Wochenschau: Generation Arschgeweih und Goth-Culture nur noch im Internet

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Nach 14-jähriger Bandpause sind die No Angels wieder zurück auf der Bühne. Tatsächlich gestehe ich hiermit vor rund 21 Jahren „Popstars“, die Casting-Show aus der sich die Band zusammensetzte, verfolgt zu haben. Warum? Habe ich verdrängt. Ich vermute eine ausgeprägte Sinnsuche als Mitt-Zwanziger, der irgendwo zwischen Loveparade und Thunderdome Anschluss suchte und dabei eigentlich immer noch heimlich Gothic hörte. Die No Angels (bis auf Vanessa) waren jetzt mit einer Neuauflage ihres damaligen Hits „Daylight in your Eyes“ beim Silbereisen und seinen „Schlagerchampions 2021„. Das erinnert mich irgendwie an Unheilig, von denen ich damals auch eine CD im Regal stehen hatte und für dessen Existenz der selbigen man vor ein paar Jahren Hausverbot im schwarzen Universum kassierte. Ich bin froh, der Absprung geschafft zu haben! Jetzt sitze ich hier, mache die Wochenschau fertig und rede mir ein, in Würde gealtert zu sein und frage mich trotzdem, wie es die 4 Idole der Generation „Arschgeweih“ es geschafft haben, 20 Jahre so spurlos weggewischt zu haben. Ich nehme die falsche Cremé. Bestimmt.

Necronomicon in Ägypten endeckt – Ancient „Book Of The Dead“ scroll found in egyptian tomb | WIRE (englisch)

Wer erinnert sich nicht an das Necronomicon, das legendäre Buch der Toten. das einst von H.P. Lovecraft erdacht wurde und mit dem Film „Tanz der Teufel“ ins popkulturelle Gedächtnis gebrannt wurde? Jetzt wurde so etwas ähnliches bei Ausgrabungen in Ägypten entdeckt: „Internationale Archäologen haben im 4.200 Jahre alten Grabtempel von Königin Nearit, einer Frau des Pharaos Teti, einen neuen Schatz entdeckt.[…] Neben der 13 Fuß langen Papyrusrolle „Buch der Toten“, die Wege zu den Unterwelten der Verstorbenen zeigt, enthält der Schatz auch über 50 hölzerne Sarkophage, ein Senet-Brettspiel, ein Flussboot mit Ruderern und eine Statue von Ptah-Sokar-Osiris , Holzmasken, ein Anubis-Schrein und ein Grabheiligtum, das einer Königin des Alten Königreichs gewidmet ist.

Seatemples – Post Punk, Cold Wave und Shoegaze aus Chile | Mina Miau

Es gibt doch noch Blogs, die stets einen Besuch wert sind. Mina Miaus gleichnamiger Tempel der Worte, in dem auch Victor von Void gelegentlich ein Opfer bringt, ist so ein Ort der spirituellen und dennoch zutiefst weltlichen Einkehr. Unbedingt öfter Vorbeischauen! Sonst entgehen euch Perlen wie dieses Interview mit chilenischen Band „Seatemples“. „Seatemples beschreiben ihre Musik als vom Post Punk, Shoegaze und Dreampop inspiriert, mit “dark neo psychedelia” – Einflüssen und sicherlich auch jene des Cold Wave, wie beispielsweise im Song Chaosphere. Allerdings wollen sie in ihrer Musik auch ihre kulturellen Wurzeln betonen, sehr schön zu hören in Desierto. Allein bei diesen beiden Liedern erkennt man, dass Seatemples nicht auf ausschließlich eine Richtung festgelegt werden können.“

„Die Trommel brauchte ein Blutopfer“ – Aufstieg des Dark Nordic Folk | The Guardian (englisch)

Durch Herr der Ringe, Game of Thrones oder Vikings erlangte Dark Nordic Folk ein breiteres Publikum. Bands wie Wardruna, Myrkur oder Heilung werden populärer und nordische Mythologie, die bis dahin ein Nischendasein fristete, für vielen Menschen interessanter. Allerdings meinen es viele Bands ernster, als manchen Zuhörer lieb sein dürfte. „„Die Knochen bekommen viel Aufmerksamkeit“, sagt Juul (Heilung), „aber wir spielen auch mit menschlichem Blut herum. Unsere Trommel in der Mitte der Bühne heißt Blood, was „Blut“ bedeutet. Das ist mit dem Blut von uns dreien gemalt. “ […] „Wir haben eine gute Freundin, die Krankenschwester ist, und sie hat uns professionell beim Extrahieren geholfen“, fügt Franz hinzu. „Es gibt eine enorme Energie im Blut. Wir waren der Vorstellung fremd, als Kai kam und sagte, die Trommel brauche ein Blutopfer. Aber etwas zu malen und deine eigene DNA zu sehen, war eine sehr spirituelle Erfahrung.

Was will der Undercut? Kritik an einer Trendfrisur | FAZ

Ulrich Holbein wirkt wie langhaariger und bärtiger Zausel, der zwischen 15.000 Büchern im hessischen Knüllwald wohnt. Und der will uns was über den Undercut erzählen? Ich fänd ja jetzt spannend, was er in diesem Artikel zu sagen hat. Allerdings verbirgt die FAZ seinen renommierten Autor hinter einer Paywall, die man zwar temporär mit einem Probeabo knacken kann, die dann aber 12€ im Monat und später mit 20€ im Monat endet. Einen einzelnen Artikel kaufen? Fehlanzeige. So bleibt seine möglicherweise spannende Ansicht der breiten Masse der Undercut-Träger verborgen, die aus Gefühl nicht zur FAZ-Abo-Klientel zählen dürften. Und so nutze ich Undercut und Holbein ohne „h“ für (m)eine Form der Kulturkritik. Und nein, ein weiteres Abo für eine Zeitung, in der mich 90% aller Artikel nicht interessieren, ist 2021 einfach nicht mehr zeitgemäß.

Siouxsie & The Banshees retteten Punk davor, zur Lachnummer zu werden und erfanden Goth | Louder (englisch)

Kris Needs von „Classic Rock“ muss ein ganz besonderer Siouxsie & The Banshees Fan sein, um so einen, fast schon liebevollen und eindrucksvollen Rückblick auf die Band rund um die britische Ausnahme-Künstlerin zu schreiben. „Für Susan Ballion aus Chislehurst markierte die Band den Höhepunkt ihrer Flucht aus der Vorstadtnormalität. […]“ Nicht nur für ihn ist klar, dass Siouxsie und The Banshees mehr Einfluss hatten, als sie damals ahnten. „Heute sind Siouxsies Bilder und Inhalten in vielen Sängerinnen zu sehen, die ihr nacheifern, aber ihren eigenen Weg gehen. Siouxsie And The Banshees retteten den Punk vor der Parodie, schufen überirdische Hit-Alben, erfanden Goth und lösten sich trotzdem mit einer seltener Würde auf. One of a kind, once upon a time.

Anton Corbijn veröffentlicht günstige Version von Depeche Mode Fotobuch | depechemode.de

Zur Erinnerung: Letztes Jahr veröffentlichte Anton Corbijn, der Haus- und Hof-Fotograf von Depeche Mode einen Bildband. 512 Seiten, 500 Bilder aus 37 Jahren zwischen 1981-2018. Eindrucksvoll auch der Preis: 750€ (!!!) Hab auch damals nicht darüber berichtet. Ätsch! Hat trotzdem nichts daran geändert, dass die gesamte Auflage von 1.986 Stück blitzschnell ausverkauft war. Jetzt gibt es das Buch für 100€, natürlich etwas kleiner und auch ohne die Autogramme der Stars. Bestellen geht schon, geliefert wird ab Mai. Luxusprobleme echter Devotees.

Queering Horror – zwischen Gruft und Glamour | Pink Life

In Berlin sind queere Künstler mangels Bühne jetzt ins Netz ausgewichen. Mit PINK.LIFE hat man im Internet einen leuchtenden Regenbogen-Banner gehisst und legt auch gleich gut los mit „Queering Horror“. Schaut ihr mal vorbei: „Theatralisch und schaurig-schön inszeniert sich Drag Queen Christina Corpse in ihren Videos. Die Kreatur, die sie vor der Kamera beschwört, pendelt irgendwo zwischen Frankensteins Braut und der düsteren Eleganz einer Morticia Addams. Das ist kein Zufall, denn schon seit ihrer Kindheit ist die kultige Filmfigur aus der „Addams Family“ Christinas Vorbild. Mit flackernden Schwarz-Weiß-Aufnahmen, dramatischen Gesten und skurillen Vintage-Spritzen, zitiert die Video-Künstlerin Elemente aus klassischem Gothic Horror.“

Vulkan-Ausbruch auf Island: Nah dran ist nicht nah genug | Youtube

Der auf Island ausgebrochene Vulkan mutiert zur waschechten Touristenattraktion. Früher sind die Menschen noch panisch weggelaufen, heute sind Vulkane weniger gefährlich.

