Hexenfluch: Wann sind wir eigentlich so verdammt unhöflich geworden?

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Lange konnte sie es für sich behalten, jetzt bricht es (endlich) wieder aus ihr heraus. Orphis Hexenfluch. Niemand kann sich so gekonnt und inhaltlich scharfsinnig aufregen, wie Ehegrufti und Youtuberin Orphi Eulenforst. Ich bin froh, dass sie sich Zeit genommen hat niederzuschreiben, was hinter unseren Kulissen diskutiert wird.

Seit wann ist es eigentlich okay, andere Menschen anzurotzen und abzuhauen? Das ist irgendwann einfach passiert und jetzt ist es normal. Ich gebe euch ein Beispiel. Wir (Robert und ich) haben gestern einen Artikel mit Video veröffentlicht, in dem die liebe Raziel zeigt, wie sie sich die Haare stylt. Keine große Sache, einfach nur ein Beitrag, der den Lesern und Zuschauer Spaß machen soll. KOSTENLOS und UNVERBINDLICH konsumierbar, wie es in der heutigen Zeit eben so ist. Denkt eigentlich jemand daran, dass es nicht selbstverständlich ist, dass man Unterhaltungsangebote auf dem Silbertablett präsentiert bekommt? Dahinter stecken Menschen, die sich Mühe geben.

Viel Arbeit, viel Herzblut für die Leser und Zuschauer

Bis der Artikel fertig war, musste einige Arbeit erledigt werden. Robert hat Raziel auf Instagram gesehen, wo sie ein ähnliches Video hochgeladen hatte. Seine Idee war es, dass dieses schnelle Styling – im Gegensatz zum klassischen Styling mit stundenlangem Kreppen – einige Leute interessieren könnte. Er schrieb Raziel an und sie war sofort bereit, für uns noch ein Video zu drehen – im Querformat. Ganz unkompliziert und gut gelaunt.

Einige Tage später hatte sie ihr Versprechen in die Tat umgesetzt. Wir haben uns abgesprochen, Robert hat noch Fotos besorgt, ich habe das Thumbnail für den Beitrag und noch eins fürs Video gebastelt, Musik unter das Video gelegt, ein Intro eingesprochen, alles geschnitten und hochgeladen und für die Veröffentlichung vorbereitet mit Überschriften und Texten und Tags und was man sonst noch so alles angeben muss. In der Zwischenzeit hat Robert seinen Artikel verfasst, ein kleines Interview integriert und es in WordPress ebenso vorbereitet. Kurzum: Drei kreative Leute haben in ihrer Freizeit viele Stunden lang einfach so, ohne dafür Geld zu bekommen, etwas erschaffen und kostenlos zur Unterhaltung angeboten.

Der zweite Kommentar unter dem veröffentlichten Artikel von einem mutigen Menschen mit Rückgrat namens Anonym:

Hätte man die Leute gefragt die ihr Ihr wissen über Szene Frisuren vermittelt haben würde dir Masse lernen wie man einen vernünftigen, 2 + Tage haltbaren Hawk stellt. Aber die sind wohl nicht vorzeigbar, sexy oder true genug… Naja, genieß deine fünfzehn Minuten Ruhm, für mehr fehlen dir leider die Fähigkeiten.

Oder, wie ich es nenne: ROTZE! Hingeschnieft und liegengelassen. Von Menschen, die selbst nichts anbieten, sondern nur konsumieren und so überfressen und frustriert sind, dass es nur noch zum Rotzen reicht. Man sitzt fassungslos davor und versteht es einfach nicht. Klar, dass in meinem YouTube-Kanal auch gleich einige Leute auf „Gefällt mir nicht“ geklickt haben. Bei einem Vier-Minuten-Video, in dem eine junge Frau gut gelaunt und sehr freundlich einfach nur erzählt, wie sie sich die Haare macht. Schnell ein „Gefällt mir nicht“ hingerotzt. Der hab ich`s gezeigt!

Was ist passiert?

Ich muss hier kurz die alte Tante raushängen lassen. Wenn wir früher etwas geschenkt bekommen haben, mit dem sich andere Menschen viel Mühe gegeben haben, dann haben wir uns allein schon wegen der Geste gefreut. Wenn wir das Geschenk doof fanden, haben wir halt nicht damit gespielt. Wir haben dem Menschen nicht entgegengerotzt: GEFÄLLT MIR NICHT UND DIR FEHLEN SÄMTLICHE FÄHIGKEITEN!

Vielleicht haben die Leute einfach vergessen, dass es Menschen sind, die am anderen Ende des Bildschirms sitzen. Menschen, die unter Umständen verletzt sind, wenn sie so unhöflich und respektlos behandelt werden. Nein, Leute, ich rede nicht von mir. Ich bin seit 25 Jahren in den Medien unterwegs, habe Radiosendungen moderiert, Nachrichten gesprochen und viele Artikel in Zeitungen und Magazinen veröffentlicht. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, wenn ich mein Gesicht in die Kamera halte. Und für Raziel kann ich auch nicht sprechen. Aber was ist mit der Generation, die in dieser Rotze eine Persönlichkeit entwickeln soll?

Ich werde das NIEMALS normal finden

Einige von euch werden jetzt vielleicht milde lächeln und sich denken: Was will die Alte denn? Ist doch normal, dass man Likes und Dislikes vergibt und jeder weiß, dass es Hater und Trolle im Internet gibt.

Traurig, dass das inzwischen als „normal“ angesehen wird. Ich werde das niemals „normal“ finden. Ich finde das respektlos, erbärmlich und armselig und was es sonst noch so an Synonymen dafür gibt. Ich habe nichts gegen Kritik, die in ganzen Sätzen formuliert wird und sich auf das Thema bezieht.

Aber ROTZE ist nicht normal und darf auch nicht normal sein. Oder um es im passenden Jargon zu sagen: Einfach mal die Fresse halten und weitergehen, wenn einem was nicht gefällt. Es sind Menschen, die man da beurteilt, keine Pixel.

Ich bin froh, dass ich kein Teenager mehr bin, der bei jedem Schritt bewertet und geliked und gedisliked und beleidigt und angeranzt wird. Wir konnten früher unsere Schritte gehen, ohne ständig das Gefühl zu haben, das wir nicht gut genug sind.

Ein Express-Hawk mit Raziel – Haare geil in 20 Minuten

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Ein anständiger Death-Hawk ist ein wichtiges Element unserer Subkultur. Die durch Toupieren abgewandelte Form der Irokesenfrisur ist in manchen Fällen ein handwerkliches Kunstwerk, für das eingefleischte Gruftis gerne mal über 2 Stunden Zeit benötigen. Jung-Grufti Raziel zeigt den alten Hasen bei Spontis mal, wie man einen passablen Death-Hawk in 20 Minuten stellt. Volumenpuder und anständiges Haarspray vorausgesetzt.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen, auch wenn es natürlich nicht die Perfektion und Standhaftigkeit eines Old-School-Death-Hawks heranreicht. Mone vom Rabenhorst hat diesen Vorgang vor ein paar Jahren für Euch dokumentiert und Orphi einen Deathhawk gestellt.

Haare geil in 20 Minuten

Die selbst ernannte „verrückte Nudel“ Raziel (das ist übrigens ihr richtiger Name) kommt vom Bodenseekreis, lebt zurzeit in Bayern und stellt sich den Death-Hawk seit 2018. Beruflich hat sie mit Frisuren nichts zu tun. Für Spontis hat sie ein Video aufgenommen, das zeigt, wie man sich den Express-Hawk selbst stellt.  Bisher hat sie es noch nicht bereut, in die Szene gerutscht zu sein, auch wenn sich ihr Bekanntenkreis dadurch deutlich verkleinert hat. Für sie war schon als Kind klar, dass sie mal so aussehen und leben will und sie hat dann irgendwann angefangen, ihr „Inneres nach Außen“ zu tragen, wie sie sagt. Wie das aussieht, zeigt sie in diesem Video, das Orphi auch für ihre Eulenförster aufbereitet hat:

Tipps zum Nachbauen

Braucht man eigentlich viel Übung, um sich den Deathawk alleine zu machen? 

Angefangen habe ich mit einem sehr kurzen Haarschnitt, der es mir leicht machte, meine Haare zu stellen. Nach und nach wurde es schwerer, je mehr Haar gewachsen war, aber es wurde nicht unmöglich. Anfangs haben mir Freunde geholfen, bis ich erkannte, wie ich es haben will, und was meine eigenen Tricks und Hilfsmittel sind. Übung gehört definitiv dazu, ich saß manchmal jeden Tag dran um sie „stellen“ zu üben.

