Nach 16 Jahren stellen Dead can Dance nun endlich ihr neues Album „Anastasis“ vor, das bereits im Vorfeld schon für Begeisterungsstürme sorgte und das ich jetzt schon in mein Herz geschlossen habe. Mit Hisute Pursuite grabe ich wieder einmal tief in der Genre-Mix-Kiste und stelle ihr Album „Tighten that muscle Ring“ vor, dass sich mit der Einordnung „Experimental Gay Post Industrial“ so gar nicht an die Konventionen halten will. Auch Steven Severin, der immer noch untrennbar mit „Siouxsie & The Banshees“ verbunden ist, kommt nicht zu kurz. Sein Solo-Album „Vampyr“ ist mir ebenfalls zu Ohr gekommen und entführt mich gleich noch in ein paar Klassiker der Filmkunst.
Dead Can Dance – Anastasis
Unglaubliche 16 Jahre musste man auf ein neues Lebenszeichen der Ausnahmeformation „Dead Can Dance“ warten. Auch wenn innerhalb dieser Zeit „Brendan Perry“ als auch „Lisa Gerrard“ einige Soloalben veröffentlichten, war die Begeisterung über ein gemeinsames Comeback enorm. „Anastasis“ heißt ihr neues Werk, griechisch für „Auferstehung“ bzw „Wiedergeburt“, passender könnte man es kaum formulieren. Denn während viele Künstler mit ihrem Comeback nicht wirklich überzeugen können und nur noch einmal ihre alte Zeit zelebrieren möchten, laufen „Dead Can Dance“ zu neuen Höhen auf. Während das letzte Album „Spirichaser“ mit seinen massiven Worldmusic Einflüssen nicht mehr alle Fans begeistern konnte, knüpfen sie mit ihrem neuen Meisterwerk an jene Zeit zwischen „Within the realm of a dying sun“ und „Into the labyrinth“ an. Das Album hat alles was das Dark Wave und Neoklassik Herz begehrt. Tiefe Melancholie, orientalische Elemente, eine verträumt wirkende Männerstimme mit fast schon poetischen Texten, eine himmlische Frauenstimme, welche in einer Fantasiesprache zu überzeugen weiß und eine großartige Auswahl der Instrumente. Es ist selten, dass ein Album, an welches so große Ansprüche gestellt wurden, diese noch um Weiten übertrifft. Auch wenn man sich bei „Children of the sun“ fragt, ob die beiden hier gezielt ein gegenteiliges Bild ihrer Fans zu dessen Text zeigen wollen: „We are the children of the sun. There is room for everyone, Sunflowers in our hair“. Ein Distanzierungsversuch á la „Sisters“? Das traue ich ihnen eigentlich nicht zu, erstaunt einem beim erstmaligen hören dieser Worte trotzdem. Ein absoluter Hörgenuss und mit Sicherheit eines der besten Alben der letzten Jahre, wenn nicht DAS beste.
Definitiv kein Album für jedermann! „Hirsute Pursuit“ spielen eine Art „Experimental Gay Post Industrial“, eine durchaus interessante Kombination im – gelegentlich immernoch als sozialdarwinistisch, totalitär geltenden – (Post-) Industrial Bereich. Wenn man keine allzu großen Probleme damit hat, dass auch mal männliche Stöhngeräusche oder ein halbnackter –nicht gerade schlanker – und gut behaarter Mann auf der Innenseite des Albumhülle „posiert“, sollte man hier unbedingt ein Ohr riskieren. Besonders hervorzuheben sind bei diesem (zweiten) Album die Kollaborationen mit Boyd „NON“ Rice und Peter „Sleazy“ Christopherson (Throbbing Gristle, Psychic TV, Coil). Das eingänglichste Stück der Platte ist mit Sicherheit das mit – Mr. Intolerante himself – Boyd Rice aufgenommene Cover des halbjüdischen, androgynen Popstars David Bowie namens „Boys keep swinging“. Das ist Ambivalenz pur, wie man sie lange nicht mehr gehört hat. Zu diesem Lied wurde auch ein Video gedreht, welches man sich zu Gemüte führen sollte. Die zweite Überraschung: Auf dieser Platte sind die wohl letzten aufgenommenen Lieder mit dem leider viel zu früh verstorbenen Peter „Sleazy“ Christopherson (+ 25. November 2010). Ein Mann der definitiv (Underground-) Musikgeschichte geschrieben hat und als Mitbegründer des Industrial zählt, nahm hier 2 Stücke mit „Hirsute Pursuit“ auf. Doch auch der Rest des Albums klingt interessant, wenn man es
auch mit dem Gestöhne nicht selten übertreibt. Für alle Anhänger der Industrial Music wie Szene ein absoluter (Geheim-) Tipp.
Steven Severin, seines Zeichens Ex-Bassist der Post Punk/Goth Legende „Siouxsie and the Banshees“ sowie des Nebenprojekts mit Robert Smith namens „The Glove“, blickt nun schon auf eine lange musikalische Geschichte zurück. Umso erstaunlicher die Tatsache, dass er immernoch aktiv ist und heute eine ganz andere Art von Musik schafft. Heute liefert er Alben ab, welche zwischen „Soundtrack“ und „Dark Ambient“ anzusiedeln sind und genau in diesen Dunstkreis fällt auch sein neues Werk „Vampyr“. „Vampyr – Der Traum des Allan Grey“ von Carl Theodor Dreyer ist einer der ersten Vampirfilme überhaupt und kam fast zeitgleich mit „Dracula“ in Form von Bela Lugosi auf die Leinwände. Dennoch unterscheiden sich beide Filme erheblich, nicht nur weil Dreyer sich noch stark an den Stummfilmen den 1920er orientiert. Und genau diesen Soundtrack-lastigen Teil hat sich „Steven Severin“ verschrieben und seine eigene Intention davon geschaffen. Dieses – als dritten Teil seiner „Music for Silents“ Reihe bezeichnete – Werk klingt nicht nur nach einem Menschen der sein Handwerk versteht, es klingt als ob Herr Severin noch nie andere Musik gemacht hätte. Großartige Atmosphäre, welche eine Mischung aus Bedrohung, Schrecken, als auch manchmal einen leichten Anflug von Wohlgefühl zu verursachen vermag. Als besondere Hörprobe würde ich „The Mill“ empfehlen, für mich das stärkste Stück des Albums. Gerade die Mischung aus „Soundtrack“ und „Dark Ambient“ ergänzen sich hier hervorragend auf allen Ebenen. Dagegen wirkt der Film geradezu fröhlich und bunt…
Die Festivalsaison neigt sich dem Ende zu. Neben den vielen schönen Erinnerungen und den unvergesslichen Eindrücken bleiben auch Bilder im Kopf zurück, die für viele gar nicht in das Bild einer friedlichen schwarzen Szene passen. Outfits, die einer Nazi-Uniform zum verwechseln ähnlichen sehen und merkwürdige Symbolik mit unbekannter Bedeutung. Bands die sich auf der Bühne militärisch präsentieren, mit historischen Samples provozieren und aufgeladene Symbole bei der Gestaltung von Covern und Bandlogos verwenden.
Nazi-Ästhetik und rechte Unterwanderung sind ein heikles Thema, dass immer wieder aufflammt weil immer noch nicht zu erkennen ist, was mancher Besucher mit seiner Kleidung auszudrücken versucht und was Bands mit ihrer Musik transportieren wollen. Bei Spontis wird und wurde schon mehrfach über das Thema geschrieben und diskutiert, wer mehr erfahren möchte, ist eingeladen sich zu beteiligen. Auch Deine Meinung interessiert uns!