Goth Fitness | Adult Swim

So Zeit, den aufgeblähten Leib wieder in Form zu bringen. Endlich gibt es auch eine anständige, wenn auch Englischsprachige, Anleitung, wie man sie wieder Fit macht.

 

Arbeitsgruppe Lobotomie: Nazi-Ästhetik immer noch ein Mittel zur Provokation?

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Die Münchener Band „Arbeitsgruppe Lobotomie“ arbeitet auch 2021 noch mit einer kruden Mischung aus Nazi-Chic und Uniform-Ästhetik und schwimmt zwischen inhaltlicher Provokation und Parodie in einem trüben Gewässer aus Musik und Schauspiel. In Zeiten, in denen rechte Terroranschläge die Nachrichten füllen, Querdenker versuchen, das Reichstagsgebäude zu stürmen, und politische Parteien absurden Nationalismus zu einer Alternative erklären, erscheint diese Form der Kunst zumindest fragwürdig.

Als die Band sich vor einer Weile im Rahmen unseres musikalischen Briefkastens vorstellte, war zunächst unklar, was wir daraus machen würden. Wir haben versucht, einen Mittelweg zwischen der notwendigen Botschaft „Das gehört nicht in unsere Szene!“ und inhaltlicher Auseinandersetzung zu finden. Unser Autor Seven C. Sigbald gab sich redlich Mühe, der Band Gehör zu schenken, kam aber nicht an seinem Gefühl der Ablehnung vorbei, wie er in seiner Rezension beschreibt:

Nazi-Ästhetik, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Muss das sein?

Ich höre und schaue mich durch 2 Musikvideos und einen Interviewclip dieser brandneuen Band aus München, verlinke aber hier nichts, da ich deren Output persönlich nicht weiter unterstützen möchte. Leider provoziert die Arbeitsgruppe Lobotomie sehr eindeutig und offensiv mit einer faschistischen Ästhetik, einer Art „Nazi-Chic“ und beschreitet damit einen Weg, den ich für völlig falsch halte.

Es wird zwar hier und da darauf hingewiesen, dass der stilisierte Reichsadler über dem Bandlogo als Mahnung verstanden und die gesamte Uniform-Optik als Satire oder Warnung verstanden werden soll, aber das wirkt auf mich sehr vorgeschoben. Ende der 90er bis in die frühen 2000er hätte ich mir nichts weiter dabei gedacht. Uniformen und provozierende Symbolik waren damals „kein Problem“ oder wurden von der breiten Masse fälschlicherweise als unproblematisch wahrgenommen, vermutlich, weil viele der damals angesagten Szene-Bands eben mit dieser Form der Provokation arbeiteten.

Ich denke, damals war die Szene, mich eingeschlossen, von einem völlig falschen Toleranzdenken geprägt. Argumente wie „Die Szene ist nicht politisch“ oder „Hier kann man sich abseits des Mainstreams ausleben“ machten die Runde. In einem verschobenen Gemeinschaftsgefühl, „die Szene muss zusammenhalten“, wurden Dinge legitimiert, die völlig daneben waren. Thomas Rainer, Frontmann der Band „Nachtmahr“ sagte einmal, angesprochen auf die Optik seiner Band mit den eindeutigen NS-Anleihen:  „Industrial muss wehtun“. Falsch, lieber Rainer! Industrial muss nicht wehtun, um zu bewegen. Industrial muss nicht provozieren, um Gedankenprozesse zu starten.

2021 brauchen wir meiner Ansicht nach keine Bands mehr, die uns mit diesen Stilmitteln den Spiegel vorhalten. Heute brauchen wir keine Bands mehr wie Nachtmahr, die ihre Shirts mit „Tradition, Ehre, Disziplin, Leistung“ bedrucken und mit Armbinden in schwarz-weiß-roter Farbe auf die Bühne gehen. Und wir brauchen auch bei der Arbeitsgruppe Lobotomie keinen Reichsadler im Bandlogo, keine gefakten Erschießungen mit der Mp40 in Naziuniform, keine im Stechschritt tanzenden Mädels im BDM-Look und keinen Sänger, der uns im Interview „den Führer gibt“.

Von mir ein ganz klares:  – NEIN – Danke – Leute.

Wir haben den Frontmann der Band, Michael Benker, um Stellungnahme gebeten, warum man das Stilmittel der Nazi-Ästhetik immer noch für ein probates Stilmittel hält

Wir wollen mit diesem Stilmittel auf die Parallelen zwischen jetzt und der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen hinweisen und damit warnen, wohin es führen kann, wenn es so weiter geht. Wir sehen die Spaltung der Gesellschaft, die Schere zwischen Reich und Arm, die immer größer wird und die Gefahr von rechts, die wächst. Es ist ja auch so einfach den wirtschaftlich Schwachen (sozialschwach sind sie nicht, wie sie immer genannt werden, das sind eher die wirtschaftlich starken) zu erzählen, dass die Flüchtlinge an ihrer Lage schuld sind. Das wiederum spielt den Reichen in die Hände, weil sie ja der wahre Grund sind. Die AFD ist noch nicht mal sozial zu irgendwem (außer zu den Reichen) – die sind quasi eine Mischung aus dem schlimmsten der FDP und dem schlimmsten der NPD. Somit werden diverse Floskeln wieder Salonfähig. Wir wollen quasi mit dem Finger darauf zeigen, was passieren kann, wenn wir nicht aufpassen.

Arbeitsgruppe Lobotomie sehen sich als Künstler auch 2021 noch immer in der Verantwortung, mit Nazi-Chic ihr Publikum davor zu warnen, dass Dinge wie im KZ Dachau, das unweit von München den Nationalsozialisten dazu diente, Feinde ihrer Ideologie loszuwerden, nicht mehr passieren.

Unter anderem wollen wir ja mit unserer Darbietung davor warnen. Und wir sehen eben Tendenzen in eine Ungute Richtung.

Ganz Unrecht hat er mit dieser Einschätzung nicht. In Zeiten der Pandemie machen sich in meinem privaten Bekanntenkreis (auch bei „alteingesessenen“ Gruftis) langsam und schleichend, aber unübersehbar, teilweise klar staatsfeindliche Meinungen, oder Zustimmung der Gedanken von rechtsradikalen Querdenkern breit. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass die sich von Musikvideos in Nazi-Chic und Parodien in „Hitler-Sprache“ beeinflussen lassen und zum Nachdenken angeregt werden. Entsprechend dürftig fallen dann auch die Erwartungen der Band an ihr Publikum aus:

Ich erwarte nichts. Ich hoffe, dass wir ein paar Menschen erreichen und sie zum Nachdenken anregen können. Vielleicht legt der ein oder andere das Smartphone mal eine Stunde in den Kühlschrank. Das würde mich auch freuen.

Aufmerksamkeit auf dem Rücken der Aufklärung

Es klingt mir zu leicht, sich künstlerisch in alles zu hüllen, was provoziert, um dann zu behaupten, man wolle zum Nachdenken anregen. Für mich bedient das nur eine Klientel, die zwischen Uniform-Fetisch und der Suche nach dem musikalischen und inhaltlichen Kick nur wieder selbst provozieren will, um Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dann stehen letztendlich Uniform-Fans auf der Bühne vor Uniform-Fans vor der Bühne, die es mögen, so herumzulaufen und die billigend in Kauf nehmen, dass es andere vor den Kopf stößt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung oder einen warnenden, aufklärenden Effekt kann ich dabei nicht erkennen.

Uniformen, Nazi-Parodien und BDSM-Attitüden sind für mich nie ein Teil der Szene gewesen, sondern nur Trittbretterscheinungen, die in einer falsch verstandenen Toleranz der Szene mitgefahren sind. Jeder Künstler hat die Möglichkeit, auf soziale Missstände, politische Gefahren von rechts oder links, Kritik am deutschen Parteiensystem oder was auch immer, im Rahmen seiner veröffentlichten Musik und klar formulierten Positionen hinzuweisen. Dazu braucht man keine vermeintlich schicke NS-Uniform.

