Formel Goth: Videos von Rosi, Nao Katafuchi, Rue Oberkampf, The Tissues und Kent

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Rosi – Zustand

Wenn eins auf das folgende Video nicht passt, ist es das Sprichwort „Nomen est Omen“. Denn weder der Bandname ROSI noch der Titel „Zustand“ lassen auf das erste Ohr Rückschlüsse auf den Inhalt zu. Ich habe jedenfalls etwas völlig anders erwartet, hatte den Finger schon über dem X des Browserfensters platziert und war bereit, den Song ins Datennirvana zu schicken. Goth sei Dank habe ich zugehört und angeschaut:

Nao Katafuchi – Inishie

Der sympathische Nao Katafuchi, den ich am Rande eines Festivals in Oberhausen kennengelernt habe, hat ein sehr stimmungsvolles Video zu seinem Stück „Inishie“ gedreht. Das ist japanisch und bedeutet soviel wie „Antike“ und genau darum geht es auch in dem Stück. „there’s no way to go back there (the past) even if you grant your wish.“ Das Flüstern im Hintergrund kommt übrigens von Joanna Badtrip von Selofan:

Rue Oberkampf – Es Versucht

Bei Young&Cold ist jüngst das neue Werk von Rue Oberkampf erschienen. „Christophe Philippe“ heißt das Erstlings-Werk der Münchener Band. Benannt nach Christophe Philippe Oberkampf, einem französischen Tuchfabrikant deutscher Abstammung. Der war so bekannt, dass man in Paris eine Straße nach ihm benannte: Die Rue Oberkampf.

The Tissues – Rear Window

Ich frage mich immer, ob manche Bands den eigenen Beschreibungen gerecht werden können: „Der Stil der Band schlägt eine Brücke zwischen Genres, von einer dunklen und hypnotischen Mischung aus Siouxsie und den Banshees bis zu einer gebieterischen und hymnischen Energie, die an Crass und X-Ray Spex erinnert. Die DIY-Ästhetik von Tissues durchdringt das kommende Album mit Themen wie Rebellion, Sexualität und der Verurteilung moderner Unterdrückung.“ Viel Glück für „The Tissues“ wünscht Spontis.

Kent – Då som nu för alltid

Eine Band, die ich weder auf dem Schirm noch in der Playliste hatte und die streng genommen auch irgendwie nicht passt. Und trotzdem beeindruckt mich das Video zu ihrem Stück „Då som nu för alltid“ (Damals wie heute für immer) so sehr, dass ich einfach auch mit Euch, liebe Leser, teilen muss. Möglicherweise, weil der Titel des gleichnamigen Albums Bezug auf die Sisters of Mercy nimmt, die 1985 „First And Last And Always“ herausbrachten.

 

Grufti-TV: Der Grufti – Archetyp des Heimwerker-Gothic mit Werkbank, Sarg und Leichenwagen

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In unserer ersten Folge der Reihe „Grufti-TV“ haben wir uns den Kanal vom Youtuber „Der Grufti“ näher angesehen. Stolze 417 Abonnenten kann Radde – so nennen ihn seine Freunde – aus der Nähe von Dinkelsbühl vorweisen. In seinen Videos beschäftigt er sich mit allem, was ihm in den Sinn kommt: Heimwerken, Särge, Gothic-Möbel, Lost Places und seinem Leichenwagen. Durch seine lockere und authentische Art bringt er Dinge zusammen, die in dieser Kombination wohl selten zu finden sind und sich im Einheitsbrei der Gothic-Kanäle, der aus einer klebrigen Masse Schminktutorials und Shopping-Exzessen besteht, deutlich abheben. Wir haben Radde ein paar Fragen gestellt und natürlich auch einige Bilder und Videos für Euch ausgesucht.

 

Deine Videos haben mich zunächst mal neugierig gemacht, wer überhaupt hinter „Der Grufti“ steckt. Wer ist also der Grufti?

Ich bin der Grufti, Radde oder auch Lex. Bin mit der Zeit 30 geworden. Ich komme aus der Nähe von Dinkelsbühl (den meisten bekannt durch das „Summerbreeze“ Festival). Wenn ich nicht gerade an meinen Videos arbeite, lebe ich meine Kreativität in meiner Wohnung aus, gehe zur Lohnarbeit und treffe oft und gerne meine Freunde.

Ursprünglich komme ich aus dem Sauerland. Der Südwind stand günstig aber unterwegs ist der Rum ausgegangen. Oder anders ausgedrückt: meine Eltern sind Richtung Süden gezogen und ich musste mit.

Freunde, Heimwerken und Summerbreeze – wie bist du da in die Szene gerutscht?

In die Szene habe ich mich eher unbewusst in meiner frühen Kindheit entwickelt, als ich ein Interview von Marilyn Manson in der Bravo gelesen habe.

Meine Mutter empfahl mir Essiggurken mit Sahne zu essen, um so eine Stimme zu bekommen wie er. Daraufhin habe ich meine musikalische Karriere komplett verworfen, aber etwas war offensichtlich geweckt. Jahre später hat mich ein guter Freund in die Szene eingeführt.Der Grufti als Grufti

 

Das klingt nachvollziehbar. Warum hast du eigentlich angefangen, Videos zu machen?

Ich habe keine deutschsprachigen Videos gefunden, die einem etwas erklären, oder inspirierend auf einen wirken. Niemand renoviert einen Sarg, restauriert einen Leichenwagen oder zeigt, dass es möglich ist seine ganze Wohnung schwarz zu streichen. Während ich das dann so auf eigene Faust versucht habe, dachte ich mir, das ist ja meine Schuld das es keiner macht. Dann habe ich mir eine Kamera besorgt. Zwei Jahre später habe ich dann auch den Mut gehabt mich vor die Kamera zu stellen und schon ging es los.

Wer bei dir auf der Suche nach Shopping-Touren, Schminktipps, Musikempfehlungen oder Konzertberichte ist, liegt falsch. Du wirkst so ein bisschen wie der Tim Taylor der Gruftis oder der Archetyp eines Gothic-Heimwerkers und präsentierst Dinge, die du baust und restaurierst. Warum hast du dich für diese Art von Videos entschieden?

Ich kann nichts anderes :). Nein, ernsthaft, es gibt einfach so viele die das tun und mich da als ewig Letzter zu präsentieren liegt mir nicht. Selber machen war schon immer meine Berufung.

Du versuchst dich als Influencer, wie man heutzutage sagt. Wer influenct eigentlich dich? Und überhaupt, willst du überhaupt so ein Influencer werden?

Ich verstehe die Frage nicht, seit mein Kind im Kindergarten ist haben wir öfters die Grippe im Haus, wollen tue ich das eigentlich nicht. :) Google sagt: Influencen heißt beeinflussen. Inspiration hole ich mir aus allem. Filme, Kunst, oder auch Worte.

Natürlich finde ich es schön, wenn meine Videos geschaut werden, ich neue Leute kennenlerne und dadurch neue Ideen bekomme. Ich will nicht eingebildet klingen … aber is schwierig :)

Technik Check: Womit nimmst du deine Videos auf und womit schneidest du sie?

Angefangen hat das ganze mit einer billigen GoPro. Inzwischen habe ich einen auf Amazon mit Bestseller beworbenen 4K Camcorder, der Dank meiner Community echt gewachsen ist. Geschnitten habe ich anfangs mit dem Movie Maker, bis ich das Mistviech von Magics Studio Deluxe bekommen habe.

Was möchtest du mit Deinem Kanal erreichen? Ruhm und Reichtum? Die Menschen unterhalten? Oder Basteltipps an den Grufti bringen?

Ruhm und Reichtum klingt jetzt sehr verlockend, das mit den Basteltipps war aber eher der plan als ich den Kanal eröffnet habe. Letztlich denke ich, unterhalte ich eher. Aber diese Frage können nur meine Zuschauer abschließend beantworten.

