Resümee Juli: Wohin, wenn der Alltag drückt oder das Fernweh juckt?

Im Juli-Thema drehte sich alles um Wohlfühl-Orte, die als Ausgleich zum oft stressigen, nüchternen Alltag dienen sollen. Um nahe und ferne Ziele, die unsere Sehnsüchte stillen und uns zur Ruhe kommen lassen oder aber auch den Erkundungsdrang befriedigen. Wer tankt wo seine Akkus wieder auf? Wer sehnt sich an welchen interessanten und schönen Ort der Welt? Dies waren die zentralen Fragen.

Es gab viel positive Resonanz und auch viele Beiträge, die fast alle einen Konsenz aufwiesen: gesucht wird vor allem die Ruhe vor anderen Menschen, deren Hektik und Lärm. Es heißt ja immer, der Mensch sei ein soziales, geselliges Wesen. Doch scheinbar ist es unsere eigene Spezies, die uns am meisten auf den Wecker fallen kann und von der wir uns gelegentlich abkoppeln (müssen), um zu uns zu finden, zur Ruhe zu kommen und das ausleben zu können, was uns wichtig ist. Nicht allen geht es so, aber vielen. Guldhan zum Beispiel bezeichnet sich bewusst als Einzelgänger und auch ColdAsLife liebt es, alleine zu sein und Ruhe zu finden. Ina empfindet Menschenmassen regelrecht als Horror, wohingegen Fledermama sich auch gerade dort wohlfühlt, wo eine gesellige, lebendige Lebensart herrscht. Letztlich reicht ihr dann oft schon eine kuschelige Decke, um sich selbst innerhalb einer Runde einen Rückzugsort zu verschaffen.

Ein typischer Wohlfühl-Ort liegt jedoch meist einsam, ruhig, häufig im Grünen und/oder am Wasser. Hierin sind sich Gabrielle, Roveena, InaTanzfledermaus, Prinzessin und Marcus einig. Guldhan bezeichnet das Meer oder eine Wiese als Ort, an dem er einfach nur sich selbst zu spüren braucht. Auch Fledermama liebt den Wald, den sie intensiv mit allen Sinnen erlebt, leider aufgrund ihres Wohnortes derzeit jedoch nicht aufsuchen kann. Tanzfledermaus und Kathi stellen sogar ein paar Berliner Grünanlagen vor, in denen es trotz Menschen einige lauschige Plätze gibt.

London - Highgate Cemetery
Friedhöfe sind für viele Oasen der Stille, an denen sie für Momente die Welt um sich herum vergessen können. Hier zu sehen: Highgate Cemetery in London.

Alte Friedhöfe mit schöner Grabkunst und andere mehr oder weniger morbide Orte werden ebenfalls sehr oft genannt. Hier bieten Stoffel, Cookie, Ronny, Marcus und Kathi einige schöne Beispiele, zum Teil mit stimmungsvollen Fotos. Überhaupt dient die Fotografie manchen, sich wunderbar erfüllend auf eine schöne Umgebung einlassen zu können. Nicht nur Marcus und Stoffel erfreuen sich daran, auch Tanzfledermaus fotografiert viel und gerne (was sie in einem älteren Beitrag noch genauer ausgeführt hat). Vor allem wilde, raue und einsame Natur hat es vielen angetan, wie Landschaften im hohen Norden Skandinaviens, Schottlands oder Irlands. Das Meer, sofern möglichst einsam erlebt, zieht mit seinem hypnotischen Rhythmus etliche in seinen Bann.

Sehr häufig ist es auch das eigene Zuhause, das einen Ruhepol bietet, Geborgenheit, Gemütlichkeit und Verlässlichkeit ausstrahlt, nicht zuletzt durch entsprechend heimelige Gestaltung. Stoffel nutzt einen Platz in ihrer Wohnung, um dort kreativ zu werden, die eigene Phantasie auszuleben. Ein gut gefülltes Bücherregal oder -schrank gehört auf jeden Fall dazu, schreiben Roveena und Cookie. Erinnerungsstücke sind vielen wichtig, Ronny hat einige davon und auch Roveena und Cookie umgeben sich gerne damit. Ronny, in dessen mit viel Herzblut ausgestattete Wohnung man während der kürzlich vorgestellten Dokumentation einen kleinen Blick werfen konnte, nennt seine Wohnung seinen Schutzraum, seine Höhle, ebenso wie Rena. Auch wenn er sich gerne darin aufhält, liebt er jedoch auch das Tanzengehen zum Sich-Treiben-Lassen als Ausgleich zu seinem oft anstrengenden Alltag. Die Atmosphäre ist es auch, die für ColdAsLife immanent wichtig ist: „Wenn es also ein Ort geschafft hat, zu einem meiner Altarräume zu werden, dann nur, weil ich dort das Magische fühlen kann, an das sich mein inneres Kind in seinem suchenden Blick richtet“.