Musikalischer Briefkasten #12: Ausflug in Herrn Sigbalds elektronische Industrie-Welten

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Der musikalische Briefkasten hat neue und dunkeldüstere Verstärkung bekommen. Svartur Nott, die Entleerungs-Legende der letzten 11 Briefkästen, gönnt sich eine virtuelle Auszeit in Misanthropien. Es sei ihm gegönnt. Glücklicherweise sind einem kleinen Aufruf in den sozialen Netzwerken gleich zwei leidenschaftliche Musik-Hörer gefolgt und teilen sich fortan die durchaus arbeitsintensive Entleerung. Seven C. Sigbald ist in seinen besten 30ern, kommt aus München und ist selbst musikalisch als Sänger in der Band „Phantom Belgrad“ aktiv. Wenn ihr Lust habt, erzählt er Euch den Rest über sich kurz selbst, oder ihr geht gleich zu seiner musikalischen Entdeckungsreise.

Wer ist Seven C. Sigbald?

Noch ein paar Worte zu mir, damit ihr auch wisst mit wem ihr es hier zu tun habt: Ich bin der Andi, Mitte 30, aus dem wunderschönen München, Sänger und Frontmann der Dark-Pop-Band „Phantom Belgrad“, online findet ihr mich unter meinem Pseudonym ganz unkompliziert hier.

Ich bin seit circa 20 Jahren in der Szene aktiv, lasse mich gerne als Grufti betiteln und befasse mich als Hobby-DJ, Musikkonsument und -Produzent in meiner spärlichen freien Zeit natürlich hauptsächlich mit: Überraschung! Musik.

Meine musikalischen Vorlieben sind super vielseitig, ich höre alles was mich irgendwie berührt, da sind zwischen 80’s-Pop und richtig fiesem Noise fast alle musikalischen Spielarten vertreten. Meine Faszination für die schwarze Szene begann über das Entdecken von düsterer Musik abseits des Mainstream, der Einstieg war damals alles Mögliche aus dem Industrial-Metal-Bereich, also Nine Inch Nails, Ministry, Powerman 5000, The Union Underground usw. Im Laufe der Zeit hat mich immer mehr rein elektronische Musik begeistert, da waren es dann Bands wie die frühen Terminal Choice, Feindflug, Funker Vogt und Hocico, die bei mir in Dauerschleife liefen. Über die Jahre wurde ich zu einem fanatischen Depeche Mode und Welle Erdball-Fan, und heute ziehe ich mir einfach alles rein was ich irgendwo so aufschnappe, das kann auch mal guter Sound von Chvrches, Billie Eilish oder Florence & The Machine sein, ich bin da ganz entspannt, was gut ist ist gut und wird gehört!

Ich höre mich durch drei neue Veröffentlichungen vom Label „Aufnahme + Wiedergabe“ aus Berlin, ein Label, das ich unter Anderem durch die Veröffentlichungen von „Spit Mask“ und „The Horrorist“ sehr zu schätzen gelernt habe.

RAUM

Ein Künstler aus dem breiten Katalog von A+W ist RAUM, hier vorgestellt mit dem Track „The Fifth Crusade“ vom Album „Conjurer“. Wie so oft, wenn Künstler eher nicht so extrem außergewöhnliche Band- oder Projektnamen haben, gestaltet es sich einigermaßen schwierig, näheres über die Band oder den Künstler herauszufinden. „RAUM“ scheint ein Ein-Mann-Solo-Projekt zu sein, bis auf das halbe Gesicht eines Mannes kann man auf der Labelseite absolut nichts sehen oder lesen und der Künstler wird nirgends vorgestellt. Das ist aus meiner Sicht nicht optimal gelöst, aber vielleicht auch so gewollt.

Ich drücke also einfach mal auf „play“, und der Song packt mich sofort. Es ist ein Instrumentalstück, und genau mein Sound! Ausgezeichnet produziert, mitreißend, hart, düster. Ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich würde vermuten es ist direkt der beste Song von den Folgenden, die ich gleich noch vorstelle. Ich würde den Künstler und die Nummer irgendwo im Industrialbereich ansiedeln, es gib keine Gitarren oder Vocals, dafür sehr fette Drums und richtig nice Synthesizer-Sounds. Die dazugehörige 5-Track-Platte wird von mir direkt vorgemerkt und ich hoffe, RAUM irgendwann und irgendwo auch mal live sehen zu können.

Von mir eine glasklare Empfehlung, zieht euch diesen heftigen Shit unbedingt mal rein!

Trepaneringsritualen

Nach diesem fulminanten Auftakt geht es weiter mit einem Song namens „Feral Me (Codex Empire Remix)“ auf der Platte „Kainskult Remixed“ von „Trepaneringsritualen“. Über die Band lässt sich schon Einiges mehr an Informationen herausfinden, Trepaneringsritualen ist ein seit 2008 bestehendes Solo-Projekt vom schwedischen Thomas Martin Ekelund, das irgendwo zwischen Industrial und Dark-Ambient-Sektor angesiedelt ist. Der etwas sperrige Bandname bezieht sich auf einen chirurgischen Eingriff namens „Trepanning“ oder „Trepanation“, bei dem ein Loch in den menschlichen Schädel gebohrt wird. Klingt ziemlich cool und ekelhaft gleichzeitig. Bei ARTE Tracks wurde der Künstler auch schon kurz vorgestellt, diese verstörende Erfahrung dürft ihr Euch hier auch gleich reinziehen.

Beim drücken der „play“-Taste ballert mir direkt eine saftige Kick-Drum ins Gesicht, so mag ich das! Und ein paar Sekunden später werde ich mit verzerrten Vocals angeschrien, „Flesh is Flesh / Blood is Blood / Death is Death / God is God“ und so geht das dann weiter. Sehr aggressiv, dazu ein wummernder Bass im Hintergrund und diverse Percussionsounds, eine durch und durch clubtaugliche Nummer. Ich würde den Song jetzt nicht zehnmal hintereinander anhören, da er irgendwann etwas monoton wird, aber „Feral Me“ kann man sich zwischendurch in ordentlicher Lautstärke ruhig mal anhören. Von mir eine klare Empfehlung.

Blac Kolor – New Leader

Wir kommen zum dritten Song der ‚A+W‘- Veröffentlichungen, die Single ‚New Leader (Single Edit)‘ von der Band Blac Kolor. Die Band ist ein Solo-Projekt von Hendrick Grothe, der schon vorher mit Projekten wie „Santini“ unterwegs gewesen ist. Zu Blac Kolor schreibt er auf seiner Homepage:

Black is not a color. Black is the mixture of all the colors. The range of the spectrum is set. The emphasis of the tone is uncertain. The control about the effects is entirely in the hand of one. The fight about their predominance is a battle in a different cosmos. The inner conflict happens on the ground of an opencast pit. Metal drills into rocks mechanically and bears its own rhythm. What is digged has no colour. The energy is black.

Liest sich schonmal ziemlich spannend, würde ich sagen- Stilistisch wird das Projekt beschrieben als „Industrial / Techno / EBM / Ambient“ angepriesen und tatsächlich trifft es das auch ganz gut, denke ich. Musik ist ja bekanntlich Geschmackssache, leider trifft Blac Kolor nicht ganz meinen Nerv. Der Song ‚New Leader‘ kommt beim ersten Mal Hören nicht ganz so aggressiv rüber wie die zwei vorhergehenden Nummern, wir haben hier einen sich über mehrere Instrumente anschwellenden (aber leider etwas eintönigen) Techno-Beat mit verschiedenen Synthesizer-Variationen, aber insgesamt passiert mir persönlich bei diesem Instrumental-Track zu wenig. Gut produziert ist die Nummer auf jeden fall, das Reinhören lohnt sich für den Ein oder Anderen mit Sicherheit, für mich persönlich ist das aber der bisher schwächste Song, dennoch auf einem hohen klanglichen Niveau.

2. Darkstream-Festival vom 8. bis zum 11. April bei Twitch

Das Darkstream-Festival, das im vergangenen Jahr seine Premiere feierte, geht vom 8. bis zum 11. April in eine zweite Runde. Wie die Organisatorinnen und Organisatoren am Freitag mitteilten, haben über 65 Bands, MusikerInnen und Kulturschaffende ihre Mitwirkung bereits zugesagt. So soll ein rund 80-stündiger Kulturevent über die virtuelle Bühne gehen, der damit vielleicht das wichtigste Pandemie-Event der schwarzen Szene für dieses Jahr werden könnte.

