Gothic Friday Februar: Ronny Rabes Szeneeinstieg

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Hallo, mein Name ist Ronny, ich zähle nunmehr 39 Jahre und komme aus Leipzig. Für den Gothic Friday im Februar möchte ich kurz erzählen, wie ich in die Szene gekommen bin.

Mein Einstieg in die Szene begann durch einen Freund, der sich 1993 Lacrimosas Album „Einsamkeit“ kaufte. Wir haben es zusammen gehört und ich war sofort hin und weg. Die Vertonung der Texte und die Aufmachung der Band, für mich eine Offenbarung – ich war fasziniert. Ich habe davor schon Gedichte und Gedanken für mich niedergeschrieben, welche ich eben in den Texten von Lacrimosa wiedergefunden habe. Mich faszinierte nicht nur die Musik sondern auch der Mensch Tilo Wolff – und so begann ich alles zu sammeln (bis jetzt sind es alle Alben, Auslandsveröffentlichungen, Artikel über die Band und auch 3 Lacrimosa Tattoos) und mein Äußeres zu verändern. Ich färbte mir die Haare schwarz, fügte eine blonde Strähne hinzu und änderte meinen Kleidungsstil. Die Farbe schwarz zog ein, mein damaliges Zimmer veränderte sich in eine dunkle Höhle – trotzdem blieb ich ein fröhlicher und geselliger Zeitgenosse.

Wie damals faszinieren mich auch heute noch die nachdenklichen Texte und die Melodien der Band und das Erscheinungsbild der „Gruftis“. Leider kann ich keine Haare mehr auftoupieren, da sie etwas weniger geworden sind. Gern erinnere ich mich auch an mein erstes Konzert innerhalb der Szene. Damals im sogenannten „Kraftwerk“ zu Goethes Erben. Meine ersten Schminkversuche waren grottig, aber ich hatte Spaß und fühlte mich wohl. Mit den Jahren lernte ich dazu, was das Outfit und die Schminkkünste betraf.

Gothic ist ja auch, sein inneres nach außen zu tragen – seine Gefühlswelt in Texten und Songs wiederzufinden, wobei jeder selbst auf seine Weise Songs interpretieren kann. Ich lebe mein „schwarzes Dasein“ aus und liebe es so, wie es jetzt ist. Mit der Zeit lernte ich auch die musikalischen Facetten der Szene kennen und entdeckte die „neue deutsche Todeskunst“, „Darkwave“ und „Gothic Rock“ für mich und finde auch einiges aus der Neofolk-Ecke spannend.

Meine Einstellung gegenüber der Szene hat vielleicht nicht geändert, weil ich seit mehr als 20 Jahren meine Szene lebe, mich darin bewege und auslebe. Ich fühle mich wohl und das auch über die Musik hinaus. Ich habe viele Dinge für mich entdeckt: Literatur, schöne Orte und kleine Partys und Clubs fernab der breiten Masse. Doch das Hauptaugenmerk bleibt für mich die Musik. Im Laufe der Zeit lernte ich viele „Gleichgesinnte“ kennen, von denen leider nicht mehr viele in der Szene sind, weil es für manche dann doch nur ein Phase gewesen ist. Eine Phase, die bei mir bis heute anhält.

Gothic Friday 2016: Wie bist Du in die Szene gekommen?

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Mittlerweile tummeln sich zahlreiche Generationen in der Szene. Gruftis, die der Geburt der Szene beiwohnten, dürften die magischen 50 bereits überschritten haben und müssen nun hilflos mit ansehen, wie der blutjunge Nachwuchs die Szene faltenfrei und hochtoupiert so interpretiert, wie es ihm passt. So unterschiedlich die Wahrnehmung von „Gothic“ auch sein mag, eine Sache haben alle gemeinsam: Sie haben irgendwann damit angefangen. Deshalb kann die erste Frage des Gothic Friday 2016 nur lauten: Wie bist Du in die Szene gekommen?

Wiederholung!“ schreien die Ersten ihren Computerbildschirm entgegen. Die Ersten haben recht. Bereits bei vergangenen Gothic Friday vor ziemlich genau 5 Jahren wurde diese Frage bereits gestellt. Doch der Szeneeinstieg ist mitunter das wichtigste Ereignis der subkulturellen Karriere, deshalb muss die Frage erneut gestellt werden. Für die hoffentlich zahlreichen Wiederholungsgruftis gibt es eine andere, alternative Frage: Warum bist du immer noch dabei? Damit keine Verwirrung aufkommt, versuche ich die Intentionen der Fragen so detailreich wie möglich zu erklären:

Für neue Teilnehmer lautet die Frage: Wie bist Du in die Szene gekommen?

Egal wie lange es zurück liegt und wie schleichend der Prozess auch gewesen ist. Erinnert Euch. Habt ihr den Schritt in die Szene ganz bewusst gemacht, euer Outfit verändert und den Bekanntenkreis gewechselt? Was hat den Ausschlag gegeben sich zugehörig zu fühlen? Während es früher ja hauptsächlich Zeitschrift und Freunde gewesen sind, die den Ausschlag gegeben haben, so ist „Gothic“ heute ja eine sehr bekannte Subkultur, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder in den Medien präsent ist und auch im Internet zum gängigen Unterscheidungsmerkmal geworden ist. Wie bist DU mit Gothic in Berührung gekommen, was oder wer hat Dich fasziniert und in seinen Bann gezogen?

Schon mal beantwortet? Dann nimm die folgende Frage:  Warum bist Du immer noch in der Szene? 

Wer kennt das nicht? Die bohrenden Fragen des Umfelds: Bist du nicht zu alt für diesen Kram? Wann wirst du endlich erwachsen? Trotzdem bist du noch dabei, fühlst Dich immer noch – oder schon wieder – irgendwie zugehörig. Dein ganzes Leben hat Dich Gothic in irgendeiner Form begleitet, rausgewachsen bist du nie, auch wenn der ein oder andere vielleicht einen Abstecher gemacht hat. Ja, vielleicht warst du sogar eine Zeit lang irgendwie anders unterwegs und bist in die Szene zurückgekehrt. Mit dem persönlichen verlassen der Jugend – und dem damit einhergehende Sinn einer Jugendkultur – verändert sich etwas. Die Szene stiftet möglicherweise immer noch ein Identifikationspotential und sich in schwarz zu kleiden findest du nicht mehr rebellisch, du kennst es eigentlich gar nicht anders. Es gibt Gruftis, die sind seit 30 Jahren in der Szene. Warum bist Du immer noch dabei?

Jetzt seid Ihr an der Reihe. Schreibt Eure Erfahrungen, Gedanken oder Erinnerungen auf und reicht diese bis zum 19. Februar 2016 ein. Ob ihr das per E-Mail macht oder euren eigenen Blog benutzt, bleibt Euch überlassen. Mehr Informationen zur Teilnahme findet ihr hier. Es wäre schön, wenn ihr die Kommentare – neben möglichen Fragen – auch dazu verwendet, Eure Einsendung oder Veröffentlichung (bitte auch verlinken!) mitzuteilen.

Guldhans Kolumne: Sadismus für schwarze Singles

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Guldhan ist der grünste aller Gruftis. Wortreich, meinungsstark und provokant präsentiert er den Lesern von Spontis in regelmäßigen Abständen seine Kolumne. Er beleuchtet die typischen Verhaltensmuster der schwarzen Gemeinde, analysiert das Paarungsverhalten geschlechtsreifer Gruftis, sinniert über Musik und Bedeutung und nimmt auch netzaffine Gothics unter die Lupe. Spontis warnt: Ungeschönte Sprache gefährdet möglicherweise Deine Moralvorstellung.

Alle elf Minuten verliebt sich ein Single. Fragt sich nur wo. War es »Parship« gewesen, die mit einer derartigen Motivationsphrase protzten? Gute Frage, habe ich wohl spontan verdrängt. »Schwarzes Glück« oder »Gothic Singles« kann es jedenfalls nicht gewesen sein. Diese besitzen immerhin noch Pietät genug, um nicht aus jedem menschlichen Abgrund noch Kohle pressen zu wollen. Oder zumindest spucken die einem nicht bewusst derartige Werbetäuschungen vor die Füße. Zumal mir dieser scheiß Slogan allzu hämisch von einem großkalibrigen Außenplakat herabgriente. Man kennt ja diese Bereicherungen des städtischen Straßenbegleitgrüns, die wenigstens stilsicher zu Auffahrunfällen führen und einen schon zum schlechten Gewissen bewegen, wenn der eng-geleinte Schleifenfiffi kurz das darunter liegende Brachland düngte.

Ja, es musste eine dieser gutbürgerlichen gesellschaftstauglichen Partnerbörsen sein. Eine derer, die mit derart visagistgetunten Modelgrinsen aufwarteten, dass einem schon beim ersten Eindruck der Glauben daran abhandenkommt, dass diese dargereichte Werbegestalt wirklich eines dieser Singles sein soll. Und nicht mit einem bloßen Tief-in-die Augen-blicken jedes Beuteschema in die Begattungsstarre fallen lässt, sondern sich in die Entmündigung einer solchen Börse begeben muss. Oder vielmehr musste. Wurde mir doch nun die Gnade des Präteritums zu teil. Denn was immer für Begierde die neuste Botschaft dieser Werbeinstallation in mir wecken soll, eine Erinnerung an das verdammte eigene Leben fällt nicht mehr darunter.

Ernüchternd elitäre Enthaltsamkeiten

Oder war es doch »Elite-Partner«? Entschuldigung, aber diese Frage lässt mich nunmal nicht los. Schließlich denkt der testosterongetränkte Standardknilch aller paar Minuten ans Vögeln. Wen wundert es also, dass sich somit die Gedanken des großstadtdomestizierte Kerls in Einzelhaft minutenlang um Singlebörsen drehen. Doch vielleichte irre ich mich, man soll ja schließlich nicht immer nur vom eigenen Ich ausgehen. Allerdings lässt sich nicht einmal bei spontaner Such-Bittstellung im Hause Googles die passende Antwort finden. Allerhöchstens die Klärung der Frage, wie oft der Mann generell kann. Sogar im Forum von »Elite-Partner«.

Singles sind eine Form der KunstVerblüffend. Dreht sich selbst die Welt der erlauchten Studi-Stute um solch animalische Akte. Und da dachte ich immer, die Antwort gäbe schon der gymnasiale Grundkurs in Biologie. Scheinbar weit gefehlt bei den Eliten. Scheint es wohl doch nichts anderes zu sein als eine hermetisch abgeriegelte Aufzuchtsplattform der schlichten Oberschicht. Welche den Studierten einzig davor schützen soll, dass er seine Gene an die ordinäre Aldi-Kassiererin verschwendet. Oder am Ende noch Blutschande mit einer Frisöse betreibt. Hat ja schließlich nicht jeder Schwengel katholische Theologie studiert und braucht bei der Putze nicht um offenkundige Degradierung des Erbgutes bangen. Oder, um nicht dem Chauvinismus zu verfallen, bietet diese Plattform ja auch Zuflucht für die Akademikerin, deren größter Alptraum es ist, den Parasiten eines räudigen Arbeiters austragen zu müssen. Schließlich fläzt man sich ja in subventionierten Hörsälen nicht den Arsch platt, ohne daraus eine gewisse Familienehre zu ziehen oder zu erhalten.

