Gothic Friday Februar: Cure, Sisters, Zillo und Bizarre

10

Foggers Beitrag zum Gothic Friday erreichte mich ebenfalls per E-Mail. Die Freundin, die ihn auf Spontis aufmerksam gemacht hat, darf sich zu einem Glas Rotwein eingeladen fühlen, denn sonst wäre uns dieser lesenswerte Beitrag zum Februar-Thema wohl vorenthalten geblieben.

Den Spontis Feed beobachte ich nun seit mehreren Monaten. Eine sehr gute Freundin hat mich auf euch aufmerksam gemacht. Auch wenn ich nicht alles teile, finde ich diese Seite toll und wert zu unterstützen. Ich hatte nur ein einziges paar Pikes, bevor ich auf Docs umgestiegen bin. Aber das war schon nach meinem Einstieg. Also! Zu den Anfängen ….

Es war das Jahr 1987 oder ’88, das kann ich heut gar nicht mehr so genau sagen. Ich bekam eine Musikkassette geliehen, von meinem allerbesten Freund. Früher war er mein bester Freund und es gibt kaum etwas Schöneres als sagen zu können, dass er es auch heute noch ist. Diese Kassette war von seiner Schwester und auf der einen Seite war Musik von Depeche Mode. „Oh mein Gott!“ dachte ich „Wie ätzend ist das denn!?!? Das ist doch das Zeug was die „Nazis“ im Jugendclub des Nachbardorfes hören.

Wundert euch nicht. Ich war vielleicht 14 Jahre alt und alles andere als musikalisch gebildet. Ich konnte noch nicht einmal „Die Ärzte“ und „Die Toten Hosen“ auseinander halten. Daher schaute ich nach, was auf der B-Seite war: The Cure. Ich hatte keine Ahnung was das war und hörte rein. Erstes Lied: „Kiling An Arab“. Dies könnte schon das Ende der Geschichte sein. Natürlich ging es nicht von 0 auf 100, sondern entwickelte sich weiter. Aber diese 2:22 waren wegweisend für den pubertierenden Jungen aus dem kleinen katholischen Dorf bei Marburg. Ich hatte erst vor kurzen den Job als Messdiener an den Nagel gehängt und war voll geflasht. Nichts hat mir vorher soviel gegeben, wie diese Musik. Ich glaube ich muss hier niemandem dieses Gefühl erklären. Ein Gefühl welches heute noch so aktiv ist, das ich mich zurückhalten muss, nicht auf jedes Konzert in Deutschland oder Europa zu fahren. Drei müssen reichen … Oder doch noch ein viertes oder fünftes oder oder.

Fogger 2014
Fogger 2014. Zwischen dem Bild oben links und diesem liegen nun mehr 24 Jahre.

Wochen oder Monate später meinte eine Freundin „Wenn du Cure hörst, dann hörst du bestimmt auch Sisters Of Mercy“. Ich hatte keine Ahnung von was sie redete. Bei der nächsten Möglichkeit ging ich in Marburg in den Plattenladen „Radio Brandt“. Ich stieg die Treppe hinab und fand eine schwarze Maxi mit einem grünen Logo. Rauf mit ihr auf den Plattenteller und Kopfhörer auf. Unglaublich, da war es wieder dieses Gefühl. Leider habe ich aktuell etwas „Angst“ davor die aktuelle Tour zu besuchen. Die meisten werden wissen warum. Aber das Konzert in Frankfurt ist zu nah, um es zu ignorieren. Da ich auch gute Kritiken gelesen habe, werde ich hin fahren und Andrew huldigen. Auch dann, wenn er es vielleicht nicht würdigen kann.

An was kann man sich nach fast 30 Jahren noch erinnern? Das sind die wirklich wichtigen Momente im Leben. Die Situation als ich Cure und Sisters erstmals gehört habe, weiß ich heute noch, als wäre es gestern erst gewesen. Es ist so bildlich, dass ich den Raum, die Stimmung und das Ergebnis heute noch fühlen kann.

Oder damals im Plattenladen, als ich darüber nachdachte, ob „The Sisters Of Mercy“ unter „T“ oder unter „S“ zu finden sind. Ich war bei „The Smiths“ angekommen und blätterte zurück. Da war eine ganze Reihe schwarzer Vinylhüllen. Ich ging zu den Plattenspieler-Stationen, um rein zuhören und holte „Temple Of Love“ vorsichtig heraus. Ich legte sie auf den Plattenteller und zog den Kopfhörer auf. Die ersten Töne … Der erste Gesang … Die Melodie …. Und dann ging es erst richtig los …. Der Wunsch sich zu bewegen und das es niemals aufhört. Das Lied ist zu lang? Nein, das geht gar nicht!

Später erzählte mir mein Cousin von einer Zeitschrift Namens „Zillo“. Angeblich war sie früher im DIN A5 Format. Auch von Bands wie Siouxsie, Joy Division und Cassandra Complex erzählte er mir. (Viele Jahre später erst erfuhr ich, dass mein Cousin die Kassette mit Depeche Mode und The Cure für die Schwester meines Freundes aufgenommen hatte.) Also hab ich die Bravo Bravo sein lassen und mir fortan die „Zillo“ gekauft. Was soll ich dazu noch erzählen? Ich habe keine Ahnung wie das in den großen Städten war. In meinem kleinen Dorf war es die einzige Informationsquelle.

Fogger 1991 in London
1991 bei einem Besuch in London vor der Victoria Bus Station. Rechts bei einer Fahrt in der Tube.

Vieles lernte ich daraus. Irgendwann las ich beispielsweise einen Artikel, in dem es um den Unterschied zwischen Grufts und Wavern ging. Ich beschloss, Waver passt besser zu mir. Damalige Feinheiten, die heute vollkommen irrelevant sind. Oder gibt es den Waver heute noch? Ich jedenfalls hab keine Ahnung mehr, wo der Unterschied wirklich lag. In der Marburger Disco PAF merkte ich schnell, je früher ich da war, umso besser war die Musik. Also ging ich schon um 21:00 hin und trug „schwarze“ Klamotten. Ja, die Anführungszeichen sind Absicht. Es war irgendwie schwarz, aber mit Szene hatte es nix und überhaupt nix zu tun.

Fogger in London 1991Dann, im September ’89, wurde ich von meinem aufgelösten Vater aus dem Schlaf gerissen. Meine Schwester hatte sich umgebracht und die Polizei war da. Ich durfte die Hose von ihr identifizieren, da von nichts übrig war, was man jemanden hätte zeigen können. Aus heutiger Sicht kann ich nicht so genau sagen, ob ich ohne dieses Erlebnis jemals so tief in die Szene gerutscht wäre. Auf alle Fälle war es ein Katalysator. Ich hatte einen Grund auch tagsüber schwarz zu tragen und kaufte irgendwann meinen schwarzen Mantel, meine Pikes und Ketten. Meine Tante musste meine Haare an der Seite rasieren und den Rest toupierte ich. Auch wenn ich erste schwarze Freunde kennengelernt habe, war ich gefühlt eher alleine. Ich trieb zwischen Punks, Grufts und dem eher rechten Jugendclub hin und her. Daher liebe ich heute auch noch gute alte Punk Musik und mit Depeche Mode aus dem Jugendclub hab ich schon lange meinen Frieden geschlossen. Überflüssig zu sagen, das ich dies mit den Onkelz nicht gemacht hab.

Bizarre Festival 1991
Auf dem Bizarre Festival 1991, Waldstadion Gießen.

Der nächste wichtige Meilenstein war das Bizarre Festival auf der Loreley ’90 mit „The The“, „Ramones“, „Phillip Boa“ und den „Fields“. Bei The The war ich schon im Zelt, da die drei Bands vorher einfach unglaublich waren. Seit dem bin ich ein leidenschaftlicher Besucher von Konzerten und Festivals. Ob es das erste Zillo Open Air in Durmersheim war oder in der Kasseler Eissporthalle die Konzerte von den Ramones, den Sisters of Mercy oder Type O Negative. Ich fühle mich da einfach wohl und genieße die Zeit. Im selben Jahr erschien der erste „Mystic Sound Sampler“. Unglaublich gute Musik! Und da war sie, meine dritte Lieblingsband. Deine Lakaien, diese Stimme, diese Musik, unglaublich!

Ich zog zum Studieren nach Osthessen. Auch dort in der lokalen Disco „Kreuz“ musste man für gute Musik früh aufbrechen und konnte dann früh wieder heim. Ich verliebte mich und blieb in Fulda. Ich hörte meine Musik und die neuen Freunde verstanden es nicht. Gut, dass meine Freundin am Anfang mit zu den „Zillo Festivals“ ging. Sie liebte Deine Lakaien und durch sie kam auch Sarband und Estampie in mein Leben. Aber das wurde alles immer weniger. Mein Vorhaben, jedes Jahr auf mindestens ein Konzert zu gehen, schaffte ich nicht immer. So zogen die Jahre ins Land. Ich heiratete meine Freundin und fand einen guten Job, bekam eine „ordentliche Frisur“ und trug immer weniger schwarz. Heute, nachdem meine Beziehung gescheitert ist, und ich mich der Szene wieder zuwende, erfahre ich, was ich damals alles verpasst habe. Auch, wie sich die Szene gewandelt hat und vielfältiger geworden ist.

Daher zum Abschluss noch ein Plädoyer für die Vielfalt und gegen die Ablehnung nicht szenetypischer Menschen. Schließt niemanden aus, weil jemand sich der Szene nicht anpasst. Niemand passt besser zur unangepassten Szene, als jemand der sich der Szene nicht anpasst. Lebt lang und in Frieden. Übrigens: DIE alles entscheidende, legendäre und beinahe mystische Kassette wurde mir vor ca. 10 Jahren geschenkt und ich halte sie in Ehren. Für immer!

Quietschbunter Freizeitspaß – Eröffnungsfeier zum 25. WGT

37

Klackernd erklimmt der Wagen den mitternächtlichen Himmel über Leipzig. Den 6 düster gekleideten Insassen steht die blanke Angst in das kalkweiße Gesicht geschrieben. Umgedrehte Kreuze haben sie sich in das Gesicht gemalt, Pentagramme an den Schläfen zeugen vom Glauben an die Mystik und das Übersinnliche, wenngleich Kreuze, die als Schmuck getragen werden, einen letzten Funken gelebter Religion vermuten lassen.

