Resümee Februar: Wie seid ihr in die Szene gekommen?

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Der letzte Freitag des Monats ist das gleichzeitige Ende des Monats-Themas für den Gothic Fridays 2016, bei dem wir im aktuellen Februar danach gefragt hatten, wie ihr in die Szene gekommen seid oder warum ihr euch immer noch zugehörig fühlt. Meine Skepsis, ob ein erneutes Projekt wie dieses immer noch auf begeisterte Leser stoßen würde, war unberechtigt. Ich bin schlichtweg begeistert von der Fülle und der Qualität der Beiträge, die rund 30 Teilnehmer im Februar niedergeschrieben haben. Was mich besonders freut ist die Mischung aus treuen und völlig neuen Lesern, die sich bereit erklärt haben, ein bisschen von dem Preiszugeben, was sie nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ausmacht.

Zusammen mit Svartur Nott vom Gothic-Friday-Team, der den größten Teil dieses Artikels geschrieben hat, möchte wir versuchen auf den Punkt zu bringen, was Menschen in die Szene bringt oder sie darin hält. Bringt ein bisschen Zeit mit, es gibt viel zu lesen.

Wie seid ihr in die Szene gekommen?

Während 2011 der Einstieg der Teilnehmer noch sehr von Musik geprägt war, zeichnet sich dieses Jahr bereits ein differenzierteres Bild ab, denn das Internet eine wichtige Informationsquelle für die Neugierigen geworden und gleichzeitig ein virtueller Treffpunkt Gleichgesinnter. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Bravo als Wegweisendes Instrument für unzählige Szene-Einstiege verantwortlich war. Jedenfalls bei den jüngeren Teilnehmern. Cookie war die erste neue Teilnehmerin, die in ihrem Blog gleich auf dieses Phänomen eingeht und schreibt: „Das Schlüsseljahr war sicher das Jahr 2000, denn da bekamen wir Zuhause Internet-Zugang und auf einmal konnte man sich zu allem informieren, was man wissen wollte und Kontakte zu Leuten aufbauen, die genau so tickten, wie man selber.

Cookies Bilder
Cookie vom Blog Cookie’s Wonderland of Geeky Things

Aber auch andere Medien hatten einen Anteil daran, dass Menschen, deren Interessen sich mit der Szene überschnitten, ihr zuwandten. So bekam Wiener Blut „anfang der 2000er (…) medial den ersten Kontakt mit der Szene, real dann über meine jetzige Frau, die ich dann in dem Zeitraum kennengelernt habe, und die schon einige Jahre unterwegs war.“

Beatrice de Son Bages wurde einen Onlinekontakt in einem Sterbehilfeforum auf Taria Turunen aufmerksam gemacht, welchem ein Konzertbesuch und die fast alljährliche Teilnahme am WGT folgte.

Ebenfalls über das Internet und die Musik gelangte Dennis in den Bannkreis der Szene. Mit dem ersten Zugang zum Netz 1995 stolperte er über die Band „Deine Lakaien“, welche er jedoch damals mangels Soundkarte nicht hören konnte. Es dauerte ein paar Jahre, ehe ich wieder darauf stieß. Eine Freundin erzählte auf einem Drehleierfestival (dem berühmten in Lißberg), dass sie jetzt eigentlich weniger Folk und mehr Darkwave höre. Darkwas? Dieser Begriff war mir neu, und so lag einige Wochen später ein Mixtape im Briefkasten, mit den Lakaien (Acoustic), Qntal und Estampie. Die letzten beiden boten wunderbar neu interpretierten Folk, und die Lakaien in der Acoustic-Version passten wunderbar dazu. Ich war begeistert!

Bei Dagmar „Mottenprinzessin“ kelaino war das entscheidende Medium die Bravo, welche sie eines Tages auf einer Schulbank fand: “ Ich blätterte herum und fand einen Artikel über Gruftis — wahrscheinlich begleitend zu einer der Foto-Love-Stories. Als ich den Artikel durchgelesen hatte, hab ich zum ersten Mal gewusst, dass ich nicht alleine bin und auch andere so fühlen wie ich. Aus der Ferne betrachtet waren dort natürlich genug Klischees genannt worden, aber so genau hab ich das nicht genommen. Meine Klassenkameraden haben dann ziemlich über den Artikel gelästert, aber ich wusste insgeheim, wohin meine Reise gegen würde.“

Einstiegsdroge Musik – Die verlockenden Klänge der schwarze Szene

Die Musik bleibt jedoch die größte Gemeinsamkeit aller Einsteiger. Nähkäschtle Feli, die durch ein Album von HIM, dass sie in der elften Klasse hörte und darauf hin eine Freundin ansprach oder auch die Fledermama Janina, die im Kunstunterricht die Hälfte eines Kopfhörers bekam: „Ich steckte ihn mir ins Ohr und… An dieser Stelle müsst ihr euch das wie in einem Film vorstellen. Nahaufnahme des Kopfhörers, wie er mit demsilikonbenoppten Teil im Gehörgangversenkt wird – Nahaufnahme eines grün-blauen Auges – nichts als ein Herzschlag zu hören – derPuls erhöht sich – die Pupille weitet sich in Erstaunen. „Was’n das?“ „ASP“. „Und das?“ „69 Eyes.“ „Und das?“ „Lacrimosa.“. So ging es praktisch die gesamte Doppelstunde über.

Bleikind gelangte über musikalische Umwege in die Szene. Nach einem Auslandsaufenthalt in Spanien begegnete man ihr in ihrer provinzlichen Heimat misstrauisch und ablehnend, sodass sie sich aufgrund deren „melancholischen, teils weltablehnenden Note“ Linkin Park zuwendete. Über ein Video im Netz wurde sie dann auf die Szene aufmerksam, schaute hörte sich durch Youtube-Videos, bis es bei „Bauhaus‘ – Bela Lugosi’s Dead“ Klick machte.

Fledermama Janina
Die Fledermama aus Shanghai, damals noch in unseren Breiten unterwegs. Motto des Bildes: Bloß nicht lächeln!

Fogger bekam 1987/88 von einem Freund ein Tape in die Hände gedrückt. Auf der A-Seite Depeche Mode, auf der B-Seite jedoch The Cure, von welchen er nun völlig überwältigt war: „Nichts hat mir vorher soviel gegeben, wie diese Musik. Ich glaube ich muss hier niemandem dieses Gefühl erklären. Ein Gefühl welches heute noch so aktiv ist, das ich mich zurückhalten muss, nicht auf jedes Konzert in Deutschland oder Europa zu fahren.

Nagumo war ab Ende der 80er, anfang der 90er in einer heftigen Selbstfindungsphase und Sinnsuche, „probierte so gut wie jede Subkultur durch, die Westdeutschland bis dato zu bieten hatte“. In den Jahren gab es Bands wie Das Ich, The Cure, Depeche Mode, Silke Bischoff, welche ihn nicht losließen und immer wieder heimsuchten. Nach Loslösung von seiner damaligen Peergroup und Beginn eines Studiums, stieß er auf zwei weitere Bands: „Diesmal waren es Sopor Aeternus und Lacrimosa und diese waren dann auch die letzten Steine, die fehlten, um mich einer Subkultur zuzuwenden, der ich bis heute angehöre. Ich war fasziniert von dieser Melancholie. Ich war fasziniert von der Todesästhetik und ihrer unglaublichen Schönheit…. aber am meisten war es die Musik.“

Magister Tinte, Schreiber des letzten Beitrages, hatte diverse Zugänge zur Szene. Er konzentrierte sich in seinem Beitrag auf den Einstieg über die Musik durch das Medium Internet: „Mit ungefähr 18 Jahren stieß ich auf die Sisters of Mercy, eine Band die keiner meiner Freunde kannte, und erst recht nicht hörte. Nur mit dem Wissen das die Musik etwas älter war, als all das Andere was ich kannte, stieß ich nach einiger Zeit auch auf Joy Division und Depeche Mode. Nachdem ich langsam dahinter kam, wonach ich suchen musste, fand ich immer mehr passenderes und artverwandtes im Internet dazu. Ich fand auch Clubs in denen auf kleineren Floors Musik lief, die ich zwar nicht kannte aber die mir sofort gefiel.“

Selbst wenn sie sich selbst nicht mit der Szene identifizier(t)en, gab es dennoch Menschen, welche ebenfalls über die Musik in sie hineinrutschten oder zumindest in ihr Umfeld gerieten. +VLFBERH+T kam über „obskuren Black Metal“ in die Szene, um welche er „mal näher, mal ferner herumorbitiert„. Führ ihn ist die Musik nach wie vor das wichtigste Element und er schätzt „(…) die Fähigkeit der Szene, immer wieder Großartiges hervorzubringen.“

Vorbilder – Den andere die Schuld in die Schuhe schieben

Neben der Musik sind Freunde oder Klassenkameraden ebenfalls immer noch häufig Schuld daran, dass sich der ein- oder andere in der Szene verirrt. Asti freundete sich bereits in der Schule mit einer Klassenkameradin an, die offenbar ein Mitglied der Szene war: „Es war nicht nur ihr Stil sich zu kleiden, sondern auch ihre ganze Art und Weise, offen, freundlich, ehrlich, was zwar sehr im Kontrast zu ihrer äußeren Erscheinung stand. Mein Interesse war geweckt worden, denn wirklich zuhause fühlte ich mich in der „bunten“ Welt nicht.

Ronny Rabe kam 1993 über einen Freund mit Lacrimosas Album „Einsamkeit“ in Kontakt: „Wir haben es zusammen gehört und ich war sofort hin und weg. Die Vertonung der Texte und die Aufmachung der Band, für mich eine Offenbarung – ich war fasziniert. Ich habe davor schon Gedichte und Gedanken für mich niedergeschrieben, welche ich eben in den Texten von Lacrimosa wiedergefunden habe. Mich faszinierte nicht nur die Musik sondern auch der Mensch Tilo Wolff und so begann ich alles zu sammeln und mein Äußeres zu verändern.“

Miss Makaber
Miss Makaber fand schon mit 14 Jahren in die Szene und wurde von einer Mitschülerin, die drei Stufen über ihr war, mit der ersten Grundausstattung versorgt.

Der Einstieg von Ursula geschah über ihre Interessen und der Abgrenzung gegenüber ihren damaligen Mitschülern , mit denen sie nicht viel anzufangen wusste – was auf Gegenseitigkeit beruhte. Und dann, „in der Oberstufe, als unser Jahrgang durch neue Mitschüler verstärkt wurde, traf ich auf einmal auf Leute, die die gleichen Vorlieben teilten, die gleichen Bücher lasen, die gleichen Filme guckten, die das Diktat der angesagten pastellfarbenen Markenklamotten ebenso gräßlich fanden wie ich und bei denen die Top Ten nur Brechreiz auslöste. (…) Von Gruftis und Wavern hatte ich bis dato auch schon vernommen – Bravo sei Dank! Irgendwie passte das zu mir.

Miss Makaber wurde unter die Fittiche einer Klassenkameradin, die drei Stufen über ihr war, genommen: „Die junge Dame war aber natürlich weder blind noch blöd und merkte irgendwann, das ihr ein kleines, unsicheres Irgendwas im schwarzen Shirt, schwarzer Hose und schweren Deichmann Stiefeln (Springer waren zu dieser Zeit noch viel zu teuer für mich) hinterher huschte. Freundlich nahm sie mich zur Seite,sprach mich an und nahm mich dann unter ihre Fittiche.

Flederflausch fand bereits zu Schulzeiten die Schwarzkittel, denen sie begegnete, faszinierend: „Ganz in schwarz – lange, wehende Mäntel, schwere Schuhe – erhabend gleitend durch die bunten Massen der betongrauen Schulgänge und bunten Halbstarkenmassen. Unzählige Pause verbrachte ich damit sie zu beobachten (…).“ Ursprünglich nichts mit der Musik am Hut hatte, sollte sich das daraufhin ändern, als ihr ein Freund „sein unerschöpfliches Sammelsurium an Musik aus dem Bereich Metal, Gothic Rock und was es alles war eröffnete. (…) In der Musik fand ich Gedanken, Gefühle und Situationen ausgedrückt, die ich selbst nicht in Worte fassen konnte. Dort fand ich mich verstanden.

1980 veröffentlichten Visage mit dem extrovertierten Sänger Steve Strange ihre erste LP. Es dauerte nicht lange, und GM wurde auf ihn aufmerksam: „Seine ausgefallene Kleidung gefiel mir. Ich probierte meinen Kleiderstil etwas nach ihm auszurichten und sparte auf meine allererste LP, die ich irgendwann kaufen konnte.“ An einem Abend im Ballhaus Tiergarten traf sie auf einen jungen Mann, der „komplett schwarz gekleidet (war) und schwarze Haare (hatte), die an den Seiten kurz geschnitten waren und deren langer Pony zur linken Seite fiel.“ Durch ihn lernte sie die für sie erste schwarze Musik kennen, Joy Division und Bauhaus.

