Cold Transmission ist ein Label aus Bad Homburg, bei dem mittlerweile rund 40 Bands aus der Szene unter Vertrag sind. Die beiden Betreiber Suzy und Andreas Hermann haben sich meiner Neugier gestellt und etwas über sich und das Label erzählt, vor allem, wie die Musik letztendlich unter die Leute kommt und welche Aufgaben ein Label dabei übernimmt. Rund dreieinhalb Stunden haben wir uns unterhalten. Dabei ist dieses Interview entstanden.
Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für das folgende Interview genommen habt. Könnt ihr euch den Lesern kurz vorstellen?
Suzy: Ich bin Suzy und bin 47. Ich komme aus Köln und bin vor neun Jahren hier ins Rhein-Main-Gebiet gezogen.
Andreas: Mein Name ist Andreas. Ich bin noch 55 und leidenschaftlicher Musikliebhaber.
Wie seid ihr damals in der schwarzen Szene gelandet? Was hat euch besonders angesprochen?
Suzy: Ich bin 1978 geboren. Das heißt, die coole Urszene, die Wave-Szene, habe ich gar nicht mitbekommen. Ich habe damals hauptsächlich Sachen gehört, die im Radio liefen. Das war in den 80ern auch cool. Irgendwann bin ich zu Depeche Mode gekommen. Richtig in die Szene gekommen bin ich erst Anfang der 90er mit Deine Lakaien. Ich hatte einen Klassenkameraden, der war Grufti und der hat mir Kassetten oder CDs gegeben, und gesagt, hör dir das mal an. Der hat mir die Dark Star von Deine Lakaien gegeben. Das war für mich ein Aha-Moment.
Ein Faible für schwarze Klamotten hatte ich vorher lustigerweise schon. Mein Klassenkamerad hat irgendwann gesagt, bei uns in der Nähe, da gibt es jeden Mittwoch eine Party in einem Club, komm doch mal mit. So bin ich reingekommen und geblieben.
Andreas: Ich könnte da wahrscheinlich Stunden drüber reden. Ich bin das klassische Kind der 80er. Ich habe mit elf Jahren vorm Radio gesessen und da ist für mich eine neue Welt aufgegangen. Mit Bands wie Depeche Mode, Ultravox oder Visage. Und meine erste Single war Fade to Grey. Ich habe diese ganzen 80er durchlebt und habe mehr oder weniger mit den kommerziellen Sachen angefangen. Blancmange, Howard Jones und Pet Shop Boys. Diesen ganzen Kram habe ich aufgesaugt. Formel Eins war ebenfalls ein Augenöffner.
Ich habe meine erste große Liebe 1986 kennengelernt. Die war ganz klassisch ne Waverin – mit Ratte. Und durch sie habe ich die ganz coolen Sachen hören dürfen. Von Fad Gadget über Alien Sex Fiend zu Skinny Puppy. Mir wurde durch das Zusammensein mit ihr eine Welt offeriert, wo ich mir gesagt habe, Holy Shit, das ist genau der nächste Schritt für mich. Dann ging es richtig in diese Industrial-Elektro/ EBM-Schiene. Da hat man Front 242, Nitzer Ebb und Frontline Assembly gehört. Da bist du nach Frankfurt gefahren mit Älteren – ich hatte noch kein Auto – und das erste Mal in den Techno Club gegangen. Sonntags, und hast dir gesagt, das ist genau mein Ding hier. Und das hat mich bis heute nicht losgelassen. Das ist ein bahnbrechender Moment gewesen.
Eine Person kennenzulernen, die einem genau das an Musik gegeben hat, was man wollte. Wo man vielleicht auch bereit für war. Seit ich angefangen habe, sauge ich das auf. Das hat mich alles interessiert. Was gibt es denn noch? Dieser Pioniergeist oder wie soll man das ausdrücken, diese Neugier? Die ist mir bis heute geblieben und das kommt dem Label zugute.
Welche Konzerte und Festivals habt ihr denn eure Anfangszeit besucht?
Suzy: Mein allererstes Konzert war 1993 Depeche Mode in Dortmund in der Westfalenhalle. Da war ich 15. Viel auf Konzerte gegangen ist man am Anfang gar nicht. Ich bin nicht in Köln groß geworden, sondern in der Nähe von Koblenz. Da war nicht wahnsinnig viel. Und du hattest kein Auto. Du musstest jemanden finden, der dich irgendwo hinfährt. Geld hattest du nicht, weil du noch Schüler warst. Das erste WGT, auf dem ich war, `97, das hat mich besonders beeindruckt. Das war noch sehr, sehr klein zu der Zeit. Da gab es das Werk 2 und ich glaube eine Halle in der Agra. Das war schon was anderes. Das fand ich richtig cool.