Meinst du, die Haare müssen eine bestimmte Eigenschaft haben, oder geht das mit entsprechenden Hilfsmittel bei jedem Haar?

Ich denke, dass man es mit griffigen und lockigen Haaren mit einer Textur leichter hat, einen Death-Hawk zu bauen. Bei mir ist es ein Graus. Ich habe so glatte Haare, dass ich mir manchmal erst mal die Haare kreppe, um Grip reinzubekommen. Ist einfach eine absolute Hilfe beim Stellen. Je mehr Gripp, desto besser und schneller geht die Frise. Ich nutze Haarpuder, um die auch voluminöser zu bekommen, wobei jemand das mit sehr lockigen Haaren eventuell gar nicht braucht. Hier muss einfach ausgetestet werden.

Welche Sachen brauchst du dafür?

Ich brauche Volumenpuder, Haarspray, Haarkleber und einen feinen Kamm. Wer es perfekter machen will, nimmt noch einen Föhn oder auch ein Kreppeisen zur Hilfe. Haarspray ist aber in allen Fällen UNHEIMLICH wichtig. Wascht Euch die Haare einen Tag vorher, damit sie nicht zu fettig und auch nicht zu weich sind. Sonst ist weniger Halt gegeben, wie man oben im Video sehen kann.

Wie lange hält Deine Frisur im Idealfall?

Meine Frise hält normalerweise einen ganzen Abend – ca. 6 Stunden. Hier im gezeigten Video ist der Deathhawk nicht so gelungen, was aber nicht schlimm ist… so ist das eben manchmal… der wäre er mir nach 2 Stunden eingefallen. Aber im Normalfall auf jeden Fall 6 Stunden. Haarspray als Lebensretter immer mitnehmen! Hier ist gute Vorbereitung wie das richtige Toupieren am Ansatz sehr wichtig!

Besucht Raziel auf ihrem Instagram-Account @punkybat und lasst für sie ein Abo da!

Raziel Punkybat

Kanal Signal – Ein nächtlicher Ausrutscher in die Schwarze Szene

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Ich seufze. Mehrfach. „Die Nina ist nämlich heute als Punkerin verkleidet […] und wie ihr seht, ich sehe schrecklich aus…“ Die beiden Augsburgerinnen Nina und Bianca sind engagierte Videomacherinnen, die sich in ihrem Kanal Signal redlich Mühe geben, „innovativ-schräge Videos zu gesellschaftsrelevanten Themen“ zu produzieren. Eine ehrenhafte Absicht und grundsätzliche eine tolle Idee, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, wenn einem die übrige Berichterstattung unzureichend erscheint. Unbeschwert und mutig trauen sich die beiden Mädels daran, ihre Stadt Augsburg und alle möglichen darin befindlichen Unternehmen, Organisationen und kulturellen Einrichtungen vorzustellen. Soweit so gut.

Ehegrufti Orphi Eulenforst hat mir das Video in die Nachrichtenbox gelegt, ohne zu ahnen, in welche Lage sie mich bringt. Ich muss schon wieder seufzen. Ich versuche es, diplomatisch zu lösen.

Es gibt natürlich in so einem Kanal auch Ausrutscher, wie beispielsweise ein Ausflug in die schwarze Szene. Da werfen sich die beiden in schwarze Schale und halten ein paar bereitwilligen Szenegängern in der Rockfabrik Augsburg ihr Mikrofon unter die Nase. Wohlweislich haben sich offenbar einige Interviewpartner verpixeln lassen. Nicht aus der Angst vor Vorurteilen, wie Nina und Bianca vermuten, sondern wahrscheinlich vielmehr wegen der Sorge, wie man nachher dargestellt wird. Nein, über meine schwarzen Lippen kommt jetzt keine vernichtende Kritik. Schließlich möchte man diese jungen Triebe der kreativen Energie nicht im Keim ersticken.

https://youtu.be/1PQFOwj1qxQ

Es ist ja auch toll, wenn man Augsburg auf der Suche nach interessantem und „gesellschaftsrelevantem“ durchstöbert und Dinge wie Nachsorgezentren, Textilmuseen oder Hilfevereine vorstellt. Allerdings sollte man dann die Finger von Szenen lassen, denn die haben in diesem Zusammenhang keinerlei gesellschaftliche Relevanz, sondern sind Schutzräume für Menschen und sind stark von persönlichen Vorlieben und dem Ausleben individueller Lebensgefühle geprägt. Da kann so eine „Verkleidungsaktion“ und ein peinlich-berührter Ausflug in das Augsburger Nachtleben nur in die Hose gehen. Er klärt nicht auf, belehrt nicht über Offenheit und Toleranz und räumt auch nicht mit Vorurteilen auf. Bitte nicht mehr machen.

Stellt bitte weiter Schülertreffs vor, berichtet über #FridaysforFuture und die Pläne über das Augsburg 2040. Da macht ihr Eure Sache wirklich gut. Ein paar bessere Thumbnails für Eure Videos wären schön, aber das nur am Rande.

Ich muss schon wieder seufzen. Liebe Gruftis. Euer Grundgedanke, nichts vor der Kamera zu sagen, ist gut. Ich glaube, wir müssen uns nicht für das x-te Format, das über die schwarze Szene berichten will, definieren. Das kann nur schiefgehen, schließlich ist die Szene ein lebendiger Organismus, der sich stets neu erfindet. Da weiß doch keiner von uns so genau, was eigentlich die schwarze Szene ist. Es ist nicht unhöflich, nein zu einen Interview zu sagen.

Am 19. Februar bei Amazon: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ als 8-teilige Miniserie

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Am 19. Februar startet auf Amazon Prime die 8-teilige Miniserie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo„, die sich als „moderne Interpretation“ der Buchvorlage aus den 70ern sieht, die damals das Leben der Christiane F. in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion um die Drogenproblematik in Deutschland stellte. Ich finde es allerdings fraglich, ob eine solche Neuauflage eine ähnliche Wirkung entfalten kann wie Anfang der 80er, denn Deutschland, Zeitgeist, Drogenkonsum und letztendlichen die Jugendlichen selbst haben sich in den letzten 40 Jahren deutlich verändert.

Die Originale – Buch erscheint 1978 und die erste Verfilmung 1981

Die neue Miniserie steht vor enormer Konkurrenz der Vergangenheit. Das 1978 erschienene Buch von Kai Hermann und Horst Rieck führte damals 95 Wochen lang die Bestseller-Liste, wurde in viele Sprachen übersetzt und verschaffte der Drogenproblematik der späten 70er eine lang verpasste Diskussionsgrundlage in der Öffentlichkeit. Der 1981 erschienen Film zum Buch, erhebt die Geschichte der Christiane Felscherinow zum visuellen Mahnmal einer verlorenen Jugend, die aufgerieben zwischen Zukunftsangst und Hoffnungslosigkeit im Rausch endet, der die Probleme des eigenen Lebens in den Hintergrund rückt. Die ganze Geschichte zum Buch und zum Film findet ihr in meinem Artikel vom Juni 2010 „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo„. Darin auch Informationen, was aus Christiane F. geworden ist.

Zeitgeist und Wirkung

Das Berlin der frühen 80er hat mit der heutigen Hauptstadt nicht mehr viel gemein. Die geteilte Hauptstadt ist damals ein erdrückender Schmelztiegel. Für Kinder und Jugendliche, die in Berlin aufwachsen, ein unwirklicher Ort. Der Film von Uli Edel, der genau in diesem Umfeld gedreht wurde, erzeugt eine beeindruckende Authentizität und vermittelt in schonungslosen Bildern erstmals Zugang zu der bizarren Welt von Jugendlichen, die damals in Berlin leben und der Drogensucht verfallen.

Allerdings trafen Buch und Film auf geteiltes Echo, denn Kritiker befürchteten zu Recht (so stellte sich später heraus), dass es Jugendlichen zum Drogenkonsum animieren könnte. Bei mir sorgte der Film – und im Nachgang auch das Buch – für das exakte Gegenteil. Mit Drogen wollte ich nie etwas zu tun haben.

Neuerzählung der Buchvorlage durch Amazon

Die angekündigte Miniserie mit 8 Folgen möchte die Geschichte der Christiane neu erzählen, dabei soll auch erstmals die 2013 erschiene Buch „Mein zweites Leben“ berücksichtigt werden, in der Christiane über die Zeit nach Original-Buch und Film erzählt. Bisher gibt es nur einen kurzen Serien-Trailer, der nicht viel verrät und nur einen vagen Einblick in die „Neuinterpreation“ geben kann.