Aber nein, die Elite-Partner war es wohl auch nicht, dafür wirkte das Grinsen zu sehr nach Arbeiterklasse. Doch eines ist Fakt, so etwas wie »Schwarzes Glück« war es definitiv nicht gewesen. Auch wenn eine Positionierung des eigenen Alter-Internet-Egos dort ebenso verschwendet wirkt, wie bei den Stino Singles. Nicht weil ich nicht zur Elite zählen könnte. Schließlich weiß auch ich wie man »Universität« buchstabiert. Nämlich mit »w«. Ebenso wie »Gothic«. Ergo, ich bin zu beiden Zugängen berechtigt. Doch das, was bei den Eliten die Snobs und die Schickeria darstellt, sind bei den schwarzen Glückskeksen die Hobby-Misanthropen und Heimchenvöglerinnen. Denn man wird dort großspurig nichts anderes auffinden als ein: »Kein Interesse«, »glücklich verliebt«, »vergeben«, »verlobt«, »verheiratet«. Verschissen und verfickt.

Sechsunddreißig Profile dahergelaufener Wochenend- oder Vollblutgotinnen aus der Nachbarschaft und man wird in verblüffender Kontinuität mit diesen Begriffen belästigt. Zugegeben, gelegentlich ploppt auch mal das passende schwarzkittelige Pendant des Facebook-Status »Arbeitet bei: stolze Mami« auf. Was einem wenigstens die kurze Gnade schenkt, das Profil auch einmal wieder aus eigenen freien Stücken sofort angewidert wegklicken zu können. Oder man stößt über ein bis zwei Mädels, deren Beuteschema deckungsgleich ihrer Anatomie sein sollte. Gut, das kommt eben vor. Für andere Kerle hält sich mein Mitleid bezüglich solchen Verlustes ohnehin stark in Grenzen.

Aber dennoch mal ganz ehrlich, so unter uns, was zum Geier soll der verdammte Scheiß?!

Ich registriere mich doch auch nicht in einem Selbsthilfeforum für Alkoholiker und hausiere dort meiner Liebe zur grünen Fee. Oder erfreue die PETA mit meinem Diplom im Robbenerschlagen. Oder zeige in einer Therapiegruppe für Pädophile jedes hochauflösende Urlaubsbild mit meiner kleinen Nichte am Strand. War letzteres jetzt endlich geschmacklos? Stieg kurzer Groll die Kehle empor? Ach Gottchen, vielleicht folgt irgendwann noch eine Entschuldigung… Ja verdammt, es war geschmacklos. Doch ebenso reagiere ich bei der Sichtung solcher Profilkennungen. Warum? Ganz einfach, weil wenn Einsamkeit Alltag wird, dann wird Frust verdammte Wut. Nur für alljene Mädels, die sich fragen, warum man in einschlägigen Singlebörsen so schlecht Freunde findet. Dort will keine Sau Freund sein. Entweder man ist der Freund oder ebenfalls nicht interessiert. Oder war es wieder nur ich, der so denkt?

Es ist doch schon beschämende Fleischbeschau. Die Dunkelkammer für alle Mentalitäten, deren Ego kein Balzgehaben in den hiesigen Club zulässt. Muss man diese armen Teufel denn obendrein noch damit abwatschen, dass man dieses Refugium der simulierten Hoffnung auf Kontakt so derart unter Eis setzt? Von den wandelnden »Wie wichtig ist dir Sex: geht so«-Gefrierkammern mal ganz abgesehen. Zumal unsereins, ja ich zähle mich außerhalb des Dienstes zu solchen Kontraextrovertierten, nicht gerade das Schmachtmodel raushängen lässt. Man somit in der Öffentlichkeit steht wo man steht und selten in den Bann von Gesellschaften gezogen wird. Man verbleibt im Raum in Ecken und Schatten. In denen die einzige Unterhaltung, die einem zuteil wird, jene mit den eigenen Dämonen ist. Die einen dazu bringen, die Hand eines jeden, der die verdammte Gunst eines Weibchens des eigenen Interesses innehat, eher brechen möchte als zu schütteln. Zu teilen ist schließlich Tugend; warum somit nicht auch den Schmerz.

Natürlich, Mann ist ja selber schuld. Was besitzt man auch so eine minimale Toleranzschwelle. Die ebenso niedlichen wie blutjungen Gotenweibchen stehen ja auch für den deutschen Normrüden gerne mal in der direkten Rammelliste. Ist doch das Gothic-Girl pauschal bondageorientiert, SM-geprüft und perfekt, um im Rudel mit seiner ganzen Taffheit als Kerl zu imponieren. Welches Alpha-Tierchen bekommt nicht schon alleine davon feuchte Tagträume in der Hose. Aber der schwarz-militarisierte Kerl… der besitzt nicht einmal den Sympathiebonus den der schwarzlackierten Schönling innehat. Dessen androgyner Phänotypus mitsamt Smokey-Eyes-Dackelblick von so viel Warmherzigkeit zeugt, dass auch das Normalo-Frauchen dahinschmilzt. Denn wenn schon keinen südländischen Exoten im Bett, dann wenigstens einen schwarzländischen Exgoten.
Aber unsereins, der, egal wie er grüßt, entweder als autonomen linksradikalen Schläger katalogisiert oder zum rechtsradikalen Prolet erklärt wird… Und einen Körperbau präsentiert, der sagt: »Ja, ich schaffe Kniebeuge mit 150kg im Nacken« sowie ein Gesicht, das dazu passt.  Welches Zartgeschlecht soll das denn in erster Instanz bezirzen? Denn schreckt nicht gleich die Haptik des Körpers ab, dann die Optik des Schuhwerks. Ergo, damit braucht man sich nur auf solchen schwarzen Seiten zu registrieren. Gut, und auf fetischvertretenden Swingerseiten. Doch was will man bei den Norm-Single-Fleischbasaren, deren Auslage das Alltagsschwarz nur als »Gofik« aus BILD und RTL kennen?

Einer flog übers Kuckucksnest

Und nicht, dass ich es nicht versucht hätte. Mit viel Mühe und Hingabe. Stirbt die Hoffnung doch zuletzt, selbst wenn man selbst schon tot erscheint. Ich benutzte Farbe im Profilbild; bunte. So bunt es eben geht; also grün. Mit Haaren auf dem Prägen und einem Blick jenseits der »Noch so´n Spruch: Kieferbruch« -Sympathie. Davon, dass ich es vermied, die wirkliche Zivilkleidung zu zeigen, mal ganz abgesehen. Und was geschah. Ich tippte mir nicht nur einen abgefuckten Wolf, das war schon ein gesamtes verdammtes Rudel, und errang bei vielleicht zehn Prozent einen Wortwechsel. Zumindest nannten die es so. Ich erachtete diese Art der Kommunikation nur als scheiß Smalltalk. Gewann jedoch die Erkenntnis, dass meine Gesprächspartnerin zu Beginn nie gedacht hätte, dass ich so bin wie ich bin. Worauf auf Nachfrage solch Begriffe wie: »kultiviert«, »wortgewandt« und »gebildet« in den Chat geschleimt wurden.
Ja danke für diese bahnbrechente Beurteilung. Ist ja nicht so, dass mir dieses Paradebeispiel alter Jäger- und Sammlermentalität nicht permanent an den Kopf geschmissen werden würde. Könnte wenigstens mal eine hinter die Fassade blicken und mich als »überheblich, zynisch und arrogant« einschätzen, so wäre ich immerhin beeindruckt gewesen. Aber so… Was also soll man da? Am Ende findet man sich doch ganz possierlich und wird zum näheren Kennenlernen zu einem Jump-Radio Hit-in-the-Mix-Abend gezerrt. Oder zur Auferstehung von »Unheilig«, weil sie ja im Kern auch Gothic ist, aber ihre Familie und Arbeitgeber und bla, bla, blah.

Nein danke, wegetreten. So etwas kann nicht gut gehen. Wie auch. Kollidierende Mentalitäten bilden nur Erdbeben, aber kein solides Fundament. Dann lieber eine bemähnte Metalerin. Zwar erachte ich dann den Pflichtbesuch auf Wacken als ebenso kopfschmerzfördert wie das Dasein in Normalvolk-Kneipen und das Gegröle mancher schwarz-weiß-fressigen Interpreten als nicht minder grenzdebil wie das der meisten Chartsgelage, doch es besteht immerhin ein realistischer kleinster Nenner und Chance auf kulturelle Parallelen. Zudem finde ich den brachialen Amazonen-Stil mancher Metalmädels einfach nur geil.

Scheiß Subkultur. Ja, ehrlich. Punkt. Um damit endlich einmal mit einem Resümee zu dienen; bevor man sich noch grundlos langweilt. Warum »Scheiß Subkultur«? Weil scheißen singlefeindlich. Und damit meine ich nicht die Weibchen, die einem ihre lose benetzten Brüste entgegenstecken. Entschuldigung, aber meine Keuschheit ist im Menschsein verloren gegangen. Und wenn ich wenigstens zuhause essen könnte, dann wäre ich größter Fan dieser optischen Horsd’œuvre. Aber so vergeht mir wahrlich der Appetit. Auch wenn ich kein Kostverächter bin, aber wen animiert es schon zur Lebensfreude, wenn Kühlschrank und Bett ebenso leer wie kalt sind. Deshalb »Scheiß Subkultur«.
Im Verhältnis ist die Ausbeute, das Angebot, die Darbietung ein glatter Witz. Und nicht einmal ein guter im bitterbösen kabarettistischen Sinne. Sondern ein Rohrkrepierer à la Mario Barth. Quasi ein Schenkelklopfer für alljene Pfeifen, die ihr Weibchen als derartig selbstverständlich ansehen, dass diese darüber lachen können, wenn sie diskreditiert wird. Deshalb im Verhältnis ein Witz. Aber Mädels zieht es scheinbar zum Proleten und das macht auch vor Texten von Gotennovellen nicht halt.