Interview über Nazi-Ästhetik mit Dr. Marcus Stiglegger (23. August 2012) Marcus Stiglegger (41) lehrt Filmwissenschaft an der Universität Siegen und beschäftigt sich seit den 80er Jahren mit dem Phänomen des Nazi-Chic, der als Stilmittel immer wieder in Kunst und Subkulturen verwendet wird. Bereits mit seiner 1999 erschienen Promotion von “Sadiconazista“ begibt er sich auf eine filmische Spurensuche, 2011 erscheint “Nazi-Chic und Nazi-Trash”, in dem er seine Recherche auf Mode und Musik ausdehnt und speziell auch Bands aus der schwarzen Subkultur, wie Death in June, Der Blutharsch und Laibach unter die Lupe nimmt. Offene Fragen blieben trotzdem. Was läge also näher als um ein Interview zu bitten? [zum Artikel…]
Uniformen in der Szene – Zwischen Provokation, Fetisch und Dummheit (15. August 2012) Manche Uniformen sehen denen des dritten Reichs sogar zum Verwechseln ähnlich, oder sind tatsächlich Originale mit nur notdürftig abgedeckten Details. An den Ständen von X-tra-X warten unzählige uniform-ähnliche Bekleidungsstücke auf kaufwillige Kunden und Military-Shops gehören mittlerweile zum festen Bestandteil des kommerziellen Szeneangebots. Zahlreiche Bands und Musiker nutzen Uniformen und militärisches Auftreten, um sich und ihre Musik auf der Bühne zu präsentieren. Man wird das Gefühl nicht los, dass man vor der Bühne dieses Vorbild aufgreift und zum modischen Stil degradiert oder Soldaten-Kleidung als Kostüm benutzt, ohne sich mit den Hintergründen zu beschäftigen. [zum Artikel…]
Schwarz-Braun sind auch wir? (Ein Artikel von Guldhan vom 4. Juni 2011 ) In diesem schwarz-bunten Haufen brodelt der Vorwurf und schwappt von Mal zu Mal stärker an die Oberfläche. Ob die Aufschreie objektiv begründet oder nur einer subjektiven Wahrnehmung verschuldet sind, wer vermag das schon zu sagen? Dennoch sei nicht zu übersehen, dass wirklich rechte Gesinnungen innerhalb dieser schwarzen Schafe existieren. Nicht bei der Masse, aber bei Einzelnen innerhalb der Masse. So etwas lässt sich nicht ausschließen. Weder hier noch in der Nachbarschaft. Doch diese gilt es herauszufiltern. Alle diese Kameraden, die das Stroh wiederkäuen, das man in den Köpfen der Sympathisanten von NPD und Konsorten vorfindet. Diese gilt es zu selektieren, zu kritisieren und rechts liegen zu lassen. Damit der letzte Rest Kunst und Kultur innerhalb dieser Nachtschatten-Szene alleine einen Platz für Provokation bietet und nicht zum Forum der Propaganda verkommt. [zum Artikel…]
Leichtfertiger Umgang mit Symbolen rechter Ideologien (Ein Artikel vom 11. April 2011) Zwischen geschnitzten Figuren, Stöcken und Wandschmuck für den ambitionierten Gothic-Haushalt finden sich vermutlich auch unzähligen Schmuckstände mit in Silber gegossenen Pentagrammen, keltischen Kreuzen und Drachen eben auch Triskelen, Runen und Schwarze Sonnen.Ich möchte keinen, der meint sich derartigen Schmuck um den Hals hängen zu müssen in eine politische Schubladen drängen. (…) Ein vermeintlich Kontroverses Symbol auf Tasche oder Jacke oder als Schmuck an Fingern oder am Hals reicht nicht für eine Einordnung der politischen Gesinnung aus. Doch die Naivität und Beliebigkeit, mit der einige Leute immer wieder solche Symbole einsetzen ist erschreckend und lässt mich zuweilen am Verstand besagter Szenegänger zweifeln. [zum Artikel…]
Internetseiten mit interessanten Informationen und Blogs mit ähnlichen Themen:
Schwarz statt Braun – Portal für eine Schwarze Szene ohne rechtsgerichteten Einfluss mit vielen Informationen
Die russische Punkband Pussy Riot hat im Februar in der Erlöserkirche in Moskau mit einem Punkgebet gegen Putin demonstriert. Das Ergebnis: Drei Bandmitglieder wurden zu zwei Jahren Straflager verurteilt. Man kann darüber streiten, ob es sinnvoll ist, verkleidet und brüllend in einen Gottesdienst im Kölner Dom zu rennen, um gegen diese Verurteilung zu protestieren, wie es jüngst zwei Männer und eine Frau taten. Eindeutig ist jedoch, dass die Art und Weise, mit der die engagierten jungen Leute aus der Kirche befördert wurden, mit Frieden, Nächstenliebe und dem, was die Kirche sonst so predigt, nicht viel zu tun hat.
In einem Spiegel-Artikel hieß es dazu: „Dompropst Norbert Feldhoff hatte bereits zu Beginn des Prozesses in Russland angekündigt, dass ein solcher Auftritt auch im Kölner Dom nicht toleriert würde: „Die Würde des Doms zwingt uns, dagegen vorzugehen.“
Tja, die Würde des Doms ist unantastbar. Steht jedenfalls so oder so ähnlich im Grundgesetz – irgendwo bei den Menschenrechten in der Nähe der Aussage über die Meinungsfreiheit. Letzteres Grundrecht nützt den jungen Leuten allerdings nichts, denn nun haben sie eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Störung der Religionsausübung am Hals. Ich gehe davon aus, dass mit „Religionsausübung“ nicht etwa die Umsetzung von moralischen Vorstellungen in die Praxis gemeint ist, sondern eher sowas wie „gemeinsam auswendig gelernte Lieder singen“, sonst wäre ja sicher einer der Religionsausüber eingeschritten. So wie Günther Jauch neulich.
Nazi-Ästhetik ist ein heikles Thema. Gerade in Deutschland sorgt diese äußerliche Provokation immer wieder für Kontroversen, besonders in der schwarzen Szene, die in den letzten Jahren einen regen Zulauf der merkwürdig militärisch-historisch Uniformierten bemerkt. In meinem Artikel über Uniformen in der Szene diskutieren die Leser differenziert über das Thema, klären individuelle Standpunkte und schreiben ihre Meinungen nieder. Einen gemeinsamen Nenner gibt es nicht.
In einer E-Mail wies mich Dr. Marcus Stiglegger darauf hin, dass sein Buch „Nazi-Chic und Nazi-Trash“ sich genau mit dieser Thematik beschäftigt. Asche über mein Haupt, mir war dieses Buch bei meiner Recherche tatsächlich entgangen. Marcus Stiglegger (41) lehrt Filmwissenschaft an der Universität Siegen und beschäftigt sich seit den 80er Jahren mit dem Phänomen des Nazi-Chic, der als Stilmittel immer wieder in Kunst und Subkulturen verwendet wird. Bereits mit seiner 1999 erschienen Promotion von „Sadiconazista“ begibt er sich auf eine filmische Spurensuche, 2011 erscheint „Nazi-Chic und Nazi-Trash“, in dem er seine Recherche auf Mode und Musik ausdehnt und speziell auch Bands aus der schwarzen Subkultur, wie Death in June, Der Blutharsch und Laibach unter die Lupe nimmt.
Natürlich habe ich mein Versäumnis umgehend behoben und mir ein Exemplar zugelegt. Tatsächlich führt das Buch vieles von dem aus, was ich in meinem Artikel bereits angerissen habe. Offene Fragen blieben trotzdem. Was läge also näher als um ein Interview zu bitten?
Interview über Nazi-Ästhetik mit Dr. Marcus Stiglegger
Spontis: In Ihrem Buch „Nazi-Chic und Nazi-Trash“ beschäftigen Sie sich eingehend mit dem Phänomen der faschistischen Ästhetik. Wie sind Sie darauf gekommen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?
Marcus Stiglegger: Ich hatte mich bereits früh in den 1980er Jahren für ungewöhnliche und extreme Konzepte in Kunst und Kultur zu interessieren begonnen, und Nazi-Chic begegnete damals dem Suchenden in der Filmkunst (Viscontis DIE VERDAMMTEN, Cavanis DER NACHTPORTIER) oder auf Schallplattencovern (Death in Junes ‚Brown Book’, Joy Divisions ‚An Ideal for Living’) und auf der Bühne (Laibach, SPK, in Deutschland auch Rheingold und DAF). In der Schwarzen Szene hatte der Nazi-Chic schon immer einen festen Platz, auch wenn es in den 1980er Jahren wohl noch sehr schwer war, Replika von Uniformen aufzutreiben. Totenköpfe, Eiserne Kreuze usw. kursierten vor allem in Gothic-Rock-Kreisen (inspiriert u.a. durch The Cult). Die Faszination für die Todesästhetik des Dritten Reiches und speziell der Allgemeinen SS ergänzte sich gut mit dem elitären und nihilistischen Lebensgefühl der Gothic-Szene sowie der Post-Industrialszene, die sich um 1990 formierte. Es war also schwierig, nicht mit Nazi-Chic in Berührung zu kommen, wenn man sich mit solchen Undergroundkulturen beschäftigte. Woher die immer mal wieder formulierte Idee kommt, diese Elemente hätten mit Gothic nichts zu tun oder wären damit nicht vereinbar, ist rätselhaft, man muss sich nur mit Joy Division, Siouxsie and the Banshees und speziell Rozz Williams beschäftigen und wird darauf stoßen… – Das interessierte mich, und auch die starken Reaktionen, die diese Elemente immer wieder auslösten. 1998 veröffentlichte ich einen ersten Artikel dazu in dem linken Poptheoriemagazin Testcard, 1999 erschien meine Promotion ‚Sadiconazista’ über Faschismus und Sexualität im Film.