Der Wagen erreicht seinen Zenit. 32 Meter über Leipzig ist die Aussicht atemberaubend, doch die Insassen sind starr vor Todesangst. Ihre Hände klammern sich in die gepolsterten Griffe, die unzähligen Ringe an den Finger schneiden sich unnachgiebig ins Fleisch, jeder Muskel der androgynen Körper ist bis zum Bersten angespannt. Der Mond, der über dem Nachthimmel ein Funkeln in die Kontaktlinsen zaubert, heuchelt trügerische Stimmung und findet kaum Beachtung. Auch der Band Moonchild, die irgendwo am Fuße der der Achterbahn ihre Hymnen in die Nacht hinauszelebriert, schenkt man keinen seiner Sinne. Als das Klacken der Sicherungskette abrupt endet, weiß jeder, dass er nun HURACAN, dem südamerikanischen Herrscher über die Naturgewalten der Erde schutzlos ausgeliefert sein wird.

Der Wagen beschleunigt auf 85 km/h. Die Gesichter der Gruftis verzerren sich zu Fratzen, die Augen sind weit aufgerissen, die Mundwinkel nähern sich den Ohren bis auf ein besorgniserregendes Maß. Türme brechen unter der Last des Fahrtwindes, Teller werden aus ihrer Verankerung gerissen und Iros legen sich in aerodynamischer Pfeilform in den Nacken. Im freien Fall nähern sich die Insassen der Erde, bevor sie in einem der 5 Überschläge durchgerüttelt werden. Nahtoderfahrung als neuester Kick für todessehnsüchtige Gruftis. Was sich liest, wie ein schlechter Groschenroman aus der Grusel-Ecke, scheint verstörende Realität.

Nach der haarsträubenden Diskussion um die WGT-Ticketpreise dachte ich ja mich könnte nichts mehr schocken und mit der Buchung der Flugtickets setzte die Freude bei mir richtig ein. Bis…ja…bis vor wenigen Minuten. Hatte mich die Nachricht heute Nachmittag nur gestreift und mir ein Kopfschütteln entlockt bevor ich weiterklickte, sitze ich jetzt mit einem Ausdruck des Unglaubens im Gesicht im Bett und versuche meine Welt wieder geradezurücken. Anlass des Entsetzens? Die Mail zur „Großen Eröffnungsfeier zum 25. WGT“ in der es lautet:

Große Eröffnungsfeier zum 25. WGT im „AbenteuerReich BELANTIS“ im Leipziger Süden ab 20:00 Uhr: – DJs verschiedener Stilrichtungen in diversen Lokalitäten und Bereichen auf dem Gelände – 27 Hektar Freizeitpark mit acht verschiedenen Themenwelten vom „Tal der Pharaonen“ bis zur „Insel der Ritter“ – sämtliche Fahrgeschäfte bis Mitternacht geöffnet, u.a. die Wildwasserfahrt „Fluch des Pharao“ durch eine Pyramide oder die Achterbahn „Huracan“ mit freiem Fall aus 32 Metern Höhe…

Abenteuerreich. Fahrgeschäfte. Freizeitpark. Vorsichtig checke ich den Absender der Mail um mich zu vergewissern, dass ich nicht versehentlich auf eine Spammail für einen All-Inklusiv-Superdupper-Fun-und-Action-Wochenende geklickt habe. Hab ich nicht. Ist das deren Ernst? Hat sich die Treffengesellschaft an Disney verkauft? Möglicherweise haben die Organisatoren zu tief in den Treffenbecher geschaut und zu viel „Köln, wie es singt und lacht“ gesehen. Es gibt wohl so ziemlich keinen Ort den ich unpassender finde. Man stelle sich das vor: Toupierte Haare, weiße Gesichter, wehende Gewänder, aufwändiggeschneiderte Bekleidung, akkurate Schminke, Fächer – auf der Insel der Ritter!

Belantis-Maskottchen Buddel freut sich auf den Besuch nach der offiziellen Parkschließung. Für diese Gelegenheit sucht sich Maulwurf Buddel seinen schwarzen Umhang heraus, mit dem er seine Gäste gebührend begrüßen kann. Ausgiebig Tanzen, Flanieren und Achterbahnfahren können die Anhänger der Schwarzen Szene bis in die frühen Morgenstunden. (Parkerlebnis)

Der Freizeitpark steht wohl für alles, wofür die Subkultur nicht steht – zumindest nicht für mich. Konsum, bedenkenloses Vergnügen, Einerlei, bunt und kurzweilig, hektisch, seicht. Bedeutungslos. Der Ort der leeren Fassaden. Des festgetackerten Lächeln. Die Lüge des Entfliehens. Das Grau einer Welt, die vorgibt zu schimmern um die Asche auf der sie errichtet wurde zu übertünchen. Utopia sieht anders aus. Konsum? Kritik! Nachdenken, Bedeutung suchen und schaffen, düster, füllend, tiefer gehend. Hinter die Fassaden schauen, nicht verstecken und tabuisieren. Flucht in die Kunst, die Musik, ins Gefühl, das einen durchströmt, wenn die ersten dunklen Töne erklingen und das einen nicht mehr los lässt – das einen loslassen lässt.

In dieser bunten Fassaden soll die Eröffnungsfeier zum 25. WGT stattfinden - (c) Thomas (?)
In dieser bunten Fassaden soll die Eröffnungsfeier zum 25. WGT stattfinden – (c) EVENT PARK GmbH & Co. KG/Belantis

Bad Sound kills good Music“ steht auf der Scheibe des örtlichen HiFi-Ladens. Ich würde hinzufügen: „Bad Locations too“. Kann sich irgendjemand vorstellen, wie man in so einer Atmosphäre The Sisters of Mercy – Logic oder dergleichen wirklich spüren kann? Ich ja nicht. Nicht nur das, ich möchte das auch gar nicht. Mag jeder in den Freizeitpark gehen wie er lustig ist – für die Eröffnungsveranstaltung des WGTs ist es tatsächlich der ziemlich falscheste Ort. Für mich rückt es das WGT in die Ecke des Mer’a Lunas und des Amphi-Festivals – zum Kommerz getünchten Einerlerei. Fun und Action für die ganze Familie. Mal irgendwie ausbrechen und was verrücktes machen? Rein in die Aderlassklamotte und auf zum 25. WGT. Keinen Plan von Musik und Subkultur? Egal, gibt ja den Freizeitpark am ersten Tag und dann genug Zeit zum Flanieren, ins Kino gehen, shoppen, Met trinken etc. Sich mal richtig anders fühlen – um am Dienstag wieder in den Alltag zurück zu kehren.

Ich bin auf jeden Fall nachhaltig irritiert und weiß wo ich am Eröffnungsdonnerstag auf jeden Fall nicht sein werde. Aber hey, muss ich nicht, gibt genug andere Möglichkeiten, dann schaffe ich es eventuell endlich mal zur blauen Stunde, hat auch was. Aber wenn ich daran denke, dass ich zwanzig Euro mehr wohl möglich für einen quietschigbuntglitzernden Freizeitpark zahle, wird mein Denken über Preis(und)Wert doch so ein bisschen erschüttert…

Gothic Friday – Februar: Warum bist Du immer noch in der Szene?

Vor fünf Jahren zog unser Blog gerade auf die eigenen Domain um – der Gothic Friday war eine der ersten Artikelserien, die wir hier veröffentlichten. Es ist viel passiert in der Zeit. Aber diesen Blog gibt es noch – also endlich wieder regelmäßige Einträge! Ich habe mich so sehr gefreut, als ich bei Robert davon las. Die alten Einträge bekommen auch noch immer viele Besucher, da ist das doch wirklich schön, neue Gedanken festhalten zu können.

Das erste Thema war: Wie bist du in die Szene gekommen? Den Beitrag hole ich gerne wieder hervor. Mit dem letzten Satz starte ich einfach mal in das neue Thema: Warum bist du immer noch in der Szene?

Also bin ich dann wohl als normales Mädchen in die Szene gestrauchelt und jetzt die glitzernde Gruftschnecke, die ich auch gerne bleiben mag.

Durch die Einträge vor fünf Jahren schlich sich der Begriff Gruftschnecke in meinen Sprachgebrauch. Und von dort in den der anderen Menschen um mich. Das hätte ich so nicht gedacht – es freut mich!

In den letzten fünf Jahren waren wir auf verschiedenen Festivals, Märkten, Treffen. Der Zirkusadel ist um ein Gruftschneckchen reicher geworden. Geheiratet wurde auch noch – das alles in schwarz. Ich habe mir nie bewusst die Frage gestellt, ob ich noch immer Gothic bin. Das ist einfach ein Teil von mir. Unsere Wohnung ist hauptsächlich schwarz/rot eingerichtet, meine Kleidung ist auch zu 90% schwarz – so bin ich einfach. (Zur Hochzeit waren meine Oma und Mama mit mir Brautkleider anschauen. Um ihnen zu beweisen, dass weiß mir einfach überhaupt nicht steht, probierte ich ein Kleid an. Stellte mich auf den Hocher, drehte mich… Sie schauten sich an und waren sich einig: Weiß passt nicht zu mir.)

Mein Musikgeschmack ist noch etwas elektronischer geworden, würde ich einfach mal behaupten. Wobei auch der Steampunk eine recht große Rolle für mich spielt. Nicht nur in der Musik, auch im Kleidungsstil. Mein Hochzeitskleid stammt von Alignor Aetherium, die mit ihrem Label Steampunk Decadence wundervolle Kleider und Anzüge zaubert. Eine Woche nach der Hochzeit haben wir für sie an der Modenschau zur Ausstellung Machina Nostalgica teilgenommen. Die Ausstellung ist wirklich schön – wenn es dieses Jahr Termine in eurer Nähe geben sollte – schaut sie euch an. Es ist unglaublich, wie viel Kreativität in manchen Menschen steckt – und wie andere Menschen dann der kleine Zündfunke sein können, der alles zum Lodern bringt.

Durch den Wolf war ich die letzten zwei Jahre nicht so viel unterwegs, wir ich vielleicht gerne gewesen wäre. Das macht die Vorfreude auf bestimmt Termine dann noch viel größer. Seit über zwei Jahren steckte ich nicht mehr in Korsett und Reifrock – es fehlt mir so sehr. Das ist eigentlich ein Zeichen für mich, dass die Gothic-Szene immer noch mein Zuhause ist. Freunde. Zufluchtsort. Familie. Ob und wann der Wolf uns dann für schrecklich komische Eltern hält, bleibt abzuwarten. Ich hoffe, wir können ihm später vermitteln, dass es viele verschiedene Arten zu leben gibt – und jeder auch so sein können sollte, wie er es gerne möchte. Denn das ist es ja eigentlich: Ich bin als Gruftschnecke so, wie es mir gefällt. Allerdings glitzere ich aus praktischen Gründen nicht mehr ganz so oft.

