Berliner Kurier: Blutengel, die finstere Satans-Band

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Und es gibt sie doch! Eine Zeit lang war ich der Meinung, das die Zeitungen bei ihrer Berichterstattung über die Gothic-Szene dem allgemeinen Gusto der Akzeptanz gefolgt wären. So manch ein Autor lässt sich zwar zu Verniedlichungen oder auch humoristischen Einlagen treiben, verbale Mutationen die an die frühen Zeiten des Unverständnisses erinnern, sind aber weitestgehend verschwunden. In einigen Redaktionen gibt es sogar Engagement, die Jugendlichen und ihre Leidenschaften zu verstehen um sich dann halbwegs informativ damit auseinanderzusetzen. Das glaubte ich jedenfalls, bis ich über einen Artikel vom 19.01.2008 im Berliner Kurier stolperte. „Verschollen im Großstadt-Dschungel“ ist zunächst einmal der ernst gemeinte Hilferuf nach 2 Ausreißern, die aus der schwäbischen Provinz nach Berlin auszogen, um die Band Blutengel zu treffen.

Was Autorin Claudia Keikus dann daraus zaubert, erzeugt meiner Meinung nach Betroffenheit und Unverständnis und ist an Polemik, Verzerrung und Phantasie nicht zu überbieten. Im Text heißt es: „Schwaben-Mädchen im Bann der finsteren Satans-Band „Blutengel“! Julia und Christin (beide 15) rissen von Zuhause aus, um die düsteren Gothic-Musiker im fernen Berlin zu finden. In was für eine gefährliche Szene sind sie da abgerutscht?“ Wir fassen zusammen: Blutengel ist eine finstere Satans-Band und die Gothic-Szene ist gefährlich. Es würde mich ernsthaft interessieren, wie man darauf kommen kann. Was ist eine Satans-Band? Und natürlich ist die Gothic-Szene nicht gefährlich, sondern im Gegenteil für ihre Abneigung gegen Gewalt bekannt.

Weiter heißt es: „Welche versponnenen Gedanken haben Julia und Christin in diesen Wahnsinn getrieben? So furchtbar langweilig kann es selbst in der tiefsten Schwaben-Provinz nicht sein. Doch da ist diese Satans-Band aus Berlin, deren Stücke „Seelenschmerz“ und „Vampire Romance“ heißen. Ist sie es wert, ein behütetes Schüler-Leben mit tollen Eltern einfach so aufzugeben?“ Schon Wolfgang Petry sang einmal: „Das ist Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?“ – Dunkler Satans-Kult und die Aufforderung den „rechten Pfad“ zu verlassen? Herrlich, ich beginne mich zu amüsieren doch der Hintergrund dieser Nachricht macht mir einen Strich durch die Rechnung.

Sind diese blauäugigen Kinder seitdem ganz in die finstere Szene abgerutscht? Denn wenn es nur ein Konzert-Besuch war, könnten sie sich doch einfach wieder melden …“ Wäre es nicht einfacher gewesen die „finstere Szene“ um Hilfe zu bitten, seine Kinder zu finden?  Offenbar scheint der Weg, die Szene als das ultimativ Böse darzustellen einfacher um den Blick der Öffentlichkeit auf das Schicksal der beiden Mädchen zu lenken.

Die ursprüngliche Meldung der Polizei, wie auf hierberlin.de zu finden ist, lautet übrigens ein wenig anders:

2 Tage später greift auf die Bild-Zeitung das Thema auf, entspannt die verbale Mutation leicht, feuert aber erneut auf die „Satans-Band Blutengel“. Vermutlich wollte beide gegen den Willen ihrer Eltern die Band besuchen und sind deshalb nach Berlin ausgebüchst. Hoffentlich sind beide wieder wohlbehalten in der schwäbischen Provinz angekommen und konnten ihr behütetes Schüler-Leben weiterführen.

Reingehört: Charles de Goal – Restructuration

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Nicht schon wieder. Die Liste der Bands, die sich nach einigen erfolgreichen Jahren in den 80er auflösten um dann in den letzten 5 Jahren auf wundersame Weise auferstehen, ist lang geworden.  In der Regel schwanken diese sogenannten Reunions zwischen peinlichen Live-Auftritten mit aufgewärmten, uninspiriertem Material und dem „Ist ja ganz nett“-Gefühl das sich breit macht, wenn die Idole von einst ihre Klassiker zum Besten geben. Meist folgt dann die Ernüchterung, denn die ursprüngliche Begeisterung die man bestenfalls der eigenen Erinnerung entnimmt, stellt sich eigentlich nie ein.

Eine Umstrukturierung, die nahezu spurlos an mir vorbeiging, war die von Charles de Goal, den französischen Coldwave Pionieren der frühen 80er, die mit „Restructuration“ 2008 ein neues Album auf den Weg brachten. Als ich jüngst dann das Stück Decadence auf dem Sampler Pagan Love Songs Vol.2 entdeckte, war meine Neugier geweckt und so habe ich spontan meine Sammlung, die eigentlich nur aus dem Erstlingswerk Algorythmes (1980) besteht um Restructuration (2008) erweitert.

Meine erste Begegnung mit den Franzosen hatte ich mit dem legendären Stück Exposition, das ich Anfang der 90er in irgendeinem schwarzen Club hörte und die mir Ohren und Verstand für das mir noch unbekannte Genre des Cold-Wave öffnete.  Charles de Goal, das war eigentlich 1979 ein Solo-Projekt von Patrick Blain, der zuvor mit der Band C.O.M.A. bereits ein Album herausgebracht hatte. Mit Synthesizer, Gitarre, Bass und Schlagzeug formte er das, was man später Cold-Wave taufte. Minimalelektronische Klänge und Beats, das aufflammende Post-Punk-Genre als Attitüde entwickelte sich daraus ein Sound, der unterkühlt und zurückhaltend wirkt, um letztendlich doch den Hörer zu faszinieren. 1986 war es dann auch schon wieder vorbei.

