Musikperlentaucher: Stahl im Spiel des Feuers (Tauchgang #45)

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Schon lang nicht mehr getaucht„, sagte ich zu mir. Ich prüfte wie üblich den Verlauf meines Youtube-Accounts und stöberte in unzähligen Playlisten, in die ich immer mal wieder ein Fundstück schiebe. Erste Erkenntnis! Ich höre Lieblingslieder immer wieder. Wow, welch Meisterleistung der tiefgründigen Analyse. Zweite Erkenntnis! Es sind völlig andere Lieder als die, die ich in eine in diesem Augenblick gefühlte Liste meiner persönlichen Songs gesteckt hätte. Ist das Lieblingslied also ein Betrug? Dritte Erkenntnis. Lieblingslieder sind subjektive Konstrukte aus Gefühl, Zeitgeist, Gedanken und Umgebung. Oder sowas Ähnliches. Ihr wisst schon. Eine persönliche Stimmung, während der Sturm gegen die Fenster peitscht. Und dann DIESER Song!

Ich nehme jetzt aber nur die, die mir meine objektive Statistik zeigt, also Songs, die ich ständig spiele und die damit den Titel „Dauerbrenner“ haben dürften. Ich habe die Liste von neueren oder musikalischen Kapriolen gereinigt und doppelte Songs, die bereits in einem Musikperlentaucher erschienen sind, gelöscht. Hier ein paar der Songs, die ich mir besonders häufig angesehen habe. Kurioses Zeug dabei.

Die Kommentaren schreien nach EUREN Lieblingsliedern, die ihr euch bereits seit 20 Jahren anhört und immer noch toll findet. Vielleicht Songs, die euch instant zum Heulen, Tanzen oder Träumen bringen!

Phillip Boa & The Voodooclub – Container Love

Da ich Phillip Boa nicht weiter vorstellen muss, konzentriere ich mich auf die Geschichte hinter dem Song. „Paul“, so hieß angeblich ein Ordner in einem Club in Hagen, hatte eine merkwürdige Beziehung zu einem Container. Phillip Boa war so fasziniert, dass er einmal versuchte in den Container zu kommen, um herauszufinden, was sich dahinter verbarg. Paul verprügelte Boa mit einem Besen für den Versuch und seitdem war der Sänger davon überzeugt, Paul sei verliebt in seinen Container. Die Idee zum Song war geboren. Leider fand Boa den Erfolg des Songs nicht so toll, denn „Wenn man mehr als 10.000 Platten verkauft, verkauft man auch an Idioten.“

Ordo Equitum Solis – Playing With The Fire

Die italienisch/französische Band trifft zu Beginn der 90er-Jahre den Zeitgeist der Szene. Neofolk gehört jetzt fest zum Szeneinhalt und findet auf eine begeisterte zweite Welle junger Gothics, die dem mystisch-okkulten Ansatz der Szenewurzeln nun in fast schon farbenprächtigen Trieben huldigen. Beliebt ist damals auch die Band „Ordo Equitum Solis“ (Orden der Sonne), die die Musik nicht nur spielen, sondern auch offensichtlich verkörpern. Allerdings ist die Mimik und der Ausdruck von Leithana Oes, der Sängerin der Band, bei dem 1993er-Auftritt in Moskau dann doch vielleicht ein bisschen dick aufgetragen. Trotzdem fand ich diese okkult-mystische Strömung damals irgendwie klasse.

Depeche Mode – But Not Tonight

Da machste nichts dran. Depeche Mode muss einfach dabei sein. Nehmen wir „But Not Tonight“, das sich mit „Nothing“ einen der vorderen Plätze sichert. Der Song lockert das Album „Black Celebration“ inhaltlich mit ein wenig Lebensfreude auf, so als wolle es aus Depeche Modes melancholischsten Album doch noch ein wenig Heiterkeit ziehen. Was so gezwungen fröhlich erscheint, ist dennoch die Quintessenz meiner gruftigen Existenz. Nach einem ausgiebigen Bad im Meer der Traurigkeit fühlt sich die wohltuende Brise der Gefälligkeit so richtig an. So verdient. Die Szenen im Hintergrund stammen übrigens aus dem Film „Modern Girls“, der 1986 erschienen ist, aber für mögliche sinnstiftenden Analysen völlig irrelevant ist.

https://www.youtube.com/watch?v=2zeYgd5OK00

Fuzzbox – Rules and Regulations

Eigentlich heißt die Band ja „We’ve Got a Fuzzbox and We’re Gonna Use It“, aber weil das für die Käufer auf dem US-amerikanischen Markt, den die Britinnen erobern wollten, zu lang war, verkürzte man es auf „Fuzzbox„. Das ist übrigens ein Effektgerät für eine Gitarre, das die Mitglieder der All-Girl-Band aus Birmingham ausgiebig nutzten und so ihrer Band diesen Namen gaben. 1985 stürmten sie mit ihrem Sound die Indie-Charts, wurden aber im Laufe der Jahre deutlich poppiger und tauschten ihrer Punk-Style gegen Mainstreamtaugliche Outfits. Schade eigentlich. Zu ihrem Stück „Rules and Regulations“ wäre ich definitiv abgeschlurft. Aber so richtig.

Wochenschau: War 2021 ein profilloser Haufen Bedeutungslosigkeit?

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Neues Jahr, neues Glück! Ist euch eigentlich schon mal aufgefallen, dass der persönliche Jahresrückblick durch das Fehlen sämtlicher Eckpunkte ein profilloser Haufen Bedeutungslosigkeit zu sein scheint? 2021 Blicken wir zurück auf Katastrophen, Unglücke, die Wahlen und das Wetter. Viel mehr war da doch nicht, oder? Natürlich, ich vergaß das exzessive Bingen von Filmen und Serien und den damit verbundenen Ausbau der hauseigenen Streaming-Bubble. Dementsprechend könnte ich euch jetzt durch persönliche Bestenlisten sämtlicher Filmegenre schicken, die letztendlich dann doch immer persönlicher Geschmack sind. Ihr dürft aber gerne in den Kommentaren darauf bestehen, dann werde ich euch auch damit volltexten – es waren aber auch wieder ein paar Überraschungen dabei!

Das vergangene Jahr hat die Szene wieder einmal kaum stattgefunden und verharrt weiter im Kryo-Schlaf der Unberechenbarkeit. Stilecht in schwarzer Jogginghose, Spiderman-Socken und schwarzen Plastiklatschen. Man blicke nur einmal zurück auf ein Jahr Wochenschau, in der ich meine liebe Not hatte, „dunkle“ Themen herauszukristallisieren. Das neue Jahr macht da keine Ausnahme. Ich hoffe, ich kann euch trotzdem unterhalten. Wir harren der Dinge, die da kommen (oder auch nicht) und werden auch weiterhin die Unberechenbarkeit zum Bauchgefühl Nummer 1 begrüßen.

Style-Trends 2022: Gothic – Neue Düsternis fürs Zuhause | Yahoo!

Für Gothic-Deko-Neulinge gibt es bei Yahoo einen anständigen Guide, wie man sein Heim „düster“ einrichten könnte. Jedenfalls nach deren Vorstellungen. Allerdings kommt hier ein Tipp vom Profi: Schwarz zieht den Staub magisch an und verschnörkelte Spiegel und Figuren sind die Entstaubungs-Hölle. „Doch wer jetzt einfach nur an Lack, Leder und schwarzen Eyeliner denkt, macht es sich zu einfach. Beim Gothic geht es vielmehr darum, seinen eigenen, individuellen Stil auszudrücken – auch dann, wenn dieser ein wenig fantasievoller daherkommt. Und so kommt die moderne Form des Gothic etwas erwachsener, aber auch verspielter und sogar kindlicher daher. Rot, Silber und sogar Weiß sind ebenso angesagt wie Schwarz, und Fantasie-Elemente und mittelalterliche Accessoires ebenso erlaubt wie Totenköpfe.

ZDFkultur unterstellt Kinderliedern Rassismus | Ahmad Mansour

Die Woke Cancel Culture der ZDF-Redakteure hat Morgenluft gewittert und sieht in zahlreichen Kinderlieder die „Reproduktion und Klischees und Stereotypen“ und nimmt „Wer hat die Kokosnuss geklaut?“ oder auch „3 Chinesen mit dem Kontrabass“ auseinander. Im letzten Fall wurde der Text kritisiert, weil er „antiasiatische Ressentiments“ unterstütze. Der deutsch-israelische Islam-Experte Ahmad Mansour auf Twitter dazu:

Streamen von Musik boomt auch weiterhin | RollingStone

165 Milliarden Abrufe 2021, 716 Millionen allein am Heiligabend. Das ist wieder mal Rekord. Profiteure bleiben allerdings die wenigsten Künstler. „Heiligabend und Silvester stellten mit 716 Millionen bzw. 674 Millionen Klicks neue Tagesrekorde auf. Und in der Kategorie ‚Meistgestreamte Titel binnen 24 Stunden‘ liegen nun ‚Last Christmas‘ (Wham!, 5,0 Millionen Streams), ‚All I Want For Christmas Is You‘ (Mariah Carey, 4,8 Millionen Streams) und ‚Driving Home For Christmas‘ (Chris Rea, 4,5 Millionen Streams) vorne, die an Heiligabend 2021 rauf und runter gehört wurden.