Ich fand die Idee, andere Menschen in deine Videos zu integrieren, so wie bei dem Sarg Video, sehr gelungen. Hast du vor, das weiter auszubauen?

Meistens möchten die Leute nicht mit mir gesehen werden. Jürgen bin ich ganz nebenbei erwähnt auch noch eine Flasche Whiskey schuldig! Es ist tatsächlich so das sich da noch einiges ergeben könnte. Spätestens zu Airbrush und Pinstribe Projekten darf ich den Künstler Mistviech in meine Videos einladen. Auch sind weiter einige gemeinsame Projekte in Planung. Lasst Euch überraschen.

Was möchtest du 2020 machen? Was hast du dir vorgenommen, was erwartet deine Zuschauer?

Ich werde definitiv am Ball bleiben, habe mir aber tatsächlich nichts Direktes vorgenommen. Ich bin aber seit längerem schon mit der Familie auf der Suche nach einem Haus. Vielleicht klappt es ja im Laufe des Jahres und dann steht eine Reihe von Videos zum Thema „Wie Baue ich ein Hexenhaus“ an. Ansonsten lasse ich mich durchs Jahr treiben und hoffe darauf viele interessante Projekte umsetzen zu können

Welche 3 Youtuber sollten sich unsere Leser noch anschauen?

Platz 1: Eulenforst – Einfach Geschichten erzählen!
Platz 2: Gothic Home making von Aurelio Voltair
Platz 3: Dann wäre da noch Miss E. Zumindest die Room Tour sollte man gesehen haben

Der Grufti in Gefahr

Grufti-TV, was ist das eigentlich?

Es ist schon Ewigkeiten her, dass ich zum letzten Mal Fernsehen geschaut habe. Möglicherweise geht es einigen von Euch auch so. Den unter 25-jährigen geht es definitiv so, denn von denen guckt niemand mehr in die Glotze. Youtube und Twitch sorgen für die Unterhaltung vieler Gruftis. Und das Beste daran ist: Jeder kann zur Unterhaltung beitragen. Die Kamera eines Handys oder eine einfache Videokamera für kleines Geld reichen vollkommen dafür aus. Wenn dann noch ein bisschen Affinität zum Computer und zum Internet da ist, steht dem eigenen Kanal nichts mehr im Weg. Abgesehen vom Mut, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Das Doofe daran ist: Jeder kann zur Unterhaltung beitragen. Deshalb gibt es tausende von Leuten, die anderen Leute unterhalten, informieren, inspirieren oder helfen wollen. Egal wie abseitig das Interesse ist, irgendwo gibt es jemanden, der darüber Videos macht.

Grufti-TV will dabei helfen, noch völlig unbekannte Gruftis aus der Dunkelheit des Überangebotes herauszuholen, um sie Euch vorzustellen. Wenn ihr also einen Kanal habt, der unbedingt mal ein bisschen Aufmerksamkeit braucht, scheut Euch nicht davor, uns zu schreiben. Und wenn ihr, liebe Leser, ein bisschen Abwechslung beim täglichen Youtube-Streifzug sucht, schaltet auch beim nächsten mal wieder rein, wenn es „Grufti-TV“ heißt!

Gruft-Orakel Januar 2020: Der Sukkubus im Wechselbad der Gefühle

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Auch im neuen Jahr sitzt die Kröte noch am Brunnen des Frankfurter Hauptfriedhofs und orakelt den ganzen Tag herum. Diesmal im Fokus, der Sukkubus, der lüsternde Dämon, der im Augenblick Stimmungswechsel seines Umfelds besonders empfindlich wahrnimmt. Und das nur, weil er als lüsternder Dämon immer in Kontakt mit anderen Menschen kommen muss. Auf die spannende Idee, die ein Freund dem armen Wesen präsentiert, bin ich gespannt, schließlich sorgt die offenbar für eine Form der Erlösung. Ob Alana Abendroth dieser ominöse Freund ist?

Gruft-Orakel Januar 2020

Tilly Electronics und die Legende vom Kölner Fahrstuhlboy

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Irgendwo in einem unschuldigen Kölner Fahrstuhl. Angelika M. (53) fährt mit ihren Habseligkeiten ins Erdgeschoss eines sonst so anonymen Hochhauses und bemerkt den schwarz gekleideten jungen Mann in der Ecke, der sie mit seiner blonden Vokuhila und dem Karussell-Bremser Bart mächtig Eindruck auf sie macht. Ein kurzer Smalltalk, ein kleiner Flirt, verlegene Blicke. Viel zu schnell endet die Fahrt. Noch schnell ein freundliches Lächeln, als sie den Fahrstuhl verlässt. Auf dem Weg nach Draußen ist sich Angelika M. unsicher, was da gerade passiert ist und warum der junge Mann so einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Angelika M. hatte keine Chance. Sie ist dem Fahrstuhlboy verfallen. Das ist der legendäre Kölner Rauf- und Runterfahrer, der schon seit den 80er Jahren hunderten Frauen zwischen dem Erdgeschoss und der 27. Etage das Herz gebrochen hat. Eine Legende der Stockwerke, ein tanzender Mythos auf 3qm metallischem Fahrstuhlboden, ein Casanova im flackernden Neonlicht des Personenaufzugs.

Jetzt haben sich Tilly Electronics, die semi-erotischen Minimalisten im Checker-Muster in ihrem aktuellen Song dieser Legende angenommen und in einem Video zahlreiche Opfer versammelt, die ihre unvergesslichen Begegnungen mit der Legende Revue passieren lassen.

Ein besonderer Gruß geht an die zahlreichen Protagonisten, die sicherlich mit ihrem Coming-Out nun einen wichtigen Schritt zur Selbsterkenntnis gegangen sind. Für sie ist klar: Dem Fahrstuhlboy ist kein Herz gewachsen.

Wer Tilly Electronics Live sehen möchte, hat dazu Gelegenheiten. Vermutlich ohne die Legende, denn dort ist nirgendwo ein Fahrstuhl.

 

Musikalischer Briefkasten #8: Musikalische Postwurfsendungen passen nicht zur klanglichen Erlesenheit

Ich habe mich genötigt gefühlt, euch dieses Mal etwas mehr Breite zu präsentieren und die musikalischen Grenzen der Schwarzen Szene auszureizen. Denn dort tummelt sich so manches Schätzelein, dass durchaus ins Gesamtbild passt. Doch, was scharwenzel ich hier noch rum. Zur Sache, liebe Leser, beginnen wir – ganz klassisch – mit Engeln.

Angels Of Liberty – Servant Of The Grail

Im Briefkasten #7 meinte ich sinngemäß, dass die Angels Of Liberty nicht mehr existieren würden, da der Sänger, Voe Saint-Clare, gestorben wäre. De Facto ist diese Information korrekt, jedoch hat Scarlet Powers, die weibliche Hintergrundstimme auf zahlreichen Songs, das seinerzeit in Vorbereitung befindliche und bereits eingesungene Album nun überraschenderweise veröffentlicht.

Servant Of The Grail steht, wie auch seine Vorgänger, ganz in Tradtion der dritten Welle des Gothic Rocks. Deutlich elektronisch, tanzbar und eingängig, dabei etwas pathetisch, zugleich pompös und doch text-sicher. Was will man mehr? Okay, Weiterentwicklung vielleicht. Aber ich will man nicht so kleinlich sein und empfehle euch das Album aus dem Stand, da absolut vorzeigbar. Anspieltips wären Haunted, Innana, als ruhigerer Gegensatz neben Queen Of Heaven der Track Josephine und zuletzt meinen Favourit Last Vampire.