Seelenhabitate

Doch es müssen nicht nur materielle Rückzugsräume sein. Auch immaterielle Seelenhabitate sind Teil der Alltagsbewältigungsstragien unserer Beitragsschreiber. So begibt sich Guldhan vor seinem PC in virtuelle Welten und fremde Rollen, wie er es schon in Kindestagen via Kopfkino getan hat. Kathi und Stoffel schlüpfen ebenfalls gerne in Rollen in historischen Heereslagern oder bei Horrornächten im Filmpark. Ein ganz besonderer Raum, sich zurückzuziehen und Kraft zu schöpfen wurde von Roveena und ColdAsLife genannt: Freundschaften. Menschen um einen herum, die dich verstehen und akzeptieren, dich schützen, vor negativen Einflüssen bewahren. Und nicht zuletzt die Musik entführt unter anderem Rena in eine ganz eigene Welt…

Was sollte also ein idealer Wohlfühl- oder Kraftort bieten? Er sollte zum einen das eigene Kopfkino ermöglichen, die Phantasie beflügeln, andererseits aber auch die Gedanken einmal abschalten und  durch andere Eindrücke überlagern können. Flucht aus der alltäglichen Welt zum Teil in eine im eigenen Kopf, zum Teil bewusste Körpererfahrung und Freiwerden des Kopfes. Letztere braucht vor allem Guldhan, wenn er auf einer Wiese liegt oder sich im Fitnessraum beim Kraftsport auspowert.

Zwischen Reiselust und Fernweh

Goa Gajah
Die Goa Gajah ist eine in den Stein gehauene Höhle. Den Sarong, den Fledermama und ihr Mann tragen, ist Pflicht.
(c) Fledermama

Nicht alle Wohlfühl- und Kraft-Orte liegen jedoch in direkter Umgebung der Beitragsschreiber. Einige befinden sich im Extremfall sogar auf dem anderen Ende des Planeten. So lässt sich die Fledermama vom spirituellen Flair der Heilstätten alter und fremder Kulturen (Bali, Ägypten) oder vom Puls ihrer Lieblingsstadt Madrid einfangen, erlebt dort eine besondere Aura und Lebendigkeit. Prinzessin wünscht sich in die Metropolen New York, London, Utrecht, Oslo und Prag, ist aber generell überall am Meer glücklich.

Da wir schon beim Meer sind: Die Britischen Inseln oder die Nordischen Länder üben mit ihrer unberührt erscheinenden Natürlichkeit, ihrer Menschenleere eine große Anziehungskraft beispielsweise auf Roveena, Tanzfledermaus und Gabrielle aus. Cookie liebt Edinburgh, die alten Gebäude und Schlösser voller Spukgeschichten, die ebenfalls das Kopfkino füttern. Hierbei helfen ihr entsprechende Filme. Stoffel und Marcus werden von morbiden Orten verzaubert, unter anderem Ruinen und alte Beinhäuser.

Gruftfrosch liebt die verspielte Ästhetik historischer Architektur und pittoresker Kleinstädte ebenso wie Metropolen wie Dresden, Leipzig oder Wien, deren Straßenzüge nicht so rigoros dem modernen Bauwahn unterliegen. Er lehnt die moderne, seelenlose und sterile Architektur ab, was ihm das Warmwerden mit seinem aktuellen Wohnort Berlin sehr erschwert, wo man nach stillen und schönen Orten etwas suchen muss. Dass es diese durchaus gibt, zeigen die Beiträge von Ina, Kathi und Tanzfledermaus. Im Gegensatz zum Gruftfrosch hat Rena jedoch kein Problem und konstatiert keck: „Ich steh‘ auf Beton“. So darf es bei ihr zur Abwechslung auch mal „…dreckig und zwielichtig sein“.