So pendelte ich zwischen Erwartungshaltung und Skepsis als Restructuration erklingt, doch ich sollte nicht enttäuscht werden. Nach einer kurzen Einleitung mit „Régularisez-moi“ hämmert dann auch gleich das eingängige „Passion/éternité“ durch meine Gehörgänge und sorgt zunächst für ein erstauntes „Wow!“. Auch „Choque moi“ zieht nocheinmal an mir vorbei, bevor mit „Procession“, tiefere und düstere Klänge eine Ausbreitung erfahren. Eine Ballade gibt es auch: „Figures imposées“ ist das melancholischste Stück, das von Patrick Blain tiefen Stimme lebt und wieder Lust darauf macht, französisch zu lernen. Genug der Ruhe, mit „Next Stop Disneyworld“ und „Décadence“ lässt man es wieder flotter angehen und betont mit der leicht Elektronischen und Poppigen Art mit Jetzt angekommen ist und es verstanden hat seine musikalischen Wurzeln zu verfeinern und sich weiterzuentwickeln. Das Finale biete wieder mit „Hais-toi!“ einen Höhepunkt, der zeigt, wie Punk heute klingen kann. Nach rund 45 Minuten ohne Pause ist der ganze Spaß schon wieder vorbei, ein in Deutsch gesungener Hidden-Track wirft zwar noch einige Fragen auf, passt aber gut zu dieser Fahrt mit dem TGV.

Ein „Früher war alles besser“ ist unangebracht. Es bleibt die Begeisterung, das es immer noch besser werden kann. Wer die älteren Herren auf den Bildern falsch einschätzt, wird sein französisches Wunder erleben. Die Übersetzung der Texte offenbart übrigens auch die intellektuelle Ader (das Stück Passion/éternité ist beispielsweise dem französischen Philosophen André Gorz gewidmet und handelt von seinem gemeinsamen Selbstmord mit seiner Frau Dorine) und zeigt, das Tanzexzesse auch intelligent klingen dürfen und Bewegung nicht immer kopflos erfolgen muss. Außerdem bin ich froh, dass es Ausnahmen von der Regel gibt, die ich Eingangs des Artikels beschrieben hatte.

Charles de Goal, das sind heute Patrick Blaine, Etienne Lebourg, Jean-Philippe Brouant und Thierry Leray. Neugierige besuchen die Internetseite der Band, hören sich auf MySpace noch einige andere Stücke an, oder besorgen sich das Album gleich als MP3-Download oder aber auch als Silberling.

Das Archiv der Jugendkulturen retten – Warum?

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In der Zeitung Neues Deutschland führte Redakteur Martin Kröger ein sehr informatives Interview mit dem Leiter des Archivs, Klaus Farin, das die Hintergründe der Rettungsaktion für das Archiv der Jugendkulturen anspricht.  Aus Jugendkultureller und Bildungspolitischer Sicht wirft das ein kritisches Licht auf die Hauptstadt selbst, denn obwohl hier offensichtlich viel investiert wird, bleiben wichtigere Dinge unberücksichtigt. Ein Regelförderung erhält das Archiv nicht, dass heißt eine regelmäßige finanzielle Unterstützung durch Bund, Land oder Berliner Senat fehlt. Es gibt zwar projektbezogene Mittel durch die Bundesprogramme „Vielfalt tut gut“ und „Jugend für Vielfalt, Demokratie und Toleranz“, die sind aber auf spezifische Aufgabe zugeschnitten und führen nur selten zu einem Mietzuschuss.

Einzige feste Einnahmequelle des Archivs der Jugendkulturen ist der eigene Verlag, dessen Erlös aber auch nicht ausreicht allein die Mietkosten von 5000€ pro Monat zu decken. So springen die Mitarbeiter immer wieder ein, um Lücken in der Kasse durch private Finanzspritzen zu füllen. Am 31. Oktober, dem Stichtag für die Spendenaktion läuft der Mietvertrag des Archivs auf der Fidicinstraße 3, Berlin aus. Bis dahin muss entschieden werden ob der Mietvertrag für die Räume verlängert werden kann, oder gekündigt werden muss, weitere Jahre mit Verschuldungsgarantie können und wollen die 28 Ehrenamtlichen Mitarbeiter nicht mehr auf sich nehmen. Letztendlich wäre das das Ende des Archivs in seiner jetzigen Form.

Ich möchte das Interview hier auszugsweise aufgreifen und für mich interpretieren. Das ganze Interview findet ihr in Artikel der Zeitung „Neues Deutschland“ – Archiv der Jugendkulturen geht stiften.

ND: Privat? Sie haben doch auch Geld durch das Bundesprogramm »Vielfalt tut gut«, »Jugend für Vielfalt, Demokratie und Toleranz«, Projektmittel des Berliner Integrationsbeauftragten oder EU-Gelder bekommen. Klaus Farin: Projektmittel bekommen wir. Aber die finanzieren nicht die Grundausgaben. Ab und zu gibt es einen Mietzuschuss – dafür sind wir dankbar. Aber das meiste fließt eben wieder in die Projekte hinein. Dazu müssen wir aber jeden Monat rund 5000 Euro Miete zahlen. Und die einzige Einnahmequelle, die wir haben, ist der Verkauf der Bücher aus unserer Verlagsreihe. Das reicht aber nicht. Wir schießen seit Jahren privat aus unseren eigenen Taschen so ein-, bis anderthalbtausend Euro pro Monat dazu.