Bibi Blue wuchs bis Anfang der 80er erst im Ost-Berlin und danach im Skopje des damaligen Yugoslawiens auf. Dort wurde sie durch Klassenkameraden in die dortige, äußerst heterogene Punk-Szene gezogen, welche einige stille, melancholische Wesen beinhaltete. Es wurde viel erlebt, diskutiert, Musik ausgetauscht und die latente Ahnung des kommenden Krieges, die omnipräsente Untergangsstimmung wirkte als Verstärker aller Leidenschaften. Eigens geschwärzte Kleidung wurde von Bibi „als Abbild meiner seelischen Fetzen getragen„. Sie fühlte sich „(…) fremd in der Welt, doch in der Szene zu Hause (…), im Wunderland

Traumtänzerin hatte mit 16 die erste scheue Begegnung mit Gruftis: „Ich sah sie nur aus der Ferne und war trotzdem schon fasziniert. Ich beschloss: so jemanden musste ich einfach kennenlernen.“ Über eine Freundin wurde sie in die moderne Mittelalter- und Gothicszene eingeführt, welche ihr jedoch nicht lange zusagte: „Ich merkte schnell, dass sich auch dort oftmals einfach die üblichen Trottel herumtrieben.“ Auf der Suche nach mehr Tiefe, landete sie bei Spontis: „Es kam wie es kommen musste: ich verschlang einen Artikel nach dem anderen der auf Spontis und anderen Blogs in dessen Dunstkreis gepostet wurden.“ Dort stellte recht schnell fest: “oh ich bin ja wie die” und fühlte sich wie zu Hause angekommen.

Der schleichende Prozess

Bei manchen war es ein eher stufenweises Hineingleiten, so auch bei Marion Levi. Erste Eindrücke, sowohl aus ihrem Umfeld, als auch im Alltag, sowie eigene Nachforschungen und neuentdeckte Musik vertieften nach und nach das Interesse, auch wenn sie es „mehr (als) ein Herumlungern am Rande, ein Hineinschnuppern und Beobachten“ beschreibt. Letztlich, so sagt sie, ist sie „quasi unbeabsichtigt nach und nach immer tiefer in die Szene hineingerutscht und dort geblieben, einfach weil es irgendwie zu passen scheint“ und  „das Gruftie Sein ganz selbstverständlich zu mir und meinem Alltag gehört.“

Auch beim Gruftfrosch war es ein schleichender Prozess, an dem die Musik einen nicht unerheblichen Anteil hatte. Bereits als Kind… „(…) mochte ich lieber Lieder, die melancholisch daherkamen. Ich liebte diese Lieder, auch wenn ich die Texte damals nicht verstand.“ Seine Interessen für Malerei, Photographie, Architektur und Historie begünstigten den sachten Einstieg, bei dem „mit der Zeit ganz allmählich das Bunte aus dem Kleiderschrank wich“. (…) Das Lesen in der Gedankenwelt der anderen schwarzen Seelen war (…) neben Musik, Gefühl und Ästhetik das, was mich in seinen Bann zog. Neben viel Oberflächlichkeit, die man ja auch aus der bunten Welt zur Genüge kennt, eben auch die anderen zu treffen und mit ihnen zu reden, zu schreiben, an ihrem Wissen, ihren Gedanken teil zu haben, mit ihnen zu diskutieren.

Warum seid ihr immer noch in der Szene?

Stoffel war die erste vom Club der Ursprünglichen (die schon beim Gothic Friday 2011 mitgemacht haben), die sich der Frage, warum sie immer noch in der Szene seien, gestellt hat. Überhaupt war sie die Erste, die überhaupt etwas eingereicht hat. Für sie gibt es nur eine Erklärung für ihre mittlerweile langjährige Szene-Zugehörigkeit: „Zusammenfassend kann ich sagen das ich mich der Szene immer noch zugehörig fühle durch Freunde, Musik (Selbige ist essentiell für mich), persönliche Einstellung und weil ich mich in der Szene einfach wohlfühle.

Aristides Steele
Aristides Steele ist schon so lange dabei, das sich wie hier auf einer Ausstellung in Leipzig, selbst trifft.

Der Prinzessin geht es da ganz ähnlich, war sie doch in den letzten zwei Jahren hauptsächlich für ihren Nachwuchs da: „Seit über zwei Jahren steckte ich nicht mehr in Korsett und Reifrock – es fehlt mir so sehr. Das ist eigentlich ein Zeichen für mich, dass die Gothic-Szene immer noch mein Zuhause ist.

Tanzfledermaus, welche bereits im November und Dezember des letzten Jahres ausführlich ihren Einstieg in die Schwarze Szene dargelegt hatte, sieht diese heute etwas zwiespältig und fühlt sich einerseits nicht mehr ganz so heimisch. Auf der anderen Seite jedoch ist sie glücklich über „(…) die Nischen, in denen ich mich bewegen kann“, denn eine echte Alternative, welche sich mit ihren Interessen, Lebensstil und Lebensgefühl überschneidet, gibt es nicht.

Die Szene als Rückzugsraum, als kleine, für Außenstehende unsichtbare Welt, wird auch von ElisaDaynach all den Jahren (…)“ als „eine Nische, in der sie sich ausleben und wohlfühlen kann“ genutzt. Die Art, in der Szene zu leben und das Leben zu gestalten, genießt sie und findet es schön, bemerkt dabei aber auch, dass es wichtig ist, „dass man den ganzen Kram nicht zu ernst zu nimmt“.

Sabrina sieht es aufgrund ihrer Interessen und Ansichten als völlig natürlich an, dass sie sich weiterhin in der Szene aufhält, da für sie der Szene mit ihrem Leben verschmelzen: „Heute halte ich mich also noch immer an Orten auf, deren Ambiente ich mag. Ich kleide und schminke mich so, wie ich es schön finde. Ich treffe mich mit Leuten, die ich mag und ich gehe zu Konzerten und Festivals, bei denen meine Musik gespielt wird. Ich suche mir kulturelle Veranstaltungen heraus, die mich interessieren und ich unternehme Dinge mit Freunden, die mir Spaß machen. Das kann man nun natürlich „Szene“ nennen. Ich nenne es „mein Leben.“

Auch Shan Dark sieht es ganz gelassen und meint: „Solange es mir also in der schwarzen Szene gefällt, bewege ich mich in ihr, denn sie bietet mir einen erweiterten Zugang zu mehr Menschen und Veranstaltungen. Mehr Auswahl und Möglichkeiten.. Menschen, mit denen ich die selben Interessen, Stimmungen, Gefühle und Geschmack teilen kann. Und natürlich Amüsement nach meinem Geschmack – Partys, Konzerte, Festivals, Filmvorführungen, Gespräche, Friedhofsbesuche, Ausflüge und „blaue Stunden“. Das alles bietet mir „meine Szene“: initiales Kennenlernen, (un)regelmäßiges Wiedersehen, gemeinsames Schwelgen in geistigen und realen Räumen.“

Nadja Karpenko sieht sich in einer distanzierteren Position zur Szene als noch vor 5 Jahren. Sie hatte immer mehr das Gefühl, „dass mir Gothic nichts mehr Neues und Aufregendes bieten kann (…) und nun die Frage kommt: Was jetzt?“ Mit der Zeit fragte sie sich: „Brauche ich also wirklich eine Szene, die mich vollständig repräsentieren kann?“ und fand für sich die Antwort: „Ich persönlich möchte mich nicht auf eine Schublade beschränken, am liebsten möchte ich in gar keiner sein. Ich setzte mir doch selbst keine Grenzen.“

Auch für Guldhan ist die Szene längst kein Platz mehr, an dem er sich zu Hause fühlt und dennoch irgendwie zu Hause ist, denn offensichtlich sind wir die einzigen Reihen, in denen Underdogs noch ihr Wunden lecken können: „Ja, ich sehe mich noch als Underdog. Und deshalb schleiche ich noch durch diese Reihen. (…) Bin der Köter, der sich hier verkrochen hat, der im Dunkeln seine Wunden leckt und sich nur noch zum fressen und scheißen raustraut. Von mir aus kann man mich auch als einen derjenigen Gebrochen bezeichnen. Würde das nicht einmal leugnen. Und deshalb inhaliere ich die Musik. Lebe die Musik. Lebe einzig noch während der Musik. Stille ist Schweigen ist Selbstanklage. Und könnte sogar die Streitfrage losbrechen, ob die Szene jene Musik überhaupt verdiente.

Für Robert, seines Zeichens Wiedergänger einer immer wieder totgeglaubten Szene und Inititator dieses Blogs, ist „das Gefühl, für Gruftis zu schreiben zu dürfen, die genau so ticken wie ich selbst“, eines der Gründe, warum er immer noch in der Szene ist.“ Dies und „die Leidenschaft für das morbide, abseitige, okkulte und mystische, die Ästhetik eines flackernden Grablichtes auf dem Grab eines Verstorbenen, die Stimmung des Nebels, der den Boden bedeckt aus dem nur die Blattlosen Gerippe der Bäume ragen,“ dies alles mit Gleichgesinnten teilen zu können, hält ihn in der Szene.

Was Aristides Seele immer in der Szene gehalten hat, „war – natürlich neben der Musik – die Leute. Selbst wenn es immer wieder bunte Ausnahmen gab, (…) so ist die Wahrscheinlichkeit, in der Szene auf Leute zu treffen, bei denen die Wellenlänge im Weitesten die Gleiche ist, einfach doch um einiges höher. (…) Bei meinem ersten, richtigen Schwarzclub-Besuch gab es dieses überwältigende Gefühl des “Daheim-angekommen-seins”, und dieses Zuhause wurde im Laufe der Jahre dann auch mit immer mehr Leuten angefüllt, die man sehr wohl als die eigene schwarze Familie bezeichnen kann und mit denen man nicht selten sehr tiefe und tolle Freundschaften entwickelt hat.“

Mit einem reflektierenden Ansatz schrieb zu guter Letzt ColdAsLife einen nachdenklichen Beitrag und schloss mit folgender Ansicht: „Ich benutze die Szene. Ganz egoistisch. Um mich zu sättigen. Um mir Selbstvertrauen zu geben. Um Schwermut und Verzagtheit zu highlighten. Um mich zu etikettieren, zu elitarisieren. Um besonderer zu sein. Um den ausgestreckten Mittelfinger zu verlängern. Um zu fühlen. Um zu spüren. Um etwas zu haben, ginge alles verloren. Um einen Panic-Room zu haben. Wenn auch nur um des Habens willen. Um ein Netz zu haben zwischen etwas. Was über dem Netz und unter ihm ist, weiß ich nicht. Aufgefangen werden wollen. Vielleicht bin ich so in die Szene gekommen.“ Und vielleicht auch deshalb geblieben.

Der Punkt

Erstaunlich. Nach über 30 Jahren Szene gibt es immer noch Menschen, die aus vielfältigen Gründen in die Szene „rutschen“. Sei es durch Freunde oder Klassenkameraden oder durch das Internet und andere Medien. Die Möglichkeiten, sich über die Szene zu informieren, sind schier endlos und auf Abruf verfügbar. Man kann also sorgfältig recherchieren, bevor man sich „Gothic“ fühlt und in Erfahrung bringen, was die Szene ausmacht. Das hat die Szene nicht nur immer größer gemacht, sondern auch immer noch aktuell für junge Menschen auf der Suche nach der Nische, in der sie einfach sie selbst sein können. Die Musik nimmt dabei den wichtigsten Bestandteil der Identifikation ein und ist für die Meisten, die sie zum ersten mal hören, eine Offenbarung. Die Musik der Szene trifft sie auf einer sehr emotionalen Ebene und drückt für viele aus, was sie denken und fühlen. Und das ist eben manchmal düster und abseitig, melancholisch und traurig oder auch bizarr und leidenschaftlich.

All das schafft ein Umfeld und einen Freundeskreis in dem man sich nicht verbiegen, anpassen oder zurückhalten muss. Menschen, die so denken wie du, die eine ähnliche Weltanschauung und auch die gleichen Interessen haben machen es einfach, seine kleine schwarze Welt zum Naherholungsgebiet zu erklären. Es ist auch für die Meisten ein Grund, sich weiter zugehörig zu fühlen, auch nach 10, 20 oder sogar 30 Jahren in „Schwarz“. Man tauscht ein paar Dinge, die die Szene ausmachen. War man früher rebellischer, intoleranter und wählerischer, wird man mit zunehmender Szenezugehörigkeit doch ein wenig resistent gegen die ständig neuen Einflüsse, die mal mehr und mal weniger in der Szene Einzug erhalten. Man tauscht nervenaufreibende Rebellion und kräftezehrendes Auswählen gegen eine gewisse Coolness, gegen die Einflüsse von Außen und gegen die Einflüsse des Alltags. Wenn man so möchte, hat die Suche von damals ein Ende und das, was man gefunden hat, erfüllt einen mit Zufriedenheit. Keine weiteren Wechsel notwendig, kein anpassen, kein erklären. Ein wenig müssen wir jedoch alle darauf achten, dass uns die Substanz der Szene nicht wegbricht und wir Coolness mit Ignoranz verwechseln.

Gothic Friday Februar: Vom Szeneeinstieg zum Lebensgefühl mit Hindernissen (Miss Makaber)

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Miss Makaber ist die letzte Teilnehmerin des Gothic-Friday im Februar, für die ihr Szenedasein offensichtlich keine „Phase“ mehr ist, sondern Lebenseinstellung. Mittlerweile ist sie sogar sehr erfolgreich darin, auch das Mutter-Sein mit dem Szene-Dasein zu verbinden. Ich bin sehr froh, das Sie sich durchgerungen hat, ihr spannende und zugleich schmerzvolle Geschichte ihres Szeneeinstiegs niederzuschreiben.

So viele lesenswerte Beiträge gab es schon zum Thema „Wie kamst du zur Szene“ und ich habe lange überlegt, ob ich da noch meinen Senf zu geben möchte, ohne das ich das selbe schreibe, wie die anderen und der Leser wohl möglich noch vor Langeweile schnarchend vor dem PC zusammensackt. Heute habe ich den Entschluss gefasst,das ich es doch wagen möchte! Obwohl. Darf ich als „junges Küken“ eigentlich schon was zur „Szene“ sagen oder gibt es vielleicht ein Mindestalter, das einen erst dann dazu befugt über die wahrhaftige Gruftigkeit zu sinnieren?

