Wir waren jung, haben die Normalität hinterfragt und wir haben geträumt. So lautet jedenfalls das Fazit von Kolja Haaf, der auf „jetzt.de„, dem jungen Portal der Süddeutschen Zeitung, für die Serie „Teenage History“ die Jugendkultur des Goths beleuchtet hat. Als Geschichten-Onkel im braunen Ledersessel erzählt er über die Szene und zeigt anhand von vielen Videos aus unserer dunklen Vergangenheit, was es mit den Goths damals auf sich hatte. Alexander Nym schmeißt auch noch ein paar zusammenfassende Statements in das schlecht eingerichtete Zimmer mit der fragwürdigen Bowie-Büste, während „Onkel Kolja“ von den Goths erzählt und auf dem alten Röhrenfernseher Videos der 80er flimmern.
Er macht seine Sache wirklich gut, auch wenn er von seinem ursprünglichen Plan, alte Goths zu ihrer Jugend zu befragen, abgewichen ist. Ende Oktober 2020 startete er in der WGT-Gruppe einen Aufruf, man möge mit ihm sprechen, doch die Szene zeigte sich wenig kooperativ. Am Ende riet man ihm sogar dazu, bei uns nachzufragen. Doch leider verhielten auch wir uns unabsichtlich unkooperativ, denn seine Anfrage vom 2. November ist mir einfach entgangen und ich antwortet erst einen ganzen Monat später. Asche über mein Haupt und ein umgedrehtes Kreuz auf meiner Stirn!
Dennoch will ich die Gelegenheit nicht verpassen, das endgültige Werk hier vorzustellen, denn trotz der Szeneverweigerung hat er seine Sache wirklich gut gemacht und lockt, auch die weiteren Folgen der „Teenage History“ im Blick zu behalten. Vielen Dank auch für die zahlreichen Zuschriften, die mich mit der Nase auf diesen Beitrag gestoßen haben. Ihr seid toll!
Was wir von den Goths der 80er lernen können
Ja, was können wir eigentlich von den Goths der 80er lernen? Normalität zu hinterfragen? Wieder lernen, zu träumen?
Diese Frage lässt Kolja leider unbeantwortet, obwohl er in seinem Video die Szene schon ziemlich gut zusammenfasst: „Die Szene war vielseitig, komplex, immer im Wandel und es ist unmöglich Goth hier endgültig zu erklären.“ Und so bleibt sie aus, die große Erleuchtung über eine Jugendkultur, der heute immer noch zahlreicher Jugendliche anheimfallen.
Jung waren wir alle einmal, die Normalität zu hinterfragen ist jetzt auch nicht sonderlich spannend und Träume, ja Träume haben wir doch alle. Oder nicht? Kolja träumt zum Beispiel davon, dass ihm ein sandfarbenes Cord-Hemd, dunkelblaue Hosen und graue Socken in Birkenstocks eine gewisse „Geschichten-Onkel“ Aura geben würden. Nunja, wohl eher ein Albtraum. Allerdings reißt er das Ruder zum Finale herum und behauptet, „…so wie wir alle mal geträumt haben, bis wir aufgegeben haben„. Ein durchaus gruftiges Statement voller Schwermut und Tristesse. Kolja, du bist eingeladen, ein Goth zu sein. Allerdings müssen wir an Deinem Style arbeiten. Dringend.
Dann darfst du auch gerne hier kommentieren, um mir zu offenbaren, was man denn von den Goths lernen kann. Ich bin neugierig.
Naja, hört sich an wie aus Wikipedia zitiert.
Fehlt nur das Lagerfeuer und das dicke Buch auf Schoß. Und dann liest uns der nette Onkel noch eine Geschichte vor.
Aber immer noch einer der etwas besseren Reportagen.
Jetzt bin ich aber mal baff. Es hat mir richtig gut gefallen. Damit hätte ich nicht gerechnet. Der Beitrag ist kurz, gut strukturiert und sowohl sachlich und formal korrekt (zumindest sind mir keine groben Patzer aufgefallen) gleichzeitig aber auch witzig und sarkastisch. In zehn min so ein vielschichtiges Bild der Szene zu erörtern finde ich eine wirklich gute Leistung. Ich fühle mich unterhalten, ganz ohne Fremdscham-Moment. Geht doch!
Ich finde da kann man sogar beim Senf-/Ocker-/Diarröhgelben Hemd ein Auge zudrücken. Muss man aber nicht.