ND: Allein für die Aufklärung, die Sie über extrem rechte Jugendkulturen leisten, müssten Sie doch von staatlicher Seite regelmäßig mit Geld überschüttet werden? Klaus Farin: Die Frage müsste man dem Berliner Senat stellen.

ND: Stellen Sie diese Frage denn selbst dem Senat nicht? Klaus Farin: Wir haben immer wieder versucht, Kontakte zu knüpfen. Hören aber nur, wir haben auch kein Geld, wir schließen unsere eigenen Bibliotheken, eigene Jugendklubs und da können wir Sie nicht auch noch finanzieren. Sicher wäre es die ideale Lösung, wenn wir vom Kultursenat einen Etat bekommen könnten, oder auch vom Bildungssenat, schließlich leisten wir für den Jugendkulturbereich Grundlagenforschung.

Das Archiv ist mehrfach ausgezeichnet, doch außer einem Händedruck von Ex-Bundespräsident Horst Köhler ist nicht viel geblieben. Die Einzigartigkeit zeichnet das Archiv aus und ist gleichzeitig auch sein größtes Stigma, denn dadurch lässt es sich schwerlich in bestehende Förderlinien einordnen. Die Aufgabe des Archivs wird immer noch missverstanden: „Weil viele Leute einfach nicht verstehen, dass es eine Bibliothek ist, eine Forschungseinrichtung. Dabei haben wir einen interdisziplinären Ansatz – hier arbeiten Professoren gemeinsam mit Punks an Projekten.

Eine schwierige Zeit? Die falsche Regierung? Ein engstirniger Senat? Das Archiv existiert in seiner Form nun seit 12 Jahren, genug Zeit als für mehrere Legislaturperioden, Senate und Regierung sich der Sache anzunehmen, darüber zu beraten, oder sich zu informieren – doch geschehen ist nichts. Mittlerweile fehlte sogar das Geld, die regelmäßige Zeitschrift „Journal der Jugendkulturen“ in gedruckter Form zu publizieren, so dass sie einer sparsameren – wenn auch unattraktiveren – PDF Ausgabe gewichen ist.  Man spart also wo man kann und bewegt sich für ein Archiv mit bibliothekarischem Anspruch am Rand des Existenzminimums.

ND: Dass das Archiv gute Arbeit leistet, steht außer Frage. Sie sind mehrfach ausgezeichnet worden. Klaus Farin: Diese Auszeichnungen waren jedoch nicht mit größeren Preisgeldern verbunden. Der Ex-Bundespräsident Horst Köhler hat uns gerne die Hand geschüttelt, aber keinen Cent dazugegeben. Da wir die einzige Einrichtung dieser Art überhaupt sind, fallen wir durch alle möglichen Töpfe. Weil viele Leute einfach nicht verstehen, dass es eine Bibliothek ist, eine Forschungseinrichtung. Dabei haben wir einen interdisziplinären Ansatz – hier arbeiten Professoren gemeinsam mit Punks an Projekten.

ND: Ist das der Grund, weshalb das Archiv als einzigartig gilt? Klaus Farin: Unser Ziel ist es, differenzierte Informationen über Jugendliche und deren Welten zu sammeln und diese Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen. Es gibt nichts dergleichen in Europa. Also Forschung zu dem, was Jugendliche am meisten interessiert: Mode, Musik, Freizeitszenen, Peergroups. Außer uns sammelt das niemand, damit meine ich: authentische Medien, Flyer, Tonträger, T-Shirts, Fanzines aber auch wissenschaftliche Studien, Zeitungsberichte. Wir arbeiten das auf und stellen es jedermann, der interessiert ist, kostenlos zur Verfügung.

Jugendliche Szene lassen sich nicht mit schnöden Analysen und trockenen Zahlen analysieren, dazu muss man einfach schwarz/weiß Denken beenden und beruhigendes Schubladendenken konsequent in Frage stellen. Das Archiv sammelt das was aus der Szene stammt, trägt zusammen und sammelt auch darüber hinaus vielen Szenerelevante Publikationen und bieten so die einzigartige Möglichkeit, sich selbst ein Bild über das zu machen, was man nicht versteht.  Darüber hinaus forscht das Archiv auch selbst und veröffentlicht immer wieder entsprechende Bücher von eigenen Autoren die häufig ein differenziertes Bild zur üblichen Szene-Literatur bieten. Noch ist Zeit zur Rettung, lassen wir sie nicht ungenutzt verstreichen! Informationen findet ihr im Artikel zur Rettungsaktion des Archivs.

Neues Leben 1991: Totentanz in der Grufti-Szene

Ein blasser Mond liegt über dem Friedhof. Vom Kirchturm tönt es leise zwei Uhr: Schwarze Gestalten huschen durch eine Lücke in der Friedhofsmauer. Der brave Bürger hat längst das Licht gelöscht. Die Grufties zünden ihre Kerzen an. Ihr warmer Schein weist den Weg zu Gräbern und Gruften. Es ist wie schon so oft – und doch anders. Die Grufties nehmen dieses mal uns mit. “ Eine durchaus gelungene Einleitung für einen Artikel, der etwa 1991 in der Zeitschrift Neues Leben erschien. Doch auch der Artikel selbst scheint sich vom üblichen Vorurteils-Brei dieser Zeit abzuheben und einen eigenen Weg zu gehen.