Kulturschaffenden eine Bühne bieten

Die Idee des Festivals entstand aus der Sehnsucht, Konzerte, Festival und Kultur auch in Zeiten des Lockdowns, der uns seit einem Jahr in seiner Zange hält, möglich zu machen. Streaming wurde zur einzig adäquaten Möglichkeit, die Szene über Landesgrenzen, Ausgangssperren und Kontaktverbote hinweg zu erleben. Auch wenn Streaming den gewohnten kulturellen Austausch und die soziale Interaktion zu anderen Szene-Mitgliedern nicht ersetzen kann, ist es die einzige Möglichkeit geworden, KünstlerInnen und Kulturschaffenden eine Bühne zu bieten. Nicht nur, dass Auftrittsmöglichkeiten und Einnahmen fast vollständig weggebrochen sind, auch die fehlende Interaktion mit dem Publikum machen den KünstlerInnnen zu schaffen. Das Darkstream-Festival scheint auch 2021 die einzige Möglichkeit zu werden, die schwarze Szene und ihre wichtigsten Säulen – Musik und Kunst – zusammenzubringen.

Was erwartet Euch?

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Bild vom Darkstream-Festival 2020

Erstmals läuft das Darkstream Festival rund um die Uhr, sodass Zuschauer weltweit zu jeder Tageszeit dabei sein können. Live moderiert wird das Festival jeweils vom frühen Nachmittag bis Mitternacht in der Leipziger Moritzbastei, wo auch das technische Herz des Festivals schlägt.

Es wird Beiträge aus dem Vereinigten Königreich, Australien, Österreich, der Schweiz, Russland, Israel, Griechenland und Schweden geben. Im Stream wechseln sich vier Tage lang exklusive Konzertmitschnitte, eigens produzierte Videos und Aufzeichnungen genauso wie (Live-)Lesungen und Talks, Performances, Kurzfilme, Künstlerporträts und DJ Sets ab.

Mit dabei sind: Lament, Circus of Fools, der Thrillerautor Andreas Gruber, die legendären Gorilla Monsoon, Der Schulz, Dagobert, Vanguard oder die Bloodsucking Zombies from outer Space dabei sein, aber auch Die Kammer gibt sich die Ehre und die Kriminalpsychologin Lydia Benecke wird einen ihrer Vorträge zum Festivalprogramm beisteuern. Sogar eine Weltpremiere wird stattfinden. Das gesamte Line-Up findet ihr Ende März 2021 auf der Webseite oder bei Facebook.

Durch den Wechsel zur Streaming-Plattform Twitch soll die Interaktion mit den Zuschauern verbessert werden. Die große Stärke des Darkstream-Festivals, die Live-Moderation, soll in diesem Jahr gestärkt werden, dazu hat man sich weiter Moderatoren ins Boot geholt, die einen interessanten Querschnitt der Szene repräsentieren. Mit dabei: Rock-Geigerin Ally Storch, Symeon Blum von Radio Darkfire, der Youtube-Metaller „Der dunkle Parabelritter„, Wortmagierin Isa Theobald und Designerin Katharina Kraft.

Das Darkstream-Festival startet am 08. April 2021 um 16:00 bei TWITCH.

Hier noch ein Rückblick auf das letzte Jahr:

Darkstreaming-Veranstaltungen auch nach der Pandemie eine Möglichkeit?

Spannend finde ich die Frage, ob auch nach der Pandemie Darkstraming-Events eine sinnvolle Bereicherung des Szene-Lebens sein können. Twitch und Youtube sind mittlerweile fest installierte Apps auf vielen Fernsehern und für viele Zuschauer sind Inhalte auf Abruf die Zukunft des Fernsehens.

Ich finde die Idee, Talks und Interviews in einem Studio und vor einer Kamera aufzunehmen spannend. Vielleicht kann sich ein Darkstream auch nach der Pandemie als Video-Szene-Magazin etablieren, in dem beispielsweise in den dunklen Monaten über die Szene diskutiert wird, Bands vorgestellt werden und Talkrunden mit Szene-Leuten zu gewissen Themen stattfinden. Was meint ihr?

DarkStream Festival 2020

6 populäre Sommer-Festivals bereits abgesagt – Bands unterstützen ihre Crews

Aufgrund der Corona-Pandemie steht jetzt bereits fest, das die populären Festivals „Rock am Ring“, „Rock im Park“, „Deichbrand“, „Hurricane“, „Southside“ und das „Sonne Mond Sterne“ auch 2021 ausfallen werden. Das gab das Promoter-Netzwerk Eventim Live heute bekannt. Geschäftsführer Frithjof Pils sagte: „2021 sollte eigentlich der Sommer des Wiedersehens werden und die Festivalveranstalter haben viel Arbeit und Zeit in Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte investiert, um dieses möglich zu machen. Angesichts der weiterbestehenden epidemischen Lage und verbundener Auflagen mussten wir jetzt jedoch schweren Herzens einsehen, dass Festivals dieser Größenordnung zur Zeit noch nicht durchführbar sind.

Weitere Absagen sind zu erwarten

Wie der Veranstalter bekanntgab, können Ticketinhaber dieser Festivals bald für 2022 umbuchen, später soll auch eine Erstattung des Kaufpreises möglich werden. Man ist sich sicher, dass Festivals wieder stattfinden werden, allerdings ist man mit Prognosen sehr vorsichtig geworden, wie sich Jens Michow, Präsident des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft gegenüber der Tagesschau äußerte. „‚Ich bin mir leider ganz sicher, dass es noch weitere Absagen geben wird‘ […] Es werde diese großen Events wieder geben. ‚Aber ich bin sehr vorsichtig geworden, mich festzulegen, wann das wieder sein wird.‘

Bisher ist das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig noch nicht abgesagt, es scheint jedoch absehbar zu sein, dass auch das nicht stattfinden dürfte.

Bands unterstützen ihre Crews und Roadies

Während sich abzeichnet, dass 2021 ein weiteres düsteres Jahr für die Festival- und Konzertbranche werden wird, haben einige Bands bereits begonnen, ihr Crews zu unterstützen. Denn während die von Plattenverkäufen, Merchandise und Streamingdiensten sich zumindest halbwegs über Wasser halten können, gehen die Leute, die Touren, Konzerte und Festivals möglich machen, leer aus.

Vor ein paar Wochen spendeten „The Cure“ bereits handsigniertes Equipment für gute Zwecke. Im Dezember 2020 unterstütze Robert Smith britische Roadies mit einer Schectra Ultracure und Front 242 beteiligten sich daran, Geld für die belgische Musikszene zu sammeln.

Nachdem Nick Cave & The Bad Seeds ihre Tournee für 2021 abgesagt haben, starteten auch die ein Crowdfunding für ihre Crew, das bisher rund 200.000 (!) britische Pfund sammeln konnte, in dem man Tickets für einer Band-Equipment-Lotterie verkaufte. Denn die Absage trifft die Leute hinter den Kulissen am meisten: „This means work for our crew has vanished. As freelancers there has been little or no support on offer to them from the authorities, and available work elsewhere is currently almost non-existent.

Nick Cave & The Bad Seeds Crowdfunding
Die Crowdfunding-Aktion von Nick Cave & The Bad Seeds bei Crowfnder.co.uk

Gruft-Orakel März 2021: Die Fledermaus im Rausch neuer Leichtigkeit

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Kaum ein Flügelschlag ist notwendig, um die Fledermaus im Himmel über ihrer Heimatstadt zu halten. Grazil und gefühlvoll schwebt sie in der Luft und riskiert einen Blick auf die Erde. Hier oben, in größeren Höhen, kann sich den Ultraschall offline lassen und sich der Leichtigkeit des Seins hingeben. In Zeiten des Lockdowns hatte sie sich ein Herz gefasst und ausgemistet, was zu dieser neuen Gewichtserleichterung führte. Das war eine gute Idee, die Alana Abendroth dort hatte. Mit leeren Taschen und ohne den Ballast der dämonischen Behausung, wo sich im Augenblick sowieso alle ankeifen, fühlt sich die Fledermaus frei und unabhängig. Doof findet sie es nur gerade, dass sie Nachtaktiv ist und in kompletter Dunkelheit nichts vom Blick hat, den sie aus schwindelerregender Höhe riskierte.