Andreas: Ich habe ein ziemlich cooles erstes Konzert gehabt, relativ spät. Ich komme aus Hanau, war jung und wenn du niemanden hast, der fährt, kommst du nicht weg. Hanau ist zwar nur 30 Kilometer von Frankfurt entfernt, aber es war eine Riesendistanz. Ich habe es tatsächlich über eine Bekannte geschafft, dass sie mich mitgenommen hat. Da war ich bei DAF in der Music Hall und das war ein cooles Erlebnis – sie live zu sehen. Ich war bei diesem Konzert zur First Step to Heaven Tour.
Waren in euren Anfangstagen Rebellion und Selbstausgrenzung relevante Themen?
Suzy: Da habe ich tatsächlich persönlich nie drüber nachgedacht. Du bist in die Szene über die Musik, aber nicht bewusst, um dich abzugrenzen. Wenn du schwarz trägst, polarisierst du automatisch. Das ist heute noch so. Wenn wir heute irgendwo hingehen, und die Leute kennen uns nicht, bekommst Du immer einen Spruch, da kannst du 15 oder 50 sein. Ich war nie ein extrem gestylter Grufti. Ich hatte nie eine Riesenfrisur oder bunte Haare. Man war in seinem Ding, in seinem Movie oder in seinem Style drin, aber nie so extrem, dass man angeeckt wäre. Muss ich wirklich zugeben.
Andreas: Würde ich auch für mich sagen. Ich habe gedacht, ich habe einen coolen Musikgeschmack und sowas hören viele andere gar nicht. Für mich wurde es eher schwierig, wenn die Normalos die Musik entdeckt haben. Wenn die gesagt haben, das ist richtig cool. An der Stelle wurde es für mich uninteressant. Dann habe ich gesagt, ich bin raus, ich such mir was anderes. Ich finde nicht, dass das Rebellion ist. Ich habe kein Wort dafür, dass es umschreibt.
Die Optik kam bei mir durch meine erste Freundin. Vorher trug ich eher Jeans und vielleicht grüne Pullover. Und als ich sie kennengelernt habe, wollte ich in diese Richtung gehen. Sie hat gesagt, ich habe hier noch einen alten Fischgrät-Mantel von meinem Papa, den könntest du anziehen. Dann hat sie ein schwarzes Synthetikhemd gehabt und irgendwo haben wir noch einen schwarzen Pullover gefunden. Der Ex-Schwager hat noch irgendwelche Bundeswehrstiefel dazugegeben. Und du hattest eine schwarze Hose und das Outfit war fertig. Und das hattest du. Du hattest nichts anderes. Das hast du bis zum Erbrechen angezogen. Da gab es nicht, heute ziehe ich das und morgen das an! Das war das Einzige, was du hattest.
Was verbindet eurer Ansicht nach die Menschen in der Szene?
Andreas: Das Lebensgefühl! Nicht mit der Masse zu schwimmen. Sein eigenes Ding zu machen oder seine eigene Welt aufzubauen anstatt dem ganzen Mainstream zu folgen. Die Szene könnte sich darüber definieren, dass man nicht wie die Lemminge sein möchte, sondern ich höre coole Musik und mich interessiert es nicht, ob das anderen gefällt. Hauptsache mir gefällt es.
Suzy: Ich mag die Szene, weil sie international und tolerant ist. Es ist eine Szene, wo jeder sein kann, wie er will. Sie ist sehr friedlich. Man kann sich ausleben. Ohne dass man das Gefühl haben muss, man wird komisch angeguckt. Das ist für mich das, was die Szene bis heute ausmacht. Die Vielfalt, die die Szene hat, finde ich in allen Bereichen. Musik ist das Rückgrat. Die Liebe zu einer bestimmten Art von Musik. Am Ende eint uns alle die Musik. Die Liebe zu der Musik und zum Anderssein.
Kennt ihr das? Wenn normale Leute bei euch im Auto sitzen und sagen, mach das aus, sonst kriege ich einen Anfall. Auf normale Menschen wirkt die Musik irgendwie dissonant.
Suzy: Das ist komisch. Man hat das Gefühl, man hört gar nicht so schlimme Musik. Wenn du den Leuten versuchst zu erklären, was du für Musik hörst, haben sie von den Genres noch nie gehört. Du versuchst es Hintenrum über Depeche Mode und The Cure. An der Stelle hört es aber auf. Und dann kriegen die überhaupt keinen Zugang dazu, wo du denkst, so schlimm ist das doch gar nicht. Manche Sachen könnten Mainstream sein. Interessanterweise nehmen die Normalen, wenn man das so nennen darf, die Musik trotzdem nicht auf.
Gab es bezüglich eurer Szenezugehörigkeit Konflikte in der Familie?