Ich weiß, daß es nicht passieren wird. Hier, in dieser Nacht und auf diesem Friedhof, wird keine schwarze Messe zelebriert. Keiner Katze wird das Fell über die Ohren gezogen, um sie Satan zu opfern. Niemand trinkt eine Blutkonserve leer. Grabsteine und Särge bleiben unberührt. Die hier auf den Friedhof gehen verabscheuen diese Klischees, das höchstens 2 von 100 Grufties bedienen.

Damit geht die Zeitschrift auf ein Phänomen ein, das sich ebenfalls Anfang der 90er und vorwiegend in den neuen Bundesländern zu beobachten war.

Neues Leben - Totentanz 1991 Bild 2

Eine Zeit, in der wohl möglich einige Gestalten sich neu entdeckten und ausprobierten. In manchen Tageszeitungen die von 90 bis 93 erschienen war immer wieder von „Totenmessen“, „Teufelsbeschwörungen“ und „Schwarzen Messen“ die Rede, denen oft als einziges Indiz Wachsspuren auf Grabsteinen oder gemalte Zeichen im Sand der Fußwege dienten.

Die Einordnung, in der sich die Zeitschrift versucht, ist hingegen etwas eigen. „Der typische Mode-Gruft liebt vor allem seine schwarze Kluft – weite „Türkenhosen“, spitze Schuhe, Totenkopfschnallen und gestylte Frisuren.“ Soweit nachvollziehbar, die gibt es heute immer noch – die tragen zwar häufig Hosen mit D-Ringen und klotzige Boots, sind aber soweit identisch. „Lullabys sind neugierige Anfänger, die meist nicht lange durchhalten.“ Interessant, offenbar dem gleichnamigen Titel eines Songs von The Cure entnommen, bezeichnet man neugierige Anfänger als Lullabys, wohl zu seiner wörtlichen Nähe zu „Baby“. Weiter geht es mit: „Der Depri-Gruft kann keinen Sinn im Leben erkennen und vergräbt sich in seiner pessimistischen Grundstimmung.“ Soll es gegeben haben, steht aber nicht ideologisch für eine ganze Jugendkultur, aber Pauschalisierung sind ja heute auch noch in Mode. „Der Gothic beschäftigt sich mit der Kultur des Mittelalters – dem Baustil, dem Lebensstil.“ Kann man irgendwie nicht abstreiten. „Der spiritistische Gruft nimmt Verbindung zu den Toten auf, glaubt an die Unsterblichkeit der Seele und kann Sequenzen der Zukunft voraussagen. Und dazwischen liegen unzähligen Schattierungen.“ Klingt ein bisschen nach Nostradamus-Gruftie, hat es aber durchaus auch gegeben, das kann ich absolut und auch für den Westen des Landes zu dieser Zeit bestätigen. Schattierung bringt die Sache dennoch auf den Punkt, denn die Gruftie-Gothic Szene ist nie, war nie und wird nie ein homogener Haufen Jugendlichen und Erwachsenen sein.

Doch nun aufgepasst: „Drei Merkmale aber sind allen Grufties gemeinsam. Sie hassen Gewalt und tragen ihren Frust im Inneren aus. Sie lieben das Trauer-Schwarz als Zeichen der Abkehr von einer sich grellbunt und heil gebenden, in Wirklichkeit aber doch kaputten Welt.“ So ist es. Eine großartige Passage und Merkmale, mit denen sich wohl viele Jugendliche dieser Zeit identifizieren konnten. Bedenkt man die Zeit und die Quelle dieses Artikels, darf ich behaupten, es handelt sich um einen authentischen Einblick in diese Zeit, der nahezu ohne polemisches Gehabe auskommt und darstellt wie es wirklich war. Er erhebt nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit und kommt nahezu ohne Verallgemeinerungen aus, zudem der Autor selbst erkennt, das eine umfassende Darstellung wohl unmöglich ist. Irgendwie schade, das diese Zeitschrift 1992 eingestellt wurde und die 30.000 verbleibenden Abonnenten mit der sicherlich gleich guten Coupé beliefert wurden .

OMDs Lied „Enola Gay“ – Is Mother proud of Little Boy today?

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Ein gleißender Blitz erhellt die Stadt. Die unglaubliche Helligkeit und Intensität verdampft die obersten Hautschichten stehengebliebener Passanten, ihre Umrisse brennen sich in die Häuserwände der Stadt kurz bevor die Druckwelle Menschen und Häuser wegreißt. Niemand im direkten Detonationsbereich überlebt den Einschlag der Bombe, die tödliche Strahlung legt sich wie ein Schleier des Todes über die Stadt. Noch während die Feuersäule den Himmel erhellt, versinkt die Erde in tiefe Finsternis. Menschen die vor der Hitze zum Fluss fliehen und davon trinken, fallen später die Haare aus. Rote Flecken bedecken den ganzen Körper noch bevor sie qualvoll innerlich verbluten.

Heute vor 65 Jahren, am 6. August 1945 zerstörte eine Atombombe die japanische Stadt Hiroshima und tötete etwa 150.000 Menschen. Um 8:15 wirft die Enola Gay, ein amerikanischer B29 Bomber seine tödliche Fracht „Little Boy“ über der Stadt ab. Zusammen mit der Bombe auf Nagasaki, die 3 Tage später abgeworfen wurden beenden die Amerikaner ihren Krieg mit Japan und unterzeichnen am 2. September die Kapitulation des Landes.