Zeitgeist ist nicht wiederholbar

Es gibt Geschichten, die sind unmittelbar mit der Zeit verbunden, in der sie spielen. Daher ist die Miniserie in meinen Augen zum Scheitern verurteilt. Christiane lebt damals in einem geteilten Berlin, sie schwärmt für David Bowie und die Droge Heroin ist in Deutschland gerade auf dem Vormarsch. Die Themen jugendlicher Drogensucht, Beschaffungskriminalität, Prostitution von Minderjährigen waren gesellschaftlich Tabu-Themen, die keinen Platz in der öffentlichen Diskussion fanden und auch in der Politik kaum Gehör fanden.

Das wird daran deutlich, dass man dem Buch, das Kai Hermann und Horst Rieck geschrieben hatten, keine Chancen im Markt gab. Renommierte Verlage lehnten das Manuskript ab. Daher erschienen Teile des Textes zunächst im Magazin Stern. Das Echo war gewaltig, sodass man das Buch 1978 im Stern-Verlag herausbrachte. Allerdings wurden auch hier einige Teile der Originalvorlage entfernt, die Rieck für essenziell hielt. Der Rest ist Geschichte. Das Buch wurde rund 4 Millionen mal verkauft und in 15 Sprachen übersetzt, der 1981 gedrehte Film mit Natja Brunckhorst als Christiane F. wurde zum schockierenden Kino-Hit.

Seit dem sind 40 Jahre vergangen. Die Themen, die damals schockierten, sind längst in die öffentliche Wahrnehmung gesickert. Es gab zahlreiche und noch schockierende Filme über Drogenmissbrauch (wie beispielsweise Trainspotting) und natürlich auch neue Drogen, die bei Jugendlichen großen Anklang fanden. Heroin ist zwar immer noch ein Suchtmittel, aber andere Süchte und auch Drogen sind ebenfalls zu einem, vielleicht sogar noch größeren Problem geworden.

Was beim klassischen Kriegsepos auch nach 80 Jahren mit seinen Helden und historischen Ereignissen funktioniert, wirkt in der Geschichte einer persönlichen Tragödie, wie die von Christiane F., deplatziert. Denn diese Geschichte kennt keine Helden, sondern nur Verlierer. Keine romantische Liebesgeschichte zwischen Christian und Detlef, sondern nur Abhängigkeit und Sucht.

Trotzdem anschauen?

Auf jeden Fall. Denn bisher besteht meine Sicht nur aus Vorurteilen und Erwartungshaltung. Ich wünschte, ich würde mich täuschen und die Miniserie schafft es, zwischen Nostalgiegefühl, Aufklärung und Biografie die bittere Wahrheit zu zeigen (So wie beispielsweise „Chernobyl“ vom Sender HBO) und nicht zu einem schlechten Abklatsch von Trainspotting zu verkommen.

Christiane ist eine Anti-Heldin, die ihre Drogensucht bis heute nicht in den Griff bekommen hat und alles, was das Leben ihr bot, verloren hat. Einschließlich ihres Sohnes, der 1996 zur Welt gekommen ist.

Gruft-Orakel Januar 2021: Der Sukkubus hat Streit mit sich selbst

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Der Sukkubus ist voller Tatendrang. 2021 will die lüsterne Dämonin so richtig loslegen und die Menschen gleich zu Hunderten in ihr Verderben locken. Ein ganzes Jahr hat sie auf ihre Figur geachtet und besonders reizvolle Choreografie einstudiert. Ihr Outfits sind poliert, die langen Krallen gewetzt. Jetzt muss nur noch der Lockdown enden. Sylvester hat sie allerdings leider etwas über die Stränge geschlagen und seitdem Krach mit ihrer gespaltenen Persönlichkeit. Wenn sie das nicht wieder geradebiegt, hat die Männerwelt vielleicht noch mal Glück gehabt.

Alana Abendroth, die Autorin des regelmäßigen Gruft-Orakels und das Team von Spontis wünschen allen Lesern ein frohes neues Jahr. Werwolf, Grableuchte, Vampir, Pflock, Wiedergänger, Sarg, Dämon, Knoblauchzopf, Fangzahn, Ghoul und Fledermaus gucken mürrisch aus den Fenstern ihrer düstern Behausung und schließen sich unseren Wünschen an, während der Sukkubus in ihrem Zimmer hockt und ihre andere Persönlichkeit anschweigt. Alleine schafft sie es auf den hohen Absätzen nicht zum Fenster.

Gruft-Orakel Januar 2021

 

 

Mein schaurig schönes Tagebuch #25: Irgendwo zwischen „Fuck you 2020“ und „Mensch ärger Dich nicht“

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Liebes Tagebuch, ein merkwürdiges Jahr neigt sich dem Ende zu. Allerdings ist das ein rein formeller Akt, denn im Grunde genommen ändert sich ja nicht wirklich etwas. Wenn der Kalender in ein paar Stunden auf die 2021 springt, haben wir immer noch diese doofe Pandemie mit allen seinen Einschränkungen und Unwägbarkeiten, obwohl mit dem Impfstoff ja immerhin der Eindruck entsteht: „Licht am Ende Tunnels wird heller„, das sagte auch unser Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache. Bitte frag mich nicht, warum ich das geguckt habe.

Ich schwanke rückblickend irgendwo zwischen „Fuck You 2020“ und dem Mensch-Ärger-Dicht-Nicht-Gefühl, das ich in meinem Elfenbeinturm durchaus habe. Tatsächlich fühlt man sich doch schon ein bisschen komisch, wenn man dem Jahr 2020 auch etwas Gutes abgewinnt. Ich wollte Dir, liebes Tagebuch, einmal die Gedanken mitteilen, die ich so zum Jahr gesammelt habe,  ganz fernab von den „Bildern des Jahres“, die ich allerdings der Vollständigkeit halber zum Ende des Artikels als Video einfüge. Beginnen möchte ich allerdings mit dem kürzeren Teil. Und ja, ich habe absichtlich ein englisches Video gewählt, weil „Fuck you“ irgendwie geläufiger klingt als „Fick Dich“ und weil es einfach kein ernst zu nehmendes deutsche Video gibt, das diesem Gefühl Ausdruck verleiht.

Fuck you 2020

Wollen wir also zunächst das Gefühl verarbeiten, wie scheiße dieses Jahr war. Oder sagen wir es anders, wie beschissen ich es fand, dass sich ein Corona-Virus ohne zu fragen in den Mittelpunkt gedrängt hat. Keine Festivals und Veranstaltungen, kein WGT, kein Urlaub in England, kein Mittelaltermarkt in Köln, kein Weihnachtsessen mit meiner Familie und auch keine Rückenfit-Kurse im Fitness-Studio. Echt jetzt. Die haben mir wirklich gefehlt.

Fertig. Allerdings sind meine Gedanken noch da, die ich jetzt unsortiert zum Besten gebe, einfach, um sie auch mal aufgeschrieben zu wissen. Zusammenhanglos, ungeordnet und chaotisch. Herzlich willkommen in meinem Kopf.

Meinungshygiene 2020

Es ist ein Jahr der Einsicht, liebes Tagebuch, denn nicht alles, was die Menschen öffentlich von sich geben, ist eine Meinung, die man im Sinne der Meinungsfreiheit ertragen muss. Es war schon teilweise schwer zu ertragen, die Bilder der Verschwörungstheoretiker immer und immer wieder in den Nachrichten zu sehen. Es war erschreckend, wie viele Menschen in sozialen Netzwerke auf Züge aufgesprungen die in Richtung gequirlte Kacke unterwegs waren oder absurde Theorien als Endstation hatten.

Ich habe da gnadenlos Meinungshygiene betrieben. 164 „Freundschaften“ habe ich 2020 bei Facebook beendet. Einfach so. Ohne Ankündigung, ohne Auseinandersetzung. Die, die es gemerkt haben: Tut mir leid, dass ich nicht Bescheid gesagt habe. Ich habe mich einer Diskussion mit Euch entzogen, weil ich keinen Bock hatte zu argumentieren, wenn behauptet wird, dass irgendwo Kinderblut für eine industrielle Elite gesammelt wird, das Bill Gates die Absicht hat, Nanosonden in unsere Körper zu pumpen oder das die Regierung einer Diktatur gleichkommt. Echt jetzt. Das ist keine Meinung, das ist einfach nur Bullshit.