Die 10 besten Bestenlisten 2021 jenseits der Gothic-Bubble

Zum Jahresabschluss sprießen Bestenlisten aus dem Boden der digitalen Erde in die Höhe und buhlen um die Aufmerksamkeit der Leser. Die meisten davon haben freilich nichts mit Gothic zu tun, sind aber trotzdem enorm spannend. Bei mir immer vorne dabei, der Musikexpress, der in musikalisch-intellektueller Färbung die 10 besten Filme nominiert. Größtes Kopfnicken: Nomadland, größte Empörung in dieser Liste: Ich bin Dein Mensch. Wenn ihr mit dieser Liste übereinstimmt, sei Euch auch noch die Serienliste ans Herz gelegt, die ich aber nicht so feiere.

Ein rein Zahlen- und zugriffsbasierte Zusammenstellung, die aber nicht weniger spannend sein dürfte, sind die Top-Listen von YouTube für den deutschen Teil der Videoplattform. Der Zerstörer Rezo landet gleiche mehrfach auf Platz 1, darunter auch in den Most-Trending Videos mit seinem „Zerstörung Teil I: Inkompetenz“ und als „Top Creator 2021“ mit seinem neuen Kanal Renzo. Schön auch, wenn „Kinder“ Shirin David fragen, was ein Bubble Butt ist. Musikalisch tun sich allerdings Abgründe auf. Mit Platz 1 „The Weeknd – Save Your Tears“ könnte ich mich ja noch abfinden und sogar fast anfreunden. Der Rest ist allerdings gruselig bis absurd. „KASIMIR1441 x BADMÓMZJAY – OHNE DICH“ – was zur Hölle ist das? Das finde ich nicht nur musikalisch schlecht, sondern auch inhaltlich und visuell. Da ist mir „Apache 207 – Angst“ deutlich lieber, auch wenn es natürlich über dem üblichen Tellerrand liegt.

Internetmemes entstehen immer dann, wenn absurde Dinge so absurd sind, dass man sie nur noch mit Humor verstehen kann. Politik, Prominente, Musiker und Filmstars sorgen regelmäßig für Nachschub, den das Internet dann genüsslich parodiert. Die Deutsche Welle kürt dementsprechend die besten Memes des Jahres 2021, wobei mein klarer Favorit vom Januar 2021 stammt:

Natürlich darf auch die wichtigste Sache in Internet nicht fehlen, die Schadenfreude. Die FailArmy lädt wieder dazu ein, sich über 1 Stunde von den spektakulärsten Missgeschicken der Menschheit berieseln zu lassen.

Gemeinsam Lauter: Augsburg | BR Kulturbühne

Der Bayerische Rundfunk rief in seiner Serie „Gemeinsam Lauter“ zum Erhalt der Clubszene auf. Bei einem Besuch in Augsburg interviewte man nicht nur ortsansässige Clubbetreiber und DJs, sondern auch 2 musikalische Sets von rund 1 Stunde Länge. Mit dabei: Young&Cold Records aus Augsburg. Einfach mal reinhören. Ab 59:30 gehts los mit den Augsburgern im örtlichen City Club. Hätte auch gerne das Video hier eingebunden, geht aber leider nicht.

Foo Fighters machen eigenen Horror-Film | YouTube

Dave Grohl hat die Nase voll von Musikvideos und Dokumentationen, er möchte auch mal was anderes machen. Mit „Studio 666“, einer Mischung aus Musik, Comedy und Horror bringen die Foo-Fighters ihren ersten Film heraus. Es beginnt mit der Besprechung zu ihrem zehnten Album, für das die Musiker Inspiration suchen. Die hoffen sie auf einem historischen Anwesen in Encino zu finden, doch gleich zu Beginn beschleicht Grohl: „Spürt ihr auch dieses überwältigende Gefühl von Tod?“

The Northman mit Björk als Hexe | IMDb

Der Wikinger-Hype bekommt auch 2022 neues Futter. In „The Northman“ geht es wieder um Rache, viel Gewalt und ein düster-dunkles Island im 10. Jahrhundert. Spannend ist allerdings die Besetzung, so sind mit Nicole Kidman, Willem Dafoe, Ethan Hawke und Alex Skarsgård nicht nur hochkarätige Schauspieler dabei, sondern auch das Enfant Terrible der nordischen Insel, Björk, gibt sich die Ehre.

Sisters with Transistors: Die verkannten Heldinnen der elektronischen Musik | ARTE

Eine Dokumentation bei ARTE zeigt eine wenig beleuchtete Nische der elektronischen Musik. „Von den unbegrenzten Möglichkeiten digitaler Synthesizer bis zur Demokratisierung des Musikmachens für eine Generation sogenannter Schlafzimmerproduzentinnen und -produzenten, die am Computer Musik erzeugen: Jede dieser Entwicklungen steht in direktem Zusammenhang mit der Arbeit und dem künstlerischen Schaffen der Frauen, die in „Sisters with Transistors“ ihren Auftritt haben. Clara Rockmore, Daphne Oram, Bebe Barron, Delia Derbyshire, Maryanne Amacher, Pauline Oliveros, Wendy Carlos, Eliane Radigue, Suzanne Ciani, und Laurie Spiegel gehören zu den Pionierinnen des modernen Klangs – und dennoch haben die allermeisten Menschen noch nie von ihnen gehört.

Ist der Doomer die virtuelle Reinkarnation des Gothics?

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Den Doomer schiebe ich hier schon eine Weile thematisch von links nach rechts, allerdings muss ich mich langsam mit den (virtuellen) Subkulturen der Generationen am Ende des Alphabets eingehend beschäftigen. Vielen Intensivnutzern des Internets wird der Doomer schon längst ein Begriff sein, wie ich vermute, schließlich geistert dieser Begriff schon seit einigen Jahren durch die Informationsblase. Jedenfalls durch meine.

Im Zusammenhang mit der russischen Band IC3PEAK, über die ich jüngst berichtet habe, tauchte der Begriff wieder vermehrt auf, sodass ich endlich das Ei auch einmal ausbrüten sollte, auf das ich mich mit dem „selbstauferlegten Blick über den Tellerrand der eigenen Subkultur“ gesetzt habe.

Der Doomer

Verhängnis, Verderben oder Verdammnis. Die Übersetzungen des englischen Wortes „Doom“ sind vielfältig. Im Langzeitgedächtnis der Generation X (das sind die, die zwischen 1965 und 1979 geboren sind) dürfte wohl das gleichnamige Videospiel aufploppen, das mir im zarten Alter von 19 blutrünstige Nächte bescherte. Darin öffnet ein fehlgeschlagenes Experiment das Tor zu Hölle und verwandelt Menschen in Zombies, die es möglichst zahlreich und kreativ zu vernichten gilt. Damit hat der Doomer allerdings wenig gemein, bis auf die gleichnamigen Nenner Verhängnis, Verderben oder Verdammnis.

Entstehung (Vermutlich)

Ursprünglich wurden 2008 so einige Anhänger der Prepper-Bewegung genannt, die sich erst im Stillen und dann immer öffentlichkeitswirksamer auf ein mögliche Ende der Welt vorbereiteten. 2011 entwickelt sich mit der Reality-Serie „Doomsday Preppers“ ein regelrechter Hype um den Trend, sich auf alle denkbaren Katastrophen einzustellen, Vorräte zu lagern, Bunker zu bauen oder persönliche Verteidigungsstrategien gegen alle denkbaren Ereignisse zu erarbeiten. Vor allem in den USA wächst das zu einer Weltanschauung, aber auch in Deutschland bilden sich zahlreiche Formen der Prepper-Bewegung.

Der Doomer war also jemand, der daran glaubte, dass die Welt sich früher oder später selbst zu Grunde richtet. Soweit so gruftig. Der Gothic sieht das ganz ähnlich, er will allerdings nicht praktisch auf ein Ende der Welt vorbereitet sein, sondern lediglich äußerlich. Er kleidet und schminkt sich so, als stünde das Ende der Welt unmittelbar bevor.