Gruft-Orakel Maerz 2021 - Alana Abendroth

6 Coversongs die bis jetzt keiner kannte, auf die aber jeder gewartet hat

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Heute bin ich in Cover-Laune, muss mich aber noch vor dem Ende des ersten Satzes entschuldigen, denn wahrscheinlich ist der Titel irreführend. Die Rede ist von Coversongs, die ich bisher noch nicht kannte. Aber so ein allgemeingültiger Titel lockt doch sicherlich einige von Euch, zu prüfen, ob man zu den musikalischen Alleskennern oder Hinterwäldlern gehört und bietet montägliche Projektionsfläche, sich am Geschmack eines anderen zu reiben. Ich finde es jedenfalls immer wieder faszinierend, wenn ich Cover entdecke, die Songs so interpretieren, dass es irgendwie spannend, anders oder einfach nur kurios klingt. Doch das ist höchst subjektiv, denn zu einem für den Hörer gelungenen Coversong gehört ein wohlbekanntes oder verhasstes Original, das für ihn in irgendeiner Form eine Rolle spielt. Deshalb dürfte wohl jeder eine eigene Liste an Covern in seiner Schublade haben, die er toll, oder eben einfach nur mies findet.

Passion – The Flirts vs. The Ghost Of Bela Lugosi

Sommer, Palmen, Sonnenschein! In den 80er Jahren gehörte Italien für viele Deutsche Urlauber zum heiß geliebten Urlaubsziel. Das Land war mit dem Auto oder dem Zug gut zu erreichen und bot, neben Pizza, Pasta und Eiscreme, auch viel Sonne und lange Strände am Mittelmeer. Damals war Italodisco der typische Sound des Sommers, der in nahezu allen touristischen Hochburgen entlang der Adria aus den Boxen dröhnte. Der Song Passion von „The Flirts“ hielt sich 1983 für 18 Wochen in den Charts und dürfte dank seiner eingängigen Melodie, jedem damaligen Urlauber ein Ohrwurm sein. Ein gelungenes Cover dieses Klassikers der Italodisco verbucht die australische Band „The Ghost of Bela Lugosi“ für sich. Inklusive zeitgemäßer Hupfdohlen, also leicht bekleideter Damen und Herren, die sich zur Musik rekeln. Wenn sich da mal nicht Bela Lugosi Geist im Grabe umdreht.

Der Mussolini – DAF vs. Moroder & Naldanow

Der Mussolini von DAF ist ein zeitloses Werk. Delgado, der den teilweise umstrittenen Text schrieb, wollte provozieren und Projektionsfläche für Energie bieten und hat sich in Interview stets gegen eine Politisierung seiner Kunst ausgesprochen und sich klar von rechten Ideologien distanziert. Könnt ihr hier mal nachlesen. Falls ihr das Original noch nicht kennt, könnt ihr es euch gerne im besonders energetischen Live-Original geben.

Jetzt kann man sich vielmehr darum streiten, ob der Song ein Cover braucht. Jedenfalls haben sich Giorgio Moroder & Denis Naidanow daran versucht, dem Song ein Update zu geben. Vielmehr einen Remix, denn der Song wurde im Grunde genommen nicht angetastet. Zeitgemäßer klingt er jetzt, aber auch wirklich besser? Das bleibt wohl Geschmackssache

Psychokiller – Talking Heads vs. ERNST

Es dürfte offensichtlich sein, worum es in dem Song der Talking Heads geht, der 1973 zum ersten mal veröffentlicht wurde. Er nimmt uns mit in den Kopf eines Psychokillers, so wie ihn sich die Band eben vorstellen. Ich finde, in diesem Video bringt ihn David Byrne, der Sänger der Talking Heads, am besten rüber. Wer allerdings Schwierigkeiten mit dem Verständnis hat, dürfte diese Version von ERNST gefallen, eine mir bislang völlig unbekannte Band, die 1982 in Deutsch interpretiert hat, worum es in dem Song geht, inklusive des Kinderchores der 5b des Graf-Eberhard-Gymnasiums in Bad Urach. Wer nicht glaubt, dass es diese Band überhaupt gab, soll sich gerne diesen Live-Mitschnitt ansehen.

Goodbye Horses – Q Lazzarus vs. Buzz Kull

Bevor sie als Sängerin mit dem Lied „Goodbye Horses“ bekannt wurde, arbeitete Diane Luckey als Taxifahrerin in New York. Berühmt wurde der Song, der 1987 erschien, in dem Film „Das Schweigen der Lämmer“, in dem 1991 der gesuchte Killer Buffalo Bill vor dem Spiegel zu ebendiesem Song tanzt. Die Sängerin verschwand übrigens Mitte der 90er Jahre völlig von der Bildfläche und ist seit dem als Busfahrerin in Staten Island unterwegs. Ungeachtet dieser Geschichte und einer bestehenden Cover-Version von Psyche, hat sich Buzz Kull den Song zur Brust genommen und erhebt ihn in ein interessantes, zeitgemäßes Dark-Wave-Double, ohne die Stimmung zu zerstören, wie ich finde. Eine Live-Version von Buzz Kull könnt ihr hier sehen.

Tanze Samba mit mir – Tony Holiday vs. Getrud Stein

Örks. Bei diesem Song scheint jedes Cover besser zu sein, als das Original. Tief in der Schlager-Schlaghose-Kiste der späten 70er schlummert eine Tony Holiday Platte mit ebendiesem Song, den eigentlich jeder kennt, aber keiner kennen will. Für Menschen um die 50 gehört das wohl zur frühkindlichen Prägung. Minimalistin Getrud Stein hat sich vor einer Weile dem Song angenommen und ihn in ein neues Kleid gehüllt, das jetzt ganz prima auf schwarz-minimalistische Tanzflächen zu passen scheint. Bitte mehr davon!

But not Tonight – Depeche Mode vs. Jimmy Somerville

Wer wagt es, die Götter zu berühren? Wer kratzt da am Olymp meiner musikalischen Frühprägung? Jimmy Somerville. Okay. Der gehört ja mit „Smalltown Boy“ auch zu meiner frühkindlichen Prägung. 2004 brachte er das Album „Home Again“ heraus, auf dem er auch „But not Tonight“ von Depeche Mode coverte. Ich bin mir sicher, an dieser Version scheiden sich die Geister, die ich rief. Ich finde sie einfach kurios bis spannend, denn Somerville singt hier für mich erstmals nicht nur in seiner allbekannten Kopfstimme, sondern einen Nummer „tiefer“. An das Original reicht es freilich nicht heran, soll es aber auch gar nicht, denn es steht irgendwie in einem ganz anderen Regal.

Video: „Was wir von den Goths der 80er lernen können“ – Ich bin gespannt!

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Wir waren jung, haben die Normalität hinterfragt und wir haben geträumt. So lautet jedenfalls das Fazit von Kolja Haaf, der auf „jetzt.de„, dem jungen Portal der Süddeutschen Zeitung, für die Serie „Teenage History“ die Jugendkultur des Goths beleuchtet hat. Als Geschichten-Onkel im braunen Ledersessel erzählt er über die Szene und zeigt anhand von vielen Videos aus unserer dunklen Vergangenheit, was es mit den Goths damals auf sich hatte. Alexander Nym schmeißt auch noch ein paar zusammenfassende Statements in das schlecht eingerichtete Zimmer mit der fragwürdigen Bowie-Büste, während „Onkel Kolja“ von den Goths erzählt und auf dem alten Röhrenfernseher Videos der 80er flimmern.

Er macht seine Sache wirklich gut, auch wenn er von seinem ursprünglichen Plan, alte Goths zu ihrer Jugend zu befragen, abgewichen ist. Ende Oktober 2020 startete er in der WGT-Gruppe einen Aufruf, man möge mit ihm sprechen, doch die Szene zeigte sich wenig kooperativ. Am Ende riet man ihm sogar dazu, bei uns nachzufragen. Doch leider verhielten auch wir uns unabsichtlich unkooperativ, denn seine Anfrage vom 2. November ist mir einfach entgangen und ich antwortet erst einen ganzen Monat später. Asche über mein Haupt und ein umgedrehtes Kreuz auf meiner Stirn!

Dennoch will ich die Gelegenheit nicht verpassen, das endgültige Werk hier vorzustellen, denn trotz der Szeneverweigerung hat er seine Sache wirklich gut gemacht und lockt, auch die weiteren Folgen der „Teenage History“ im Blick zu behalten. Vielen Dank auch für die zahlreichen Zuschriften, die mich mit der Nase auf diesen Beitrag gestoßen haben. Ihr seid toll!

