Velvet Condom: Kalte Verhütung aus Samt

Im Dickicht der Genre elektronischer Musik gab es immer wieder lokale Phänomene. In den 80er Jahren war „Cold Wave“ der Versuch, eine Musikrichtung zu beschreiben, die durch dezente analoge Synthesizer, eingängige Beats und einfache Melodien eine unterkühlt düstere Atmosphäre schaffen. Der Begriff „Cold Wave“ wurde erstmals von den Journalistin Vivien Goldman in der britischen Sounds verwendet.

In einer Ausgabe, die 1977 erschien, schrieb sie in einen Artikel über Siouxsie & The Banshees: „Seeing Siouxsie & The Banshees at the Music Machine supporting Richard Hell. Teenage Rampage circa 1980. Heavy Metal circa 1984. Music for those quiet evenings at home, getting it on with the house android. The cold, cold wave breaking over your head, and for one second you don’t know whether you’re going to see daylight again… Siouxsie and Steve Banshee are in perfect accord, when it comes to describing their music. Cold, machine-like, and passionate at the same time… Siouxsie & The Banshees sound like a 21st century industrial plant; people that find it dreary or oppressive are romantics reacting against the machine age. Listen to the cold wave roar from the 70’s into the 80’s.

Spricht man häufig von Synthieteppichen, so wäre hier der Begriff Synthiefliesen sicherlich angebrachter. Als Bands wie Trisomie 21, KaS Product oder Norma Loy in Frankreich respektable Erfolge feiern, wird der Begriff Cold Wave zum lokalen Phänomen, denn in anderen europäischen Ländern ordnet man die französische Spielart des Wave einfach existierenden Stilen unter.

Die Band Velvet Condom belebt Erinnerungen an die Musikrichtung wieder, die zu der längst vergessenen 80er Jahre Atmosphäre aus Neonröhren, Nebel und zuckenden Stroboskopen passt, wie keine andere. 2005 von Nicolas Isner und Oberst Panizza in Strasbourg gegründet, veröffentlichen sie ein Jahr später ihre Debüt-EP „VC“. Die Stücke „Kalter Lippenstift“ und „Poison & Maquillage“ avancierten schnell zu Klassikern. Dass der Text in Deutsch dargeboten wird, ist nicht weiter verwunderlich, denn Sänger Nico hat deutsche Wurzeln, die die Band 2008 nach Berlin ziehen, wo die Beiden nun auch leben. Dort veröffentlichen sie ihr zweites Album „Safe & Elegant“, das nahtlos an den etablierten Sound anknüpft und darüber hinaus die Vielseitigkeit der Band eindrucksvoll unter Beweis stellt. Mit „Never Ever“ füllt sich die Tanzfläche erneut mit begeisterten Wavern aus ganz Europa. Es klingt vertraut und doch neu. Erinnerung an eine Zeit, in der Turmfrisuren und Vogelnester die Tanzflächen ambitionierter Clubs beherrschten, werden geweckt.

Albumcover von StadtgeilDas 2011 erschienene Album „Stadtgeil“ ist ihr jüngstes Werk, mit dem sie in diesem Jahr auch auf dem WGT in Leipzig zu Gast sein werden (voraussichtlich am 27.05.2012 zusammen mit Dave Ball von Softcell in der Kneipe „Der Anker“). Die Mischung aus Minimal und Wave, die zusammen mit dem unterkühlten Gesang und sphärischen Synthiefliesen (siehe oben) einfach so treffend mit „Cold-Wave“ zu beschreiben ist, macht einfach nur Freude. Velvet Condom – es sind die Gegensätze die sich anziehen. Das Stück „Samt und Stein“ zeigt, dass es sich lohnt auch hinter die Texte der Band zu schauen. Hinter dem glamourösen Schein dieser Welt steckt oft eine tiefe Kälte, Gefühle ertrinken in Dekadenz. Den Eindruck, den die Band bei mir mit diesem Stück hinterlässt, spiegelt sich auch in der Findung des Bandnamens:

I’d read the name in a magazine a long time ago without checking if they really existed. It’s funny, because people s first reaction is to try to imagine how one would feel, but [in naming the band that way] my intention was to combine those two totally opposite words together to express our synthetic and glamorous aesthetics in one name. It’s not a fetish concept at all – more an expression of our frustration towards a world that’s more and more synthetic. It has some futuristic background – the fear of technologic progress and, furthermore, the synthetization of human feelings. That’s the essence of it. 1

Es lohnt sich, ein Ohr zu riskieren. Mir hat die Neugier, die eine E-Mail von Katrin auslöste, nicht geschadet. Velvet Condom ist damit die erste Band, die ich auf dem Wave-Gotik-Treffen sehen möchte. Mit bereits über 200 Live-Auftritten und als Vorgruppe von Bands wie Fliehende Stürme, Fehlfarben, Psyche, Noe More, Specimen oder Absolute Body Control haben sie bereits ausgiebig Erfahrungen gesammelt um nun endlich aus dem Schatten bekannterer Bands herauszutreten. Einen bleiben Eindruck habe sie bereits hinterlassen. Auf der Internetseite der Band findet man allen notwendigen Informationen, Hörproben und Kaufmöglichkeiten für die Alben.

Einzelnachweise

  1. Interview mit Velvet Condom vom 29. Februar 2012, geführt von Ray Cummings. Q&A: Velvet Condom’s Nicolas Isner On Berlin, Inspirational Movies, And „Dead Mannequin Pop“ – The Village Voice[]
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der_Roboter
der_Roboter (@guest_17949)
Vor 12 Jahre

Freut mich Velvet Condom hier zu sehen, das Duo gehört definitiv zu meinen Favouriten was aktuelle Bands betrifft. Das liegt sicher nicht zuletzt an den hier beschriebenen Eigenschaften…
Live wurde ich bisher von den Beiden nicht enttäuscht, der weite Weg bis zum Anker wird sich sicher lohnen!

Die Geschmäcker mögen verschieden sein, aber meines Erachtens gibt es jetzt schon einige sehenswerte Bands im WGT-Line-Up, zumindest wenn man die inoffizielle Liste betrachtet. Wem Velvet Condom gefällt, dem kann ich auch Sixth June empfehlen. Definitiv anders, vorallem synthetischer und mit weiblicher Stimme, der Coldwave-Einschlag ist aber auch hier nicht zu überhören.

Katrin
Katrin (@guest_17950)
Vor 12 Jahre

Sixth June sind auf jeden Fall noch eines der unbedingt zu beachtenen Highlights, ja… grandioses Cover zum Beispiel hier: http://www.youtube.com/watch?v=JfUwt1pwzF4 :-)

Und danke, Robert. Sehr wunderbarer Artikel. Hatte nicht erwartet, so direkt ins Schwarze zu treffen, freu mich umso mehr. :-)

Marcus
Marcus (@guest_17965)
Vor 12 Jahre

„Velvet Condom“ stehen ebenfalls auf meiner WGT-Liste. Sofern es die Zeit zulässt, werde ich am Pfingstsonntag sicherlich im Anker vorbeischauen. Ganz oben platziert sind auf meiner Liste allerdings „The Exploding Boy“, auf die ich vor ein paar Jahren durch das WGT aufmerksam wurde und fortan in mein Herz geschlossen habe.

Serapion
Serapion (@guest_18013)
Vor 12 Jahre

Nachdem ich dank dieses Artikels auf der Bandseite in das neue Album reinhören konnte, stehen sie auch auf meiner potentiellen WGT-Liste. Ich hoffe, sie spielen zusammen mit Sixth June und The Exploding Boy.

Marcus
Marcus (@guest_18016)
Vor 12 Jahre

Ich hoffe, sie spie­len zusam­men mit Sixth June und The Explo­ding Boy.

@Serapion: Sixth June haben ihren Auftritt auch für den Sonntag im Anker angekündigt. Doch im Falle von The Exploding Boy könnte Deine Hoffnung unerfüllt bleiben. Die Band selbst hat auf ihrer MySpace-Seite den Montag als Auftrittstag genannt.

Serapion
Serapion (@guest_18018)
Vor 12 Jahre

Ah, danke für den Hinweis! Aber bis wir das endgültige Programm vor uns haben, bleibt eh nur die bange Frage, was sich wieder alles überschneiden wird – gehört halt einfach zum WGT dazu.

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