Spontis: Die Gothic-Szene scheint große Festivals zum Laufsteg der Eitelkeiten zu machen. Man gewinnt den Eindruck, dass eine Mischung aus militärischen Uniformen, Lack, Leder und Latex ein weit verbreitetes Mittel zur Selbstdarstellung geworden sind und als besonders erotisch gelten. Was macht eine Uniform sexy?
M. Stiglegger: Der Schnitt einer Uniform betont den Körper auf eine meist vorteilhafte Weise, kantige Schultern, enge Taille, schlanke Unterschenkel. Die Kopfbedeckung soll den Träger/die Trägerin größer erscheinen lassen, quasi über die anderen erheben. Dazu kommen Accessoires, die Exklusivität und Dominanz signalisieren: Handschuhe, Reitgerte, Orden usw. Eine gelungene Fetisch-Uniform signalisiert Erhabenheit und Macht, auch sexuelle Macht. Diese Qualität ist offenbar geschlechterübergreifend. Glaubt man Susan Sontag oder Valerie Steele, die sich früher bereits damit beschäftigt haben, ist dieser Fetisch international, und von besonderer Attraktivität scheint die weltweit immer wieder zitierte schwarze Ausgehuniform der Nazi-SS zu sein. Zahlreiche Modedesigner – speziell auch mit Fetisch-Hintergrund (Karl Lagerfeld z.B.) – zitieren immer wieder diese Elemente. Vermutlich spielt auch die mit Mord, Diktatur und Willkürherrschaft verknüpfte Aura dieser schwarzen Uniform eine besondere Rolle bei der Sexyness, denn Eros und Tod sind ästhetisch eng verknüpft. Wie Texte von Jean-Paul Sartre (‚Der Pfahl im Fleische’) oder Jean Genet (‚Das Totenfest’) belegen, ist diese spezielle erotische Aura übrigens auch von politischen Gegnern wahrgenommen und bewundert worden. – Es geht also offenbar darum, mit einer solchen Uniform als Mode die eigene Einzigartigkeit und Besonderheit herauszustellen, ein durch und durch eitles Unterfangen…
Es geht also offenbar darum, mit einer solchen Uniform als Mode die eigene Einzigartigkeit und Besonderheit herauszustellen, ein durch und durch eitles Unterfangen…
Spontis: In ihren Anfängen verwendeten Subkulturen faschistische Symbole dazu, sich abzugrenzen, sie als Teil des eigenen Kleidungsstils ad absurdum zu führen, sich gegen die Nazizeit zu positionieren oder Tabus zu brechen und der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Wenn heute der Besucher eines Festivals oder eines Konzerts eine Nazi-Uniform trägt, welche Geisteshaltung steckt Ihrer Ansicht nach dahinter?
Ich halte es eher für zweifelhaft, ob Subkulturen je Nazi Chic nutzten, um sich gegen die Nazizeit zu positionieren – oft ging es vielmehr um Provokation und Widerstand gegen die eigene Gesellschaft und vor allem die Generation der Eltern. Speziell in den USA und England wurden Nazi-Elemente in der Sub- und Gegenkultur meist sehr unreflektiert und auch uninformiert verwendet, und speziell die Biker-, Surfer- und auch die frühe Punk-Kultur können nicht per se als ‚links’ motiviert eingestuft werden. Ich spreche von den Eisernen Kreuzen der Hell’s Angels, Sid Vicious’ Hakenkreuz-T-Shirt usw. Wichtiger war, Symbole des Widerstandes und der Nonkonformität zu präsentieren. Parallel dazu wurden diese Elemente auch immer affirmativ verwendet, etwa in Neonazi- und Rechtsrockkreisen, die ebenso als (politische) Subkultur gelten können. Man findet also vor allem indifferente und affirmative Verwendungen von Nazi-Chic, sehr selten wird das kritisch eingesetzt, wie noch bei John Heartfield, der z.B. bei der slowenischen Band Laibach zitiert wird. – In der gegenwärtigen Schwarzen Subkultur wird Nazi-Chic vor allem getragen, um 1. sexy zu sein, 2. sich vom Rest abzuheben (von Uniform kann man da übrigens nicht unbedingt mehr sprechen, denn dann müsste ja eine Clique durchweg die selbe Kleidung tragen) und 3. einer bestimmten Band zu huldigen (von Death in June bis Nachtmahr). Am ehesten würde ich bei den aktuellen Nachtmahr-Fans von einer Uniform sprechen, da die teilweise wirklich identisch und in größerer Zahl auftreten.
Spontis:Mode-Accessoires werden in der Regel ausgesucht, weil sie aus irgendeinem Grund gefallen. Doch ein Hakenkreuz oder eine SS-Uniform ist kein Strass-Schmetterling, der unbeschwert getragen wird. Hakenkreuze werden auch von geschichtlich weniger interessieren Menschen automatisch mit Gewalt, Verbrechen und Massenmord in Verbindung gebracht. Warum wird diese Hemmschwelle aus Modegründen so locker überschritten?
M. Stiglegger: Also in Deutschland ist das Hakenkreuz ja als verfassungsfeindliches Symbol streng verboten, daher wird es auch nicht öffentlich getragen – in England, Japan, Russland oder den USA ist das weniger problematisch. Dort wird es vermutlich genau aus dem Grund verwendet, weil es den Ruch des Völkermordes trägt und damit einen besonders morbiden Nervenkitzel verspricht. Allerdings muss man auch noch bedenken, dass dieses Symbol in anderen Kulturen wie etwa buddhistischen und hinduistischen andere Bedeutungen trägt und von daher auch nicht wirklich provokativ wahrgenommen wird. – Ebenso ist es in Deutschland unmöglich, eine SS-Uniform zum Ausgehen zu tragen, denn diese weist gleich mehrere verbotene Symbole auf: die SS-Runen, den Reichsadler mit Hakenkreuz, die Armbinde, das Koppelschloss mit der SS-Losung usw. Wenn diese Symbole und konkreten Abzeichen entfernt werden, bleibt eine uniformähnliche Bekleidungsbasis, die man problemlos bei Ebay kaufen kann, denn ein Viertaschenrock und eine Breeches-Hose sind natürlich nicht illegal und speziell der Jackenschnitt ist heute noch in vielen Modehäusern zu finden. Wird diese Bekleidung mit Bandlogos ausgestattet, hat man es allenfalls mit einer Phantasieuniform zu tun, und das sollte vermutlich auf Fetisch- oder Gothic-Parties kein Problem sein. Von Nazi-Uniform kann man nur sprechen, wenn auch wirklich die Parteisymbole vorhanden sind. Ist das nicht der Fall, gehört nicht viel dazu, diese Schwelle zu überschreiten. Ist es der Fall, hat man es nach deutschem Recht wohl mit einer Straftat zu tun. Ich denke daher nicht, dass diese Grenze so leicht passiert wird…
Ein Künstler muss damit rechnen, als Vorbild betrachtet zu werden […] Sollten Künstler so handeln? Nun: Wer soll ihnen das vorschreiben?
Spontis: In Ihrem Buch gehen Sie darauf ein, dass vor der Bühne oft das getragen wird, was Künstler vormachen. Wenn die Kunst Nazi-Uniformen als Mittel zur Provokation versteht, aber der Großteil der Anhänger daraus eine unreflektierte Mode macht, wie sollten die Künstler Ihrer Meinung nach reagieren?
