Musikalischer Briefkasten #10 – Das Non Plus Ultra ist noch lange nicht tot

Es pfingstet. Für manch einen Zeitgenossen bricht die Welt zusammen, da sein heiß geliebtes Wave-Gotik-Treffen nicht stattfindet und das Ego daher nicht genug Aufmerksamkeit erhält. Meine Wenigkeit ist zuhause. Einfach froh, etwas Urlaub- und Zeit für sich zu haben. Zeit, einfach mal wieder in Ruhe Musik zu hören. Wäre ja ganz sinnvoll, denn das Angebot an Livestreams und Mixtapes ist im Augenblick überwältigend, sodass man gar nicht weiß, was man zuerst gucken soll. Gefühlt alles und jeder will meine Aufmerksamkeit, wogegen mein Innerstes rasch rebelliert: Das klingt nach Arbeit in der Freizeit! Und Arbeit ist bekanntlich Scheiße.

Schon will sich wieder bleierne Lethargie auf mein Gemüt legen, da schielt der Blick ins *etwas* vernachlässigte musikalische Postfach. Eine Menge Einsendungen in der letzten Zeit… Mhm. Nun kann ich nicht mehr zurück. Die Ohren gespitzt, fangen meine Hände an zu zucken, erstarrte Gehirnwindungen beginnen sich wieder zu regen und Wörter bahnen sich nach langer Einzelhaft wieder ihren Weg in die Freiheit…

Kapitel I – Frisches aus dem Postkästchen…

Dieses Mal habe ich den Beitrag – hoffentlich zugunsten der Übersichtlichkeit – etwas gegliedert. Den Anfang machen neue Veröffentlichungen, welche direkt im Postkasten lagen, ergänzt werden diese durch zwei Hinweise von meiner Seite. Abgeschlossen wird alles mit einer Auflistung der nicht besprochenen Briefe und Kärtchen.

VA – Tot sind sie noch lange nicht​! ​- Ein EA80 Tribut

Auf geht’s! Die Toxic Hearts Compilation-Reihe wendet sich mit ihrer zweiten Veröffentlichung V​.​A. Tot sind sie noch lange nicht​!​- Ein EA80 Tribut einer der bekannteren deutschsprachigen Dunkelpunkbands zu. 15 Lieder erwarten euch, bei denen EA80 von ihren Rezipienten auf ihre eigene Art und Weise interpretiert wurden: Wie bei Tribut-Compilations üblich mal dichter am Original, mal freier umgemodelt. Nach mehrmaligem Durchhören (inkl. Vergleich mit den jeweiligen Originalen) möchte ich euch u.a. das Cover von EKGVon leeren Herzen, Angstalt200 m und danach, Dan ScarySchweigen und Raptus –  Fort und krank ans Herz/Ohr legen. Der Hagen (der mit der Brille) mischt dort übrigens mit seiner Boygroup VVL (Verhängnisvoller Leichtsinn) auch mit und vermag es mit seinen Jungs bei Der Mord fällt aus die Stimmung des Originals trefflich einzufangen.

Wer nicht zuletzt auf Dunkelpunk steht und Liebhaber der EA80 ist, dürfte diese Veröffentlichung vermutlich gefallen. Man darf gespannt sein, wohin die nächste Reise der Toxic Hearts Compilations geht!

Morosinthe – The December Recordings

Bleiben wir doch noch etwas bei Gitarren. Von einem Leser wurde ich vor einiger Zeit auf das slowakische Projekt Morosinthe hingewiesen. Lord Vothmor erbaut dort in Eigenregie sein kleines, klassisch gruftiges Reich und umfängt den Hörer in deutscher Sprache mit effektverzierten Goth-Gitarre(n), brummelndem Bass und – natürlich – einem Drumcomputer.

Auf der im Februar veröffentlichten, digitalen LP The December Recordings finden sich neun Tracks, welche eben jenen Sound umsetzen. Nicht so durchproduziert wie „größere“ Acts werde ich – Proberaum-Luft in Erinnerung habend – wohltuend an die verblasste Leichenliebe erinnert und freue mich irgendwie, mal was anderes auf die Ohren zu bekommen.