Tatsächlich sehe ich es mit Sorge, wie öffentliche Meinungsäußerung einen Graben zwischen die Menschen treibt. Es gehört für mich zu den Nachteilen des Internets, dass jede Meinung solange geteilt werden kann, bis sie für manche Menschen zu Fakten oder Wahrheiten werden. Ich weiß nicht, ob es ohne das Internet möglich gewesen wäre, tausende „Querdenker“ zu versammeln, die dann im geistigen Delirium durch die Innenstädte ziehen. Hilft ja nichts, liebes Tagebuch, damit müssen wir umgehen. Auch mit der Ambivalenz, dass ich hier meine Meinung in die Öffentlichkeit posaune und mich damit auf eine Seite des Grabens stelle.

Danke Merkel!

Nein, keine Ironie. Es gab 2020 weltweit kaum einen Regierungschef, der ein besseres öffentliches Bild abgegeben hat, wie unsere Bundeskanzlerin. Mutti, wie ich sie liebevoll nenne, hat stets einen souveränen Eindruck vermittelt. Und das meine ich völlig ernst. Allerdings mag ich die Partei nicht, für die sie steht. Sicher, mich regen auch manchen Maßnahmen auf, viele waren schlecht dosiert, ungünstig platziert und nicht durchdacht. Auch das Füllhorn der Finanzhilfen hat nicht immer ins Ziel getroffen. Aber ehrlich, hätte es eine andere Regierung besser gemacht? Grüße gehen an dieser Stelle an die AfD, die sich mit ihren Vorschlägen und ihrer lächerlichen Opposition (Kuss auch an die FDP) ganz von allein in die Ecke der nicht-regierungsfähigen Parteien gestellt hat.

Die Pandemie hat den Takt vorgegeben, nicht unsere Politiker. Und dann muss ich mir die geistigen Dünnbrettbohrer angucken, die bei Demonstration skandieren, sie würden in einer Diktatur leben. Häufig sogar von Menschen, die tatsächlich mal in einer Diktatur gelebt habe. Das will mir nicht in die Birne.

Mutti hat einen kühlen Kopf bewahrt und Deutschland auf gute Weise repräsentiert. Danke Merkel! Ich bin fast ein bisschen traurig, wenn sie das Ruder bald abgibt, denn es gibt in ihrem Fahrwasser niemanden, den ich mir in ihrer Position vorstellen könnte.

Ja, es fühlt sich komisch an, in meiner Hostentaschen-Rebellion als Gothic, als Skeptiker und Systemkritiker und als Liebhaber des Gefühls „ich habe eine andere Meinung“ etwas in dieser Richtung gut zu finden, aber tatsächlich sollte man auch einfach mal zugegeben, dass Rebellion 2020 ein teilweise überflüssiges Gefühl war. Aber ihr kennt das ja, irgendjemand muss ja schuldig sein.

Streaming ist keine Alternative

Streaming ist 2020 eines der wichtigsten Möglichkeiten geworden, uns zu unterhalten. Man hat versucht, ausgefallene Festivals und Diskotheken-Besuche in Form von Streams zu kompensieren, leider häufig erfolglos, wie ich finde. Denn trotz intensivster Bemühungen mancher Organisatoren, ist es eben völlig sinnbefreit zu streamen, wenn irgendwo jemand stumpf Platten auflegt. Als Hintergrundbeschallung kann das durchaus schon mal den Abend vertreiben, das habe ich mehrfach ausprobiert, allerdings ist der Rest überflüssig, weil er einfach nicht genutzt wird. Die Möglichkeiten mit den Hörern in Kontakt zu treten werden häufig sträflich vernachlässigt. Ich glaube, wenn da mehr Interaktion stattfinden würde, wäre das sicherlich auch ein Konzept, was sich über die Pandemie hinaus halten könnte.

Sicher, es ist einfach toll wie aufopfernd manche Leute Streams organisieren und umsetzen, da fällt es mir fast ein bisschen schwer, eine abwertende Meinung zu vertreten, liebes Tagebuch. Aber weniger ist manchmal mehr. Als Alternative für ausgefallene Events taugen Streams allerdings nicht wirklich. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es Künstlern wirklich hilft, wenn sie streamen, dass doch die meisten Einnahmen in den letzten Jahren über Live-Auftritte generiert wurden und nicht über Streaming-Angebote. Der Zuschauer im Netz ist es einfach gewohnt, sich kostenlos berieseln zu lassen. Wenn da ein Künstler wie beispielsweise IamX versuchen, kostenpflichtige Exklusiv-Konzerte zu etablieren, wird das eben kaum genutzt.

Konturloses Dasein im eigenen, inspirationslosen Saft

2020 war ein konturloses Jahr, liebes Tagebuch. Die Monate konnte man nur durch den Kalender unterscheiden, die Jahreszeiten nur durch das Wetter. Das Jahr hatte keine Form, keinen Geschmack und keinen Geruch. Für manchen waren das deshalb die schnellsten 12 Monate und für anderen die langsamsten 12 Monate. Auch für diese Szene war das ein komisches Jahr, denn ohne Gemeinschaftlichkeit auf Festivals, ohne Selbstdarstellung auf Treffen sah sich einige ihren wichtigen Identifikationsgrundlagen beraubt. Ich glaube, für viele war das ein ungotisches Jahr.

Auch hier im Blog gab es weniger zu diskutieren, denn es gab ja deutlich weniger, worüber man reden konnte. Jedenfalls rund um die Szene.

Und offenbar ging es vielen Menschen so. Ursprünglich bin ich davon ausgegangen, dass die Leute nun ihre viele Zeit nutzen, um Projekte umzusetzen und lang aufgeschobenes in die Tat umzusetzen. Doch leider war das Gegenteil der Fall. Ich glaube, liebes Tagebuch, ich habe unterschätzt, wie wichtig Sozialkontakte zwischen Gleichgesinnten manchmal sind. Und da alle irgendwie in der eigenen Suppe köchelten, sitze ich auch im selben Sud. Sachen, die einen interessieren, sind nicht passiert – währende Dinge, von denen ich eigentlich nichts wissen will, mein Hirn verkleistern. So wie diese hier:

Mensch ärgere Dich nicht!

Es war aber auch ein schönes Jahr. Ich war nicht shoppen, musste nicht einkaufen gehen und auch keine Getränke holen. Dafür haben wir jetzt größere Altpapier-Tonnen. Ich konnte die Anzahl unangenehmer Sozialkontakte auf ein Minimum reduzieren und wenn, dann musste ich nur die Hälfte der Gesichter ertragen. Das war schön. Ich hatte viel Zeit für ein lange vernachlässigtes Hobby, das Nerd-Sein. Ich habe 12 Spiele, die ich irgendwann mal angefangen habe, endlich durchgespielt, bin bei Assassins Creed Valhalla auf Level 400 und bei Cyberpunk 2077 im Besitz von 4 epischen, alles zerstörenden Waffen. Darüber hinaus habe ich rund 20 Liter Tränen bei voll traurigen Filme vergossen, bei denen ich bereits x-mal geheult hatte und kam in den Genuss, dass man Kino-Filme jetzt auch zu Hause genießen konnte. Eine tolle Entwicklung!

Und: Ich hatte 2020 die tollsten Leser der Welt! Vielen kamen in den Genuss eines kleinen Dankeschön-Spontis-Magazins 2020, das ich trotz des ausgefallenen Treffens veröffentlichen konnte, weil ihr so fleißig gespendet habt und weil ich auf die Hilfe von Sabrina & Sabrina zählen konnte, ihr seid toll! Ich hoffe, ich konnte Euch damit entschädigen und zumindest eine kleine Freude bereiten.

Ihr habt fleißig kommentiert und E-Mails geschrieben. 904 Mails und 1098 Kommentare sind es geworden. Ich habe versucht, alle zu beantworten. Insgesamt ein tolles Feedback. Dankeschön! Bei mir bleibt ihr von guten Vorsätzen verschont. Bleibt so, wie ihr seid.

Gothic-Treffen Tecklenburg 1991 – Nostalgischer Rückblick mit Organisatorin Sandra

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Vor rund 30 Jahren hat Sandra in Tecklenburg ihr eigenes Gothic-Treffen veranstaltet. Mehr als 150 Leute sind 1991 zur Freilichtbühne in die nordrhein-westfälische Kleinstadt gepilgert, haben sich getroffen, gequatscht, fotografiert und gefilmt und unvergessliche Erinnerungen geschaffen. Sandra ist immer noch Grufti, jedenfalls irgendwie, wie sie sagt, lebt in Lengerich und arbeitet bei Nacht & Nebel Tattoo hauptberuflich als Tätowiererin. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, wie ihre Beziehung mit der Gothic-Szene begann und wie es mittlerweile so läuft, und wie das damals war, ein solches Treffen zu veranstalten.

