ein Blick ins Schwarze“

H&M Werbeanzeige
Eine Werbeanzeige von H&M aus einem der Kataloge. „Den Trend ausprobieren – Go Gothic“ | (c) H & M Hennes & Mauritz

Zunächst einmal schreiben sie über Gothic, oder das, was sie als solches betrachten. Beim Lesen des Textes wurde mir schon hier tendenziell etwas mulmig, auch wenn ich den Wahrheitsgehalt der Aussage nun wirklich nicht anzweifeln kann. Trotzdem: deprimierend und desillusionierend ist das schon. Und irgendwie wie alles wogegen viele Schwarzkittel sich scheinbar in einem unermüdlichen Kampf wehren: Mehrzweckhalle (wie leblos, wie unromantisch, wie wenig morbide). H&M. Konsum! Vermarktung! Ausverkauf! Wie eingenordet klingt das denn? Tja, die Zeiten – von denen ich bezweifle, ob es sie so wirklich gab – in denen sich alle immer nur auf Friedhöfen, in verfallenen Burgen und Schlössern getroffen haben und bei Kerzenlicht und Rotwein das fundamentale Zerwürfnis des Seins beweinten, sind vorbei. Und, ganz nebenbei bemerkt, schon in den 90ern nicht (mehr) existent und vermutlich auch nie existent gewesen. Zumindest die pathetische (Nicht-)Erinnerung daran und die Stilisierung davon. Wie Robert schon mit der Korrektur des Dudens deutlich machte. Man trifft sich schon lange nicht mehr auf Friedhöfen. Zumindest nicht vorrangig.

Betritt man eine der vielen H&M-Filialen, stößt man inzwischen auch dort auf ‚schwarze’ Symbole: Totenkopfschmuck ist ebenso käuflich zu erwerben wie Regenschirme mit kleinen Totenkopfmotiven und vieles mehr. Die Welt der einst skeptisch beäugten Gothics ist im Konsumtempel junger Menschen angekommen und findet hohe Akzeptanz. Entgegen möglicher Unkenrufe aus der autonomen Szene, wer im Kaufhaus lande, sei als Szene gestorben, zeugen ein reges örtliches Szeneleben sowie ein gut aufgestellter überregionaler Festivalzirkus in Burgen und Industrieanlagen von der Lebendigkeit der Gothic-Welt, die bekanntlich von einer einzigartigen ästhetischen Vielgestaltigkeit geprägt ist.

Aber weiter im Text. Erst mal geht es um Gothics und deren „Szene“. Die Autoren sprechen hier von einer Szene mit einem „retroperspektiven [Anm.: rückwärtsgewandten] Stil“ und vielen verschiedenen Ausdrucksformen.

Vielleicht wollen die ja hier über die „schwarze Szene“ reden und nicht nur über Gothics? Frage ich mich. Immerhin landen politisch Rechte über den Neofolk gleich mit bei den Gothics und Metalanhänger sind wohl auch Teil „der Szene“. Da kann man jetzt im Großen und im Kleinen schon viel drüber diskutieren, wer wie und warum dazu gehört oder mit „der schwarzen Szene“ assoziiert wird.

Der Stil gilt auf jeden Fall als unabhängig, aber mit Schnittstellen zu anderen (Sub-)Kulturen. Die Autoren sehen eine Modernisierung des Stils seit Mitte der 1990er Jahren, der auch in der medialen Welt angekommen ist. Es wird zudem von einer szeneeignenen Infrastruktur – also, Diskoabende, Festivals und Zeitschriften – gesprochen. Andere Formen der Körpergestaltung wie Tattoos und Piercings werden auch gleich mit in den Ring geworfen oder Elemente aus anderen Subkulturen. Die genutzte Symbolik, so stellt man fest, ist einer Kommerzialisierung zum Opfer gefallen und hat damit an Inhalt verloren.

Immerhin das kann ich ein bisschen nachvollziehen, auch wenn ich sagen würde, dass der Inhalt nur teilweise verloren gegangen ist und in einigen undergroundigen Bereichen auch weiterhin seine Bedeutung behalten hat.