M. Stiglegger: Ein Künstler muss damit rechnen, als Vorbild betrachtet zu werden. Laibach z.B. provozieren geradezu ihre Fans, sich mit Merchandise-Artikeln ebenso auszustatten, wie sie es auf der Bühne sehen, um das Ambivalenzerlebnis von der Bühne direkt ins Publikum zu tragen und den Totalitarismus von Pop auszuleben. Noch unreflektierter und offensiver betreiben das Nachtmahr. Bei Death in June dürfte es dem Künstler zumindest ästhetisch gefallen, seine Fans im Tarnfleck zu sehen. Aus Sicht der Fans geht es eher darum, an der Aura der Künstler teilzuhaben. Man sieht: Die Reaktion der Künstler in diesem Fall ist animierend. Das hat eine lange Tradition in der Popkultur: die Turbo-Jugend von Turbonegro, die KISS-Army usw. Sollten Künstler so handeln? Nun: Wer soll ihnen das vorschreiben?
Spontis: Wenn ich auf ein Festival gehe, muss ich meine Wasserflasche am Eingang abgeben. Mit einer Nazi-Uniform darf ich passieren. Wir haben alle Geschichtsunterricht gehabt, können uns allgegenwärtig informieren und besitzen in der Regel gesunden Menschenverstand. Warum schreit kein Veranstalter, kein Modelabel, kein Künstler, kein Szenemagazin und kein Besucher eines Festivals: „Halt! Bis hierhin und nicht weiter!“ ?
M. Stiglegger: Ich habe oben bereits bezweifelt, dass ein Besucher in Nazi-Uniform in Deutschland auf ein Festival gelassen würde. Wenn es um uniformähnliche Kleidung geht, die durchaus mit Elementen des Nazi-Chic arbeiten kann, wird diese auf verbotene Symbole geprüft. Es macht auf dem historischen Hintergrund absolut Sinn, dass besagte Symbole verboten sind, man kann aber keine Kleidungsstücke wie Reithosen oder Viertaschenröcke, Reitstiefel oder Offiziersmützen (ohne Abzeichen) an sich kriminalisieren. Das würde den oben geschilderten Eindruck erklären. Ähnliches ist hier nicht Gleiches. Und warum z.B. Labels nicht dagegen einschreiten, liegt auf der Hand: Soll Trisol seinen Goldesel Nachtmahr ermahnen, doch nicht mehr so martialisch aufzutreten, wenn das weltweit hervorragen funktioniert? Im Gegenteil: Hier hat man einen kommerziellen Mechanismus aufgetan, der sich lohnt. Sieht man sich die Klicks von Youtube-Videos an, wird die Attraktivität von Nazi-Chic umso deutlicher. Ich gehe eher davon aus, dass sich Modelabels wie XtraX oder Plattenlabels Gedanken machen, wie sie aus der Uniformwelle weiteren Vorteil beziehen können. Solange dabei nur Tabus berührt werden aber keine Gesetze überschritten, kann man davon ausgehen, dass das nicht trotz, sondern durchaus wegen des historischen Bezuges gemacht wird. Daraus ein politisches Statement abzuleiten wäre jedoch vermutlich zu ambitioniert gedacht…
Spontis: Film, Fernsehen und Medien überfluten uns tagtäglich mit Krieg, Gewalt und Sex. Die Messlatte für Abstoßendes, Verstörendes und Provozierendes wird mit jedem Jahrzehnt höher gelegt. In den späten 70ern reichten den Punks bunte Haare, um zu provozieren. In den 80ern schockierten die Gothics mit umgedrehten Kreuzen und blass geschminkten Gesichtern. Heute bleiben noch Uniformen, Fetisch-Bekleidung und Nazi-Symbolik . Was provoziert die Gesellschaft in der Welt von morgen?
M. Stiglegger: Tabus müssen in jeder Epoche und Gesellschaft immer neu ermittelt werden. Was heute provoziert, kann morgen schon lächerlich wirken – und umgekehrt. Ich sehe da nicht durchweg eine Steigerung, sondern eher eine zyklische Wiederkehr, denn wie ich in meinem Buch auch darstelle, tauchte Nazi-Chic seit der Nachkriegszeit ca. alle zehn Jahre wieder in der populären Kultur auf. Von den Bikern über die Surfer, die Hippies (Jim Morrisons Faszination für die Nazis!), die Glamrocker (David Bowie), die Punks, die New Waver, die Gothics, EBM, Industrial, Neofolk… Momentan ist Nazi-Chic präsent durch Bands wie Nachtmahr, Shadow Reichenstein und Eisbrecher. Es spricht einiges dafür, dass hier kein Ende in Sicht ist. – Dabei ist zu beachten, dass andere Symbole von Völkermord und Unterdrückung wie die japanische Kriegsflagge oder der Rote Stern offenbar weniger zur Provokation taugen und daher seltener oder in anderen Kontexten auftauchen. Für unsere Kultur haben die Nazis folglich eine ästhetische Formenwelt geschaffen, die ihre unheimliche Aura offenbar noch nicht verloren hat und sich immer wieder einsetzen lässt, um Aufsehen zu erregen…
Weiterführende Links:
:Ikonen: Magazin für Kunst, Kultur und Lebensart – Das Internetprojekt von Marcus Stiglegger, in dem sich zahlreiche Interessante Artikel, Rezensionen und Interviews finden, die sich mit den riskanten Bereichen der Kunst und Kultur auseinandersetzen.
Verlag Bertz + Fischer – Bezugsquelle für das Buch „Nazi-Chic und Nazi-Trash – Faschistische Ästhetik in der populären Kultur„. Erschienen im Oktober 2011, 105 Seiten, 45 Fotos zum Preis von rund 10 Euro.
West-Berlin, kurz vor dem Aufbruch in die 80er. Ein Taxi fährt durch die Berliner Nacht, immer neue Fahrgäste nehmen Platz. Die Persönlichkeiten flackern ebenso rasend vorbei, wie die Straßen, Laternen und Schilder. Im Morgengrauen erscheint der Funktturm, mit dem Ende der Nacht werden die Passagiere immer groteskter. Auch Christiane steigt ein, flackert kurz auf um dann im irgendwo in Berlin ihr Ziel zu erreichen. Die geteilte Hauptstadt war in der 80er die ungeschlagenen Kreativ-Hauptstadt, die gezwungene Isolation mitten in der DDR und eine allgegenwärtige Mischung aus Spannung, Depression und Angst machte sie zum Magneten für Kreative und Individualisten aus aller Welt. Eine Video aus dieser Zeit erregte meine Aufmerksamkeit.
„3302“ ist ein Kurzfilm von Christoph Döring der einen Teil eines Kunstprojekts darstellt, dass man „Berlin Super 80“ getauft hat. Ein Rückblick auf die revolutionäre Subkultur der zukünftigen Hauptstadt, die zwischen 1978 und 1984 entstanden sind. Die Werke der Super-8-Film-Avantgarde dokumentiert die Musik, die Kunst der Anarchisten, Aktivisten und Punks einer geteilten Stadt. „Zwischen Kippenbergers SO 36 um dem Centre Pompidou. Authentisch, intensiv, radikal.“ So verspricht es Beschreibung der bei Monitorpop erhältlichen Zusammenstellung. Beispielhaft für die Sammlung an wirklich seltenem Material stelle ich die beiden Kurzfilme „3302“ und „Geld/Money“ vor, die ich persönlich als besonders stilprägend empfinde. Bei Ronny gibt es übrigens einen Überblick über alle Kurzfilme, und auf Backagain eine schriftliche Übersicht über alle enthaltenen Werke der DVD Box.
Der Kurzfilm von Döring, der später für das ZDF und ARTE gearbeitet hat, war zu Beginn der 80er mit seiner Performance Gruppe Notorische Reflexe unterwegs, die sich in den frühen 80ern in Sachen Performancekunst einen Namen gemacht haben. Ihr Gastauftritt im Ärzte-Film „Richy Guitar“ sorgte für Aufmerksamkeit. In „3302“ gibt es als musikalische Untermalung großartige Musik von MDK, Flucht nach Vorn und Die Unbekannte.
Die unfreiwilligen Vorzeigewaverinnen von „Malaria!“ finden sich ebenfalls mit einem Video zu ihrem Song „Geld“ auf der DVD. Der Kurzfilm von Dieter Hormel und Brigitte Bühler ist wirklich toll gemacht und seiner Zeit weit voraus. Für mich verkörpert der Film den Zeitgeist der 80er wie kein anderer. Protesthaltung einer Frauenband, die es wie keine andere Verstand mit ihrer Androgynität und dem verwischen geschlechtlicher Identitäten ihr Publikum zu beeindrucken. Hormel und Bühler schaffen es, experimentelle Filmkunst und Videoclip auf einen Nenner zu bringen und gelten damit stilprägend für viele nachfolgende Werke.