Mangelnde Motivation durch Mengenleere

Und wie überall entscheidet auch hier Stil und Musikgeschmack über Geling und Verderb. Womit wir wieder beim Verhältnis wären. Denn: Große schwarze Familie am Arsch. Seien wir doch ehrlich. Das ist keine Familie, das ist eine WG, ein Sanatorium, eigentlich eine Anstalt. Zeige mir ein Single über dreißig ohne mentalen Defekt und du bekommst einen Lolli. Nein, das ist keine Familie. Das ist ein verdammtes Irrenhaus, in dem man entweder siegt oder untergeht. Das ist auch nichts weiter als der ganz normale Wahnsinn der Gesellschaft. Weil es Teil dieser Gesellschaft ist. Und in der Gesellschaft brauchst du nur drei Dinge um der Grundfeste der Biologie folgen zu können: Mehr Glück als Verstand oder den Charakter eines Alpha-Arschlochs oder geringen Anspruch. Fehlen zwei, bist du Luft und bleibst es auch. Man bilde sich nicht ein, dass hiesige Triebe und Beziehungsgaranten anders ticken. Der Mensch bleibt Mensch bleibt Tier.
Mich beispielsweise schreckt die gemeine Gotengräfin ab. Womit das mit dem Anspruch geklärt wäre. Bleiche groteske Kajalzirkelfressen mit Zuckerwatte auf dem brauenlosen Schädel, der als einziges nicht im Plump und Pomp gehüllt ist. Wenn das Beuteschema eine Pyramide darstellt, dann sitzt jene Stereotype der Schwarzkittelkultur im Reisebus daneben. Vor allem, wenn ich solche Schwarzstoffschreckse noch dabei beobachten muss, wie diese zu trögem Gotentotenklang theatralisch mit ihren Ärmchen fuchteln. »Aphrodisierend« ist hierbei definitiv nicht das Wort der Wahl. …Es darf nun geraten werden, da die passendere Betitelung ebenfalls mit »A« anfängt.
Doch selbst wenn, beruht diese antagonistische Tendenz doch ohnehin auf Gegenseitigkeit. Natürlich tut sie das. Staksen solche Schwarzgefieder doch ebenso entrüstet zurück in ihre Nische, wenn unsereins zum Abreagieren bei gepflegtem Knusperbasse von der Selbstdarstellungsfläche gleich mal vier Meter im Quadrat beansprucht. Interessenskonflikt par excellence. Und das in solch kleiner Kultur. Also komme man mir nicht mit Großfamilie. Erträgt auch nicht jede Sippe den Stiefsohn mit ADS. Und mag nicht jeder die Nichte, die sich mit Jungs prügelt, mit Panzern spielt oder jedes Wochenende auf Begattungsbeutezug geht.

Was bleibt somit? Bei den Börsen. Aller fünfundzwanzig Profile mal ein Mädel das begeistert. Das auch mal die schweren Stiefel in Armyhosen steckt. Und nicht nur so tut. Das auch mal mit den Konturen ihres Körpers im hautengen Trägertop zu brachialem Boxenkrach zu reizen vermag. Und nicht nur in asexueller Tristes mit ihren weiten Stoffballen wedelt. Und das auch mal mit ihrem Kerl spielen will. Zeigt, dass Leidenschaft, oder von mir aus »Liebe«, auch in der Öffentlichkeit nicht plötzlich als platonisch erklärt werden muss. Scheiß auf Norm. Und von was zeugen wiederum 80% der Profile? Vom Mensch als Kuscheltier; nach DIN-Normung. Nochmals Danke vielmals. Es macht echt Spaß, wenn man einen Stubentiger sucht und nur inmitten von Plüschkatze kniet.

Man ist Subkultur innerhalb einer Subkultur. Und ja, genau aus diesem Grunde überkommt einem das Gefühl der Einsamkeit eines letzten seiner Art. Und deshalb bewegt man sich in solchen Börsen. Einst motiviert, bald jedoch ebenso euphorisch wie auf dem Viehmarkt. Als Vegetarier; und auch ebenso gut gelaunt. Oder als Extraterrestrischer, nämlich dann, wenn man durch das Standard-Grinsen von Standard-Stino-Börsen blättert und sich denkt: »Mit Undercut, Kajastrich und Haus Arafna-Girli-Top sähe diese echt niedlich aus«. Tut sie aber nicht. Tut keine. Nirgends. Es sei denn in den Armen eines anderen Arsches.

Okay, das war jetzt nicht objektiv. Denn es gibt sie, natürlich. Auch in den Clubs; selig seien die Egobooster, die dort mit vollpfostigem »Hi, wie geht´s.« Punkten können. Ich muss das wohl noch lernen, versuche ich doch gleich interessant zu kommunizieren. Zumindest im Kopf und nicht in der Tat. Und ja, es gibt sie auch auf solchen Börsen. Mit dem charmanten Vermerken: »Kein Interesse«, »glücklich verliebt«, »vergeben«, »verlobt«, »verheiratet«. Vielen Dank. Danke für nichts. Danke für den Dolchstoß mit zeitgleicher Ohrfeige. Hat mich gefreut. Freut mich auch jedesmal und weiterhin auf´s Neue. Daher sage ich auch ganz unvoreingenommen: Fickt euch. Fickt euren Penner, werdet glücklich und verpisst euch. Und grinst mich… grinst uns nicht so blöde an oder schreibt irgendeinen Smalltalk-Scheiß, der einen Dreck interessiert. Kommunikation dient der Erbeutung, Geplapper habe ich beispielsweise schon genug zur Dienstzeit.

Und vielen Dank Subkultur. Vielen Dank für fünfundzwanzig Jahre, die einen prägten. Einen zu dem werden ließen, der man ist. Einem, der bei Normalo-Weibchen ins Grübeln kommt und sich fragt, wie man denn nur so leben kann. Und der weiß, dass diese Gedanken ebenso auf der anderen Seite durch die Synapsen wabern. Und der zu oft mit Stich im Nacken denken muss: »Du wärst echt süß, aber nicht in dieser Aufmachung und nicht mit dieser scheiß Musik im Ohr. Und vor allem nicht mit diesem scheiß Macker an deiner Seite«.

In diesem Sinne.

Preis(und)Wert? Ein Pamphlet zum WGT Ticketpreis 2016

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Eigentlich wollte ich dazu nichts schreiben, denn eigentlich finde ich das furchtbar albern und eigentlich finde ich auch, dass Robert in seinem Beitrag zum Dark Munich Festival bereits alles gesagt hat. Eigentlich. Uneigentlich geht mir diese Mentalität so gegen den Strich, dass meine Finger von alleine über die Tasten fliegen.

Gestern hat das Wave Gotik Treffen den Kartenverkauf für die Veranstaltung zu Pfingsten 2016 eröffnet. Bei mir sorgt diese Ankündigung in der Regel für einen riesen Schwung Vorfreude, so auch dieses Jahr. Der Beginn des Kartenverkaufs bedeutet, dass die Anzahl der Tage bis zur fünften Jahreszeit der Gruftis zweistellig werden. Er bedeutet, dass mehr und mehr Bands und andere Veranstaltungen bekannt gegeben werden. Er bedeutet, dass der März und damit der Versand der Karten nicht mehr weit ist. Er bedeutet, dass man sich ernsthaft Gedanken machen sollte, ob man alles Beisammen hat oder manche Anschaffung besser längerfristig plant (um nicht wie mein Mitcamper Thomas am Donnerstag vor Pfingsten bei der Post zu stehen und seine Zeltherringe nicht in Empfang nehmen zu können und sich damit zur Zielscheibe des Spots zu machen). Kurz: für mich ist der Beginn des Kartenverkaufs für das Wave-Gotik-Treffen ein Meilenstein im Jahresablauf, wie für andere der Valentinstag oder Ostern.

120 Euro soll der Spaß dieses Jahr kosten. Ja, ich gebe zu, auch ich habe kurz geschluckt. Kurz. Dann habe ich mich gefreut. Und dann habe ich Facebook geöffnet, die Kommentare gelesen und zunächst amüsiert gelacht. Um mich dann doch irgendwie zu ärgern.

120 Euro is schon echt ne Hausnummer, dafür müsst ihr dieses Jahr aber echt was bieten! Nachdem 2011 nicht so der Hingugger war! Ich hoffe die Veranstaltungen im Rahmen des WGT rentieren sich, sonst bin ich nach 15 Jahren auch das letzte mal dabei …

so der User Ebo Zweipunktnull in der WGT Facebookgruppe um nur ein Beispiel von vielen zu nennen. Eine Auflistung dessen, was man dafür alles bekommt und einen Hinweis darauf, dass Kosten in allen Bereichen zunehmen, spare ich mir hier und verweise auf den Artikel Steigende Preise beim Wave-Gotik-Treffen 2016 von Michael Gamon auf der Seite Monkeypress.

WGT Ticketpreise
Die Ankündigung der Ticketpreise sorgte bereits für einigen Unmut. Bezahlte man in den letzten beiden Jahren noch 99€, so kletterte der Preis nun auf 120€

Was ich vielmehr umtreibt, ist die Frage nach dem Preis und dem Wert. Für mich sind Kunst und Kultur etwas, was man gibt. Aus einem Bedürfnis heraus ein Empfinden auszudrücken, zu konkretisieren, zu teilen, gemeinsam zu erleben usw. Es ist etwas, in das man viel Arbeit, Zeit, Nerven und Herzblut investiert. Für mich ist es ein Teil dessen, was uns zu Menschen macht, uns einander anblicken und sehen lässt. Das mag etwas sein, dass man umsonst geben mag, was aber in gewissen Rahmen, wie eben dem Wave-Gotik-Treffen, nicht umsonst sein kann.

Und schon steht die Frage im Raum: Was bekommen wir dafür? Was ist die objektive Menge für die zählbare Summe? Wie viel? Ich finde nicht, dass es die Frage nach dem „wie viel“ ist, sondern die Frage nach dem „wie intensiv“, nach dem „wie tief“.

Ja, auch ich habe nicht beliebig viel Geld und kann nicht beliebig viel für Veranstaltungen und Musik ausgeben. Eine Veranstaltungen, die viele Bereiche der subkulturellen Musik und darüberhinaus der Kunst und Kultur abdeckt, ist mir etwas Wert. Eine Veranstaltung die mir die Möglichkeit bietet viele verschiedene Menschen und Persönlichkeiten kennen zu lernen. Die Menschen versammelt, die sich sonst niemals begegnen würden. Die Menschen versammelt, die ich das ganze Jahr nicht sehe, auf die ich mich aber aus ganz unterschiedlichen Gründen sehr freue. Eine Veranstaltung, die Raum für Austausch und Diskussion lässt. Raum zum Erleben. Eine Veranstaltung an deren Morgenden ich völlig entkräftet Richtung Zelt wanke, aber das Gefühl habe berührt worden zu sein. Die mich fühlen lässt. Es ist nicht die Frage nach dem Preis, sondern nach dem Wert.

Wer das nicht begriffen hat: Herzlichen Glückwunsch zum Prädikat postmodernes Steuerungsobjekt.

(Bildquelle WGT-Bändchen: Ronny Frank Rabe)

Gothic Friday 2016 – Das Grablicht ist entzündet

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Vor ziemlich genau 5 Jahren dachte ich: „Kann es denn möglich sein? Seit ich blogge nehme ich von Zeit zu Zeit und voller Begeisterung an Blogparaden und Projekten Teil, habe aber noch nie wirklich ein eigenes Projekt gestartet. Es musste erst ein Impuls von außen her, um mich endlich damit auseinanderzusetzen.“ Den letztendlichen Impuls gab damals Shan Dark vom schwarzen Planeten, mit der ich die Idee zum Gothic Friday entwickelte und umsetzte. Ein ganzes Jahr lang arbeiteten wir uns durch die unzähligen Beiträge, die uns in ihre Länge und Qualität völlig überrascht hatten. Ein bisschen froh waren wir ja, als die Aktion endete, es konnte ja keiner damit rechnen, das die Aktion so positiv von den Lesern aufgenommen wurde. Obwohl damals ziemlich die Luft raus war, sind wir sehr glücklich mit dem Ergebnis gewesen, denn so intensiv hatte sich noch niemand mit Szene beschäftigt.