Man hat wohl erkannt, dass Friedhöfe und Ruinen nicht mehr die Orte der ersten Wahl sind, wenn es darum geht sich zu treffen, trotzdem hängt der Ruf nach, dass Burgen und Schlössern gerne als Veranstaltungsorte gewählt werden zur „aufwändigen ästhetischen Selbstinzinierung“. Da treffen sich dann: „historische Retro-Figuren (wie z.B. Ritter), die ‚Kinder der Nacht’ (also Figuren wie Hexen, Magier und zwischenweltliche Wesen wie Vampire), die Dark Wave- Anhänger (Leder und Lack-Orientierte) und Cyberpunks (bspw. Industrial- und SM-Fans).“ Ähm, okayyyyy. Ja nee, also…nee, dachte ich mir da immer wieder, aber steht halt so da. Bis hierhin ist mir zudem immer noch nicht klar ob es um „Gothic als Gesamtszene“ (also „schwarze Szene“) oder um Gothic als Subkultur (Gothic Rock) geht. Dafür taucht sie hier auf, die tiefergehende Nachdenklichkeit, von der alle immer erzählen.

Die Welt der Gothics als Spielraum düster konnotierter Transzendenz“

Mehr oder weniger gut, aber was ist denn jetzt mit den posttraditionalen Traditionalisten? Irgendwie fühle ich mich noch nicht schlauer. Bevor es dazu kommt, machen die Autoren noch einen Bogen über die Rationalisierung der Welt: Menschen, so sagen sie, streben nach einem höherem Sinn. Streben und Wollen basieren auf moralischen und überindividuellen Rechtfertigungen und bedürfen gemeinsam geteilte Vorstellung der Welterklärung und Deutung. Darin enthalten sich auch nicht rationale Vorstellungen. Diese Anschauungen bietet die Grundlage um Dinge (gesellschaftlich) zu legitimieren.

Dann erklären sie noch was anderes: Das man unterscheiden kann zwischen heiligen/religiöse Dingen und weltlichen Dingen, welche im Gegensatz zueinander stehen.  Alles Religiöse beinhaltet Gebote und Verbote. Da gibt es dann auch immer eine gemeinsame Moralvorstellung in einer kirchlichen Gemeinschaft. Weil, wenn es die nicht gibt, dann ist man halt ein irrer Spinner. In dieser Gemeinschaft herrschen geteilte Überzeugungen und Handlungsweisen. Die Magie stellte den Gegensatz zur Religion da, gilt als anti-religiös, wurde von der Religion unterdrückt. Magievorstellungen sind immer flexibler als Religionen und haben keinen absoluten Anspruch.

Jetzt spannt sich der Bogen weiter über die Individualisierung, Säkularisierung und Rationalisierung der Welt und damit der Entzauberung dieser. Damit einhergehend aber das Bedürfnis nach Wiederverzauberung und Gemeinschaft, nach gemeinsamen Werten und Weltdeutungen (sonst muss man das mit der Weltdeutung nämlich alleine und für sich selbst ausmachen). Diese Werte und Weltdeutungen, da sind wir jetzt, sind entmodernisiert und rückwärtsgewandt. Also traditional.

Was ist jetzt aber mit Posttraditional? Posttraditionale Gemeinschaften bezeichnen neue Formen der Vergemeinschaftung. Also Gemeinschaften jenseits von Familien, Nachbarschaften etc. Die Menschen finden sich nicht mehr auf Grund einer ähnlichen sozialen Lage zusammen, sondern auf Grund ähnlicher Lebensstile und ästhetischer Ausdrucksformen. Gut, wir reden also von einer Gemeinschaft die, ganz platt gesagt, auf Grund von Interessen und Geschmack besteht – eben einer Subkultur. Das ist noch gut nachvollziehbar, aber beim Pudels Kern bin ich immer noch nicht angelangt. Nur meine Verwirrung ist gewachsen.

Was hat das denn jetzt mit Gothic zu tun?