Jedenfalls beginnt mein Text so: Es hat alles damals in der Schule angefangen….ja, ich weiß, das hat es wahrscheinlich bei jeden anderen auch, aber ich fahre trotzdem fort. Es hat also in der Schule angefangen, ich war etwa 12 Jahre alt und eher so der Eigenbrödler. Andere alberten mit Klassenkameraden herum, ich hingegen saß lieber alleine, zeichnete den lieben langen Tag und träumte mich ins sonst wo. Schon zu der Zeit hatte meine erdachte Welt mehr Reiz und Sinn, als die Echte.

Ich wollte nicht so sein wie die anderen und als ich eines Tages Viva schaute, sah ich „Sie“ das erste Mal. „Sie“ waren dunkel angezogene Gestalten, mit blass geschminkten Gesichtern und schwerem Gang. Ich dachte mir: „Wow! Was ist das nur?“ und war sofort fasziniert. Sie erzählten von ihrer Musik, sahen die Welt kritisch und waren gegen die Norm. Alles war gut, solange es nicht dem Einheitsbrei entsprach und ich fühlte mich direkt angesprochen. Ich wollte alles über diese Leute erfahren, was sich aber sehr schwierig in einem Kaff wie Wesel ohne aktive Szene und ohne Internet erwies. Doch dann gab es da plötzlich ein Mädchen in meiner Schule, die genauso aussah wie die Leute, die ich im Fernsehen sah.

Miss Makaber - Jugend
Miss Makaber im zarten Alter von dreizehn Jahren

Natürlich himmelte ich sie förmlich an, auch wenn ich zu schüchtern war, ein Mädchen das drei Stufen über mir war, anzusprechen. Die junge Dame war aber natürlich weder blind noch blöd und merkte irgendwann, dass ihr ein kleines, unsicheres Irgendwas im schwarzen Shirt, schwarzer Hose und schweren Deichmann Stiefeln (Springer waren zu dieser Zeit noch viel zu teuer für mich) hinterher huschte. Freundlich nahm sie mich zur Seite, sprach mich an und nahm mich dann unter ihre Fittiche. Als ich das erste Mal bei ihr zu Hause war, schenkte sie mir meine erste Lederjacke und mein erstes schwarzes Samt Oberteil. Sie zeigte mir Musik, die mir aus der Seele sprach, las mir Literatur vor, die melancholisch und düster war, färbte mir die Haare rot (später schwarz) und ich war plötzlich mit 14 Jahren mittendrin, statt nur hinterherzulaufen.

Ich begann die Welt mehr und mehr zu hinterfragen. War sie mir bis dahin schon nicht sehr sympathisch, stellte ich sie von nun an immer mehr in Frage. Ich wuchs in einer Nachbarschaft auf, in der jede Mutter die andere kannte und jedes schlechte Verhalten beobachtet und sofort telefonisch der eigenen Mutter mit geteilt wurde. Zum Glück machte sich meine Mutter nicht viel draus und so glaubte sie natürlich auch nicht, als ihr von irgend jemand berichtet wurde, das ich beim Rauchen gesehen wurde. Ich konnte es so also noch gut zwei Jahre geheim halten, bis sie dann schließlich einen Aschenbecher in meiner Socken Schublade fand.

Dieses aufgezwängte Nesteln der anderen Mütter widerte mich an. Sie steckten ihre Nase in alles was sie nichts anging, weil sie den lieben langen Tag nichts anderes zu tun hatten und eine Welt außerhalb der eigenen vier Wände und des Supermarktes quasi nicht existent für sie war. So wollte ich auf keinen Fall sein! Ich wollte in ferne Länder, ich wollte Sachen ausprobieren die sonst kaum einer tat, ich wollte einfach anders sein.

„Kinder können grausam sein, aber nur, weil sie es von ihren Eltern so vorgelebt bekommen.“

Miss Makaber - Auf und davon
Auf und davon! Weg von dem, was mir nicht passte.

Und dann kam ich eines Freitags von der Schule und meine Mutter stand Kaffee trinkend und mit Folie um den Oberarm in der Küche und grinste mich breit an.

Sie hatte sich ihr erstes Tattoo stechen lassen (Ein Delfin mit Welle) und ich fand das unheimlich toll. Das war eine Veränderung weit über gefärbte Haare und Schminke hinaus und das war genau das, was ich auch wollte. Veränderung in großen Schritten und weg von meinem schüchternen, kleinen ich, auf dem alle herum trampelten. So lag ich meinen Eltern jahrelang in den Ohren, das ich auch unbedingt Farbe unter der Haut haben wollte, aber dazu später mehr. Wenigstens hatte ich nach langem Bitten und betteln dann endlich einen Nasenring und ich war Stolz wie Bolle über diese kleine Veränderung.

Die Dame, die mich an die schwarze Szene herangeführt hatte verzog leider, was einen fiesen Einschnitt in meinem Leben bedeutete. Ich war wieder auf mich alleine gestellt. Alleine und dann auch noch anders zu sein, ist eine der ungünstigsten Mischungen die man in einer Kaff-Gesamtschule an den Tag legen kann. Ich wurde gemobbt und von Beschimpfungen wie „Satanisten Fotze“, über Schmierereien auf meinem Pult, bis hin zum stehlen meines ersten Ledermantels, der dann in einer Toilette auf dem Mädchenklo lag, war alles dabei. Für mich ging das bis zur neunten Klasse so weiter und war bis dato die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich hasste die „Normalen“ und verurteilte die Gesellschaft dafür, das sie nichts gegen solche Menschen unternahm. Ich verkroch mich immer mehr, ging schon weinend zur Schule. Kinder können grausam sein, aber nur, weil sie es von ihren Eltern so vorgelebt bekommen.

Auch von den Erwachsenen wurde ich Kopfschüttelnd angestarrt und es kam sogar vor, das eine Frau ihr kleines Kind von mir weg zog und sagte, das es von dem asozialen Mädchen weg gehen solle. All das tat mir innerlich sehr weh, da ich von Natur aus sehr emotional bin und so verstand ich endlich den Schmerz der in so vielen Liedern und Texten beschrieben wurde, die ich mochte.

Miss Makaber - Red Hair
Red Hair for Dark Times

Damit ich nicht weiter alleine sein musste, schloss ich mich den paar Punks an die es hier gab. Anfangs gefiel es mir dort ganz gut, schließlich waren auch sie anders und gegen das Spießertum, doch irgendwann merkte ich das es mehr Schein als sein war. Dieses ständige Rumgepöbel, die Sauferei am Bahnhof und die gröhlende Pogerei stießen bei mir auf Ablehnung und das einzige gute was ich aus dieser Zeit mit nahm, war mein erstes paar Springerstiefel und meine kleine Liebe zur Nische Horrorpunk.

Die restliche Schulzeit war nur noch grausam und irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und wollte aussteigen…Aussteigen aus dieser Welt in der alles nur Fassade war und jeder der nicht dazu passte, zerstört wurde. Danach war das Geheule natürlich groß und keiner konnte verstehen, warum ich nur so etwas schreckliches versucht hatte. Meine Mutter fragte mich verzweifelt, warum ich mich keinem anvertraut hatte, wenn ich es ihr schon nicht gesagt hatte und als ich ihr sagte, das ich täglich zu Lehrern gegangen bin und sogar einen Termin bei der Schul-Psychologin wollte, der aber abgelehnt wurde, ging sie in der Schule auf die Barrikaden.

Zum Glück war die Schulzeit kurz danach beendet und ich war froh niemanden davon auch nur einmal in meinem Leben nochmals sehen zu müssen. Nach meinem Abschluss bekam ich dann endlich mein lang ersehntes Tattoo, da ich mit meinen Eltern einen Kompromiss gefunden hatte. Sollte ich mit einer guten Note meine Mathematik Abschluss Prüfung bestehen, würde ich die Erlaubnis bekommen. Da ich in Mathematik immer unterirdisch schlecht war, wähnten sich meine Eltern natürlich auf sicherer Seite und waren Baff, als ich dann mit einer drei bestand.

Ende gut, alles gut?

Miss Makaber 2009
2009 habe ich endlich angefangen, mich von Zwängen zu befreien und mich so zu verändern, wie es mir gefällt.

Abgemacht war Abgemacht und es ist unglaublich,was der Wunsch nach Veränderung alles bewirken kann. Mit den Wechsel auf eine Berufsschule änderte sich wieder vieles für mich. Ich lernte dort erneut eine Dame kennen, die mich von dem Zeitpunkt an  jedes Wochenende mit in die umliegenden Gothic Discos mit nahm. Bei meinem ersten Besuch im Cage Club in Bottrop war ich richtig geflasht von der ganzen Atmosphäre. Es lief diese tolle Musik, es war düster und die Leute dort tanzten irgendwie Trance-artig im künstlichen Nebel. Ich haute mein komplettes Taschengeld im Trash Store auf den Kopf, badete in Patschuli Lotion und gab mich jedes Wochenende im Cage Club, Pulp und Eisenlager meiner Leidenschaft hin. Über dieses: „Das ist ja nur eine Phase“ war ich hinweg und dank meiner toleranten Eltern,durfte ich mich so ausleben wie ich wollte. Naja, bis auf die Ausnahme, das ich mir die Seiten nicht kurz rasieren durfte, was ich aber natürlich dennoch tat, aber unter meinen gefärbten Haaren gut verstecken konnte.

Danach folgte mein erstes Festival (Amphi 2007) , ich schloss Bekanntschaften und erfuhr mehr über die Szene an sich, die Entstehung und die vielfältige Musik.

Endlich hatte ich auch Internet und verbrachte Tage damit, alles wie ein Schwamm in mich einzusaugen. Diese oftmals beschriebene Tiefgründigkeit und der Umgang mit dem Tod halfen mir auch endlich über den Tod meines geliebten Opas, der von uns gegangen war, als ich dreizehn war und ich betrachtete das Sterben nicht mehr als etwas schlimmes, sondern als einen unausweichlichen Teil des Lebens an.

Jetzt könnte man ja eigentlich den Artikel mit einem friedlichen „…und so lebt sie bis ans Ende ihre Tage“ beenden, aber so war es nun mal nicht.

Genau wie damals bei den Punks merkte ich das einige mal wieder nur Schein waren oder sich wirklich nur in der so genannten Phase befanden.Freundschaften gingen kaputt, meine Beziehung zu einem „Normalo“ ging dank zu wenig Gemeinsamkeiten ebenfalls in die Brüche und als ich dann auch noch schwanger wurde, war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich als Grufti-Sein mit all seinen Äußerlichkeiten so noch ausleben konnte. Ich dachte daran,das mein Sohn irgendwann gehänselt wird und wollte das alles schon hin schmeißen, auch wenn mir der Gedanke daran weh tat. Doch dann fand ich im Internet eine Gruppe von Eltern, die trotz Kinder so lebten wie sie waren. Ich veränderte mich immer mehr nach meinen Vorstellungen. Inzwischen waren viele Tattoos und Piercings dazu gekommen,ich rasierte mir Augenbrauen und Seiten komplett weg und wurde dadurch selbst bewusster und bekam ein dickeres Fell dank dem mir die Meinung anderer endlich am Allerwertesten vorbei ging.

Miss Makaber - 2016 StyleHatte ich mit der Gesellschaft immer noch nicht meinen Frieden geschlossen, so war ich wenigstens optisch endlich mit mir selbst zufrieden und näherte mich immer weiter meinem persönlichen Empfinden von Ästhetik. Ich erzog meinen Sohn (und auch heute mein zweites Kind) tolerant und aufgeschlossen und siehe da, Mutter sein und Grufti sein ließ sich prima vereinbaren.  Ich bin dann auf viel Offenheit gestoßen und bin im Kindergarten meiner Kurzen und in der Schule meines Großen, als die Mama mit den coolen bunten Haaren und den ganzen Piercings im Gesicht bekannt.

Aber das wichtigste für mich ist, das ich mit dieser Zeit gelernt habe was im Leben wichtig ist und die schwarze Szene hat mir dabei sicherlich geholfen. Dank ihr habe ich mein wahres ich gefunden, bin zu der geworden die ich bin und habe in gewisser Weise auch so etwas wie ein Stück zuhause gefunden, in dem ich nicht mehr alleine bin und meine Zeit mit Menschen verbringen kann, die sowohl einen gleichen Musikgeschmack, als auch meine Weltanschauung und Gedanken mit mir teilen.

Natürlich ist auch hier nicht alles Friede, Freude Eierkuchen und bei manchen Leuten die sich dazu zählen denkt man sich manchmal einfach nur „Nein,Nein! Das ist hier kein Karneval und auch keine Fetisch Party, das hat hier doch nichts zu suchen!“. Aber wie sagt man so schön? Man kann sich seine Familie nun mal nicht aussuchen und man muss nicht alles tolerieren oder akzeptieren, kann sich aber damit in gewisser Weise arrangieren. Das ist dann wie mit dem peinlichen Onkel der bei jeder Familien Feier besoffen mit den Lampenschirm auf dem Kopf herum albert. Man verdreht die Augen, nimmt es seufzend hin und ist dann aber doch dankbar zum Rest der Familie dazu zu gehören. Das alles ist schließlich mehr als nur die Optik, es ist ein Lebensgefühl, MEIN Lebensgefühl und das wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch mein restliches Leben so bleiben.