Natürlich drücke ich da ein Auge zu. Ich finde das Setting einfach nur so absurd, wie er da mit seinen Latschen im Sessel hockt und etwas von Jugendkulturen erzählt. Da wollte ich eben ein bisschen „garstig“ sein, so wie es Kolja Haaf in seiner Reaktions-Email schrieb :)
Da kann ich Norma Normal echt beipflichten. Als dieser alberne Jingle zu dudeln anfing dachte ich zunächst nur „Oh my Goth, was kommt denn jetzt wieder für ein Unfug?“ Aber… Hut ab, der Schein trügt. Vielleicht ist das Video jetzt nicht die Offenbarung schlechthin, aber auf jeden Fall eines der besseren seiner Art. In den wenigen Minuten die Goth der 80er zu beleuchten, ohne sie dabei (un)beabsichtigt ins lächerliche zu ziehen, hat mir in der Form echt gut gefallen. Da entschuldige ich auch ausnahmsweise die etwas (un?)freiwillig komische Kulisse und das Outfit des Moderators.
“…so wie wir alle mal geträumt haben, bis wir aufgegeben haben“. – Ein sehr schönes Statement. Ob es allein damit zum Goth ehrenhalber reicht sollen mal andere entscheiden. Mir gefällt es aber ähnlich gut wie dir. Danke schön Robert für den Beitrag, ohne den das Video wohl an mir vorbei gegangen wäre. :)
Das trifft es genau, war auch positiv überrascht. Schade nur dass ich die eingespielten Clips alle schon kannte (einige dank Spontis ;) ). Aber allein schon dass mein Lieblings-Cure-Song vorkommt (und diese herrliche Totengräber-Tanz-Szene die auch in einem YT-Video zu Farblos‘ Winterherz-Video zu sehen ist) hat Lob verdient… 8)
Es steckt für die paar Minuten auch echt viel drin.
“…so wie wir alle mal geträumt haben, bis wir aufgegeben haben.“
Wirklich ein wunderbarer Satz zum Abschluss, da stimm ich euch absolut zu!
Ich bin ja immer wieder erstaunt, mit wieviel Eitelkeit sogenannte „Akademiker“, vorneweg Herr Nym – fotografiert vor einer Schrankwand Typ 80er Eiche brutal – und Herr Kramm, versuchen, ein einfaches Statement der 80er, vielleicht DAS Statement der 80er – die Welt ist ungerecht und schlecht, vor allem in den 80er Jahren war sie das, deshalb sehe ich so aus – möglichst intransparent, unverständlich und hochwichtig klingend zu erklären. *grins*
Ich bleibe aber dabei, eine einzige, ultimative Ursache für ein Dasein als Waver/ Gruftie gab und gibt es nicht. Ich kannte in den 80ern auch schwarze gleichaltrige, die waren keineswegs traurig oder melancholisch, die wollten einfach ihren spießigen Eltern das Leben schwer machen, wollten ihrem Schwarm, der Waver war, gefallen oder fanden ganz einfach schwarzes Gewand, spitze Schuhe und toupierte Haare, die durchaus auch auf die Mode der 80er Jahre Einluß hatten, für eine Zeit lang chic. Ob die nun „echte“ Grufties waren, muß jeder für sich selbst entscheiden. Maßgeblich und wirklich verbindend finde ich vielmehr die wichtigen Aussagen im Beitrag des Wunschs nach einem selbstbestimmten Leben und Aussehen und den Hinweis, daß sich die Szene nicht wirklich abschließend definieren läßt.
Herr Haaf selbst hat seine Sache ganz gut gemacht, ich habe bislang keinen anderen „wissenschaftlichen“ Erklärungsversuch in knappen ölf Minuten gesehen, der die Sache so pointiert auf den Punkt bringt. Den Erklärbären lasse ich ihm dabei durchgehen. Aber diese PeepToe-Birkenstocks…aaaaarghh
Jaaa, die Schrankwand, hab echt losgeprustet!!!
Das Symbol häuslichen Spiessbürgertums in den 80ern und 90ern, als Hintergrund für Erläuterungen zu einer Subkultur. Man könnte ein ironisches Kommentar darin sehen, wahrscheinlicher ist allerdings völliges Desinteresse in Sachen Inneneinrichtung.
Ich vermute inzwischen fast, dass diese ja eigentlich schon absurde Hintergrundkulisse und auch das Outfit ganz bewusst gewählt wurden, um einen Kontrast zwischen sich und dem Thema Jugendkulturen zu erzeugen. Da passt dann so eine spießbürgerliche Kostümierung eigentlich recht gut ins Bild. Bei mir hat es jedenfalls funktioniert: Ich hab ja auch gleich abwehrend reagiert. ;)
Die Kulisse im Studio und wohl auch das Outfit von Kolja Haaf sind bewusst so gewählt, das stimmt. Aber achte mal auf das Videointerview mit Alexander Nym, da sitzt er vor der Schrankwand um die es geht. Die gehört nicht zur Studiokulisse sondern ist vermutlich einfach Teil seiner privaten Wohnungseinrichtung.
Schande auf mein Haupt, ich hab die beiden verwechselt. Vergiss einfach, was ich geschrieben hab und stell dir vor, ich hätte einfach nur zustimmend genickt. :D
Kein Problem : )