Wie hat denn das alles für Dich angefangen mit der Szene?

Der Auslöser war so um 1985/86. Ich lief durch die Innenstadt von Ibbenbüren, wo ich damals zur Schule ging und mir kamen zwei unfassbar krass aufgestylte Damen entgegen. Die Haare gefühlt kilometerhoch aufgestellt, wallende schwarze Klamotten, viel silberner Schmuck und ein irres Make-up dazu. Ich war geflasht und sofort verliebt!

Sandra 1991Ich wusste bis dahin nichts über diese Szene und diese Begegnung war für mich der Auslöser, danach zu suchen, herauszufinden, was da los ist. Und das war ja zu der Zeit nicht gerade leicht, so auf dem platten Land, ohne großartige Kontakte und Möglichkeiten. Irgendwann kam eins zum Anderen und ich lernte eine der beiden Damen zufälligerweise kennen, als ich schon ein Beinchen in der schwarzen Szene hatte und so um 1987/88 rum in den lokalen Diskotheken abhing. Meine damalige beste Freundin schleppte mich immer mit zur „Independance Night“ im JuZ Scheune und Waveparties ins Roxy in Ibbenbüren und so kam das alles nach und nach zustande.

Dadurch kam ich dann immer öfter auf Partys in der Umgebung und lernte schnell immer mehr Leute kennen, die Freunde wurden und für mich eine zweite Familie, eine Wahlfamilie wurden und mir das Gefühl gaben, endlich angekommen zu sein. In meiner „richtigen“ Familie war das damals nicht möglich, aber das ging wohl vielen in der Szene so, glaube ich.

Kurz darauf war ich dann auch schon in den bekannten Clubs unterwegs und zu Hause:

Zwischenfall Bochum, Lurie in Bochum, PC69 in Bielefeld, Kick in Herford, FlaFla/Spunk Herford, Schlachthof Bremen, Schacht 8 Marl, Old Daddy Oberhausen, Fabrik/New York Coesfeld oder auch im Hyde Park/Subway Osnabrück

So ziemlich jedes Wochenende fuhr man mit seiner Clique irgendwo hin und dazwischen haben eben jene Freunde eigene Partys im Osnabrücker Umland veranstaltet: Im Unicum und Works in Osnabrück und in einer Kaschemme in Mettingen, die einen Festsaal hatte: das Mephisto. Das waren wirklich richtig gute und familiäre Partys, die nachhaltig hängengeblieben sind.

1991 hast du zusammen mit Deinen Freunden ein Gothic-Treffen in Tecklenburg veranstaltet, das durch zahlreiche Videos und Bilder stets in Erinnerung der Teilnehmer geblieben ist. Wie kam es überhaupt dazu, ein Treffen zu veranstalten?

Sagen wir so: Es war eine buchstäbliche Schnapsidee. Wir waren mit der Clique unterwegs zu einer Party, ich weiß gar nicht mehr, wohin. Einer von uns hatte sich für solche Zwecke den VW-Bus seines Vaters geliehen und mit einer Busladung voller schwarzer Gestalten sind wir dann losgedüst. Unterwegs ging es auch um das Domplattentreffen und ich meinte, wir sollten so was doch einfach mal hier bei uns veranstalten. Eine passende Location kam mir sofort in den Sinn: die Freilichtbühne in Tecklenburg! Das war mein Kinderspielplatz, ich bin im Grunde genommen dort aufgewachsen. Wir wohnten in den 70ern bis Anfang der 80er gegenüber des Haupttores, meine Eltern hatten damals dort ein Restaurant. Jede freie Minute da verbracht, Sommer wie Winter.

Grufti-Treffen in Tecklenburg 1991Da die Freilichtbühne aber während der Saison auch als solche genutzt wird, kam ein Treffen nur außerhalb dieses Zeitraums infrage. Um es möglichst gruftig zu machen, entschieden wir uns für den Karfreitag 1991. Der Plan fand große Zustimmung und wir haben gleich angefangen, das Treffen gemeinsam zu organisieren.

Damals gab es keinerlei neumodischen Kram wie Internet und Smartphones, wie habt ihr die Leute damals eingeladen und auf das Treffen aufmerksam gemacht?

Flyer vom Treffen in Tecklenburg 1991Sowas machte man damals über Mundpropaganda auf den Partys, die man besuchte oder auch durch klassische Telefonanrufe bei Leuten, die man kannte. Natürlich gab damals kein anständiges Treffen ohne einen Flyer. Den habe ich mit Tusche und Feder von Hand gezeichnet. Jeder aus unserer Clique hat den dann durch diverse Kopierer gejagt, auf Partys verteilt oder auch die Bekannten geschickt, damit diese den in ihrer Clique verteilen konnten.

Wie muss man sich dein Treffen vorstellen? Gab es Bands, Musik und Merchandise?

Keine Bands, keine Händler oder irgendwas in der Art, nein. Es war eine reine Zusammenkunft von Leuten aus der schwarzen Szene. Wir haben vorher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jeder sich etwas zu trinken und zu essen mitbringen muss. Einige brachten Kassettenrekorder mit, damit wir auch etwas Musik hatten. Allerdings recht leise, denn schließlich war ja Karfreitag und eher als Hintergrundbeschallung.

Wir haben einfach zusammengesessen, geredet, Blödsinn gemacht und uns gegenseitig fotografiert oder sogar Video voneinander gemacht. Eins davon hast du ja auch hier im Blog vorgestellt.

UPDATE: Ein anderes Video hat mir Klaus auf dem Postweg zukommen lassen, vielen Dank dafür!

Als Andenken hatte ich allerdings noch was spezielles vorbereitet, einen Aufkleber! 1991 war ich gerade in meiner Lehre zur Schilder- und Lichtreklameherstellerin und dort hatten wir auch eine Siebdruckabteilung. Da habe ich dann eine Druckvorlage für Aufkleber erstellt. So richtig schön oldschool per Hand aus Druckfilm geschnitten und mit der Reprokamera vervielfacht, um damit später das Sieb zu belichten, falls das jemandem was sagt. Zu guter Letzt habe ich die Aufkleber dann auch noch selbst gedruckt. Die haben wir dann unter den Teilnehmern verteilt.

Die meisten Leute haben dann noch ihre Abendplanung besprochen, denn alle wollte gerne noch irgendwo feiern gehen. Ich bin mit meiner damaligen Freundin ins FlaFla nach Herford gefahren, aber als wir da irgendwann mal eintrudelten, war die Party fast vorbei und noch genau eine Flasche Herforder zu kriegen.

Klingt merkwürdig, dass man Leute ganz ohne Musik, Bands, Bühnen oder Rahmenprogramm dazu animieren konnte, so weite Strecken zu fahren. Was meinst du, warum hat man sich damals in dieser Form getroffen? 

Ich denke, das war einfach noch der damalige Zeitgeist. Internet war ja in der Form nicht vorhanden, also auch keine Social Media Plattformen, da konnte man sich eben nur analog austauschen. Und das funktionierte durch solche Treffen oder auf Partys.

Die Szene war ja durchaus noch überschaubarer als heute und auch homogener. Man kannte zwar viele Leute oft auch nur vom Sehen her, aber irgendwie wusste man, wer da wer ist. Auch Telefonflatrates gab es nicht und die meisten Haushalte verfügten nur über einen Telefonanschluss, da hat man viel Zeit damit verbracht, sich einfach nur so zu treffen, manchmal bei jemandem zu Hause und manchmal an öffentlichen Plätzen. So kam man auch für das Domplattentreffen zusammen und hatte da endlich die Möglichkeit, viele Leute aus der Szene zur selben Zeit am selben Ort zu treffen und sich auszutauschen.
Grufti-Treffen in Tecklenburg 1991

Man kannte ja Leute aus dem ganzen Land und die hat man natürlich nicht dauernd sehen können. Also waren solche Treffen eine willkommene Gelegenheit dafür. Viele sind mit Fahrgemeinschaften angereist, und übernachteten dann bei Freunden vor Ort und sowas. Das war ganz selbstverständlich.

Warum ist das heutzutage verloren gegangen?