Hiroshima

Atomare Bomben und atomare Energie gewinnen in den Jahren nach Ende des 2. Weltkrieges zunehmend an Bedeutung und gipfeln in Wettrüsten und dem kalten Krieg. Die gegenseitige Androhung eines Atomkrieges der Supermächte, die zynisch unter dem Begriff Abschreckung geführt wurde, beschwor erstmals Auslöschungsszenarien der Menschheit herauf. Immer wieder scheint der Streit zwischen Ost und West zu eskalieren. In den 80ern wächst der Protest gegen atomare Machenschaften, in Deutschland wird offen gegen Atomwaffen protestiert – die vor allem jungen Menschen ersticken an der Gewissheit das es mit einem Knopfdruck vorbei sein könnte und auch die Kernenergie, die man nach der Ölkrise 1973 als Heilmittel für eine einseitige Abhängigkeit sah stößt auf Kritik. Atomkraft? Nein Danke.

1980 schrieben Orchestral Manoeuvres in the Dark (OMD) ihren Song Enola Gay das die Ereignisse in Hiroshima musikalisch umsetzt und den ich heute anführen möchte um an den Tag zu erinnern.“ Is mother proud of Little Boy today?“ heißt es in dem Song – Ist die Mutter stolz auf ihren kleinen Jungen?

Dokumentation (1985): So war das SO36

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Nichts scheint fester mit der Berliner Punk-Geschichte verbunden zu sein, wie das SO36. Die historische Halle im ehemaligen Zustellbezirk 36, diente am 12. August 1978 einem zweitägigen Mauerbaufestival (wissende achten auf das Datum), dem ersten Festival der aufstrebenden deutschen Punk- und NDW-Szene.  Eigentlich hatte so ziemlich alles, was heute als Ursprung einer ganzen und höchst umstrittenen Musikrichtung gilt, im SO36 gespielt. Nicht vom Punk, sondern von der Neuen Deutschen Welle ist die Rede, dem deutschen Bruder des englischen New-Wave, der im späteren Verlauf durch musikalische Lächerlichkeiten und Kommerzialisierung zur Phrase degradiert wurde.

Aber da war das SO36 schon wieder zu. 1983 übernahm ein türkischer Pächter die Hallo, eröffnete einen Hochzeitssaal, der aber noch im selben Jahr vom Bauamt geschlossen wurde. 1984 gab es dann eine Internationale Bauausstellung, die aber kurze Zeit später von den Vertriebenen Besetzer des KuKuck gestürmt wurde. Das duldete die Obrigkeit bis etwa 1987, denn das „Zentrum für Punk und Rock“ war mehr und mehr als Ausgangspunkt von Straßenschlachten der Berliner Hausbesetzerszene geworden, die meist auf der Oranienstraße ausgetragen wurden.

Genug Geschichte. 1985 machten Manfred Jelinski und Jörg Buttgereit eine Dokumentation „So war das SO36“, die 1997 auch als Video erschien – ein Muss für jeden NDW Historiker, der weiß, das die Neue Deutsche Welle nichts mit brennenden Taschenlampen, verkorksten Astronauten oder Luftballons zu tun hat. Werkstattkino fasst zusammen: „Eine Hommage an den berühmtesten Punk-Schuppen seiner Zeit. Die Kamera dicht am Geschehen, direkt vor der Bühne neben Schlagwerk, Gitarre und schwarzen Lederstiefeln. Die Körnigkeit des hochempfindlichen Filmmaterials (Super 8) im Pogotaumel, fliegende Bierbüchsen im bunten Nebel aus Bühnenlicht, Qualm und verdunsteten Schweiß und die authentische Geräuschkulisse erbitterter Fans. Mit Einstürzenden Neubauten, Lorenz Lorenz, Betoncombo, Die tödliche Doris, Malaria und vielen anderen mehr.

Warum schreibe ich darüber? Bei mogreen gibt es dazu ein paar Filmsequenzen, die nochmal so richtiges „So war es wohl früher“ Gefühl vermitteln, gewürzt mit Neid „Schade das ich nicht dabei gewesen bin“ und einer Spur Mitleid für die Musiker „Bierdose an der Rübe müssen doch unheimlich zwiebeln“. Hier die ganze Playlist:

Die Rettungsaktion für das Archiv bei „Trackback“ auf Radio Fritz

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Am Samstag Abend berichtete das Radio Fritz aus Berlin seiner Sendung Trackback über die Rettungsaktion für das Archiv der Jugendkulturen. Ich hatte die Gelegenheit, mich mit Marcus Richter, der die Sendung moderiert, am Telefon über das Archiv und seine Arbeit zu unterhalten. Der Beitrag sollte schon in der letzten Woche gesendet werden, die Sendung ist aber der Berichterstattung über die Katastrophe in Duisburg gewichen, was mehr als verständlich gewesen ist.

Um so erfreuter war ich natürlich, das die Sendung am Samstag dem 01. August nachgeholte werden konnte. Aufmerksame Leser der Rettungsaktion für das Archiv der Jugendkulturen auf Facebook wussten bereits Bescheid und konnten die Sendung LIVE im Stream verfolgen oder auch im Radio hören. Für alle anderen ist ein Podcast zur Sendung erschienen, den ich euch nicht vorenthalten möchte und den zur Sendung erschienen Podcast auch hier nochmal anbiete. Ab 9:05 startet der Bericht über das Archiv der Jugendkulturen, darüber hinaus solltet ihr euch die ganze Sendung zu Gemüte führen, die wirklich sehr interessant ist.

In unserem kurzen Gespräch versuche ich zu erklären um was es sich bei dem Archiv der Jugendkulturen handelt, welche Aufgabe es hat, was es für die Jugend tut und warum ich es retten möchte. Kritiken und Fragen jeder Art dazu sind in den Kommentaren erwünscht, ich würde gerne wissen was ihr davon haltet.

