Anfang Juni ist das 29. Wave-Gotik-Treffen zuende gegangen, das nach 2 Jahren Corona bedingter Pause wieder an alte Erfolge anknüpfen sollte. Doch vieles war in diesem Jahr anders als sonst, darin sind sich viele Besucher des Treffens einig. Nicht nur ein Besucherrückgang um etwa 6000 Gäste, sondern auch leere Shopping-Hallen und fehlende Verkaufsstände. Wie kann es mit dem größten Festival der schwarzen Szene weitergehen?
Besucherrückgang
Es waren deutlich weniger Besucher beim Treffen, das berichtet jedenfalls die LVZ (Paywall) und spricht von 15.000 Besucher, rund 6000 weniger als noch 2019. Der Veranstalter macht dafür die Corona-Pandemie und die daraus resultierende Planungsunsicherheit verantwortlich. Erst im April konnte mit dem regulären Kartenvorverkauf begonnen werden, denn bis zuletzt war unklar, ob man das AGRA-Gelände nutzen könne, da die Stadt Leipzig auf dem Gelände ukrainische Flüchtlinge unterbringen wollte.
Allerdings waren auch die Planungen der Gäste bereits im Vorfeld gehemmt, denn die Corona-Pandemie sorgte in der klassischen Vorbereitungsphase für große Unsicherheiten hinsichtlich Anreise und Unterbringung. Unklar war bis zuletzt auch, wie Großevents überhaupt stattfinden können. Erst im März 2022 war offiziell, dass viele Regeln wegfallen würden und ein WGT uneingeschränkt stattfinden konnte.
Die Kurzfristigkeit in der Planung, ein gleichzeitig stattfindendes Stadtfest und allgemein gestiegenen Preise trieben auch die Preise für Unterkünfte in die Höhe, was das Treffen auch für einige Besucher schlicht zu teuer gemacht hat. Dass das WGT den Ticketpreis ebenfalls kurzfristig erhöhte, war nur die Kirsche auf einem viel zu teuren Kuchen.
Und natürlich war dann auch noch einer immer noch akute Pandemie, die einige Menschen abgehalten hat, sich in Massenveranstaltungen zu tummeln. Zu Recht, wie sich herauszustellen scheint, denn viele Besucher des WGTs oder der vielen Rahmenveranstaltung hat es „erwischt“, wenn man dem subjektiven Gefühl, das unzählige positive Corona-Tests, die in den sozialen Medien gepostet werden, glauben schenken darf. Die 2-jährige Corona-Pandemie hatte allerdings auch noch andere Auswirkungen.
Folgen der Covid-19 Pandemie
Auch das Wave-Gotik-Treffen selbst hat sich verändert. Spürbar weniger Shopping-Stände in den Messehallen und dem Außenbereich und wieder weniger Veranstaltungsorte, die bespielt wurden, sind vielen Besuchern aufgefallen.
Die Corona-Pandemie hat die Veranstaltungsbranche völlig auf den Kopf gestellt, in allen Bereichen fehlt es an Personal. Erst jüngst musste ein ganzes Festival, zu dem rund 11.000 Besucher strömen sollten, abgesagt werden. Wie der Bayerische Rundfunk berichtet, schätzt man in der Branche, dass zwischen 30 und 40 % Personal schlichtweg fehlen.
Vor allem die dünne Personaldecke macht vielen Veranstaltern Sorgen. Nach zwei Jahren Pandemie, in denen so viel ausgefallen und verschoben wurde, in denen der ganze Kulturbetrieb teilweise still stand, läuft vieles nicht mehr so reibungslos wie noch 2019. Viele Leute, die Bühnen aufgebaut haben, die bei Konzerten Getränke ausgeschenkt oder eben auch für die Sicherheit des Publikums gesorgt haben, mussten sich in den letzten beiden Jahren neue Jobs suchen. Das erzählen die meisten Konzertveranstalter.
Eine Studie der UNESCO stellt darüber hinaus fest, dass es Millionen von Künstlern und Kreative ihren Job verloren haben, der deutsche Kultursektor ist um rund 23 Prozent kleiner geworden. In Mittel- und Südamerika sogar um rund 80 Prozent. Das hat sich auch auf dem WGT bemerkbar gemacht und wird wahrscheinlich noch eine ganze Weile spürbar sein, denn von einem plötzlichen Ende der Pandemie kann keine Rede sein.
Ein Blick in Glaskugel
Wie könnte das 30. Wave-Gotik-Treffen aussehen? Die weltweiten Krisen werden sich nachhaltig auswirken. Allein der Krieg in der Ukraine macht das Leben teurer, und den freien Taler für Kunst- und Kultur noch knapper. Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht vorbei und wirkt sich mit Lieferschwierigkeiten, Unsicherheit und Neuorientierung der Arbeitskräfte nicht nur auf die Gesundheit aus. Warum sollten zum Beispiel Menschen, die durch die Pandemie gezwungen waren, sich neue Jobs zu suchen, weil dir Kultur- und Konzertlandschaft brach lag, ihren neuen Arbeitsplatz aufgeben?