Anspieltips: Ein Film In Schwarz, Known (Original Version), Snowing (Original Version) und dieses kleine Video:

https://www.youtube.com/watch?v=CbNbBaYu5Do

Lefki Symphonia (ΛΕΥΚΗ ΣYΜΦΩΝΙΑ) – Like The Sun

Von einem weiteren Leser wurde uns die 1984 in Athen gegründete Gruppe Lefki Symphonia mit ihrem aktuellen Album Like The Sun nahegelegt. Gleich das erste Stück des Albums, Until Death (siehe Video), weist die Richtung: Hier gibt es Gitarren, im Gegensatz zu den früheren, wave-beeinflussten Veröffentlichungen etwas härter, aber auch deutlich nuancierter: Frisch, abwechslungsreich (tolle Gitarrenarbeit mit einem lebendigen Schlagzeug!) und mit einem prägnanten Bassspiel gesegnet, hört sich das gesamte Album durchgängig lauschenswert an. Macht euch am besten selbst ein Bild. Empfehlungen meinerseits wären dafür dream within a dream, like the sun und tear.

Übrigens, wer Die Seele noch nicht kennt: In deren Kompilationen sind immer einige aktuelle Interpreten der griechischen Schwarzen Szene enthalten. Wer also mal in den Südosten hören/schauen möchte, es lohnt sich…

A Cloud Of Ravens – In The Wicked Hours

A Cloud Of Ravens ist ein Duo aus New York, welches sich Ende 2018 gründete und bereits am Anfang dieses Jahres in den letzten Briefkasten gelangen wollte – es dann aber aus irgendwelchen Gründen nicht mehr geschafft hatte.

Die Eigenbeschreibung A Cloud Ravens is simple and pure classic goth at its crux“ ist – wie häufig – etwas übertrieben (oder spiegelt die amerikanische Sichtweise wider): Soundschrauberin Beth & Sänger Matthew präsentieren dem geneigten Hörer tatsächlich eher elektronisch-wavige Klänge, welche mich an in den 90ern aktive Vertreter dieser musikalischen Spielart erinnern. So weit, so nett.

Aber irgendwie will der Funke bei ihrem ersten Longplayer In The Wicked Hours nicht überspringen. Ja, der Einstieg ins Album klingt bei The Reaping Wheel schon ganz passabel, aber dann setzt der Gesang ein und tilgt schlagartig jegliche Motivation, weiterzulauschen. Natürlich höre ich dann doch den Rest des Albums durch, Genuss will sich dabei jedoch nicht einstellen. Womit ich hier dann wieder weiß, warum ich ACOR seinerzeit nicht für euch, werte Leser, hineingenommen hatte.

Naja, womöglich findet ihr für euch noch das ein- oder andere hörbare Stück. Vielleicht deren aktuellste Veröffentlichung anlässlich des kürzlichen World-Goth-Days?:

Ben Bloodygrave – No Sleep Till Proxima (feat. Paradox Sequenz)

Wieder zurück auf unsere Seite des großen Teiches: Ben Bloodygrave hat sich mit Paradox Sequenz zusammengetan, um uns ein sehr eingängiges Stück Minimal zu bescheren. Einmal durchgehört und für gut befunden, spare ich mir glatt jedes weitere Wort und lasse die Musik für sich sprechen:

Mängelexemplar – Non Plus Ultra

Ihr wollt noch mehr Elektronik? Dann bleibt noch kurz (oder länger) am Text kleben und schaut euch bei Interesse das neue Album von Mängelexemplar an. Die beiden Düsseldorfer, Lilly B. und Joa H., sind seit 2011 zusammen aktiv und haben vor Kurzem über Hertz-Schrittmacher (einem Sublabel von Kernkrach) ihr neues Album Non Plus Ultra veröffentlicht. Bisher sind mir Mängelexemplar nur auf einen Y&C-Sampler begegnet, jedoch nicht in dauerhafter Erinnerung geblieben. Wie sicherlich viele andere Künstler auch, die den Mangel meiner Aufmerksamkeit nicht verdient haben.

Sei es drum, kommen wir zur Sache: Gleich mit dem Opener Zu den Sternen und zurück werde ich sofort an diverse Interpreten der elektronischen NDW erinnert: Minimal, mal fröhlich klingend (& zugleich kritisch) bei Hej Hej Hej, mal ernster mit Dunkel, oder etwas melancholischer bei Mein Herz. Mit der gebotenen Abwechslung auf ihrem Werk laden Mängelexemplar mit ihrem Album zum erneuten Lauschen und ja – vielleicht auch mal zum Tanzen ein (wenn mal was von denen gespielt wird, wo ich rumschlurfe…).