Gothic Friday Februar: Friday I’m in Love!

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Der folgende Beitrag von Magister Tinte kommt nicht etwa zu spät, sondern ich brauchte eine Weile, um mich durch die Flut der vielen Beiträge zu wühlen, diese in Form zu bringen und zu veröffentlichen. Außerdem arbeitet das Gothic-Friday Team gerade am ausstehenden Resümee, was tatsächlich sehr arbeitsintensiv ist. Nichtsdestotrotz freue ich mich sehr über Magister Tinte, der völlig unverhofft in meinem Posteingang landete, nachdem er sich für den Gothic Friday zum mitmachen überredete.

Nachdem ich in letzter Zeit begeistert jeden Artikel zum Gothic Friday las, konnte ich mich endlich dazu Überreden auch etwas zu schreiben. Meinen übrigens ersten Beitrag auf Spontis. Aber wo soll ich anfangen?

Daran scheiterten meine ersten Versuche diesen Text zu verfassen. Beginnen möchte ich weder mit meiner recht frühen Vorliebe für morbide und romantische Texte von Lovecraft und Poe, die mir mein damaliger Geschichtslehrer in Form von Büchern lieh, noch mit dem etwas missglücktem Versuch einer Friseurin zu erklären was ein Sidecut ist und das ich an der Schläfe nun wirklich die einzelne Strähne stehen lassen will. An dieser Stelle möchte ich Bands wie Blutengel oder Nachtmahr eher unerwähnt lassen, womit dann auch mein erstes Konzerterlebnis in der „Szene“ irgendwie wegfällt.

Ich werde wohl damit beginnen, das ich im Internet immer nach neuer Musik suchte. Mit ungefähr 18 Jahren stieß ich auf die Sisters of Mercy, eine Band die keiner meiner Freunde kannte, und erst recht nicht hörte. Nur mit dem Wissen das die Musik etwas älter war, als all das Andere was ich kannte, stieß ich nach einiger Zeit auch auf Joy Division und Depeche Mode. Zu der Zeit begann auch mein Interesse für die Fotografie und Kunst im Allgemeinen (Übrigens eine weitere Möglichkeit diesen Text zu beginnen wäre meine Faszination für Caspar David Friedrich die bei mir im Kunstgeschichte-Unterricht geweckt wurde).

Nachdem ich langsam dahinter kam, wonach ich suchen musste, fand ich immer mehr passenderes und artverwandtes im Internet dazu. Ich fand auch Clubs in denen auf kleineren Floors Musik lief, die ich zwar nicht kannte aber die mir sofort gefiel. Über die Playlists, die manchmal veröffentlicht wurden, entdeckte ich unter anderem die Bands „Solitairen Effekten“ und „Oppenheimer Analysis“. Musik bei der Freunde eher die Augen verdrehten und lieber auf den größeren Tanzflächen blieben.

Letztes Jahr dann mein erstes Wave-Gotik-Treffen, bei der ich auch die Gothic Pogo Party im Werk II besuchte. Wir diskutierten viel über das Tagesprogramm und die Konzertplanungen. Auf Spontis stieß ich erst kurz danach und ärgerte mich natürlich erstmal um die verpasste Chance auf ein Treffen (Dieses Jahr dann!).

An meinem Kleiderschrank hat sich, auch wenn ich mich in den letzten Jahren sehr entwickelt habe, nur wenig geändert. Andere Band Shirts und eine Inzwischen etwas größere Auswahl an Jacken und Blazer mit Buttons und immer mehr selbst gezeichneten Patches. Dazu seit letztem Frühling auch meine ersten Pikes. Ansonsten sehr viele schlicht schwarze Klamotten.
Meine Unfähigkeit an der Näh-Nadel hielt mich aber nie davon ab größenwahnsinnige Projekte zu starten wie zum Beispiel ein Rucksack in Sarg-Form oder Rotes Innenfutter für ein Jackett (Wer braucht schon eine Nähmaschine wenn man auch von Hand schief und langsam Nähen kann!). Mit seit kurzem 21 liegt für mich der Einstieg auch eher kürzer zurück als für andere.
Ich blicke also nicht auf meinen Szeneeinstieg zurück sondern befinde mich gerade so an dessen gefühltem Ende. Ich finde immer noch neue und alte Musik, lese viel über die Subkultur zu ihrer Anfangszeit und stecke ungefähr 30 Jahre zu spät ein wenig in den 80ern ohne sie jemals selbst mit erlebt zu haben.

Gothic Friday Februar: The Revenant

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Englische Überschriften sind seit diesem Gothic-Friday irgendwie in Mode gekommen. Moderne Gruftis sind zweisprachig. Mindestens. Ich habe meinen Artikel für das Februar-Thema des Gothic Friday „The Revenant“ genannt, auch wenn ich mit Leonardo di Caprios hochgelobter Rolle im gleichnamigen Film „Der Rückkehrer“ nichts gemeinsam habe. Ich habe weder in einem Pferd übernachtet, noch mir mit Schießpulver eine klaffende Wunde verschlossen, nicht mit einem Bären gekämpft und wurde auch noch nie lebendig begraben. Warum also dieser supercoole englische Titel? Als ich nach dem enttäuschenden Genuss des Films nach Hintergründen googelte, stieß ich auf die richtige Übersetzung des Wortes, denn Revenant heißt nicht etwa Rückkehrer, sondern Wiedergänger.

Ein viel passenderer Begriff für das, was mir beim grübeln über meine immer noch andauernde Szene-Zugehörigkeit in den Sinn gekommen ist. Doch anstatt den Titel meines Artikels in die richtige deutsche Bedeutung zu verändern, habe ich das englische Wort aus dem gleichnamigen Film einfach drin gelassen. So kann ich all die verirrten Internetuser, die wissen wollen wie ein Grufti den Film fand, mit meinem Artikel über „Warum bin ich immer noch in der Szene“ in die Irre führen und langweilen. Und Englisch ist ja auch viel cooler. Ganz bestimmt.

Warum ich immer noch in der Szene bin

Der Volksglaube besagt, das Wiedergänger Untote sind, die aus ihren Gräbern gesprungen sind, um sich von nächtlichen Wanderern durch die Gegend tragen zu lassen. Untot bin nicht etwa ich, sondern Gothic – ich bin der nächtliche Wanderer, dem das Vieh auf den Rücken gesprungen ist und sich seit dem von mir herumtragen lässt. Inzwischen haben wir uns angefreundet, die Szene (verkörpert durch das Vieh auf meinem Rücken) und ich. Die Erklärung für diesen Vergleich liegt nahe: Keiner Szene wurde so oft der Tod bescheinigt, wie der Gothic Szene. Ende der 80er, Mitte der 90er, in den 2000ern sowieso, 2010 lag sie wieder (immer noch) im Sterben und seit 2012 stirbt sie beinahe jährlich.

Robert 2008 auf dem Flachsmarkt in Krefeld
2008 – Stück für Stück zurück zur Phantasie

Als ich 2007 wieder in die Szene gekommen bin, fand ich tatsächlich nur noch einen Trümmerhaufen von dem, was ich einst als „Szene“ kennenlernte. Jedenfalls stellte es das Internet genau so für mich dar: Ein zielloses Durcheinander von Stilen, Musikrichtungen, Lebenseinstellungen und Interessen. Regelmäßige Clubbesuche beim „Schwarzhalt“ im Duisburger Pulp machten die Sichtweise nicht klarer. Wie die alle aussahen! Und dennoch: wenn auf der kleinen Tanzfläche die Hits von damals gespielt wurden, krochen sie aus ihren dunklen Ecken. Die Gruftis und die Waver, oder die sich so fühlten. So begegneten mir zwischen 2007-2009, als ich das Pulp in Duisburg regelmäßig zum „Schwarzhalt“aufsuchte, immer die gleiche Gestalten im Nebel und dem sparsamen Licht. Menschen, die Musik so richtig schön in sich reinkriechen lassen konnten und nicht, wie nebenan auf der größeren Tanzfläche, ausgefeilte Cheorgraphien abspulten die eher wirkten wie eine Leistungs-Show für Fitness-Gruftis.

Ich hoffte also, irgendwo da draußen gibt es noch mehr davon. Die Szene, in die ich (wieder) einsteigen wollte. Die Szene, die für mich Rückzugsort, Inspirationsquelle und Spielplatz sein könnte. Die Szene, die aus ihrem angeblichen Grab stieg, mich als Untoter angesprungen hat und nun als Aufhocker mit jedem Schritt schwerer wird, bis ich irgendwo erschöpft oder tot zusammenbreche.

Interludium

Es ist nicht so, als hätte ich die Szene damals verlassen. Mir war nie bewusst, dass ich überhaupt in einer solchen war. Damals, zwischen 1987 und 1990 wollte ich lediglich dazugehören und Mitglied einer coolen Gemeinschaft werden, die die gleiche Musik gut fand, die ich auch gerne hörte. Mit dem Ende der Schulzeit war der Spuk dann auch wieder vorbei. Die paar schwarzen Klamotten und mein einziges Paar Pikes wurden entsorgt. Sie waren mir nicht wichtig. Das neue Umfeld in meiner Ausbildung verlangte nach Anpassung. Ich passte mich an. Ich wollte dazugehören, das war mir wichtig. Es dauerte tatsächlich ein paar Jahre bis ich begriff, das dieses ganze dazugehören wollen eigentlich nur die fortwährende Suche nach der eigenen Identität war. Eine fast schon melancholische Geschichte der Sehnsucht, verbrachte ich doch 10 Jahre mit der Suche nach der Erfüllung.

Robert 2010 in London
2010 in London – So viele Haare sollte ich nie wieder haben!

Die dunkle Musik, die mich nie verlassen hat, genoss ich nur für mich allein. Glücklicherweise habe ich mich verändert, irgendwann machte es einfach „klick“ und ich fasste irgendwann den Mut mich zu entscheiden. Der Rest ist wiederholbare Geschichte: Der Kleiderschrank folgt der Leidenschaft. Die Klamottenfarbe wird zur Überzeugung. Immer häufiger besuchte ich Clubs und die ersten Festivals. Auf dem ersten Blackfield und dem Mera Luna feierte ich 2008 meine Rückkehr. Die Rückkehr zur eigenen Phantasie.

Böse Zungen sprechen von dem Kerl, der krampfhaft versucht seine verpasste Jugend nachzuholen. Es ist mir völlig egal. Ein Stück Egoismus ist lebenswichtiger Selbstschutz. Ich bin der, der als Erwachsener eine Jugendkultur entdeckt. Na und? Lang lebe die Spätrebellion!

Warum bin ich denn nun immer noch in der Szene?

Ihr habt Recht. Zurück zum Untoten Aufhocker, der immer noch auf meinem Rücken ruht. Ich war also endlich in der „Gothic-Szene“ – nicht reingerutscht oder nicht rausgekommen, sondern ganz bewusst beigetreten. Doch was ich vorfand, entsprach so gar nicht meiner Phantasie und dem Idealbild, das ich mir zurecht gelegt hatte. Wie praktisch, das ich für die Idee eines Blogs noch etwas brauchte, womit ich mich beschäftigen konnte. In der Szene gibt es wahrlich genug, worüber man schreiben konnte.

2008 begann meine Entdeckungsreise in das, was seit 1987 zur Szene dazugehörte und dazu gezählt wurde. Es gab so viel zu entdecken und so viel zu vermissen. Ich entdecke neue Musikrichtungen, neue Festival, Veranstaltungen und neue (alte) Clubs kennen und versuchte in jeder Stadt, die ich besuchte, das „Schwarze“ zu entdecken. Ich vermisste das, was mich geistig immer mit der Szene verband. Die Leidenschaft für das morbide, abseitige, okkulte und mystische. Die Ästhetik eines flackernden Grablichtes auf dem Grab eines Verstorbenen. Die Stimmung des Nebels, der den Boden bedeckt aus dem nur die Blattlosen Gerippe der Bäume ragen. Wisst ihr was ich meine? Ihr könnte euch gar nicht vorstellen wie Desillusionierend es sein kann, wenn man auf dem Mera Luna vor seinem Zelt hockt, während es von überall „HELGA!“ tönt und wieder ein Besoffener mit seine Ranger-Stiefel in den Heringen deines Zeltes hängenbleibt und sich der Länge nach vor Dir ausbreitet. Fast so schlimm wie die schwarzen Karnevalisten auf dem Amphi, die zur Musik von Eisbrecher in einer Polonäse über den Platz zogen.

Robert auf dem WGT 2013
Auf dem WGT 2013 – Das Internet ist Fluch und Segen zugleich. Es verwässert die möglichen Ideale einer Subkultur, um sie auf eine andere bizarre Weise zusammenzuhalten.

In mir wuchsen die Zweifel. Nicht etwa daran, in der richtigen Szene zu sein oder die Entscheidung, ein „Grufti“ sein, sondern die Zweifel am Idealbild, das offensichtlich nur in meinem Kopf existierte. Zweifel an den Menschen, die sich zur Szene zugehörig fühlten und die als Nachwuchs in eine ungeahnte Oberflächlichkeit schwarzer Feierkultur hineinwuchsen. Wo waren denn die Tanzflächenkriecher?