In den letzten 5 Jahren ist viel passiert. Soziale Netzwerke reißen die Gedanken vieler Leser an sich, einige der Blogs von damals sind geschlossen worden oder verfolgen nun andere Ausrichtungen. Das Interesse an den Beiträgen von damals, ist jedoch nie wirklich abgerissen und sorgte sogar in jüngster Vergangenheit für einige neue Beiträge, in denen die Themen von damals wieder aufgegriffen werden. Auch in den Kommentaren wurde deutlich: Ein neuer Gothic Friday ist unausweichlich!

Was noch fehlte, waren Leser die nicht nur teilnehmen wollten, sondern die auch bereit waren mitzuarbeiten. Denn alles was ich damals wissen wollte, wurde beantwortet. Es brauchte einen frischen Wind, neue Ideen, neue Fragen und neue Energie! Das ging erstaunlich schnell. Auf dem verlinkten Dokument auf Google Docs fanden sich schnell Svart Nott, Aristides Steele, Flederflausch, Marion, Tanzfledermaus und Steffi zusammen, um zahlreiche Gedanken und Ideen auszutauschen. Hier werden auch weiterhin alle Interessierten zusammenfinden um gemeinsam an den Frage- und Aufgabestellungen zu feilen und die Aufgaben aufzuteilen. Wer mitmachen möchte, kann sich mit einem Google-Account jederzeit anmelden. Ich habe heute die Seite, die ihr unter der Navigationsleiste unter „Gothic Friday“ anklicken könnt überarbeitet, dort stehen auch alle Spielregeln und Teilnahmebedingungen (die es im Grunde eigentlich nicht gibt) zum nachlesen.

So liegt es nun an Euch, liebe Leser, auch diesen Gothic Friday den dunklen Atem einzuhauchen, den er verdient und zahlreiche Beiträge zu den Themen und Aufgaben einzureichen. Jeder, der am dritten Freitag des Monats einen Beitrag veröffentlicht oder eingeschickt hat, nimmt teil. Es ist keine weitere Anmeldung erforderlich. Das Grablicht ist entzündet und wir hoffen, dass sich noch viele flackernde Lichter dazugesellen werden.

Welche Fragen und Aufgaben gestellt werden, werdet ihr immer dann erfahren, wenn es soweit ist. Das erste mal wird es am 05. Februar 2016 soweit sein, denn da geht es offiziell los. Wer Fragen und Anregungen zum Ablauf hat, benutzt bitte die Kommentare, ich werden dann darauf eingehen und sie dann auch in die Übersichtsseite einpflegen.

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Porträt einer Ikone – Zu Gast im Kopf von Tim Burton

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Eine dunkle Gefängniszelle. Das kleine, vergitterte Fenster ist unerreichbar fern. In ihr sitzt ein Mann in einem gestreiften Shirt und ohne Füße vor einem Zeichentisch, das einzige Licht, das ihn erhellt, ist das Gegenlicht seiner Zeichnung. Mit einem manischen Blick ist er tief und eifrig in der Auftragsarbeit gefangen. Er – das ist Tim Burton, das Gefängnis ist das „Animation Dept.“ (die einzige Randnotiz auf der ansonsten unbetitelten Zeichnung) von Disney. Der Zeichner ist Tim Burton selbst.

Diese im Jahr 1983 entstandene Selbstdarstellung ist nur eines von 10.000 kuratierten Werken, welche die Tim Burton-Sammlung enthält. Knapp 500 davon konnte man in der Tim Burton-Ausstellung des Max Ernst-Museums in Brühl betrachten. Die erste Überraschung befand sich schon vor dem Eingang: Eine lange Besucherschlange wartete am Museum auf Einlass – die Ausstellungsräume waren zu klein, um alle Besucher auf einmal hineinzulassen. Auffällig war der hohe Anteil diverser Subkulturen. Gothics, Emos, Punks und alles dazwischen war vertreten.

An dieser Stelle ein besonderer Dank an das Museum, welches die „rasenden Reporter von Spontis“ nicht nur an der Schlange vorbei lotste, sondern auch eine unglaublich spannende und informative Führung anbot.

Doch warum sind die Werke von Tim Burton in Subkulturen (insbesondere der Gothicszene) so beliebt? Die Antwort darauf findet sich sowohl in seiner Biografie, als auch in seinem Stil, wobei letzterer die Konsequenz seiner Biografie ist.

Burton, der 1958 in Burbank, Kalifornien geboren wurde, entwickelte schon in jungen Jahren eine ausgeprägte Leidenschaft für Horror- und SciFi-Filme. Das Cornell Theatre bot ein „triple feature“ an, bei dem man für 50 Cent drei Filme hintereinander sehen konnte. Die dort gezeigten B-Movies übten einen großen Einfluss auf seinen Stil aus. Für den jungen Tim Burton waren sie aber zunächst eines: eine Flucht aus dem tristen, spießigen Vorstadtleben, welches er schon damals hasste.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Motiv der langweiligen Kleinstadt immer wieder in seinen Werken verarbeitet wird. Der Biografie-Spielfilm „Ed Wood“ ist daher nicht nur eine Hommage an den gleichnamigen Regisseur, sondern eine Verbindung der Vorstadttristesse mit seiner Leidenschaft für Filme. Dabei sticht eine Szene heraus, in der Ed Wood über seine Kindheit redet: „No. I’m from back east. You know, All-American small town… everybody knew everybody, I was a Boy Scout, my dad worked for the post office…“ Sounds like you lived in Grovers Corners“[…] Nah, ‚cause I had my comic books. And I read pulp magazines. And I listened to the radio dramas…“

Einerseits beschreibt er dabei direkt die Vorstadt, andererseits bezieht er sich mit „Grovers Corners“ auf die fiktionale Stadt aus „Our Town“, welche für das Sinnbild der heilen Welt steht. In anderen Filmen wird diese Vorstadtwelt dargestellt als eine Ansammlung gleich aussehender Häuser, deren Bewohner nach außen hin genauso austauschbar erscheinen. Bereits 1980 greift er dieses Thema bewusst in seinem nie erschienen Film „Trick or treat“ auf, bei dem ein kleiner Junge an Halloween um die Häuser zieht und hinter die Fassaden der heilen Welt blickt.

Die Entwürfe zu diesem Film zeigen Menschen unter deren Hülle sich Monster verbergen. Bereits bei diesen Entwürfen entdeckt man die ersten Prototypen späterer, populärer Figuren. So befindet sich unter den Skizzen ein erster Entwurf Jack Skellingtons, der hier allerdings kein Strichmännchen ist, sondern ein kantiger, großer Mensch, mit Armen, die in Schlangenköpfen auslaufen. „The Waiter“, wie er auf der unbetitelten Skizze genannt wird, trägt zudem glotzende Schuhe mit scharfen Zähnen (vermutlich eine Anspielung auf Krokodilleder) zu einem Jackett mit Spinnenknöpfen und einer Fledermausfliege. Lediglich der Kopf ist unverwechselbar Jack.

Aus einem weiteren Charakter, „Trick or Treats“ The Gardener entwickelte sich später „Edward Scissorhands“ – Hauptfigur des gleichnamigen, bisher autobiografischsten Films. Dieser behandelt nicht nur die spießbürgerliche Kleinstadt, sondern auch Burtons Schwierigkeiten, Nähe zuzulassen. Edward, der durch seine Scherenhände nichts berühren kann, obwohl er dies gerne tun würde, kehrt nach einem kurzen Ausbruch in die Vorstadtwelt wieder in die entrückte Einsamkeit seines Schlosses zurück – da er trotz seiner Bemühungen nicht mit Menschen zusammenleben kann.

Der Museumsführer berichtete aus seinem Zusammentreffen mit Burton, dass dieser den Mitarbeitern zur Begrüßung die Hand gab, was ihm aber offensichtlich extrem unangenehm war, da er angespannt wirkte und zitterte. Dieses Verhalten zeigt Burton nicht nur gegenüber Fremden: Bis heute isst er an Sets an einem separaten Tisch, obwohl alle Beteiligten eines Films sich während der Drehzeit besser kennenlernen. In einem Interview sagte er: „Sometimes I feel like an alien who couldn’t relate to anyone or anything around me.“ Möglicherweise ist dies einer der Gründe, warum er immer wieder mit den gleichen Menschen dreht. Dies ist allerdings nur unsere Vermutung und nicht der einzige Grund.

Beim Betrachten der Skizzen für „Edward mit den Scherenhänden“ fiel auf, dass die Zeichnung von Edward Johnny Depp sehr ähnlich sieht. Was erstaunlich ist, da Burton, als er diese Zeichnung anfertigte, Johnny Depp gar nicht kannte, geschweige dann an ihn dachte, als er an der Figur arbeitete. Depp scheint einfach in seine Fantasiewelt zu passen. Ähnlich wie der verstorbene Vincent Price, den Burton sehr bewunderte. Dieser spielte nicht nur die Rolle von Edwards Erfinder, Burton widmete ihm den Stop-Motion-Film „Vincent“. Allerdings stellt Edward nicht nur Burtons Furcht vor Nähe dar: Edward ist ein kreativer Geist, der nie stillhalten kann. Ständig schneidet er Hecken zu prächtigen Skulpturen und später frisiert er unaufhörlich die ganze Nachbarschaft, jedoch schlägt der Versuch sich kreativ in einem Beruf auszuleben (Friseursalon) fehl, vergleichbar mit Burtons Zeit bei Disney.

Auch Burton kann nie stillhalten und ist ständig in Bewegung. Der Museumsführer erzählte uns, dass Burton bei seinem Besuch Knete, Kleber, Bastelpapier, Scheren und Farben wollte, da er immer eine Beschäftigung braucht. Das Museum bat ihn daraufhin, mit fluoreszierender Farbe eine kleine, spontane Zeichnung an die Wand zu bringen – was er auch tat. Die Pappteller, die man ihm gab, damit er seine Farben mischen konnte, verwendete er als Augen – eine Handlung die zeigt, dass Burton anscheinend anders denkt und vorgeht, als die meisten Menschen.

Burton soll einmal gesagt haben, dass er entweder im Knast oder in der Psychiatrie sitzen würde, wenn er nicht die Möglichkeit hätte, sich kreativ auszuleben.
Dieses Ventil öffnete sich bereits in seiner Kindheit: Schon in der Highschool schloß er sich einer Gruppe Kinoenthusiasten an, mit denen er seine ersten Super-8-Filme drehte. Hier experimentierte er bereits mit der Stop-Motion-Technik, mit der er bis heute am liebsten arbeitet. Mit ihr wollte er später den Film „Mars Attacks!“ umsetzen, der seine Begeisterung für SciFi-B-Movies am deutlichsten darstellt. Allerdings stellte sich heraus, dass der Film viel zu aufwendig ist, um ihn in Stop-Motion zu drehen. Burton musste daher auf Computeranimationen zurückgreifen. Die Figuren, die für das ursprüngliche Vorhaben hergestellt wurden, reihen sich im Museum zu den anderen bekannten Charakteren ein: Zwischen Emily, der Leichenbraut oder den Prototypen der Oompa-Lumpas.