Was wir von den Goths der 80er lernen können

Ja, was können wir eigentlich von den Goths der 80er lernen? Normalität zu hinterfragen? Wieder lernen, zu träumen?

Diese Frage lässt Kolja leider unbeantwortet, obwohl er in seinem Video die Szene schon ziemlich gut zusammenfasst: „Die Szene war vielseitig, komplex, immer im Wandel und es ist unmöglich Goth hier endgültig zu erklären.“ Und so bleibt sie aus, die große Erleuchtung über eine Jugendkultur, der heute immer noch zahlreicher Jugendliche anheimfallen.

Jung waren wir alle einmal, die Normalität zu hinterfragen ist jetzt auch nicht sonderlich spannend und Träume, ja Träume haben wir doch alle. Oder nicht? Kolja träumt zum Beispiel davon, dass ihm ein sandfarbenes Cord-Hemd, dunkelblaue Hosen und graue Socken in Birkenstocks eine gewisse „Geschichten-Onkel“ Aura geben würden. Nunja, wohl eher ein Albtraum. Allerdings reißt er das Ruder zum Finale herum und behauptet, „…so wie wir alle mal geträumt haben, bis wir aufgegeben haben„. Ein durchaus gruftiges Statement voller Schwermut und Tristesse. Kolja, du bist eingeladen, ein Goth zu sein. Allerdings müssen wir an Deinem Style arbeiten. Dringend.

Dann darfst du auch gerne hier kommentieren, um mir zu offenbaren, was man denn von den Goths lernen kann. Ich bin neugierig.

Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ versinkt in Unglaubwürdigkeit

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Der Original-Film „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ hatte 1981 eine Botschaft: Drogen nehmen dir jede Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Rauschgift zerstört deine Träume, um selbst zum Traum zu werden. Zum Traum vom nächsten Schuss. Auf Amazon versucht die am Freitag erschienene gleichnamige Mini-Serie in die Fußstapfen des Originals zu treten. Ich habe mir in acht Folgen angesehen, wie man zuerst strauchelte, dann schwankte, um letztlich mit dem Gesicht in die polierte Unglaubwürdigkeit zu klatschen.

Drogensucht in 4K

Die Serie bei Amazon ist weichgespült, durchgestylt und verpackt das Thema Drogensucht in leicht verdaubare Häppchen zwischen Ausgelassenheit und Euphorie. Ich zweifele stellenweise daran, ob die Serie wirklich beabsichtigt, Drogenkonsum in einem schlechten Licht darzustellen. Überall lauern kleine „Happy-Ends“, die dann zu so einem „Hach es ist doch noch alles irgendwie gut“-Gefühl führen. Nein, nichts ist gut. Auch, wenn das Bild von dem letzten Schuss im Bahnhofsschließfach vermittelt, Christiane hätte es geschafft. Hat sie nicht. Sie war danach immer wieder drogensüchtig und ist es aktuell vermutlich immer noch. Die meisten ihrer Freunde von damals sind tot.

Sie jagt immer noch ihren Träumen von damals nach. Freundschaft, Liebe, Nähe und Stabilität. Nichts davon hat sie gefunden, das macht auch ihr zweites Buch „Mein zweites Leben“, das 2013 erschien, deutlich. Träume oder Drogen. Beides zusammen geht nicht.

Und genau diese Wahrheit vermittelt die Serie nicht.

Keine schlechte Serie, aber am Stoff die Finger verbrannt

Man darf nicht vergessen, dass „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ eine für deutsche Verhältnisse hervorragend gemachte Serie ist. Die Schauspieler sind durch die Bank weg gut, schauspielerisch engagiert und im Rahmen der Möglichkeiten glaubhaft. Man hat sich von der Inszenierung her alle Mühe gegeben und sich von Vorbildern wie „Trainspotting“ inspirieren lassen, wenn es um die Darstellung von Rauschzuständen geht. Auch musikalisch hat man versucht, dem Film gerecht zu werden, wenn man jetzt mal von dem unsäglich blöden Techno-Gestampfe in der Diskothek „Sounds“ absieht.

Am Stoff hat man sich allerdings gehörig die Finger verbrannt. Die Serie vermittelt in keiner Weise Authentizität. Mir ist noch nicht einmal klar, worum es hier geht. Ich befürchte, man wollte lediglich eine Geschichte, die Deutschland damals geprägt hat, dazu verwenden, eine gute Serie zu machen.

Das fängt mit den Menschen, die hier dargestellt werden, an. Hier ist jeder Drogensüchtige ein Model. Ein kieferorthopädisch einwandfreies und gebleichtes Gebiss, das in tollen und fast makellosen Gesichtern lächelt, um dann auf nahezu perfekten Körpern in stets modischen Klamotten endet. Es ist sauber, streifenfrei rein und fast schon befremdlich steril. Und einfach unglaubwürdig.

Nehmt eine beliebige Bahnhofs-Szene aus der aktuellen Serie und vergleicht sie mit dem Original. Ich bin mir sicher, ihr werdet die Intensität der Bilder spüren und den Unterschied erkennen.

Die Schauspieler bemühen sich redlich, dem Bild von drogensüchtigen Kids im Berlin der späten 70er gerecht zu werden. Leider vergebens. Denn die Bemühungen zerschellen viel zu häufig an den gezeigten Bildern. Junge, gesunde Menschen in tollen Outfits, die stellenweise so plakativ sexy wirken sollen, dass es fast schon absurd erscheint. Wenn Natja Brunckhorst (damals 13, heute 56) mit ihrer Plastiktüte und völlig stoned durch den Bahnhof schwankt, wird mir anders in der Magengrube.

Zeitgeist kann man nicht kopieren

Warum man David Bowie in Form von Alexander Scheer, der zwar im Musical „Lazarus“ Bowies Alter Ego Newton verkörpert, in die Serie basteln musste, ist mir völlig schleierhaft. Die kurzen Auftritte Scheers tragen in keinster Weise zur Geschichte bei. Hätte man David Bowie, der 2016 verstarb, doch einfach im Schatten der Vergangenheit gelassen. Kaum erkennbar bei seinem Konzert in der Deutschlandhalle, das für Christiane so wichtig ist.

Warum in der Diskothek „Sounds“ in Berlin Techno-Beats das Publikum beschallen, ist mir ebenfalls völlig schleierhaft. Während die Serie sonst händeringend versucht, dem Zuschauer ein Gefühl für die späten 70er zu vermitteln, wird diese Illusion spätestens durch die Beschallung im „Sounds“ jäh zerstört.

Das verschwurbelte Konstrukt aus den 70ern, den 80ern und heutigen Einflüssen funktioniert für mich nicht. Hier scheint nichts zu stimmen.

Realitätscheck – Was stimmt hier eigentlich?

Der Film folgt der Lebensgeschichte (der aus dem Buch) von Christiane in weiten Teilen korrekt. Die Eltern trennten sich tatsächlich nach einem Gewaltausbruch des Vaters, hießen aber nie Karin und Robert. Christianes Schwester Anette wird in der Serie unterschlagen. Babsi war die Tochter eines Musikers und stammte in der Tat aus guten Verhältnissen und Stella (die eigentlich Catherine heißt), ja die wurde im Knast wirklich von RAF-Mitgliedern angesprochen.

Benno hieß eigentlich Detlef und Axel und Michi waren damals Andreas (Atze) und Michi. Beide starben im Übrigen an einer Überdosis. Der Schauspieler, der damals den Detlef verkörperte, ist übrigens heute Suchtberater.

Auch die Stammfreier aus Christianes Umfeld sind im Buch beschrieben. „Stotter-Max“ ließ sich tatsächlich gerne verprügeln, auch den pädophilen Tierhändler Günther hat es gegeben, der hieß allerdings Heinz und hatte einen Schreibwarenladen.

Das „Sounds“ entspricht – neben der völlig bescheuerten Musik – nicht der Realität. Die ursprünglichen Räumlichkeiten waren niedrig und stickig und lag im Kellergeschoss einer unscheinbaren Häuserzeile. Die Deutschlandhalle, in der Bowie sein Konzert damals spielte, wurde 2011 abgerissen und in der Serie durch das ICC ersetzt.