Entwicklung (Möglicherweise)

2009 sickert der Begriff „Doomer“ langsam in die Netzkultur und wird auf Reddit zum sogenannten Subreddit r/doomer, in dem sich Internetjunkies gemeinsam über globale oder individuelle Endzeitszenarien austauschen. Geprägt werden die Themen von einer ausufernden Hoffnungslosigkeit und Resignation, die nicht mehr den Sinn im Leben suchen, sondern die Sinnlosigkeit desselben bereits akzeptiert haben. Hier wird jeder negative Entwicklung auf unserem Planeten überspitzt zum Höhepunkt getrieben

Am alternden Gothic, für den die Welt bereits Mitte der 80er zum Scheitern verurteilt war, geht diese Entwicklung in der Regel vorbei, denn das letzte mal, als sie sich im Internet einwählten, haben sie ihren AOL-Account auf neue Nachrichten überprüft. Dafür sozialisieren sich hier viele junge Leute mit populären Inhalten unserer Subkultur und suchen auch musikalisch wieder nach geradezu apokalyptischen Titeln im entsprechenden Subreddit.

Der Doomer glaubt nicht daran, dass sich die Welt zu einem besseren wendet, in seinen Aussichten malt er die Welt schwärzer als sie ist und lässt sich musikalisch von Titeln treiben, die seiner Stimmung gerecht wird. Kommt das dem Grufti nicht irgendwie bekannt vor? Früher waren es deutschsprachige Titel wie „EA80 – Häuser“ dann „Mono für Alle – Hier gefällt mir nichts„, um schließlich mit „Konstantin Unwohl – Ich wollte mal nach Trier„. Wer nach sich nach dem Konsum dieser Titel nicht mies fühlt, ist weder Gothic noch Doomer.

Endlich Viral (und völlig Egal)

Was eigentlich noch fehlt, ist der Meme gewordene Stereotyp des Doomers. Ein ikonisches Bild, das ausdrückt, was ein Doomer vermutlich ist. In Abwandlung des Wojak-Memes  tauchen 2018 bei 4Chan erste Bilder auf, die den Doomer – neben einigen anderen *oomern – karikieren.

Demnach lässt sich der typische Doomer wie folgt beschreiben. Ein junger Mann, Anfang 20, der nach gerne spazieren geht, depressiven Neigungen hat und sich keiner Aussichten auf eine berufliche Karriere ausmalt. Er trägt meist einen schwarzen Hoody, ein schwarze Wollmütze, raucht wie ein Schlot und ist auch sonstigen stofflichen Abhängigkeiten nicht abgeneigt. Er ist von ungepflegter Erscheinung, hat tiefe Augenringe und guckt genauso, wie man es sich für einen Doomer vorstellt. „Was soll das noch alles?

Im Fahrwasser dieses Memes werden dem Doomer auch Weiterentwicklungen an die Seite gestellt, die aber dann nur noch eine Karikatur der Karikatur sind. Das obligatorische Doomer-Girl, das auch Doomerette genannt wird, kommt irgendwann 2020 dazu. Der Go-Getter, der als Mutation des Doomers gilt und genug hat vom pessimistischen Lifestyle und lieber nach vorne blickt.

Allerdings verliert sich hier auch jeglicher ernstzunehmende Ansatz einer neuen Jugend-Bewegung, denn die Grenzen zwischen den realen, pessimistischen Gedanken einer neuen Generation und der humorvolle Karikatur eines traurigen Außenseiters verschwimmen.

Ein Schelm wer böses dabei denkt, aber möglicherweise entspricht diese Wahrnehmung auch dem aktuellen Bild unserer Szene, wenn wir in Zeitungen und Zeitschriften als Hundehalsband tragende Gummipferde über das viktorianische Picknick galoppieren?

Ist der Doomer eine Reinkarnation von „Gothic“ oder nicht?

Keine Phönix aus der Asche, kein „Next Big Thing“ einer unklaren Zukunft und auch völlig neuer Ableger eines knochigen Baums. Nein, der Doomer ist keine Reinkarnation des guten alten Gothics. Für mich nur eine neue Bezeichnung für die Gefühle, die schon in den 80ern unerwünscht waren, uns zu Außenseitern machten und nichts an ihrer Aktualität verloren habe. Traurigkeit, Resignation und Hoffnungslosigkeit. Diese Dinge lassen sich nicht aus dem kollektiven Empfinden der Jugend löschen, weil sie allgegenwärtig sind. Früher nannte man das Gothic und wenn es heute einen neuen Namen haben muss, mein Goth, warum nicht.

Faszinierend bleibt allerdings, wie Dinge im Netz ein völlig eigene Dynamik entwickeln, ohne durch Kommerzialisierung im Keim erstickt zu werden. Es gibt also immer noch Subkulturen, die einer alternden Generation (Okay, Boomer) versperrt bleiben, weil sie nicht mehr genug emotionale Energie aufwenden können, sich in neue und fremde Lebenswelten einzufinden.

Gespannt bin ich allerdings, wie wir das Alphabet der Generationen fortsetzen wollen, wir gerade in der Generation Z, dem „Zoomer“ stecken. Vielleicht nehmen wir ein ausländisches Alphabet, griechisch liegt gerade im, wie ich gehört habe.

IC3PEAK: Klanggewitter als Protest der russischen Jugend

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Die russische Band IC3PEAK bombardiert die Gehörgänge der russischen Jugend mit elektronisch-experimenteller Musik, beeindruckt die Augen mit großartiger Performance-Kunst und gräbt sich mit einem inhaltlichem Pranger in die Gehirnwindungen der Zuhörer. Wenn man dann Russisch versteht (den Übersetzer einschaltet) und sich für Russland interessiert. Hämmernden Beats, die durch elektronische Störgeräusche ins Extreme getragen werden, opernhafte Gesangseinlagen, die einen Augenblick später in gesellschaftskritischem Rap münden, formen eine experimentelle Klangcollage, die immer ein bisschen mehr am Lautsprecher fesselt, als dass sie abschreckt.

Die Band ist ein „audiovisueller“ Vorreiter für eine emanzipierte russische Jugend, die mit Traditionen, Familienbildern und einem schwierigen politischen System bricht und nach echter Freiheit und Selbstbestimmung strebt. IC3SPEAK solidarisieren sich mit den Protesten in Belarus, kommentieren Präsident Putins Reform, die ihm weitreichende Vollmachten zusichert, musikalisch bissig und verurteilen gesellschaftlich Missstände scharf. Da ich ihr Gesamtkonzept beeindruckend finde, nehme ich mir die Freiheit heraus, Euch die Band und einige ihrer Videos vorzustellen.

In dem Video „Плак-Плак (Weine-Weine)“ thematisiert die Band das Patriarchat in der russischen Gesellschaft, in der auch häusliche Gewalt zu Tagesordnung zu gehören scheint. Ein Gesetzentwurf, der diese Probleme angeht, wurde im Parlament bereits mehrfach abgelehnt. In dem Video spielt das Mädchen mit einem Puppenhaus, in dem eine animierte Form der Bandmitglieder Anastasia Kreslina und Nikolay Kostylev als Ehepaar zum Leben erwacht. Im Text heißt es: „Mama sagt zu mir immer: Hör auf deinen Mann. Ich gehorche nicht, mache alles nur schlimmer.“ Vater und Mutter streiten und bedrohen sich, bis sie ihn mit einem Küchenmesser erdolcht. Nachdem sie die Puppenstube von weißem Blut ihres Mannes gesäubert hat, verabschiedet sie sich von ihm: „Ich würde dich gerne umarmen, wie damals. Aber dazu muss ich deinen Körper ausgraben. Deine Knochen aus Eis liegen irgendwo da unten. Die Blüten sprießen aus dem mit Tränen überfluteten Boden.“

Ursprünglich schreiben IC3PEAK, das man wohl als „Augen sprechen“ deuten könnte, ihre Texte in englischer Sprache und sind eher im Bereich EDM oder Witch House verankert. Sie wollen mit Stücken wie „This World is Sick“ ein breites Publikum erreichen und bauen sie einen sprachlichen Freiraum, in dem sie kritische Themen ansprechen können, die in Russisch möglicherweise zu provokant wären.

Eine Tournee durch die Vereinigten Staaten ändert ihre Sichtweise, wie sie dem Vlogger Juri Dud in einem Interview erzählen, „denn dort seien die Menschen geradezu fixiert auf ihrer Identität und ihre Wurzeln“ und das habe sie zum Nachdenken gebracht. „Warum machen wir das nicht selbst?“ Sie löschen die Distanz zwischen sich und dem gleichaltrigen Publikum und singen seit ihrem 2018 erschienen Album „Сказка (Märchen)“ in ihrer Muttersprache.