Tim Burton: Ein kreatives Lebenswerk

Tim Burton Junk Girl
Auch die Sozialpädagogin weiß grade nicht, wie die Altersfreigabe dieser Spielzeuge ist: Junk Girl

Tim Burton beschränkt sich jedoch nicht nur auf sein Schaffen als Regisseur und Produzent: Im Museum finden sich unzählige Skizzen, Bilder und Skulpturen. Während seiner Zeit an der High School gewann er einen Zeichenwettbewerb für eine Anti-Müllkampagne. Die Grafik „Crush Litter“ schmückte daraufhin für zwei Monate die Fahrzeuge der Müllabfuhr. Die ersten Zeichnungen und Comics waren dabei weit entfernt von seinem jetzigen Stil: Sie erinnern mit ihren knolligen Nasen stark an Don Martins Zeichnungen im Mad Magazine. Eine andere Acrylzeichnung aus dieser Zeit mit dem Titel „Saucer and Aliens“ greift durch die Landung der Untertassen und den dinosaurierähnlichen Wesen, die aus Eiern schlüpfen nicht nur das SciFi und B-Movie-Thema wieder auf, sondern zeigt auch eine deutliche Anspielung auf Hieronymus Bosch.

Mit 17 Jahren schreibt und illustriert er das Kinderbuch „The Giant Zlig“, welches er an Disney schickt. Dieses Buch wird allerdings abgelehnt, da es zu sehr an Dr. Seuss erinnerte. Nichtsdestotrotz erhielt Burton durch das Engagement seiner Kunstlehrerin ein Stipendium für das California Institute of Arts – eine von Walt Disney gegründete Kunstakademie.

Beim Betrachten seiner Mitschriften konnte man wieder deutlich seine innere Unruhe erkennen: Statt sich beispielsweise auf den klassischen Akt zu konzentrieren, kritzelte Burton kleine Comics in seine College-Kladde. Hinzu kommt wohl auch, dass er sich erst relativ spät für Kunst im Allgemeinen interessierte. Erst die bereits erwähnte Kunstlehrerin brachte ihn dazu, sich näher mit Kunst, insbesondere dem Expressionismus, auseinanderzusetzen. Andere Kunststile lernte er im Studium kennen, sein Interesse weckten sie allerdings auch später nicht.

Nach dem Studium arbeitete Tim Burton als Trickfilmzeichner bei Disney, wo er u.a. bei „Cap und Capper“ mitwirkte. Jedoch konnte er sich nicht mit dem niedlichen Disneystil identifizieren. Eigene Kreationen, wie bspw. sein Zahlenbuch „Numbers“ lehnte Disney ab, da die Zahlen als kleine Monster dargestellt wurden, was man damals (1982) als ungeeignet für Kinder empfand. Heute, in Zeiten von „Monster AG“ und „Shrek“ ist so etwas kaum denkbar. Man kann also durchaus sagen, dass Burton seiner Zeit voraus war. Allerdings wurde nicht per se alles abgelehnt, was Burton kreierte: Für den damals neu gegründten Disney-Channel inszenierte er eine bizarre Version von „Hänsel und Gretel“. Er besetzte alle Rollen mit asiatischen Schaupielern, die in einer kunterbunten, gleichzeitig verstörenden Kitschwelt das grimm‘sche Märchen darstellten. In diesem Film tauchen die typischen Elemente auf, die man mit Burton in Verbindung bringt: schwarz-weiße Streifen, die einen Wald darstellen, Spiralen und groteske Stop-Motion-Figuren, die die Kinder zwingen wollen, sie zu essen. Das bizarre Werk wurde durchaus gesendet – zur späten Stunde an Halloween. Einmal. Und dann nie wieder. Verständlicherweise. (Warum dieser Film zumindest einmal gezeigt wurde, das Buch „Numbers“ aber abgelehnt wurde, ist auch uns ein Rätsel.)

Tragic Toys for Girls and Boys 1
Tim Burtons Vorstellung von Spielzeug: The Boy With Nails in His Eyes

Die Stilelemente blieben jedoch bestehen und wurden sein Markenzeichen. Allerdings wiederholen sich einige Elemente, da diese das geeignete Handwerk sind, um seine Ideen auszudrücken. Er verwendet bspw. oft sehr bewusst ein Schachbrettmuster, um damit beklemmende Perspektiven zu erzeugen. Ähnlich verhält es sich mit Strichmännchenfiguren: Durch die Reduktion auf das Minium lassen sich die Stimmungen der Figuren besser darstellen. Bei anderen Elementen kann er nicht benennen, warum er sie verwendet. Auf die Frage, was die Spirale zu bedeuten hat, konnte er keine Antwort geben. Er zeichnet sie einfach, weil sie ihm immer wieder in den Sinn kommt.

Ein weiteres, immer wiederkehrendes Element sind Feiertage. „Nightmare before Christmas“, „Edward mit den Scherenhänden“ aber auch „Sleepy Hollow“ sind dahingehend die klassischen Werke, die Weihnachten und Halloween beinhalten. Feste und Feiertage haben für Burton eine ganz besondere Bedeutung, da diese den Alltag durchbrechen und die Highlights des Jahres darstellen. Die immer gleich aussende Vorstadt wird geschmückt, Gerichte, die sonst nicht gegessen werden, werden zubereitet etc. – einerseits ist er fasziniert von diesem, ihm willkommenen, Ausbruch aus der Langeweile. Andererseits betrachtet er die Feiertage in seinen Werken auch immer mit einem spöttischen Unterton. So gestaltete er eine kleine Holzhütte, in der die Figur „Stainboy“ sitzt. Der kleine Raum wird mit wechselnden Farben beleuchtet und blickt man von links hinein sieht man den schmuddeligen Jungen, der in einer schmuddeligen Wohnung vor seinem Weihnachtsbaum sitzt. Doch ändert man den Blickwinkel erkennt man, dass die Wände nicht einfach nur schmuddelig sind, sondern blutbeschmiert – die dazugehörige Leiche liegt im nächsten Zimmer: Frohe Weihnachten!

Diesen Zynismus und viel Wortwitz findet man in einigen von Tim Burtons Werken. In Anlehnung an die Figur „Mothra“ aus japanischen Horrorfilmen, welche auch durch Puppentrick zum Leben erweckt wird, zeichnete er das Monster „Mothera“ – ein Muttermonster, welches an seinen unzähligen, tentakelartigen Armen diverse Haushaltsgeräte als Ausläufer und am Schwanz die Kinder hat. Sein Wortwitz zieht sich mal mehr, mal weniger versteckt durch all‘ seine Werke. Ein gutes Beispiel ist hierbei die Szene mit der „whipped cream“ in Charlie und die Schokoladenfabrik.

Tim Burton und seine Werke: Was ist unser Fazit?

Insgesamt ist erkennbar, dass sich als Themenkomplex immer wieder die (selbstgewählte) Isolation als roter Faden durch seine Werke zieht. Ebenso wie die manchmal erfolgreiche, manchmal erfolglose Flucht daraus durch Freundschaft und Familie. Einen Weg, den er auch selbst immer wieder versucht zu gehen – mit dem Resultat, dass er nun zum vierten Mal verheiratet ist.

Burtons Figuren zeichnen sich dadurch aus, dass sie in einer langweiligen Welt herausstechen, anecken, auffallen. Seine Welt ist eine Welt der Außenseiter und vermutlich ist dies neben seines düsteren und bizarren Stils einer der Hauptgründe, weshalb seine Werke insbesondere in Subkulturen so beliebt sind.

Nach der Ausstellung ist uns klar geworden, weshalb sich so vieles in seinen Werken wiederholt: Sie haben viel mehr Tiefe, als wir zunächst annahmen. Nach der Ausstellung haben wir mit dem neuen Wissen ein paar Tim Burton Filme gesehen und dadurch fielen uns viele Details auf, die wir vorher nicht erkannt hätten: Parallelen zu seinem Leben oder die vielen versteckten Wortwitze.

Besonderen Dank möchten wir dem Max-Ernst-Museum Brühl des LVR  aussprechen, sowie Herrn Dr. Christian Peitz, dessen kurzweilige Führung (weitab von gewöhnlichem drögen Vortrag) durch das Museum es erst ermöglichte das Phänomen „Tim Burton“ in seiner Vielschichtigkeit zu erfassen.

Szene-Musik endlich wieder vulgär: Diene meinem Penis!

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Die ungeschönte Wahrheit, die aus meinem Mund ejakuliert.“ Goth, wie lange habe ich darauf gewartet, endlich wieder einen Grund zu finden, um hemmungslos mit anrüchigen Worten um mich zu schmeißen. Gerade in der Gothic-Szene scheint das  ja ein neuer Trend zu sein. Der Sonic Seducer beglückt den Leser mit dem Gothic-Fetisch Kalender, auf mindestens einer Party am Wochenende wird jemand in entsprechendem Outfit an der Hundeleine durch den Club geführt und aus den Lautsprecher der Tanztempel dröhnt entsprechender Moll-Techno für die angedüsterten Hundeleinen-Raver. Ja, das sind jetzt keine brandaktuellen Neuigkeiten, dass Szene-Musik (und ich bringe jetzt absichtlich den plattgelatschten Gothic-Begriff nicht mit ins Spiel) sich mit immer neuen Provokationen und Geschmacklosigkeiten ins Gespräch bringen will. Blöd, denn in gewisser Weise mache ich dieses Spiel ja mit, in dem ich Band und dem Titel eine Plattform biete. Nachdem es der Song jedoch in die DAC Charts im Dezember geschafft hat und auch in der aktuellen Ausgabe des NEGAtief Magazins ein Interview mit der Band zu finden ist, kann ich nicht anders.

Das Magazin, das von Bruno Kramm (Das Ich) herausgegeben und kostenlos verteilt wird, ist auch eine Art Werbeplattform für das Danse Macabre Label, das ebenfalls von Kramm betrieben wird und bei dem die Band „Unterschicht“ offenbar unter Vertrag steht. Es erfreute natürlich die Band und das Label, dass der Song „Diene meinem Penis“ vom aktuellen Album „Monster Akt III – Hassorgamus“ es im Dezember 2015 in die Deutschen Alternativen Charts schaffte. Danse Macabre schreibt dazu: „Innerhalb von einer Woche haben Unterschicht mit ihrem schmutzigen Tanzflächenfeger “Diene meinem Penis” die Clubs im Sturm genommen. Der Titel scheint den Nerv einer chronisch untervögelten Szene zu treffen und gibt gleich die richtigen Instructions dazu. So kann es weitergehen!

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich tatsächlich einen künstlerischen Anspruch hinter dem Titel vermutet. Vielleicht ein Hauch von Gesellschaftskritik? Vielleicht ein Pamphlet gegen den allgegenwärtigen Sexismus? Provokation mit Botschaft? Mir reichts. Gegen das Bauchgefühl höre ich mir den Song an. Meine offenen Fragen bleiben jedoch unbeantwortet. Ich finde die Musik ziemlich langweilig und einfältig, eine Unterscheidung oder Alleinstellungsmerkmal zu anderen 08/15 Electro-Tracks kann ich nicht finden. Darüber hinaus reicht es offenbar auch nicht für mehr Text, außer dem „Diene meinen Penis“ bleiben Fragezeichen zurück. Wer hört denn sowas? Auch ein zweiter Song, den Youtube mir freundlicheweise anbietet, macht es nicht besser: Gewissen aus Schwanz an.