Suzy: Die Klassiker. Meine schwarzen Klamotten habe ich immer viel getragen, auch bevor ich mich offiziell zur Grufti- Szene gezählt habe. Als meine Mutter das mitbekommen hat und Freunde von mir gesehen hat, die in die Richtung angezogen waren, hast du mit den ganzen Klischees zu tun gehabt. Dass man plötzlich Satanist ist, Drogen nimmt, in der Nacht auf Friedhöfen rumhängt oder im Sarg schlafen will. Richtige Konflikte gab es nicht, keine ernsthaften Konflikte. Die Eltern haben sich irgendwann dran gewöhnt und haben gesehen, dass man nicht, wie sie es befürchtet hatten, in irgendwelche komischen Ecken abdriftet.
Andreas: Nicht wirklich, ich war nicht extrem vom Outfit her. Meine Mutter war sehr bedacht darum, dass ich eine ordentliche Frisur habe. Eine Freundin, die war Friseurin und hat mir eines Tages schön die Haare auf zwei, drei Millimeter runter gemacht. Ich hatte ein bisschen längeres Haar, das war alles ordentlich. Meine Mutter ist morgens in mein Zimmer reingekommen und hat in dem Moment gesehen, dass ich die Haare abhabe. Da gab’s fünf Minuten, wo es ein bisschen hakelig war. Ich fand es megageil. Ich habe mich ausgelebt. Es sah cool aus mit schwarzen, gelackten Haaren oder irgendwelchen coolen Klamotten. Typisch klassisch Gothic war das für mich nicht. Das klingt vielleicht blöd, aber ich fand, es war eher Avantgarde. Das Foto in Berlin ist ein gutes Beispiel.
Wie würdet ihr die Entwicklung der Szene von eurem Einstieg bis heute beschreiben?
Andreas: Mit dem Synthpop von Duran Duran über Blancmange, Ultravox und Gary Numan hat das angefangen. Hat sich weiterentwickelt über The Cure, Sisters of Mercy, The Mission, mehr in die elektronische Richtung mit Skinny Puppy, mit dem Vancouver Bands. Über die EBM-Schiene aus Belgien hat sich alles weiterentwickelt. Später kamen die Neue Deutsche Todeskunst oder der Future Pop. Nach dem Future Pop kam nicht groß was ganz Neues, sondern es hat sich eher ein wenig zurückbesinnt. Wir haben das Gefühl, dass die Genres, die früher strikt getrennt waren, mittlerweile ineinander überlaufen. Du hast Italo-Elemente im Techno oder Dark Wave oder Cold Wave geht in Industrial-Techno über. Diese Verschmelzung der Genres ist das, was im Moment stattfindet. Wo du sagst, das ist Post Punk, aber es ist ziemlich tanzbar. Diese Gothic-The Cure-Anfangszeit, das kannst du nicht in die Neuzeit tragen. Das muss heute anders aufbereitet werden, dass die Leute, auch Jüngere, einen Zugang dazu bekommen.
Suzy: Die Genres verschmelzen mehr. Das siehst du in der Szene selbst, in den Menschen. Wir altern gemeinsam, wir haben wenig Nachwuchs, den klassischen Grufti-Nachwuchs. Es kommen Jüngere dazu, aber die sind nicht mehr der klassische Grufti. Die werden bunter von den Klamotten. Nennen wir es Hipster. Die finden ihren Zugang zu dieser Musik. Die machen die Szene jünger, aber auch bunter, weniger schwarz.

Andreas: Man sieht heutzutage viel mehr Tennissocken oder Turnschuhe. Die fühlen diese Musik, aber die passen sich nicht an dieses Alte an, dass du komplett schwarz gekleidet bist und Doc Martens trägst. Das haben die auch, aber die haben einen eigenen Stil. Die haben längere Mäntel oder weiße T-Shirts an, wo du sagst, okay, kann man machen. Du brauchst die Leute. Wenn wir jetzt nicht die Szene öffnen, auch für andere, oder Leute ausgrenzen, die anders aussehen, wird das irgendwann ein Ende finden. Die Szene und die Leute müssen offen aufeinander zugehen und nicht, weil jemand wie eine Art Hipster angezogen ist, dass er ausgegrenzt wird. Es geht nur zusammen. Um der Musik willen. Dass wir in Zukunft noch weiter gute Konzerte und Musik haben. Neue Musik. Sonst gehen wir auf Gothic-Oldiepartys.
Suzy: Es haben sich viele Genres entwickelt. Heute weißt du gar nicht mehr, wie du das alles nennen sollst. Früher war das alles Dark Wave, da gab es noch EBM und das war’s. Es gab viele Verzweigungen, in die neue musikalische Elemente reinkamen, die einen Namen bekommen haben, wie Future Pop. Weg von dem klassischen Düster-Gothic-Sound hin zu fröhlicherem Tanzbarem. Die Musik entwickelt sich weiter. Irgendwer bringt was Neues rein oder es entwickelt sich was und wo die Leute drauf anspringen. Und das hört nie auf. Bis heute nicht.