Sie wollen nicht mehr gefallen, jedenfalls nicht allen. Sie möchten ausdrücken, was sie fühlen und das ist im Grunde genommen sehr gruftig. Im Stück „Грустная Сука (Traurige Schlampe) heißt es beispielsweise: „Bekreuzige dich jedes Mal, wenn du mich siehst. Ich störe deine Überzeugungen. Ich ruiniere deinen Tag mit meinem toten blassen Gesicht. Ich kümmere mich nicht um deine Empörung.“

Das politische Klima ihres Landes fassen sie in ihrem Song „Marsch“ zusammen, mit dem sie Präsident Putin nicht nur karikieren, sondern auch seine jüngsten Reformen, die ihm noch weitreichendere Befugnisse einräumt, bissig kommentieren. Der Song spiegelt ein bizarres Bild von einer Kindheit, die abrupt endet, wenn die erwachsen gewordenen Kinder Waffen in die Hand bekommen und spielerisch lernen, ihre Feinde zu eliminieren. Der Rest spiegelt möglicherweise den Werdegang in der russischen Gesellschaft, der stets mit Gewalt und Krieg zu enden scheint.

Seit ein gewisser Gorbatschow 1985 die Sowjetunion reformierte und die UdSSR am 31. Dezember 1991 zerfiel, ist nicht allzu viel passiert. Viele Städte verharren seit 30 Jahren in einer Schockstarre und ertragen den fortschreitenden Verfall mit ihrem grauen, eingefallenen Gesicht. Oligarchen, Kriminalität, Energie-Milliardäre und territoriale Machtspiele verleihen dem riesigen Land einen zweifelhaften Ruf. Während sich einige wenige in Luxus suhlen, sieht sich vor allem die Jugend von der „grauen Tristesse“ erdrückt und von fragwürdigen politischen Strukturen ausgegrenzt. Hoffnungslosigkeit und Trostlosigkeit lassen die Botschaften der Band IC3PEAK zu wichtigen Träumen heranreifen, viele – gerade junge Leute – begehren immer lauter auf.

Die russische Führung reagiert und stufte die Band als „sozial gefährlich“ ein, was immer wieder zu Auftrittsverboten im eigenen Land geführt hat. Sie suchen den Weg in die Öffentlichkeit, um – so erklären sie in einem Interview – in deren Schutz ihre Konzerte zu spielen. Man solle aber nicht erwarten, dass sie sich politisieren würden. Für sie steht ihre Kunst und die Musik im Vordergrund.

Was in Russland alles falsch läuft, bringen IC3PEAK in ihrem beliebtesten Stück „Смерти Больше Нет (Es gibt keinen Tod mehr)“ auf den Punkt. Natürlich in einer bedeutungsschwangeren Form. Vor dem Regierungsgebäude – dem weißen Haus – übergießt sich Nastya mit Kerosin, vor Lenins Mausoleum essen die beiden Künstler rohes Fleisch und vor der weltberühmten Basilius-Kathedrale zeigen sie einen tödlichen Zaubertrick. „Ich spüle meine Augen mit Kerosin, lass alles brennen, lass alles brennen“ Es schwebt eine Form der Todessehnsucht mit, die dem Lebensgefühl vieler junger Menschen in Russland am nächsten kommt. „Mich erwartet nichts in der Zukunft

Trotzdem bleiben wir neugierig, was uns noch in der Zukunft erwartet und wie russische Reformen sich in Künstlern wie IC3PEAK manifestieren. Ich habe mich sehr über diesen Einblick in die Denkweise junger russischer Musiker gefreut, da sich dann das, was hierzulande beim Thema Russland in den Köpfen vorgeht, ein wenig ausdifferenziert. Dazu diese unglaublich ausgefeilten Musikvideos und begleitet von einem Sound, der viel Spannung erzeugt und den angesprochenen Inhalt knisternd auflädt.

IC3PEAK findet ihr unter anderem bei Youtube oder vielen Streamingdiensten und natürlich auch bei Facebook. 2022 wollen sie mit ihrer „Horror Show“ auf Tour gehen. Am 5. Mai wollen sie in Berlin spielen, am 6. Mai in Leipzig und am 16. Mai in Köln.

Gruft-Orakel Januar 2022: Der Sukkubus hat zu tief ins Glas geschaut

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Beim Sukkubus dreht sich zu Beginn des neuen Jahres alles um Balance. Obwohl er nur versucht, das perfekte Gleichgewicht zwischen einem halbvollen und halbleeren Glas zu finden, ist er sich sicher, dass das Sinnbild seines Handelns so viel mehr Tiefe in sich trägt. Yin und Yang oder auch Gut und Böse scheinen sich beim Blick in das Glas zu manifestieren. Leider scheint er nicht in der Lage zu sein, das eine vom anderen zu unterscheiden. Vermutlich hat er, wie all die anderen Gestalten des Orakels, zu tief ins besagte Glas geschaut und im feucht-fröhlichen Treiben des Jahreswechsels seinen Scharfsinn verloren. Alana Abendroth, die uns auch dieses Jahr hoffentlich wieder mit ihren Orakeln versorgen wird, und meine Wenigkeit wünschen ein frohes neues Jahr 2022!

Gruft Orakel Januar 2022
Gruft Orakel Januar 2022

Musikalischer Briefkasten #15 – Von Sagen, Schnee und Sternenhimmel

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Nach einem kurzen Abstecher in analoge Musikwelt, wie im musikalischen Briefkasten #14, dreht sich dieser Beitrag wieder um digitale Einsendungen. Beginnen möchte ich jedoch mit einer kleinen, aber positiven Feststellung: Die weltweite Pandemie hat die Kreativität der Musikschaffenden nur bedingt beeinträchtigt. Insbesondere kleinere Formationen leben sich derzeit kreativ aus, nicht zuletzt durch die Möglichkeiten, sich durch Plattformen wie etwa Bandcamp schnell und zugänglich einem ganz eigenen Publikum zu präsentieren. Im Bereich des aktuellen Post-Punk-, Wave- und Indie-„Revivals“ lässt sich das sehr deutlich nachvollziehen, interessant ist hier allerdings noch eine andere Beobachtung, weshalb ich gerade die Gänsefüßchen nutzte: Neuere Gruppen machen bevorzugt ihr eigenes Ding und berufen sich nicht nur auf die „Helden der 80er“, sondern haben offenbar auch deutlich aktuellere Vorbilder…

Von Supernovae und telekultiver Kraft

… So etwa die Hallowed Hearts aus New York, welche seit 2019 aktiv sind und dieses Jahr mit der digitalen 12-Inch Veröffentlichung Ruins ihr drittes Werk präsentieren. Dort werden unter anderem direkt die Landsleute vom anderen Ende des Kontinentes, Drab Majesty aufgegriffen. Heraus kommt in diesem Fall sauber durchproduzierter, tanzbarer Gitarrenwave wie beim verlinkten Titeltrack Supernova, oder mit Circles die einerseits etwas gezügelte, dennoch rockige, melancholischere Seite. Welche zudem mit diesem nah am Original gehaltenen Cover aus ihrem Repertoire zumindest mich überzeugen kann…

Wenn wir schon gitarrig unterwegs sind, darf man vielleicht auch einen Blick auf die Hateful Chains aus Finnland werfen, ein Land, was nicht nur zahlreiche Humppa- & Metal-Kapellen, sondern auch ein paar Elektroniker, ruhigere Gothen und nicht so ruhige Gothen hervorgebracht hat (das letztere, cheesige Video musste in Zeiten von medialer Hochglanzpolitur einfach sein). Beim Danse Macabre-Label haben die Hateful Chains jedenfalls dieses Jahr ihr Debüt Invite veröffentlicht. Darauf bewegen sich die Hateful Chains flüssig in verschiedensten Spielarten gitarrenorientierter Wave-/Rockmusik, dezent unterstützt durch elektronische Klänge. Mal kraftvoll, wie in bandnamengebenden Hateful Chains, mal ruhig und atmosphärisch gehalten, gar chansonesk, wie in Drifting Leaves (für mich das wirkungsvollste Stück). Schön, aus der Ecke mal wieder was zu hören, da kann ich den Vieren mit der Aussage „Our best Album so far“ nur zustimmen.

Und bleiben wir noch kurz bei dem beliebten Saiteninstrument: The Old Man Coyote wurden Spontis Lesern nahegelegt. Mit Dark Folk/Country osteuropäischem Einschlags bringt das Quartett eine gern übersehene Seite „molliger“ Musik in mein Bewusstsein. Während ich beim Schreiben ihren Prologue durchreitehöre, ertappe ich mich dabei abzuschweifen und in Gedanken in irgendeinem Tal der Rocky Mountains Beskiden am Lagerfeuer zu sitzen und den Geschichten wettergegerbter, bärtiger Männer zu lauschen. Mal was anderes, Danke.

Musikalisch irgendwo zwischen Noise-Pop und Singer/Songwriter greift die Kopenhagener Gruppe Neu Sierra auf ihrer kleinen Veröffentlichung Sulphur And Molasses (Anemos) unter anderem mit ihrer Interpretation der etwas älteren Ballade Boy Of A 1000 Tears den gerne ignorierten Dorn im kollektiven Gewissen Europas auf, die Flüchtlingskrise: It’s about wanting what’s best for the ‚boy of a 1000 tears‘ and all the other sad souls out there. I know I’m not alone in feeling powerless about how our elected representatives handle refugees. Eine unerwartete und alles andere als direkte Art, auf die Thematik aufmerksam zu machen, von daher Daumen hoch. Doch auch so kann man den anderen, melancholischen Stücken gern lauschen, beispielsweise dem letzten Stück Darkness Fire You.