Heute wird das alles ja schon sehr von den Möglichkeiten der Kommunikation entzaubert. Man kann ja zu jeder Tageszeit von jedem ganz leicht erfahren, was in dessen Leben so vor sich geht. Das war damals nicht so. Da konnte man bei solchen Treffen wirklich den ganzen Tag labern, ohne dass einem langweilig wurde. Man hatte immer was zu erzählen von dem, was man so in letzter Zeit erlebt hat und hat Planungen für zukünftige Partys, Konzertbesuche oder andere Aktivitäten gemacht.

Heute würde das so kaum noch funktionieren. Die Form der Kommunikation hat sich grundlegend geändert und die Erwartungshaltung an solche Treffen. Würde man sowas nochmal aufziehen, würde jeder sofort fragen, was für Bands spielen, ob man vor Ort was an Klamotten kaufen kann und so weiter. Ich denke, es wäre den meisten Leuten zu langweilig, sich einfach irgendwo hinzusetzen, zu reden, rumzualbern, dabei was zu trinken und Musik zu hören.

Wenn man damals gesagt hat: „Lasst uns doch an Tag XY da und da treffen und n bisschen abhängen!“ hat keiner gefragt, was man dann den ganzen Tag machen soll. Man hat’s gemacht. Und man hatte Spaß dabei.

Wie viele Leute sind denn letztendlich zu deinem Treffen in Tecklenburg gekommen?

Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Das verteilte sich in einem stetigen Kommen und Gehen über den Tag verteilt. Vielleicht 150-200 Leute? Es fühlte sich recht klein, aber fein an. Außerdem darf man nicht außer Acht lassen, das es echt saukalt war, obwohl wir grundsätzlich Glück mit dem Wetter hatten. Doch das erstaunlichste war: Die Leute kamen tatsächlich von überall her! Ich hatte nicht damit gerechnet, dass das doch so weite Kreise ziehen würde, eigentlich dachte ich eher, wenn, dann kommen höchstens welche aus der Umgebung. Aber auch aus dem Ruhrgebiet, Raum Bremen, Bielefeld und teilweise Berlin kamen welche dazu und ich war echt baff, dass das so klappte!

Stichwort geklappt. Ihr habt Euch ja in der Öffentlichkeit getroffen und damals war so eine Ansammlung merkwürdiger Gestalten sicherlich auffällig. Gab es Probleme?

Nein, es war richtig schön. Alle waren wirklich darauf bedacht, keinen Stress zu machen oder irgendwelche Spaziergänger zu provozieren, die sich an diesem Karfreitag rund um die Freilichtbühne die Füße vertraten. Und da gab es natürlich einige, die uns gegenüber auch extrem, sagen wir mal vorsichtig, skeptisch waren. Zweimal kam sogar die Polizei dazu, die mal „nach dem rechten“ schauen wollte, offenbar von irgendwelchen Anwohnern gerufen. Aber selbst die waren ganz erfreut darüber, wie friedlich und stressfrei wir da waren. Wir hatten sogar Müllsäcke dabei und haben alles eingepackt und mitgenommen, quasi keine Spuren hinterlassen.

In einem alten, zugeschütteten Brunnen neben der Bühne war ein Gitter in etwa einem Meter eingelassen, dort haben ein paar Leute Äste aufgeschichtet und ein kleines Lagerfeuer gemacht, weil man sich später, als es dämmerte, langsam wirklich den Hintern abgefroren hatte. Selbst das wurde später mit Getränken gelöscht.

Ein paar Tage später wurde in der Lokalpresse behauptet, wir hätten randaliert, Vorgärten zertrampelt und solche Geschichten. Was natürlich nicht stimmte. Später stellte sich heraus, dass zur gleichen Zeit in der Nähe ein paar Biker campiert hatten und die waren im besoffenen Kopf dort unterwegs und hatten rumrandaliert. Vermutlich war es einfacher, erst mal wieder die bösen „Satanisten“ zu beschuldigen.

In den frühen 90ern steckten Gothic-Treffen noch in den Kinderpikes. Das WGT war noch nicht geboren und auch sonst traf man sich damals eher auf Festivals, die noch nicht mit dem Stempel „Gothic“ versehen waren. Gab es damals wichtige Treffen, die Dir vielleicht auch Inspiration zum Treffen in Tecklenburg geliefert haben?

Das Domplattentreffen, ganz klar! Das war ein absoluter Höhepunkt und die Reise wert!
Sonst gab es mal vereinzelte kleine Treffen, wie zum Beispiel in Berlin, wo ich damals auch war, ich glaube auch 1991 oder ’92, bin mir aber nicht mehr ganz so sicher. Zum Wave-Gotik-Treffen in Leipzig bin ich nur zweimal gefahren, beim Zweiten und Dritten. Aber seitdem zieht mich da nichts mehr hin.

Warum hast du dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig den Rücken gekehrt?

Es ist mir zu kommerziell. Schaulaufen und permanente Bespaßung an allen Ecken, viel zu viele Menschen auf einem Haufen für meinen Geschmack und diese Kostümierten, die sich da in den Jahren massiv reingeschummelt haben. Dann von einem Veranstaltungsort zum nächsten Hetzen, um interessante Konzerte nicht zu verpassen, die sich zeitlich überschneiden. Mir ist das alles zu viel und es würde mich mehr anstrengen, als dass ich das irgendwie genießen könnte.

Sicher, auch auf dem WGT kannst du dir deine Nischen und Cliquen suchen, aber das ist ja auch irgendwie so ein Ding von sich-ein-Refugium-suchen, damit man wieder unter seinesgleichen ist. Eben so, wie früher, nur ohne Zeitgeist oder Atmosphäre, die ein Treffen mit 50 Gruftis auf der Freilichtbühne in Tecklenburg hatte.

Ich brauche kein schwarzes Disneyland. Ich mag kleine, dunkle Clubs, vernebelte Tanzflächen, gute Musik und keine Gaffer und Partytouristen.

Könntest du dir vorstellen, noch einmal solch ein Treffen zu veranstalten? 

Nein. Das war damals eine einmalige Sache und ich glaube, die würde so auch heute gar nicht mehr funktionieren. Das fängt damit an, dass viele Leute sich nicht mehr gerne auf so was festlegen und eher spontan absagen oder gar nicht kommen würden, das sieht man ja leider schon alleine auf Partys. Das Wave-Gotik-Treffen ist da sicher noch was anderes, weil einfach ein völlig anderes Konzept.

Fühlst du dich immer noch zugehörig und würdest dich selbst noch als Grufti bezeichnen?

Irgendwie schon. Ja und nein. Meine Anfänge liegen Mitte der 80er und mein Herz gehört da auch immer noch hin. Allerdings ich bin mittlerweile nicht mehr so aktiv in der Szene unterwegs. Bis vor zwei Jahren habe ich auch in Clubs hier in der Gegend noch aufgelegt, aber auch das habe ich mittlerweile an den Nagel gehängt. Das hat aber eher etwas damit zu tun, dass meine Arbeit einfach zu zeitintensiv ist und ich das nicht mehr alles unter einen Hut bekam. Und ich wollte das nur machen, solange es mir Spaß macht, aber das wurde dann halt irgendwann einfach nur noch anstrengend.

Grufti-Treffen in Tecklenburg 1991

Das Treffen in Tecklenburg wird 30 Jahre alt und trotz der Veränderungen in Deinem Leben bist du der Szene auf die ein- oder andere Weise treu geblieben. Was würdest du sagen, wie hat sich die Szene im Laufe der Jahre verändert?

Da muss ich persönlich erst mal tief seufzen und etwas traurig gucken. Für mich hat sich da leider sehr, sehr viel zum Negativen verändert und das finde ich auch unglaublich schade. Man kann sich zwar heute noch so seine Nischen suchen, in denen man sich wohlfühlen kann, aber dieses Gemeinschaftliche, was damals noch recht stark war, das vermisse ich heute sehr. Es hat sich alles in so viele kleine Gruppen aufgesplittet. Viele Dinge, die für uns Tradgoths so gar nicht in die Szene passen, haben sich im Lauf der Jahre reingemogelt und alles aufgemischt und dazu gebracht, sich zu spalten.

Nun kann man sagen: Klar, Stillstand ist der Tod! Entwicklung ist normal und muss auch sein!

Jein. Ich kann ja nur für mich sprechen. Aber das, was ich damals in der Szene gefunden habe, wofür ich sie auch geliebt habe, das ist heute kaum noch in der Form vorhanden. Vielleicht ist das auch für die nachfolgende Generation schwer nachzuvollziehen. Alleine die Atmosphäre damals in den 80ern bis Mitte der 90er war eine völlig andere als heute. Da war Sadness wirklich noch Rebellion.