Ob ich in fünf Jahren auch noch so denke? Das sehen wir dann.

(Dieser Artikel ist 2016 ursprünglich auf in Schmetterdings eigenem Blog „Traumverliebt“ erschienen)

Gothic Friday Februar: The Scene is dying? (Bleikind)

3

Der Beitrag von „Bleikind“ zum Gothic Friday Thema im Februar 2016 erreichte mich überraschend per E-Mail, war sie doch bisher nur als stille Mitleserin aktiv. Daher freue ich mich umso mehr, ihren Artikel präsentieren zu dürfen.

Da sitze ich nun am Mittwoch dem 17. Februar 2016 an meinem altersschwachen PC und durchforste meinen überlasteten Speicher nach passenden Bildern, während ich mich zunehmend mit dem Gedanken anfreunde, noch so auf die Schnelle „nebenbei“ einen Artikel über meinen Szeneeinstieg zu verfassen. Das späte Datum hat seinen Ursprung darin, dass ich immer wieder mit mir haderte, ob es bei all denen, die schon gefühlt ihr 50-60. Szenejubiläum gefeiert haben, überhaupt Sinn macht, meine bescheidene Geschichte niederzuschreiben. Aber, wie wir ja alle wissen: The scene is dying. Ein bisschen blutjunge Luft kann vielleicht nicht schaden. Also warum nicht?

Ich wurde in einem weniger beschaulichen, dafür aber eher für seine erschreckend hohe Kriminalitätsrate bekannten Örtchen in der Voreifel geboren, in dem wir aber zum Glück nicht lange blieben. Meine Kindheit verbrachte ich wohlbehütet in einem Eifelkaff, offenbarte aber schon in jungen Jahren eine tiefe Abscheu gegenüber Kindergärten und war auch meinen altersnahen Mitmenschen erschienen mir größtenteils als etwas suspekt.

Gothic Friday Februar: What else is there?

1

Damals, 2005, als die letzte große Grufti-Mode-Welle gerade ihren Höhepunkt überschritten hatte und wieder im Sinkflug begriffen war, begann Flederflausch ihre ersten Flugversuche durch die schwarze Gefilde. Hier also mein Beitrag zum Gothic Friday und der Frage nach dem Szene-Einstieg.

Begonnen hat es, wohl wie bei vielen, mit dem Gefühl irgendwie anders zu sein, mit der Suche nach einem geistigen zu Hause, der eigenen Identität, der Antwort auf die Fragen des Seins und ja, mit dem pubertären Bedürfnis nach Abgrenzung und Provokation. Allem voran aber mit der Faszination für alles Dunkle und Düstere, für den Stil und das Auftreten einiger schwarze Gestalten an meiner Schule. Ja, es war tatsächlich die Faszination der Ästhetik, denn mit der entsprechenden Musik hatte ich zunächst einmal nichts am Hut – auch wenn sich mein Horizont bald in eine andere Richtung verschieben sollte. Unglaublich faszinierend wirkten sie damals auf mich, die Schwarzkittel, denen ich begegnete. Ganz in schwarz – lange, wehende Mäntel, schwere Schuhe (hallo Klischee…) – erhabend gleitend durch die bunten Massen der betongrauen Schulgänge und bunten Halbstarkenmassen. Unzählige Pause verbrachte ich damit sie zu beobachten und unzählige Schul- und Freistunden mit der Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens, mit dem Tod und all den düsteren Aspekten des Lebens und dem Anschmachten eines der düsteren Gestalten dort. Zu dieser Zeit wanden sich auch einige Bekannte der dunklen Seite des Lebens zu.

2010 - Eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen man mich vor statt hinter die Linse bekommen hat
2010 – Eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen man mich vor statt hinter die Linse bekommen hat

Mein musikalischer Einschwung in die Richtung erfolgte über Bands, die sich damals unter den Halbstarken an Beliebtheit erfreuten, aber noch nicht wirklich unter Szene-Musik gezählt werden kann: Linkin Park, System of a Down, Evanesvcence, Within Tempation. Meine erste selbst gekaufte CD mit dunklerer Tendenz war dann eine Metal Platte von Dark Seed, die ich damals noch sorgfältig in der CD-Abteilung der Drogerie auswählte und bis zum erbrechen Rauf und Runter hörte, bis mein damaliger Freund, mir sein unerschöpfliches Sammelsurium an Musik aus dem Bereich Metal, Gothic Rock und was es alles war eröffnete. Unzählige Abende und Nächte verbrachten wir beim Schein von Kerzen und im Dunkeln bei schweren Klängen und philosophischen Gesprächen, zurückgezogen von der Welt, mit der wir nichts anzufangen wussten.

Und natürlich arbeite ich an meiner Garderobe. Jedes bisschen Taschen- und Kleidungsgeld investierte ich in schwarze Kleidung und kämpfte bei jedem Mal, das meine Mutter beschloss, dass ich etwas neues brauchte um schwarze Ausstattung. Meine ersten Teile aus den lokalen „Grufti-Shops“ trug ich bis wirklich nichts mehr ging (mein erstes Shirt habe ich tatsächlich nach gut zehn Jahren immer noch). Mein Äußeres war lange Zeit sehr schlicht schwarz und meine persönliche Rebellion und Abgrenzung gegen die oberflächliche, ignorante Gesellschaft. Auffallen ja, einen extrovertierten Kleidungsstil pflege ich zunächst nicht.

In der Musik fand ich Gedanken, Gefühle und Situationen ausgedrückt, die ich selbst nicht in Worte fassen konnte. Dort fand ich mich verstanden. Mit dem seichten Einerlei der Pop-Musik oder dem eintönigen Dudeln von House konnte ich nichts anfangen. Ebenso fremd waren mir die Themen und Probleme meiner Mitschüler. Die Filme, die diese sahen, die Bücher, die diese lasen. Ich konnte darin keine Tiefe erkennen und ihre Ansichten waren mir in der Regel zu oberflächlich und sozial normiert. So verbrachte ich die Schulzeit meist mit meinem damaligen Freund und meinen paar Freunden, die jedoch mit meiner Musik nur bedingt etwas anzufangen wussten. Den rockigen und schwarzen Gestalten, die sich Freitagsabend im Jugendclub im Dorf nebenan versammelten konnte ich nichts abgewinnen, zu spaßorientiert und angepasst erschienen mir diese, zelebrierte ich doch meinen Weltschmerz, und zu sehr irritierte mich das Verhalten „normaler“ Teenager.

Kontakt zu anderen Szenemitgliedern knüpfte ich erst in der Oberstufe im Internet. Hatte ich dieses in den Jahren zuvor vor allem genutzt um mich über Musik zu informieren und interessante fotografische und künsterlische Werke zu finden, wurde ich in dieser Zeit in einem Forum aktiv – Nachtwelten, welche heute nur noch in sehr abgespeckter Form existieren –  und zu welchen ich aber schon lange den Bezug verloren habe. Zum Zeitpunkt meiner Anmeldung war das Forum schon im Sterben begriffen, nichtsdestotrotz wurden dort damals noch viele interessante Diskussionen geführt, ich entdeckte weitere neue Musik und tauschte mich aus. Viele interessante Menschen waren dort unterwegs, viele Ansichten, viele Menschen, die Einblick in ihr Leben gewährten, von denen ich gerne lass, die mich weniger unverstanden mit meinen Gedanken und Gefühlen fühlen ließen.

Das Ausgehen habe ich erst mit meinem Auszug für mich entdeckt. Zu Teenagerzeiten fand ich die Musik, die ich damals hörte eher nicht außerhalb meiner eigenen vier Wände und ich wusste nicht, was ich in einem Club, in dem die selben gehypten und meiner Ansicht nach nicht wirklich hochklassischen Bands immer wieder durch die Boxen gejagt wurden und die wo die eine Hälfte der Besucher betrunken war und die andere sich nur für das Äußere interessierten, sollte. Zugegeben, wenn der einzige Club in der Nähe, der wirklich läuft die Rock-Fabrik ist, ist diese Ansicht auch nicht gerade verwunderlich. Wirklich zu genießen begann ich Tanzveranstaltungen erst mit Beginn meines Studiums und dem Umzug nach Jena. Nicht nur meine Spannbreite an Musik hatte sich deutlich verbreitert, auch war und sind dort die Veranstaltungen differenzierter und bieten das ein oder andere Schmanckerln, wenn ich auch dort richtig undergroundiges und unbekanntes dort von Zeit zu Zeit vermisse. Aber was der Schwarzträger dort nicht kennt, zu dem tanzt er nicht…So suche ich mir diese Einblicke heute im Internet, höre gerne bei dem rein, was Facebook-Freunde hören und liken, lese in Blogs und besuche Veranstaltungen weiter weg, welche die Subkultur am Leben halten.

Mittlerweile habe ich wohl in so ziemlich jedem musikalischen Bereich der schwarzen Szene mal reingehört und mir das bewahrt was mir zusagt, auch wenn ich heute irgendwo im Bereich Wave, Post-Punk und Goth-Rock zu Hause bin. Musik von Bands wie Ascetic:, The Frozen Autumn, Hante, gehören zu meinem gute gehüteten Schatz. Bis heute faszinieren mich die unterschiedlichen Charaktere und deren Äußeres.

Hat es mich früher nur bedingt tangiert, verbringe ich heute gerne Zeit damit mir meine Kleidung Stück für Stück zusammen zu suchen und mich zurecht zu machen – mit dem Gefühl dabei ich selbst zu sein und mich ausdrücken zu können. Immer wieder fühle ich mich angekommen bei den Gesprächen mit den unterschiedlichsten Menschen der Subkultur über alle möglichen Themen, bin fasziniert von den unterschiedlichsten Sichtweisen.

Viele gute Freunde und Bekannte habe ich dort gefunden, Menschen, die ich nicht mehr missen möchte und Menschen, denen ich immer wieder begegne deren Gesellschaft ich jedes Mal erneut genieße. Jedes Mal, wenn ich mich zurecht mache, ein neues Kleidungs- oder Schmuckstück finde, mich für’s Ausgehen zurecht mache, eine weiteres interessantes Gespräch führe oder einfach nur mit Menschen eine einen schönen Abend verbringe, weiß ich, ich bin angekommen.

Gothic Friday Februar: Damals in Graz

3

Hier der Gastbeitrag von Marion aus Wien für den Gothic Friday im Februar 2016. Marion ist auch im Team der Gothic Friday Autoren und wird dieses Jahr auch ihre eigenen Themen präsentieren. Doch zunächst erfahren wir, wie sie in die Szene gekommen ist.