Die Münchner Elvis de Sade, welche bereits im Briefkasten #9 belauscht wurden, haben nun zweites Opus, World For Us, bei Young & Cold veröffentlicht. Auf diesem gehen Elvis de Sade zwischen poppigen, wogenden Gitarrenfeldern und recht zarten Synthie-Klanglandschaften selbstbewusst ihren eigenen Weg durch bzw. in ihre Welt. Sänger Andreas dazu:

The title ‘World for Us’ describes a world that we need to reconquer. Everyone notices that the overall mood is bad. Social injustice, climate change, the rightward shift… It’s not surprising that depressive music, escapism and an aestheticization of horror dominate. Unlike other dark wave bands, we don’t want to just sink in melancholy and disenchantment. We’re going one step forward and want to create a world for ourselves, where we feel comfortable, where we want to live.

Durchaus nachvollziehbar, wie ich finde. Mit dem Opener Question in my eyesThe Heart’s Approved,  oder dem albumtitelgebenden World For Us, aus dessem Video-Subtext ich das Zitat entlieh, seien euch ein paar Einblicke dargeboten.

Kaelan Mikla – Undir Köldum Norðurljósum (Artoffact) – Der dunkle Norden ruft uns in die Zwischenwelt. Die drei Hagazussen haben kürzlich ebenfalls nach ihrem 2018er Album Nott Eftir Nott ihr Nachfolgewerk im Reich isländischer Sagen und Erzählungen veröffentlicht. Beim erstmaligen Durchhören meine ich ein im Vergleich zum Vorgänger ruhigeres Werk wahrzunehmen, welches den Singstimmen gebührend Platz einräumt und hinsichtlich Intensität vollkommen überzeugen kann. In diesem Sinne möchte ich euch hoffentlich mit Sólstöður, Halastjarnan und vor allem Óskasteinar beglücken. Wer weiß, vielleicht gehen dieses Jahr auch bei euch Wünsche in Erfüllung?:

Auch Chris Corner alias IAMX war während der Pandemie nicht untätig und hatte bereits  2020 sein Sammelsurium an Synthie-Technik aufgefahren, um sich dem spontanen Element kreativer Energie hinzugeben. Dies war offenbar so anregend, dass dabei ein Jahr später mit Machinate ein Album herausgekommen ist:

I made this album because I love my modular synthesizer.  It’s a process of making and designing sound that I’ve been looking for in technology my whole career. The foundation of these tracks came from a week long live performance i did for my fabulous patrons. Its chaotic quirkiness brought me a lot of unexpected joy so I decided to work it further… The randomness and organic, grinding, cratchy nature of modular synthesis leads me out the ingrained structure of a traditional pop song. Surprises me with whining and beautiful overload. It gives me so much more than I put in. Electronic music has never been this playful for me so this project is the expansion of pleasure in a world which can be sometimes predictable and cold. I’ve tried to get what it gives through squeezing my daw and studio and bending my mind for too long. The uneasy listening that has come out of this experiment is contradictorily calming for me. I Hope it can be for you too….

Man sieht es Herrn Corner förmlich an, wie er beim Soundschrauben aufgeht. Mit Elan setzen seine Hände um, was aus seinem Kopf herausströmt und wirken auf mich im Moment des Hörens und Schreibens gerade wie das wärmere, herzlichere Gegenstück zu diversen Klangexperimenten anderer Musiker.

Denn es gibt dieser Tage auch deutlich kühlere, maschinelle Musik: G.O.L.E.M. beispielsweise, das derzeitige Projekt um Gunar Vykus aus München (und wieder diese Stadt). Mit dem Erstling „Decades“ und ca. 2018 live noch eher uninteressant kam mir dieses Jahr das Zweitwerk No Fate unter die Ohren. Und ich muss feststellen, dass dies ein großer Schritt in die richtige Richtung war: Stücke wie das sich nach und nach aufbauende Twilight Of The Gods, AI oder We Had A Man On The Moon liefen – zusammen mit dem Stück Godspeed – immer wieder rauf und runter. Ein Tip von mir für geneigte Hörer melodischen, rhytmusbetonten Elektros.

Wäre in diesem Kontext vielleicht auch Ice Ages was für euch? Richard Lederer – seines Zeichens Kopf der Schwarzmetallern um Summoning und der leider verblichenen Neoklassik-Formation Die Verbannten Kinder Evas – war ebenfalls fleißig und hat mit Vibe Of Scorn ein imposantes Stück frostiger Elektronik geschaffen. Die klassischen Einflüsse sind hier – im Gegensatz zu dem letzten Album von 2019 – wieder merklich in den Vordergrund getreten, kontrastiert durch die verfremdete Stimme und die bombastisch-markanten, hämmernden Klänge. Anspieltips für euch: Degradation Divine, das balladeske As Winter Comes… oder The Extinction.

In eine ähnliche Richtung steuert auch das Projekt Accolade, welches bei Danse Macabre unter Vertrag genommen wurde. Bereits 2006 gegründet, hat das in Seattle ansässige Projekt um Sängerin Stefanie Reneé und Instrumentalisten Aaron Goldstein und Mike Hines zusammen mit Attritions Martin Bowes ein Ethno-Elektronik-Album mit Fokus auf nahöstlichen Einflüssen aufgenommen. Tria Prima weist dabei eine interessante Bandbreite auf: Von atmosphärischen Stücken wie Encantation, bei denen die Stimme von Stefanie wunderbar klar und treffsicher klingt, bis hin zu kräftigeren, elektronischeren Stücken wie Relentless oder Unconcious, welche die Singstimme der Sängerin teils merklich an ihre Grenzen kommen lassen. Alles in allem durchaus akzeptabel, ich für meinen Teil habe ein Auge drauf, wohin hier die Reise weitergeht…

Manch einem ist vielleicht noch das anfangs deutlich Lacrimosa-inspirierte Duo Sinnflut der beiden Brüder Manuel und Magnus Bartsch bekannt. Seit den End-90ern eigens geschriebene, deutschsprachige Gedichte und Geschichten im klassischer Untermalung vertonend, kam es nach der letzten Veröffentlichung 2008 zu einer längeren Pause. Dieses Jahr nun reaktivierte Manuel das Projekt wieder und spielte/sprach mit Unterstützung zweier Damen (Jenny Schauerhammer und Lena Lehmann von Klanggedanken) das neue Album Schnee ein. Inhaltlich dreht sich alles um die Entführung des Protagonisten, welcher seine Erfahrungen und Gefühle dem Hörer widerspiegelt. Generell recht ruhig gehalten, und mit Fokus auf Text und melodischer Begleitung, ist das Konzeptalbum daher als Ganzheit zu betrachten, weshalb es mir dieser Stelle schwerfällt euch einen Einstieg zu geben. Schnappt euch daher gern den folgenden Link des Stücks Wie Schnee zum Rein- bzw. Durchhören des ganzen Albums.

Und jetzt zu etwas völlig anderem. Das Pinneberger Duo Kid Knorke & Betty Bluescreen hat Spontis auf ihr Erstlingswerk Im Windschatten des Meteors hingewiesen. Mit „Irgendwas zwischen Tetris und Synthpunk“ beschrieben, bin ich als temporärer Stapel-Veteran während längerer Urlaubsfahrten natürlich sofort neugierig geworden und wurde sogleich in eine Soundschlacht rund um die magischen 8 bit geworfen. Mit einer Menge guter Laune und infantiler Freude am Samplen und Texten vernetzen Kid und Betty meine Neuronen und lassen mich mit einem Lächeln diesen gut gelaunten, expliziteren Bastard aus Welle:Erdball, Das Flug, oder den Toten Crackhuren Im Kofferraum goutieren. Anspieltips, wenn in voller Länge verfügbar: Betty 8bit, Aliens, Funktionelle Liebe (mein Fav) und Atari Party.

Und weil wir gerade etwas lustig darauf sind, sei hier mit der Münchener Gruppe P!OFF? (schon wieder München? Was für ein Zufall…) und ihrem recht poppigen Song Der Ladenhüter eine eher weniger bissige, denn subtile Reminiszenz an die NDW in den imaginären Raum geworden. Bureau B hat übrigens auch deren erstes Album von ’82 wiederveröffentlicht, wer mag, kann auch dort getrost reinhören.

Somit schwenken wir dann gleich noch zu den Pleasure Victims (Projekt von Uwe Marx und Jonas Heyn) vom Kernkrach-Label und ihrem Video zu Telecult Power. Vom minimalen Sound her durchaus angenehm – ein künftiges Album würde ich mir durchaus anhören.