Andreas: Auch wenn das eher wieder das Aufgreifen von alten Sachen ist. Aber es geht trotzdem weiter. Diesem ganzen Modernen, was heute ist, wurde in dem Moment die Tür geöffnet, wo Lebanon Hanover auf die Bühne getreten sind. Die haben was bewegt in der Szene. Das ist eine ganz wichtige Band. Die haben diese alten Wavezeiten in die Neuzeit transportiert. Die waren auf einmal da. Und viele Bands orientieren sich an ihnen. Ob direkt oder indirekt – und sie haben bis heute Erfolg damit.
Wie habt Ihr Euch kennengelernt?
Andreas: Wir sind ein klassisches Wave-Gotik-Treffen-Pärchen. Wir haben uns dort kennengelernt.
Suzy: 2015, vor zehn Jahren, haben wir uns kennengelernt. Auf dem WGT, im Stadtbad, an der Theke. Ganz klassisch.
Andreas: Das ist eine meiner Lieblingsgeschichten. Ich wusste in dem Moment, da passiert was. Den Moment wünsche ich jedem. Ich habe direkt gemerkt, hier passiert was. Das ist außergewöhnlich. Da war ein Flow von Anfang an. Nach einer Stunde war klar: Wir sind fest zusammen.
War das Suzy ebenfalls klar?
Suzy: Eigentlich war es mir klar. Ich war zwei Jahre Single und ruhte in mir selbst. Ich war Mitte 30 und war gar nicht aus auf Beziehung. Ich war mit meinen Freunden da und wir hatten einen schönen Abend. Haben einen Aperol nach dem anderen getrunken, wie das so ist auf dem WGT. Und auf einmal stand er da an der Theke. Meine Freundin hat gesagt, da steht einer an der Theke, der guckt die ganze Zeit. Dann bin ich zur Theke. Und dann war der einzige Platz, der noch frei war, neben ihm. Und dann stand ich da.
Andreas: Ich war allein dort. Ich wollte das Wave-Gotik-Treffen einmal komplett erleben. Es war mein erstes, an dem ich komplett vier Tage da war. Die Anfangstage waren schwierig für mich. Ich habe gedacht, was mache ich hier? Und da habe ich gesagt okay, an dem Abend gehe ich ins Stadtbad, weil das Line-up gut ist. Und siehe da: Volltreffer! Wenn ich Suzy nicht kennengelernt hätte, wäre ich am Sonntag heimgefahren. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht in der Stimmung. Ich war irgendwie – keine Ahnung. Mein Leben war noch nicht so schön, wie ich mir das vorgestellt habe. Durch Suzy wurde das schlagartig anders.
Suzy: Das ging relativ flott. Wir haben uns kennengelernt und haben die ganze Nacht zusammen verbracht. Vorm Stadtbad. Morgens bis um fünf auf der Treppe gesessen. Und danach erstmal eine Fernbeziehung geführt zwischen Köln und Frankfurt. Nach anderthalb Jahren haben wir gesagt: Was machen wir? Entweder Kölle oder Hessen. Dann bin ich nach Hessen runtergezogen. Nach zwei Jahren haben wir geheiratet. Und ja, das ist ein Perfect Match. Das wünsche ich jedem, dass er sein Perfect Match findet.
Und die Musik verbindet euch?
Suzy: Das ist alles für uns. Allein, wie Andreas spricht, hörst du raus, dass es das ist. Das fließt bei ihm aus jeder Pore. Music is live. Ich kenne niemanden, auf den das mehr zutrifft als auf ihn.
Andreas: Und es ist schön, dass wir beide nicht nur Musik lieben, sondern dass wir die Musik gleich empfinden. Wir finden sehr, sehr viele Sachen genauso toll, wie wir andere Sachen nicht toll finden.
Suzy: Das ist doch irre, oder? Du legst irgendein Album auf, dann findest du einen Song. Den findest du so schön, dass dir direkt die Tränen kommen, weil er dich innerlich berührt. Musik fließt uns durch die Adern. Ich kann es mir nicht anders vorstellen.
Andreas: Und besonders schön ist es, wenn es von einer unseren Bands ist. Wenn man die neuesten Songs als Allererster anhören darf. Das ist Wahnsinn.
Die Gründung des Labels war letztendlich unausweichlich?