Irgendwann fruchtete meine ständige Schreiberei über die Szene. Ich lernte Gleichgesinnte kennen, denen es ähnlich ging. Menschen von denen du dieses merkwürdig vertraute Gefühl bekommst, ohne sie jemals zuvor gesehen zu haben. Jetzt verstehst du endlich das Prinzip der Wellenlänge. Jetzt merkst du, dass du in der richtigen Szene bist. Deine Spleens und Verrücktheiten, deine Ticks und Eigenheiten sind hier völlig belanglos, es geht um das was du denkst. Ein Schlüsselerlebnis dazu will ich euch nicht vorenthalten.

Ich erinnere mich noch gut an Aristides Steele, den ich 2010 noch als Rosa Chalybeia kennenlernte. Ich hatte ein Interview vorbereitet und wollte für den Blog erfahren, wer hinter der pompösen kalkweißen Fassade steckt. Wir trafen und im Park hinter der Moritzbastei, ziemlich lauschig auf einer Parkbank um den unzähligen Fotografen, die Rosa zu gerne fotografierten, aus dem Weg zu gehen. Aus dem Interview wurde nichts, es war mehr eine 60-minütige Offenbarung. Egal welches Thema ich ansprach, Rosa wusste wovon ich rede. Egal mit welchem okkulten Wissen ich um die Ecke bog, Rosa konnte folgen und ergänzen. Parallelen, Gemeinsamkeiten und doch teilweise völlig unterschiedlich Sichtweisen. Faszinierend.

Ich lernte (und lerne immer noch) unzählige interessante und faszinieren Menschen wie Aristides durch das Bloggen kennen. Das Gefühl, für Gruftis zu schreiben zu dürfen, die genau so ticken wie ich selbst, ist eines der Gründe, warum ich immer noch in der Szene bin. Die Ehre, in unzähligen Kommentaren und auch in den vielen Gastbeiträgen der Gothic-Fridays eure Gedanken, Meinungen und Gefühle lesen zu dürfen, erfüllt mich mit großem Stolz. Neben den vielen Veranstaltungen die ich besuche, ist das mein Rückzugsort. Im Alltag ziehe ich mich zurück, bin eher verschlossen und scheitere regelmäßig daran, anderen zu erklären wie ich etwas meine und was ich denke. Das ist hier, auf dem WGT und in „meiner“ schwarzen Szene völlig unnötig.

Die Volkssage vom Wiedergänger, der zum Aufhocker wird und mit jedem Schritt schwerer wird, stimmt nicht ganz. In meinem Fall wird das Ding auf meinem Rücken immer leichter und mit jeden Schritt, den ich gehe, verschmelze ich ein bisschen mehr mit dem Wesen. Nur in einem Punkt trifft die Legende zu. Der Aufhocker gibt erst Ruhe, wenn ich selbst sterbe. Da bin ich mir ziemlich sicher.

Gothic Friday Februar: Ich benutze die Szene. Ganz egoistisch. (ColdAsLife)

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Den Gastautor des folgenden Beitrags lernte ich auf einem für heutige Zeiten sehr ungewöhnlichen Wege kennen. Im echten Leben. Völlig überraschend sprach er mich in der „Alten Schleiferei“ in Duisburg an, während Dr. Creep seine Klangtherapie anwendete. Wir kamen ins Gespräch – sofern das die Musik zuließ – und verblieben mit dem Wunsch, voneinander zu lesen. „Cold as Life“ hielt sein Wort und schickte mir jüngst seinen Beitrag zum Februar-Thema des Gothic-Friday.

Das Folgende ist eher ein Mixtum compositum aus Antworten auf Fragen, die mit der Ausgangsfrage verwandt wären. Ich zumindest fühle mich nicht aufgefordert, eine biographische Chronologie abzuarbeiten, um dann daraus unter eventueller Nennung des ersten gehörten richtungsweisenden Albums den Tag des Einstiegs in die sogenannte Szene zu ermitteln. Es versteht sich eher als eine Aufforderung, Ursprünglichkeit und Kausalität unter das Okular zu legen. Es ist nur eine weitere Aufforderung neben den vielen Anfragen, die ich sonst an mich richte, wenn ich danach frage, wie ich wurde, was ich bin, beziehungsweise ob ich bin, was ich fühle, beziehungsweise ob ich fühle, was ich bin und so weiter und so fort. Ich will mich also nicht verleiten lassen, die Ausgangsfrage aus durchaus verlockender Spontaneität heraus zu beantworten, überdies schon deswegen nicht, weil der Begriff Szene für mich mit Repräsentation assoziiert ist. Ich repräsentiere aber nichts.

Es geht auch nicht um eine gemeinsame Identität, obschon in diesem Satz ein bisschen Bedauern mitschwingt, das will ich keineswegs abstreiten. Nun geht es jedoch auch nicht darum, ein Psychogramm der sogenannten Szene zu entwerfen und gleichsam einen selbstmitleidigen Beschwerdebrief zu verfassen. Das würde eher passen zu einer Frage wie „Wie würdest du die Szene beschreiben?“. Die Szene und ich, wir beide repräsentieren uns nicht über die Farbgebung hinaus – und beide Seiten stören sich nicht weiter daran.

Dass es um Schwarzes in auditiver und visueller Ausprägung geht, ist eines der offenkundigen, rein deskriptiven Merkmale. Eine Farbe, ein Kontrast, vermag jedoch per se nichts über Beweggründe auszusagen. Ebenso wenig wie die vielgenannten und eher belanglosen, einer jedweden Szene überstülpbaren Dynamiken à la Gemeinschaftsgefühl fühlen und anders sein wollen. Sie könnten höchstens Hinweise denn Beweise sein. Dass es hingegen um Depressionen, Traumata, Sehnsüchte, Hass, Ablehnung, Selbsterhaltung und Sinnsuche gehen kann, um Stressreduktion und Panikvermeidung, um die Suche nach einem Vakuum, in dem es keiner Rechtfertigung vor niemandem bedarf, um Bekenntnis zur eigenen Vulnerabilität und viele weitere komplexe innere Konflikte, ist nicht an der Oberfläche und ihrer Farbe abzulesen.

Cold as Life 2016Es geht nicht einmal um gegenseitiges Verständnis. Es geht eher um ein Theater, um Eskapismus. Die Frage ist: Will ich nicht sein, wie der gelangweilte Durchschnitt, oder kann ich es nicht? In welcher Beziehung stehen Wollen und Können zueinander, betrachtet man es ausdifferenziert? Schwierig genug zu beantworten, gefolgt von der nagenden Skepsis, wie viel von mir auf der Tanzfläche im Club Affektiertheit ist, und wie viel das, was sich Identität nennen möchte. Werde ich dadurch ruhiger und klarer in meinen Empfindungen, oder verwirrt es nur noch mehr? Einfach nicht weiter darüber nachdenken. Außer, eine Plattform stellt eine Frage wie: „Wie bist du in die Szene gekommen?“ Ist das Düstere (ersetzbar durch Synonym X) in mir, oder bin ich im Düsteren? Und was ist dieses Düstere überhaupt?

Manchmal sage ich mir, um mich selbst von allen Zweifeln abzulenken, es ginge lediglich um musikalische Präferenz. Das gute alte Totschlagargument. Jedoch könnte ich behaupten, jeder Präferenz läge eine Ursache zugrunde. Worauf werde ich bei weiterer
Betrachtung dann schon stoßen, wenn nicht auf gewisse, eindeutige Parallelen zwischen Szene-Sujets und dem eigenen, inneren Gefühlsleben? Erfahren die Klischees mal wieder ihre existenzielle Bestätigung? Woran kann es schon liegen, dass ich hier, und nicht in einer anderen Szene unterwegs bin? Ich hätte ja die freie Wahl. Oder vielleicht doch nicht? Und was ist mit der Hoffnung, diesen einen, besonderen Menschen kennenzulernen, den man sein Leben lang schon sucht? Rechne ich mir etwa höhere Chancen aus, einen solchen in der Szene kennenzulernen, als anderswo? Bin ich auf der Suche nach verbitterten Seelen? Und glaube ich, diese in der Szene kennenzulernen? Bewässere ich damit mein Selbstmitleid? Ist die Szene vielleicht hochgefährlich für mich, wenn ich ehrlichen Willen zeige, die Depressionen loszuwerden?

Abbruch. Ich lebe nur einmal. Ob es Realitätsflucht ist oder nicht, soll mich nicht weiter tangieren. Ich brauche also am besten noch ein weiteres Totschlagargument, zur Sicherheit, um die Paranoia weiter temporär zu unterdrücken. Und da ist sie, völlig unzweifelbar, die omnipotente, letzte Begründung: Alles ist Katharsis. Jetzt bloß nicht weiter darüber nachdenken, ob Anderes besser als Katharsis geeignet wäre. Sonst suche ich vielleicht ewig und finde nie die goldene Mitte oder gar das Erlösende. Bleibe ich also lieber da, wo ich das Gefühl habe, nicht gänzlich falsch zu sein: in der Szene. Ist sie auch nicht mein Optimum, so wäre ich in anderen Szenen womöglich noch viel unpassender untergebracht. Aber wonach soll dies schon beurteilt werden können, denke ich mir. Letztlich geht es doch immer nur um das eigens empfundene tendenziell Richtige oder Falsche. Die Suche nach dem „Place to be“ bleibt doch eh stets nur Suche. Irgendwann kommt sowieso wieder die Frage, ob ich alles richtig gemacht habe. Das Stellen dieser Frage impliziert deren eigene Verneinung. Ich sollte also lieber aufhören, irgendwo ankommen zu wollen. Sich treiben lassen wäre wohl gesünder.

Der Zweifel hat mich schon wieder, es passiert einfach so, ungewollt. Brauche ich vielleicht doch noch ein allerletztes Totschlagargument? Ah, ich hab’s: Pathologisierung. Alles fügt sich von alleine, ich kann gar nichts dagegen tun. Sonst wäre ich ja nicht (mehr) in der Szene. Es wird schon seine Folgerichtigkeit haben und ist psychologisch herzuleiten, könnte ich doch ungezählte Gründe nennen, weshalb für mich Pessimismus die bessere Alternative darstellt. Ich sollte mein Sein in der Szene also als Symptomatik verstehen. Dann brauche ich mich also nun nicht weiter um Verantwortlichkeit, freien Willen und sonstige in Frage zu ziehende Unannehmlichkeiten des Geistes kümmern. Wieder entfernt zu dem gekommen, was sich volkstümlich als Besinnung umschreiben ließe, fällt mir das eigentlich Erschreckende wie Schuppen von den Augen: Auf der akribischen Suche nach dem göttlichen Argument habe ich ganz vergessen, zu genießen.

Schnell umschalten, nachher verlerne ich es noch. Oh nein, was tue ich da? Zwinge ich mich etwa, zu genießen, und relevante Fragen links liegen zu lassen? Was genau ist eine relevante Frage, wenn kein Maßstab vorhanden? Immer Einzelfallentscheidung, Präzedenzfall, jedes Mal. Der Paranoia-Generator summt wieder.
Aber ich will nicht mehr nach Argumenten suchen, die Sisyphos-Müdigkeit überkommt mich. Es muss ein Nutzen her. Und zwar schnell. Nutzen? Ich habe es. Ja, das ist es. Benutzen. Ich benutze die Szene. Ganz egoistisch.

Um mich zu sättigen. Um mir Selbstvertrauen zu geben. Um Schwermut und Verzagtheit zu highlighten. Um mich zu etikettieren, zu elitarisieren. Um besonderer zu sein. Um den ausgestreckten Mittelfinger zu verlängern. Um zu fühlen. Um zu spüren. Um etwas zu haben, ginge alles verloren. Um einen Panic-Room zu haben. Wenn auch nur um des Habens willen. Um ein Netz zu haben zwischen etwas. Was über dem Netz und unter ihm ist, weiß ich nicht. Aufgefangen werden wollen. Vielleicht bin ich so in die Szene gekommen.

Gothic Friday Februar: Meine lange Reise in die Dunkelheit

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Gastautor Dennis hat eine bewegende Zeit hinter sich und bezeichnet sich selber als Späteinsteiger. Für den Gothic Friday im Februar 2016 hat er seinen Archiven gewühlt und erzählt von Seinem langen Weg ins Schwarz. Ich freue mich sehr über seinen Artikel und natürlich auch über die Beschreitung dieses anstrengenden Pfades.

Mein Weg ins Schwarz war lang, voller Umwege, und er hat überhaupt erst sehr spät begonnen. Die meisten hier haben ihren Weg in die Dunkelheit schon in jungen Jahren begonnen, aber ich musste erst über dreißig werden, ehe ich ihn überhaupt entdeckt habe.

Kapitel I

Dennis 1982
Dennis hat nicht bemerkt, wie die Szene entstand. 1982 war er vertieft in seine Studien und nahm nicht wahr, was um ihn herum passierte.

Es fehlte schon an der Grundvoraussetzung: Musikalisch war ich immer ein Spätzünder gewesen. In meiner Schulzeit habe ich mich eigentlich fast gar nicht für Musik interessiert, und gar nicht für das, das meine Freunde hörten. Davon hatte ich übrigens nie viele, denn ich hatte auch wenige Interessen mit meinen Klassenkameraden geteilt. Sport und Musik waren mir fremd, meine Themen aus Wissenschaft und Biologie interessierten niemanden. Ich war ein Träumer und Außenseiter und habe so sehr versucht, nicht aufzufallen, dass es wohl ungeheuer auffällig war. Am Ende hatte ich zwar ein oder zwei Mixtapes mit Wunschkonzert-Mitschnitten (was darauf war, kann ich nicht mehr sagen. Rockmusik … ach doch, ich erinnere mich an „In the year 2525“ von Zager & Evans, „Ha ha said the Clown“ von Manfred Man‘s Earth Band, Joan Baez und – es ist zu lange her). Irgendwo um mich herum muss in meinen letzten Schuljahren der Keim der schwarzen Szene entstanden sein, aber ich hatte nichts davon bemerkt.