 

Was sonst noch im Briefkasten rumlag…

Crows On Wires – Crows Dance. Das recht frische Projekt, welches vor einer Weile bereits im Briefkasten landete, hat ein neues Stück veröffentlicht. Bei Gelegenheit könnt ihr gern mal reinschnuppern.

Etage Neun – War and Emotions (Dead Wax) – Wiederveröffentlichung einer schwedischen Synthiepop-Formation. Zeitmaschine auf 1988 stellen und zuhören.

Giovanotti Mondani Meccanici – GMM Suite LP (Mannequin) – Wiederveröffentlichung von elektronischer, transmedialer Kunst aus den Federn des Florenzer Künstlerkollektivs GMM. Als Soundtrack für nebenbei recht kurzweilig.

Principe Valente – Porcelain (Anemos) – Schönes Stück, bewegt gerade ein wenig mein Herz.

Siöblom – Demons (Anemos/Reptile Music): Ebenfalls eingängig, angewavter Indierock/-Pop aus Schweden.

Sølyst – Spring (Bureau B) – Experimentelle Synthetik. Was für Nebenbei, am ehesten noch Track #1.

The Devil And The Universe – The Great God Pan Is Dead (A+W) – Ich weiß nicht, wie ich das Projekt einschätzen darf… das Srituelle Stück ist allerdings vollkommen hörbar.

The Search  – Extra (Aenaos) – Bisher kann man noch nicht viel vom neuen Album hören. Wrting On The Wall ist ganz nett, wennauch nicht umwerfend.

VA – Another Cold World 4 (Cold Beats) – Eine erneut gelungene Compilation aus südwesteuropäischen Elektronik- und Gitarrenwave-Gefilden. Tips: L’Avenir – Souvenirs , Risikotoleranz – Mein Müll oder Tuxedo Gleam – Make Dark.

Natürlich gab es noch die ein- oder andere Labelveröffentlichung, auf welche dieses mal nicht eingegangen wurde. Irgendwann musste der Beitrag ja mal abgeschlossen werden und untolle Sachen mussten dieses Mal nicht unbedingt hinein. Mal gucken, ob diese im nächsten Beitrag unterkommen. In diesem Sinne euch allen einige ruhige Tage und nur das Beste. Bis zum nächsten Jahr.

Satanismus: Reportage zwischen Fremdscham und Selbstfindung

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Ein Video des FUNK-Kanals „Die Frage“ erregte jüngst meine Aufmerksamkeit, denn bereits mit der Überschrift hatte man die ganze Bandbreite bedeutungsschwangerer Begriffe abgefeuert. Gothic, Satanismus, Glaube. Meine Synapsen tanzten Industrial. Der Film „Satanismus: Gothic-Klischees oder moderner Glaube?“ bediente im Hause Spontis zwei völlig unterschiedliche Wahrnehmungen. Die des erwachsenen Gruftis jenseits der 40, der das alles für völligen Quatsch hielt, und die des jugendlichen Gothics unter 25, der solche Berichte abgefeiert hätte, schlummerten darin doch tolle Ideen für Selbstfindung und Abgrenzung mit Schock-Effekt.

Schizophrenes Mädchen erfindet ihren eigenen Satanismus

Ich muss ehrlich sein, das Video legte meine Stirn in 4 Falten. Üblicherweise bilden sich dort nur 3 Falten, demnach hatte die Reportage mich intensiv getriggert. Dieses Video hat für mich nichts mit Gothic, mit Satanismus oder einer Reportage zu tun, sondern ist allenfalls eine rund 20-minütige Unterhaltungsshow mit Fremdschämgarantie. Ich bin mir sicher, dass die meisten meiner Leser sich in diesen Gedanken und den folgenden Beobachtungen wiederfinden.

Yori, so nennt sich die 25-jährige Satanistin, die so finster aus dem Thumbnail guckt, hat bereits in früheren Videos des Formats „Die Frage“ mitgewirkt. In „Schizophrenie: In meinem Kopf ist Chaos“ erzählt sie von ihrer Krankheit und berichtet beiläufig, auch Satanistin zu sein. Da man bei „Die Frage“ offenbar Unterhaltungs-Potenzial bei Yori wittert, macht man auch darüber, wie gerade gesehen, noch Video. Darin beschreibt Yori ihren Satanismus, den sie sich irgendwie auf Basis der satanischen Bibel von Anton Szandor LaVey, der die Church of Satan gründete, zusammengereimt hat. Es beginnt mit Green Satan, Aufklebern mit einem „süßen Baphomet“ und einer Müllsammelaktion in der örtlichen Grünanlage, um dann in einer obligatorischen Zeremonie zu enden, bei der die Kamera aber bitte draußen warten soll. Es liegt mir fern, über Yori und ihre Freunde zu urteilen. In deren Selbstfindungsphase bauen sie sich einen Überzeugungs- und Weltanschauungskatalog zusammen, den sie aus Bruchstücken medialer Quellen zusammenklöppeln.

Natürlich kann ich auch an dem Kanal kein gutes Haar lassen, denn mit Schlagworten wie Satanismus, Gothic und Glaube zu jonglieren – ohne den nötigen Background zu liefern – ist kritisch zu sehen. Auch Yori so medial zu verwerten, finde ich irgendwie unangenehm und unpassend.

Yori macht die Fliege – Jugendliche Lebenswelten unter erwachsenen Augen

Liest man die Kommentare unter dem Video bekommt man allerdings eine andere Sicht auf die Dinge, denn die sind größtenteils positiv und finden es gut, dass solche Dinge mal gezeigt werden. Einige identifizieren sich mit Yoris Sichtweisen, ihrer Einstellung und finden es großartig, dass Satanisten sich jetzt auch für die Umwelt engagieren.

Erschrocken tritt man einen Schritt zurück und versucht, sich ansatzweise in die eigene Jugend zurückzuversetzen. Früher hätte man solche Videos wohl auch cool gefunden, ich habe ja auch Ratte gefeiert, die im Alter von 16 Jahre nach London auszog, um in einem schwarzen Zimmer in einem schwarzen Sarg zu schlafen. Damals ein Thema mit absoluter Schock-Garantie. Ich habe jeden Artikel der Bravo verschlungen, der sich in ganz ähnlicher Manier den Lebenswelten der sogenannten Gothics angenähert hat.

Heute ist Ratte Kult. Ob Yori in 30 Jahren auch Kult wird?

Damals haben wir nach Antworten gesucht und wollten Fragen stellen, die sonst keiner stellt. Wir wollten uns abgrenzen, auffallen und provozieren und doch allein gelassen werden. Als Gothic noch in den Kinderschuhen steckte und darüber hinauswuchs, nur eine modische Phase zu sein, entwickelte sich ein Hunger auf Vampirgeschichten, Friedhofsästhetik und romantisierte Todessehnsucht. Wir dachten, die Welt geht unter, der Planet ist verdammt und wir sind die Sterbenden, die als einzige erkennen, dass es 5 vor 12 ist und der Planet kurz vor seiner totalen Zerstörung steht.

Ja, früher haben wir uns noch selbst gesucht und hätten es wohl interessant und spannend gefunden, diese Form der Sinnsuche. Heute schauen wir uns solche Videos an und versinken möglicherweise in Fremdscham.

Jeder, der sich beim Angucken des Videos leidenschaftlich aufregt, sollte sich die Dinge als Blaupause danebenlegen, die damals bei unserer Sinnsuche prägend waren. Friedhofsbesuche, vielleicht ein Ouija-Brett mit Kichergarantie, ein paar Knochen als Deko und möglichst gruselige Gruselfilme. Spontis-Leser erinnern sich vielleicht an dieses Video. Vielleicht empfindet man dann das reinigende „Erwachsenwerden“ nicht als Ende der eigenen Sinnsuche, sondern vielmehr als das Vergessen seiner Wurzeln.

Formel Goth: Umzingelt von der teuflischen Stille psychischer Erkrankungen

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Die Zahl psychischer Erkrankungen hat durch Corona deutlich zugenommen. Nach einer Studie sind vor allem jüngere Menschen betroffen, die aufgrund von fehlendem Kontakt mit Gleichaltrigen, Schulschließungen und der Angst vor Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich häufig betroffen sind. Vor allem Frauen und Mütter, so die Studie, seien aufgrund der enorm gestiegenen Belastungen durch Pflege- und Haushalt besonders betroffen. Verbände, die sich für Menschen mit psychischen Erkrankungen starkmachen, appellieren schon lange an Politik und Entscheidungsträger, sich diesem Problem anzunehmen. Allerdings hapert es schon an der Sichtbarmachung von Menschen mit solchen Erkrankungen, weil entweder nicht darüber gesprochen oder nicht zugehört wird. Der Butterwegge, hat mit seinem aktuellen Song in dieser Ausgabe „Formel Goth“, eine musikalische Lupe für uns festgehalten. Beginnen wir von vorne aber, liebe Leser, denn Brian Molko kredenzt uns ebenfalls ein neues Stück aus seiner Feder.