Darauf habe ich schon lange gewartet. Endlich mal das Wort Sex verwenden. Obwohl, ich habe schon öfter versucht das Wort in subtiler Art und Weise hier unterzubringen, natürlich nur in einem informativen Zusammenhang und ohne die Absicht die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Dieses mal nutze ich gleich noch eine prominente Band, die die Neugier des Lesers einfach wecken muss. Also wer bei „Depeche Mode“, „Sex“ und „1984“ nicht hellhörig, neugierig und aufmerksam wird kann nur verklemmt, überinformiert oder gelangweilt sein. Schätze ich.
Im August 1984 (also so ziemlich genau vor 28 Jahren) titelte die Bravo nach Beobachtungen der Band im Berliner Plattenstudio „Depeche Mode singen über Sex“, darunter ein Bild, in dem sich die Bandmitglieder in lasziver Art und Weise einer Frucht bemächtigen. Andy Fletcher beißt wie immer höchst erotisch in einen Apfel, obwohl sein halb geöffneter Mund es nicht wirklich möglich macht, herzaft zuzubeißen. Doch kein Sex? Immerhin hat er seine linke Hand im Schoß versenkt, also doch Sex. Alan Wilder zu seiner linken hat die Erdbeere zwischen den Zähnen, blickt dabei noch unschuldig naiv in die Kamera und suggeriert: Ich bin Sex pur! Die Erdbeere war ja immer schon eine der erotischsten Früchte, nicht umsonst heißt es in einem berühmten Song „Erdbeermund“, der auf ein laszives Gedicht von Paul Zech zurückgeht.
Dave Gahan nimmt sich ebenfalls einen Apfel (könnte auch eine Nektarine sein) zwischen die Zähne, in gewohnt präsentierender Manier. Seine Augen demonstrieren die Leidenschaft für diese Frucht und stellen unter Beweis, dass er zu Recht der Frontmann der Band ist. Der Sex liegt hier sicherlich im T-Shirt verborgen, waren es doch die New York Dolls, die Overknee-Stiefel, hautenge Leggings und Netzhemden für die Glam-Rock-Welt attraktiv machten. Ein ganz schlimmer Finger dieser Gahan!
Und dann dieser Martin Gore! Nicht umsonst schreibt er die meisten Texte der Band und zeigt sich auch für den Song über Sex verantwortlich. Eine Banane! Dieser Mann versteht es die Inhalte seiner Lieder nach außen zu versinnbildlichen. Ich meine: Die BANANE! Welche andere Frucht symbolisiert in dieser deutlichen Form den Phallus? Lang, weich, gebogen und zuckersüß – wer da nicht gleich an Sex denkt ist falsch konditioniert. Bestimmt. Aber zurück zum Thema. Depeche Mode singen also über Sex? Was ist daran überhaupt so besonders, denn im Prinzip hat so ziemlich jede Band ein Lied über die schönste Nebensache der Welt im Repertoire.
Der Text zum Artikel der Bravo verrät, um welches Lied es geht: „Die neue Single von Depêche [sic!] Mode, die am 20. August erscheinen soll, heißt Master and Servants [sic!] (Herr und Diener); fünf Wochen später wollen die vier dann die LP rauslassen. „Bei der neuen Single geht es im Grund nur um Sex“, verrät Martin, der als Songschreiber der Gruppe auch eigene Erfahrungen mit einfließen ließ, wie er spottet: „Die Beziehung von Herrschern zu Sklaven, von Mann zu Frau, von Staat zu Gesellschaft, meine ich, die durch ihre unterschiedlichen Machtpositionen oft sexuelle Probleme schaffen.“ Auch bei den übrigen Songs ihrer neuen Scheiben wollen Depêche Mode großes Gewicht auf kritische Texte legen…“
Doch kein Sex? Ich bin enttäuscht. Gesellschaftskritik, Machtverhältnisse und Beziehungen. Wie langweilig. Haben die ganzen Halsbandträger, die sich von ihrer Freundin/Freund mit der Leine über ein Festivalgelände schleifen lassen doch etwas falsch verstanden. Mist! Und ich hatte gerade bei Fressnapf ein Halsband in meiner Größe gesichtet.
Und überhaupt, bei mir ist jegliche Lust auf Sex vergangen, als ich Dave Gahan in diesen Sandalen gesehen habe. Mit weißen Strümpfen! Für mich das übelste Verbrechen der 80er. Die Sandalen. Ich erinnere mich noch gut daran, dass diese bunten Plastiksandalen, mit denen man auch ins Wasser gehen konnte, im Freibad so ziemlich jeden Fuß kleideten. Ich habe Sandalen immer abgelehnt, schon aus Prinzip. „Let’s play Master and Servant!„
Zugegeben. Der Titel des Artikels ist ein wenig überzogen, erwartet man doch einen handfesten Skandal oder Verdrehung der Tatsachen als mich der Zillo für einen Artikel über das Thema „Cyber-Gothic“ interviewte. Nichts davon ist eingetreten. Und doch gibt es eine ganze Wahrheit, denn das, was in der Juli/August-Ausgabe zu lesen gab, ist nicht das vollständige Interview.
Es begann mit einer Nachricht von Daniel Dreßler, der als Autor für den Zillo tätig ist. Ich gebe zu, dass ich skeptisch war, erwartete ich eine oberflächliche Darstellung des Status Quo der Cyber-Szene. Ich wurde eines besseren belehrt. Die Fragen, die mich per E-Mail erreichten, hatten es in sich und zeigten, dass sich hier jemand ernsthaft und kritisch mit dem Thema auseinandersetzen möchte. Ich beantwortete alle Fragen und war gespannt, wie viel davon und in welchem Zusammenhang Daniel in seinem Artikel verarbeiten würde.
Das Ergebnis hat mich positiv überrascht, denn der Artikel versucht tatsächlich dem Phänomen „Cyber“ objektiv auf den Grund zu gehen. Daniel hat Befürworter und Gegner der Szene zu Wort kommen lassen und so beiden Seiten dieser „Bewegung“ eine Plattform geboten. Der Artikel zeigt ein überraschend hohes Niveau, das ich zunächst nicht erwartet habe. Sicher, ich bin in einigen Punkten nicht seiner Meinung, aber das muss ich auch gar nicht, denn ein solcher Artikel lässt immer Raum für die eigene Sicht der Dinge.
Ich möchte das Thema „Cyber Gothic“ mit diesem Artikel für mich abschließen, denn in zahlreichen Diskussionen hier im Blog wurde das Phänomen gründlich durchleuchtet. Im folgenden Interview und meinem Fazit zeige ich, warum ich das Thema abschließen möchte:
Daniel Dreßler: Was sind deiner Meinung nach die Ursprünge der Cyber-Bewegung?
Robert: Der stilistische und musikalische Ursprung der Cyber-Bewegung liegt meiner Ansicht nach in den frühen 90ern, als Rave und Techno Hunderttausende Menschen mit Neonpuscheln, Mundschutz und Schweißerbrillen zur Loveparade nach Berlin lockten. Etwa um das Jahr 2000 tauchten dann die ersten „Cyber-Gothics“ auf, die die äußerlichen Stilmerkmale der Raver und Gothics verbanden. Technoide Musikrichtungen, die zu diesem Zeitpunkt in der Szene bereits häufig gehört wurden, sorgten für die nötigen musikalischen Parallelen. Ob es Raver waren, die Gothic für sich entdeckten, oder Gothics waren, die Techno mochten, sei einmal dahingestellt.
Auszug aus dem Artikel „Cyber-Gothic“ von Daniel Dreßler – Quelle: Screenshot der Zillo Homepage
Daniel Dreßler: Cyber-Gothics werden in der schwarzen Szene regelrecht gescholten, weil sie nichts mit den Grundgedanken der Gothics zu tun haben. Kannst du diese Einstellung nachvollziehen, obgleich die schwarze Szene seit Anbeginn immer sehr offen für verschiedene Richtungen war?
Robert: Ich kann das durchaus nachvollziehen. Es geht im Prinzip um die Verteidigung der eigenen Schutzräume. Hier mischen sich zwei Dinge, die sich nicht vertragen können. Introvertiert trifft extrovertiert. Während sich der Gothic lieber mit geschlossenen Augen zu den Klängen und dem Text seiner Musik auf der nahezu dunklen Tanzfläche bewegt, möchte der mit Knicklichtern fuchtelnde Cyber exzessiv tanzen, seine „Moves“ darbieten und im Rampenlicht stehen.