Weiter geht es mit…

Altar De Fey ‎– The Insatiable Desire​​ …For More

Altar De Fey waren eine der Bands, welche im Schatten von Christian Death und diverser Gruppen aus dem Ballungsraum L.A. und San Francisco aktiv waren und den damaligen Sound mitgeprägt hatten. Offenbar immer zu sehr underground, fast vergessen und doch nie ganz tot entschlossen sich die beiden verblieben Gründer, Aleph Kali & Kent Cates, 2011 wieder aktiv(er) zu werden und sind seitdem fleißig am Aufnehmen neuer Songs.

The Insatiable Desire​​ …For More wurde dieses Jahr veröffentlicht und enthält acht Stücke gitarrengetriebenen- und an Theatralik grenzenden Deathrocks. Auch wenn hier manche Stücke nicht so gut rüberkommen, wie live (da haben die Jungens offenbar immer noch viel Spaß), passt nach meinem Empfinden zusammen, was offenbar seit Jahren zusammengehört. So lege ich euch doch gleich mal I see Demons und vor allem: Vampires nahe. Und weil Videos so schön im Beitrag aussehen, noch etwas Altes von denen.

Lune Rouge – Rain

Im Westen nichts Neues? Neva! Da ich in letzter Zeit sehr häufig mit eben jenen, Jad Wio, Rosa Crux und weiteren, diversen frankophonen Band beschallt wurde, bin ich parallel dazu auf ein bereits etwas länger zurückliegendes Hin- und Her-Geschreibsel mit dem Gitarristen der aus Nice stammenden Gruppe Lune Rouge gestoßen und erinnerte mich daran, dass ich damals echt hingerissen war. Und dies, wie so vieles Andere, wieder vergaß…

Denn ebenso wie ihr Vorgänger-Projekt Contre Jour, welches ich mit diesem Song über eine vorzüglich bestückte Compilation gefunden habe, sind Lune Rouge Gitarren- & synthwavig unterwegs, jedoch nun mit stärkerem Schwerpunkt auf den effektreichen Gitarren und leicht anderem Sound, irgendwie erwachsener, reifer.

Das Trio Roxy, Laurent und Cristof kann bisher zwei Veröffentlichungen vorweisen, welche dieses Jahr frisch das Licht der Welt erblickt haben, das Augenmerk mag hier nun auf der EP „Rain“ liegen.

Eingeleitet wird diese mit dem gleichnamigen Stück, welcher sofort von meinem Herz Besitz ergreift und dessen Schlag innerhalb kürzester Zeit beruhigt, mich runterkommen und dem Alltag entfliehen lässt. Daran an schließt sich ein ruhigeres Stück, trägt die Stimmung weiter bis zum dritten Stück Alte Zeiten. Auf Deutsch, Englisch und Französisch gesungen halte ich kurz inne, bin zugleich überrascht und bewegt, lasse das Lied klingen und wirken. Nach einem guten, vierten Stück kommt zum Abschluss der EP noch einmal ein Puls Melancholie und gepaarter Gesang von Roxy und Laurent.

Falls euch gefällt, hört auch ruhig noch in deren Album „Masque Blanc“ rein, dort kann ich die Tracks C’est une longue route, Guilt und Revenir demain empfehlen. Oder in ruhiger Stund‘ dieses Stück…:

Der Dènkèr – Erlösung Tot

Der Begriff „Neue Deutsche Todeskunst“ ist vielleicht manch einem Alt-Grufti und interessiertem Jung-Gruft geläufig. Vielleicht auch durch einen kürzlich veröffentlichten Artikel in einem der „Schwarzen“ Gazetten, von welchem ich durch Zufall gerade gelesen habe, dass es ihn gibt.

Zu Beginn der 90er wurde dieser Begriff für Dark Wave-Gruppierungen wie unter anderem Das Ich, Endraum, Goethes Erben, Misantrophe oder Relatives Menschsein verwendet, die ihre extremen, teils stark negative Gefühle und Gedanken in lyrische, deutliche, teilweise kryptische Worte fassten und ausdrücklich darboten.

Auch wenn man über die damalige Wortschöpfung diskutieren mag, ist sie meiner Meinung nach doch – mit Ausnahme des ersten Attributes – treffend. Denn jede der damaligen Gruppierungen hat auf ihre einzigartige Art und Weise jenem faszinierenden Wesenzustand Tribut gezahlt und auch noch 30 Jahre später ihre Spuren hinterlassen.

Der Dènkèr reiht sich nun neben jenen alten Gruppen ein. 2017 als Nebenprojekt der Elektro-Formation „Celotrox“ gegründet, hat Der Dènkèr bisher ein Album – Erlösung Tot – veröffentlicht, von denen drei Stücke über das weltweite Netz zugänglich sind: Seelenschmerz, ewiger Schmerz und das folgend verlinkte. Eine fast flüsternde, klagend-versagende Stimme, begleitet von ambig-minimaler Instrumentalisierung erwartet euch, Gedanken über Mors und Vanitas teilend. Vielleicht mögt ihr hineinlauschen…

Natürlich wird hier das Rad nicht neu erfunden und Geschmack ist subjektiv. Ich möchte in diesem Beitrag jedoch zeigen, dass es auch heute noch Künstler und Musik innerhalb der Schwarzen Szene gibt, die auch in vermeintlich toten (Sub-)Genres Potential sehen oder einfach ihre Leidenschaft ausleben. Wenn ihr in diesem Sinne noch nicht genug habt, gibt es hier noch die Demo der recht frisch gegründeten Gruppierung Todesbund.

*Krzzzszszfzfzszz* Schnitt.

Oder 3teeth aus den Vereinigten Staaten. Und ein etwas harter Wechsel in ein komplett anderes Genre, bei welchem mancher Leser vielleicht die Nase rümpfen wird, warum sowas hier zur Sprache kommt…

Gruppen wie KMDFM, Sister Machine Gun, The Electric Hellfire Club oder Schnitt Acht beschritten auf dem nordamerikanischen Kontinent den Weg, auf denen selbst Skinny Puppy oder Front Line Assembly den stilprägenden, frühen Nine Inch Nails und natürlich Ministry teilweise folgten. Die Rede ist von Inustrial Rock/-Metal.

Die fünf-köpfige Formation um den Frontmann Alexis Mincolla gibt bereits seit 2013 ordentlich Gas, vereint Elektronik mit harten, schreddernden und effekt-verzerrten Gitarren, gesellschaftskritischen Texten, ganz in Tradition genannter Ministry. Nur aus meiner Sicht noch besser weshalb sie auch hier vorgeführt werden. Während mir Ministry irgendwie mit den späteren Alben zu langweilig wurden, blasen 3teeth mir irgendwie Abwechslung in meine Augen und Ohren. Oder Zeitgeist? Eigentlich ist dies genau der Soundtrack, den ich an jenen Tagen brauche, wenn die Welt um mich herum so richtig ankotzt und wütend zurücklässt.

Bisher hat die Gruppe vier Alben und einige digitale Singles/EPs veröffentlicht, auf Bandcamp lässt sich in einiges davon hineinhören. Nahelegen könnte ich euch Nihil, Degrade oder Consent. Ich habe länger überlegt, diese Gruppe hier aufzuführen, da ein böser Bastard von Elektro (bäh) und Metal (pfui!). Und es dann doch gemacht. Einfach mal so als Kontrast und Horizonterweiterung.

Autumn Tears – Colors Hidden Within The Gray

Immer noch auf demselben Kontinent, doch ausgezerrt und mit dem Wunsch nach ruhiger Musik gelangt man nun vielleicht an das neue Album der Autumn Tears.

Im September 1995 durch den seitdem federführenden Ted Tringo und der ursprünglichen Sängerin, Erika Tandy, unter musikalischen Einflüssen von Dead Can Dance und Stoa gegründet, hinterließen die Autumn Tears in den Vereinigten Staaten mehrere Alben voll wunderschöner Musik, bis sich die Formation – zwischendurch mit neuer Sängerin, Jennifer Lee -Anna – 2007 in den Dornröschenschlaf begab.