Placebo – Surrounded by Spies

Neuigkeiten von Brian Molko und Stefan Osdal, die sich 1994 zufällig an der U-Bahn-Station „South Kensington“ in London trafen, um im Anschluss daran die Band „Placebo“ zu gründen. Hatte die damals Instrumente dabei? Wie lernt man sich in einer unwirklichen Umgebung kennen, um in Anschluss daran einer der erfolgreichsten Alternative-Rock-Bands der Welt zu gründen? Wie dem auch sei. Eine frische Single holt Placebo nach einigen Jahren Sendepause wieder aus dem Schatten, um sich mit „Surrounded by Spies“ der Öffentlichkeit zu präsentieren. Schön! Nicht so schön: Brians Bärtchen. Aber das ist Geschmackssache ;)

Silence – A Moment’s Song

Zum Glück werden Silence ihrem Band-Namen nicht gerecht und haben jüngst ein neues Stück veröffentlicht. Die slowenische Synthie-Band mit dem Hang für künstlerische Projekte, die auch schon mit Laibach zusammengearbeitet hat, war mir bisher völlig unbekannt. Obwohl dem Song stellenweise etwas Theatralik innewohnt, überzeugt die zurückbleibende Atmosphäre mein schwarzes Herz.

(Danke Manu)

Order Of The Static Temple – Ridin‘ In Sin

Aus der Asche der Pandemie wurde die Band „Order Of The Static Temple“ gegründet, die sich musikalisch ungewöhnlich vielfältig einordnen. Coldwave, Industrial, EBM und Noise im gleichen Atemzug dürfte Genre-Puristen abschrecken. Allerdings haben sie hier Musiker zusammengetan, die man durchaus aus „vorbelastet“ bezeichnen dürfte, denn neben Gründer Rob Robinson findet sich auch Matthew Setzer (ohGr, Skinny Puppy, London After Midnight) in der Besetzung oder auch „Damsel in the Dollhouse“ wieder. Gut, es läuft mir jetzt nicht prickelnd den Rücken runter, aber ich weiß, dass so was bei einigen von Euch hervorragend ankommt.

(Danke Hari)

Der Butterwegge feat. MÄNNI – Wer’s fühlt, der weiß es

Carsten Butterwegge, Baujahr 1973, ist Musiker und seit November 2020 auch politisch mit „Die Partei“ unterwegs. Auf der Seite „Bundeswegge“ äußert er sogar Ambitionen, für den Bundestag zu kandidieren. Allerdings dann ohne Tattoos, wie er schreibt „Sieht ja schlimm aus, weiß er aber selber!“ Allerdings finde ich seine musikalische Seite deutlich attraktiver, so hat er es sich jüngst mit seinem Song „Wer’s fühlt, der weiß es“ irgendwo zwischen Ohrwurm und nachdenklichem Inhalt in meinen Gehörgang gemütlich gemacht. Der Text thematisiert psychische Erkrankungen aus einer ungewohnten Perspektive, in der die Worte einen Eindruck vom „Kampf mit den Dämonen“ vermitteln, ohne pathetisch zu klingen. Find ich richtig gut, den Song. Ich wünschte, man würde sich musikalisch mehr mit solchen Themen auseinandersetzen, ganz besonders auf so eine nahe und einfühlsame Art.

Deathtech: Digitale Trauerkultur gegen das Vergessen?

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In den letzten Jahren mischt der Begriff „Deathtech“ die klassische Bestattungs- und Trauerkultur auf. Dabei geht es um wesentlich mehr als ein Video über einen nahen Angehörigen oder eine Internetseite mit Bildern aus dem Leben des Verstorbenen, sondern auch um die Verwaltung des digitalen Nachlasses, neue Formen der Erinnerungskultur und letztendlich auch alternative Arten von Beerdigungen. Deathtech ist auch die zwangsläufige Auseinandersetzung mit den Spuren, die ein Menschen im Internet hinterlässt und hinterlässt die Frage, ob wir möglicherweise sogar das Recht auf Vergessen einbüßen.

Digitale Trauer gegen das Vergessen

Unser Leben wird immer digitaler, unser Tod wird analog bleiben – nicht aber die Möglichkeiten, damit umzugehen. Deathtech-Startups wollen Trauernden neue Wege bieten.“ Die Plattform t3n setzt sich in einem Artikel mit Deathtech-Startups auseinander, die sich darauf spezialisiert haben, Trauernden den Weg zur digitalen Gedenkstätten leichter zu machen. QR-Codes auf Grabsteinen, dreidimensionale Räume voller Bilder, Texte oder Videos oder auch Virtual-Reality Simulation mit den Avataren toter Kinder.

Doch nicht nur die Erinnerungskultur scheint einer Revolution zu unterliegen, sondern auch der tatsächliche Umgang mit den Toten. Dienstleister wie Farewill helfen online bei der Erstellung eines Testamentes, Asche von Verstorbenen kann man bei Eterneva zu Diamanten oder bei Parting Stone zu Steinen verarbeiten lassen. Leichen können in den USA ganz offiziell in Kalilauge zersetzt oder in Holzspänen und Mikroben zu Erde umgewandelt werden.

In Deutschland beschränken sich die Möglichkeiten der Deathtech auf digitale Erinnerungskultur, da strenge Bestattungsgesetze und Friedhofszwang wenig Freiheiten lassen, den Leichnam kreativ zu verwerten.

Auch hierzulande öffnen Deathtech-Startups ihre digitalen Pforten und bieten zahlreiche Dienste für die Hinterbliebenen an, die Erinnerungen an ihre Verstorbenen zu bewahren, zu digitalisieren oder sogar zu virtualisieren. Der Artikel von t3n erschlägt beinahe die ganze Bandbreite solcher Angebote und lässt sich kaum Fragen offen.

Deswegen widmen wir uns mit den möglichen Auswirkungen dieser neuen Möglichkeiten.

Deathtech: Erinnerungskultur im öffentlichen Raum?

Abseits der Angebote bleiben allerdings Fragen offen. Wie wichtig ist uns die Erinnerungskultur und läuft man Gefahr, dass jeder Mensch als digitale Erinnerung im Internet herumgeistert? Büßen wir vielleicht sogar das Recht ein, von der Öffentlichkeit vergessen zu werden?

Wir haben uns mit Daniel Böhm unterhalten, der zusammen mit Maximilian Weiß die Firma Aurora Mortis betreibt, die sich auf das digitalisieren und erhalten von Erinnerungen spezialisiert haben. Da ich Daniel schon eine halbe Ewigkeit kenne, war er für mich der ideale Ansprechpartner, die neuen Formen der Erinnerungskultur zu hinterfragen.

Spontis: Wie wichtig sind uns Erinnerungen an Verstorbene?

Daniel Böhm: Emotional braucht der Mensch genau diesen Bezug zu diesen Erinnerungen. Allerdings kann diese Frage nur von jedem einzelnen beantwortet und weniger verallgemeinert werden. Aber aus einer anderen Richtung betrachtet, würde ich einen Schritt weitergehen und sagen, dass diese Erinnerungen unser Grundstein für die Entwicklung der Persönlichkeit sind. Jeder lebt sein eigenes Leben auf Grundlage der Erinnerung an die Familie; ganz gleich, ob als Familie im Sinne der biologischen Abstammung oder definiert als die Menschen, die im Laufe des Lebens als „Familie“ angesehen werden. Die Erinnerungen an deren Erfahrungen, Worte und Taten, lenken unsere Gedanken sowie unser Handeln und prägten unsere Mentalität. Somit kommt man nicht umher, der Erinnerung an Menschen einen hohen Stellenwert für die eigene Persönlichkeit zu geben, egal ob positiv oder negativ. Und diese Erinnerung macht auch vor der Frage nicht Halt, ob die Menschen noch leben oder schon verstorben sind.

Spontis: Hält uns die Erinnerungskultur möglicherweise davon ab, Dinge zu verarbeiten und hinter uns zu lassen oder helfen sie uns dabei, mit dem Verlust eines Angehörigen umzugehen?

Böhm: Man kann nur Dinge verarbeiten, wenn man sich dieser bewusst ist. Ergo, wenn man an diese denkt. Wenn nicht, dann versiegen in der Vergessenheit, ganz gleich, ob wir mit den Dingen abgeschlossen haben oder nicht. Und auf die Verarbeitung von Trauer bezogen, so sollte diese kein auferlegter Lebensinhalt werden. Oder anders ausgedrückt, Trauer darf keinen destruktiven Stellenwert im Leben bilden. Was natürlich leicht dahingesagt ist und sich niemand anmaßen sollte, über die emotionale Ebene der Trauerarbeit eines jeden einzelnen zu urteilen.