Das Video bleibt ebenso ohne Aussage: ein Typ, der eine Zigarre raucht und eine szenige Hupfdohle, die sich dann schlussendlich vor ihm herumräkelt. Dazwischen ein bisschen Gasmaske, Lack und Leder, eine Barfrau und ein anderer Typ, der die Theke wischt. Aha. Hassorgasmus.

Doch die Rettung scheint nur einen Klick entfernt. Das NEGAtief-Magazin mit dem Interview der Band verspricht Linderung. Woher denn der Hass komme, wird da gefragt:  „Hass durch Alltag. Es gibt jeden Tag so viele Sachen über die man sich aufregt die einen gegen den Strich gehen oder die einen einfach bewegen. Medien, Mitmenschen (oder ähnliche Wesen). Den Alltagshass einfach mal raus kotzen…

Alltagshass: Es dient niemand meinem Penis

Ja, es ist frustrierend wenn niemand seinem Penis dient. Immerhin scheint er sein Gewissen besiegt zu haben und hat den Schalter für seinen eigenen Schwanz gefunden. „Gewissen aus Schwanz an“ hieß es ja noch auf dem ersten Album der Trilogie. Jetzt steht er da und niemand scheint ihm zu dienen. Offensichtlich nimmt er dann die Sache wohl selbst in die Hand und nennt das Album dann treffenderweise „Hassorgasmus“, einen Begriff, den er im Interview wie folgt definiert:

Der Höhepunkt des Hasses, die Entladung des emotionalen Ballastes. Die ungeschönte Wahrheit, die aus meinem Mund ejakuliert. Es ist das Ende und der Anfang, denn der Hass ist allgegenwärtig direkt nach dem Höhepunkt natürlich abgeflaut und kaum spürbar. Aber trotzdem lauernd um sich wieder zu erheben und mit seiner ganzen zerstörerischen Kraft zuzuschlagen und alles zu vernichten was ihm im Wege steht.“ Also echt, ich hätte ja kein Interview mit dem Kerl geführt. Nachher wäre mir seine Wahrheit noch ins Gesicht gespritzt!

Unter dem Strich bleibt Frustration. In der schwarzen Szene findet sich offenbar ein gieriges und „chronisch untervögeltes“ Publikum, dass solche Musik konsumiert. Die Band „Unterschicht“ steht auch nur für eine ganze Reihe von Bands, die offenbar den Markt „Hellelectro“, wie man diese Musikrichtung nennt, bedient. Warum wundere ich mich also über Hundehalsbänder auf Gothic-Partys, Gasmasken und Pferdeköpfe und Musik, die ich auf der Mayday in Dortmund vor ziemlich genau 20 Jahren gehört habe?

Eigentlich wundere ich mich gar nicht. Wir sind wieder da angelangt, wo wir in den 80ern schon mal gewesen sind. Menschen, die sich von der Schwere des Alltags in hemmungsloser Feierkultur befreien, die ihren Frust in tanzbarer Musik und hohlen Phrasen ersäufen. Damals provozierte man mit der totalen Buntheit. Einen alberner Farbenrausch aus Plastik. Die Gruftis waren der traurige Gegenpol. Die wollte anders sein als der Rest der Masse und erlaubten sich, zu trauriger und melancholischer Musik über die Tanzflächen zu schlurfen. Sie schockierten mit schwarzen Klamotten, weißen Gesichtern und verrückten Frisuren.

Heute schockiert die Szene sich selbst. Mit den immer neuen Unmöglichkeiten, die uns unter dem Label „Gothic“ untergeschoben werden. Denn die Geister von damals haben uns eingeholt: Belanglose und hohle Musik die nicht darauf angelegt ist, anders zu sein, sondern einen breiten Massengeschmack zu treffen. Was wir aus unserer musikalischen Freizeit verbannten, ist wieder zurückgekommen und hat sich dank unbedingter Toleranz wieder eingeschlichen. Hintenrum. Szene-Zeitschriften, Musiker und Labels haben den Trend längst aufgegriffen und sorgen dank sexueller, vulgärer und provokanter Vermarktung wieder für regen Zulauf aus den Ecken der Gesellschaft, die uns eigentlich fremd sein sollten.

Frustrierender Weise kann man ihnen das noch nicht einmal vorwerfen. Noch nicht einem dem politisch sehr aktiven Labelchef Bruno Kramm, denn seine Band „Das Ich“ allein sorgt wahrscheinlich nicht (mehr) für einen gedeckten Tisch. Also bedient man den Markt mit dem, was er verlangt. Liebe Unterschichtler, vielleicht verwendet ihr Euren „Alltagshass“ auch einmal dazu, euch inspirieren zu lassen. Zu Texten die auch von merkwürdigen Mitmenschen erzählen und nicht mit leeren Phrasen die darauf ausgelegt sind, Aufmerksamkeit zu erregen. Denn das ist die einzige Erregung die stattfindet.

David Bowie – Ein rebellisches Chamäleon vom anderen Stern

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Look up here, I’m in heaven. I’ve got scars that can’t be seen. I’ve got drama, can’t be stolen. Everybody knows me now.“ Ich bin ehrlich. Es gibt wenige Tode, die mich bewegen. Zu allgegenwärtig ist das Sterben, das tagtäglich auf unserem Planeten stattfindet.  Zu groß die Resignation vor den Menschen, die sich mit krankem Verstand  nach dem Leben trachten. Zu groß ist die Unausweichlichkeit des natürlichen Todes. Unser Körper ist einfach nicht für die Ewigkeit geschaffen. David Bowie starb im Alter von 69. Er verlor seinen Kampf gegen den Leberkrebs. In Gewissheit, bald zu sterben, begann er die Arbeiten an seinem letzten Album „Blackstar“, das er an seinem Geburtstag, dem 8. Januar 2016 veröffentlichte. Zwei Tage später ist er von uns gegangen.

Mit seinem Song „Lazarus“ und dem dazu entstandenen Video beweist Bowie ein letztes Mal eindrucksvoll, wie man mit sich und der Gewissheit des eigenen Todes umgeht. Als die Meldung von seinem Tod mich am 10. Januar aus den Socken haut, schaue ich mir das Video zum ersten Mal an. Kalte Schauer laufen mir über den Rücken, in meinem Mund breitet sich Trockenheit aus. Es ist gruselig, atemberaubend und einfach fantastisch, wie er seinen eigenen Tod inszeniert.

Bowie hat sich in seinem Leben unzählige Male selbst neu erfunden, war nicht nur Musiker und Künstler, sondern auch Stilikone und Rebell und hat vermutlich auch die zahlreichen Subkulturen der späten 70er geprägt. Obwohl ich ihn erst seit „Heroes“ kenne und das auch erst seit dieses Stück in der Verfilmung des Buchs „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ eine Rolle spielte, ist Bowie auch für mich eine Art Ikone. Wir kein anderer steht er für eine freie Lebensweise, sich genau so zu geben, wie man ist, und in Rollen zu schlüpfen, in denen man sich versuchen möchte.  Er war beispielsweise der erste populäre Künstler, der die Geschlechterrollen ad absurdum führte und als Ziggy Stardust die verschiedensten Subkulturen beeinflusste, die sich bis heute auf ihn berufen.  Mit dem Stück Lazarus und dem gleichnamigen Musical schrieb Bowie sein künstlerisches Testament. Es machte ihm Angst, wie er einmal in einer Interview sagte, auf eine Kunstform beschränkt zu sein, deshalb hinterlässt er ein Gesamtkunstwerk aus Bilder, Musik, Filme und letztendlich auch ein Musical.

Dies soll aber keine Bowie-Biographie werden, sondern ein Nachruf. Daher möchte ich an dieser Stelle meine Bewunderung für David Robert Jones ausdrücken. Als Wegbereiter hat er die 80er letztendlich zu dem gemacht, was sie für mich waren, eine subkulturelle Explosion der Stile. Seine ständige Präsenz im Radio meines Kinderzimmers machten seine Songs zur Erinnerungen an die eigene Jugend. Und wieder einmal hat er es geschafft. Gruftiger geht es nicht, gruseliger geht es nicht.

Die Menschen nennen ihn ein „Chamäleon“, doch diese Einschätzung kann nicht zutreffen, denn ein Chamäleon passt sich seinem Umfeld an und das ist eines der vielen Dinge, die David Bowie nicht getan hat.

Niemand erfährt, wie es ihm geht, als er sein letztes Album produziert. An seinem Geburtstag erscheint das Album und zwei Tage später ist er tot, einfach so. Eine Lehre vom Loslassen, vom Kämpfen. Ein Beispiel dafür, welchen Einfluss der Geist auf den Körper hat ohne die Realität auszublenden. Dem Tod kann man nicht entrinnen, aber man kann mit ihm umgehen. Seinem letzten Wunsch entsprechend, wurde er eingeäschert. Ohne Familie, ohne Freunde, einfach so. Ashes to Ahses.

Gothic Friday: Ist Gothic (d)ein Lebensstil? (Tanzfledermaus)

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Mein nachträglicher Beitrag zum Gothic Friday mit dem Thema „Ist Gothic (d)ein Lebensstil?“ überschneidet sich naturgemäß ein wenig mit meinem Bericht über meinen „schwarzen“ Werdegang und die Szene in Berlin. Aber ich habe mich entschlossen, um den Kontext zu wahren – auch für diejenigen, die den anderen Artikel nicht kennen – alles auszuführen. Meine Antwort auf die Frage begann ich zu schreiben, bevor die Beiträge der früheren Teilnehmer las, um möglichst unbeeinflusst an das Thema heranzugehen. Danach habe ich nur wenig ergänzt, was mir im Zusammenhang noch eingefallen ist. Ich bin nicht wissenschaftlich vorgegangen, habe keine Definitionen gegoogelt, sondern mir selbst überlegt, was die Begriffe Lebensstil, Lebensgefühl und Lebenseinstellung für mich bedeuten könnten. Interessant, was andere dazu geschrieben oder gefunden haben! Hier also meine eigene Definition und Ausführung…

Lebensstil, Lebenseinstellung, Lebensgefühl… die beiden letzteren Begriffe fallen ja häufig, wenn jemand versucht, zu erklären, warum er ausschließlich schwarz trägt und dunkle Musik hört. Worin sich diese Begriffe genau definieren oder unterscheiden? Hmmm, schwierig. Ich würde „Lebensstil“ als etwas definieren, was auch äußerlich sichtbar ist. Lebenseinstellung bzw. Lebensgefühl würde ich als etwas einordnen, das eher im Inneren stattfindet und nicht automatisch sichtbar nach außen dringt. Beides bedingt einander nicht, aber es kann sich auch kombinieren, und wenn es dann auch stimmig ist, das Ergebnis von längerer Dauer sein.

