Das Archiv der Jugendkulturen retten – Warum?

In der Zeitung Neues Deutschland führte Redakteur Martin Kröger ein sehr informatives Interview mit dem Leiter des Archivs, Klaus Farin, das die Hintergründe der Rettungsaktion für das Archiv der Jugendkulturen anspricht.  Aus Jugendkultureller und Bildungspolitischer Sicht wirft das ein kritisches Licht auf die Hauptstadt selbst, denn obwohl hier offensichtlich viel investiert wird, bleiben wichtigere Dinge unberücksichtigt. Ein Regelförderung erhält das Archiv nicht, dass heißt eine regelmäßige finanzielle Unterstützung durch Bund, Land oder Berliner Senat fehlt. Es gibt zwar projektbezogene Mittel durch die Bundesprogramme „Vielfalt tut gut“ und „Jugend für Vielfalt, Demokratie und Toleranz“, die sind aber auf spezifische Aufgabe zugeschnitten und führen nur selten zu einem Mietzuschuss.

Einzige feste Einnahmequelle des Archivs der Jugendkulturen ist der eigene Verlag, dessen Erlös aber auch nicht ausreicht allein die Mietkosten von 5000€ pro Monat zu decken. So springen die Mitarbeiter immer wieder ein, um Lücken in der Kasse durch private Finanzspritzen zu füllen. Am 31. Oktober, dem Stichtag für die Spendenaktion läuft der Mietvertrag des Archivs auf der Fidicinstraße 3, Berlin aus. Bis dahin muss entschieden werden ob der Mietvertrag für die Räume verlängert werden kann, oder gekündigt werden muss, weitere Jahre mit Verschuldungsgarantie können und wollen die 28 Ehrenamtlichen Mitarbeiter nicht mehr auf sich nehmen. Letztendlich wäre das das Ende des Archivs in seiner jetzigen Form.

Ich möchte das Interview hier auszugsweise aufgreifen und für mich interpretieren. Das ganze Interview findet ihr in Artikel der Zeitung „Neues Deutschland“ – Archiv der Jugendkulturen geht stiften.

ND: Privat? Sie haben doch auch Geld durch das Bundesprogramm »Vielfalt tut gut«, »Jugend für Vielfalt, Demokratie und Toleranz«, Projektmittel des Berliner Integrationsbeauftragten oder EU-Gelder bekommen. Klaus Farin: Projektmittel bekommen wir. Aber die finanzieren nicht die Grundausgaben. Ab und zu gibt es einen Mietzuschuss – dafür sind wir dankbar. Aber das meiste fließt eben wieder in die Projekte hinein. Dazu müssen wir aber jeden Monat rund 5000 Euro Miete zahlen. Und die einzige Einnahmequelle, die wir haben, ist der Verkauf der Bücher aus unserer Verlagsreihe. Das reicht aber nicht. Wir schießen seit Jahren privat aus unseren eigenen Taschen so ein-, bis anderthalbtausend Euro pro Monat dazu.

ND: Allein für die Aufklärung, die Sie über extrem rechte Jugendkulturen leisten, müssten Sie doch von staatlicher Seite regelmäßig mit Geld überschüttet werden? Klaus Farin: Die Frage müsste man dem Berliner Senat stellen.

ND: Stellen Sie diese Frage denn selbst dem Senat nicht? Klaus Farin: Wir haben immer wieder versucht, Kontakte zu knüpfen. Hören aber nur, wir haben auch kein Geld, wir schließen unsere eigenen Bibliotheken, eigene Jugendklubs und da können wir Sie nicht auch noch finanzieren. Sicher wäre es die ideale Lösung, wenn wir vom Kultursenat einen Etat bekommen könnten, oder auch vom Bildungssenat, schließlich leisten wir für den Jugendkulturbereich Grundlagenforschung.

Das Archiv ist mehrfach ausgezeichnet, doch außer einem Händedruck von Ex-Bundespräsident Horst Köhler ist nicht viel geblieben. Die Einzigartigkeit zeichnet das Archiv aus und ist gleichzeitig auch sein größtes Stigma, denn dadurch lässt es sich schwerlich in bestehende Förderlinien einordnen. Die Aufgabe des Archivs wird immer noch missverstanden: „Weil viele Leute einfach nicht verstehen, dass es eine Bibliothek ist, eine Forschungseinrichtung. Dabei haben wir einen interdisziplinären Ansatz – hier arbeiten Professoren gemeinsam mit Punks an Projekten.

Eine schwierige Zeit? Die falsche Regierung? Ein engstirniger Senat? Das Archiv existiert in seiner Form nun seit 12 Jahren, genug Zeit als für mehrere Legislaturperioden, Senate und Regierung sich der Sache anzunehmen, darüber zu beraten, oder sich zu informieren – doch geschehen ist nichts. Mittlerweile fehlte sogar das Geld, die regelmäßige Zeitschrift „Journal der Jugendkulturen“ in gedruckter Form zu publizieren, so dass sie einer sparsameren – wenn auch unattraktiveren – PDF Ausgabe gewichen ist.  Man spart also wo man kann und bewegt sich für ein Archiv mit bibliothekarischem Anspruch am Rand des Existenzminimums.

ND: Dass das Archiv gute Arbeit leistet, steht außer Frage. Sie sind mehrfach ausgezeichnet worden. Klaus Farin: Diese Auszeichnungen waren jedoch nicht mit größeren Preisgeldern verbunden. Der Ex-Bundespräsident Horst Köhler hat uns gerne die Hand geschüttelt, aber keinen Cent dazugegeben. Da wir die einzige Einrichtung dieser Art überhaupt sind, fallen wir durch alle möglichen Töpfe. Weil viele Leute einfach nicht verstehen, dass es eine Bibliothek ist, eine Forschungseinrichtung. Dabei haben wir einen interdisziplinären Ansatz – hier arbeiten Professoren gemeinsam mit Punks an Projekten.

ND: Ist das der Grund, weshalb das Archiv als einzigartig gilt? Klaus Farin: Unser Ziel ist es, differenzierte Informationen über Jugendliche und deren Welten zu sammeln und diese Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen. Es gibt nichts dergleichen in Europa. Also Forschung zu dem, was Jugendliche am meisten interessiert: Mode, Musik, Freizeitszenen, Peergroups. Außer uns sammelt das niemand, damit meine ich: authentische Medien, Flyer, Tonträger, T-Shirts, Fanzines aber auch wissenschaftliche Studien, Zeitungsberichte. Wir arbeiten das auf und stellen es jedermann, der interessiert ist, kostenlos zur Verfügung.

Jugendliche Szene lassen sich nicht mit schnöden Analysen und trockenen Zahlen analysieren, dazu muss man einfach schwarz/weiß Denken beenden und beruhigendes Schubladendenken konsequent in Frage stellen. Das Archiv sammelt das was aus der Szene stammt, trägt zusammen und sammelt auch darüber hinaus vielen Szenerelevante Publikationen und bieten so die einzigartige Möglichkeit, sich selbst ein Bild über das zu machen, was man nicht versteht.  Darüber hinaus forscht das Archiv auch selbst und veröffentlicht immer wieder entsprechende Bücher von eigenen Autoren die häufig ein differenziertes Bild zur üblichen Szene-Literatur bieten. Noch ist Zeit zur Rettung, lassen wir sie nicht ungenutzt verstreichen! Informationen findet ihr im Artikel zur Rettungsaktion des Archivs.

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