Unsere Geschichte beginnt im Jahr 2004 in der steirischen Landeshauptstadt. Bis dahin hatte ich von dem gesamten Gothic-Subkultur-Komplex noch nichts gehört oder gesehen, nicht in der Stadt, wo ich zur Schule ging und noch weniger in dem Ort, in dem ich wohnte. Spezielle Musik- oder Kleidungsstile interessierten mich nur am Rande. Meine Freizeit verbracht ich damit kleine Geschichten zu schreiben, zu zeichnen, Sagen zu lesen oder mit meinen Freunden am Bachufer sitzen und zu tratschen.

Doch 2004 veröffentlichten Nightwish ihre Single „Nemo“ und plötzlich schwirrten Worte wie „Metal“, „Gothic“ und „Gruftie“ durch die Luft meiner Umgebung. Ich erinnere mich noch gut daran, dass zwei Mädchen, die stets mit demselben Bus wie ich fuhren plötzlich eines Tages ganz in schwarz, inklusive gefärbter Haare und bemalter Lippen auftauchten. Genauso gut erinnere ich mich daran, wie lächerlich ich das fand. Ich hörte das Getuschel der übrigen Mitreisenden, die beiden Mädchen wären jetzt Grufties und obwohl ich keine Ahnung hatte worum es eigentlich ging dachte ich mir, dass hinter diesem „Gruftie Sein“ doch mehr stecken musste, als grauenvoll deplatzierter schwarzer Lippenstift.

Daher begann ich im Internet zu recherchieren, las Wikipedia Einträge zu Musikstilen, durchforstete Foren, deren Mitglieder sich nie einig zu sein schienen was Gothic denn nun sein sollte, versuchte herauszufinden was „Wave“ und „Batcave“ sein sollten und stolperte über die Vorwürfe die Szene sei rechtsradikal, linksradikal oder wahlweise auch satanistisch.

War das mein Einstieg in die Szene?

Nein.

Zwar war mein Interesse geweckt, bis sich aus dem gelegentlich im Internet etwas darüber lesen eine wirkliche Teilnahme an der Szene bzw. ein Zugehörigkeitsgefühl entwickelten zogen allerdings noch ein paar Jahre ins Land. In diesen Jahren wechselten sich bunte mit schwarzen Phasen ab. Es war ein langsames Hineingleiten in die Szenewelt, das immer wieder mal stagnierte, dann wieder angefacht wurde. Letzteres passierte etwa, als meine Mutter für meine Schwester die neueste Bravo kaufte und mir ebenfalls eine Zeitschrift mitbringen wollte. Sie entschied sich für den Orkus (oder ähnliches) und auf der beiliegenden CD war Vision Thing von The Sisters of Mercy. Das Lied habe ich rauf und runter gehört und gleichzeitig im Netz nach weiteren ähnlichen Stücken und Bands gesucht.

War ich somit in der Szene angekommen?

Nicht wirklich.

Marion Levi 2015Das lag teilweise auch daran, dass es in Graz und Umgebung keine, für mich auffindbare, Gothic Szene gab. Das einzige Lokal von dem ich wusste war der Club Q, aber ich kannte niemanden, der mit mir dorthin gegangen wäre und alleine traute ich mich nicht. So blieben mir vorerst nur verrauchte Metalkneipen, wenn mir der Sinn nach dunkler Abendgestaltung stand. Nicht dass an verrauchten Metalkneipen irgendetwas verkehrt gewesen wäre. Es hatte durchaus etwas für sich den Abend in einem engen Keller zu verbringen, wo jeder Typ in einer Band spielte, Bier trank und sich über die viel zu laute Musik hinweg anzuschreien. Gehört hat man sich nicht, verstanden hat man sich trotzdem.

Immer noch kein Einstieg in die Szene, mehr ein Herumlungern am Rande, ein Hineinschnuppern und Beobachten.

Mittlerweile gehörten die bunteren Phasen zwar der Vergangenheit an, ich trug mehrheitlich schwarze Klamotten (am liebsten die alte Motorradlederjacke meines Vaters), hörte größtenteils szenige, wenn auch metallastige Musik und wurde von anderen als Gothic (?) wahrgenommen, aber ich selbst war mir nicht sicher, ob ich mich schon dazuzählen „durfte“. Ab wann ist man Grufti? Wenn die Klamotten zu 90% schwarz sind? Nach dem ersten Konzert einer sogenannten Szeneband? Nach dem ersten Clubbesuch? Wenn man eine bestimmte Anzahl an Gruftie Freunden hat?

Richtigen und regelmäßigen Kontakt zur Szene hatte ich erst nach meinem studiumsbedingten Umzug 2009 nach Wien, wo es im Gegensatz zu Graz viel mehr Veranstaltungen, Konzerte, Clubs, Partys und alternative Leute gab. Ich begann regelmäßig wegzugehen, lernte jede Menge neue Leute kennen, die mittlerweile zu engen Freunden geworden sind und experimentierte viel mit Kleidung und Make-up herum. (mir steht schwarzer Lippenstift übrigens auch überhaupt nicht). Inzwischen gehört das Gruftie Sein ganz selbstverständlich zu mir und meinem Alltag. Quasi unbeabsichtigt bin ich nach und nach immer tiefer in die Szene hineingerutscht und dort geblieben, einfach weil es irgendwie zu passen scheint. Die Musik, die Leute, die Ästhetik, es ist nichts das erzwungen oder gespielt werden muss.

Gothic Friday Februar: After all this time? Always!

7

Kinder, Kinder – ist das lange her! Der erste Gothic-Friday mit all‘ seinen interessanten Themen ist nun 5 Jahre her. Umso spannender ist es nun mal nachzusehen, was sich in der Zeit getan hat. Und was soll ich sagen? So Einiges!

Das Studium ist beendet, Sonneberg habe ich den Rücken gekehrt. Mit dem Forschungszentrum für Gruftologie im Gepäck zog‘ es mich per Zufallsprinzip nach Wesel. Sonderlich viel konnte ich mich damit noch nicht befassen. Ich weiß nur, dass der Bürgermeister hier überraschenderweise nicht Esel heißt und dass ich zumindest den Friedhof in Sonneberg hübscher fand. (Ich werfe später für diese Äußerung 50 Cent in die Klischeekasse, versprochen!) Dafür kann allerdings der Auesee vor der Nase kräftig punkten, sowie die Nähe zum Pott mit seinen unendlich vielen Ausgeh-und Konzertmöglichkeiten.

Was sich allerdings nicht geändert hat ist, dass ich mal wieder nicht weiß, wie ich beginnen könnte. Also werfe ich einen Blick auf meinen Beitrag zum Szeneeinstieg vom letzten Gothic-Friday. Und natürlich passiert das, was immer passiert, wenn man sich alte Beiträge von sich selbst durchliest: Man schämt sich für einige Dinge und klickt auf das „x“. Und trotzdem bin ich noch in der Szene und trotzdem schreibe ich wieder beim Gothic-Friday mit. Möglicherweise bin ich einfach lernresistent. Im Grunde bin ich aber vor allem eines: Meiner Szene treu geblieben.

Musik neu- und wiederentdecken

Was zunächst wie ein schmalziger Ausspruch klingt, bei dem man Sturheit und Stillstand vermuten könnte ist für mich mehr als das. Ich bin noch in der Szene, weil ich auch nach ca. 10 Jahren noch immer Neues für mich entdecken kann und weil ich mich noch immer am richtigen Platz fühle. Einerseits natürlich im musikalischen Sinne: Die Neubauten und X-Mal Deutschland höre ich noch immer sehr gerne. Es kamen aber noch unzählige Bands hinzu. Mit dem Neofolk-Bereich habe ich mich in den letzten Jahren stärker beschäftigt und so wechseln sich altbekannte Lieblinge wie Bauhaus und Siouxsie and the Banshees mit Jännerwein, Hekate und TriORE ab.

Egal wie alt man ist - man freut sich immer wie ein kleines Kind, wenn man seinen Lieblingsmusiker trifft!
Egal wie alt man ist – man freut sich immer wie ein kleines Kind, wenn man seinen Lieblingsmusiker trifft!

Zudem habe ich in den letzten Jahren eine sehr pubertäre Liebe für die Musik von Frank the Baptist entwickelt. Von einem Stillstand meiner Hörgewohnheiten kann also kaum die Rede sein – im doppelten Sinne. Einerseits überwiegt natürlich eher szenetypische Musik fast aller Genres und ich durchforste noch regelmäßig das Netz auf der Suche nach neuer und alter Musik. Nur so findet man fast vergessene Bands wie Afobia oder Cyan Revue. Andererseits habe ich, ganz szeneuntypisch, eine Vorliebe für lustigen Deutschpunk entdeckt und so träume ich davon mit Mülheim Asozial einmal sturzbetrunken am Auesee eine FKK-Par…lassen wir das.

Den Forschungsbestand aufstocken

Vertieft hat sich ebenfalls mein Interesse an Subkultur generell. Wie entstanden Subkulturen, lange bevor es die schwarze Szene gab? Wie lebten Punks Anfang der 80er in der DDR? Wie sieht sich die Szene von innen? Wie wird sie von außen gesehen? Wie stellt sie sich selbst dar? Wie wird sie dargestellt? Auch nach 10 Jahren sind das essentielle Fragen, die ich immer wieder reflektiere und versuche, für mich selbst zu beantworten.
Deshalb habe ich den Bestand des „Forschungszentrums für Gruftologie“ aufgestockt mit allen möglichen Medien, die ich dazu in die Finger kriege. Ich kaufe so ziemlich jedes Buch über Subkultur, welches ich finden kann. Natürlich beinhaltet dies die bekannte Reihe „Gothic 1-3“, sowie „schillerndes Dunkel“  und reicht bis zu den Veröffentlichungen vom bekanntesten Jugendkulturforscher Klaus Farin, der sich mit dem Buch „die Gothics“ auch schon der schwarzen Szene annahm. Hinzu kommen Bücher wie „Lass uns mal ’ne Schnecke angraben“ oder „Punk. Was uns kaputt macht, was uns an macht“, bei dem Punks aus Köln in den 80ern interviewt wurden. Außerdem befindet sich in meiner Sammlung auch das Kinderbuch „Stella und das Gothic“-Girl.