Als Premiere gibt es heute von Mängelexemplar heute das Stück „Non Plus Ultra“

Police Des Moeurs – PÉRIL

Mannequin Records denkt mal wieder an Spontis und weist auf frankophone Elektronik in Tradition des Cold Wave aus Kanada hin: Die Police Des Moeurs bestehen aus Francis Dugas, Frederic Lavoie & Manuelle Gauthier und wurden 2010 in Montreal gegründet. Bis dato haben sie vier Langspielplatten und einige weitere Veröffentlichungen vorzuweisen, waren mir bisher allerdings unbekannt.

Ich habe mir mal die aktuelle LP Peril von den dreien angehört und bin durchaus überzeugt vom gesamten Werk. Sound- und Stimmungstechnisch wird sich erfreulicherweise ausgetobt (u.a. gibt es mehrere Instrumentalstücke bzw. Übergänge), was man von einigen frischen Veröffentlichungen anderer Interpreten der letzten Jahre nicht unbedingt behaupten kann. Zumindest was meine Ohren da heraushören. Einziges, kleines Manko bei diesem Album: Mit dem Hall bei der Sängerin hätte man meiner Meinung nach etwas sparen können. Mimimimi….

Anspieltips: Ether, Eternel Retour, Choses Fragiles oder zum Abschluss das energetischere Noir. Nebenbei: Ein ganz eigenes Sisters-Cover haben die drei auch noch zu bieten. Hört euch einfach mal ein wenig rein.

Art Of Empathy – End Of I

Genug Minimale Elektronik für heute, schwenken wir daher nun in eine etwas andere Richtung: Neofolk/Folk Noir verirrt sich zugegebenermaßen eher selten nach Spontis. Mit dem Ein-Mann-Projekt Art Of Empathy gesellt sich nun durch Aenos Records ein belgischer Vertreter in den heutigen Beitrag. Mit akustischer Gitarre, vielseitiger Perkussion, Streichern, Zieharmonika, Samples, dezenten elektronischen Effekten und sanftem Gesang seitens Masterminds Jef Janssens (und einer Gastsängerin) erwartet euch hier mit End Of I ein stimmiges Album für dunkelromantische Abendstunden. Wenn ihr also gerade in der Stimmung nach etwas Ruhigem und Besinnlichen seid, dann öffnet ein Lieblingsgetränk eurer Wahl, macht es euch gemütlich, schließt die Augen und genießt…

Anspieltips, neben dem folgenden Video: End Of I, Ninety-Six Percent, Revelation Of Ignorance

Kapitel II – Totgesagte leben länger

Aktuell tummeln sich ja wieder manche Projekte, wo man dachte, dass sie schon vor Jahren (oder Jahrzehnten) abgetreten wären. Neben eher überflüssigen Comebacks gibt es auch die ein- oder andere vorzeigbare Entwicklung, von denen mir kürzlich zwei Stück ins Auge gefallen sind…

Ghosting – The Flanders EP

Vornehmlich betagtere Leser unter uns dürften die ehemalige Koblenzer Formation Ghosting noch kennen (wenn nicht, könnt ihr hier ein wenig nachlesen). Als Dark Wave-Gruppe mit Faszination für Synthesizer gegründet, erweiterte der kreative Kopf hinter dem Projekt, Sascha Tayefeh, Anfang der 90er in seinen Veröffentlichungen das Klangspektrum rasch um klassische Instrumentalisierungs- und Kompositionstechniken. Nach einem Hiatus Mitte der 90er wurden vermehrt technoide Klänge in die Werke eingebaut, welche nicht zuletzt dadurch Ghosting aus meiner Sicht eine ganz eigene Stellung im Musikkosmos verschafften (und sicherlich Geschmackssache sind).

Aus diversen Gründen beendete Sascha Tayefeh Anfang der 2000er das Projekt wieder und zog sich aus der Musikwelt zurück. Nachdem jedoch das Interesse nie abebbte und immer wieder Anfragen nach neuen Stücken kamen, beschloss Herr Tayefeh, seine in den letzten Jahren erarbeiteten Werke inklusive aufbereiteter Demo-Stücke der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Als Kulminationspunkt dieser Entwicklung kann man die pünktlich zu WGT-Beginn veröffentlichte Flanders EP sehen, auf welcher sich je zwei neue und bereits früher veröffentlichte Stücke befinden. Nach einem energischen Anfang mit dem titelspendenden Stück Flanders wechselt die Szenerie mit There Are No Dreams in ruhigeres Ambiente, welches den bedrückenden Hintergrund (man achte auf die Texte) durchschimmern lässt, fortgeführt im dritten Stück, Heartbeat. Den inhaltlichen Abschluss bildet das letzte Stück, Teaching Wild, welches ich als das „Glanzstück“ der EP bezeichnen würde, müsste ich mich festlegen.