Kapitel II

Dennis 1987
Dennis 1987 – Er war so bemüht nicht aufzufallen, das er ungeheuer auffällig war.

Im Studium – Biologie natürlich – schloss ich mehr Kontakte (schließlich hatten wir ein gemeinsames Thema), und ich so hatte auch meine erste musikalische Erweckung: zwei Kommilitoninnen hatten mir – gleichzeitig, doch unabhängig voneinander – ganz begeistert von Drehleier-Festivals und Folkmusik erzählt, und dann wurde ich zum Folktanzabend in der Katholischen Hochschulgemeinde mitgeschleift. Ach ja, Tanzen: eigentlich hatte ich nach der Tanzschule, zu der meine Eltern mich gedrängt hatten, gehofft, damit nie wieder etwas zu tun zu haben. Und dann hat es mich erwischt: fortan organisierte ich beim Folk Club Frankfurt Tanzabende und Sessions mit, spielte selber Drehleier und reiste zu Festivals in Deutschland und Frankreich.
Und ich traute mich in dieser Zeit langsam, einfach so aufzufallen, wie ich eben war. Aber es war eben ein – endlich akzeptiertes – Auffallen. Ich blieb wohl immer fremd in der merkwürdigen Welt der normalen Leute.

Kapitel III

Irgendwann, es könnte 1995 gewesen sein, bekam ich meinen ersten Internet-Zugang. Der erste Suchbegriff, den ich bei Altavista eingab, war „Drehleier“. Die Ergebnisliste verwirrte: die ersten Plätze waren von einer Band namens „Deine Lakaien“ belegt, die offensichtlich ein klassisches Folk-Instrument benutzte, ohne in der Szene bekannt zu sein? Aber das war lange vor MP3, es gab nichts zum reinhören, was mit einem PC ohne Soundkarte ja auch nichts gebracht hätte.

Es dauerte ein paar Jahre, ehe ich wieder darauf stieß. Eine Freundin erzählte auf einem Drehleierfestival (dem berühmten in Lißberg), dass sie jetzt eigentlich weniger Folk und mehr Darkwave höre. Darkwas? Dieser Begriff war mir neu, und so lag einige Wochen später ein Mixtape im Briefkasten, mit den Lakaien (Acoustic), Qntal und Estampie. Die letzten beiden boten wunderbar neu interpretierten Folk, und die Lakaien in der Acoustic-Version passten wunderbar dazu. Ich war begeistert! Es war lange das meistgehörte Band. Hätte es mich schon damals erwischt, wenn ich mir nur die Zeit genommen hätte, mehr davon zu suchen?

Kapitel IV

Dennis 1996
Dennis 1996 – Schon früh begann Drehleier zu spielen

Doch es brauchte noch einen Umweg, ehe ich die Schwarzen fand. Es begann mit meiner Hochzeit. Meine Liebste (und zukünftige Ex-Frau, gehalten hat es nicht) entschloss sich, ein schwarzes Lack-Korsett unter dem selbst genähten Hochzeitskleid zu tragen. Meine Mutter legte ihr Veto ein: das ist so toll, das muss oben drüber, und meine Schwester empfahl uns daraufhin einen Fetisch-Laden in Frankfurt, wo es richtig gute, maßgeschneiderte Korsetts gäbe. Irgendwann trauten wir uns dann dorthin, und wir verließen den Laden mit Freikarten für eine Fetisch-Party, die der Besitzer veranstaltete. Und zum Glück haben wir uns noch mal getraut.

Es war eine jener schwarzen Fetischparties, die den Vertretern der reinen Lehre so ein Graus sind. „Schwarz“ mit der Betonung auf Lack, Leder und Latex, viel BDSM, Spielräume … und mit faszinierender Musik. Tommy und Tikwa legten damals auf, querfeldein durch die schwarze Elektronik, und „Deine Lakaien“ waren auch dabei! Ich hörte mich langsam hinein, stand aber eher an der Tanzfläche als dass ich mich selber getraut hätte – Tanzen wie ich es aus dem Folk kannte, ging eben anders. Es dauerte einige Partys, bis es endgültig zündete, in einer Nacht im Höchster Schlosskeller, und von da an war ich kaum noch von der Tanzfläche zu bekommen.

Die „Schwarzen“ allerdings waren mir trotz aller Begeisterung noch immer fremd. Ich wusste nun zwar, dass es sie wirklich gab, aber verstehen konnte ich sie noch nicht. Die Musik war wunderbar, der Stil faszinierend, aber die Codes und Symbole, etwa Pentagramme und umgekehrten Kreuze, waren mir doch ein wenig unheimlich.

Dennis 2000
Dennis 2000 – Irgendwann zwischen 1997 und 2001 hat es dann „erwischt“. Die schwarze Szene hatte einen neuen Jünger gefangen.

Das Internet half weiter, ich lernte, begann zu verstehen, und nebenbei füllte sich meine Festplatte mit einem bunten Strauss schwarzer Musik. Es war die Zeit von Napster. Irgendwo aus dieser Epoche datiert auch die letzte Folk-Mix-CD, die ich mir zusammengestellt hatte. Ein Exemplar habe ich kürzlich bei meinen Eltern wiederentdeckt. Sie fanden es deprimierend düster. Ich finde diese Zusammenstellung immer noch wunderbar.

Zwischenspiel

Ich kann das alles nicht mehr genau datieren, bis auf wenige prägnante Ereignisse. Die Hochzeit war `97 gewesen, und 2001 hatte es mich fast schon voll erwischt. Wir waren in Berlin, zur Vernissage unserer Ausstellung (gemeinsam mit anderen Künstlern) im neuen Haus der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit), und wir nutzten die Zeit davor zum Shoppen. Berlin hatte ja einiges zu bieten, und wir suchten nach Mode im Bereich zwischen Fetisch und Schwarz, noch eher für Partys als für den Alltag. Ich hatte einen Umhang gefunden, aussen schwarzer Brokatstoff, innen strahlendes Rot, ich konnte mich, finanziell bedingt, nur nicht gleich entscheiden. Dann sahen wir auf einer Videoprojektion am Bahnhof Zoo brennende Hochhäuser – es war der 11.9.2001. Alles andere war nicht mehr wichtig, unsere ersehnte große Vernissage war ein bizarres Fiasko. Eine Weile darauf beauftragte ich meine Eltern, die nach Berlin fuhren, mir den Umhang mitzubringen. Ich liebe ihn noch immer.

Psycho-Status

Es war für mich auch eine Phase der Depression, der Selbstzweifel und der Zukunftsangst. Die berufliche Selbständigkeit funktionierte nicht wie erhofft, und die Welt zerbröckelte. Ich hatte meinen Studienbeginn oben nicht datiert, es war 1984, noch mitten im Kalten Krieg. Dass ich Biologie gewählt hatte, lag neben dem fachlichen Interesse nicht zuletzt daran, dass ich die Welt retten wollte, zusammen mit Greenpeace … aber wer die Latte zu hoch legt, wird beim Sprung zwangsläufig scheitern. Dabei sah alles so gut aus, der Ost-West-Gegensatz zerbrach, und plötzlich schien alles möglich. Das beste aus den Welten zusammenführen in eine großartige Zukunft … statt dessen kam der Anschluss der „neuen Bundesländer“, und in Jugoslawien bracht der Krieg aus, ein Nationalismus und Hass, den ich für nicht mehr möglich gehalten hatte.

Dennis 2007
Dennis 2007 – In Retro-Tarnung auf Filmreise in Brunei. Eigentlich war er da gar nicht mehr „bunt“ und hat sich für die Dreharbeiten zu seiner Forschungsarbeit aus 2006 für die Kamera in Schale geschmissen. Für ihn gleichzeitig der Abschied von der Biologie.

Ja, es war nicht mein Land, die da in Flammen aufging, „nur“ ein Urlaubsland und die Heimat von Freunden. Und in Deutschland gingen zum erstem Mal Menschen gegen Flüchtlinge auf die Straße. 9/11 habe ich schon oben erwähnt, und dann war da ein Familienurlaub in Kroatien im Jahre `06. Auf der Reise – wir waren auf Nebenstraßen gefahren – kamen wir an zerstörten Häusern vorbei, an Warnschildern „Vorsicht, Minen“, und an Hausfassaden voller Einschusslöcher. Ich begann selber zu fragen, im Restaurant, im Laden und wo immer wir den Einheimischen begegneten: Wer von Euch hat seine Nachbarn vertrieben, wer hat sie gerettet, wer hat sie erschossen? Und ich verstand plötzlich, warum man mir in Italien, irgendwann am Ende der 70er, noch ‚Heil Hitler‘ hinterher gerufen hatte. Konnte all das wiederkommen?

Es war alles voll von böser Vorahnung und tiefer Enttäuschungen von der Menschheit. Kurz: alle meine Illusionen waren in dieser Zeit zerbrochen, die großen, politischen ebenso wie die kleinen privaten. Die düster-erbaubliche, schwarze Musik hat mir jener Phase ungeheuer geholfen!

Kapitel V

Bald wussten wir, wo es in Frankfurt Partys gab, wo wir außerhalb der Fetisch-Szene hätten schwarztanzen können. Aber irgendwie hatten wir nicht gewagt, uns zu trauen, oder keine Zeit gehabt, es zu wagen. Warum nur? Meine Musik war längst „schwarz“, wenn auch mit einigen (aus heutiger Sicht) Verirrungen. Aber nach außen hin traute ich mich das noch nicht zu zeigen.

Noch einmal hat ein Zufall geholfen – oder hätte es nur andere Umwege genommen?

Es war am 27.5.2006. Wir waren bei einer Modenschau beim Latex-Schneider, und ich wusste, dass an diesem Tage in Darmstadt eine meiner Lieblings-Bands spielte: Adversus – auch wenn ich sie bislang nur aus Napster kannte. Die Entscheidung ist letztlich erst auf dem Heimweg gefallen: wir nahmen den Umweg über Darmstadt. Und so gerieten wir in meine erste „echt“ schwarze Veranstaltung. Die Atmosphäre war einfacher, authentischer, weniger „überspannt“ als die Fetisch-Partys, die ich kannte. Es begann mit den sphärischen Klängen des Bassmeisters, Kontrabass und Elektronik, die mich erst einmal verwirrten, weil der traumhafte Klangteppich, den er völlig live webte, nach kurzer Zeit so gar nicht mehr mit den Bewegungen seines Bogens in Einklang zu bringen waren. Dann folgte eine Lesung von Rosendorn – dem Kopf von Adversus – mit einer Geschichte, in der ich ihn als Seelenverwandten erkannte (auch wenn es inzwischen andere Differenzen gibt). Und dann begann das Konzert …

dennis 2007 - erstes WGT
Dennis 2007 auf seinem ersten WGT in Leipzig

Ich tanzte und ich weinte über die ganze erste Hälfte des Konzerts. Es war dramatisch, romantisch, intensiv, und es löste so viel in mir. Ich kann an dieses Erlebnis bis heute nicht ohne eine Flut an Emotionen denken, und es beutelt mich beim Schreiben dieser Zeilen. Nach der Pause tanzte ich weiter und war nur noch glücklich. Ich war endlich, endlich angekommen. Auf einmal wusste ich, dass ich schwarz war!

Jetzt

Die bunten Klamotten verschwanden in den finsteren Etagen des Kleiderschranks oder wurden umgefärbt. Über Rosendorn lernten wir bald darauf andere Schwarze kennen, und dabei einige, deren Weg kaum weniger umständlich war als meiner. Ich war angekommen, und ich hatte andere gefunden, die so waren wie ich (oder zumindest auf kompatible Weise seltsam, vor allem aber: die mich einfach angenommen), und in deren Gesellschaft ich glücklich war. Längst trage ich auch im Alltag nur Schwarz, und ich bin mir sehr sicher, dass es keinen Weg zurück mehr gibt.

Dabei habe ich manche stilistische Verirrungen meiner „frühen Jahre“, musikalisch wie textil, wieder hinter mir gelassen. Auf der anderen Seite habe ich auch meine musikalischen Wurzeln aus dem Folk in der schwarzen Musik wiedergefunden. Es gibt so viele wunderbare Überschneidungen, so viel wunderbaren Folk im Schwarz (nein, nicht „Neofolk“).

Selbsträtsel

Rückblickend frage ich mich immer wieder, warum es so lange gedauert hat, ob es nicht viel schneller hätte gehen können und wo der Punkt war, an dem dem es unvermeidlich wurde? Gab es den überhaupt? Und überhaupt, fehlt in diesem Text nicht etwas? War ich vorher schon irgendwie „schwarz“?

Ja, da war eine Menge, aber war es schwarz, düster genug, zumindest irgendwie hinreichende seltsam? „Nachhersagen“ sind immer leicht, wenn man im Nachhinein weiß, was man sucht und wie man es deuten möchte. Erst recht, wenn man in einem so flüssigen Material wie der eigenen Erinnerung gräbt. Ich in diesem Text hin- und her-redigiert, und nun streiche ich das retrospektive Orakeln.
Aber ich denke, spätestens nach den ersten musikalischen Schlüsselerlebnissen war es eine Frage der Zeit. Irgendwann hätte ich die Dunkelheit auf anderem Wege gefunden, und mit jeder Berührung hätte sie mich ein Stück weiter gefangen genommen. Nicht auszudenken nur, wenn es noch länger gedauert hätte!