Stil = Schale

In meiner Definition könnte ein Lebensstil à la Gothic bedeuten, dass sichtbare Vorlieben auf die Zugehörigkeit zur Schwarzen Szene schließen lassen und diese auch bewusst ausdrücken: die Art, sich zu kleiden, sich einzurichten und sich in Alltag/Freizeit zu bewegen. Einzelkomponenten wären beispielsweise dunkle Kleidung mit historischen Anleihen, unkonventionelle Frisuren oder Makeup. Freiwilliger Aufenthalt an Orten, die düster, morbide oder sonst wie von der normalen Gesellschaft negativ behaftet sind. Bevorzugung des Düsteren und historisch behaftetem auch in privater Umgebung (Mobiliar, Deko, Musik, Filme, Bücher). Vielleicht wird bewusst ein Beruf gewählt, in dem weniger Zwang zur äußerlichen Anpassung herrscht (Künstlerjobs, soziale Jobs, Selbständigkeit). Und wenn es der Alltag nicht zulässt, so wird dann in der Freizeit nachgeholt oder aufgesucht, was kompatibel ist. Abstufungen gibt es natürlich und auch Leute, die das alles ohne ein szenetypisches Styling praktizieren. Das Extrem wäre hier wohl der 24/7-„Vollblutgrufti“, der immer schwarz trägt, sich stets gestylt zur Arbeit begibt, viel auf alten Friedhöfen wandelt und sich daheim eine dunkle Höhle erschafft (es lebe das Klischee!). Vom anderem Extrem, dem reinen Partygrufti, unterscheidet ihn vor allem, dass der Lebensstil mit Inhalt gefüttert sein dürfte. In dem Sinne, dass eine Komponente hinzu kommt, die das Bedürfnis erweckt, mehr als stundenweise das Dunkle zu leben – also hier die Überleitung zum Lebensgefühl:

Gefühl = Kern

Es muss wohl etwas geben, das Menschen dazu veranlasst, über die reine Faszination an Äußerlichkeiten in der Schwarze Szene zu landen. Zumindest, wenn sie nicht nur kurz oder am Rande darin verweilen, sondern über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg. Die Musik allein wird es nicht sein, auch wenn sie oft der Einstieg ist und natürlich eine wichtige Rolle spielt in Hinblick auf Identifikation und Spiegelung/Hervorrufen von Emotionen. Es fällt auf, dass innerhalb der Szene sehr viele landen, die Außenseiter sind, familiäre Probleme haben, sich für alte und/oder düstere, morbide Themen und Orte interessieren und auch sonst Interessen und Vorlieben haben, die wenig in unsere heutige Zeit zu passen scheinen. Einsame, Unglückliche, Nachdenkliche, Sozial-/Religionskritische, Kreative und Freaks sind in der Schwarzen Szene häufig vertreten und finden hier scheinbar ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, gegenseitigem Verständnis und einen Rückzugsort vom Alltag. Es gibt natürlich viele Menschen, die diese Kriterien erfüllen und dennoch nichts mit dunkler Musik und Klamotten am Hut haben oder nur mal kurz in der Szene vorbeischnuppern. Bei denjenigen, die dann doch über längere Zeit in ihr landen, gibt es dann aber scheinbar eine Übereinstimmung von Lebensstil und Lebensgefühl – beides passt zusammen, greift ineinander und ist dann ein Zusammenspiel von Innen und Außen.

Vom Allgemeinen zum Persönlichen
1993 - Caro am DenkmalIst Gothic MEIN Lebensstil (und Lebensgefühl)? Ich denke schon. Ich verbringe nun über 25 Jahre mit schwarzen Klamotten, dunkler Musik und umgebe mich auch gern mit dunklen Dingen und Orten. Und ich war immer eher nachdenklich, an der Vergangenheit interessiert, kann mich nicht mit der Leistungs- und Spaßgesellschaft identifizieren. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht mit der schwarzen Musik in Kontakt gekommen wäre. Dann wäre ich innerlich vermutlich nicht anders – aber äußerlich vielleicht? Keine Ahnung. Das werde ich nie erfahren und es sprengt auch meine Vorstellungskraft. Außerdem fehlen mir Vergleichsmöglichkeit durch Erfahrungen in anderen Szenen. Aber ich fühle mich mit diesem Stil wohl und ich bin ihm treu geblieben, daher ist es für mich durchaus ein Lebensstil, im Sinne von Stil FÜR’S Leben und zum Teil auch WIE ich lebe. Mein Alltag unterscheidet sich nicht von dem anderer Menschen, aber meine Freizeit gestalte ich bewusst teilweise – nicht ausschließlich – mit szenetypischen Dingen. Meine Interessen sind vor allem Fotografie, Natur, alte und marode Gebäude, historische Orte, Geschichte, Kunst und Bücher/Gedichte/Filme.

Anfangs hab ich mir kaum Gedanken darum gemacht, warum ich schwarz wurde. Ich mochte die Musik von Depeche Mode und The Cure, aber Klamotten waren anfangs eher egal, bis auf Shirts mit Band-Motiven. Die Freundin, die mich mit beiden Bands „infizierte“ und die dann mit dem typischen Robert Smith-Schlabber-Look herumlief, schaute ich sogar nur skeptisch an. Wen ich allerdings cool fand, war Simon Gallup von The Cure. Und Bela B. von den Ärzten. Aber der war ja eher Punk? ;-)

Erst als ich 1990 auf ein Zillo-Magazin stieß, eröffnete sich mir die Szene auch optisch – die Verbindung von schwarzer Kleidung und oft filigranen, silbernen Accessoires fand ich cool. Und in den Kleinanzeigen las ich von Leuten, die Gleichgesinnte suchten – mit Vorlieben für alte Geschichte, Kunst, Poesie… Das war etwas, was mich schon länger interessierte. Und es war oft davon die Rede, Außenseiter (gewesen) zu sein. Das war ich auch, seit meiner Vorschulzeit und die gesamte Schulzeit hindurch. Ich war viel allein, hatte nur wenige Freunde und beschäftigte mich viel mit mir selbst. Ich las viel, schrieb eigene Geschichten, zeichnete. Und ich schaute gerne Sendungen über Archäologie, untergegangene Kulturen und vergangene Epochen. Damit konnten Gleichaltrige nur wenig anfangen. Als ich 1987 auf eine andere Schule wechselte, wo es schon früh um Trends und Markenklamotten ging, war ich fast die einzige, die sich aus diesen Gruppenzwängen ausklinkte. In Sachen Styling und Musikgeschmack fiel ich etwas aus der Reihe. Um Trends habe ich mich nie groß gekümmert und ich wollte immer so akzeptiert werden, wie ich bin.

Das wurde natürlich schwieriger, als ich begann, mich immer schwärzer zu kleiden. Es war neu für mich, mich mit meinem Outfit zu beschäftigen. Aber es war auch etwas, das mich reizte und das ich ungeachtet der Reaktionen meines Umfelds wollte. Ich hatte etwas gefunden, das mich ästhetisch ansprach, in dem ich mich wohl fühlte und worüber ich mich zugleich ausdrücken konnte. Was wollte ich ausdrücken? Das war anfangs nicht klar, zumindest stand kein Wunsch nach Abgrenzung dahinter, auch wenn ich schon irgendwie stolz war, mich nicht von Trends dirigieren zu lassen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Klassenkameradin, die zugab, immer das zu tragen, was gerade angesagt sei – egal, ob es ihr gefällt oder nicht. Nur um dazuzugehören. So wollte ich nie sein, ich fand dieses Anbiedern erbärmlich. Ich nahm es in Kauf, anzuecken, aber mit Anfeindungen kam ich nie klar – Toleranz und Akzeptanz wollte ich schon. Offene Rebellion oder Provokation war nie meins. Auch wenn es sicher bescheuert klischeehaft klingt, so wurde mein Stil zu etwas, was das Innere nach außen tragen und daher das Innere zugleich schützen konnte – dadurch, dass es mich selbstbewusster machte. Wenn man sich in seinem Outfit wohl fühlt, ist man entspannter und tritt sicherer auf. Gelegentliche Attacken in Form dummer Sprüche können dann böse wehtun, aber nicht wirklich verunsichern.

Insofern war meine Kleidung für mich irgendwann auch ein Schutzschild, so wie die Musik und die Szene für mich wie ein Gerüst im Alltag geworden sind, an denen ich mich orientiere und die mir einen gewissen Halt geben.

Es gibt Menschen, die brauchen Religion bzw. Glauben als Alltagsstütze. Für mich sind es Musik und Begegnung/Austausch mit Gleichgesinnten. Religiös bin ich nicht, auch wenn ich auf einer christlichen Schule war und mich als Kind mit religiösen Themen beschäftigt habe. Doch irgendwann stellte ich fest, dass ich nicht glauben kann, dass mir alles wie ein Versuch der Menschen vorkommt, ihnen unerklärliche Geschehnisse in der Welt zu erklären und einen Sinn im endlichen Dasein zu finden. Für mich ist der Mensch nicht Krone der Schöpfung, sondern ein „Unfall“, der so gar nichts Gottgewolltes an sich hat – im Gegenteil. Denn er richtet das, was vor ihm da war und was ihn umgibt, langsam zu Grunde. Und Menschen sind die einzigen Lebewesen, die zu Bosheit und gemeiner Täuschung fähig sind, die immer mehr haben wollen und nutzen, als sie brauchen. In unserer Gesellschaft erlebt man täglich, dass an die Stelle von Miteinander, Zusammenhalt und Rücksicht Egoismus, Gier, Geiz ist Geil und Ellenbogenmentalität treten. Zugleich werden (negative) Emotionen und Zustände immer mehr zum Tabu und ausgeblendet, man hat immer gut drauf und leistungsfähig zu sein. Ich war schon immer recht sensibel und emotional, empfinde sowohl Schlimmes als auch Schönes sehr intensiv. Das Positive daran ist, dass ich mich auch für kleine Dinge sehr begeistern und an vielem erfreuen kann, an dem die meisten Menschen achtlos vorüber gehen. Abgestumpfte Menschen haben es vielleicht manchmal leichter, aber Emotionen machen das Leben gehaltvoller und reicher.