Durch Körperästhetik und Stil, sagen die Herren, wird ein magischer Spielraum geschaffen, es findet eine Wiederverzauberung und eine Wiedervergemeinschaftung statt. Die sich eben im Stil wieder ausdrücken, also eher darin, dass es einen Stil gibt. Der hält dann Händchen mit dem Lebensgefühl. Mir persönlich kräuseln sich ja immer die Zehnnägel, wenn in Bezug auf „die Szene“ jemand von Lebensgefühl spricht. (Der schwarze Planet hat dazu übrigens einen sehr interessanten Artikel parat zu Lebenstil und Lebensgefühl…). Die konkrete Einstellung zu etwas ist dabei weniger bedeutsam, als die Auseinandersetzung mit bestimmten Themen (Psychologie, Esoterik, Philosophie etc.). Das ersetzt dann die Religion. Zudem werden Symbole genutzt und Bereiche thematisiert, welche in der Religion als negativ gelten (Tod, Vodoo, Fetisch, Mystik etc.). Trotz der Gemeinsamkeiten ist Authetizität und Individualität sehr wichtig. Man könnte also von einer Gemeinschaft an Individualisten sprechen. Der Stil ist lediglich ein Zeichen sich mit den Inhalten zu befassen. Wiederverzauberung und Wiedervergemeinschaftung in Verbindung mit den behandelten Themen scheinen also im Bezug zu dem Traditionalen zu stehen. Posttraditional muss daher also sein, dass die Themen anders und in einer anderen Form der Gemeinschaft behandelt werden und sie die Grundlage einer Interessensgemeinschaft sind.

Post-traditionale Gemeinschaft in einem besonderen Sinn dar, da sie sich anschickt, das Traditionale wiederherzustellen, was allerdings nur auf post-traditionalem Wege gelingt. Die Tendenz zur Wieder-Verzauberung resp. Re-Mythologisierung nimmt daher in der Gothic-Szene eine besonders paradoxe Figur an, nämlich die eines posttraditionalen ‚Traditionalismus‘.

Ja, und jetzt?

Hat jemand ganz klug und kompliziert in Worte gefasst, dass sie viele in der Szene auf vermeintlich alte und heute nicht mehr gütige Werte berufen und sich mit Themen befassen, die eigentlich eher out oder gemieden sind, aber zur Sinnstiftung und Welterklärung beitragen können. Irgendwie hatte ich das Gefühl ich wusste das alles schon vorher. Habe es nur besser verstanden, weil ich es nie so kompliziert gedacht habe. Aber fühle ich mich als posttraditionale Traditionalistin, weil ich mich mit philosophischen Themen auseinandersetze und versuche mir damit meine Welt zu erklären? Tun wir das nicht alle? Braucht nicht jeder Mensch eine Form der Welterklärung und umgibt nicht jeder Mensch sich mit einer Gemeinschaft, die ähnliche Ansichten teilt?

Irgendwie fühle ich mich auch nach mehrfacher Textlektüre nicht wirklich schlauer. Nicht wirklich erleuchtet durch das Gesagte. Frage mich sogar, ob ich wirklich das verstanden habe, was die Autoren sagen wollten, oder nur das, was ich erkennen konnte und wollte. Am Ende ändert es auch für mich nichts. Es erinnert mich nur wieder daran, dass ich mich mit zunehmenden Alter und zunehmender zeitliche Auslastung mit beruflichen und privaten Verpflichtungen immer weniger mit Sinnfragen befasse. Auch weil ich vieles davon für mich bereits geklärt habe. Dass ich schon lange nicht mehr bewusst auf einem Friedhof war. Dass ich schon lange keine Kerzen mehr an hatte. Vor allem aber, dass ein ganz zentrales Moment zu kurz kommt: Die Musik.

1987: BBC-Radiosendung über die englische Gothic-Szene

Auf YouTube und artverwandten Plattformen kann man ja immer wieder mal über interessante Berichte über die Szene stolpern – nie wirklich gut, selten informativ, aber immer irgendwie unterhaltsam, wenn auch manchmal nur durch interessante Bilder. Dieser Punkt fällt bei einer Radioreportage natürlich weg, aber auf der anderen Seite kann gerade das interessant sein, da hier nun wirklich einmal auf Inhalte Wert gelegt werden muss.

Und so war ich dann fasziniert, als ich über eine mit einem einfachen Infotext-Bildchen hinterlegte Doku der BBC gestolpert bin, die 1987 aufgenommen und im Radio über den Äther geschickt wurde. Der Moderator führt dabei Interviews mit Menschen aus allen Bereichen der Londoner Szene – eine verkleidete Clubgängerin, reichlich auf Posen gebürstete Musiker, ein Szenefriseur sowie eine etwas schräge Shop-Besitzerin.