Über meine Erfahrungen, Gedanken und Selbsterklärungen nach meinem Weltenwechsel habe ich schon damals einen Text geschrieben, den Shan Dark in ihrem Blog veröffentlicht hat: „Schwarz“ – ihr findet ihn hier.

Gothic Friday Februar: Karottenhose und Strassohrringe

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Es war ihr eine Freude, ein wenig in ihrem Innern zu wühlen und einiges von dem, was sie dort entdeckte, niederzuschreiben. GM in möchte ihren Namen nicht im Internet wissen und hat mich daher gebeten, ihn abzukürzen. Nichts desto trotz tut das der Sache – in diesem Fall den Beitrag für das Februar-Thema des Gothic Friday – keinen Abbruch.

Das Thema führt mich auf die gleiche Zeitreise, die ich erst vor Kurzem nach dem Tod von Steve Strange, möge er in Frieden ruhen, unternahm.

Vorgeschichte

Als Kinder waren wir oft auf einem der zwei Friedhöfe unweit unseres Hauses, es besteht also eine gewisse Grundsympathie dem Morbiden gegenüber. Ich begleitete meine Oma häufig auf ihren Spaziergängen oder zu Einkäufen, die über die Friedhöfe führten. Von ihr erfuhr ich, welche Bäume dort wuchsen, um welche Blumen es sich auf den Gräbern handelte und welche Vögel sangen. Durch sie lernte ich, dass das Leben mehr für mich bereit hielt als das triste Alltagsgrau, wie es damals in den Mietskasernen üblich war.

Der Einstieg

GM auf der Burg Satzvey

1980 entdeckte ich Steve Strange mit Visage. Seine ausgefallene Kleidung gefiel mir. Ich probierte meinen Kleiderstil etwas nach ihm auszurichten und sparte auf meine allererste LP, die ich irgendwann kaufen konnte. Leider war es mir finanziell und sozialbeziehungsbedingt nicht möglich, mal eben den Kleiderschrank zu räumen und neue Klamotten zu kaufen. Im Übergang zum New Wave schenkte mir eine Freundin – ich erinnere mich an ihre riesige, auftoupierte, rote Mähne – Pikes. Sie waren aus hellgrauem Leder. Dazu trug ich eine schwarze Karottenhose, eine graue Jacke und Strassohrringe, die Haare an den Seiten kurz und oben gelockt, den Pony ins Gesicht fallend. Das war meine einzige New Wave Ausstattung, die ich natürlich möglichst oft zu tragen gedachte. Im Winter fror ich mit den Klamotten entsetzlich, wenn wir um die Häuser zogen.

Das Ballhaus Tiergarten war unser Treffpunkt, in dem alle möglichen Leute verkehrten. Im Tanzsaal befand sich eine große Tanzfläche umgeben von hohen, filzbezogenen Stufen, die gleichzeitig dem Sitzen und Aufsteigen dienten. Mir fiel ein junger Mann auf, der immer an der gleichen Stelle saß. Er war komplett schwarz gekleidet und hatte schwarze Haare, die an den Seiten kurz geschnitten waren und deren langer Pony zur linken Seite fiel. Irgendwann ist er auf mich aufmerksam geworden und kurz darauf wurden wir ein Paar. Wir verbrachten viel Zeit in seinem Zimmer, hörten bei Räucherstäbchen Bauhaus und Joy Division. Er fing an selbst Musik zu machen, noch heute habe ich ein Tape von ihm. Seine Musik war für mich die erste schwarze Musik die ich hörte. Er wurde später ein szenebekannter Musiker.

1984 besuchte ich mit Freunden das erste Konzert in meinem Leben. Depeche Mode in der Berliner Deutschlandhalle. Wir hatten Stehkarten und befanden uns recht weit hinten, konnten also nicht wirklich viel sehen. Das nächste war ein kleines Konzert mit Howard Jones‘, das in einem Club stattfand. An Musik hörte ich alles, was damals New Romantic oder New Wave angehaucht war. Ich habe die Lieder meist mit meinem kleinen Kassettenrekorder aus dem Radio aufgenommen. Meine Favoriten waren Tears for Fears, Ultravox, Heaven 17, OMD, ABC, The Cure und Boytronic.

Was mich in der Szene hält

GM auf dem Leipziger Südfriedhof

Nach dem anfänglichen doch eher oberflächlichen Einstieg entwickelte sich meine Leidenschaft zur Romantik, die das Schöne mit dem Bizarren und Morbiden zu vereinen vermag. Es mag klischeehaft klingen, doch Friedhöfe, Ruinen, die Nacht und der Nebel berühren mich innerlich.

Ich mag alte Literatur und Gedichte mit morbidem und melancholischem Einschlag und in denen mit Symbolik gespielt wird. Die Romantiker sind die Maler meiner Wahl, die gotische Architektur liebe ich ebenso wie die romanische. Meine favorisierte Musik reicht von Klassik über Gothic bis Metal. Ich schreibe selbst ein wenig, male meist eher romantische Bilder, fotografiere – natürlich mit Vorliebe Friedhöfe und alte Gebäude – und nähe meine Klamotten weitestgehend selbst um mich und meine Attitüden auszuleben und zu zelebrieren. Die eher szenefreie Zone in der ich mich bewege steht dem immer etwas skeptisch, doch auch teils bewundernd gegenüber. Manchmal bekomme ich Stylingtipps, welche Farben mir besser stehen würden, doch habe ich nicht vor mich in die Reihen der Stinos einzuordnen. Ich liebe es im Alltag auf Schwarze zu treffen, man kennt sich nicht, doch ist in den Blicken manches Mal ein leises Erkennen. Auf Treffen kann ich mich direkt zu andere gesellen oder mich in eine dunkle Ecke setzen ohne als sonderbar zu gelten. Inzwischen kann ich auch wieder vermehrt auf Festivals und Konzerte gehen, was mir familiärbedingt eine Zeit lang verwehrt blieb.

Schwarz sein bedeutet für mich Kontinuität. Schwarz ändert sich weder durch Lichteinfall noch durch Lebensumstände. Es ist der Pol, zu dem ich immer wieder zurückkehre, von dem aus sich alles ausrichtet und ordnet. Dort komme ich zur Ruhe, kann zu mir selbst finden.

Gothic Friday Februar: Von Naturgewalten und Friedhofsbesuchen

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Spontis-Magazin-Leser werden ihn kennen, Gruftfrosch, der Grufti ohne Facebook, hat sich ebenfalls hingesetzt um die Geschichte seines Szeneeinstiegs für das Februar-Thema des Gothic Friday niederzuschreiben.

Wenn ich darüber nachdenke, wie ich in „die Szene“ gekommen bin, stelle ich fest, dass es wie bei vielen ein schleichender Prozess war. Bereits als Kind, also weit vor „meiner Annäherung“ mochte ich lieber Lieder, die melancholisch daherkamen. 3 davon mag ich bis heute. Es sind „Twist in my Sobriety“ von Tanita Tikaram, Depeche Mode mit „Enjoy the silence“ und „Love is a shield“ von Camouflage. Klar, das lief und läuft im Radio, man hört es, man kennt es (teils bis zum Erbrechen)…aber doch war es so…ich liebte diese Lieder, auch wenn ich die Texte damals nicht verstand. Als Teenager war ich auf einer Feier bei einem Kumpel und dort lief unter anderem neben Nightwish, Letzte Instanz, Schandmaul… eine wilde Mischung aus 80 er-Jahre Synthie und New-Wave-Kram.

Aber ehe ich dort ankam, wo ich heute stehe, hab‘ ich erstmal musikalisch einen Umweg genommen, der im Nachgang etwas peinlich anmutet und doch war es eben so. Am meisten weggesäbelt hat mich nämlich damals tatsächlich Nightwish und Schandmaul…ja…so isses. Symphonic Metal und Mittelalter-Folkrock. Es folgten musikalische Ausflüge über einen Abklatsch dessen, zum Beispiel „Within Temptation“ und so manche mittelalterliche Dudeltruppe.

Gruftfrosch Friedhof
Gruftfrosch schon wieder auf dem Friedhof, diesmal 2009
(c) Ronny Werner

Zugleich war ich aber auch jemand mit Hobbies, die jetzt nicht unbedingt verbreitet unter Jugendlichen waren. Ich interessierte mich fürs Wetter, maß die verschiedenen Werte vor Ort selbst, schrieb sie auf…studierte die Wolken und fand eigentlich immer das Wetter ganz furchtbar großartig, was andere so richtig grottig fanden: Sturm, Regen, Nebel, Schnee und Gewitter. Je kräftiger die Natur dem Menschen ihre Gewalt zeigte, umso faszinierender war das für mich.

Ich fotografierte nebenbei (ok, das ist massentauglicher), liebte das Wandern, wie zum Beispiel in der nahen Sächsischen Schweiz, was mich später zu der romantischen Malerei a la Casper David Friedrich brachte. Auch malte ich selbst recht gern, machte Studien mit dem Bleistift und zog – voll nach Klischee, ich weiß – über die verschiedenen alten Friedhöfe in und um Dresden.

Mit der Zeit wich ganz allmählich das Bunte aus dem Kleiderschrank und das Interesse für Historie und alte Architektur kam hinzu. Ich liebte und liebe alte Gemäuer. Mit den meisten Gebäuden, die heute hochgezogen werden, kann ich wenig bis gar nichts anfangen. Sie sind mir zu seelenlos, zu glatt, zu nüchtern, zu renditeoptimiert und abweisend. (Gäbe es im Übrigen einen besseren Spiegel für unsere Gesellschaft?)

Mein Musikgeschmack verschob sich allmählich hin zu Lacrimosa, zu Wolfsheim und ja, auch zu ASP ;-)

Nachdem ich nun immer öfter angesprochen wurde, ob bei mir jemand gestorben sei oder ob ich jetzt ein Grufti oder ein Goth wäre, fing ich an mich mit der Materie zu beschäftigen. Zeitungen wie Zillo, Orkus oder dergleichen sollten dafür allerdings weniger hilfreich sein, wie sich herausstellen sollte. Dennoch war ab und an ein guter Musiktipp dabei. Man erfuhr von Konzerten, Festivals und las in der Gedankenwelt der anderen schwarzen Seelen. Das war sowieso neben Musik, Gefühl und Ästhetik das, was mich in seinen Bann zog. Neben viel Oberflächlichkeit, die man ja auch aus der bunten Welt zur Genüge kennt, eben auch die anderen zu treffen und mit ihnen zu reden, zu schreiben, an ihrem Wissen, ihren Gedanken teil zu haben, mit ihnen zu diskutieren. Ein großer Discogänger war ich hingegen nie.

Gruftfrosch 2012
2012 – Nur echt mit dem CE-Zeichen…Manchmal tut’s auch ne dreckige Touristen-Sonnenbrille am Ostseestrand.

2007 (oder war es sogar erst 2008?) war es dann soweit, mein erstes WGT. Ich fand es großartig. Ein verlängertes Wochenende in der schwarzen Menge. Eintauchen in die verschiedensten Genre, ungezwungen mit anderen ins Gepräch kommen, Lesungen, usw. Ich war angefixt. DAS wollte ich wieder erleben! Tja und seitdem war ich jedes Jahr wieder da, wobei ich mich immer mehr von den Headlinern zurückzog. So manches gefiel mir nicht, anderes dafür umso sehr. So rückte ich Stück für Stück, neben weiterer Recherche via Internet, Büchern (Mick Mercer, Gavin Baddeley) mehr zu den Ursprüngen vor. Auch klangtechnisch fühle ich mich heute bei Dark/Cold/Minimal Wave, Postpunk usw. am wohlsten.

Wenn ich so schaue, was bei mir so läuft, blitzen mir neue Namen wie The Frozen Autumn, Soror Dolorosa, Sopor Aeternus, She past away, Agent Side Grinder oder Chelsea Wolfe ebenso entgegen wie „Alte“: The Cure, Clan of Xymox, Depeche Mode, Dead can Dance oder Joy Divion, um nur Einige zu nennen. Das Internet bietet dank der Musikplattformen wie Bandcamp ja unendliche Möglichkeiten auch junge Bands zu entdecken, die es verstehen den alten Sound ins Heute zu holen oder in neue Bereiche aufzubrechen, mal mehr, mal weniger gelungen. Wie ihr seht…nichts Spektakuläres, aber auch das Unspektakuläre muss ja irgendwo seinen Platz haben, oder?

Vielleicht eins noch: Die Sache mit den Eltern. Bei einigem mag ihr Bekenntnis zur schwarzen Szene für Probleme gesorgt haben. Bei mir nicht. Meine Mutter fand es und findet es klasse, hat mich schon manches Mal ausgefragt zur Szene und der Musik. Vielleicht würde sie wohl selbst gerne auf das WGT fahren, wenn sie jünger wäre. So entreißt sie mir auch regelmäßig den Pfingstboten und das -geflüster und schleppt es gar mit auf Arbeit um „Aufklärungsarbeit“ bei den Kollegen zu leisten. *Räusper* Meinem Vater ist es immer relativ egal gewesen. Hauptsache, ich tue niemandem weh und nehme keine Drogen. Tja, soviel zur Provokation.

Gothic Friday Februar: Wie ich mich (wieder)fand

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Traumtänzerin gehört schon seit gefühlten Ewigkeiten zur Spontis-Familie. Ich kann mir ein WGT ohne ihre liebenswürdige Aura gar nicht mehr vorstellen! Daher bin ich sehr froh, dass auch sie Zeit gefunden hat, beim Februar-Thema des Gothic Friday mitzumachen.

