„Ein blasser Mond liegt über dem Friedhof. Vom Kirchturm tönt es leise zwei Uhr: Schwarze Gestalten huschen durch eine Lücke in der Friedhofsmauer. Der brave Bürger hat längst das Licht gelöscht. Die Grufties zünden ihre Kerzen an. Ihr warmer Schein weist den Weg zu Gräbern und Gruften. Es ist wie schon so oft – und doch anders. Die Grufties nehmen dieses mal uns mit. “ Eine durchaus gelungene Einleitung für einen Artikel, der etwa 1991 in der Zeitschrift Neues Leben 1 erschien. Doch auch der Artikel selbst scheint sich vom üblichen Vorurteils-Brei dieser Zeit abzuheben und einen eigenen Weg zu gehen.
„Ich weiß, daß es nicht passieren wird. Hier, in dieser Nacht und auf diesem Friedhof, wird keine schwarze Messe zelebriert. Keiner Katze wird das Fell über die Ohren gezogen, um sie Satan zu opfern. Niemand trinkt eine Blutkonserve leer. Grabsteine und Särge bleiben unberührt. Die hier auf den Friedhof gehen verabscheuen diese Klischees, das höchstens 2 von 100 Grufties bedienen.“
Damit geht die Zeitschrift auf ein Phänomen ein, das sich ebenfalls Anfang der 90er und vorwiegend in den neuen Bundesländern zu beobachten war.
Eine Zeit, in der wohl möglich einige Gestalten sich neu entdeckten und ausprobierten. In manchen Tageszeitungen die von 90 bis 93 erschienen war immer wieder von „Totenmessen“, „Teufelsbeschwörungen“ und „Schwarzen Messen“ die Rede, denen oft als einziges Indiz Wachsspuren auf Grabsteinen oder gemalte Zeichen im Sand der Fußwege dienten.
Die Einordnung, in der sich die Zeitschrift versucht, ist hingegen etwas eigen. „Der typische Mode-Gruft liebt vor allem seine schwarze Kluft – weite „Türkenhosen“, spitze Schuhe, Totenkopfschnallen und gestylte Frisuren.“ Soweit nachvollziehbar, die gibt es heute immer noch – die tragen zwar häufig Hosen mit D-Ringen und klotzige Boots, sind aber soweit identisch. „Lullabys sind neugierige Anfänger, die meist nicht lange durchhalten.“ Interessant, offenbar dem gleichnamigen Titel eines Songs von The Cure entnommen, bezeichnet man neugierige Anfänger als Lullabys, wohl zu seiner wörtlichen Nähe zu „Baby“. Weiter geht es mit: „Der Depri-Gruft kann keinen Sinn im Leben erkennen und vergräbt sich in seiner pessimistischen Grundstimmung.“ Soll es gegeben haben, steht aber nicht ideologisch für eine ganze Jugendkultur, aber Pauschalisierung sind ja heute auch noch in Mode. „Der Gothic beschäftigt sich mit der Kultur des Mittelalters – dem Baustil, dem Lebensstil.“ Kann man irgendwie nicht abstreiten. „Der spiritistische Gruft nimmt Verbindung zu den Toten auf, glaubt an die Unsterblichkeit der Seele und kann Sequenzen der Zukunft voraussagen. Und dazwischen liegen unzähligen Schattierungen.“ Klingt ein bisschen nach Nostradamus-Gruftie, hat es aber durchaus auch gegeben, das kann ich absolut und auch für den Westen des Landes zu dieser Zeit bestätigen. Schattierung bringt die Sache dennoch auf den Punkt, denn die Gruftie-Gothic Szene ist nie, war nie und wird nie ein homogener Haufen Jugendlichen und Erwachsenen sein.