Ich kann nicht behaupten, dass ich mich mit den Aussagen einer der Personen vollauf identifizieren könnte, aber es ist doch sehr interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Haltung zur Szene auch vor über 20 Jahren schon war. Reporter Chris Nicholson und zuweilen auch Sean Cronin, Sänger der Marionettes und damals Poser par excellence, überraschen z.B. stellenweise durch historisch fundiertes Wissen, aber mein persönlicher Lichtblick ist der Friseur Simon Forbes, der in meinen Augen die realistischste und entspannteste Haltung einnimmt, dabei aber auch mit der größten Ahnung und Ernsthaftigkeit auffällt.

Lange Rede, kurzer Sinn – macht euch ein eigenes Urteil über diese dunkelbunte Zeit. Wer des Englischen nicht so mächtig ist, der mag einfach unter dem Video mein deutsches Transkript lesen (sei aber gewarnt, dass besonders der Herr Cronin teils mehr als unverständlich war und ich manche großen Fragezeichen einfach versucht habe nach bestem Wissen und Gewissen auszubügeln).

Gothic – Eine BBC World Service Radiodokumentation zu Gothic-Rock und Kultur 1987

Chris Nicholson erkundet Musik, Kleidung und Lifestyle der Gothics. Donnerstag Nacht in der Londoner Innenstadt, halb eins, und der führende Gothic-Club der Stadt – das Kit Kat – erwacht gerade erst. Im Kit Kat ist es sehr dunkel und sehr sehr laut. Das mag auf viele Nachtclubs zutreffen, doch die Leute im Kit Kat sind nach jedem nur erdenklichen Standard extrem gekleidet. Die dominierende Farbe ist schwarz – schwarzes Satin, schwarzes Gummi, schwarzes Haar. Männer wie Frauen tragen Make-up, sie haben weiß-geschminkte Gesichter, dunklen Lidschatten, purpurnen Lippenstift. Der Effekt ist düster und glamourös. Tod, Sex und Schönheit vereinen sich im Gothic-Look.

Gast: „Ich versuche so sehr ich kann, daraus einen Lebensstil zu machen. Ich laufe meistens so gekleidet herum. Ich meine: Gothic ist nur ein Style, sich einfach rausputzen und unsere Perücken aufsetzen und sowas. Wir versuchen, wie Dracula auszusehen.

Der Begriff Gothic wurde ursprünglich benutzt um einen Stil der Kirchenarchitektur im mittelalterlichen Europa zu beschreiben, doch im späten 18. Jahrhundert verband man damit Romantik und gänsehauterregende Mysterien mit Geistern, Werwölfen und anderen abscheulichen Erscheinungen. Doch im heutigen Großbritannien ziehen die meisten Gothics (oder Goths, wie sie meist genannt werden) ihre Inspiration größtenteils aus den Horrorfilmen der Hammer-Studios aus den 1930er und -40er Jahren: Frankenstein, Dracula.

Der 22 Jahre alte Sean Cronin aus West-London gestaltet seinen Kleidungsstil tatsächlich nach Graf Dracula. Sein normales Outfit beinhaltet ein Schnürhemd und einen schwarzen Gummi-Gehrock, sein Kopf ist größtenteils rasiert, bis auf einen Samurai-Knoten, und er trägt ein Paar Reißzähne – stylt sich als Gentleman-Vampir. Er ist auch der Sänger einer Gothic-Rock Band namens „The Screaming Marionettes.

Sean Cronin: „Eines unserer Lieder, Screaming Master, ist fast wie ein Gedicht. Der Refrain lautet:

I am the screaming master
I scream louder, I scream faster
I scream laced with Belladonna
No hero can save you or set you free
I’m affraid, my dear, you belong to me

So in diese Richtung – ziemlich gespenstisch, ziemlich gruselig, doch die Melodie ist so lieblich, dass man eine derartige Message nicht dahinter vermuten würde.

Simon Forbes ist der Gründer von Antenna, Londons Top-Friseur für Goths. Er hat keine Zweifel, dass Gothic seinen Ursprung vor mehr als einem Jahrzehnt in der Punk-Subkultur hat.

Simon Forbes: „Ich denke es hat alles eigentlich mit der Punk-Bewegung 1976 angefangen – das war die Wurzel. Es waren diese Leute, diese Kids, die ihren Style und ihr Image änderten, aber dabei nicht die Wirkung verlieren wollten, die sie mit ihrem Punk-Image erzielt hatten. Sie wollten sich also zu etwas verändern, das völlig anders ist, aber gleichzeitig eine gewisse Boshaftigkeit bewahrt (wenn man so will), von der sie dachten, dass das Gothic-Image sie bieten würde.

