Gothic Friday Februar: Damals in Graz

Hier der Gastbeitrag von Marion aus Wien für den Gothic Friday im Februar 2016. Marion ist auch im Team der Gothic Friday Autoren und wird dieses Jahr auch ihre eigenen Themen präsentieren. Doch zunächst erfahren wir, wie sie in die Szene gekommen ist.

Unsere Geschichte beginnt im Jahr 2004 in der steirischen Landeshauptstadt. Bis dahin hatte ich von dem gesamten Gothic-Subkultur-Komplex noch nichts gehört oder gesehen, nicht in der Stadt, wo ich zur Schule ging und noch weniger in dem Ort, in dem ich wohnte. Spezielle Musik- oder Kleidungsstile interessierten mich nur am Rande. Meine Freizeit verbracht ich damit kleine Geschichten zu schreiben, zu zeichnen, Sagen zu lesen oder mit meinen Freunden am Bachufer sitzen und zu tratschen.

Doch 2004 veröffentlichten Nightwish ihre Single „Nemo“ und plötzlich schwirrten Worte wie „Metal“, „Gothic“ und „Gruftie“ durch die Luft meiner Umgebung. Ich erinnere mich noch gut daran, dass zwei Mädchen, die stets mit demselben Bus wie ich fuhren plötzlich eines Tages ganz in schwarz, inklusive gefärbter Haare und bemalter Lippen auftauchten. Genauso gut erinnere ich mich daran, wie lächerlich ich das fand. Ich hörte das Getuschel der übrigen Mitreisenden, die beiden Mädchen wären jetzt Grufties und obwohl ich keine Ahnung hatte worum es eigentlich ging dachte ich mir, dass hinter diesem „Gruftie Sein“ doch mehr stecken musste, als grauenvoll deplatzierter schwarzer Lippenstift.

Daher begann ich im Internet zu recherchieren, las Wikipedia Einträge zu Musikstilen, durchforstete Foren, deren Mitglieder sich nie einig zu sein schienen was Gothic denn nun sein sollte, versuchte herauszufinden was „Wave“ und „Batcave“ sein sollten und stolperte über die Vorwürfe die Szene sei rechtsradikal, linksradikal oder wahlweise auch satanistisch.

War das mein Einstieg in die Szene?

Nein.

Zwar war mein Interesse geweckt, bis sich aus dem gelegentlich im Internet etwas darüber lesen eine wirkliche Teilnahme an der Szene bzw. ein Zugehörigkeitsgefühl entwickelten zogen allerdings noch ein paar Jahre ins Land. In diesen Jahren wechselten sich bunte mit schwarzen Phasen ab. Es war ein langsames Hineingleiten in die Szenewelt, das immer wieder mal stagnierte, dann wieder angefacht wurde. Letzteres passierte etwa, als meine Mutter für meine Schwester die neueste Bravo kaufte und mir ebenfalls eine Zeitschrift mitbringen wollte. Sie entschied sich für den Orkus (oder ähnliches) und auf der beiliegenden CD war Vision Thing von The Sisters of Mercy. Das Lied habe ich rauf und runter gehört und gleichzeitig im Netz nach weiteren ähnlichen Stücken und Bands gesucht.

War ich somit in der Szene angekommen?

Nicht wirklich.

Marion Levi 2015Das lag teilweise auch daran, dass es in Graz und Umgebung keine, für mich auffindbare, Gothic Szene gab. Das einzige Lokal von dem ich wusste war der Club Q, aber ich kannte niemanden, der mit mir dorthin gegangen wäre und alleine traute ich mich nicht. So blieben mir vorerst nur verrauchte Metalkneipen, wenn mir der Sinn nach dunkler Abendgestaltung stand. Nicht dass an verrauchten Metalkneipen irgendetwas verkehrt gewesen wäre. Es hatte durchaus etwas für sich den Abend in einem engen Keller zu verbringen, wo jeder Typ in einer Band spielte, Bier trank und sich über die viel zu laute Musik hinweg anzuschreien. Gehört hat man sich nicht, verstanden hat man sich trotzdem.

Immer noch kein Einstieg in die Szene, mehr ein Herumlungern am Rande, ein Hineinschnuppern und Beobachten.

Mittlerweile gehörten die bunteren Phasen zwar der Vergangenheit an, ich trug mehrheitlich schwarze Klamotten (am liebsten die alte Motorradlederjacke meines Vaters), hörte größtenteils szenige, wenn auch metallastige Musik und wurde von anderen als Gothic (?) wahrgenommen, aber ich selbst war mir nicht sicher, ob ich mich schon dazuzählen „durfte“. Ab wann ist man Grufti? Wenn die Klamotten zu 90% schwarz sind? Nach dem ersten Konzert einer sogenannten Szeneband? Nach dem ersten Clubbesuch? Wenn man eine bestimmte Anzahl an Gruftie Freunden hat?

Richtigen und regelmäßigen Kontakt zur Szene hatte ich erst nach meinem studiumsbedingten Umzug 2009 nach Wien, wo es im Gegensatz zu Graz viel mehr Veranstaltungen, Konzerte, Clubs, Partys und alternative Leute gab. Ich begann regelmäßig wegzugehen, lernte jede Menge neue Leute kennen, die mittlerweile zu engen Freunden geworden sind und experimentierte viel mit Kleidung und Make-up herum. (mir steht schwarzer Lippenstift übrigens auch überhaupt nicht). Inzwischen gehört das Gruftie Sein ganz selbstverständlich zu mir und meinem Alltag. Quasi unbeabsichtigt bin ich nach und nach immer tiefer in die Szene hineingerutscht und dort geblieben, einfach weil es irgendwie zu passen scheint. Die Musik, die Leute, die Ästhetik, es ist nichts das erzwungen oder gespielt werden muss.

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Kommentare

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Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 8 Jahre

Interessant finde ich, dass Du bevor Du in die Szene eingestiegen bist, recherchiert hast. Das war ja früher zu meinen Zeiten ohne Internet etwas schwierig – bis auf ein paar seltsame Zeitungsartikel gab es kaum Infomaterial und die meisten sind dann doch über die Musik oder Freunde „hineingerutscht“. Andererseits hilft das Internet natürlich auch noch dabei, Gleichgesinnte zusammen zu bringen. Das war früher fast nur über persönliche Kontakte oder Brieffreunde möglich. Insofern haben es Gothics aus ländlichen oder andersweitig szenearmen Gebieten heute viel leichter, sich auszutauschen und zu finden.
Und Deine Mutter hat Dir aus eigener Entscheidung eine Szene-Zeitschrift mitgebracht? Das ist ungewöhnlich.
Übrigens habe ich Mitte der 90er mal einen Grufti aus Graz kennengelernt – ein Brieffreund einer Freundin von mir. Ich kann mich allerdings nicht mehr erinnern, ob und wie er damals die Grazer Szene beschrieben hat…

Flederflausch
Flederflausch(@flederflausch)
Vor 8 Jahre

Wo man sich anmelden :D Bei Gothministerium und wenn man durch die Prüfung fällt bekommt man keine obertrVe-Goth-Plakete.
Meiner Mutter hatte damals eine Bekannte erzählt, dass ihr ältere Tochter, das auch mal „gemacht hatte“ und die irgendwie satanistisch angehaucht waren und ja, Sekte und alles ganz gefährlich – typischer Dorfklatsch und -glaube -.- Hat sich dann aber irgendwann auch beruhigen lassen^^

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