Reichsburg in Cochem
Das ist Cookies Burg. Ihre Familie fuhr schon immer hier her und vor zwei Jahren hat sie diese alte Leidenschaft zurückerobert. Die Reichsburg in Cochem ist für sie mit vielen Geschichten verbunden.
(c) Cookie

Ronnys besonderes Reiseziel heißt Gran Canaria, die Insel verbindet er weniger mit Sommer-Sonne-Strandurlaub. Es sind persönliche Erinnerungen, die ihn an diesen Ort zurückziehen. Ein Gemisch aus Erinnerungen und Sehnsüchte, zuweilen so flüchtig wie ein Windhauch, sind es auch, die Guldhan an einen Ort der Zweisamkeit träumen lassen. An dem Romantik alles ist und Wünsche wahr werden lässt. An dem die tatsächliche Lokalität angesichts der Gefühle trivial ist. Rena trifft es mit den Worten: „(…) mein größtes Sehnsuchtsziel ist kein Ort irgendwo da draußen, sondern liegt im Innern…“.

Der gemeinsame Nenner

Was lässt sich aus den vielen interessanten Beiträgen ableiten? Jeder von uns hat mindestens einen Platz, an den er/sie sich gerne zurückzieht und wo er/sie zur Ruhe kommen kann. Und wenn es „nur“ die eigene Wohnung ist, auch hier lässt es sich hervorragend (weg-)träumen. Für viele ist sie sogar ein sehr wichtiger Kraftort, die Außenwelt wird ausgesperrt, sobald man die Tür zumacht. Haustiere – wie die Katzen von Tanzfledermaus – helfen dabei, dem Zuhause eine „Seele“ zu verleihen.

Außerhalb ihrer Wohnung suchen die meisten menschenleere Plätze auf, wollen nachdenken, den Blick schweifen lassen, die Natur erleben. Auch als Reiseziele schweben vielen solche Gegenden vor, oder aber es sind Regionen, in denen die Menschen eine andere Lebensart haben. Wo mehr Miteinander stattfindet, gemeinsam statt nebeneinander her gelebt wird. Dass die meisten von uns Menschen – zumindest unsere Landsleute – als eher störend in ihrer Nähe empfinden, wenn sie Kraft tanken wollen, wirft kein gutes Licht auf unsere Gesellschaft. Ausnahmen bestätigen die Regel, es gibt natürlich Menschen, die jeder gerne um sich hat und die ebenfalls viel positive Wirkung haben. Dennoch bleibt der Rückzug in Einsamkeit und Stille den meisten sehr wichtig.

Stöbert in aller Ruhe in allen 15 Beiträge zum Juli-Thema des Gothic Friday, lasst Euch inspirieren und verführen. Und wer weiß, in der Urlaubszeit werdet ihr vielleicht den ein- oder anderen genau an diesen Orten antreffen können. Der Gothic-Friday macht eine Sommerpause, da die meisten Autoren in den Urlaub gefahren sind. Weitere Informationen findet ihr natürlich hier im Blog.

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Kommentare

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ColdAsLife
ColdAsLife(@coldaslife)
Vor 7 Jahre

Lieber Svartur Nott,

du hast ein bezauberndes Resümee verfasst, das sich sehr angenehm lesen lässt. Alle sich abzeichnenden Aspekte der sich teils unterscheidenden, aber auch häufig ähnelnden Empfindungen zur Bedeutung von Rückzugsorten und (privaten) Räumen hast du würdigend aufgenommen und in ihrer Vielfalt sowie Gemeinsamtkeit anschaulich wiedergegeben.

Vielen Dank dafür!

Svartur Nott
Svartur Nott (@guest_52666)
Vor 7 Jahre

Aber gerne, ColdAsLife, die Dankessagen gelten allerdings in noch größerem Umfang der Tanzfledermaus (und natürlich Robert): Sie hatte bereits das Gros geschrieben, ich dagegen nur ein wenig eingearbeitet…

Rena
Rena(@normanormal)
Vor 7 Jahre

Ich kann mich dem Dank nur anschliessen!
Bis wann geht die Sommerpause eigentlich?
Generell ein grosses Danke und Lob an alle Autoren und anderweitig Mitwirkenden, ihr habt euch ein kreatives Päuschen verdient! : )

ColdAsLife
ColdAsLife(@coldaslife)
Vor 7 Jahre

…die Dankessagen gelten allerdings in noch größerem Umfang der Tanzfledermaus (und natürlich Robert): Sie hatte bereits das Gros geschrieben, ich dagegen nur ein wenig eingearbeitet…

Dann möchte ich natürlich gerne allen Beteiligten Lob und Dank aussprechen. Vielen Dank für die bis dato spannenden Themen, die von den Autoren eingereichten Artikel, die Kommentierungen und ihre aufwändig zusammengestellten Quintessenzen.

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