Seit einigen Jahren gehört Dr. Martens, der einstige Arbeiterschuh und identifikationsstiftenden Stiefel vieler Subkulturen, zum Fashionliebling der Laufstege. Ein bisschen Rebellion für die Füße der Reichen und Schönen, ein bisschen „Edgy-Look“ zum Prada-Outfit? „In Zeiten, in denen weltweite Proteste zunehmen, wundert es nicht, dass Schuhe wie die von Dr. Martens zum Trend werden.“ schreibt das Modemagazin Vogue. Doch die stilprägenden gelben Nähte scheinen aus Wachs zu sein, denn auf dem Weg zum leuchtenden Stern der Modewelt scheint der Ikarus-Schuh ins Taumeln zu geraten.
Dr. Martens – Aus Rebellion wird Kult
Von der Geschichte der Dr. Martens habe ich schon öfter berichtet, hier gibt es einen Hintergrundbericht und auch eine englische Dokumentation. Kurzform: Die ehemaligen Arbeiterschuhe wurden durch Punks, Mods und Skinheads zum Stilmerkmal der Subkulturen erhoben. Ganze Generationen von Szene-Anhängern trugen die Schnürstiefel mit der luftgepolsterten Sohle, den gelben Nähten und dem „AirWair“ Etikett. Seit dem wabert um den Stiefel ein Nebel aus Rebellion und Protest.
In den frühen 2000er-Jahren kämpfte die Marke mit Qualitätsproblemen, 2007 entschied man sich für einen Relaunch der Marke, holte Teile der Fertigung wieder nach England und verbesserte die Qualität in den Billig-Lohn-Ländern.
Seit 2014 gehört Dr. Martens dem Finanzinvestor Permira. Der kaufte die Firma für umgerechnet 380 Millionen Euro, und kündigte globale Expansion an. Das Versprechen schien zunächst aufzugehen. Die Marke wurde cool, die modische Vielfalt breit, der ehemalige Arbeiterschuh erobert die Laufstege. Grobe Schnürstiefel passten auf einmal auch zum Abendkleid. Der Nebel von Rebellion auf den roten Teppichen der High-Society. Ein Hype entstand.
Wo drückt der Schuh? Probleme mit Dr. Martens
Dr. Martens sieht sich allerdings mit Herausforderungen konfrontiert. Vor ein paar Wochen wurde eine Warnung hinsichtlich des Umsatzes herausgegeben, was zu einem Kurseinbruch von etwas mehr als einem Viertel (knapp 26 Prozent) auf etwa 85 Pence (0,77 Euro) an der Londoner Börse führte. Es wurde erklärt, dass der Jahresumsatz im Vergleich zum Vorjahr um einen „hohen einstelligen Prozentsatz“ sinken werde.
Vorstandschef Kenny Wilson berichtete von einer „durchwachsenen“ Handelsperformance in der zweiten Jahreshälfte, da weltweit die Verkäufe zu Beginn des Herbstes durch das wärmere Wetter beeinträchtigt wurden. Wilson wurde von der BBC zitiert und erklärte, dass in den USA, wo das Verbraucherumfeld zunehmend schwieriger wird, die Ergebnisse moderat waren, insbesondere aufgrund der Schwäche im Großhandel. Tatsächlich lagen die US-Gewinne in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres (bis 30. September) um 31 Prozent unter denen des gleichen Zeitraums 2022. Um den wichtigen US-Markt anzukurbeln, plant Dr. Martens nun verstärkte Werbemaßnahmen und eine Verbesserung des Onlineangebots.
Anfang dieses Jahres hatte das Unternehmen mit Problemen in seinem Vertriebszentrum in Los Angeles zu kämpfen. Wieder einmal wurden die Hoffnungen auf eine Erholung der Umsätze zunichtegemacht und das langfristige Wachstum der Marke scheint höchst ungewiss.
Dabei war Dr. Martens erst 2021 mit großem Feuerwerk an die Börse gegangen, doch „seit dem […] drückt bei Dr. Martens der Schuh„, kommentiert Susannah Streeter von der britischen Investmentgesellschaft Hargreaves Lansdown gegenüber der BBC. „Anfang dieses Jahres hatte das Unternehmen mit Betriebsproblemen in seinem Vertriebszentrum in Los Angeles zu kämpfen. Wieder einmal wurden die Hoffnungen auf eine Erholung der Umsätze zunichtegemacht und das langfristige Wachstum der Marke scheint höchst ungewiss.“
In den ersten Tagen nach dem Börsengang sprang die Aktie hoch, der britische Schuhhersteller wurde 2021 zwischenzeitlich mit vier Milliarden Pfund (4,6 Milliarden Euro) bewertet. Seit dem geht es allerdings abwärts. Das Unternehmen, das sich von einem bequemen Arbeiterstiefel zur globalen Marke entwickelte, steht gewaltig unter Druck.
Das Image von Rebellion und Subkultur ist ausverkauft
Wo drückt der Schuh? Einst stand Dr. Martens für Rebellion gegen die Mehrheitskultur, als Proteststiefel gegen modische Normen. Heute verkauft das Unternehmen Sandalen, Rucksäcke in Herzform und Stiefel mit Plateausohlen. Sie sind keine schwer zu bekommenden Szene-Schuhe, die in speziellen Geschäften verkauft werden, sondern überall da, wo andere Edelmarken angeboten werden.
Sie werden nicht mehr auf einschlägigen Märkten angeboten oder bei Mail-Order-Versendern aus England, sondern in durchgestylten, eigenen Geschäften in den Top-Adressen internationaler Metropolen und im Internet, wo sie an den Füßen von durchgestylter Models eine gute Figur machen sollen.
Etwas Wichtiges hat sich auch verändert: der Preis. „Auf einmal wurden aus 45 Pfund (52 Euro), erst 60, dann 100 Pfund (120 Euro). Da haben wir schon gestaunt.„, berichtete Liz Meek der BBC, die ein Schuhgeschäft in Wales führt. Der klassische 1460er, das erste Model in stilechtem Kirschrot, kostet mittlerweile 200 Euro. Aus dem Schuh der Rebellion ist ein Status-Symbol geworden, der einstige Hype um den Schuh der „Working Class“ scheint abgeebbt zu sein, obwohl die Marke weiterhin jährlich mehr als elf Millionen Paar Schuhe mit den charakteristischen gelben Nähten verkauft. Diese sind in über 60 Ländern erhältlich, wobei der Onlinehandel einen Fünftel des Gesamtumsatzes ausmacht.
Obwohl viele Modelle auch noch vor Weihnachten lieferbar sind, scheint eins ausverkauft: das Image.
Wie das RND berichtet, dürfte Birkenstock, die Kultsandale einer ganz anderen Bewegung der frühen 80er, die Entwicklungen genau beobachten: „Auch bei dem Traditionsunternehmen mit operativem Sitz in Linz am Rhein verkauften die Erben die Mehrheit der Anteile an eine Beteiligungsfirma. Im September ging der Sandalenhersteller an die Börse, das Kaufinteresse war gering. Die Börsennotierung brachte die Verpflichtung mit sich, mehr Gewinn zu erwirtschaften – was offensichtlich traditionelle, treue Käufer verprellt.“ Der Börsenstart floppte und auch der Flair von Flower-Power und Umweltschutz-Bewegung scheint verflogen.