Podcast steht unter CC-Lizenz von Radio Fritz Trackback | Download | Länge: 59:36m

Etwas überrascht war ich natürlich schon, als man mich per E-Mail anschrieb ob ich nicht für dieses Thema als Gesprächspartner zur Verfügung stehen würde. Noch aufgeregter war ich natürlich bei meiner Radio-Premiere. Umso glücklicher war ich dann letztendlich, als ich feststellte, doch nicht in „Ähm…“, oder „Hmm…“ Aneinanderreihungen zu verfallen und halbwegs alle relevanten Dinge zu Sprache gebracht zu haben. Kurioserweise fällt es mir nicht leicht, meine eigene Stimme in irgendeiner Form zu hören – ich finde sie klingt Fremd – das aber offenbar ein allgemeingültiges Phänomen ist. Vielen Dank nochmal an Marcus Richter, der mir die Möglichkeit eingeräumt hat meine eigene Stimme im Radio zu hören und darüber hinaus noch etwas für die Rettung des Archivs der Jugendkulturen zu tun.

Die Geschichte von Dorian Gray: Ich werde ewig leben

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Dorian Gray ist reich und schön und der Traum der ewigen Jugend manifestiert sich in seiner Person. Sein Geheimnis ist ein Porträt, das statt seiner altert und in das sich die Spuren seiner Sünden und Verbrechen einschreiben. Während Dorian Gray immer noch jung und makellos erscheint, wird er immer maßloser und grausamer. Es ist der einzige Roman des irischen Schriftstellers Oscar Wilde. Doch Dorian Gray sollte Synonym für all das werden, was den Zeitgeist um 1890 prägte. Der ausprägte Hedonismus im Viktorianischen Zeitalter, die Dekadenz der englischen Oberschicht und als Form von Lebenshaltung und Kunstanschauung unter der Flagge des Ästhetik.

Oscar Wilde selbst sollte das Buch ein paar Jahre später zum Verhängnis werden. Wilde ging für damalige Verhältnisse sehr offen mit seiner Homosexualität um und erzürnte so den den Marquess von Queensberry weil er unter anderem eine Beziehung zu seinem Sohn Lord Alfred Douglas unterhielt. Der beleidigte Wilde in der Öffentlichkeit als „posierenden Homosexuellen“, woraufhin der ihn wegen Verleumdung verklagte. Doch das Blatt wendete sich, Oscar Wilde wurde vom Kläger zum Angeklagten. Offenbarungen aus seinem Privatleben wurde vom vormals Angeklagten Queensberry zur Verteidigung eingesetzt und  führten letztendlich zu einer Verurteilung wegen Unzucht.

Homosexualität war im viktorianischen Großbritannien nicht verpönt, sondern sexuellen Handlungen zwischen Männern sogar unter Strafe gestellt was dazu führte, das der gebrandmarkte Homosexuelle Oscar Wilde, der im Prozess genau wegen dieser Unzucht verurteilt wurde zur unfreiwilligen Ikone einer Bewegung mutierte und der den Stereotyp des homosexuellen Mannes nachhaltig prägte. Ein feiner englischer Humor, Wortgewandtheit, Leidenschaft für Ästhetik in Kleidung und Inneneinrichtung sowie eine exzentrische Persönlichkeit sollte zum Beweis der Homosexualität werden. Männer in England, die genau so lebten, wurde als „Oscar“ beschimpft.

Aus der Geschichte des nicht alternden Dorian Gray wurde ein Mythos. Er reifte zu Krankheit , die die seelische Unfähigkeit beschreibt zu altern oder zu reifen, woraus ein gestörtes Selbstbild und die Ablehnung der eigenen Gestalt resultieren kann. Die Folgen in unserer heutigen Zeit lassen sich an der Anzahl der Schönheitskliniken und Beautyfarmen ablesen. Mag sein, das sich das ebenfalls in einem intensiven Hang zur eigenen Vergangenheit äußert, wer weiß.

Die spannende Geschichte hingegen beschäftigt auch immer wieder die Filmemacher. Gleich sechs mal wurde sie verfilmt, erst 2009 als Kinoproduktion mit Colin Firth und Ben Barnes in den Hauptrollen, der trotz schlechter Kritiken: „Das Bildnis des Dorian Gray ist oberflächlicher und schauderhaft reaktionärer Gothic-Horror, der die Narzissmus-Parabel des Originals bloß noch andeutet, mit einer spielfreudigen Nebendarsteller-Riege und schicker Ausstattung aber immerhin seicht unterhält.“ auch demnächst den Weg in meinen DVD-Player gehen wird, allein schon um dabei gewesen zu sein und vielleicht festzustellen, das es besser war nicht ins Kino zu gehen.

(Bild via This isn’t happiness)

„Ein Leben für den Tod“ – Bravo-Artikel zwischen Halbwahrheiten und Polemik

Teufelszeichen? Böse satanische Kräfte? Mit dem Pendel den Geist der Oma beschwören? Was sich nach Klischees der Boulevard-Presse der späten 80er klingt, findet sich auch 2003 immer noch in den Magazinen und Jugendzeitschriften. Im Report „Ein Leben für den Tod“ berichtet die Bravo über die 18 Jahre alte Melanie aus München auf eine recht ungewöhnliche Weise, denn alles an ihr hat mit dem Teufel zu tun, sollte man meinen. Auf dem Titelbild steht neben ihrem Foto: „‚Friedhöfe sind doch nur Komposthaufen für Menschen‘, sagt Melanie und zeigt das Teufelszeichen. Die beiden Finger symbolisieren die Hörner Satans.“ Die betont finstere Miene und die Grabsteine im Hintergrund tun ihr übriges.