Suzy: Label Gründung, wenn man das so nennen darf, war im März 2018. Bereits 2017 ging es langsam los. Andreas hat irgendwann Mixcloud entdeckt und gesagt, er hat viel Musik und da kann man DJ-Mixe machen – und das macht er mal. Er war immer auf neue Musik fokussiert. Er hat den ersten Mix gemacht und gedacht, das will bestimmt keiner hören, wenn das nur neue Musik ist. Ich sagte, wenn du nur neue Sachen machen willst, mach nur neue Sachen. Wenn die Leute deine Leidenschaft spüren, hören die sich das an. Und so war es.
Der nächste Step war, dass wir eine digitale Compilation machen wollten – auf Bandcamp. Andreas war mit sehr vielen Bands aus der Szene in Kontakt. Durch Social Media und Mixcloud. Die haben wir gefragt, ob sie nicht Lust haben, dort mitzumachen.
Andreas hat dann irgendwann den Namen rausgehauen. Cold Transmission, das war der Versuch einer Verbindung zwischen Alt und Neu. Eine Verbindung aus Cold Wave und Transmission von Joy Division.
Wir waren beide erkältet und haben abends auf der Couch gelegen. Andreas war am Mixclouden, da habe ich gesagt, ich mach ne Facebookseite. Für die Compilations. Und die Mixe. Ich habe die Facebookseite aufgesetzt und habe mein erstes Posting gemacht: Hallo, wir sind Cold Transmission und wir haben noch einiges vor. Wir haben schnell ein paar hundert Likes gehabt und du denkst, wo kommen die denn her? Über die Compilations wuchs das weiter. Wir haben insgesamt 15 digitale Compilations gemacht. Zeitgeist haben wir sie genannt. Dort waren viele neue Bands mit ihren neuen Songs vertreten.
Irgendwann kam der Zeitpunkt, dass uns irgendwer gefragt hat, wieso seid ihr kein Label? Haben wir gefragt: Label? Was macht denn ein Label heutzutage? Es war nicht so, dass wir uns hingesetzt und gesagt haben, wir gründen ein Label. Das hat sich ungeplant entwickelt. Wenn man damals gewusst hätte, was auf einen zukommen wird. Das ist manchmal…holla. Es ist deutlich mehr als ein Hobby. Es ist zum Beruf geworden. Wir sind zu zweit und haben Unterstützung von unserer Grafikdesignerin und Freundin Yvonne. Wir machen alles in Personalunion. Vertrieb, Poststelle, Versand, Presse-Mailing. Wir haben einen DJ-Newsletter, den wir bespielen. Wir pflegen die Social-Media-Kanäle, die Website und den Webshop selbst. Wir erstellen den Content, den wir posten, überwiegend selbst. Wir machen sehr viel. Natürlich machen auch unsere Bands sehr viel. Am besten funktioniert das Hand in Hand. Es ist auch der Anspruch an dich selbst. Du bist nicht allein. Du hast Bands, die dir vertrauen, die einen Vertrag unterschreiben. Du hast eine Verantwortung, du teilst Einnahmen. Du willst alles möglichst professionell machen oder so professionell, wie es geht.
Andreas: Die Vorgaben vom Staat sind in Richtung Professionalität. Du musst dich mit Steuern auskennen. Du musst wissen, wie funktioniert das mit der CD-Produktion? Was muss ich über Vinylproduktion wissen? Du hast mit der GEMA zu tun, mit Verpackungssteuer, mit der Künstlersozialkasse etc.
Suzy: Wenn du bewusst ein Label oder eine Firma gründest, setzt du dich damit vorher auseinander. Wenn du reinwächst, kommt nach und nach mehr auf dich zu und man setzt sich währenddessen damit auseinander. Du machst dich schlau im Internet, redest mit Leuten, etc. Du fragst dich, wofür braucht eine Band noch ein Label – gerade im kleinen Indiebereich? Du kannst heutzutage als Band alles selbst machen, wenn du das willst. Es gibt Bands, die können das und machen das super.
Viele Bands, die brauchen oder wollen jemanden an ihrer Seite haben, der ihnen hilft. Die sagen, ich habe einen Job, ich mache Musik, ich muss kreativ sein, ich will live spielen. Ich muss proben. Ich kann mich nicht um Social Media kümmern, mich mit Presswerken auseinanderzusetzen, Gigs organisieren oder versuchen, mich zu promoten. Da haben wir gesagt, okay, als Label produzieren CDs, Vinyl, Kassetten und T-Shirts für unsere Bands. Aber in allererster Linie bist du ein Partner für deine Bands. Wir helfen dir bei der Promotion. Wir haben ein Netzwerk aufgebaut, was wir dafür nutzen. Wir sind Sparringspartner für dich. Wenn du diskutieren, wenn du was besprechen willst, über Musik diskutieren willst oder versuchen möchtest, dich weiterzuentwickeln.