Schnittmengen
In der Schwarzen Szene stieß ich auf Menschen, die sich nicht schäm(t)en, Gedanken und Gefühle auszudrücken und zuzulassen: durch Musik, Texte, Gedichte, Kunst und Gespräche. Die sich ebenfalls an Dingen und Themen mit Geschichte erfreuen. Brieffreundschaften mit anderen Schwarzen und mein Umzug zurück nach Berlin mit Szeneanschluss durch ältere Brieffreunde gaben mir ein Gefühl von Zugehörigkeit. Hier wurde ich akzeptiert, wie ich war, und das tat gut.
Bei gelegentlichen Besuchen nichtschwarzer Veranstaltungen fiel mir auf, dass mir auch die schwarze Partykultur viel eher zusagt: wenig übermäßiger Alkoholkonsum, wenig Pöbeleien und dumme Anmachen im Vergleich zu „normalen“ Partys. Keine zur Schau getragenen Bierbäuche, keine Prolls, wenig Zugedröhnte und dadurch Unberechenbare, Aggressive. Eher ein Schwelgen, Aufgehen in der Musik, gepflegte Unterhaltungen (wenn/wo möglich), Rücksichtnahme und am Wichtigsten: das Gefühl, nicht unangenehm exotisch herauszustechen, umgeben von Menschen mit ähnlichem Musik- und Kleidungsgeschmack, die eine gewisse Ästhetik pflegen. Hinzu kam infolge der vielen Gemeinsamkeiten ein familiäres Gefühl, wenn man ausging. Die meisten kannten sich – zumindest vom Sehen – und die Veranstaltungen waren daher weniger anonym. Man kam schneller miteinander ins Gespräch und hatte rasch Gesprächsthemen.
Auch außerhalb der Szene habe ich einige Bekannt- und Freundschaften, und natürlich gibt es auch dort viele Gemeinsamkeiten. Allerdings sind es durchweg Menschen, die wie ich selbst eher Außenseiter sind/waren, die insgesamt nachdenklicher sind oder eben aufgeschlossen sind, nicht nur in Schubladen denken. Ich bin froh, dass Gruftis heute nicht mehr so sehr das Klischee der gestörten Satanisten anhaftet, wie es noch vor einigen Jahren gängig war. Dadurch dass Gothic bekannter und „alltäglicher“ wurde, sind Intoleranz und Anfeindungen seltener geworden – zumindest in Großstädten in Berlin wird man kaum noch komisch angesehen. Auch wenn es leider immer noch viele gruselige Berichterstattungen gibt. Doch das war in den 80ern und 90ern wirklich schlimmer – von wegen alles war früher besser ;-)

Und heute?
2015 - CaroHeute sehe ich die aktuelle Szene etwas zwiespältig, sie ist insgesamt oberflächlicher geworden. Ich fühle mich in ihr nicht mehr so heimisch, aber es gibt auch keine echte Alternative. Zum Glück gibt es immer noch Nischen, in denen ich mich bewegen kann, so z.B. einige Veranstaltungen wo sich eher Ältere einfinden. Treffen mit langjährigen und neuen Freunden. Und dann Plattformen wie (früher das „Schwarze Berlin“ und) Spontis, in denen noch interessanter intensiver Austausch stattfindet.

Mein Alltag bietet natürlich auch wenig Szeniges, doch wenn ich nach Hause komme, läuft fast immer entsprechende Musik. Ich umgebe mich gern mit Dingen, die ich schön finde und habe meine Wohnung in eine kleine dunkelbunte Höhle verwandelt, die zugleich mein Zufluchtsort ist. Auch wenn ich mich nicht mehr so stark über’s Styling definiere – der Alltag lässt das auch gar nicht richtig zu – so trage ich doch immer noch fast ausschließlich schwarz.
Stilistisch habe ich mein Ding gefunden, wobei das nicht heißt, dass ich nicht über den Tellerrand schaue, auch musikalisch. Aber ich kann mir nach über 25 Jahren in schwarzen Klamotten kaum vorstellen, mal total stinknormal in bunter Kleidung rumzulaufen. Ich käme mir regelrecht verkleidet vor. Ich mache mir keine Gedanken (mehr) darum, warum ich fast ausschließlich schwarz trage, es ist einfach das, worin ich mich wohl und schick fühle. Nicht trist, nicht erhaben, nicht provokant – einfach nur vertraut und gefällig. Und langsam kann ich auch vom Alter her von mir behaupten, dass ich ein Grufti bin ;-)

Schublade „Schwarz“
Ich schäme mich meiner Szenezugehörigkeit nicht, wunder mich nur immer wieder, mit welcher Vehemenz manche sich dagegen wehren, mit dem Etikett Grufti/Gothic versehen zu werden – als bedeute es eine Brandmarkung, die schmerzhaft ist und Individualität im Keim erstickt. Wenn mich jemand fragt, was ich bin, würde ich eher antworten, dass ich „schwarz“ oder ein Grufti bin. Unter Gothic wird heutzutage so dermaßen viel Verschiedenes zusammengefasst, dass es schwer ist, sich in dem Begriff wiederzufinden. Ich bin „schwarz“ bezeichnet zwar erstmal auch nur das hauptsächliche Tragen einer (Nicht-)Farbe, aber eine solche Antwort animiert das Gegenüber eher zum Nachfragen, als wenn ein – scheinbar – klarer Begriff verwendet wird. Als ich zur Szene stieß, hießen wir noch Gruftis und daher ist der Begriff mir vertrauter.

Dark Munich Festival 2016 abgesagt?

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Düstere Nachricht für alle Fans und Kartenbesitzer des Dark Munich Festival (DMF) 2016. Wie der Veranstalter Mucky Ramovic am 5. Januar mitteilte, wird das Festival ersatzlos abgesagt. Man könne seinen finanziellen Verpflichtungen aufgrund des schlechten Vorverkaufs nicht nachkommen, hat Insolvenz angemeldet und sieht sich daher auch nicht in der Lage, den Kaufpreis bereits verkaufter Tickets zurückzuerstatten. Nachdem der Veranstalter die schlechte Nachricht dann auch auf Facebook verkündete, ließ der verbale „Shitstorm“ nicht lange auf sich warten. Ein weiterer Erklärungsversuch seitens des Veranstalters fruchtete leider nicht im erhofften Verständnis. Ein paar sehr erboste Fans haben sich dann offensichtlich aufgemacht, den Veranstalter zu Hause zu besuchen, um ihr Geld zurückzuverlangen. So schrieb Ramovic gestern: „Also Leute, vor unser Tür zu stehen und wie verrückt zu klingen, das geht gar nicht! Muss ich mir jetzt um mein Leben wegen 89,- € sorgen machen???

Doch auch in aller Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit scheint noch ein Lichtblick zu sein. Nach jüngsten Aussagen des Veranstalters auf der FB-Seite hat „eine ernstzunehmende Firma mit eigene Location und viel mehr Ressourcen […] uns angeschrieben und den Wünsch geäußert das DMF unter gewissen Umständen zu übernehmen, stattfinden zu lassen und bereits verkaufte Tickets zu akzeptieren.

Riskobereitschaft und Teufelskreis

Dark Munich Festival AbsageEs ist ein immenses Risiko, ein solches Festival auf die Beine zu stellen. Die Planungen für ein solches Event beginnen bereits mit dem Ende der vorangegangenen Veranstaltung. Bands, Location, Technik, Sicherheit wollen gebucht werden, man muss sich bereits lange im Vorfeld um Verpflegung und Unterbringung internationaler Künstler bemühen, Behörden müssen notwendige Genehmigungen ausstellen und letztendlich muss natürlich auch Werbung für ein solches Event gemacht werden. „Die Kosten für ein solches Festival liegen in 6-stelliger Höhe“ schreibt der Veranstalter in seiner Stellungnahme. Der Ticketverkauf lief allerdings sehr schleppend an, erst etwa 150 der 1500 zur Verfügung stehenden Karten seien verkauft worden. Nicht genug um offene Forderungen und anstehende Rechnungen zu begleichen. Als privater Veranstalter ohne einen starken finanziellen Background ein hohes Risiko, denn auch wenn die letzten Jahre sehr erfolgreich gewesen sind, ist das kein Garant für einen ähnlichen Abverkauf.  Nachdem man den sonst so verkaufsstarken Dezember abgewartet hatte, der ebenfalls enttäuschend verlief, zog man die Notbremse und veröffentlichte diese Stellungnahme und sagte das Festival ab.

Von außen betrachtet ein Teufelskreis. Denn durch eine solche Absage bleiben natürlich die Fans auf der Strecke, die rund 90€ für ein Wochenend-Ticket bereits investiert haben. Die werden es sich in Zukunft sicher noch intensiver überlegen, ob sie für ein nicht so populäres und weniger professionell organisiertes Festival nochmal so viel Geld ausgeben. Somit sinken die Ticketverkäufe weiter, weil jeder wartet, ob das Festival nun auch wirklich stattfindet oder wieder abgesagt wird. Unter der Pleite leiden also nicht nur die Veranstalter des DMF und seine Fans, sondern auch die zahlreichen anderen ambitionierten Festivals, die sich eben nicht auf potente Schultern und große Firmen stützen können.

Enttäuschung und Hoffnung

Es ist nachzuvollziehen, dass sich die rund 150 Ticketbesitzer ärgern. Im Augenblick gibt es für sie keine Möglichkeit, ihr Geld wieder zurückzubekommen. Die einzige Möglichkeit wäre es, sich als Gläubiger beim entsprechenden Insolvenzverwalter zu melden und darauf zu hoffen, dass eventuelle Rückerstattungen bereits bezahlter Gagen oder Mietgebühren ausreichen, um die Gläubiger zu bedienen. Dem privaten Veranstalter einen Hausbesuch abzustatten ist ebenfalls keine Lösung, sondern ziemlich bescheuert. Lebt mit dem Verlust oder wendet euch an den Insolvenzverwalter!

Der Veranstalter hat sich sein 5-jähriges Jubiläum sicher auch anders vorgestellt. Aus dem ambitionierten Projekt, den Fans der Szene auch in München etwas zu bieten, ist offenbar ein Desaster geworden. Für den Veranstalter, die Fans und nicht zuletzt für den DIY-Gedanken innerhalb der Szene. Woran es gelegen hat, lässt sich im Augenblick nur spekulieren. Vorwürfe, das Festival zu kommerziell ausgerichtet zu haben, machen im Facebook-Profil des Veranstalters die Runde, auch die Band-Auswahl wird kritisiert, ebenso wie die ungünstige Aufteilung der Location. Erstaunlich unkritisch gehen dabei einige Fans mit sich selbst um, denn während sie sich über die „Kommerzialisierung“ des Festivals und der Szene echauffieren, verlangen sie ihr Geld mit allen verbalen Mitteln zurück, drohen mit Anwälten oder statten sogar Hausbesuche ab.

Doch ein Lichtstreif am Horizont scheint die Sicht der Dinge wieder zu erhellen. Denn offensichtlich gibt es jemanden, der das DMF übernehmen möchte. So verkündete man gestern:

Eine ernstzunehmende Firma mit eigene Location und viel mehr Ressourcen, hat uns angeschrieben und den Wünsch geäußert das DMF unter gewissen Umständen zu übernehmen, statt finden zu lassen und bereits verkaufte Tickets zu akzeptieren. Die möchten sich demnächst mit den Bands/Agenturen in Verbindung setzen und schauen ob die gemeinsames Wort finden. Wenn ja, dann sind wir raus und das DMF findet wie gewohnt statt und wenn nicht dann bleibt es leider bei der Insolvenz. Wir hoffen für euch alle das es funktioniert und halten Euch auf dem Laufenden. Es kann schon eine bis zwei Wochen dauern bis wir es tatsächlich wissen…

Ende gut alles gut? Bleibt abzuwarten, ob es wirklich so kommt wie angekündigt. Für die DIY-Kultur leider wieder ein herber Rückschlag, denn wieder ein paar mehr Leute überlegen es sich nun, ambitionierte Projekte finanziell zu unterstützen. Dann lieber doch wieder auf etablierte Festivals mit professionellen Background und im Anschluss daran über das immer gleiche Line-Up und die Kommerzialisierung meckern, oder?