Die musikalische Offenheit der Szene wurde ihr selbst zum Verhängnis, denn die Cyber nutzten die in der Szene aufstrebenden technoiden Musikrichtungen, um Fuß zu fassen. Die Cyber-Bewegung wuchs und für die Clubbetreiber war das damals der Zug, auf den sie aufspringen mussten, um ihren Umsatz zu steigern. Unter dem Begriff „Gothic“ auf Flyern und Party-Ankündigungen sind mittlerweile so viele unpassende Musikrichtungen vereint worden, dass der geneigte Gothic keinen Ort mehr findet, an dem er sich wohlfühlt.
Daniel Dreßler: Wie beurteilst du die Entwicklung der Cybers? Wird sich diese Bewegung etablieren, oder spricht nach ein paar Jahren keiner mehr darüber?
Robert: Ich halte diese Bewegung für eine Modeerscheinung, die ihren Zenit vielleicht schon überschritten hat. Es fehlte den Cybern immer noch an einer gemeinsamen Ideologie, einer Grundlage, die auch über die Musik und den Tanz hinaus funktioniert. Idealerweise werden sich Cyber und Gothic ausdifferenzieren und weiter in ihren eigenen Szenen entwickeln. Ob man dann in ein paar Jahren noch darüber spricht, wird davon abhängig sein, ob die Cyber es schaffen, sich eine eigenständige Szene aufzubauen.
Daniel: Kann man diese Entwicklung der Cybers nicht auch als logische Konsequenz einer Szene sehen, die seit ihren Anfängen immer kommerzieller geworden ist?
Robert: Es gibt in jeder Splittergruppe der Szene Leute, die nur konsumieren und solche, die ihre Outfits selbst basteln und kreativ sind. Die gibt es sicherlich auch in der Cyber-Szene. Deswegen würde ich nicht sagen, dass ausgerechnet die Cyber eine logische Konsequenz der Kommerzialisierung sind. Meiner Meinung nach sind sie vielmehr ein Resultat der Tatsache, dass „Gothic“ zum Modetrend mutiert und sich viele Gruppierungen hinzugesellen, die sich weder für die Ursprünge der Schwarzen Szene interessieren noch musikalisch oder vom Lebensgefühl her dazu passen.
Daniel: Welche positiven Eigenschaften kann man den Cybers zusprechen?
Robert: Ich will ehrlich sein. Bezogen auf das allgemeine Erscheinungsbild und Verhalten kann ich der Cyber-Bewegung keine positiven Eigenschaften zuordnen. Im Gegenteil. Auf der Tanzfläche habe ich Angst, erschlagen zu werden, die Musik, zu der sie sich bewegen, finde ich meist grausam und darüber hinaus stören sie mein ästhetisches Empfinden.
Daniel: Kann man eine Kultur, die sich allein auf eine – zugegeben diffuse – Endzeitästhetik reduziert nicht auch als subversiv bezeichnen? Ich sehe in dieser Bewegung oftmals Parallelen zur New Romantic Bewegung, die von den New Wavern ebenfalls aufs schärfste kritisiert wurde.
Robert: Ich empfinde weder die New Romantics noch die Cyber-Bewegung als subversiv. Beide Bewegungen haben es versäumt, ihre Form der Selbstdarstellung mit Inhalt zu füllen. Die einzigen Dinge, die bei der Cyber-Bewegung einer Endzeitästhetik entsprechen würden, sind doch ein Mundschutz mit „Biohazard-Symbol“, um vor einer vergifteten Atmosphäre zu schützen, die sogenannten „Schweißerbrillen“, die die Augen vielleicht vor dem Licht einer Atomexplosion bewahren sollen, und die farbigen Kontaktlinsen, die womöglich auf die Mutation durch radioaktive Strahlung anspielen. Neonfarbene Haarverlängerungen, bunte Puscheln, Plateauschuhe, Lackcorsagen und mit Metallringen verzierte Hosen gehören für mich nicht dazu.
Ein kurzes Fazit
Ich bin, wie gesagt, positiv überrascht. Der Artikel ist wirklich gut gelungen und zeigt auch mir einige neue Blickwinkel auf eine Szene, über die schon seit langem angeregt diskutiert wird. Ich möchte das Thema „Cyber-Szene“ damit auch eigentlich ein wenig auf Eis legen, denn meiner Meinung nach wurde alles darüber gesagt, was es zu sagen gab. Sollten zukünftige Entwicklung eine Änderung abzeichnen, wird Spontis natürlich wie gewohnt darüber berichten. Die intensive Diskussion hat vielleicht einigen zu Denken gegeben, die Zeit wird zeigen ob Cyber sich etabliert oder in Wohlgefallen auflöst. Spätestens dann, wenn das Interesse der Medien nachlässt, wird sich herausstellen ob aus der Modeerscheinung eine Szene wird, oder ob sie als buntes Kapitel der Gothic-Bewegung verhallt. Jüngste Beobachtungen auf Festivals und Partys bestätigen mich in meiner Ansicht, dass Cyber und Gothic sich immer weiter voneinander entfernen. Die optische Präsenz der „Knicklichter“ ist deutlich zurückgegangen, das bestätigen mir auch viele andere Szenemitglieder, mit denen ich mich darüber unterhalten habe.
Ich kann mich mit dem Zillo dennoch nicht anfreunden, auch wenn solche Artikel in mir die Hoffnung wecken, dass man einzelne Dinge endlich kritischer und objektiver beleuchtet werden. Mein Dank geht an Daniel Dreßler, der einen wirklich lesenswerten Artikel zum Thema geschrieben hat und an Sascha Blach, den Chefredakteur des Zillo, der einer Veröffentlichung des Interviews zugestimmt hat.
Dinge, die man vor sich herschiebt, werden immer unangenehmer. Vor gefühlten Ewigkeiten kündigten wir für die zweite Jahreshälfte des Gothic Friday 2011 (ihr erinnert euch noch?) weitere Gewinnpakete an (auch hier sei an euer Erinnerungsvermögen appelliert), die wir in einer furiosen Auslosung unter 3 Teilnehmern verteilen wollten. Shan Dark schickte mir verlässlich (wie immer) die Teilnehmerübersicht und ich hockte im Sumpf der Ideenlosigkeit. Immer kam etwas neues dazwischen, später suchte ich mir etwas neues um es dazwischen zuschieben.
Es war gut den Gothic Friday nicht in einer 2012er Runde zu schicken, denn wenn etwas im Begriff ist zur Pflicht zu werden, fehlt die Leidenschaft. Doch es gibt Dinge, die sind nicht vergessen und Versprechen müssen eingehalten werden – vielleicht auch ein Anzeichen dafür, dass neue Leidenschaft in mir lodert. Und dennoch, Versäumnisse müssen nachgeholt werden, da hilft kein lamentieren, kein verstecken und kein ignorieren. Und ja, es gibt neue Ideen für einen Gothic Friday 2013, aber das ist noch ein wenig schwarze Theorie.
Vor einiger Zeit erinnerte mich Shan Dark mit der Zusendung der beiden Gruselkabinett-CDs daran, dass es endlich mal losgehen könnte und auch Stoffel schickte mir „Black Celebration“ zu, dass sie seinerzeit für den Gothic Friday spendete. Blöderweise sind die Gutscheine für die Hamburg Dungeons, die auch zu den Gewinnpaketen gehörten, abgelaufen. Die CDs sind nicht mehr auffindbar und vom Pfingstgeflüster ist mittlerweile auch eine neue Ausgabe erschienen. Ich bin schuld, ganz allein.
Nichts desto trotz habe ich mir überlegt, 3 neue Gewinnpakete zu schnüren, die Auslosung vorzubereiten und durchzuführen. Höchstwahrscheinlich wird das nächste Wochenende dafür herhalten müssen. An der Art des Ausloseverfahrens hat sich zudem nichts geändert. Jede Teilnahme erhält 1 Los, jemand der beispielsweise 6 mal teilgenommen hat, ist 6 mal in der Lostrommel. Zunächst einmal stelle ich die 3 neuen Gewinnpakete vor, die für die ausgelosten zur Verfügung stehen:
Wie auf dem Jahrmarkt gibt es für den, der mit einem Wurf alle Dosen abräumt die freie Auswahl. So kann sich der erste Platz auf zwei Publikationen seiner Wahl aus dem Archiv der Jugendkulturen (einfach mal hier stöbern) freuen und kann obendrein nach Herzenslust bei Infrarot stöbern und sich ein neues (oder altes) Musik-Album seiner Wahl herauspicken. Als besonderen Bonus gibt es das Pfingstgeflüster 2011 und 2012.