Der Bahnhof Zoo sieht heute völlig anders aus, die Aufnahmen, die im Film zu sehen sind, stammen aus einem Industriekomplex in Prag und bestehen hauptsächlich aus Kulissen, die Außenaufnahmen des Bahnhofs wurde am Computer editiert. Allerdings ist der Bahnhof Zoo immer noch ein Ort für Drogenhandel und Prostitution.

Fazit: Chance verpasst!

Als ich las, dass man der Geschichte von Christiane mehr Raum geben wolle, war ich großer Hoffnung. Die ist allerdings am Ergebnis zerschellt. Zwar gibt man den Charakteren mehr Platz, um sich für den Zuschauer zu entwickeln, allerdings fehlen nachvollziehbare Profile, wie man sie im Buch hätte durchaus finden können. Für mich wird nicht deutlich genug, dass die Eltern durch ihr Leben unfreiwillig vorgelebt haben, was aus Christiane geworden ist. Das Umfeld, in dem die Eltern sich verwirklichen wollten, war ein giftiger Schwamm für Christiane.

Die größte verpasste Chance ist allerdings, die Geschichte von Christiane nicht weiterzuerzählen. Wie sie immer wieder rückfällig wird und alle Träume, Pläne und Hoffnungen immer wieder an den Drogen zerschellen. Ihre Geschichte hat kein Happy-End, keine glückliche Wendung und der Ruhm um ihre Person war eher Fluch als Segen.

Die Serie bei Amazon wirkt auf mich wie ein verklärter Blick in die Vergangenheit und ist weder „provokativ, kontrovers wie eindrücklich„, sondern ein gefälliges Remake, das Drogensucht zur Unterhaltung degradiert.

Wenn ihr schon Prime-Kunde seid, dann nutzt die Gelegenheit, auch das kostenlose (in der Mitgliedschaft enthalten) Original „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ anzuschauen. Das ist allerdings satte 12 Minuten kürzer als die ursprüngliche Version von 1981. Die war den Amazonern dann wohl doch zu kontrovers, provokativ und eindrücklich. Auch ein Blick in meinen Artikel über die Buchvorlage und das Leben der Christiane könnte sich an dieser Stelle lohnen.

Karneval is over: Was die fünfte Jahreszeit mit Gothic zu tun hat

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Jedes Johr em Winter, wenn et widder schneit, Kütt dr Fastelovend un mir sin all bereit…

Alle bereit? Von wegen! Kaum postet man etwas wie Helau oder Alaaf kommt schon von irgendeinem die Antwort: Karneval? Nee, bah, uh, geht gar nicht, alle doof und sowieso Mist! Auf die Frage warum, kommt dann meist: Alle auf Kommando lustig, alle nur besoffen, alles dämlich. Und schon sind wir wieder in der Diskussion wie man etwas wahrnimmt, dass es immer zwei Seiten gibt und dass die negative in den Medien immer mal wieder gerne nach außen gekehrt wird.

In diesem Fall die Leute, die weder Ahnung vom Brauchtum noch den Hintergründen im Karneval haben und dieses heidnisch-christliche Fest eigentlich nur als einen weiteren Anlass neben Kirmes, Oktoberfest oder sonst was sehen, um sich in kürzester Zeit volllaufen zu lassen und anschließend mit dem Krankenwagen abgeholt zu werden. Das ist leider eine Tatsche und da lässt sich auch nichts beschönigen. Und jedem, der den richtigen Karneval feiert, ist das ein Dorn im Auge und ein großes Ärgernis.

Was steckt hinter Karneval und was hat das mit Gothic oder sozialem Engagement zu tun?

Tod und Spaß liegen im Karneval genau wie in der Gothicszene oft nah beieinander. (Foto: H. Hoffmann)

„Unsere erste Platte sollten wir in einem Studio in Belgien aufnehmen. Als wir ankamen, ging die Tür auf und Robert Smith von The Cure kam heraus. Die hatten grade ihre neue LP fertiggestellt. Er stieg in einen alten Volvo ein und als er die Tür öffnete, fiel ein Haufen leerer Bierdosen aus dem Wagen. Da wusste ich, hier bist du richtig!“ Peter Brings (Sänger der Kölsch-und Karnevalsrockband „Brings“)

Ursprung und alte Riten

Karneval läutet die christliche Fastenzeit und damit auch die fleischlose Zeit ein. Also freuen sich schon mal alle Vegetarier. Das Fest gab es im Ursprung auch schon bei den Römern. In der germanischen Welt versuchte man die bösen Geister des Winters auszutreiben. Dazu dienten unter anderem sogenannte Feuerräder. Dies waren riesige, mit Stroh ausgestopfte Gebilde, die man einen Berg hinunterrollen ließ. Diesen Brauch gibt es heute noch in ländlichen Regionen und er ist wirklich toll anzusehen. Besonders in der Neofolkszene beruft man sich gerne auf solche alten Riten.

Geister, Feen und Rübenfratzen

Mit Masken und Gerätschaften vertreibt man auch heute noch böse Wintergeister und dunkle Feen, besonders im alemannisch-badischen Raum. Dazu verkleidet man sich furchterregend und macht mit Peitschen, Ratschen und ähnlichen Gerätschaften ordentlich Krach. Dieser Brauch geht bis in die Jungsteinzeit zurück. Die Nachfahren der Kelten versuchten böse Geister auch mit aus Rüben geschnitzten Fratzen, die mit Kerzen beleuchtet wurden, zu vertreiben. Später wurden die Rüben dann in Amerika durch Kürbisse ersetzt und welches Fest daraus entstanden ist, weiß ja wohl jeder Grufti.

Aus diesen ganzen Traditionen aus Geisterglaube, Fressgelage, Verkleidung, offenem Meinungsaustausch und Maskierung, um nicht zu erkennen, wer da wem so die Meinung geigte, formte sich ein großes kulturelles Gemisch. Brauchtumsforscher werden noch Jahrzehnte brauchen um das ganze Multikultikuddelmuddel zu entknoten.

Typisch Karneval: Jeder Jeck ist anders, aber bitte an die Regeln halten. Das ist im Grunde wie in der Gothicszene, wo auch jeder machen kann was er will, aber möglichst schwarz muss es sein.

Karneval am 11.11. jeht dat Spiellche loss (Kölscher Dialekt)

Der 11. November ist der St. Martins Tag, ab dann beginnt eine kleine Fastenzeit bis Weihnachten. Die Bauern in früheren Zeiten hatten bis dahin alle Nacharbeiten auf ihren Höfen erledigt und die Tagelöhner, die meistens zu schlechten Bedingungen arbeiten mussten, wurden ausgezahlt. Obendrauf gab es ein Fest an dem alle verderblichen Güter, inklusive Bier und Schnaps verteilt und verspeist wurden. So wurde das Gebot des Teilens gelebt. Nach reichlichem Alkoholgenuss ging dann der Punk ab und es kam zumeist unangenehmen Aussprachen zwischen Arbeitsknechten und reichen Bauern. So begründet sich auch das Verhalten im Karneval, wo mancher meint, man könne alles ungestraft machen. Leider werden dann Meinungsfreiheit mit Beleidigung und Schabernack mit Vandalismus verwechselt und das ist nicht Sinn der Sache.

Damit aber nicht jeder für sich alleine Kritik an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft übt, haben die Narren dafür eine besondere Gestalt als Vertreter aller Narren. Je nach Stadt und Region heißt dieser lustig-bösartige Meckerer, Hoppeditz oder Nubbel. Er rechnet mit der Obrigkeit mit einer Rede vor der versammelten Narrenschar ab. Teilweise unter Anwesenheit der so lustig in Reimform Beschimpften. Dies müssen die hohen Damen und Herren dann einmal im Jahr widerspruchslos hinnehmen, denn das ist das Gesetz der Narrenfreiheit. Leider muss der Obernarr etwa drei Monate später am Fastendienstag dafür teuer bezahlen. Aber so weit sind wir noch nicht.

Einmal Prinz zu sein

Das Gegenteil vom Prince of Darkness ist Prinz Karneval. Allerdings ist es manchmal fraglich wer von den beiden lustiger ist. Und da stellt sich einem doch die Frage: Was hat man davon Karnevalsprinz zu sein?

Böse Zungen behaupten, lebenslange Beziehungen im heimischen Städteklüngel/Filz. Aber das ist teuer erkauft. In Köln kommen da für ein Dreigestirn bestehend aus Prinz, Bauer und Jungfrau schon mal unglaubliche Summen im hohen sechsstelligen Bereich zusammen. Es gibt zwar finanzielle Unterstützung von Firmen und Vereinen, aber man zahlt auch viel aus eigener Tasche und, das Wichtigste, man spendet viel Geld um Menschen, denen es nicht so gut geht, zu unterstützen.