Nicholson: „Ist Gothic heute völlig vom Punk losgelöst?

Simon Forbes: „Ja, völlig losgelöst, ja.

Auch wenn sich Gothic aus dem Punk entwickelt hat, so ist es doch zu etwas völlig Anderem geworden. Die Punks von ’76 und ’77 stammten aus der Arbeiterschicht und waren wütend. Goths sind mehr wie die Hippies der 60er: Eher Mittelschicht, friedlicher, relaxter. Sie haben zwar keine eigenständige Philosophie, sehen sich aber als künstlerisch und individualistisch. Sean sagt, dass die meisten von ihnen (im Gegensatz zu den Punks) Jobs haben.

Sean Cronin: „Neben der Band habe ich noch ein eigenes Mode-Unternehmen. Wir machen unsere eigene Kleidung und so. Viele Leute gehen sehr sehr kreativ mit Gothic um und machen alle möglichen Dinge. Einige von ihnen arbeiten in ziemlich normalen Jobs und bewahren doch ihr eigenes Image. Manche von ihnen machen ihre eigene Kleidung, gründen eine Band oder machen etwas mit Theater oder so. Ich denke, solche Leute sind oft bei weitem kreativer. Es macht viel mehr Spaß, Leute zu sehen, die sich aufstylen und eine gute Zeit damit haben, einfach so herumzulaufen, ohne grauen Tweed und sowas – weißt Du was ich meine? Bringt einfach mehr Farbe ins Leben, weißt Du?

Nicholson: „Was denken die Leute, wenn Du die Straße runter gehst?

Sean Cronin: „Ich bringe die Leute zum Lachen: Manchmal über mich – manchmal mit mir. Sie wissen, dass immer ein Augenzwinkern dabei ist. Es ist natürlich kein Witz, aber man macht es doch aus Spaß. Ich mag es, den Leuten den Tag zu erhellen, so trübsinnig und niedergeschlagen oder was auch immer sie sind. Das macht Spaß.“

Und warum sollte man sich auch nicht wie ein Vampir kleiden, wenn es das ist, was man tun möchte? Doch während manche Goths es als Spiel betrachten und sich Wochenends aufstylen ist es doch faszinierend, dass die meisten ihr Gothictum mit großem Ernst behandeln. Wie Simon Forbes es ausdrückt: „Es ist kein Posieren, es ist ein Vollzeit-Lebensstil.“

Simon Forbes: „Es ist ganz egal, ob man seit einem Jahr dabei ist oder seit 20. Es heißt alles oder nichts. Und das ist meiner Meinung nach der wichtigste Unterschied zwischen London und… auf jedem Fall Amerika aber auch einigen europäischen Ländern. In London ist es nicht nur oberflächlich. Man kann es nicht einfach wie eine extravagante Ausgehuniform anlegen, ausgehen und einfach Spaß Spaß Spaß haben – darum geht es nicht.

Gothic richtig zu leben beinhaltet auch, sein Zuhause auf eine bestimmte Weise zu gestalten. In West-London gibt es einen Laden namens „Artificial Eye“, wo Goths Accessoires wie etwa menschliche Totenköpfe kaufen können. Die Besitzerin, Flea, die selbst eine Goth ist, bot mir folgende Auswahl an:

Flea: „Wir haben da einen der besten aus Gips aus Paris. Einer besteht nur aus dem oberen Teil des Schädels ohne Unterkiefer und der andere ist mit Unterkiefer und einem Latex-Überzug auf dem oberen Teil. Und dann haben wir noch die mit einem oder zwei Glasaugen.

Nicholson: „Sie haben auch Haare?

Flea: „Ja, Kunsthaar, das ist kein echtes.

Nicholson: „Warum sollte jemand sowas kaufen wollen?

Flea: „Um ihre Wohnungen zu dekorieren. Macht das Zuhause ein bisschen schöner, heimeliger.

Nicholson: „Hast Du einen in Deiner Wohnung?

Flea: „Ja, habe ich [lacht].“

Sean von den Screaming Marionettes wohnt zur Miete, doch er freut sich darauf, eines Tages ein eigenes Zuhause im Gothic-Stil zu haben.