Für den zweiten Gewinner, bei dem die letzte Dose zwar wackelte aber nicht umfiel, gibt es das Buch „Black Celebration- 20 Jahre Wave-Gotik-Treffen„, eine Gruselkabinett CD und ebenfalls die Pfingstgeflüster Ausgaben von 2011 und 2012.
Der dritte Gewinner, der mit seinem Wurf den Kopf des Spielbudenbesitzers traf, freut sich über das Buch „50 Jahre Bravo“ aus dem Archiv der Jugendkulturen und bekommt ebenfalls eine Gruselkabinett-CD.
In den Kommentaren zu diesem Artikel könnt ihr nach Herzenlust auf den Autor einprügeln, ihn bloßstellen, ins lächerliche ziehen oder euch einfach nur darüber amüsieren. Ich sage mir immer: Besser spät als nie. (Obwohl das eigentlich nur ein möglichst schlauer Spruch ist, um von meinem eigentlichen Versäumen abzulenken.) Jehova!
Sommer, Palmen, Sonnenschein. Deutschland ächzt unter der anhaltenden Hitze. Bevor ich jetzt aber anfange über das merkwürdige Wetter zu schreiben und vom Mittelalterwochenende berichte, das sowas von ins Wasser gefallen ist, wende ich mich lieber meinem Nachrichtenstrom zu. In dem ist übrigens noch Sommer, gähnende Leere auf vielen schwarzen Kanälen. Schauen wir ins tagesaktuelle Weltgeschehen. In London findet die Olympiade statt, die offenbar kaum jemanden interessiert und in Syrien ist Krieg, was auch niemanden interessiert. Dafür bekommen deutsche Kinder soviel Taschengeld wie nie zuvor. Laut einer Studie sind es 27,18€, die Kinder zwischen 6 und 13 Jahren im Monat erhalten. Interessant! Rechnen wir das ganz Pauschal in DM um, so hätte ich damals über 50 Mark im Monat bekommen. Wow! Unsere Familienministerin spricht sich zudem für die steuerliche Gleichstellung von „Homo-Ehen“ aus. Die fackeln nicht lange in Berlin. Nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 könnte man ja fast schon von einer übereilten Reaktion sprechen! Dann lieber doch eine Wochenschau, die zugegebenermaßen etwas regnerisch daherkommt. Aber das könnte am verdammten (eigentlich wollte ich nicht meckern) Wetter liegen.
Der unterirdische Friedhof von Palermo | Der schwarze Planet
In einem fesselnden Reisebericht aus Palermo, der Hauptstadt Siziliens, erzählt die schwärzeste Reiseführerin von ihrer Suche nach dem unterirdische Friedhof der Stadt, den „Catacombe dei Cappucini“. Begleitet Shan Dark auf ihren Pfaden. „Und dann hängen sie neben mir – schlaff an Haken an der Wand. Schädel mit verzerrt geöffneten Mündern scheinen stumm zu stöhnen oder zu schreien. Augenhöhlen lugen unter Kapuzen hervor. Sie tragen viel zu große Kleider, Mäntel, Kutten oder mit Gold und Staub besetzte Talare. Fast alle haben Handschuhe an. (…) Nach ein paar Minuten erfasse ich erst die schiere Masse an Leichnamen. Es sind ca. 2.000 Menschen, die sich hier post mortem versammelt haben. Es ist so unwirklich – bin ich noch in der Gegenwart oder schon auf Zeitreise in die Vergangenheit? Unmengen von Leichen – nicht weggesperrt, vergraben oder verbrannt. Sie sind zwar tot, aber irgendwie doch nicht, sondern hängen wie in einer morbiden Ahnengalerie an der Wand – statt Öl auf Leinwand Mumien in Nischen. Ein Keller der Erinnerung an vergangene Jahrhunderte und Menschen.„
Wo hört’s auf? Gedanken über ein uniformiertes Tabu | Nora Schwarz
„Sind Leute, die in nachgemachten SS-Uniformen auf SM- und Fetischpartys gehen Ignoranten, Hohlköpfe oder Faschisten?“ Offenbar stoßen Nazi-Uniformen nicht nur in der Gothic-Szene auf Ablehnung, sondern sind auch innerhalb der BDSM-Szene nicht unbedingt ein gern gesehenes Spiel mit der Verkleidung. So schreibt Nora Schwarz, Autorin des Buches „Lessons in Lack“ in ihrem Blog: „Auf Hochglanz poliert mit Reichsadler und Totenkopf auf den Mützen, Eichenlaub, Hakenkreuz-Revers-Nadeln, Kragenspiegel und Rangabzeichen an den Uniformjacken.Super, denke ich und frage mich, ob ich mir – obwohl Nichtraucherin – mal eben eine Zigarette schnorren soll, um zumindest der Frau aus dem Trio ein schönes Loch in die sicherlich teuren Kostüme zu brennen. Ich starre zu der Trilogie der Geschmacklosigkeit rüber und frage mich, warum kein Aufschrei durch die Menge geht, warum niemand den Veranstalter informiert oder die drei dreist grinsenden Freunde historischer Gewandung rausschmeißt.„
Wer kein Facebook-Profil hat, ist psychisch krank und kriegt keinen Job | Netzpolitik
Schwein gehabt. Ich verfüge über ein Facebook-Profil und bin im Netz nicht allzu zurückhaltend. Wie der Tagesspiegel berichtet, haben „die Psychologen herausgefunden, dass junge Menschen, die sich mit ihren Online-Aktivitäten sehr zurückhalten oder das Netz gar nicht nutzen, ähnlich häufig zu Depressionen und anderen psychischen Leiden neigen wie jene, die das Netz exzessiv nutzen. Bei Jugendlichen, die regelmäßig, maximal zwei Stunden täglich, online gehen, sei dies nicht der Fall.“ Anlass zur Spekulation sind die Attentate von Denver und Oslo, die in den Medien ausgebreitet wurden. Zum Glück hatte ich schon im zarten Alter von 16 ein Modem.
Dunkle Geschäfte | Tagesspiegel
In einem Artikel beim Tagesspiegel berichtet Anika Kreller über die Millionenverdienste der „schwarzen Händler“ von Aderlass bis XtraX. „Mehr als in anderen Subkulturen ist das Outfit ein zentraler Bestandteil der Schwarzen Szene. Es signalisiert Zugehörigkeit und stiftet Identität. Vor allem dient es dazu, sich von der Umwelt abzugrenzen. Viele Anhänger investieren viel Zeit in ihre Kleidung – und Geld. Die Szene entstand Anfang der 80er Jahre aus der Punk-Bewegung. Der Begriff „Gothic“ wurde erst für eine Musikrichtung verwendet, später für die Subkultur, die sich durch eine introvertierte, nachdenkliche Art und vornehmeres Auftreten von den Punks unterschied.“ Der neuste Clou ist Gothmetic, eine Kosemtik-Serie für die schwarze Szene. Und da soll man nicht resignieren. Spontis wird berichten.
Dokumentarfilm: The United States of Hoodoo | Popkontext
Das schwarze Kultur nicht unbedingt etwas mit der Gothic-Szene zu tun hat, dürfte nichts neues sein. Der Dokumentarfilm „The United States of Hoodoo“ geht den spirituellen Grundlagen der afroamerikanischen Kultur auf den Grund. „Ausgangspunkt ist die Rückkehr des in Berlin lebenden afroamerikanischen Autors Darius James in seine alte Heimat, um seinen verstorbenen Vater zu beerdigen. Dieser war Bildhauer und tief in der spirituellen Kultur seiner Vorfahren verwurzelt. Gemeinsam mit dem deutschen Regisseur Oliver Hardt macht er sich auf die Suche danach, wie sich die afrikanische Spiritualität in Nordamerika über Zeit und Raum entfaltet hat und bereist das Land von New York über New Orleans bis nach Seattle, um mit Künstler/innen, Glaubensführer/innen und Gelehrten zu sprechen und sich selber zu finden.“ Neugierig? Hier gibt es noch mehr Infos.