Ein Leben nach dem Tod 1Ich muss schmunzeln, alles wirkt so dargestellt, so unecht und so lächerlich – aber es bleibt auch eine unterschwellige Traurigkeit zurück, wenn man sich vor Augen führt, welche Wirkung ein solcher Artikel auf eine beispielsweise 13 Jahre alte Leserin haben könnte. Auch bei Nichtinteresse erinnert die Aufmachung des Artikels an beste Boulevard-Manier: Schocken, den Blick fesseln, neugierig machen, Interesse wecken, um dann im Inhalt zu relativieren. Hintergrundinformationen fehlen völlig, vermeintliches Wissen über Symbole und Zeichen sind an den Haaren herbeigezogen. Ich finde es sehr enttäuschend, dass sich eine Jugendzeitschrift auch 2003 noch auf ein solches Niveau herunterlassen muss.

Dabei ist der vermutlich jugendliche Leser in eine Polemik-Falle getappt. Die erste Seite lockt: „Ein Leben für den Tod„, Satanszeichen, böse Blicke – der Spannungsbogen wird gezogen, man wird neugierig wie es weitergeht, denn man fragt sich: „Wie bitte? Ich dachte, Gothic hätte nichts mit Satan zu tun?“ Schnell blättert man um und lässt seinen Blick über die kleineren Bilder des Artikels schweifen: „Melanie zeigt ihr Pentagramm – ein satanisches Siegel„, dabei wissen wir doch, das Pentagramm ist ein Schutzzeichen gegen das Böse und kein satanisches Siegel. Ein Bild von ihren Stiefeln soll den Eindruck festigen: „Melanies Stiefel: das Zeichen des Teufels!

Auf Melanies Rucksack, der eigentlich eine Tasche ist: „Das böse dominiert!“ – Wer genau hinschaut, erkennt einen Stinkefinger, einen Kiss-Aufnäher, einen von Marilyn Manson und Nitzer Ebb, sowie ein durchgestrichenes Kreuz. Wirklich alles sehr Böse! Spätestens hier hinterlässt der Artikel den Eindruck, Melanie ist eine böse Teufelsanbeterin, die nur Satan im Kopf hat. Das ist Fatal, denn mit den Bildern endet meist das Interesse des flüchtigen Leser. Die Einleitung des Artikels bleibt dann auch beim Thema, erst später gibt es Entspannung: „Sie sieht aus wie ein Kunstwerk des Teufels […]  Wenn sie mit finsterem Blick durch die Stadt spaziert, wechseln Passanten schon mal die Straßenseite und gucken misstrauisch. ‚Das macht mir aber nichts aus. Denn wir sind Grufties und keine Satanisten. Wir tun nichts böses‘, erklärt Melanie.“ Melanie stellt also fest, das das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Ob sie nach dem Artikel darüber erzürnt war? Bleibt zu hoffen.

Die Relativierung, also die Aussage „Ist doch alles nicht so schlimm…“, findet ihre Krönung, als der Autor die Überschrift selbst mit einbezieht. „Anhänger dieser für viele gruselig anmutenden Kultur beschäftigen sich mit dem Thema Tod – aber nicht aus Todessehnsucht.“ Das liest sich in der Überschrift „Ein Leben für den Tod“ aber etwas anders, außerdem ist jetzt von Kultur und Tod die Rede. Satan scheint nicht mehr angesagt. Vollständig rehabilitiert? Mitnichten. Ein Infokasten über die vermeintlichen Symbole der Gothics ist der Tusch am Ende des Liedes. Und auch wenn ich mich zurücklehnen könnte weil mit der Unsinn bewusst ist, kann ich mir eine Umdeutung des Infokastens mit Links zu eigenen Artikel zum Thema schwarze Symbolik nicht nehmen.

  • 666 – Ist kein teuflisches Zeichen, sondern in der populärsten Deutung die Zahl des Tieres (nach Aleister Crowley) oder im Allgemeinen des Böse. Obwohl seine erstmalige Verwendung in der Bibel symbolisiert wurde ist von einer Verbindung als teuflisches Zeichen nicht die Rede. (Schwarze Symbolik – 666)
  • Das umgekehrte Kreuz – Ist eigentlich das „Petruskreuz“, der damit zum Ausdruck bringen wollte, dass er nicht würdig sein, auf die gleiche Weise wie Christus zu sterben. Moderne Deutungen und Verwendungen zielen eher auf eine Ablehnung der Kirche als Institution, es ist weder das Zeichen von Satanisten noch die Ablehnung des christlichen Glaubens. (Schwarze Symbolik – Umgedrehtes Kreuz)
  • Das Pentagramm – Symbolisiert die fünf Elemente Luft, Feuer, Wasser, Erde und Geist und nicht die bösen satanischen Kräfte. Es sei denn Luft ist beispielsweise eine satanische Kraft. (Schwarze Symbolik – Das Pentagramm)

Ein bisschen viel Boulevard für eine Jugendzeitschrift, ein bisschen viel Halbwahrheiten und viel zu viel Polemik, von der bei vielen Jugendlichen nur Bilder und Schlagwörter hängen bleiben. Gothic und der Teufel – So kann Erklärung nicht funktionieren, so berichtet man nicht Klischeefrei, so schafft man keine Vorurteile aus dem Weg. Weder 1985 noch 2003 und schon gar nicht 2010.