Sean Cronin: „Es wird nicht ganz schwarz sein, sondern etwas freundlicher. Es wird da viel mehr… also vielleicht einen offenen Kamin und viel weichen Samt und sowas, denn ich stehe auf diesen richtigen Gothic-Look des 18. Jahrhunderts. Ich werde also vielleicht irgendwie eine große Kirche in meinem Wohnzimmer nachempfinden – ich weiß noch nicht genau, ich muss noch das richtige Grundstück finden.

Der Bassist der Screaming Marionettes, Baz, lebt den Gothic-Lebensstil bereits voll aus. Er hat eine Katze um sie auf der Schulter zu tragen und trägt sein Haar über sein Gesicht, da er (wie er sagt) eine Aversion gegen Tageslicht hat, wie ein Vampir. In seinem Zuhause hat er bis vor kurzem einige Ratten gehalten.

Baz Downes: „Ich habe noch eine Ratte, ein sehr süßes kleines Ding.

Nicholson: „Hältst Du Deine Ratten in einem Käfig?

Baz Downes: „Nein. Nein, ich mag es nicht, irgendwas in Käfige zu sperren. Ich lasse sie einfach in der Wohnung herumlaufen. Es ist absolut in Ordnung so, an einigen Stellen ist es etwas angenagt.

Nicholson: „Haben Gothics manchmal tote Tiere, tote Vögel in ihrer Wohnung?

Baz Downes: „Ja. Ich persönlich mag es nicht, etwas verrotten zu lassen. Und tote Tiere neigen nunmal dazu zu verrotten, also… [lacht]. Ich weiß aber, dass manche Leute aus irgendwelchen Gründen Sammlungen von toten Tieren haben. Ich bräuchte das selbst nicht.

Nicholson: „Tragen sie die?

Baz Downes: „Ich habe schon Leute mit toten Dingen rumlaufen sehen… verschiedenes Zeug, interessante Sachen. Aber das ist sicherlich eine Modeerscheinung, es ist für sie nur eine Art Schmuck.

Es mag nur Schmuck sein, doch für viele Leute schmeckt das Tragen von toten Tieren verdächtig nach Satanismus. In seiner Hammer-Horror-Tradition ist Gothic sicherlich eng mit schwarzer Magie verknüpft, und Flea zufolge versuchen sich nicht wenige Goths an den schwarzen Künsten.

Flea: „Es gibt da eine recht starke Strömung – ich würde nicht sagen, dass es alle sind. Ich interessiere mich nicht für schwarze Magie. Aber einige Leute beschäftigen sich damit – manche sind Hexen oder haben sich okkulten Gesellschaften angeschlossen. Ich würde sagen, sowas findet man recht häufig.

Ich konnte keinen Goth dazu bringen, sich auf Tonband zu schwarzer Magie zu bekennen, doch das Tragen von schwarzen Kruzifixen ist auf jeden Fall recht verbreitet. Doch ist die Verbindung zum Satanismus wirklich so ernst zu nehmen? Simon Forbes dazu:

Forbes: „Nein, nicht wirklich, das glaube ich nicht. Ich denke, dass es da vielleicht eine gewisse Verbindung hinsichtlich Spiritualität gibt – auf die selbe Weise, wie sich die Hippie-Bewegung mit Zen verbunden gefühlt hat.

Besonders interessant an Gothic ist momentan, dass es Anzeichen dafür gibt, dass es sich selbst exportiert. Flea hat in ihrem Laden Kunden aus West-Deutschland, Spanien, Italien und sogar von weiter weg aus Australien, den Vereinigten Staaten und Japan.

Flea: „Ich würde sagen, dass es schon seit vier Jahren unter der Oberfläche gebrodelt hat, und jetzt fängt es wirklich an, den Durchbruch zu schaffen. Mehr Leute, die gothic sind werden wohlhabender, einflussreicher. Es hat sich wirklich herumgesprochen. Vorher war es nur eine Underground-Sache, aber jetzt ist es erwachsen. Mehr Leute sind wirklich erwachsen geworden. Es ist eigentlich sowas wie positiv-denkender Punk.

Dieser Beitrag wurde 2011 bereits in den ehemaligen Otranto-Archiven veröffentlicht und wurde nur marginal überarbeitet und wieder veröffentlicht.