Und das ist bei Weitem nicht alles: Comics wie „Emily the Strange“ und „Lenore“ gehören genauso dazu, wie das Pfingstgeflüster, der Pfingstbote, die Spontisheftchen und vereinzelte biografische Bücher, wobei derzeit besonders die Sex Pistols vertreten sind.
Zu meiner Sammlung zähle ich auch Bücher, die ich in das Genre „pubertärer Gruftikitsch für 13jährige Claudys“ zuordne: Victoria Frances, Bildbänder über Friedhöfe oder Gedichtbände, bei denen ich mich frage, warum man derart schlechte Prosa überhaupt veröffentlichen wollte.

Bisher sind es nur 55 Printmedien zu diesen Themenkomplexen und es werden noch einige hinzukommen. Derzeit versuche ich auch an alte Bravos heranzukommen um Artikel über Szene (insbes. Punk und Gothic, da mich diese Szenen am meisten faszinieren) in meine Sammlung aufnehmen zu können.

Ich glotz‘ TV!

Das sind zunächst nur die Bücher: Auf meiner Festplatte lagern unzählige TV-Beiträge, die in irgendeiner Art und Weise Subkultur zum Thema haben. Von Dokus aus den 80ern über „Menschen die lebten, als sein sie schon tot“ über die (ich möchte schon sagen legendäre) Tatortfolge „Ruhe sanft“ bis hin zu Gruftimädchen auf Schloß Einstein ist alles Mögliche in meiner Sammlung zu finden. Auch Karnsteins Auftritt bei Pro7 um in einem Hip Hop-Club zu feiern ist dort zu finden. (Ich sehe alles!) Wenn ihr also mal Lust auf Pleitevampire in einem qualitativ hochwertigem RTL II-Format habt: Sagt Bescheid! Leider sind mir zwei besonders schöne Folgen von den Trashsendungen „Verdachtsfälle“ und „Familien im Brennpunkt“ verloren gegangen, aber ich bin mir sicher, dass diese entweder bald wiederholt werden oder dass irgendein RTL-Schreiberling nach dem WGT zu einer neuen, tiefdüsteren und realistischen Folge inspiriert wird. RTL, ich glaube an dich!

Ein ganz normaler, nicht gestellter Tag im Forschungszentrum für Gruftologie
Ein ganz normaler, nicht gestellter Tag im Forschungszentrum für Gruftologie

Jedoch beschränkt sich auch hier nicht alles nur auf einen direkten Bezug zur Szene und Trash: Ich habe fast alle DVD-Boxen der alten Addams Family-Serie und die Kinderserien „Growing up Creepie“ und „Ruby Gloom“ auf DVD. Zuckersüß und düster, damit man schon die Jüngeren für etwas dunkleren Charme begeistern kann. Irgendwann kommt sicherlich auch die Zeichentrickserie „Beetlejuice“ und „Danny Phantom“ hinzu. Es gibt immer was zu sammeln. Und selbstverständlich habe ich auch eine DVD zur „Geschichte des Todes. Friedhöfe in Europa“ im Repertoire.

Und wer weiß: Vielleicht fällt mir irgendwann etwas Tolles ein, um über Spontis einen tieferen Einblick in meine doch sehr eigenwillige Sammelwut zu gewähren – sofern gewünscht ;)

Apropos sammeln: So ganz neben her habe ich einen Faible für totes Tier entwickelt. Einfache Schädel, Insekten hinter Glas oder Fuchsorgane in Formaldehyd – alles, was eklig und bizarr ist zieht mich an und findet seinen Platz in meiner Kitschbude. Meine neuste Errungenschaft ist eine konservierte Flatterfledermaus. Vielleicht kaufe ich ihr einen kleinen Glassarg oder ich hänge sie einfach irgendwohin. Wer weiß, was mir noch so einfallen wird.

Fazit

Wenn ich mir also betrachte, wie viel in den letzten Jahren hinzukam, kann ich mir erst Recht nicht vorstellen, dass ich irgendwann einmal die Schnauze voll haben werde. Sicher, manchmal hat man so Momente, in denen man gerade nicht die passende Musik findet und in denen man einen Poetry Slam einer schwarzen Veranstaltung vorzieht. Zugegeben: Manchmal fühlt man sich übersättigt, manchmal gelangweilt. Dennoch kann ich es mir anders nicht vorstellen. Um der Szene den Rücken zu kehren müsste sich mein Geschmack komplett wandeln, ich müsste plötzlich vollkommen konträre Interessen entwickeln – und das halte ich für sehr unwahrscheinlich.

Ich habe es auch schon lange nicht mehr erlebt, dass mir irgendwer sagen will, dass ich zu alt dafür bin. Meine Art in der Szene zu leben und mein Leben zu gestalten ist einfach ein Teil von mir. Allerdings nicht so, dass ich ohne Szene nichts bin. Die Szene nimmt einen großen Teil meines Lebens ein – aber sie bestimmt mich nicht. Ich lebe so, weil ich es schön finde und es genieße. Nicht, weil ich mich daran gewöhnt habe, es nicht reflektiere oder nicht weiß, was ich sonst treiben soll. Ich lebe gerne so. Und so lange dies so ist, werde ich mich als Teil der Szene betrachten, egal, wie oft ich mich vereinzelt über so manches beschwere. Nach all‘ den Jahren hat sich eines nicht geändert: Die Szene ist eine Nische in der ich mich ausleben und wohlfühlen kann. Und trotz des Einflusses dieser Dinge auf mein Leben ist das Wichtigste, dass man den ganzen Kram nicht zu ernst nimmt. Ich stecke daher für diesen Beitrag 10€ in die Klischeekasse und werde mir von diesem Geld auf dem WGT schwarzen Lippenstift kaufen, wofür ich dann wieder Geld in diese Kasse stecke…usw. The ride never ends!

Heimweh nach Skopje und Ost-Berlin: Schwarzes Wunderland zwischen verschwundenen Orten

19

Ost-Berlin

Nachdem ich irgendwann Anfang der 80er aus der ehemaligen DDR wieder in das ehemalige Jugoslawien gezogen bin, war da erstmal eine Art Heimweh. Das klingt seltsam, denn lange hatte ich mich im damaligen Ost-Berlin nach meiner Heimatstadt Skopje gesehnt. Nach vier Jahren war ich wieder zurück, doch in der Zeit habe ich Berlin und meine Freunde dort lieb gewonnen.

Es war der Beginn der Pubertät, eine schwierige und doch spannende Zeit. Wir haben in Ost-Berlin Radio aus West-Berlin gehört, saßen an bestimmten Abenden vor den Kassettenrekordern bereit und konzentrierten uns, um im richtigen Moment auf die Record-Play-Knopfkombination zu drücken. Am Ende der Songs war es wichtig, rechtzeitig auf Stop zu drücken, sonst musste man ganz schnell zurückspulen und die Kassette für den nächsten Song vorbereiten. Am nächsten Tag haben wir uns in der Schule darüber ausgetauscht, was uns besonders gut gefallen hat. Darunter waren Kajagoogoo, Depeche Mode, Ultravox, Talking Heads, Madness, aber auch Vertreter der Neuen Deutschen Welle. Wir hatten nur das Radio und Fernsehen aus West-Berlin als Quellen, und wenn wir einen Song von einer weniger bekannten Band verpasst hatten, konnten wir nur hoffen dass es jemand von den Freunden aufgenommen hat.

In Skopje habe ich dann versucht, deutsche Radiosender zu empfangen, auf Mittelwelle. Man konnte nur Nachts einigermaßen und unter ständigem Rauschen etwas verstehen. Musiksender gab es dort auch, aber ich vermisste vor allem meine Freunde aus Ost-Berlin, unsere gemeinsamen Sehnsüchte nach Freiheit, die Atmosphäre zwischen den Betongebäuden und unseren Humor. Wir schrieben uns Briefe auf Berlinerisch und warteten Wochen auf eine Antwort, denn wir waren nie sicher, ob die Briefe auch ankommen würden. Telefonieren war zu der Zeit sehr teuer und so wurde der Kontakt immer seltener und riss nahezu vollständig ab. Ich wurde immer öfter melancholisch und verschlossen, denn ich sehnte mich nach meinen Freunden.

Skopje

Ich habe drei Jahre kaum geredet. Die Musik von Bach beruhigte mich und mit dem Lesen der Werke von Freud habe ich versucht, mich besser zu verstehen. Ich suchte Zerstreuung um meine Wehmut zu lindern. Matheaufgaben lenkten mich von den Gedanken ab. Der Unterricht in meiner Schule fiel mir besonders schwer. Fächer wie Marxismus oder Allgemeine Volksverteidigung, die mich an die Staatsbürgerkunde in der DDR erinnerten, wirkten auf mich wie eine geistige Uniformierungsmaschinerie. Mit meinen Sehnsüchten erschien es mir fast unmöglich, dem zu folgen.

Wie in der DDR war es auch in Jugoslawien schwierig, wenn man durch äußere Merkmale aufgefallen ist. Das hat sich ziemlich stickig angefühlt. Irgendwann wechselte ich das Gymnasium und kam in eine ziemlich rebellische Klasse. Manche Klassenkameraden zogen mich aus meiner dreijährigen Einsamkeit in eine punkige Musikwelt und diversen Kulturveranstaltungen. Es gab Ende der 80er dort keine starke Trennung zwischen der Punker- und der „Darker“-Szene. Wir trafen uns oft in einem Jugendkulturzentrum und in meiner baldigen Stammkneipe „van Gogh“. Ich lernte interessante Menschen kennen, darunter manche Exzentriker, aber auch stille melancholische Wesen. Wir diskutierten viel, tauschten Musikaufnahmen aus, tobten auf Konzerten und Partys, fotografierten, machten uns aber auch Sorgen. Es war kurz vor dem Zerfall Jugoslawiens, auf den mehrere Kriege folgten. Viele konnten die Gefahren verdrängen, doch innerhalb der Szene spürte man eine Untergangsstimmung, die als Verstärker aller Leidenschaften wirkte. Ich färbte viele Kleidungsstücke schwarz, nachdem ich lästige Teile abgeschnitten hatte. So bildeten sich schwarze Fransen, die ich als Abbild meiner seelischen Fetzen getragen hatte.

Ich habe auch selber angefangen zu nähen und meine Haare in ein schwarzes Nest verwandelt. Wenn jemand nach London gereist war und Platten mitbrachte, waren wir schnell dabei, zahlreiche Kopien auf Kassetten unter uns zu verteilen. Es war interessant für mich, einige Punk- und Dark-Wave-Bands Ende der 80er und Anfang der 90er kennenzulernen, die bereits zu meiner Ost-Berlin-Zeit bestanden hatten. Darunter waren Joy Division, Bauhaus, The Residents, The Sisters of Mercy, The Sound, Siouxsie and the Banshees, Fields of the Nephilim, Dead Can Dance, Cocteau Twins, King Crimson, Tuxedomoon und viele andere. Im „van Gogh“ lief auch Punk, Musik von Kraftwerk, ab und zu David Bowie und jugoslawische Bands wie Laibach oder Mizar.