2017 jedoch erwachten die Autumn Tears wieder und bieten unseren Ohren nun ein neues Album, welches starke Einflüsse klassischer Musik aufweisen soll (so sollen Bach oder Brahms als Inspiration zitiert worden sein). Und tatsächlich: Klingen Stücke Mitte/Ende der 90er Jahre teilweise recht deutlich nach dem damaligen, neoklassischen Protagonisten der ausklingenden Dark Wave-Epoche, sind solcherlei bedrückende Klänge nun in den Hintergrund getreten.

Was nicht schlecht sein muss. Denn auch so klingt das neue Werk mit seinen ruhigen, nuancierten Stücken sehr stimmig, was sicherlich nicht zuletzt auch an der begabten Sängerin Jenniffer Lee-Anna und der orchestralen, analogen Instrumentalisierung liegt, sondern auch an den zahlreichen professionellen Musikern (u.a. von Arcana und Stoa).

Mein Rat: Nehmt euch die Zeit und die Ruhe, genießt das Werk an einem Stück, dann entfaltet es seine Stimmung am besten. Wer dazu nicht kommt, möge alternativ hier hereinschnuppern:

Atelier Du Mal – Noblesse Oblique

Mannequin Records hat wieder einmal in die 80er zurückgeschaut und diesmal Atelier Du Mal ausgegraben. In Florenz gegründet, nahm das Trio um Lapo Pistelli, Iacopo Ficai Veltroni und Ignazio Matteini 1984 ihr einziges Tape Noblesse Oblique auf, welches nun remastered wiederveröffentlicht wurde.

Zu hören gibt es eine ansehnliche Palette an so typischen Synthies aus der Zeit: So sind neben dem stilprägenden Korg Ms-20 der Roland Juno 60 und Roland TB-303 zu vernehmen, also die Instrumente, welche meines Wissens auch heute noch eine Menge Musikmacher und -Bastler schätzen.

Doch was ist abseits der Instrumentalistik eigentlich mit dem Gesamteindruck? Im Groben keine schlechte Veröffentlichung im Sinne des Hörgenusses. Von den zehn auf dem Album befindlichen Liedern sind mir die Stücke Staticità, Marienbad und Palau 2 hängengeblieben, letzteres nicht zuletzt aufgrund des sehr gut herein passenden Saxophons. Und wenn einem dann nach und nach das Tanzbein zucken sollte, lege ich euch das vierte Stück als meinen Favorit nahe:

Falsch Verbunden – Oder warum Spontis nicht ALLES durchkaut, was ihm vorgesetzt wird…

Spontis wird zwischendurch natürlich von allerlei Interessenten angeschrieben, deren musikalischer Output selbst bei aller Liebe nicht wirklich passt. Ein Beispiel gab es dazu bereits beim letzten Briefkasten, in der Zwischenzeit gab es weitere „Vorstellungen“, welche hier zumindest kurz Erwähnung finden (Ich hoffe die Liste wird irgendwann nicht länger als der Gesamte Artikel):

Dead Reckoning: Irgendeine metallische Band aus den Vereinigten Staaten. Irrelevant.

ПЕРСОНАЛ – Eine russische Elektro-Formation der uninteressanten Sorte.

Techno Bert – Neue Dimensionen: Hier wurde Spontis die Wiederveröffentlichung eines Techno-Klassikers des Jahres 1990 nahegelegt. Dies wäre dahingehend reizvoll gewesen, um an diesem Beispiel auf die teils zeitgleiche Entwicklung von Wave- und Techno-Musik und deren gaaaaanz grober Verwandschaft (Stichworte Instrumente & musikalische Einflüsse) durchzuexerzieren. Jedoch gibt es dazu bessere Beispiele als dieses. Vielleicht ein andermal und durch jemanden mit deutlich mehr Fachwissen von dem ich manchmal wünschte, ich hätte es. Abschließend sei Euch nur Eines gesagt:

Kommt gesund über den Winter, seid brav und genießt die wunderbare Welt der Musik!

 

Liebe Leser, bitte rutschen Sie nicht in das neue Jahrzehnt!

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Wieso eigentlich einen guten Rutsch wünschen? Ist das nicht gehässig? Spekuliert das nicht möglicherweise darauf, das sich der gemeine Grufti bei den aktuellen Wetterverhältnissen auf seinen aalglatten Pikes zum Jahreswechsel auf die umgangssprachliche Fresse legt? Schlägt man nach, ist mit „Rutsch“ der scherzhafte Gebrauch des Wortes Reisen oder Fahren gemeint. Scherzhaft, ihr versteht? Man wünscht also keine gute Reise in das neue Jahr, sondern geht eher davon aus, dass die Reise eben nicht reibungslos klappt, damit der scherzhafte „Rutsch“ sich in Schadenfreude manifestiert.

Neulich hörte ich beim Einkaufen, wie man sich einen „guten Übergang“ wünschte. Das fühlte sich fremd an, dachte ich mir, aber auch irgendwie mystisch und okkult. Wenn man, so wie ich, zu viele Horror-, Science-Fiction und Fantasyfilme gesehen hat, verbindet man mit Übergang ganz andere Dinge. Der Übergang ins Totenreich! Hui, das kribbelt gruftig. „On the other side, i see you again…“ Oder auch der Übergang in ein Spiegeluniversum oder eine andere Dimension? Da jucken mir gleich die Spitzen meiner Ohren. Egal wie ich das Wort drehe und wende, einem Jahreswechsel wird das nun wirklich nicht gerecht. Schon gar nicht einem Jahrzehnte-Wechsel.

Denn tatsächlich enden die 10er oder die 2010er Jahre mit dem heutigen Tag. So wie damals die 70er endeten oder auch die famosen 80er. Diesmal fühlt es sich aber komisch an, dieser Dekadenwechsel. Als wäre in den letzten 10 Jahren nicht wirklich viel passiert und als würde von diesem Jahrzehnt nichts zurückbleiben, worauf wir in 30 Jahren nostalgisch zurückblicken könnten. In musikalischer Hinsicht täuscht der Eindruck meiner Ansicht nach sicherlich nicht, aber dennoch ist im letzten Jahrzehnt viel passiert.

Das Lithium-Ionen Akku hat die Welt verändert. Alles wurde elektrisch und kabellos. Tretroller, Fahrräder, Autos fahren ganz praktikabel elektrisch. Der 3D-Druck wird für jeden erschwinglich, Smartphones brachten das Computerspiel in Form von Pokemons in die reale Welt. Digitalkameras wurde von Handykameras verdrängt und mit der Armbanduhr kann endlich sprechen.

Streaming löste das Fernsehen ab und mit dem Alexa-Trend erobern Sprachgesteuerte Assistenten die Haushalte. Wir pflegen unser Leben in der Cloud und partizipieren an Datenschutzdebatten, damit das eigene Haus bei Google Maps ausgepixelt wird. Drohnen ermöglichen jedem, einen Blick auf die Welt zu werfen.

Facebook und Twitter machen Fakten unwichtig. Was in der Welt geschieht und wie sie funktioniert, wird diskutiert. Jeder verlässt sich in seiner Meinungsbildung auf das, was uns der Algorithmus aus der selbst zusammengestellten Freundesliste suggeriert. Für jede noch so abseitige Weltanschauung finden sich Gleichgesinnte, die eine Blase der Wahrheit schaffen. Jeder kann seine Meinung und Ansichten verbreiten. Auch Hass und Rassismus.

Während die letzten 10 Jahre uns vieles leichter gemacht haben, haben es uns die letzten 10 Jahre viel schwieriger gemacht. (Wer jetzt verwirrt ist, hat den Kern der Aussage erkannt). Während wir mit Sprachbefehlen das Licht steuern und eine Maschine die Wohnung selbstständig saugt, wissen wir nicht mehr richtig, wie die Wahrheit aussieht. Aber keine Panik. Gemeinsam diskutieren wir auch in den 20ern um die Deutungshoheit der schwarzen Szene.