Bild: Photo by Abe B. Ryokan on Unsplash

Sprechen wir über den Tod: Unser digitales Erbe einrichten und verwalten

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Das Thema digitales Erbe ist gestern wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, nachdem der BGH ein Grundsatzurteil gefällt hat. Geklagt hatte die Mutter eines Mädchens, das vor ein paar Jahren nach einem tragischen Unfall ums Leben gekommen war. Sie wollten anhand des Facebook-Accounts der Tochter herausfinden, ob es sich um einen Suizid handeln könnte. Leider war das Konto bereits im Gedenkzustand, in dem man zwar Pflege betreiben, nicht aber die persönlichen Daten einsehen kann.

Weil Facebook den Zugriff auf den vollständigen Account verweigerte, klagte die Mutter. Der BGH urteilte nun, das digitale Inhalte nicht anders zu behandeln sind, wie zum Beispiel Tagebücher, die auch im Erbe enthalten wären. Die Tochter hatte einen Vertrag mit Facebook geschlossen, den die Mutter ebenfalls erbt. Das Grundsatzurteil gilt natürlich auch im umgekehrten Fall, nämlich dann, wenn die Kinder die virtuellen Accounts ihrer Eltern erben.

Sprechen wir über den Tod. Nicht zuletzt, weil man der Szene ja eine intensivere Beschäftigung mit diesem Thema nachsagt. Hauptsächlich geht es aber darum, dass wir in Zeiten, in den unser Leben intensiv mit Accounts, Passwörtern und digitalen Identitäten verknüpft ist, darüber nachdenken sollten, was mit diesem digitalen Erbe geschieht und wie man es einem Erben leichter machen kann, sich im Dickicht der Daten zurechtzufinden. Nur 18% der Internetnutzer, so der IT-Verband Bitkom, haben ihr digitales Erbe geregelt.

Digitales Erbe – Soziale Netzwerke

Vermutlich pflegen die meisten von Euch ein Facebook und ein Google-Konto, in denen ihr bereits ein digitales Leben pflegt. Während man bei Facebook ein virtuelles Tagebuch aufgebaut hat, ist Google mit seinen angeschlossenen Diensten die zentrale Verwaltung vieler anderer Aktivitäten. Beide Dienste habe bereits Möglichkeiten geschaffen, sein Vermächtnis zu regeln.

Google nennt seinen Dienst „Kontoinaktivität-Manager“. Der ist hier zu finden und mit wenigen Schritten eingerichtet. Zu den wichtigsten Einstellmöglichkeiten zählt der Zeitraum der Inaktivität (3 bis 18 Monate) und der entsprechende Kontakt, der benachrichtigt werden soll. Erfolgt innerhalb dieses Zeitraums keine Anmeldung, wird der Kontakt informiert.

Kontoinaktivität-Manager
Im Kontoinaktivitätsmanager kann man auch eine zusätzliche Nachricht hinterlegen, die die Kontakte nach der eingestellen Inaktivität erhalten, um beipielsweise zusätzliche Instruktionen weiterzugeben.

Man kann bis zu 10 Kontakte hinzufügen, die nach Ablauf der Zeit benachrichtigt werden und Zugriff auf die vorher festgelegten Inhalte bekommen. Es ist auch möglich, niemanden als digitalen Erben zu benennen und die Daten nach Ablauf der Frist löschen zu lassen. Das gilt dann natürlich für alle mit Google verknüpften Dienste wie beispielsweise YouTube, Blogger oder auch Google+ und die darauf hochgeladenen und geteilten Inhalte.

Facebook, euer digitales Tagebuch, macht das etwas anders. In den Sicherheitseinstellungen kann man einen Nachlasskontakt einrichten. Wird Facebook darüber informiert, dass ein Mitglied gestorben ist, wir der Account in den Gedenkzustand versetzt, in dem der Nachlasskontakt dann beispielsweise die Trauerfeier ankündigen oder Freundschaftsanfragen annhemen kann. Dabei wird stets im Namen des Nachlasskontaktes gepostet, nicht im Namen des Verstorbenen.

Man kann ebenfalls einstellen, dass der Nachlasskontakt Bilder aus dem Account des Verstorbenen herunterladen kann. Es ist nicht möglich, sich in den Account des Verstorbenen einzuloggen, um beispielsweise privaten Nachrichten zu lesen. Ob sich das nun durch das Urteil des BGH ändern wird, bleibt abzuwarten. Alternativ lässt sich auch einstellen, dass niemand informiert wird, der Account also direkt gelöscht, sobald Facebook über Euer Ableben in Kenntnis gesetzt wurde.