Gegenüber von unserer Stammkneipe war eine Mauer, auf der wir oft gesessen haben, manchmal nachts auch lange nachdem sie geschlossen hatte. Manchmal waren wir nur albern oder dadaistisch, manchmal diskutierten wir lange. Die Szene war äußerst heterogen, es gab expressive und impulsive Menschen, aber auch stille und schüchterne. Zahlreiche unter ihnen reflektierten viel und waren gesellschaftskritisch. Gemeinsam war bei fast allen eine Abscheu vor oberflächlichem Herdenverhalten und Druck durch Konventionen. Wir diskutierten über Nietzsche und Schopenhauer, Bach und Beethoven, Malerei und Fotografie, aber auch über spirituelle und metaphysische Themen. Ich habe mich fremd in der Welt, doch in der Szene zu Hause gefühlt, im Wunderland.

Stef und Ana aus Skopje
Štef und Ana aus Skopje

Als ich anfangs noch wenige Leute in „van Gogh“ kannte und einmal traurig vor mich hin saß, setzte sich ein Bekannter neben mich und meinte dass wir uns zwar kaum kennen, aber dass er mich liebt. Es war freundschaftlich gemeint, in meiner Muttersprache werden Wörter wie Liebe und Seele häufiger gebraucht. Ich liebte ihn bald auch sehr, Štef wurde einer meiner besten Freunde. An dem Abend hatte er meinen tiefen Schmerz gespürt und wollte mir nahe sein. Er rief mich raus und wir gingen in den nahen Waldpark. Ich solle mich abreagieren und meinen Zorn rauslassen. Wir brüllten die dreckigsten Schimpfwörter in den Äther, traten, sprangen und wirbelten uns, bis wir irgendwann fast in Gelächter erstickten. Dann liefen wir zurück und tranken weiter.

Wer weiß was einige dachten, bestimmte Scherze hatten wir immer wieder gehört, auch wenn wir uns so doll gedrückt und im Gras gewälzt hatten. Unsere Liebe blieb immer freundschaftlich, anders wäre beiderseits eine Abneigung wie vor Inzest aufgekommen. Wir waren uns sehr vertraut und tauschten uns über unsere Liebe zu anderen Menschen aus, die mit Begehren verknüpft war.

Der Krieg hatte bereits angefangen, zwar nicht in Mazedonien, sondern in anderen Teilen Jugoslawiens. Die Jugoslawische Volksarmee hatte davor in einer Nacht viele junge Männer aus den Wohnungen geholt und rekrutiert. In jener Nacht war ich im „van Gogh“ und mit einigen bis dahin noch wenig bekannten Leuten haben wir gemeinsam unseren Schock verarbeitet. Mein damaliger Partner war auch weg, seine Mutter hatte es mir weinend am Telefon erzählt. Wir wussten eine Weile nicht wo er ist und ob er lebt, und so ging es vielen. Wir konnten ihn einmal in kurz vor einer Kaserne sehen, er war verschlossen und wollte nicht kommunizieren. Ich musste bald mit Štef darüber reden.

Wir telefonierten leise nach Mitternacht von zu Hause aus und verabredeten uns. Wir wohnten noch bei unseren Eltern, üblicherweise gab es in Haushalten nur ein Festnetz-Telefon, das meistens im Flur war. Es war auch nicht drahtlos, es war nicht einfach möglich, ungestört länger zu telefonieren. Anfang der 90er hatte man weder Handys noch Internet. Wir liefen los, wohnten ungefähr an zwei Enden einer sehr langen Straße, der Partizanska (Partisanenstraße), und trafen uns in der Mitte. Die sonst stark befahrene Straße war nahezu stumm zu dieser Niemandsstunde, nur einige streunende Hunde bellten kurz und beruhigten sich bald. Wir redeten bis zum Morgengrauen.

Hinki mit geschnittenen Haaren
Hinki, mein weiser Schamane

Kurz vor dem endgültigen Zerfall Jugoslawiens bin ich nach Frankfurt gezogen, doch in diesem grausigen Sommer 1991 war ich in Skopje. Ich war immer wieder dort, und jedes Mal fehlten mehr und mehr der Leute aus der Szene. Antoni und Drakula (Saša) kamen bereits nach einer gemeinsamen Reise nach Amsterdam nicht mit zurück, aus Angst vor der Rekrutierung. Antoni ist damals nach Ägypten gereist und hat sich mit einem Kamelführer angefreundet. Wir haben uns mal bei seiner Durchreise über Frankfurt gesehen, haben uns mit einer Weinflasche an den Main gesetzt und er hat erzählt. Sein intensivstes Gefühl, das ihn bei einer Ankunft in eine Oase überkommen hat, hat er mit niemandem aus seiner Heimatstadt Skopje in dem Moment teilen können. Für seinen ägyptischen Freund ist es Teil des Alltags gewesen. Antoni lebt jetzt in der Nähe von Granada, Drakula in Rom. Robertino, den wir auch Laibach nannten, war auch weg. Er lebt in London, arbeitet im IT-bereich und ihm geht es gut. Für ihn sollte ich früher hin und wieder Texte aus dem Deutschen übersetzten, wir haben auch mal auf der Straße zusammen Lili Marleen gesungen. Anderen früheren Freunden ging es seitdem nicht gut. Hinki lebt, aber er ist kaputt.

Er war heroinabhängig und hat alle seine wunderbaren Gemälde verkauft. Zu der Zeit des latenten Krieges dort konnten viele den Zustand ohne Dröhnung nicht aushalten. Musiker schlossen sich lange in Garagen ein und spielten, um sonst nichts zu hören. Viele sensible junge Menschen waren drogenabhängig, auch welche, von denen ich es niemals hätte glauben können, wenn ich ihnen nicht in ihrem qualvollen Dasein begegnet wäre. Hinki war der Spitzname von Zlatko, auch Häuptling genannt. Er war Maler und ein charismatischer Performancekünstler mit einer durchdringenden tiefen Stimme, trug seine langen schwarzen Haare in einem dicken Zopf geflochten. Er lebt noch, ist aber für mich lange nicht mehr greifbar als Person, er ist nicht bei sich, er ist weg. Dabei war er mein weiser Schamane, konnte mir mit wenigen Worten so treffend meine Fragen beantworten oder meine Gedanken öffnen.

Ružni (übersetzt: Der Hässliche), ein sehr sympathischer Punk, ist tot. Bela Rada (übersetzt: Gänseblümchen), ein energischer intelligenter ehemaliger Punk-Schlagzeuger, lebt in der Schweiz und arbeitet als Krankenpfleger. Einige leben noch dort, in Skopje. Džabir, der früher auf Tische stieg und seine Gedichte aufsagte, kämpft über seine NGO dort für Menschenrechte.

Frankfurt

Die ersten Jahre in Frankfurt waren von Heimweh und Sorgen begleitet. Ich setzte mein Architekturstudium in Darmstadt fort, nach einigen Jahren zog ich dahin. Im Studium waren sehr wenige, mit denen ich mich über Musik austauschen konnte. Ein Punk, den ich nur kurz kannte, schenkte mir eine Joy-Division-CD bevor er das Studium abbrach und seiner Weg ging. Es war die Zeit, als die ersten Alben auf CD erschienen.

Hauptfriedhof in Frankfurt
In den 90ern besuchte ich auch den Frankfurter Hauptfriedhof

Im Laufe der 90er wurden Gruftis in meinem Umfeld rar. Noch zu Beginn der 90er kaufte ich die Zeitschrift Zillo, später auch Orkus, ging in Frankfurt alleine zum Negativ oder Sinkkasten, zu Konzerten von Alien Sex Fiend und Dead Can Dance. Ich war introvertiert und habe kaum Kontakte geknüpft. In einer kleinen Clique hörten wir noch Tuxedomoon oder The Mission im Studentenwohnheim, mit anderen ging ich in die Goldene Krone, ein Kulturhaus durchzogen von echten Spinnennetzen.

Ein interessantes Phänomen aus dieser Zeit waren missverständlich wahrgenommene Codes meiner Kleidung und Verhalten. Mit meinem langen schwarzen Samtmantel und dem nach unten gerichteten Blick wurde ich manchmal für eine fromme Gläubige gehalten. Ich hatte meine schweigsamen Tage, an denen mir Selbsterklärungen mühsam waren und ich dadurch interessante Offenbarungen aus verschiedenen Kulturkreisen bestaunen konnte. Im Laufe der 90er habe ich mich mit den meisten Freunden in der Studienzeit in die Techno-House-Kultur begeben. Ich kann die Bezeichnungen aller Subgenres aus dieser Zeit nicht flott aus dem Gedächtnis holen. Was jedoch noch sehr Präsent in meinem Gedächtnis schwebt ist die Atmosphäre des Café Kesselhaus, mit den Backsteinwänden, Rohren und Gewinden, Stegen, der Dunkelheit und der tanzenden Menschen. Irgendwann wurde das Kesselhaus abgerissen, mein Studium ging zu Ende, ich musste mich orientieren, viel arbeiten und verlor immer mehr den Kontakt zur Musik als wichtige Inspirationsquelle und geistiges Elixier. Musik aus alten Zeiten konnte ich eine Zeit lang nicht hören, denn sie war Teil meines zermürbten schwarzen Wunderlands, das ich in einem Bündel vor mir selbst versteckt hatte, um in den ersten Jahren meines Berufslebens funktionieren zu können.

Seit einigen Jahren lebe ich wieder in Frankfurt, habe neben einigen alten Freunden auch neue interessante Menschen kennengelernt. In Frankfurt und Offenbach findet man verschiedenen Künstlergruppen, die interessante Ausstellungen, Atelierbesuche, Zwischennutzungen von Gebäuden, Rauminterventionen und Partys organisieren. Ich war und bin noch immer inspiriert vom regen Austausch mit vielen verschiedenen Menschen aus diesen Bekanntenkreisen, die in vielerlei Hinsicht auf Konventionen pfeifen und damit heutzutage und hier gut leben. Bei Äußerlichkeiten ist es je nach Berufsgruppe unterschiedlich, doch die individuellen Denkweisen empfand ich als unglaublich erfrischend. Es gab jedoch hin und wieder Situationen, in denen mir die für mich unerträgliche Musik die Freude dämpfte. Sie stand ja nicht immer im Vordergrund der Treffen, so dass ich versuchte, sie manchmal zu ignorieren.