Wir sind an deiner Seite und das 24/7. Idealerweise erwächst daraus eine Freundschaft, was bei vielen Bands auch passiert ist. Gerade mit Bands, mit denen wir angefangen haben, da waren wir noch gar nicht so weit. Da haben wir selbst noch überlegt, wie das alles funktioniert. Und du bist mit den Bands gemeinsam über die Jahre gewachsen. Es ist professioneller geworden. Die Releases sind professioneller geworden. Die Bands sind mehr geworden.
Andreas: Wobei welche gekommen und wieder gegangen sind. Das ist der Lauf der Zeit. Manchmal wachsen Bands schneller als wir und sind sehr ambitioniert. Und die gehen dann. Weil wir nicht Schritt halten können, weil wir das Label auch nicht als Full-time Job machen. Und das ist auch in Ordnung. Uns ist es wichtig, fair miteinander umzugehen und nicht Bands wegen Verträgen, die wir haben, unnötig zu binden. Wir wollen lieber mit denen arbeiten, die gern bleiben.
Wie viele Bands habt ihr aktuell unter Vertrag?
Suzy: Ungefähr 40. Wobei die nicht alle gleichzeitig aktiv sind. Sonst würde das nicht funktionieren. Ich weiß jetzt schon nicht, wie wir das machen. Du machst das alles nebenher. Morgens, in der Mittagspause, abends. Den ganzen Tag hast Du es im Kopf. Du machst das am Wochenende. Manchmal sitzt du im Pyjama den ganzen Tag am Rechner mit der Kaffeetasse. Du stehst auf, schnappst dir deine Kaffeetasse und sagst, okay, warte, ich muss hier noch was machen. Du machst den Rechner an und es geht los. Du trinkst drei Kaffee. Zwischendurch denkst du: Frühstück? Und du merkst, oh, schon 17.00 Uhr?
Ihr scheint eine sehr enge Verbindung zu euren Bands zu haben. Könnt ihr eure Zusammenarbeit näher beschreiben?
Suzy: Wir wollen uns gemeinsam mit den Bands entwickeln und versuchen, sie weiterzubringen und bekannter zu machen. Wir fahren sehr viel auf Konzerte und Festivals, auch um Leute und Veranstalter kennenzulernen. Dass die sehen, wir sind nette Menschen, wir sind organisiert und arbeiten gut zusammen. Wenn du einmal ein Konzert gemeinsam gemacht hast und die waren happy, darfst du wieder kommen. Das Netzwerk muss wachsen, damit du deinen Bands dieses Netzwerk bieten kannst. Wir organisieren unsere eigenen Events, um unseren Bands eine Plattform zu bieten. Weil wir mittlerweile viele Veranstalter kennen, machst du oft noch das Booking. Und weil wir so viel Spaß an der Sache haben, managen wir noch die Tour. Das heißt, wir setzen die Band in unser eigenes Auto und fahren mit denen durch die Gegend.

Andreas: Im Sommer kommt SYZYGYX aus den USA rüber, sie ist fast Gründungsmitglied. Und mit ihr fahren wir rum. Fast zwei Wochen. Sie hat ein paar Auftritte in England, da sind wir nicht dabei. Hier in Zentraleuropa sind wir dabei.
Suzy: Wir haben auch Kalte Nacht dabei, die sind in der zweiten Woche mit auf Tour. Wir fahren mit zwei Autos von Gig zu Gig und das macht uns Spaß. Die persönliche Beziehung zwischen uns und den Bands ist uns wichtig. Passen wir zusammen, wollen wir das gleiche? Wir besuchen uns auch gegenseitig. Wenn sie hier sind, schlafen alle bei uns auf der Couch.
Wenn wir sagen CT Family, dann leben wir das. Du hast viele verschiedene Mentalitäten und Menschen. Jeder ist anders und jeder hat seine eigenen Bedürfnisse. Manche brauchen mehr Unterstützung, manche weniger. Wir freuen uns wie kleine Kinder, wenn wir nach ein paar Jahren ein geiles Album nach dem anderen machen und sehen, dass das wächst und dass immer mehr Leute unsere Bands kennen oder dass die auf größeren Veranstaltungen spielen. Das ist für uns echt das Allergrößte und deshalb macht es uns nichts aus, wenn wir beim WGT den ganzen Abend am Merchstand stehen. Wir sagen, ihr spielt, ihr genießt, ihr saugt die Atmosphäre auf, macht Fanarbeit. Die Leute wollen mit euch Fotos machen, die wollen eine Unterschrift haben. Wir kümmern uns um den Merch. Und das macht uns unheimlich Spaß. Da gehen wir beide völlig drin auf.