Doch nun aufgepasst: „Drei Merkmale aber sind allen Grufties gemeinsam. Sie hassen Gewalt und tragen ihren Frust im Inneren aus. Sie lieben das Trauer-Schwarz als Zeichen der Abkehr von einer sich grellbunt und heil gebenden, in Wirklichkeit aber doch kaputten Welt.“ So ist es. Eine großartige Passage und Merkmale, mit denen sich wohl viele Jugendliche dieser Zeit identifizieren konnten. Bedenkt man die Zeit und die Quelle dieses Artikels, darf ich behaupten, es handelt sich um einen authentischen Einblick in diese Zeit, der nahezu ohne polemisches Gehabe auskommt und darstellt wie es wirklich war. Er erhebt nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit und kommt nahezu ohne Verallgemeinerungen aus, zudem der Autor selbst erkennt, das eine umfassende Darstellung wohl unmöglich ist. Irgendwie schade, das diese Zeitschrift 1992 eingestellt wurde und die 30.000 verbleibenden Abonnenten mit der sicherlich gleich guten Coupé beliefert wurden 2.
Einzelnachweise
- Neues Leben ist einen 1953 erschienene Jugendzeitschrift der DDR. Sie wurde vom Zentralrat der FDJ herausgegeben und war bis zur Wende ein sehr beliebtes Blatt mit einer Auflage von etwa 540.000 Exemplaren. Nach dem Mauerfall übernahm der Verlag Pabel-Moewig den ehemaligen FDJ-Verlag „Junge Welt“, der die Zeitung bis zu ihrem Ende 1992 unter dem Titel „neu leben“ publizierte.[↩]
- Quelle: Webseite Madeingdr in seiner Rubrik Kinder- und Jugendzeitschriften der DDR, abgerufen am 3. August 2010[↩]
Hurra, ich bin ein Depri-Gruft!
Endlich ist mal einer ehrlich und gibt das vergraben seiner Grundstimmung auf. Und vielleicht erwische ich Dich doch irgendwann einmal beim lachen ;)
Naja, daß ich nicht die positivste Person der Menschheit bin, könnte durch meine Kommentare eventuell vermutet worden sein. Und vielleicht erklärt dies auch manches. Und ich lache eigentlich gerne, nur fehlt es an Gelegenheiten ;)
„kann keinen Sinn im Leben erkennen und vergräbt sich in seiner pessimistischen Grundstimmung“ …das ging ja mal wieder sehr am hinterliegenden Grundgedanken vorbei, aber logisch dass es leicht so aufgefasst wird. (Absichtlich nicht in der Vergangenheitsform, denn ich denke das äußere Szenebild hat sich im Laufe der Zeit nicht groß gewantelt.)
„…das Trauer-Schwarz als Zeichen der Abkehr…“ oh ja :) aber frag einmal den nächstbesten Grufti nach seinen ureigenen Beweggründen dafür – na sei’s drum. Ein tolles Fundstück! Ich bin ein bisschen Platt dass es damals Blätter gab die außerhalb der Mentalität heutiger Schwarzer Magazine so ausführlich berichteten und trotzdem kein billiges Stern oder Spiegel Rechercheniveau aufwiesen, der Hammer.
Diese Magazine hat es tatsächlich gegeben, leider sind die „anderen“ Beiträge den meisten besser in Erinnerung geblieben. Vielleicht sollte ich mich darauf beschränken eben von diesen Artikeln zu berichten.
Da komme ich nicht ganz mit, warum solltest du nur über Artikel berichten an die sich die Leute besser erinnern!? oO So ein Rückblick ist schließlich auch immer einer über den Tellerrand unserer Szenesuppe.
Ich meine damit, das die „anderen“ Berichte, in den die Szene als Satanskult, Tiefopferbringende Jugendliche und potentielle Serienmörder den Leute besser in Erinnerung bleibt, als informative und gut gemachte Artikel. Aber du hast recht, letztendlich müssen immer unbedingt beide Seiten gezeigt werden, die guten, um sie zu verbreiten – und die schlechten, um sie in der Luft zu zerreißen.