Wer einmal Besuche von karnevalistischen Tollitäten in Altenheimen, Hospizen, Kinderkrankenstationen oder bei Menschen mit Handicap mitbekommen hat, der wird ein ganz anderes Bild vom Karneval bekommen. Auch und gerade dort ist Teilen wieder das Gebot, besonders wenn die Politik sich nicht einen Millimeter in Richtung Humanität und Hilfe bewegt.  Und wenn man sieht, wie glücklich diese Menschen sind, wenn Karnevalisten sie besuchen, um ein paar Stunden Freude zu bringen, dann ist der ganze Ärger, den man sonst an den tollen Tagen mit Betrunkenen, Grapschern und sonstigen Vollidioten hat, schnell vergessen.

Gruselgestalten und krumme Stimmungsmusik

Obwohl die Bräuche gerade in der alemannischen Fasnacht uralt sind, wurden sie eigentlich erst wieder vor etwa 100 Jahren in der heutigen Form mit Umzügen und Festen wiederbelebt. Interessant sind dabei die Guggenmusik-Gruppen. Die spielen sogar nach Noten, aber extra so falsch, da hätten sogar die Einstürzenden Neubauten Spaß dran.

Wiederbelebt wurde im Jahr 1991 in Köln auch ein nächtlicher Umzug mit gruseligen Gestalten, der im Ursprung schon ab 1860 stattfand und im Ersten Weltkrieg verboten wurde. Der sogenannte Geisterzug war 1991 ursprünglich eine Demonstration gegen den zweiten Golfkrieg. Die offiziellen Umzüge wurden aus Rücksicht auf die kriegerischen Auseinandersetzungen im arabischen Raum abgesagt. Da musste man sich als Hardcore-Jeck natürlich was einfallen lassen. Die Lösung war ein alternativer, nächtlicher Umzug mit Pauken und Trompeten ohne die offiziellen Karnevalsgesellschaften. Eine Mischung aus Halloween, Karneval und Protest. So feierte man in Köln wieder Karneval wie vor der Reglementierung im Jahre 1823 durch den Verein zur Förderung des geregelten Karnevals (ja, den gibt es wirklich).

Die heutigen bösen Geister sehen anders aus. Der Karneval ist dazu gedacht mit Politik, Mächten und auch der Kirche einmal humoristisch abzurechnen.

Das ist die Narrenfreiheit. Der Narr, der ungestraft sich selbst und allen anderen den Narrenspiegel vorhalten darf. Ein Meister in diesem Fach ist der Düsseldorfer Wagenbauer Jaques Tilly. Ich kenne Leute, die nichts mit Karneval zu tun haben, lange in der Gruft- oder Punkszene sind und trotzdem zum Karnevalszug nach Düsseldorf gehen, nur um die bitterbösen satirischen Wagen zu beklatschen und so ein Statement gegen Hass, Krieg und sonstiges Übel zu setzen. Randnotiz: Selbst die Toten Hosen konnte man schon 1996 und 2018 im Rosenmontagszug bestaunen. Mit 160 Dezibel statt Kamelle (Bonbons) spielte man in Dauerschleife das Altbierlied live vom selbst gestalteten Bühnenwagen.

Die Motivwagen des Düsseldorfers Jaques Tilly bleiben bis zum Rosenmontagszug geheim, damit sich vorher kein Protest von der verunglimpften Seite regen kann. (Fotos: H. Hoffmann)

Karneval und der Tod in Venedig 

Ganz anders geht es in der fast versunkenen Stadt Venedig zu. Während es in den Palazzos rauschende Bälle meist für die gehobene Gesellschaft gibt, findet in der ganzen Stadt ein stilles Treiben statt. Im Rokoko Stil gewandete, meist mit Dreispitz und Masken versehene, Gestalten ziehen leise und ohne zu sprechen durch die Stadt. Gerade der Punkt mit der Sprachlosigkeit ist für einen Rheinländer bekanntermaßen schwer umzusetzen. Oft erinnern die Kostüme an die Zeit der großen Pest und des schwarzen Todes. Ein gothicmäßiges Schauspiel.

Karneval in Venedig: Leise, edel und sehr überlaufen. (Foto: Mit freundlicher Genehmigung Helgard Meer, Irene Walger und Fotograf Hermann Kurz)

Immer mehr Menschen aus der ganzen Welt, die sich auch dementsprechend (leider nicht immer besonders gut) verkleiden, besuchen dieses karnevalistische Festival zur Freude der knipsenden und filmenden Touristen, die nur mal schauen wollen. Allerdings ist diese Art des Karnevals erst in den 1980er-Jahren wiederbelebt worden. Vorher feierte man eher unter sich in den schon erwähnten wunderschönen Palazzos an den Kanälen. Ein Vergleich zum viktorianischen Picknick in Leipzig ist natürlich rein zufällig.

Wenn die Maske fällt

Und schon sind wir beim Wichtigsten im Karneval, dem Verkleiden. Während die hochoffiziellen Karnevalisten in Uniform und Narrenkappe daherkommen, um das preußische Militär zu persiflieren, begnügt sich das allgemeine feierwütige Volk mit Kostümierungen als Vampir, Steampunk, Prinzessin oder Clown. Einmal im Jahr jemand anderes zu sein, alles zu machen, ohne erkannt zu werden.

Und da drängt sich mir dann auch schon die Parallele beispielsweise zum WGT auf.
Bei so manchen Gesprächen steht einem jemand mit  Plastezylinder, Schweißerbrille oder Draculaumhang gegenüber und erklärt, wie doof Karneval doch wäre. Das ganze Verkleiden und so. Dann denke ich mir: Toll, wenn man so eine Haltung hat und anscheinend nicht nur einmal im Jahr in Leipzig, sondern immer in solchen Plastikplörren rumläuft, die man eins zu eins bei großen Karnevalsausstattern in Köln und Umgebung kaufen kann.

Am Ende bleibt die Asche

Das am kuriosesten anmutende Schauspiel findet am Ende der karnevalistischen Zeit, Session genannt, statt. Am Fastendienstag, der Fastenaben, Fastelovend, Fasching oder Kehraus genannt wird, kommt der Moment an dem der Obernarr im Karneval, genannt Nubbel oder Hoppeditz, verbrannt wird. Die in schwarzer Trauerkleidung gewandete Gemeinde hält ein kurioses Requiem ab. Alle Sünden, die während der tollen Tage begangen wurden, werden dem Opfer untergeschoben und mit ihm dem Feuer übergeben. Damit ist der Karneval beendet und alle Sünden vergeben. Dieses Ritual stammt auch aus vorchristlicher Zeit und symbolisiert die Vergänglichkeit. Die antike Welt mischte dann die Auferstehung wie Phönix aus der Asche hinzu, die Christen die Auferstehung des Heilands, der für alle Sünden gestorben ist. Und so kann dann am 11.11. des gleichen Jahres durch Einflößen von Alkohol und lärmenden Weckrufen der Geist des Karnevals wieder aufwachen.

Kohleprinzessin Sandra
Kohleprinzessin Sandra die 1. bei der Hoppeditzbeerdigung 2019. (Foto: Ralf Hüls)

Der Narr ist der Grufti unter den Bürgern

Narren grenzen sich ab von der normalen Gesellschaft, die sie nicht ertragen können und wollen und die sie mit ihren Regeln nicht akzeptieren. Man feiert seine eigenen Feste mit eigenen, kurios anmutenden Riten und alles ohne anscheinend tieferen Sinn für Außenstehende. In der karnevalistischen Musik werden oft das Gestrige, die gute alte Zeit und der Zusammenhalt besungen. Es gibt Lieder, die vor über 100 Jahren geschrieben wurden und die heute immer noch gesungen werden.

Jedes Kind im Rheinland kann diese Songs mitpfeifen.

Mhhh…, kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor? So ist es auch in mancher Subkultur. Man zieht sich anders an, hat seine eigenen Partys, Musik und ungeschrieben Regeln. So hält man der Gesellschaft den Spiegel vor. Schaut her, es geht anders, nicht nur im Gleichschritt, sondern oft auch nur drei vor, drei zurück. Tanz auf den Gräbern wiederauferstandener Bands der Vergangenheit, der alten Geister, alter Riten und dem ewigen Mantra: Früher war alles besser.