Doch wie der Begriff „Trauerarbeit“ schon sagt, ist dieses ein Prozess, dem man aktiv nachkommen muss und der durchaus schwer werden kann. Der Trauer Raum zu geben und sich nicht von dieser verdrängen lassen, kann über die Erinnerung gelingen. Da diese ein Stück von dem erhält, was verloren wurde und uns zeigt, dass nicht alles gänzlich verloren ist.

Spontis: Im Zuge der Deathtech-Bewegung entstehen überall virtuell begehbare Räumen, Internetseiten mit Fotogalerien und Videos und digitale Kondolenzbücher, auf denen man sich verewigen kann. Sollte man überhaupt ein Leben, das geendet hat, in der Öffentlichkeit ausbreiten?

Böhm: Diese Frage wird schon längst von unserer Medienwelt mit einem eindeutigen: „Kommt darauf an“ beantwortet. Denn während Personen des öffentlichen Lebens nach deren Ableben noch weiter in den Schlagzeilen stehen werden, so verschwinden „No Names“ augenblicklich und auf ewig von der Bildfläche. Und was meine Antwort auf die Frage, ob man das Leben in der Öffentlichkeit ausbreiten sollte, betrifft, so sage ich: Nein.

Keinem nützt das öffentliche Interesse an einer Person, wenn dieses nur durch dessen Tod motiviert ist. Zumal das Wort „ausbreiten“ auch eher negativ assoziiert ist. Wäre die Formulierung eine andere und würde von „der Öffentlichkeit erhalten“ gesprochen werden, so würde das schon eine pietätvollere und weniger aufdringliche Art und Weise beinhalten.

Und das darf heute jeder so behandeln wie er möchte. Es sollte ebenso respektiert
werden, dass jemand Angst davor hat, nach seinem Tod so zu verschwinden, als hätte es diesen nie gegeben, so wie es auch respektiert werden sollte, dass jemand, der schon in der Öffentlichkeit steht, als Privatperson lieber unerkannt bleiben möchte.

Youtube zeigt im Grunde eindringlich, dass es in der Gesellschaft allgemein nicht derart pietätvoll zugeht. Kondolenz-Videos, die im Grunde zur Anteilnahme dienen, sind besser beraten, die Kommentarfunktion zu deaktivieren. Weswegen wir von Aurora zum Beispiel auch keine pauschale öffentliche Ausbreitung vornehmen. Die Seiten können hermetisch
abgeriegelt werden und wir nehmen uns heraus, die Daten, die für den öffentlichen Raum bestimmt sind, zu selektieren.

Im Grunde ist unser Kerngedanke aber auch ein anderer. Nämlich, dass das Leben nicht post mortem für die „Öffentlichkeit“ aufgearbeitet wird, sondern dass wir gemeinsam mit denen, die sterben werden, deren Erinnerung für deren Hinterbliebene erarbeiten. Somit kann jeder für sich selbst voll und ganz über diese Frage entscheiden kann.

Spontis: Denken wir einen Schritt weiter, brauchen wir – vor allem hier in Deutschland – überhaupt noch Friedhöfe oder Orte an dem wir uns erinnern?

Böhm: Da es in diesem Land schwerfällig bis unmöglich ist, seine letzte Ruhestätte frei wählen zu können, kann ich nur sagen, dass es einen solchen Ort nicht braucht. Was nützt das Grabmal, dass nur dann besucht werden kann, wenn die Zeit dafür zur Verfügung steht und der Weg auf sich genommen werden kann. Oder die grablose Bestattung, die nur in bestimmten abgesteckten Flächen gestattet ist. Zudem dienen diese Grabmale alleine den nächsten Angehörigen. Jene, die die Person noch zu Lebzeiten kannten. Für alle nachfolgenden bleiben das nur übermittelte Erinnerungen und leere Emotionen. Wir stapeln somit Namen ohne Inhalt, auf Flächen, bei denen der dauerhafte, allgemeine Nutzen alleine bei den darauf stehenden Bäumen verbleibt.

Spontis: Und letztendlich blockiert das auch unser eigenes Vorankommen.

Böhm: Ja, alles, was uns erinnern lässt, blockiert in dem Moment natürlich die Gedanken und verschwendet Zeit an Dinge, die nicht mehr zu ändern sind. Aber diese Antwort macht es sich zu einfach. Emotional braucht der Mensch genau diesen Bezug zu Erinnerungen. Aber muss es heutzutage noch die klassische Grabstätte sein? Ich finde nicht. Der Ort wird immer freier definierbar. Sei es der aus Asche gepresste Diamant am Finger, das Tattoo unter der Haut, das Bild an der Wand, die Datei im Smartphone oder der QR-Code zur Website auf dem Anhänger. Wichtig ist, dass der Mensch sich erinnern kann und dass in der heutigen Medienlandschaft dafür nicht mehr das aufwendige Grabmal gebraucht wird. Denn je dezenter der Hort für die Erinnerungen geschaffen ist, desto weniger blockiert dieser den Platz für neues, und das, ohne an Bedeutung zu verlieren.

Spontis Magazin 2021 – Demnächst in Deinem Briefkasten! Zufrieden?

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Weil die Post ungewöhnlich schnell geworden zu sein scheint, halten einige Interessenten an unserem Spontis Magazin die fertige Ausgabe bereits in den Händen. Denn tatsächlich ist alles angekommen, was ich zum Versand benötigte. Adressaufkleber, Briefmarken, Umschläge, Klebeband. Auch Excel und Word habe ich nun endlich besiegt, meine angelegte Liste auf entsprechende Aufkleber zu drucken. Also ehrlich, wer beruflich mit diesen beiden Programmen umgehen muss, darf sich meiner Bewunderung gewiss sein.

Aktuell bringe ich täglich fertige Umschläge zur Post, was sich auch noch ein paar Tage hinziehen wird, denn mittlerweile reden wir von fast 190 Bestellern! Es wird sich also noch bis nächste Woche hinziehen, bis alle deutschen Empfänger ihr Magazin erhalten. Beim Versand ins Ausland wird es ungleich schwerer, falls ich da mal aus dem Nähkästchen plaudern darf, denn hier muss jede Sendung als Päckchen verschickt werden, weil sobald was anderes drin ist als ein Magazin, gilt es nicht mehr als Dokumentenversand. Darüber hinaus muss ich für Sendungen nach Norwegen, Großbritannien und Teile von Spanien eine Zollerklärung ausfüllen, bei der jedes einzelne Teil des Inhalts bewertet und gewogen werden muss. Ich kann „Betroffene“ nur um ein wenig Geduld bitte, bis ich diese Sachen fertig verschickt habe und die dann auch ankommen.

Aktuell kommen immer wieder neue Bestellungen hinzu, so dass ich die Möglichkeiten, sich über das Formular ein Magazin zu sichern, bald einfrieren muss, weil die Auflage dann theoretisch vergriffen sein wird. Sobald ich alle Empfänger abgearbeitet habe, werde ich sehen, wie viele Magazine noch übrig sind. Insgesamt stehen 250 Magazine zu Verfügung und 200 Stofftaschen für die Vorbesteller, die sich an der Finanzierung beteiligt haben.

Hinweis: Es gibt noch einige Unterstützer, die sich finanziell über Paypal beteiligt haben, aber keine Adresse hinterlassen haben. Ich habe die meisten bereits angeschrieben und nach der Anschrift gefragt, ihr müsst aber nicht antworten. In jedem Fall danke ich Euch für die Unterstützung. Bittet beachtet aber, dass ich die Magazine und Taschen, die für Euch reserviert sind, bis spätestens 31.12.2021 vorhalte. Meldet Euch oder gönnt Eure Ausgabe genussvoll einem anderen Leser!

Hinweis: Wir haben finanzielle Unterstützung erhalten, die wir nicht zuordnen können. Wenn ihr also in einem anderen Namen überwiesen habt, als dem, den ihr bei der Magazin-Bestellung angegeben habt, schreibt kurz eine E-Mail und klärt mich auf, damit ich das zuordnen kann!

Zufrieden?

Uns würde brennend interessieren, wie ihr das Magazin und den Inhalt findet. Mittlerweile haben wir uns ja deutlich verbessert, was Ausführung, Inhalt und Design angeht, trotzdem sind wir natürlich unsicher, wie ihr das Magazin findet. Daher würden wir uns sehr über ein bisschen Feedback freuen!

Auch die Autoren der Gastartikel oder die Interviewpartner würden sich vielleicht gerne in einem Kommentar wiederfinden. Wir so gerne erfahren, was ihr zu den angesprochenen Geschichte, Erinnerungen und Gedanken sagt, das wäre auch für die Zukunft ein wichtiger Wegweiser für weitere Inhalte hier im Blog.