Lieber Leser, welche Dinge nehmt ihr aus dem vergangenen Jahrzehnt mit? 

Spontis wünscht allen Lesern einen klaren Blick und auf keinen Fall einen Rutsch der auf dem Asphalt endet. Feiern Sie das neue Jahrzehnt, trauern um das alte. Gerne auch umgekehrt. Bleiben sie uns gewogen. Wir lesen uns 2020!

1986: Endstation Schlesien – Eine Reise mit der Berliner U-Bahn Linie 1

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Berlin, 1986. In Ost-Berlin weckt der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow Hoffnungen zu einer Reform, während im Westteil der Stadt ein Bombenanschlag auf den Club „La Belle“ viele Hoffnungen auf Frieden zunichtemacht. Als dann in Tschernobyl der Reaktor explodiert, sehen viele das Ende der Menschheit in bedrohlicher Nähe.

Die Berliner U-Bahn Linie 1 dient einer Dokumentation von Peter Adler als Bühne für die Geschichten der Menschen aus dieser Zeit, die das Verkehrsmittel für ihre täglichen Routinen benutzen. Ein mobiles Vakuum, dass das Leben an den Bahnhöfen entlang der Ost-West Route aufsaugt, um es an anderen Stellen wieder auszuspucken. Dazwischen finden sich Momentaufnahmen aus einem multikulturellen Schmelztiegel, der durch seine erzwungene Teilung ständig droht, überzukochen. Trotzdem zieht es die Menschen nach Berlin. Sie wollen sich verwirklichen, sich entfalten, aufblühen. Sie suchen Identifikation, Arbeit, Inspiration oder Liebe.

Eine möglicherweise langweilige Fahrt mit der Berliner U-Bahn vor 33 Jahren ist für einen Nostalgiker wie mich pures Gold. Etwas Lehrreiches können wir auch noch mitnehmen, wenn man so möchte: ein guter Teil der Menschheit ist in wirklich jedem Jahrzehnt zum Kotzen.

Und ja, das Video ist stellenweise langatmig. Kuriose und schöne Dinge gibt es zum Beispiel bei 13:40 oder bei 1:00:54 zu sehen. „Wir gucken Gräber an und wenn da ’ne Gruft ist, steigen wir natürlich rein und da wird dann irgendwie ein bisschen getrauert.“ Verdammte Wessi-Poser! :D

(Danke an Markus!)

Natron&Soda: Ein Nachruf auf das wohl einflussreichste DIY-Forum der Gothic-Szene

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In wenigen Tagen wird die Webseite von Natron&Soda endgültig vom Netz genommen. Das 2001 eröffnete Forum, bei dem man sich hauptsächlich über Nähanleitungen und Schnittmuster subkultureller Mode und Accessoires austauschte, war für über 15 Jahre die wichtigste Institution in Sachen DIY und möglicherweise auch der Schmelztiegel einer neuen, Neo-Romantischen Welle in der Szene. Für viele stirbt damit ein wichtiges Stück Szenegeschichte, das der Subkultur beim Kopfsprung in das neue Jahrtausend wieder zu neuen Einflüssen und Entwicklungen verholfen hat. Im Laufe der Jahre begegnete ich immer wieder Menschen, die über dieses Forum und der damit verbundene Community ihren Weg in die Szene gefunden haben.

Zum Jahresende wird diese Webseite endgültig vom Netz genommen. Wir sagen noch mal Danke für die vielen Jahre, in denen ihr das Projekt mit Leben gefüllt habt. Es war uns eine Freude und Ehre. Jetzt ist es an der Zeit, Tschüss zu sagen. Alles Liebe euch!

Grund genug einen Nachruf zu verfassen. Nicht nur auf eines der einflussreichsten DIY-Foren der Szene, sondern auch auf ein Stückchen Kommunikationskultur vor dem Siegeszug sozialer Medien. Ich habe Natron&Soda interviewt und auch einigen Stimmen der Community eingefangen.

Natron&Soda – Das Interview

Spontis: Warum habt ihr eigentlich Natron & Soda gegründet?
Natron&Soda: Wir wollten damals gerne irgend eine Art von Webpräsenz haben, hatten aber kein Interesse an einer klassischen „Homepage“ mit persönlichen Fotos, Tagebuch oder ähnlichem. Da wir gerade das Nähen für uns entdeckt hatten, war es nur logisch unsere Begeisterung darüber zu teilen. Es war ein Projekt, was vor allem uns beiden Spaß machen sollte. Über Nutzerzahlen haben wir damals nicht nachgedacht und ehrlich gesagt auch nicht mit viel Resonanz gerechnet.

NatronSoda - Interview
Ich bin nicht der Erste, der Natron&Soda um ein Interview gebeten hat.
(c) Natron&Soda

Hättet ihr damals mit dem nachhaltigen Erfolg des Forums gerechnet?
Ein klares Nein. Wir hatten gute Reaktionen auf die Page, viele Menschen haben mitgemacht, ihre Fotos und eigene Anleitungen geteilt. Zum ersten Geburtstag der Seite haben wir dann ein kleines Forum eingerichtet, damit sich die Leute auch untereinander austauschen konnten. Dass das Interesse so groß war und immer wieder unserer damals ziemlich eingeschränkten technischen Möglichkeiten gesprengt hat, das hat uns definitiv überrascht.

Auf dem WGT gab es Treffen der N&S Community, welches Gefühle und Erinnerungen habt ihr daraus mitgenommen?
Das Treffen sollte zuerst nur eine Möglichkeit sein, anderen Communitymitglieder mal „in echt“ begegnen zu können, ist aber schnell zu einer Art inoffiziellem WGT-Programmpunkt am Samstag geworden. Es hat Fotografen und Schaulustige angelockt und wurde viel größer, als wir erwartet hatten.

Es war jedes Mal überwältigend und auch ein wenig surreal, diese vielen Menschen, die man hauptsächlich über ihre Textbeiträge im Forum „kannte“ an einem Ort versammelt zu sehen. Das war immer wieder etwas Besonderes und ich denke, dass Soda und ich nicht die einzigen waren, die sich dafür extra in Schale geworfen haben. Etwas unheimlich oder sogar bisweilen unangenehm war es mir nur, wenn ich dabei in die Rolle einer „Celebrity“ gedrängt wurde. Personenkult ist mir fremd und gerade bei diesem Event stand immer die Community im Vordergrund.

NatronSoda Treffen WGT
Das Natron&Soda Treffen auf dem Wave-Gotik-Treffen
(c) Natron&Soda

Warum habt ihr das Forum 2015 aufgegeben?
Ich würde eher sagen, wir haben es abgegeben. In den fast 15 Jahren haben wir uns verändert, unsere Lebensumstände und nicht zuletzt auch das Internet. Natron&Soda war immer ein arbeitsintensives Hobby, wir haben es gerne gemacht und wir haben auch viel zurückbekommen. Es war uns von Anfang an wichtig, die Seite werbefrei zu halten und Chef im eigenen Haus zu bleiben. Allerdings haben wir dadurch nicht einen Cent mit dem Projekt verdient. Irgendwann kam der Punkt, an dem die Community nicht mehr nebenbei zu managen war und wir uns entscheiden mussten: Machen wir aus dem Hobby einen Job oder ziehen wir einen Schlussstrich. Dadurch, dass jemand aus der Community das Forum übernehmen und weiterführen konnte, haben wir, glaube ich, für alle eine sehr gute Lösung gefunden.