Vielmehr weckte es aber in mit Durst nach neuer Musik, die ich richtig genießen kann. Bis zur Verbreitung der Musikhörmöglichkeiten im Internet war es ohne entsprechendes Netzwerk und Tipps etwas umständlich, diese zu finden. Ich blätterte verschiedene Musikzeitschriften und las Kritiken zu neuen Alben. Ich ging in Musikläden und suchte nach CDs, und lies sie mir abspielen, wie es lange üblich war. Selten wurde ich fündig, und die Suche war manchmal frustrierend. Auf Konzerte ging ich weiterhin meistens alleine. Ich merkte dass es noch oder wieder eine Schwarze Szene gibt, doch ich war draußen. Irgendwann hatte ich einen Rappel und wollte mich zumindest über die Entwicklungen der letzten Jahre informieren und stöberte neugierig im Internet. Das war im Jahr 2011. Ich hatte mal einen Stammbaum mit der Entwicklung der Techno-Subgenres gesehen, und habe nach etwas Ähnlichem für Darkwave oder Gothic gesucht. Sogar bei Wikipedia war ein Eintrag über die Schwarze Szene, der inzwischen erweitert ist, vor allem die Einzelnachweise. Unter Literatur war ein Link von einer Online-Fassung einer Diplomarbeit mit dem Titel „Entstehung, Inhalte, Wertvorstellungen und Ziele der schwarzen Szene – Die Jugendkultur der Waver, Grufties und Gothics.“ von Frauke Stöber. Den Text habe ich ausgedruckt und mit auf meinen Flug nach Skopje genommen. Es war sehr aufregend, nach so langer Zeit wieder eine Art Kontakt mit der Szene zu knüpfen.

Bibi Blue

Beim Zwischenstopp am Flughafen in Ljubljana, habe ich im Internet weitergestöbert und bin auf Black Flirt gestoßen. Ich mochte Partnerbörsen nie, doch alleine die Spalte mit über 80 aufgelisteten Szenetypen faszinierte mich. Verschiedene Metal- und Rock-Subgenres, aber auch Batcave, Darkvawe, Gothic und andere mir bis dahin unbekannte Wortkombinationen wie Endzeitromantiker. Das war eine riesige Informationsquelle, ich bin durch die Profile gehuscht und mir Bandnamen aufgeschrieben, diese angehört, mit einigen Leuten mich bald ausgetauscht und bin bald auf die Seite von Schwarzes Glück und dem Forum Schwarzes Rhein-Main hingewiesen worden (das es leider nicht mehr gibt). Im Forum gab es Informationen über den regelmäßigen Stammtisch in der Kleinen Hölle in Sachsenhausen in Frankfurt, Planungen von gemeinsamen Konzertbesuchen und anderen Unternehmungen, Austausch über Musik, Bücher und anderen Themen. Ich hatte mich registriert und drauflos kommentiert. Später merkte ich dass sich neue Mitglieder ausführlich vorstellten. Irgendwann habe ich mich getraut, live dazu zu stoßen, obwohl ich niemanden von den Mitgliedern persönlich kannte. Ich ging zum Schwarzen Opernplatztreffen in Frankfurt am 1. September 2012. Ich habe bereits an dem Tag wunderbare Menschen kennengelernt, mit denen ich inzwischen befreundet bin. Kurz darauf war ich mit einer Gruppe aus dem Forum zum gemeinsamen Fotoshooting auf dem Schloss Auerbach und zur Ausstellung „Schwarze Romantik“. Und ich muss gestehen, ich war 2015 zum ersten Mal auf dem WGT. Ich freue mich schon riesig auf das kommende Jubiläumstreffen, der Blauen Stunde und dem Spontis-Treffen. Ich lese gerne die Beiträge bei Spontis und Der schwarze Planet. In letzter Zeit habe ich viele neue Musikrichtungen und deren Vertreter kennengelernt und Freunden aus Skopje davon berichtet. Mein schwarzes Wunderland formiert sich neu.

Gothic Friday Februar: Schwarzes Werden und Sein

7

Zwar überschneidet sich mein Beitrag naturgemäß mit meinem Bericht über meinen „schwarzen“ Werdegang und die Szene in Berlin, aber ich habe mich entschlossen  – auch für diejenigen, die den anderen Artikel nicht kennen – alles auszuführen. Auch hatte ich schon zu einem früheren Gothic-Friday-Thema „Ist Gothic (d)ein Lebensstil?“ einen bislang unveröffentlichten Artikel verfasst, den ich zum Teil mit einfließen lasse. Lebensstil, Lebenseinstellung, Lebensgefühl… die beiden letzteren Begriffe fallen ja häufig, wenn jemand versucht, zu erklären, warum er ausschließlich schwarz trägt und dunkle Musik hört. Ich würde „Lebensstil“ als etwas definieren, was auch äußerlich sichtbar ist (die Schale). Lebenseinstellung bzw. Lebensgefühl würde ich als etwas einordnen, das eher im Inneren stattfindet und nicht automatisch sichtbar nach außen dringt (der Kern). Beides bedingt einander nicht, aber es kann sich auch kombinieren, und wenn es dann auch stimmig ist, das Ergebnis – z.B. eine Szenezugehörigkeit – von längerer Dauer sein.

Ist Gothic mein Lebensstil/-gefühl?
Ich denke schon. Ich verbringe nun über 25 Jahre mit schwarzen Klamotten, dunkler Musik und umgebe mich auch gern mit dunklen Dingen und Orten. Und ich war immer eher nachdenklich, an der Vergangenheit interessiert, kann mich nicht mit der Leistungs- und Spaßgesellschaft identifizieren. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht mit der schwarzen Musik in Kontakt gekommen wäre. Dann wäre ich innerlich vermutlich nicht anders – aber äußerlich vielleicht? Keine Ahnung. Das werde ich nie erfahren und es sprengt auch meine Vorstellungskraft. Außerdem fehlen mir Vergleichsmöglichkeit durch Erfahrungen in anderen Szenen. Aber ich fühle mich mit diesem Stil wohl und ich bin ihm treu geblieben, daher ist es für mich durchaus ein Lebensstil, im Sinne von Stil FÜR’S Leben und zum Teil auch WIE ich lebe. Mein Alltag unterscheidet sich nicht von dem anderer Menschen, aber meine Freizeit gestalte ich bewusst teilweise – nicht ausschließlich – mit szenetypischen Dingen. Meine Interessen sind vor allem Fotografie, Natur, alte (bzw. marode) Gebäude, historische Orte, Geschichte, Kunst, Bücher und Gedichte.

Anfangs hab ich mir kaum Gedanken darum gemacht, warum ich schwarz wurde. Ich mochte die Musik von Depeche Mode und The Cure, aber Klamotten waren anfangs eher egal, bis auf Shirts mit Band-Motiven. Die Freundin, die mich mit beiden Bands „infinzierte“ und die dann mit dem typischen Robert Smith-Schlabber-Look herumlief, schaute ich sogar nur skeptisch an. Wen ich allerdings cool fand, war Simon Gallup von The Cure. Und Bela B. von den Ärzten ;-)
Erst als ich 1990 auf ein Zillo-Magazin stieß, eröffnete sich mir die Szene auch optisch – die Verbindung von schwarzer Kleidung und oft filigranen, silbernen Accessoires fand ich cool. Und in den Kleinanzeigen las ich von Leuten, die Gleichgesinnte suchten – mit Vorlieben für alte Geschichte, Kunst, Poesie… Das war etwas, was mich schon länger interessierte. Und es war oft davon die Rede, Außenseiter (gewesen) zu sein. Das war ich auch, seit meiner Vorschulzeit und die gesamte Schulzeit hindurch. Ich war viel allein, hatte nur wenige Freunde und beschäftigte mich viel mit mir selbst. Ich las viel, schrieb eigene Geschichten, zeichnete. Und ich schaute gerne Sendungen über Archäologie, untergegangene Kulturen und vergangene Epochen. Damit konnten Gleichaltrige nur wenig anfangen. Als ich 1987 auf eine andere Schule wechselte, wo es schon früh um Trends und Markenklamotten ging, war ich fast die einzige, die sich aus diesen Gruppenzwängen ausklinkte. In Sachen Styling und Musikgeschmack fiel ich etwas aus der Reihe. Um Trends habe ich mich nie groß gekümmert und ich wollte immer so akzeptiert werden, wie ich bin.

1993 - Caro unterwegsDas wurde natürlich schwieriger, als ich begann, mich immer schwärzer zu kleiden. Es war neu für mich, mich mit meinem Outfit zu beschäftigen. Aber es war auch etwas, das mich reizte und das ich ungeachtet der Reaktionen meines Umfelds wollte. Ich hatte etwas gefunden, das mich ästhetisch ansprach, in dem ich mich wohl fühlte und worüber ich mich zugleich ausdrücken konnte. Was wollte ich ausdrücken? Das war anfangs nicht klar, zumindest stand kein Wunsch nach Abgrenzung dahinter, auch wenn ich schon irgendwie stolz war, mich nicht von Trends dirigieren zu lassen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Klassenkameradin, die zugab, immer das zu tragen, was gerade angesagt sei – egal, ob es ihr gefällt oder nicht. Nur um dazuzugehören. So wollte ich nie sein, ich fand dieses Anbiedern erbärmlich. Ich nahm es in Kauf, anzuecken, aber mit Anfeindungen kam ich nie klar – Toleranz und Akzeptanz wollte ich schon. Offene Rebellion oder Provokation war nie meins. Auch wenn es sicher bescheuert klischeehaft klingt, so wurde mein Stil zu etwas, was das Innere nach außen tragen und daher das Innere zugleich schützen konnte – dadurch, dass es mich selbstbewusster machte. Wenn man sich in seinem Outfit wohl fühlt, ist man entspannter und tritt sicherer auf. Gelegentliche Attacken in Form dummer Sprüche können dann böse wehtun, aber nicht wirklich verunsichern.
Insofern war meine Kleidung für mich irgendwann auch ein Schutzschild, so wie die Musik und die Szene für mich wie ein Gerüst im Alltag geworden sind, an denen ich mich orientiere und die mir einen gewissen Halt geben.