Twitter bietet zur Zeit noch keine Möglichkeit der Nachlassverwaltung. Familienmitglieder oder berechtigte Personen können jedoch Todesfälle melden, sie müssen jedoch Sterbeurkunde und Personalausweis, notariell beglaubigte Dokumente zur meldenden Person und eine veröffentlichte Todesanzeige vorlegen. 30 Tage nach der erfolgreichen Prüfung durch Twitter wird der Account deaktiviert.

Das berufliche Netzwerk Xing verlässt sich allein auf die Meldungen von Mitgliedern, die ein anderes Mitglied als verstorben melden. Das Profil wird daraufhin auf unsichtbar umgestellt und der vermeintlich Verstorbene erhält eine Nachfrage an die verknüpfte E-Mail-Adresse. Wenn dieser 3 Monate dann nicht auf die Mail reagiert, wird das Konto gelöscht.

Digitales Erbe – Passwörter, Zugangsdaten und PIN-Nummern

Viele von Euch erhalten Rechnungen per E-Mail, führen Überweisungen vom Giro-Konto online aus und haben auch sonst unzählige Accounts mit teilweise sensiblen Daten oder sogar virtuellen Gütern, die nach Eurem Tod von niemandem mehr zu erreichen sind. Jedenfalls nicht ohne größeren Verwaltungsaufwand.

Um nicht alle Passwörter, Zugangsdaten und PIN-Nummern aufschreiben zu müssen, nutzen viele Anwender die Funktion des Browsers, Passwörter und Accounts zu speichern und einzusetzen, wenn diese notwendig werden. Solltet ihr diese Funktion mit einem Masterpasswort gesichert haben (dringend empfohlen) sollte man dieses Passwort nebst dem Passwort für den Zugang zum Rechner oder Laptop, aufschreiben und an einem Ort aufbewahren, den der Verwalter für den digitalen Nachlass leicht finden kann.

Noch besser als die Funktion des Browsers eignen sich Passwort-Programme, wie etwa das kostenlose Keepass, um Passwörter, Accounts, E-Mail Adressen oder auch PINs und PUKs des Smartphones zu sichern. Auch hier muss das Master-Passwort, das alle anderen entschlüsseln kann, auf einem Zettel oder in einer entsprechenden Kladde niedergeschrieben werden.

So erhalten Angehörige und Nachlassverwalter Zugriff auf Euer gesamtes digitales Leben und können wohlmöglich delikate Geheimnisse aufdecken, indem sie persönliche Nachrichten oder auch Chat-Verläufe lesen. Paranoide Zeitgenossen, die ihr Erbe planen, sollten sich auch darüber Gedanken machen und eventuell einige Zugänge von diesen Listen oder Passwort-Programmen ausnehmen.

Und darüber, dass EIN Passwort für alles dem digital geplanten Suizid entspricht, müssen wir in diesen Zeiten nicht mehr reden, oder?

Digitales Erbe – Sprechen wir über den Tod

Machen wir uns nichts vor. Morgen könnte es schon vorbei sein mit uns. Was möchtet ihr der Öffentlichkeit hinterlassen? Nehmen wir an, Facebook wird sich auch die nächsten 40 Jahre nicht großartig in seiner Existenz ändern und weiterhin als Tagebuch für Euch funktionieren. Damit konserviert das soziale Netzwerk ein ganzes Leben. Gedanken, Gefühle, Freude, Geschichten und nicht zuletzt Bilder bleiben als digitales Monument abrufbar.

Ich finde das zum einen etwas gruselig seine gesamten Daten im Internet zu wissen, aber ich sehe die Möglichkeit etwas zu hinterlassen, als Möglichkeit sich zu erinnern. Ganz so wie ein virtuelles Grab, nur viel informativer, viel Erlebbarer und so voller Geschichten und Erinnerungen. Ich glaube ich würde nicht wollen, dass man mich löscht, entfernt und ausradiert. Doch nicht zuletzt wegen dieses Blogs sollte ich mir Gedanken darüber machen, was damit geschehen soll. Denn wenn die Rechnungen für den Webspace nicht bezahlt werden, sind meine und Eure Artikel, die Kommentare und die Bilder einfach weg. Das fänd ich irgendwie schade.

Habt ihr schon darüber nachgedacht, was mit „Euch“ geschehen soll? Wie sieht Euer digitales Erbe aus? Was soll mit Euren Profilen, Bildern und Geschichten geschehen?