Aber hört doch einfach mal selbst hinein. Und wenn euch hier nichts zusagt oder ihr noch mehr kennen lernen wollt, dann sind vielleicht doch Stücke vergangener Alben etwas für euch. Auf Bandcamp finden sich sowohl die ersten beiden Veröffentlichungen aus eigener Hand, als auch alle folgenden (teilweise mit erwähnten, bisher unveröffentlichten Tracks) über das Label Alice In…, inklusive des etwas bekannteren Stücks Lion King.

Les Berrtas – Sierrapolis Kapitel 1

Während ich mich über mehrere Abende verteilt durch Künstler und ihre Stücke werkelte, bin ich irgendwann (die Wege der Links sind manchmal unergründlich) bei einem Interpreten hängengeblieben, von dem ich dachte, dass er – wie vieles andere aus den schwarzen 90s – längst tot sei. Die Rede ist von Les Berrtas. Jene, welche sich selbst augenzwinkernd als „Splatterpop“-Duo sehen und mit Der Knochenschäler vor längerer Zeit meine Aufmerksamkeit auf sich zogen…

2019 nun haben Kai LF & Micha Chainsaw und unter abschließender Arbeit von einem gewissen Bob Humid (alias R. E. Feuchtl, u.a. involviert in Der Liederkranz) wieder neues Material auf die Menschheit losgelassen: Mit Serrapolis – Kapitel 1 machen die älter gewordenen Jungens da weiter, wo sie vor vielen Jahren aufgehört haben: Mit deutschsprachigem Elektro, gerolltem „R“ (die haben noch vor Rammstein damit angefangen), aber im Vergleich zu früher mit mehr Wumms. Hören sich die ersten drei Titel soweit ganz nett an, muss ich bei Wir Kriegen Dich ein wenig lächeln. Ein passender Text für einen „Tanzflächenkiller“. Und wo ich darüber nachdenke, wie es dann wohl weitergehen könnte, folgt mit Undici Minuti ein ebenso langes, ruhig und recht atmosphärisch gehaltenes Stück. Hätte ich nicht erwartet, finde ich gut. Was die Remixe betrifft: Die sind, wie häufig, Geschmackssache. Mit dem Object-Remix von Nebel In Der Kathedrale Der Vernumft konnte ich hier noch am Meisten anfangen.

Summa Summarum: Wer Lust auf eine etwas andere Elektro-Formation hat, oder Les Berrtas von früher™ noch kennt, sollte mal einen Blick riskieren…

Kapitel III – Was noch so rumlag

Hier sei abschließend aufgelistet, was ansonsten noch im Briefkasten herumlag. Die ersten vier Künstler wurden bei Spontis bereits irgendwann mal vorgestellt, andere wiederum passen nicht zum musikalischen Geschmack oder weisen eine deutliche Zielgruppenverirrung auf. Wenn euch doch was interessieren sollte, dürft ihr euch da jederzeit selbst durchackern :)

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Nossi
Nossi (@guest_59078)
Vor 3 Jahre

Ghosting sind zurück, wenn auch kritischer denn je und musikalisch, ist hier etwa Zorn im Spiel? Flandern, 30 jähriger, Verrohung, marschieren wir wieder in eine Apokalypse? Solche Gedanken, gingen mir beim Hören des ersten songs im Kopf herum.

Ende der 90ger Jahre, waren Ghosting Kult, zumindest wir jüngeren, oder bevor ich jetzt wieder Belehrungen ernte, bei den gleichgesinnten Düsteren, die ich damals kannte. Auf diversen Partys, lief zwischen den obligatorischen Erben, Sopor, Lakeien usw auch immer Ghosting. Ich muss aber gestehen, man ordnete Ghosting damals eher den romantischen Gefilden zu.

Diese neue EP finde ich übrigens erfrischend ernst und zeitgemäß.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, Sascha (Ghosting) eine Nachricht zu schreiben, wie er die Jetztzeit erlebe.
Die Antwort die ich erhielt, gibt mir heute noch zu denken. Ein sehr tiefsinniger, nachdenklicher Mensch.

Ist jetzt jemand irritiert? der ewig die Fields und Crux lobende Nossi hört elektronische Musik?
Wie gesagt, in meiner Jugend waren Ghosting Kult und wenn elektronische Musik gut gemacht ist, freilich.

Fantôme noir
Fantôme noir (@guest_59089)
Vor 3 Jahre

Vielen Dank für den Hinweis zu Les Berrtas! Ich dachte, die gäbe es schon seit Jahrzehnten nicht mehr…

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