Natron&Soda wird jetzt unter neuer Regie und unter naehromanten.net weitergeführt. Aktuell finden sich auf Eurer alten Internetseite zahlreiche Nähanleitungen. Warum wird sie zum Ende des Jahres abgeschaltet?
Ich habe die Webseite nach Weitergabe des Forums online gelassen, aber da sie nicht mehr gepflegt wird, veraltet die Technik schnell. Das ist zum einen ein Sicherheitsrisiko, zum anderen habe ich auch den Eindruck, dass eine Seite wie diese nicht mehr in das Internet von heute passt. Wir haben inzwischen ganz andere Möglichkeiten uns zu vernetzen, und auch was die Inhalte angeht, gibt es jetzt deutlich professionellere Nähseiten. Natürlich ist auch ein wenig Wehmut dabei, aber ich habe lieber einen klaren Schlussstrich, statt nur aus Nostalgie funktionsuntüchtige Reste der Webseite im Internet herumgeistern zu lassen. Damit wäre sicher niemandem geholfen.

NatronSoda - PersonWie habt Ihr Euch durch das Forum im Laufe der Jahre verändert oder entwickelt?
Zu Beginn hatten wir keine Ahnung, weder vom Nähen noch davon wie man eine Community aufbaut oder pflegt. Das haben wir uns Stück für Stück erarbeitet. Aber erst mit dem Abstand der letzten Jahre ist mir so richtig klar geworden, wie stark wir von den Erfahrungen als Admins im Forum auch persönlich profitiert haben. Es war eine ungeheuer spannende Zeit, in der wir – ohne es zu merken – enorm viel über Konfliktmanagement, Gruppendynamiken und vor allem über Geduld in stressigen Situationen gelernt haben. Wir haben den Wert eines respektvollen Miteinanders schätzen gelernt und auch wie man selbiges verteidigt.

Wie hat sich die Szene in den letzten Jahren Eurer Ansicht nach entwickelt?
Die Community stand ja allen offen und obwohl viel in Schwarz genäht wurde, ist uns eine Bindung an die „Szene“ immer nebensächlicher geworden. Insofern fällt es mir auch schwer, Gothicthemen zu bewerten. Natürlich haben wir immer wieder Trends, vor allem modische, kommen und gehen sehen, aber ich persönlich bin zu lange raus aus der Szene um da noch ein qualifiziertes Urteil abgeben zu können.

Welche schönen Ereignisse sind Euch in Erinnerung geblieben?
Als wir das erste Mal ein Kleid nach unserer Anleitung im echten Leben gesehen haben (vermutlich WGT 2002), das war auf jeden Fall ein Highlight. Toll waren auch die verschiedenen Modenschau-Events, die wir über die Jahre gemacht haben. Die Unterstützung und Begeisterung der Communitymitglieder vor Ort war immer wieder beeindruckend. Wir haben Freunde gefunden und Kontakte geknüpft. Am meisten berührt hat es mich aber immer, wenn eine mir völlig fremde Person auf die eine oder andere Art von unserem Projekt profitiert hat. Immer wieder haben wir erfahren, dass der Rückhalt der Community Menschen in schwierigen Lebenssituationen geholfen hat, oder die Freude und Bestätigung durch das Nähen jemandem Halt in einer Krise gab. Einen positiven Effekt auf das Leben anderer gehabt zu haben, das ist das eigentlich das Beste, was Natron&Soda geleistet hat.

NatronSoda - Person (2)Welche negativen Erfahrungen sind Euch in Erinnerung geblieben?
Es gab in der ganzen Zeit erstaunlich wenig Hatemail und kaum Trolle. Das Forum hatte so seine Themen, die regelmäßig eskaliert sind und schwer zu moderieren waren. Und natürlich sind auch die Höhen und Tiefen des Lebens nicht unbemerkt an der Community vorbeigezogen. Es gab einen Trauerfall, es gab Themen die betroffen gemacht haben. Wir hatten auch eine Zeit lang Ärger mit einer hartnäckigen rechtsradikalen Person, die versuchte sich in der Community zu positionieren. Im Großen und Ganzen hat es das Schicksal aber gut mit uns gemeint.

Was würdet Ihr der Community, die sich im Laufe der Jahre immer weiter verändert hat, auf den Weg mitgeben?
Wenn man sich im Internet umguckt, kann man schnell den Glauben an das Gute im Menschen verlieren. Diskriminierung, Hass, Hetze. Unsere Community war immer ein Beispiel dafür, dass es auch anders geht. Dass man freundlich und respektvoll miteinander umgehen kann. Dass verschiedene Lebensrealitäten und Ansichten nebeneinander stehen können. Es waren die Communitymitglieder, die diesen Spirit gelebt haben. Ich denke, dass sie darauf stolz sein können, auf ihr gutes Miteinander und die Gemeinschaft die sie geschaffen haben (und natürlich auch auf die Korsett, die sie genäht haben). Und ich wünsche mir, dass sie diese Hilfsbereitschaft und Offenheit in ihren Alltag weitertragen, denn die Welt braucht Menschen die fair und aufgeschlossen sind.

Natron&Soda war ein besonderer Ort und hat uns gezeigt, dass ein positives Miteinander möglich ist. Wenn wir das im Hinterkopf behalten, können wir einen Unterschied machen.

Erinnerungen und Zeitgeist zu Grabe getragen

Für viele ist die letztendlich Schließung des Forums auch ein Tribut an die sich verändernde Kommunikationskultur. 2001 waren Foren ein wichtiges Mittel, sich über gleiche Interessen auszutauschen. Mit der zunehmenden Verbreitung sozialer Medien verlagerte sich der Austausch vieler Szene-Mitglieder dorthin. Die Möglichkeit, sich individuelle Szene-Kleidung weltweit mit ein paar Klicks nach Hause zu holen, machte Selbermachen letztendlich unattraktiv.

Geblieben sind Erinnerungen und ein völlig neue Generation von nähbegeisterten Menschen, die die Szene möglicherweise nicht nur um die Neo-Romantische Bewegung und die opulenten Victorian-Goths bereichert haben, sondern vielleicht auch ein Stückchen dafür verantwortlich sind, dass sich Verkleidungen innerhalb der Szene ausbreiten konnten. Aber so ist das eben. Eine Medaille hat immer zwei Seiten. Welche Ihr schöner findet, dürft ihr selbst entscheiden.

Wie passend, dass ich auf Facebook – dem Sargnagel der Foren-Kultur – einige Menschen um Ihre Erinnerungen mit Natron&Soda gebeten habe. Zusammengekommen ist ein Nachruf auf die wohl einflussreichsten DIY-Plattform der Szene-Geschichte.

Alana Abendroth: „Ich fand Natron & Soda unglaublich inspirierend und habe mir so manches Teil nachgenäht.

Buntschwarz: „Ich sehe in Natron und Soda nicht nur einen Teil der Szene sondern auch gleichsam einen Teil des „alten Internets“ mit seinen Seitenlayouts und der Forenkultur, die mir heute in nostalgischen Momenten manchmal fehlt.

Dagmar K.: „Mut zum Individualismus und Aufforderung zur Kreativität, Anleitungen verständlich erklärt und dazu eine Community, die gemeinsam lernte und das dann auf den Forentreffen ausgelebt hatte. War schon eine coole Sache und viele Forenmitglieder sind ja dann auch später professionell durchgestartet. Ich habe für mich einige Freundschaften fürs Leben geschlossen und neue Materialien entdeckt und es war cool seine Projekte Leuten zu zeigen, die genauso getickt haben. Ein Nachfolgeforum gibt es noch immer, aber die Zeit der Foren ist durch SocialMedia irgendwie vorbei.

Vanessa V.: „Ich habe mich zu Schülerzeiten ewig lang auf der Seite rumgedrückt. Ohne das nötige Kleingeld war das ein schöner Weg, um von netten Kleinigkeiten bis zum opulenten Outfit, auch als blutiger Laie, alles hinzuzaubern […] manche Schnitte und Vorlagen dienen mir noch heute, mein halbes Leben später, für gelegentliche hochtrabende Projekte.