Durchgelesen: Grufties – Jugendkultur in Schwarz

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Eine Sisyphusarbeit ist das akribische Analysieren des Gruftie- oder vielleicht besser verständlich Gothic-Stils in all seinen nach außen hin sichtbaren Merkmalen. Zu recht bemängeln Kritiker, das man sich einer Jugendkultur und insbesondere der Gothic-Szene nicht allein von dieser Seite aus näher kann um sie überhaupt als solche zu erfassen und in Ansätzen greifbar zu machen. Man bezweifelt sogar, das dies überhaupt möglich ist.

2000 machen sich Doris Schmidt und Heinz Janalik daran, die bis dahin bekannten Erscheinungs- und Ausdrucksformen der Grufties zu erfassen. Das sie dabei den wesentlichen Kern nicht erreichen ist ihnen bewusst: „Wer als Außenstehender Erkenntnisse über jugendkulturelle Szenen gewinnen will, um Verstehen und Verständnis als Grundlage für humane Koexistenz zu entwickeln, muss in einen vorbehaltlosen und vielseitigen Dialog mit den Repräsentanten der Szene treten, wohl wissend, dass ein Beobachter von außen die von den Jugendlichen gezogenen Grenzen anerkennen muss und deshalb in gewisser Weise immer außerhalb verbleiben wird.

Bevor im mir das Buch bei Amazon bestellt habe, kam ich nicht daran vorbei, die Kritiken der Leser zu studieren, die sich bis dahin dem Buch genähert haben. Die durchweg schlechten Kritiken ließen mindestens eine Sache erahnen, entweder wurden Erwartungen nicht erfüllt weil das Buch dafür nicht geeignet ist, oder die gestellten Erwartungen waren einfach falsch, wir werden sehen und erfahren warum Brillen die Masken der Grufties sind.

In erster Linie geht es in dem Buch um das äußere Erscheinungsbild der Grufties, deren Unterscheidung und Bedeutung einzelner Stilelemente. Die Szene als solche zu erfassen, zu beschreiben und zu analysieren strebt das Werk nicht an. Dafür wird jedoch fein säuberlich auseinandergelegt, was die Gruftieszene und die Untergruppierungen (Wave, Romantic, SM-Stil und Normal-Stil) ausmacht, woraus ihr Look besteht, welche Accessoires man verwendet, welche Frisuren man sich macht und wie das Make-Up getragen wird. Wenn man so möchte ist das Buch ein ultimativer „Wie muss ich mich anziehen um gruftig zu sein?“ Leitfaden, der nicht viel auslässt – wenn man sich am Erscheinungsjahr 2000 orientiert.

Die Eckwerte des Buches sind ernüchternd. Für rund 15€ (Amazon) erhält man ein 126 Seiten umfassendes Werk, das sich gespickt mit unzähligen Quellen und Bildern in schlechter Qualität einem Thema nähert, was eine starke emotionale Komponente besitzt, die in dem Buch als solche gar nicht zum tragen kommt. Es bleibt eine sachliche Aufzählung dessen, was 2000 das Gruftie Dasein ausmachte, das mitunter in übertriebene Detailverliebtheit ausartet. Ich möchte als stellvertretendes Beispiel für den Stil des Buches, seinen Informationsgehalt und die stellenweise Absurdität ein Kapitel über die Sonnenbrillen zitieren:

10.3 Brillen – Etliche Grufties beiderlei Geschlechts schmücken wie ihre Vorläufergruppe der New Waver ihr Gesicht mit dunklen Brillen. Solche Brillen mit dunklen Gläsern dienen üblicherweise als Sonnenbrille dem Schutz vor UV-Strahlen und werden seit den 50er Jahren als modisches Accessoire mit vielfarbigen Fassungen getragen. Neben ihrer Schutzfunktion haben Brillen mit dunklen Gläsern zuweilen auch die Funktion, den Träger oder die Trägerin vor den Blicken anderer zu schützen […].

Solcherart verwendete Brillen sind letztlich Masken, die den Träger oder die Trägerin unkenntlich machen und manchmal auch Distanz schaffen sollen. Sie verweisen damit auf die Masken im 16. und 17. Jahrhundert. Damals wurden von der Stirn bis zur Nase reichende Halbmasken aus schwarzem Samt oder aus Seide getragen. Sie hatten ursprünglich ebenfalls eine Schutzfunktion, nämlich den Teint gegen die Witterung zu schützen. Im 17. Jahrhundert bekam diese Halbmaske, die sog. Chanez eine andere Funktion. Sie wurden von beiden Geschlechtern benutzt, um unerkannt zu bleiben. Diese Absicht, Identität zu verbergen oder eine andere Identität zu verkörpern und für diese Aufmerksamkeit zu erregen, steht hinter den Glanzmasken der griechischen Schauspieler in der Antike und kann noch heute beim Karneval in Venedig identifiziert werden.

Auch Grufties eröffnen sich mit ihren dunklen Brillen die Möglichkeit, einerseits in auffälliger Weise unerkannt zu bleiben. Andererseits provozieren sie mit diesem Accessoire die Neugier des Betrachters und wecken dessen Interesse am Träger.

Faszinierend. Zwischen dem Gefühl aus Oberflächlichkeit, Geschichte und Absurdität steckt ein Funke von dem wofür sich dieses Buch letztendlich dann doch eignet. Für Hintergrundwissen über den eigenen Stil und das konsequente Verfolgen geschichtlicher Ansätze – von der Einrichtung der schwarzen Wohnung, die Unterscheidung grundsätzlicher Äußerlichkeiten bis hin zu Sonnenbrillen. Wer wissen will, warum Grufties spitze Schuhe tragen ist hier richtig, wer wissen will was hinter der Szene steckt, was Menschen dazu bewegt und warum es für manche über einen einfachen Kleidungsstil hinausgeht, ist hier falsch aufgehoben. Kauftipp? Fehlanzeige.