Es war nicht alles besser, das will ich gar nicht behaupten, es war einfach anders. Es war gefühlt wärmer, heimeliger, mehr eigene Welt und inniger. Manche Freunde von damals sind auch noch heute meine Freunde. Es verband einen etwas, was man heute nur noch schwer findet. Da war eine Art Gleichklang untereinander.

Natürlich gab es auch da negative Dinge. Aber ich kann für meinen Teil nur sagen, dass die positiven Seiten deutlich überwogen. Und das war zu einem ganz großen Teil vor allem der Zusammenhalt untereinander, den ich heute nur noch sehr selten so sehe.

Mir bleibt die Erinnerung an die schönen Zeiten, die ich da hatte, verbunden mit der Musik, die ich immer noch liebe. Und wenn ich manchmal auf Partys zu den alten Klassikern tanze und die Augen schließe, ist es wieder da, das Gefühl.

Sandra Schulz

Doku: New Model Army – Galionsfiguren des Independent werden auch 40 Jahre alt

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Auch die New Model Army, die englische Verkörperung des Genre Independent, wird 40 Jahre alt. Der WDR Rockpalast zeigt anlässlich des Band-Jubiläums die Dokumentation „From Here – 40 Jahre New Model Army“ von Oliver Schwabe und beleuchtet auf angenehm zurückhaltende Art die Geschichte der Band um Frontmann Justin Sullivan. Eine Band, die nie erfolgreich sein wollte und ihre Chartplatzierungen wohl eher als Ausrutscher sieht.

Die nach Oliver Cromwells republikanischer Revolutionsarmee benannte Band New Model Army komponierten Hymnen, die tief in die DNA eines alternativen Publikums eingedrungen sind und einen Band-Kult kreiert haben, der die Band auf den Zenit eines ganzen Musik-Genres erhebt. Independent. Musik, so sagt das Lexikon, die unabhängig vom Zeitgeist neue und eigenwillige künstlerische Wege beschreitet. 1985 räumten die Briten mit dem Vorurteil auf, Independent funktioniere nur auf kleinen und eigenen Labels, denn auch beim Major-Label EMI blieben sie ihrer Musik und ihren Ansichten treu.

Im Radio werden sie vielfach ignoriert, der Mainstream fließt an ihnen vorbei. Sich von dem introvertierten Sullivan erzählen lassen, was Gerechtigkeit ist? „Rache“ als Album-Titel? Das war vielen Konservativen Medien dann doch ein bisschen zu heikel. „Die USA verweigern New Model Army sogar ein Arbeits-Visum wegen „mangelndem künstlerischen Potential“. Ihr könnt Euch denken, welchen Song die Briten daraufhin veröffentlichten.

Mir begegnete die Band tatsächlich zunächst über ihre erfolgreichsten Stücke, die während meiner Jugendfreizeiten in Norwegen und Jugoslawien zwischen 1986 und 1990 zu meiner melancholischen Früherziehung beigetragen haben. Neben „Music for the Masses“ gehörten die Alben „Thunder and Consolation“ und „Impurity“ zu den durchgerocktesten CDs in meiner Sammlung. Ich glaube „Thunder and Consolation“ habe ich mir 3-mal gekauft. Die erste habe ich verliehen und nie wieder zurückbekommen und die Zweite habe ich im Autoradio vergessen, als mein erstes Auto, einen VW Derby, nach Bayern verkauft habe.

New Model Army wollten zwar von ihrer Musik leben, aber nie erfolgreich sein. Dass ihre Mischung aus Rock, Folk und keltischen Balladen immer noch Bestand hat, ist wohl dieser Tatsache geschuldet. Von ihren Fans wegen ihrer Beständigkeit und Unangepasstheit auf teils absurde Weise verehrt. Das Zitat von Justin Sullivan auf der Seite des WDR bringt es auf den Punkt:

Wir waren kurz davor, eine richtig große Band zu werden. Aber wir sind es nie geworden. Einfach, weil wir nicht wollten. Die Leute fragen immer, was da schiefgelaufen sei. Und ich kann nur sagen: „Ich finde eher, dass wir vieles richtig gemacht haben.“ In dem Sinne, dass wir immer noch hier sind. Wir können machen, was wir wollen, wann wir wollen, wie wir wollen. Besser kann es gar nicht sein. OK, wir hätten mehr Alben und Konzert-Tickets verkaufen können, na und? Das macht doch keinen Unterschied.  Justin Sullivan

 

Grauzones Eisbär wird bald 40 – Ob er immer noch nicht weinen muss?

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Eines der zeitlosesten Stücke einer Ära, die als „Neue Deutsche Welle“ in die Musikgeschichte einging, ist der Song „Eisbär“ den die schweizerische Band Grauzone 1981 als Single herausbrachte. Nächstes Jahr wird das Lied 40 Jahre alt und anlässlich dieses Jubiläums gibt es das ganze als besondere Neuauflage in einer „Limited Edition 40 Years Anniversary Box„.

Unbequem utopisch

Eigentlich wollte „Eisbär“ nie so richtig in den fröhlich-albernen Sound der Neuen Deutschen Welle passen, denn nicht nur sein Text ist traurig und dystopisch, sondern auch die Musik klingt trotz ihrer Tanzbarkeit eher düster und irgendwie trist. Ich selbst empfinde den Song in jeder 80er Playlist als geliebten Störenfried, wenn er zwischen Fräulein Menkes Bergen und UKWs Sommersprossen die Stimmung so angenehm nach unten zieht. Er gehört da einfach nicht hin. Und ganz ehrlich? Das ist auch gut so, denn nicht alles, was damals in Deutsch gesungen wurde, war so belanglos und leer, wie es die NDW-Retro-Welle, die immer wieder durch Fernsehsendung und Party-Zelte schwappt, suggeriert.

Bereits zum 30. Geburtstag hatte man dem Eisbär aufgebmöbelten Sound und ein passendes Video spendiert, zum 40. Geburtstag bringt man dann eine ganz spezielle Sammlerbox heraus. Zum damaligen Geburtstagsvideo schreibt das Label mital-U:

Das Video zeigt auf, dass der Versuch eines Eisbärs der Tristesse seines Daseins zu entkommen, zum Scheitern verurteilt ist — seine Flucht ist eine Kreisbewegung, die ohne Erlösung auskommen muss. Die Flucht zu vermeintlich paradiesischen Zuständen (‚unberührte Arktis‘, die Stadt als Ort der Kultur und der Kommunikation) werden als illusorische Utopien aufgezeigt.

Da ich weiß, dass einige Leser die Band immer noch verehren, möchte ich darauf hinweisen, dass die Box auf 1000 Stück limitiert ist und wie bereits ähnliche Veröffentlichungen zum 30. Geburtstag bestimmt schnell vergriffen ist. Hier kann man sie für 55€ vorbestellen. Inhalte der „Limited Edition 40 Years Anniversary Box“:

  • Neuauflage des Original-Albums (Doppel LP, 180g Vinyl)  von 1981 und allen anderen Songs aus der Grauzone Discography. Garniert wird das mit den Texten des Original-Albums und handgeschriebenen Anmerkungen von Musik Historiker Lurker Grand.
  • Grauzone Live LP (aufgenommen am 12. April 1980 im Gaskessel in Bern)
  • 80-seitiges Fanzine mit der Geschichte von Grauzone, vielen noch nie veröffentlichten Bildern und Inhalten anderer Künstler
  • Grauzone Poster (60x90cm Nachbildung des Konzertflyers für einen Auftritt im Spex (Bern) am 25. Oktober 1980

Grauzone Eisbaer Cover

 

Wochenschau: Die schwarze Szene kehrt zurück in den (virtuellen) Untergrund

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Es konnte ja keiner ahnen, dass das alles so scheiß lange dauert! Halten wir fest. Eine Szene, die dank einer Pandemie fast vollständig aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden ist, findet auch nicht statt. Deswegen hat es jetzt eine gefühlte Ewigkeit bis zur aktuellen Wochenschau gedauert, die ja aufgreifen soll, was über die Szene und ihre Protagonisten berichtet wird und was sonst relevant erscheint. Ohne Veranstaltungen und Festivals ist es still um die Szene geworden, die Gruftis sind wieder im Untergrund verschwunden. Jedenfalls für die öffentliche Wahrnehmung. Im Netz toben sich die Gruftis dann aus und bevölkern Facebook und Instagram in nie dagewesener Intensität. Allerdings scheint sich auch hier eine Art von Müdigkeit einzuschleichen, weil man es wohl satt hat, sich nur virtuell auszuleben. Auch wenn ich hoffe, dass die Pandemie bald vorbei ist, wäre es doch spannend zu sehen, was ein noch längerer Verzicht auf soziale Interaktion mit den Subkulturen macht. Letzten Endes sind dann auch die Gruftis, die ja angeblich lieber in Ruhe gelassen werden wollen, Herdentiere und wollen wieder zusammen auf der schwarzen Wiese grasen.