Adrian Stahl (Steelrose): „Ich war da auch lang unterwegs, war anfangs wirklich ein schönes Forum mit vielen tollen Ideen und oft richtig kreativen Leuten, auch die ganzen Anleitungen waren in der Grundidee sehr DIY-Goth Mit der Zeit hatte ich ebenso das Gefühl dass besonders die Initiatorinnen sich von ihrer „Jugendsünde Goth“ distanzieren wollten – das soll jetzt wertungsfrei hier stehen, […] aber ich bin dann immer weniger dort gewesen da ich mich auch nicht mehr so ganz heimisch gefühlt hatte.

Adelheid Schwarz: „Ich habe meine Jugend bei Natron & Soda verbracht […] anfangs war nur der Teil mit den Nähanleitungen interessant. Meine erste Nähmaschine bekam ich mit 14 geschenkt, vorher nähte ich per Hand mit Anleitungen von Natron und Soda. Später war auch die Foren Community spannend, wo man nicht nur an Swaps teilnehmen konnte, sondern auch emotionale Problemgespräche beratschlagen oder still lesen und darüber nachdenken konnte.

YoungBAT: „In meiner Pubertät mein Mittel zur Kommunikation mit der Szene. Meine ersten Szeneklamotten waren DIY nach Anleitungen von N&S. […] Es wurden Verarbeitungsfragen beantwortet, Anleitungen geschrieben, Material gemeinsam bestellt, Swaps veranstaltet, Treffen organisiert. Es war interessant die „Trends“ innerhalb der Szene zu beobachten. Ich denke zu dieser Zeit hat das Forum seinen ganz eigenen Teil dazu beigetragen, bedauerlicherweise wahrscheinlich auch zur fortschreitenden Kostümierung auf dem WGT. Oft steckten in den aufwendigsten WGT-Outfits N&S User mit vielen schönen kreativen Ideen, die aber schnell von anderen übernommen und zum Trend gemacht wurden. Die N&S Treffen auf dem WGT wurden irgendwann von Fotografen überrannt. Die Aufwändigkeit schien wichtiger als die Individualität. Das Forum wuchs unaufhaltsam. Man verlor den Überblick und der Fokus auf gruftige Kleidung schwand. Die kreativen Köpfe wurden weniger. Die Gespräche flacher. Das Klima unpersönlicher. Das war für mich die Zeit das Forum zu verlassen. Trotz allem hat mich das Forum entscheidend geprägt. Es war die Grundlage für meinen späteren Berufsweg. Heute bin ich Massschneiderin und habe mein eigenes kleines Szenelabel.

ミコ 松本: „Mein erstes selbstgenähtes Teil, ein Fishtail-Rock mit Bahnen, entstand durch eine Anleitung und ein Schnittmuster von Natron&Soda und selbst in der Ausbildung zur Bekleidungstechnischen Assistentin hab ich mir die ein oder andere Inspiration von der Seite geholt. Jetzt in Zeiten des Internets, wo man ja wirklich alles aus der ganzen Welt herkriegt, fand ich Natron&Soda eine schöne Anlehnung an die Ursprünge der Schwarzen Szene, wo -so hat man mir erzählt- ja sehr viel DIY war.

 

Mein schaurig schönes Tagebuch #22: Der Fast-Nervenzusammenbruch und die Beinahe-Katastrophe

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Liebes Tagebuch, Weihnachten steht vor der Tür. Ich muss gestehen, die freien Tage ohne Verpflichtungen in einer sehr gemütlichen Atmosphäre haben wir uns redlich verdient. Die Renovierung ist so gut wie vorbei, die Wohnung ist in einem geputzten und dekorierten Zustand, der Kühlschrank ist gut gefüllt und auf dem Balkon schlummern Getränke-Vorräte, die jeden Prepper vor Neid erblassen lassen würden. Ich habe 2 neue Computerspiele in der Warteschlange (Assassins Creed: Syndicate und Red Dead Redemption 2) und ein ganzer Haufen Serien (The Witcher und Dark) ist darauf aus, meine Synapsen zu befriedigen. Möglicherweise wollen wir auch die Harry Potter Filme bingen. Das könnte wirklich klasse werden! Fast wäre es schiefgegangen, aber so richtig!

Am vergangenen Mittwoch kam ich von einem Einkauf beim Baumarkt nach Hause. Nicht das du jetzt denkst, ich gehe gerne in Baumärkte, liebes Tagebuch, oder mag es etwa in Werkzeugen zu baden und den Geruch von Holz und Lösemitteln einzuatmen. Baumärkte rangieren in meiner Beliebtheitsskala noch hinter Lebensmittelmärkten. Und die kann ich eigentlich nur wegen der Menschen, die sich darin zwangsläufig herumtreiben, nicht leiden. In Baumärkten hasse ich quasi alles.

Ich kam also nach Hause, als mich der Fliesenleger, der zu diesem Zeitpunkt in unserer Wohnung beschäftigt war, mit den Worten empfing: „Unitymedia war da, die mussten das Internet abschalten.“

Liebe Tagebuch, erinnerst du dich an den Film „Matrix“, wo Neo zum Ersten mal seinen Zeitlupen-Move macht? Genau. Die Zeit schien stillzustehen, als ich realisierte, was der Handwerker mir offenbarte. Alle Vorstellungen von einem perfekten Weihnachtsfest flogen wie Kugeln an meinem Gesicht vorbei, ohne das ich die Chance hätte, sie am Vorbeifliegen zu hindern. Konnte das sein? Es galt, alle Optionen zu prüfen. Ruhig, gelassen, konzentriert und zielgerichtet waren Eigenschaften, von denen ich in diesem Augenblick Lichtjahre entfernt war. Hektisch rannte ich umher und fuchtelte unkontrolliert mit den Armen. „Was fällt den besch**** Arsch*** ein, mir da verfi**** Internet abzustellen?

Ich glaube, so habe ich mich artikuliert. Ich rannte in den Keller, durch die Wohnung und an meinen Computer um alles zu prüfen. Das Formular „Großstörung im Unitymedia Netz“, das auf meinem Tisch lag, gab letzte Gewissheit. Aus die Maus. Wer jetzt den Teil wo ich mich und mein Suchtverhalten reflektiere, überspringt den nun folgenden Teil.

Stoerung

Ich bin die Störung!

Mit dem Formular in der zittrigen Hand versuchte ich, bei Unitymedia anzurufen. Festnetz geht natürlich nicht, weil das auch über die Internetleitung läuft, also muss das Handy ran. Man teilte mir mit, das mein Anschluss an das Internet schuld sei, dass rund 200 weitere Kunden, die die gleiche Glasfaserleitung benutzen, massive Störungen hätten. Aus Sicherheitsgründen, so mein Gegenüber am Telefon, musste mein Anschluss deaktivieren. Da man mich nicht angetroffen habe, müsse ich nun auf einen freien Techniker warten. Morgen vielleicht.

Jetzt war ich nicht mehr zu bremsen. Ich entschuldige mich hiermit schon mal höflichst bei dem Mitarbeiter Herrn B., der nun die volle Ladung abbekam. „Was fällt ihrem Schei****laden ein, mir unangekündigt und ohne Vorwarnung die Leitung zu kappen? Ticken sie noch sauber? Sie wissen schon, dass meine Frau beruflich auf den Zugang zum Internet angewiesen ist? Wie stellen sie sich das verda**** noch mal vor?

Herr B. legte glücklicherweise nicht gleich auf, sondern sah ein, dass das alles ein bisschen „unglücklich“ gelaufen sei. So einfach während meiner Abwesenheit in den Keller zu marschieren und die Leitung zu kappen war ungünstig. Man versuche, mir schnell noch einen Techniker vorbeizuschicken. 3 weitere Anrufe später meldete sich jemand von unterwegs bei mir, in 20 Minuten sei er da.