In unserer Gesellschaft erlebt man täglich, dass an die Stelle von Miteinander, Zusammenhalt und Rücksicht Egoismus, Gier, Geiz ist Geil und Ellenbogenmentalität treten. Zugleich werden (negative) Emotionen und Zustände immer mehr zum Tabu und ausgeblendet, man hat immer gut drauf und leistungsfähig zu sein. Ich war schon immer recht sensibel und emotional, empfinde sowohl Schlimmes als auch Schönes sehr intensiv. Das Positive daran ist, dass ich mich auch für kleine Dinge sehr begeistern und an vielem erfreuen kann, an dem die meisten Menschen achtlos vorüber gehen. Abgestumpfte Menschen haben es vielleicht manchmal leichter, aber Emotionen machen das Leben gehaltvoller und reicher.

2001 - Caro mit Kater auf dem BalkonSchnittmengen
In der Schwarzen Szene stieß ich auf Menschen, die sich nicht schäm(t)en, Gedanken und Gefühle auszudrücken und zuzulassen: durch Musik, Texte, Gedichte, Kunst und Gespräche. Die sich ebenfalls an Dingen und Themen mit Geschichte erfreuen. Brieffreundschaften mit anderen Schwarzen und mein Umzug zurück nach Berlin mit Szeneanschluss durch ältere Brieffreunde gaben mir ein Gefühl von Zugehörigkeit. Hier wurde ich akzeptiert, wie ich war, und das tat gut.
Bei gelegentlichen Besuchen nichtschwarzer Veranstaltungen fiel mir auf, dass mir auch die schwarze Partykultur viel eher zusagt: wenig übermäßiger Alkoholkonsum, wenig Pöbeleien und dumme Anmachen im Vergleich zu „normalen“ Partys. Keine zur Schau getragenen Bierbäuche, keine Prolls, wenig Zugedröhnte und dadurch Unberechenbare, Aggressive. Eher ein Schwelgen, Aufgehen in der Musik, gepflegte Unterhaltungen (wenn/wo möglich), Rücksichtnahme und am Wichtigsten: das Gefühl, nicht unangenehm exotisch herauszustechen, umgeben von Menschen mit ähnlichem Musik- und Kleidungsgeschmack, die eine gewisse Ästhetik pflegen. Hinzu kam infolge der vielen Gemeinsamkeiten ein familiäres Gefühl, wenn man ausging. Die meisten kannten sich – zumindest vom Sehen – und die Veranstaltungen waren daher weniger anonym. Man kam schneller miteinander ins Gespräch und hatte rasch Gesprächsthemen.
Auch außerhalb der Szene habe ich einige Bekannt- und Freundschaften, und natürlich gibt es auch dort viele Gemeinsamkeiten. Allerdings sind es durchweg Menschen, die wie ich selbst eher Außenseiter sind/waren, die insgesamt nachdenklicher sind oder eben aufgeschlossen sind, nicht nur in Schubladen denken. Ich bin froh, dass Gruftis heute nicht mehr so sehr das Klischee der gestörten Satanisten anhaftet, wie es noch vor einigen Jahren gängig war. Dadurch dass Gothic bekannter und „alltäglicher“ wurde, sind Intoleranz und Anfeindungen seltener geworden – zumindest in Großstädten in Berlin wird man kaum noch komisch angesehen. Auch wenn es leider immer noch viele gruselige Berichterstattungen gibt. Doch das war in den 80ern und 90ern wirklich schlimmer – von wegen alles war früher besser ;-)

Und heute?
2012 - Caro heuteHeute sehe ich die aktuelle Szene etwas zwiespältig, sie ist insgesamt oberflächlicher geworden. Ich fühle mich in ihr nicht mehr so heimisch, aber es gibt auch keine echte Alternative. Zum Glück gibt es immer noch Nischen, in denen ich mich bewegen kann, so z.B. einige Veranstaltungen wo sich eher Ältere einfinden. Treffen mit langjährigen und neuen Freunden. Und dann Plattformen wie (früher das „Schwarze Berlin“ und) Spontis, in denen noch interessanter intensiver Austausch stattfindet.

Mein Alltag bietet natürlich auch wenig Szeniges, doch wenn ich nach Hause komme, läuft fast immer entsprechende Musik. Ich umgebe mich gern mit Dingen, die ich schön finde und habe meine Wohnung in eine kleine dunkelbunte Höhle verwandelt, die zugleich mein Zufluchtsort ist. Auch wenn ich mich nicht mehr so stark über’s Styling definiere – der Alltag lässt das auch gar nicht richtig zu – so trage ich doch immer noch fast ausschließlich schwarz.
Stilistisch habe ich mein Ding gefunden, wobei das nicht heißt, dass ich nicht über den Tellerrand schaue, auch musikalisch. Aber ich kann mir nach über 25 Jahren in schwarzen Klamotten kaum vorstellen, mal total stinknormal in bunter Kleidung rumzulaufen. Ich käme mir regelrecht verkleidet vor. Ich mache mir keine Gedanken (mehr) darum, warum ich fast ausschließlich schwarz trage, es ist einfach das, worin ich mich wohl und schick fühle. Nicht trist, nicht erhaben, nicht provokant – einfach nur vertraut und gefällig. Und langsam kann ich auch vom Alter her von mir behaupten, dass ich ein Grufti bin ;-)

Schublade „Schwarz“
Ich schäme mich meiner Szenezugehörigkeit nicht, wunder mich nur immer wieder, mit welcher Vehemenz manche sich dagegen wehren, mit dem Etikett Grufti/Gothic versehen zu werden – als bedeute es eine Brandmarkung, die schmerzhaft ist und Individualität im Keim erstickt. Wenn mich jemand fragt, was ich bin, würde ich eher antworten, dass ich „schwarz“ oder ein Grufti bzw. Waver bin. Unter Gothic wird heutzutage so dermaßen viel Verschiedenes zusammengefasst, dass es schwer ist, sich in dem Begriff wiederzufinden. Ich bin „schwarz“ bezeichnet zwar erstmal auch nur das hauptsächliche Tragen einer (Nicht-)Farbe, aber eine solche Antwort animiert das Gegenüber eher zum Nachfragen, als wenn ein – scheinbar – klarer Begriff verwendet wird. Als ich zur Szene stieß, hießen wir noch Gruftis und daher ist der Begriff mir vertrauter.

Gothic Friday Februar: Dude, where is my scene?

6

Die ist ein Gastbeitrag von +VLFBERH+T zum Gothic Friday 2016.

Um meinen musikalischen Weg irgendwie darzustellen, versuche ich es hierüber: Ich verteile ’ne Menge YouTube- und Bandcamp-Links im Text zu Bands die irgendwie meinen Weg beeinflusst haben. Die Reihenfolge ist durcheinander gewürfelt, aber das passt irgendwie zu meinem Musikgeschmack…

Kann man in meinem Fall überhaupt davon sprechen, dass ich „in” der Szene bin? Drumherum orbitierend trifft es wohl eher, mal näher, mal ferner.

Und welche Szene? Irgendwie ist ja „meine” Szene eher irgendwo im Feld (Harsh) Noise/Industrial/Dark Ambient/Neofolk zu verorten. Drauf gebracht wurde ich von einem Protagonisten der deutschen Neofolk-Szene, mit dem meine musikalische Überschneidung bis dato vor allem obskurer Black Metal war. Zwar waren mir vorher schon die wohl bekanntesten Vertreter des Neofolk (Death in June) ein Begriff, aber so wirklich reingehört hatte ich nie.

Was mich sofort ansprach war weniger die Szene (ich weiß bis heute nicht, was genau jetzt eigentlich die verbindenden Elemente der Gemengelage von  Neofolk und Artverwandtem sein sollten) denn die Musik. Von bewusstem Pop-Appeal über abgedrehten Ambient bis hin zu purer Verachtung gegenüber der Welt und aller ihrer Bewohner umfasst diese Subkultur der Subkultur einen ganz  eigenen Horizont an Themen.

Meine musikalische Entwicklung ist und war immer eher das:  Eine musikalische Entwicklung. Bevor ich zum Neofolk kam war meine präferierte Musik der Black Metal, eine Musikrichtung die ich immer noch wahnsinnig gerne höre. Interessanterweise gibt’s grob aus der Richtung da auch musikalische Überschneidungen, siehe die Zusammenarbeit von zwei Agalloch-Mitgliedern bei Sol Invictus, Agallochs Cover von „Kneel to the Cross”, oder das äußerst empfehlenswerte Sideproject von Thomas Bøjden (Die Weiße Rose) „Procession of Headless Angels”.

Jedoch war das nie die einzige Richtung, für die ich mich begeistern konnte und kann. Beispielsweise habe ich schnellere elektronische Musik damals schon gerne gehört oder audiophile Gitarrenmusik. Ein Album, welches mich zum Erscheinen 1998 wahnsinnig interessiert hat war Marilyn Mansons „Mechanical Animals“, alle voran ein Song. In diese Zeit fällt auch meine Begeisterung für progressiven Metal und Hardcore. Hardcore stellte sich als das heraus, was dann meinen sonstigen Musikgeschmack massiv beeinflusste. Zu verdanken war das dem HydraHead-Label unter Führung von Aaron Turner, dem Frontmann von Isis. Auf dem Label erschienen mehrere Künstler, die meinen Geschmack nachhaltig prägten: Converge, The Dillinger Escape Plan, Cave In sowie die phänomenalen Neurosis.

…Crushing love of lust and blood

Aus meiner Metal-Zeit ist mir vor allem die szenetypische Bekleidung, oder eher der Mangel daran geblieben. Ein Bandshirt und wenn’s hoch kommt ein Erbstarn-Blouson mit ein paar Patches und Buttons sind das Höchste der Gefühle was die semiotische Leistung meiner Klamotten angeht; eine gewisse Biederkeit dort kann ja auch ihren Reiz haben.

Was als konstituierendes Element der Neofolk-Szene gilt könnte ich nicht mal sagen. Im Zweifel ist es der (auch politische) Obskurantismus, das Spiel mit dem Spiel mit Symbol. Diese Vorliebe dürfte ich aus der Plattensammlung meines Vaters haben, da die Gegenüberstellung von Text und musikalischer Darbietung nichts Neues ist. Ich kann mich noch daran erinnern, dass meine Eltern sich darüber gefreut haben, dass ich den Text nicht verstanden habe.

Zum (meta)politischen Aspekt des Neofolk möchte ich eigentlich nur sagen: Ich finde die Politisierung schade. Dadurch wird aus dem bewussten Spiel mit  dem Unklaren ein trauriger politischer Grabenkampf, der meiner Meinung nach in der Szene nichts verloren hat. Was mich bis heute in der Szene hält – so weit ich überhaupt davon sprechen kann, in der Szene zu sein – ist die Fähigkeit der Szene, immer wieder Großartiges hervor zu bringen. Es war, ist und wird immer die Musik sein.