Das ist die pure Leidenschaft, die wir zum Glück teilen. Das ist eine Gratwanderung. Neben unseren Hauptjobs läuft das Label 24/7. Das ist unser Baby. Und das läuft. Das steht nicht still. Du musst dranbleiben und weitermachen. Es gibt viel rauszufinden. Jeden Tag musst du neue Features entdecken. Du versuchst, das Beste rauszuholen. Du hast ein Privatleben. Du bist ein Ehepaar. Du hast Freunde – die musst du unter einen Hut kriegen. Familie, die wollen wir irgendwann sehen. Das ist nicht leicht. Wir versuchen uns mittlerweile zu sagen, Sonntag machen wir nix. Nur für uns, für Freunde, für Familie, für uns zwei. Manchmal nicht einfach. Das Handy steht nicht still. Du denkst, oh Gott, der Facebook Algorithmus. Der sagt, ich muss was posten. Egal wo wir sind, wir haben eine Idee im Kopf. Da müssen wir drüber reden. Nein, heute ist Sonntag. Wir reden heute nicht. Nein, morgen früh wieder. Nein, nein. Das muss sofort raus. Und nun?
Andreas: Leidenschaft ist bei uns ein großes Thema. Wir behandeln die Bands respektvoll und wollen respektvoll behandelt werden. Das ist ein wichtiges und hohes Gut. Du musst das auf Augenhöhe betreiben. Wir fühlen uns nicht nur als Presswerk und nimm mal und mach mal, sondern wir wollen diesen Austausch. Manchmal sind wir sogar für eine Weile Teil des Projekts, dass wir gemeinsam besprechen, das könnte so oder so gemacht werden.
Suzy: Manche Bands sind in ihrem kreativen Prozess gefangen, die sagen, ich muss darüber sprechen, hört euch das mal an. Sagt eure Meinung dazu. Manchmal haben wir stundenlange Zoom-Sitzungen und währenddessen zwei Flaschen Wein geleert. Eine auf deren Seite und eine bei uns. Dann redest du vier Stunden. Hast du das gehört? Da könnte man noch ein bisschen. Probier das doch aus. Manchmal entwickelt man sich gemeinsam, ein Album und am Ende kommt was Geiles raus. Das macht sehr viel Spaß. Das macht man nicht mit allen, aber mit einigen. Wir haben grade das neue Album von SYZYGYX bekommen. Das ist ein Brecher. Was sind wir happy. Die Leute werden das lieben. Wir lieben das. Oder die Kalte Nacht. Das ist eine tolle Band, eine Wahnsinnssängerin. Es ist die pure Freude, die auf der Bühne zu sehen. Das Feedback von den Leuten zu bekommen. Wenn sie sagen das war cool und dann bist du glücklich. Man lebt sich im Label aus. Du hast mit Musik zu tun. Du hast mit tollen Leuten zu tun. Wir machen viele Veranstaltungen selbst. Ich wollte ins Eventmanagement gehen. Früher im Studium habe ich viel auf Events gearbeitet und mitorganisiert. Heute kann ich mich da voll ausleben.

Event ist ein gutes Stichwort. Euer Haupt-Event ist die jährliche Label Night im Rind in Rüsselsheim?
Andreas: Wenn jemand musikinteressiert ist oder begeistert, der kann für das Geld nichts verkehrt machen. Einen schönen Abend in einem tollen Club. Wir sind total happy dort. Nach der Pandemie mussten die Clubs zusehen, dass sie mehr Geld oder sicheres Geld verdienen und deshalb buchen sie oft die sichere Nummer. Du brauchst Leute, die an deine Vision glauben und dich unterstützen. Und wir haben im Rind jemanden gefunden, der das sehr zu schätzen weiß und uns ein gutes Gefühl gibt. Wir haben in diesem Jahr vier Bands auf der Bühne stehen.
Suzy: Die Leute kaufen deutlich später Karten für Events. Ich weiß noch das erste Festival nach der Pandemie in Köln. Wir haben tatsächlich zwei Tage mit sieben Bands gemach, die alle aus verschiedenen Ländern anreisen mussten. Und der Vorverkauf hing und Du denkst oh Gott, oh Gott. In den letzten vier Wochen vor dem Event haben die Leute Karten gekauft. Am Ende hatten wir eine rote Null. Du musst heute deutlich mehr schwitzen, wenn du Veranstaltungen organisierst, gerade mit etwas kleineren Bands.
Und du willst sagen: Hey, wenn wir da was hinstellen, wird das geil. Es ist für alle was dabei. Wir versuchen zu mischen, so dass wir was Elektronisches, was mit Gitarre haben. Wir versuchen diese Community zu bauen. Die Bands sind alle cool und verstecken sich nicht im Backstage-Bereich. Wir haben einen schönen Abend zusammen. Das ist ein unheimlich cooles Gefühl, wenn du eine Veranstaltung hattest, und am Ende kommen alle und sagen, das war super, das war ein tolles Feeling. Wir sind danach drei Tage selig. Und wenn wir am Ende mit den Kosten auf null sind, ist das auch gut. Das ist die ganze Mühe wert. Ich könnte stundenlang darüber erzählen, weil mich das glücklich macht. Das Feedback, das wir von der Szene oder von den Leuten bekommen. Das ist für uns echt das Größte. Und das ist das, was uns antreibt, weiterzumachen.