Mittlerweile war ich völlig durchgeschwitzt. Trotzdem beschloss ich, vor der Haustür zu warten, damit der Mensch mit den richtigen Berechtigungen bloß nicht vorbeifährt. Der kam dann auch. Wir suchten den Fehler, fanden das neu installierte DLan als Störungsursache, waren aber gemeinsam der Ansicht, dass es da nicht sein kann. Also demontierten wir alles Kabel-Dosen in der Wohnung und fanden schließlich den Übeltäter in einer veralteten Kabeldose, die auch noch schlecht abgeschirmt war. Nach dem Tausch waren alle Störungen weg, auch das DLan konnte wieder in Betrieb genommen werden und meine Leitung war besser als vorher. Vielen Dank an Herrn D. aus Viersen, der sich Zeit genommen hat, nicht nur alles zu reparieren, sondern mir auch noch zu erklären. Muss ja Bescheid wissen.

Reflexion des eigenen Suchtverhaltens

Liebes Tagebuch, ich habe einen von diesen Tests gemacht, natürlich im Internet. „Ich solle mich wieder mehr um den Zugang zur realen Welt bemühen“, steht da. Ganz ehrlich? Die reale Welt kann mich mal! Ich verzichte liebend gerne auf die ganzen Idioten um mich herum. Das ist nun wirklich kein Verlust. Vielleicht sollte ich mich am Wochenende kollektiv mit angeblichen Freunden „besaufen“, um abzuschalten? Tolle Idee! Vielleicht geh ich auch ins Fußballstadion und brülle herum, damit die Leute auf dem Feld gewinnen. Super! Ich könnte mich ja irgendeiner radikalen Gruppierung anschließen, um dann Ideologien, die ich gefälligst toll zu finden habe, in die Köpfe anderer zu prügeln oder Mülltonnen anzuzünden, um gegen die zu sein, die genau das machen. Großartig!

Lasst mich doch einfach in Ruhe. Und vor allem lasst mir das Internet. Hier kann ich mir diese Welt so gestalten, wie ich sie mag. Nachrichten, die mich erfreuen. Menschen, die ich mag. Virtuelle Welten in der jeder mit jedem friedlich zusammenlebt und gemeinsam böse Aliens bekämpft. Oder meinen kleinen Inselstaat, auf dem ich regiere und wo ich unglückliche und protestierende Menschen einfach mit einem Theater glücklich machen kann. Parallelwelten. Entfliehen. Ausweichen. Wegbeamen.

Ohne Internet bin ich der realen Welt schutzlos ausgeliefert. Bin ich eben süchtig.

Die Kehrseite dieser Sucht liegt auf der Hand. Das Internet ist eine fragile Welt, in der an jeder Ecke das große Glück gleich neben dem großen Unglück um Freier buhlt. Eine Welt, die nur tröpfchenweise zulassen darfst, reißt du den Hahn ganz auf, erstickst du an der Flut dessen, was sich unzählige Menschen aus ihren kranken Gehirnen drücken. Eine Welt, in der die nächste Glückswolke immer ein bisschen fluffiger und knuddeliger erscheint, als die, auf der du dich befindest. Immer.

Ach, was solls. Wenn es mir zu viel wird, schalt ich einfach ab. Lese ein Buch und treffe mich auf ein Bier mit irgendwelchen Bekannten. ROFL.

Ich gehe jetzt suchten. Filme, Serien, Spiele, Nahrung. Gemeinsam mit Ehefrau Orphi. Denn nur die macht mich noch süchtiger ;) Frohe Weihnachten Euch allen!

Video: Gothics in Frankreich – Parlez-vous français?

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Europa ist ein toller Kontinent. So viele verschiedene Sprachen und Kulturen auf engstem Raum machen ihn einfach einzigartig, aber auch kompliziert. Als ich in der Schule Französisch lernen sollte, hatte ich für damalige Verhältnisse wichtigere Dinge im Kopf. Mein erster Computer hat das Kinderzimmer erobert und erforderte eher Sprachkenntnisse in Englisch. So kam es, wie es kommen musste. In den zwei Jahren Französisch erntete ich eine 5 auf dem Zeugnis. Völlig verdient. Dann konnte ich die Sprache zugunsten eines Informatik-Kurses abwählen. Heute kann ich ganz toll mit Computern, habe aber keine Ahnung von dem, was die Menschen, die nur wenige hundert Kilometer entfernt von uns leben, sagen.

So fand ich dieses kurze Video von französischen Gothics im Internet und war fasziniert wie gruftig die Leute dort unterwegs waren, konnte aber nicht verstehen, was gesprochen wurde. Ich war furchtbar neugierig, worum es ging und bemühte Facebook. Vielleicht gab es ja jemanden in meiner Freundesliste, der verstand, was dort gesprochen wurde. So halfen dann Olivier Devalez und Anja Ell bei der Übersetzung des Inhalts. Vielen Dank dafür! Leider kann ich das Video nicht direkt übersetzen, daher findet ihr das Gesprochene unter dem kurzen Film.

https://youtu.be/uVQuOi_2wfM

DeutschFranzösisch

Was ist das da für ein Totenkopf?

Das ist mein Freund.

Das ist traurig, oder?

Nein, das Leben ist traurig, der Tod jedoch nicht.

Weil wir uns schwarz kleiden, denken die Leute, dass wir traurig sind. Nun ja, wir sind das Spiegelbild ihrer beschissenen Gesellschaft. In Wirklichkeit haben wir jedoch mehr Freude am Leben als sie.

Die Gothic-Bewegung ist in London Anfang der 80er Jahre aus den Ruinen der Punk-Bewegung entstanden. Von Anfang an hatte sie einen unersättlichen Hunger nach extravaganten Frisuren, dem Umkehren von religiösen Symbolen und makabren Welten.
Eine Neigung, die sich in einem Look zusammenfassen lässt.

Um ein guter Goth zu sein, musst du:

Vollständig schwarz gekleidet sein, einen blassen Teint haben, die Augen schwarz geschminkt.

Accessoires, Symbole, Totenköpfe. Ihre Gemeinsamkeit: ein Geschmack für Musik, eine romantische Kultur, oft dunkel.

Banale Jugendphase oder echtes Unbehagen? In jedem Fall tun wir alles, um wahrgenommen zu werden und machen uns dabei manchmal selber krank.

(Anja Ell)

C’est quoi cette tête de mort là ?

C’est mon ami.

C’est triste, non ?

Non, la vie c’est triste, mais la mort non.

Les gens, parce qu’on s’habille en noir, ils croient qu’on est triste. Ben ouais, on est le reflet, quoi, on est le reflet de leur société de merde, quoi. Mais en vrai, on a plus la joie de vivre qu’eux.

La tribu gothique est née à Londres, au début des années 80 sur les ruines du mouvement punk. Dès les origines, elle a revendiqué un goût immodéré pour les coiffures extravagantes, le détournement des symboles religieux et les univers macabres. Des penchants qui se résument en un look. Pour être un bon gothique, il faut :

Etre tout en noir, avoir le teint pâle, les yeux cernés de noir.

Les accessoires, les signes, têtes de mort. Leur point commun, un goût pour une musique, une culture romantique, souvent sombre.

Banale crise d’adolescence ou véritable malaise ? En tout cas, on fait tout pour te faire remarquer, jusqu’à parfois s’en rendre malade.

(Olivier Devalez)

Das Zitat „Weil wir uns schwarz kleiden, denken die Leute, dass wir traurig sind. Nun ja, wir sind das Spiegelbild ihrer beschissenen Gesellschaft. In Wirklichkeit haben wir jedoch mehr Freude am Leben als sie.“ ist das passendste, was ich in den letzten Jahren gelesen habe. Treffender hätte man die Beweggründe wohl nicht formulieren können.