Battle of the Bands – Sonic Seducer Newcomer Contest 2020

Beim Sonic Seducer läuft zur Zeit die Abstimmungsphase zum „Newcomer Contest 2020“. Die gewinnende Band erhält neben Promotion und Hilfe bei der Suche einer Plattenfirma auch Sachpreise. Von der Band „Mängelexemplar“ aus Düsseldorf wurden wir durch überschwängliche Freundlichkeit dazu gezwungen, eben diese Band „Mängelexemplar“ zu unterstützen und unsere Leser dazu zu bringen, mir gleichzutun. Doch auch abseits davon sind „Mängelexemplar“ eine minimalelektronische Perle aus Düsseldorf, die es einfach mal verdient hätten, auch über den Tellerrand einer kleinen, eingeschworenen Ruhrgebiets-Clique wahrgenommen zu werden.

Und natürlich: Auch die anderen 29 Bands haben etwas zu bieten und der Sonic-Seducer hat mit dieser Aktion wieder einmal eine feine Idee gehabt, die es zu unterstützen gilt. Also teilnehmen und bis zum 31.01.2021 abstimmen!

Tim Burton Bringing The Addams Family Back to TV | Consequence of Sound

Jetzt kommt zusammen, was zusammen gehört. Tim Burton, Großmeister gruftiger Filme, möchte die Addams Family in einer neuen TV-Serie zum Leben erwecken. „The Addams Family will soon welcome a very fitting guest: Tim Burton. According to Deadline, the veteran Gothic filmmaker is heading to television for the first time ever for a new live-action adaptation of America’s spookiest family.“ Wir hoffen, das alles so gelingt, wie er sich das vorgestellt hat.

The wurst is over: why Germany now loves to go vegetarian | The Guardian

Wie die englische Zeitung mit einer herrlichen Schlagzeile berichtet, ist der Fleischkonsum in Deutschland, dem Land der „tausend Würstchen-Variationen“ rückläufig: „Carried out by teams of researchers from Berlin, Bath and Franche-Comté in eastern France, it found that out-and-proud omnivores, those who eat meat without any restrictions, are for the first time a minority in Germany. Around 42% of those questioned said they were deliberately reducing their consumption of meat in some form, by keeping to a diet that was either vegetarian, vegan, pescatarian or “flexitarian”, meaning centred around plant food with the occasional piece of meat on the side.“ Spannend, wie die ausländische Presse die Vegetarier und Veganer hierzulande wahrnimmt.

„Spotlight“ vs. „Zeitgeist Vol. 13“: Hier ist was los | unter.ton

Daniel von unter.ton gibt es zwei frische Sampler auf den musikalischen Weg, die uns Gothic 2020 wieder ein bisschen näher bringen könnten. Schließlich fühlt es sich dank Pandemie ein bisschen so an, als hätte man den Faden und den Anschluss verloren: „Seit einigen Jahren präsentieren M’era Luna, Amphi und Konsorten ein musikalisch durchaus vielschichtiges Programm, allerdings ohne den großen Überraschungseffekt. Alles geht seine geregelten Bahnen; man setzt auf bewährte Gassenhauer, die aber selbst schon über den Gothic-Tellerrand blicken und gar nicht mehr so repräsentativ sind für die eigentlichen subkulturellen Vorgänge. Denn da hat sich seit einigen Jahren eine feste Post-Punk- und Cold-Wave-Szene etabliert, die es zu entdecken gilt.“

„Once a goth, always a goth“: Grace Dent über ihr Liebe zu Schwarz | The Guardian

Wo wir gerade in „The Guardian“ stöberten, stolperte ich über das Lippenbekenntnis von einer gewissen Grace Dent, die zwar nun einen äußerlich anderen Lifestyle prägt, im Herzen aber immer Goth geblieben ist: „By the age of 13, I’d begun ruining my mother’s best saucepans while dyeing things black with 001 Dylon. I loved Patricia Morrison, who played bass guitar with the Sisters Of Mercy, and Grace Jones as May Day in A View To A Kill. I loved Winona Ryder in Heathers and Brix Smith from the Fall. My wardrobe grew more crypt-like. Shopping in Chelsea Girl and MK One I’d head towards the pleasingly muted rails of black ruched skirts, black Spandex trousers and black-lace Stevie Nicks dresses.“ Schöner Artikel.

Verzweifelte Metalheads und Punks auf der Suche nach der großen Liebe | The Guardian

Es ist ein herzerweichender Artikel. In den Frühzeiten der Subkulturen gab es noch keine sozialen Netzwerke und Dating-Seiten, die einem den subkulturellen Partner fürs Leben offenbarten. Daher gab es bis in die späten 90er die Rubrik „Einsame Herzen“ in zahlreichen Musik-Magazinen, mit denen sich subkulturelle Einsame auf die Suche nach ihrem Gegenstück machen konnten. Der Guardian zeigt einige Anzeigen von damals und suchte die Leute von damals um zu sehen, wie es ihnen heute geht. Toller Artikel! (Danke Carmen)

Me and my mates were all heavy metallers, punks and skinheads, going to the youth club, trying to get off with girls, and going to Dublin to buy records when we could afford them. I used to make money painting band logos on the back of leather jackets. For a laugh, I took a photo of myself in a Woolworths photo machine and wrote that stupid ad. I got bags of letters from all over the world. I’m still in touch with a couple. There was a Scottish girl who came over to stay with us in 1983 and ended up just hanging out with my sisters.

Arecibo Observatorium eingestürzt | Heise

Erinnert ihr Euch noch an SETI@Home? 1999 Kam die Universität von Berkley mit der Idee um die Ecke, die Rechenleistung vieler Home-Computer zu nutzen, um bei der Suche nach außerirdischer Intelligenz schneller voranzukommen. Dabei wurden die riesigen Datenmengen des Radioteleskops Arecibo in kleine Stücke zerteilt, die sich ein Client herunterlud, um sie dann während der Zeiten, in denen der Home-Computer zwar lief aber nichts weiter machte, nach Mustern zu suchen. Die erbrachte Rechenleistung war enorm und zeigte eindrucksvoll, wie effektiv verteiltes Rechnen sein konnte. Nachdem das Projekt im März 2020 eingestellt wurde, zeichnet jetzt der Einsturz des zweitgrößten Observatoriums der Welt einen weiteren dunklen Punkt im Bestreben der Menschheit, den Weltraum zu erforschen. Wenn Wissenschaft nicht im Dienst der Industrie steht, so mein Eindruck, ist sie nicht von Interesse.

Augenzucker: Mit dem Fixie durch New York | KFMW

Rücksichtlos und sehr gefährlich! Aber auch irgendwie schön anzusehen, New York auf diese Art und Weise zu entdecken. Nicht nachmachen! (Ein Fixie ist übrigens ein Rad ohne Gangschaltung, Freilauf oder Bremsen – eigentlich gemacht für die Rundstrecke, um dort Rennen zu gewinnen.)

Augenzucker: Fastest Moving Tornado | Pecos Hank

Ich finde Naturgewalten erschreckend eindrucksvoll. Machen sie uns doch deutlich, wie unwichtig und klein wir sind und wie wichtig es ist, mit der Natur im Einklang zu leben. Tornados verströmen eine ungewollte Faszination auf mich aus und Pecos Hank, ein YouTuber aus den USA, ist ein Sturmjäger der diese Ereignisse in umwerfenden Bildern einfängt. Dazu kommen noch jeder Mengen Informationen und musikalische Untermalung. Augenzucker, die Zweite.

In eigener Sache

Auch wenn die Wochenschau 2021 möglicherweise wieder mehr Input erhält, möchte ich die Inhalte ein wenig anpassen. Deshalb schreibt mal gerne in die Kommentare, was ihr von einer Wochenschau erwarten würdet. Mehr Videovorstellungen von Vloggern? Mehr oder weniger internationale Links? Mehr Klatsch und Tratsch? Die Themen der Wochenschau lieber als einzelne Artikel? Ich freue mich über konstruktives Feedback.