Trotz der pessimistischen Aussichten, wird auch 2023 ein WGT stattfinden können, sofern der Virus keine Rache schwört und Putin nicht weiter mutiert. Selbst wenn es ganz dicke kommt, und die Veranstalter sich entschließen, nicht mehr weiterzumachen, bleibt Leipzig zu Pfingsten schwarz. Das sagt mir meine Glaskugel.
Leipzig hat im Laufe der letzten Jahre ein pulsierenden Kern schwarzer Szene angesammelt, der nicht allein auf Konsum ausgerichtet ist, sondern auf „Selbermachen“ Als beispielsweise Christian von Aster und Lydia Benecke keine Einladung vom WGT erhielten, haben sie kurzerhand ihr eigenes WTF?!-Festival ins Rennen geschickt, das reichlich intellektuell-unterhaltenden Content bot. Das Gothic-Pogo-Festival bietet schon seit Jahren nicht nur einem aktiven Kern tanzbare Unterhaltung, sondern auch zahlreichen aufstrebenden Nachwuchs-Bands eine Bühne. Eine neu ins Leben gerufenen dunkelromantische Nacht umgarnte die Besucher mit wärmeren Klänge. Christian von Aster schrieb auf Facebook dazu:
…die überwältigende Annahme des alternativen Kulturangebots lässt erahnen, was die kommenden Jahre noch an finsteren Wundern in dieser Stadt erblühen wird. Ich bin dankbar, Teil dieser Dinge sein zu dürfen.
Sollte sich also parallel zum WGT eine Reihe weiterer Veranstaltungen etablieren? Wird das Treffen möglicherweise überflüssig und ist verzichtbar?
Das Wave-Gotik-Treffen hat es in 30 Jahren zur globaler Bekanntheit gebracht. Die Sogwirkung des WGTs für den erwähnten kreativen Kern der Szene, für Besucher, Bands und Künstler aus aller Welt ist nicht zu unterschätzen. Auch wenn Leipzig ohne WGT „schwarz“ bleiben würde, bliebe einiges von der Diversität und Heterogenität auf der Strecke.
Kommentar: Zeit für Entwicklung!
Das WGT ist Bezugspunkt und Referenzgröße der Gothic-Szene. Auch das über Jahre gereifte Konzept eines dezentralen Festivals mit üppigem Rahmenprogramm und vielen unbekannten Bands ist weltweit einzigartig. Allerdings scheint eine Entwicklung des Wave-Gotik-Treffens unausweichlich, um auch in Zukunft relevant zu bleiben.
Es fehlt mitunter an Feingefühl und Transparenz in der Kommunikation mit Künstlern, Händlern und Besuchern. Christian von Aster, der im Grunde genommen zur festen Größe des WGT zählte, wurde ohne Begründung nicht mehr eingeladen. Besucher, die während der Pandemie-Jahre unsicher waren, wurden bis zuletzt im unklaren gelassen, ob es weitergehen würde und zuletzt stellte sich der Umgang mit der Flüchtlingsthematik als diskussionswürdig dar. Und zuletzt ist ein immer noch geduldeter Stand der rechtsextremen Verlags VAWS in den Agra-Shopping-Hallen schon lange nicht mehr zeitgemäß. Dass diese Dinge immer wieder von vielen Besuchern thematisiert wird, zeigt die Wichtigkeit des Treffens und seinen Stellenwert für die Szene. Die Besucherzahlen werden sich erholen, nicht nur, weil mehr Planungssicherheit da ist, sondern auch, weil die Menschen „ausgehungert“ sind.
Es scheint daher auch Zeit zu werden, neue Veranstaltungsorte zu finden, denn durch den Wegfall einiger wichtiger Locations und Unterschätzung einige Events kam es der Vergangenheit immer wieder zu übervollen Sälen und Hallen, der wiederum bei Frust bei den Besuchern und Künstlern sorgte. Allerdings wird das zur Herausforderung werden, denn Leipzig boomt. Immobilien und Mieten werden immer teurer, das dürfte auch für Veranstaltungsräume gelten. Schade wäre es allerdings, wenn das Rahmenprogramm dünner wird und Lesungen oder Vorträge weiter wegfallen würden.
Wie seht ihr die Zukunft des Wave-Gotik-Treffens und die Entwicklungen der schwarzen Szene? Wird es in Zukunft mehr „Nebenschauplätze“ geben, die Leipzig zu Pfingsten in schwarze Pracht hüllen?