Wir müssen langsam zum Ende kommen. Habt ihr noch irgendwas, was ihr den Lesern mitteilen möchtet?
Suzy: Siehst du? Ich hab’s dir gesagt. Wenn wir einmal anfangen, hören wir nie wieder auf.
Andreas: Wir sind unheimlich dankbar, dass unsere Bands Anklang gefunden haben in der Szene und dass sehr viel Unterstützung da ist. Das ist wichtig.
Suzy: Und geht mehr auf Konzerte.
Andreas: Kauft einen Tick früher eure Tickets.
Suzy: Unterstützt die Szene. Unterstützt die neuen Bands. Die kleinen Bands. Damit die Szene weiterhin schön und vielfältig bleibt.
Links:
- Cold Transmission (Homepage)
- Soziale Netzwerke: Cold Transmission sind bei Facebook und Instagram
- Musikalisch findet ihr sie auch bei Bandcamp, Mixcloud und Spotify
1998 in die Szene eingestiegen. Die folgenden Jahre habe ich intensiv Veranstaltungen und Konzerte besucht. Von 2009 bis 2013 beschränkte ich mich dann auf Musik, bevor ich dann wieder aktiver wurde. 2017 habe ich eine Familie gegründet - keine Musik, keine Veranstaltungen, keine Konzerte, keine Festivals, keine eigenen Gedanken. Jetzt kehre ich endlich wieder zurück vor die Bühne.
Tolles und interessantes Interview! Danke dafür!
Ich finde es krass, was die beiden neben ihren Jobs noch alles an Arbeit für das Label erledigen. Da muss man echt den Hut ziehen. Vorallem weil da auch sehr viel Freizeit drauf geht.
Und was über den Nachwuchs geschildert wird, ist genau das, was ich beim diesjährigen Nikita Curtis Konzert wahrgenommen habe. Die Kids sehen nicht mehr aus wie die typischen Waver und Gruftis. Die haben ihren eigenen Stil. Und wer weiß ob die das mit der Schwarzen Szene überhaupt so sehen wie wir alten Hasen (was nicht negativ gemeint ist). Ich kann mich an ein Interview von Left For Plasure erinnern, wo die beiden sinngemäß meinten, mit der Schwarzen Szene eigentlich gar nicht verbunden zu sein. Und ich denke da wird es zukünftig auch mehr hinlaufen. Die jungen Leute konsumieren wie wir die selbe Musik. Aber ich glaube die sind viel weniger auf Labels und Etiketten aus als wir. Und eigentlich ist das gar nicht Mal schlimm. Machen ihr Ding. Und alleine das ist schon wieder so typisch Schwarz…so wie wir Schwarzen es auch tun, dass die eigentlich schon wieder voll zu uns Schwarzkitteln passen. Ich habe das Gefühl, dass die Musik- und Szenelandschaft in einem Umbruch steckt. Und ich denke das sollte man begrüßen…oder zumindest sich damit arangieren und klar kommen. Die Zeiten haben sich ganz offensichtlich geändert bzw. sind gerade dabei sich zu ändern.
Und was ich noch los werden muss, die Story der beiden, wie sie sich gefunden haben, ist einfach Zucker ????. Ja sowas wünscht man sich definitiv auch. Schon beneidenswert. So unkompliziert und einfach ist es heut zu Tage selten. Da freut man sich inzwischen schon über kleinere Dinge und gibt sich damit zufrieden, solang es halbwegs passt.
Vielen lieben Dank :-)
Ach ja, habe nichts anderes als das erwartet: ein tolles Interview mit 2 Herzmenschen. Und an den Abend wo ihr euch kennen gelernt habt denke ich gern zurück. Wie an so viele schöne gemeinsame Erlebnisse. Ich bin total stolz auf euch das ihr das weiterhin mit so viel Leidenschaft und Liebe rockt! Und ihr bekommt es genau deshalb auch zurück!????
Danke Du Süße :-*
Ein sehr interessantes Interview, mal was anderes, so ein Blick hinter die Kulissen eines Labels und der damit verbundenen Arbeit. Sehr sympathisch die beiden! Da merkt man eine große Verbundenheit untereinander, als Paar als auch mit den Bands, die sie kennen und betreuen. Krass, dass sie es schaffen, das alles neben der Arbeit zu wuppen… Da braucht es wirklich Enthusiasmus.
Dankeschön :-)