Für einige Minuten war ich ganz still, lauschte gebannt und im nächsten Moment machte ich meinem Ärger lautstark Luft. Der Moderator hatte wieder nicht Interpret und Titel angesagt.

So ungefähr dürfte es sich abgespielt haben, als ich drei oder vier war, einen bestimmten Titel oft im Radio hörte und nie herausfand von wem er war. Später stellte sich heraus, dass er von „The Cure“ war, Lullaby hieß und meine erste musikalische Begegnung mit gruftiger Musik gewesen ist. Sowieso, wenn ich im Endeffekt darüber nachdenke dann hab ich schon früher viel mit der Subkultur, mit der ich mich heute größtenteils identifiziere, gemeinsam gehabt. Ich mochte die gotische Architektur (damals war ich noch sehr gläubig und somit erfüllte diese Bauart für mich genau ihr Ziel: Gott näher zu sein), klassische Musik, Literatur und den makaberen Humor. Nur von Gruftis wusste ich nichts.

Im Laufe meiner Jugend entwickelte ich mich kurzfristig weg von Achtziger Rock und Klassikern hin zu einer Mischung aus Chartsmusik, Musical und modernem Metal („Nightwish“ war damals meine Lieblingsband). Darüber dann zu eher klassischem Metal der dann – genau wie der Rock  von Bands wie beispielsweise Pink Floyd und Led Zepplin – bleiben sollte.

Kathi Traumtaenzer
2008 war Kathi noch ziemlich normal an der Stagedoor beim Set vom Film „Der Schuh des Manitu“

Mit 16 hatte ich die erste scheue Begegnung mit Gruftis. Ich sah sie nur aus der Ferne und war trotzdem schon fasziniert. Ich beschloss: so jemanden musste ich einfach kennenlernen.

Über den Metal lernte ich 2010 – wie das Schicksal so wollte –  eine bis jetzt lieb gebliebene Freundin kennen, die mich mit ihrem damals besten Freund in die Mittelalter und moderne Gothicszene einführte. Lange befriedigte mich dieser Bereich, aber nicht. Ich merkte schnell, dass sich auch dort oftmals einfach die üblichen Trottel herumtrieben.

Außerdem bin ich von Natur aus ein neugieriges Tierchen. Also googelte ich 2011 nach „Gothic Blog“ und stolperte so über Spontis. Schüchtern wie meine Person nun mal ist, schrieb ich über das Kontaktformular eine Rechercheanfrage, die gleich mit einem kompletten Artikel und super ergänzenden Kommentaren beantwortet wurde. Vielen Dank nochmal dafür. (Gerne geschehen!)

Es kam wie es kommen musste: ich verschlang einen Artikel nach dem anderen der auf Spontis und anderen Blogs in dessen Dunstkreis gepostet wurden. Gerade der Gothic Friday sorgte für einige Stunden des gebannten Lesens. Als es hieß, es sollte ein Spontis-Family-Treffen in Frankfurt am Main stattfinden, zögerte ich nicht lange und sorgte dafür, dass ich dort dabei sein würde. Wollte ich doch endlich die Menschen kennenlernen, die mich bis dato unheimlich geprägt hatten.

Gesagt getan am 01.12.2012 machte ich mich tierisch Nervös und freudig aufgeregt auf den Weg in Richtung Frankfurt. Durch einige dumme Umstände kam ich leider nur auch tierisch zu spät. Nun gut, zum kleinen Festival im „Bett“ fand ich mich pünktlich ein und wartete aufgeregt bis ich schüchtern Adrian (zu dem Zeitpunkt noch Rosa) ansprach, ob sie zu der Spontis-Truppe gehöre. Ja hieß es und der Rest ist Geschichte. Denn ich stellte recht schnell fest: „oh ich bin ja wie die“ und fühlte mich wie zu Hause angekommen.

(Fotos by Jörg Merlin Noack Fotografik, meinem Teddy, Voluptas.it, Maria Madei und ersterem)

Heute würde ich mich mehr als Dunkelbunt bezeichnen (für die, die Zahlen lieben: Verhältnis 80 zu 20 also noch mehr Schwarz als alles andere :D) Ich liebe es selbst zu schauspielern, zu malen, zu tanzen und dabei auch das ein oder andere ungruftige Thema aufzugreifen. So fand ich mich also wieder und bin dem Ganzen treu geblieben, weil diese Subkultur so viele Menschen anzieht, die ähnlich oder genau so denken wie ich und die sich trotz der Entwicklung die ich immer noch durchmache nicht abwenden. Gothic ist für mich ein Puzzle, dass sich aus abertausend Facetten zusammensetzt und vermutlich nie fertig werden wird. Gerade deshalb so spannend bleibt.

Eben Heimat.

Gothic Friday Februar: Ich setze mir doch selbst keine Grenzen!

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Nadja hat bereits 2011 am Gothic Friday teilgenommen und beschrieben, wie sie in die Szene gekommen ist. Ich freue mich sehr, dass sie sich nun für das Februar-Thema des Gothic Friday 2016 hingesetzt hat, um zu erzählen, warum sie immer noch dabei ist und was sie alles verändert hat.

5 Jahre ist also schon der letzte Gothic Friday her und ich kann nicht behaupten, dass diese Jahre ereignislos und langweilig waren- den Ballsaal der Finsternis, in dem ich meine ersten DJ-Erfahrungen gesammelt habe, hat seit September 2012 seine Pforten geschlossen, Hannover ist schon lange nicht mehr meine Heimatstadt und ich wage zu behaupten, dass ich auch nicht mehr der klischeetriefende und pikesvernarrte Grufti von damals bin. Was ich aber nicht schlimm finde.
Erst letzten Freitag war ich mit meinem Freund auf einem Konzert von Prinz Pi und am Tag darauf bei einem Steampunktreffen in einem hübschen Café. Wer mich schon etwas kennt, der weiß dass früher weder das eine (also Rap) noch das andere (Steampunk) bei mir auf große Begeisterung gestoßen wäre, genauer gesagt habe ich beides früher verabscheut. War halt nicht gruftig und demnach für mich undenkbar sowas zu mögen. Und im Januar war ich mit einer Freundin bei Kraftklub und fands auch noch super? Bitte was ist denn da passiert? Was ist mit der Grabesmond geschehen?

Mag es an meinem Beruf liegen oder an dem schleichenden Prozess des Erwachsenwerdens, aber in den letzten zwei Jahren kam mehr und mehr eine Art „Szenefrust“ in mir hoch. Das ist zwar in den letzten 15 Jahren ein paar Mal aufgetreten, aber diesmal ging mir alles auf den Zeiger und ich hatte das Gefühl, dass mir die Schublade „Gothic“ mit all ihren ungeschriebenen Gesetzen und Klischees zu klein geworden ist. Ich hatte auch keine Lust mehr auf Diskussionen, ob das denn noch gruftig ist, wenn man historisch inspirierte Kleidung trägt und rein optisch nichts mit den Punk-wurzeln der 80ern gemein hat.

Klar, jeder hat mehr oder weniger seine eigene Definition von dem was Gothic ist beziehungsweise bedeutet und ich weiß auch, dass eine Abgrenzung von Subkulturen gegenüber anderen wichtig ist und das natürlich eine Szene von äußerlichen Merkmalen und Klischees usw. (ob man sie mag oder nicht) lebt, aber mir wurde und wird alles zu eng. Hinzu kam die Frage, ob ich denn noch eine Subkultur für die eigene Identifiaktion brauche, um zu zeigen „Hey, so bin ich und nicht anders„. Brauche ich also wirklich eine Szene, die mich vollständig repräsentieren kann? Ich persönlich möchte mich jedoch nicht auf eine Schublade beschränken. Am liebsten möchte ich in gar keiner sein.

Ok, wenn die Szenezugehörigkeit ein wenig wie „Wünsch dir was“ wäre dann würde es ein Hauch Gothrock, Neofolk, Shoegaze und Klassik eine Portion Metal sowie Indiepop, gemischt mit deutschsprachigem Rap vereinen. Und dennoch wäre damit am Ende viel zu wenig über mich ausgesagt.

Nadja auf dem WGT
Nadja auf dem WGT
(c) Stefan Wasmund

Mir schossen beim Schreiben von diesem Beitrag viele Dinge durch den Kopf. Dinge die ich mag die aber nicht bedingt gruftig sind, und für diesen Artikel hab ich mir nochmal meine alten Beiträge vom Gothic Friday 2011 angeschaut und die Meinungen, die ich damals vertrat; die kann ich heute nicht mehr so unterschreiben. Ich glaube, mein Faible für Altes und Antiquitäten, die Epoche der Romantik, das Geheimnisvolle und Unergründliche sowie dunkelromantische Ästhetik, ist geblieben und ich bezweifel dass diese Interessen jemals verblassen werden. Dafür faszinieren mich diese Dinge schon viel zu lange, lange bevor ich überhaupt wusste, dass es so was wie Gothic gibt.

Ich kann mir auch nicht vorstellen dass ich mal gar keine dunklen Farben im Kleiderschrank haben werde, aber ich lege aber auch im Gegensatz zu den letzten Jahren keinen Wert mehr darauf, dass man aufgrund von Symbolik, Kleidung Einrichtungsgegenständen sofort erkennt, wer ich bin.

Früher kam es für mich einem Todesurteil gleich, wenn ich einmal nicht mehr in Samt- und Spitzekleidung und schwarzem Make-Up im Alltag herumlaufen kann, aber heute finde ich sogar Gefallen an Farben, Formen, Mustern die ich früher nicht einmal eines Blickes gewürdigt hätte. Und in meiner Wohnung deutet auf den ersten Blick absolut nichts darauf hin, wenn man von den Kopfbedeckungen, die auf dem Wohnzimmerschrank liegen, absieht. Ich möchte es einfach nicht mehr jedem unter die Nase reiben, für was ich mich interessiere oder was ich schön finde.

Mit 14 war es total aufregend, zum ersten Mal durch die gängigen Magazine wie Orkus, Zillo oder Sonic Seducer zu blättern, Bilder vom WGT zu sehen und Gleichgesinnte zu treffen. Und in gewisser Weise ist jetzt für mich genauso aufregend, aus der Schublade heraus zuklettern und zu sehen und zu entdecken, was es noch alles in der Welt gibt- jenseits des Szenetellerrandes. Ähnlich wie mit 14 erging es mir noch einmal nach meiner Rückkehr aus dem Ausland im Jahr 2010. Alles, was die Szene betraf, habe ich wieder erneut aufgesogen wie ein Schwamm.Ich konnte nicht genug von Partys und Klamotten bekommen, und stundenlang stöberte ich nach Musik im Internet. Nach fast einem Jahr auf dem walisischen Land ohne Busverbindung nach 18 Uhr und erst recht ohne überhaupt einem Ansatz von Szene, ist das durchaus verständlich.

Doch gegenwärtig habe ich das Gefühl, dass mir Gothic nichts mehr Neues und Aufregendes bieten kann und das ich alle Gefilde und Spielarten abgegrast habe und nun die Frage kommt: Was jetzt? Gothrock haut mich schon lange nicht mehr vom Hocker, abgesehen von den Fields of the Nephilim, die für mich immer einen besonderen Platz einnehmen werden. Mir kommt es so vor, das ich alles irgendwie und irgendwann schon mal gesehen habe und nur noch wenig für Begeisterungsstürme in mir sorgt.

Die ewigen Diskussionen ob dies oder das noch gruftig ist, das Gejammere das „früher doch alles besser war“ bin ich leid. Mein heißgeliebtes Pseudonym was für mich stets so geheimnisvoll und gruftig klang – ich war ehrlich gesagt froh als mich Facebook im Sommer 2014 dazu aufforderte, meinen echten Namen anzugeben. Denn es hing mir ehrlich gesagt zum Hals heraus, und ich wollte mich nicht mehr hinter einem Wort verstecken, was meiner Ansicht nach, nicht mehr zu mir passte und zum Ende hin für mich genauso einengend wirkte wie die Gothicschublade. Ich bin einfach Nadja, ohne viel Tamtam und Schnörkel (ok, vielleicht doch ein paar Schnörkel) und ich lebe ganz gut damit, mich nicht mehr auf eine Sache festzulegen, sondern das zu mögen, was ich für schön finde, ungeachtet von Widersprüchen.

Abschließend möchte ich noch auf eine Anekdote vor ca. 14 Jahren eingehen. Ich hatte damals eine Brieffreundin in Leipzig, Mirja hieß sie. Und sie hatte damals die Idee eine Art Heft zu einem bestimmten Thema herauszubringen. Jeder ihrer Brieffreunde sollte etwas zu der Frage/These „Gothic- Spiegel einer kranken Gesellschaft?“ aufschreiben und am Ende hat jeder Teilnehmer eine gebundene Ausgabe in Heftform, mit allen gesammelten Meinungen zugeschickt bekommen. Ich fand es damals furchtbar aufregend zu etwas befragt zu werden, denn es war ja noch alles neu für mich. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich mir damals einige Beiträge komisch vorkamen, vor allem als ich las „Ich setzte mir doch selbst keine Grenzen„. Das habe ich damals nicht so recht verstanden, denn für mich gab es klare Grenzen, und die lauteten: alles was nicht schwarz oder gruftig ist, ist gleich langweilig und nicht beachtenswert. Aber heute verstehe ich diesen Satz besser. Denn ich möchte mir keine Grenzen mehr setzen.