Doku: Yangon Calling – Punk in Myanmar | Nerdcore
Noch eine Doku, diesmal über den Punk in Burma. Nach 1976 (geschätzt) hat die kleine Revolution der Musik den ganzen Erdball erfasst. „Knapp sechs Wochen haben wir undercover in Myanmar gedreht. In einem Land, das ausländische Journalisten für gewöhnlich mit einem kräftigen Tritt in den Hintern zurück nach Bangkok befördert. Von den burmesischen Kollegen ganz zu schweigen. Es war manchmal etwas gruselig, ist aber alles gut gegangen. Es ist ein ausgesprochen angenehmes Gefühl, wenn das Flugzeug vom Boden einer Diktatur abhebt und im Rucksack zwischen schmutzigen Socken haufenweise Tapes und Speicherkarten liegen. „Yangon Calling“ portraitiert eine Musik-Szene, deren Existenz wohl kaum jemand für möglich gehalten hätte: den burmesischen Punk-Underground. Punk ist in Myanmar weit mehr als nur die oberflächliche Kopie einer westlichen Jugendszene. Schließlich trifft die wohl rebellischste aller Subkulturen in der ehemaligen Militärdiktatur auf eines der autoritärsten Regime der Welt. Für junge Burmesen ist Punk die Möglichkeit, der verhassten Regierung etwas entgegenzusetzen. Sie kritisieren in ihren Songs die soziale Ungerechtigkeit in Myanmar und fordern Freiheit und Menschenrechte.„
Save the Arctic: A Homeless Polar Bear in London | Greenpeace
Sie ist weit weg, kommt kaum in den Nachrichten und ist auch nicht bei Twitter angemeldet. Die Arktis. In Zusammenarbeit mit der Band Radiohead und dem Schauspieler Jude Law entstand dieser bewegende Spot. Der GEMA und YouTube ist es offenbar egal, das offizielle Video ist in Deutschland nicht zu sehen. Irgendwie bezeichnend.
Warschau steht still | KFMW
„Jedes Jahr am 1. August steht ganz Warschau für eine Minute wortwörtlich still. Die Stadt gedenkt damit demWarschauer Aufstand, der am 1. August 1944 augehend von der Polnischen Heimatarmee gegen die Deutschen Besatzer stattfand. 63 Tage lang hielten sie ihren Widerstand aufrecht und kapitulierten dann auf Grund der militärischen Übermacht der Deutschen.“ Und manche laufe in Nazi-Uniformen über ein Musikfestival. Komische Welt.
Batcavers: Specimen Interview and Lunchtime | Gothic Style and Dark Glam
Und bevor es droht, ins Politische abzukippen, erfüllen wir lieber ein paar Klischees. Ein bisschen Style, Glam und andere Ekligkeiten.
Es wirkt verstörend, unpassend und regt auf: Die in Uniformen gekleideten Menschen, die auch auf diesjährigen Festivals das Bild nachhaltig prägen. Da werden Mäntel und Jacken mit militärischen Rangabzeichen, Militärmützen, Stiefeln und Gürteln zu einem undurchsichtigen Stil gemischt und ganze Uniformen erwecken den Anschein, dass man auf einer militärischen Parade gelandet ist. Manche Uniformen sehen denen des dritten Reichs sogar zum Verwechseln ähnlich oder sind tatsächlich Originale mit nur notdürftig abgedeckten Details. An den Ständen von X-traX warten unzählige uniform-ähnliche Bekleidungsstücke auf kaufwillige Kunden und Military-Shops gehören mittlerweile zum festen Bestandteil des kommerziellen Szeneangebots. Zahlreiche Bands und Musiker nutzen Uniformen und militärisches Auftreten, um sich und ihre Musik auf der Bühne zu präsentieren. Man wird das Gefühl nicht los, dass man vor der Bühne dieses Vorbild aufgreift und zum modischen Stil degradiert oder Soldaten-Kleidung als Kostüm benutzt, ohne sich mit den Hintergründen zu beschäftigen.
Warum also eine Uniform? Ist das Teil einer gewollten Provokation, das Ausleben einer sexuellen Neigung, die Nachahmung des Stils seiner Lieblingsband, Spieglung einer inneren Einstellung oder schlicht und einfach Dummheit? Ich versuche Quellen, Hintergründe und mögliche Vorbilder darzustellen, die für den neuen Trend verantwortlich sein könnten und ich will einen Anreiz geben, darüber zu diskutieren. Einige Leser haben mir bereits eine E-Mail geschickt, in der sie ihre Bedenken und Ängste gegenüber dieser Form der Verkleidung äußern. Es geht in diesem Artikel nicht um eine rechte Unterwanderung der Szene! Das ist ein Thema, das losgelöst von der Uniform-Ästhetik präsent ist und sich nicht nur durch eine faschistoide Ästhetik manifestiert. Dazu wird es, ebenfalls durch den Vorschlag eines Lesers, einen weitere Artikel geben, der sich auch mit fragwürdigen Inhalten auseinandersetzt und sich auf diesen Artikel und seine hoffentlich entstehende Diskussion stützt.
Ich fand es bestürzend neben einer Gestalt zu stehen, die rein optisch locker in einem Konzentrationslager die Aufsicht hätte führen können oder im Vorzimmer von Herrn Adolf persönlich sitzen könnte… ich halte mich eigentlich für recht aufgeschlossen, aber da zieht sich bei mir alles zusammen. Anleihen aus der NS-Symbolik und einem kriegerischem Kontext finde ich unmöglich! (Alva Katharina)
Die Uniform als Provokation
Debbie Juvenile, Siouxsie Sioux und Steve Severin 1977 Bild: (c) punk77.co.uk
Aus dem Punk geboren ist auch „Gothic“ mit der Provokation herangewachsen, die immer ein Teil des ästhetischen und künstlerischen Schaffens vieler Bands und Musiker war. Siouxsie Sioux begann damit, Uniform-Ästhetik und Nazi-Symbole auf der Bühne zu präsentieren. Inspiriert durch skandalträchtige Filme wie Cabaret (1972) und Der Nachtportier (1974), die Nazi-Ästhetik in einen erotisch-dekadenten Zusammenhang brachten, kreierte Siouxsie ihren ganz eigenen „Nazi-Chic“. Wie sie zu Beginn oft genug betonte, ging es ihr dabei nicht um ein politisches Statement oder gezielte Provokation, sondern lediglich um das Spielen mit äußerlichen Merkmalen, die sie zuvor in den Filme als schön oder aufregend empfand. . Vermutlich als Mittel zur Aufmerksamkeitssteigerung, nicht etwa, um eine Botschaft zu übermitteln.
Ein Journalist des Melody Maker schrieb 1977 nach einem Konzertbesuch: „Es ist vermutlich Siouxsie gewesen, die mit dem Nazi-Chic begann und den Punk beschmutzte. Sie hatte immer schon einer Vorliebe für Hakenkreuze und schwarze T-Shirts. Bei Konzerten war ihre einzige Bewegung auf der Bühne der militärische Stechschritt. Sie wirft mit faschistischen Grüßen herum, trägt eine Nazi-Armbinde und singt sogar die Worte „Deutschland, Deutschland“. (…) Sie ist ein leidenschaftloses „Rheinmädchen“, eine kalte Marionette – sehr deprimierend.“
Der Punk brachte dieses Tabu-Thema provokativ auf und vor die Bühne, nicht zuletzt, um das verhasste Establishment vor den Kopf zu stoßen. Man integrierte Symbole wie das Hakenkreuz in einen zerrissenen Stil und führte es damit ad absurdum. Doch es war ein Spiel mit dem Feuer. Siouxsie & The Banshees sahen sich mit zunehmender Popularität immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, dem Nationalsozialismus nahezustehen. 1978 reagierte die Band auf die immer kritischeren Stimmen aus der Presse und veröffentlichte das Stück „Metal Postcard“ und 1980 das Stück „Israel“, um den Vorwürfen entgegenzuwirken. Es war also nicht die erwünschte Provokation mit Hintergrund, sondern offensichtlich plumpes ästhetisches „Vor-den-Kopf-stoßen“, um Aufmerksamkeit zu erregen.
„Das ist Military-Fashion, kein politisches Statement – mit der rechten Szene hat so ein Outfit nichts zu tun, das wird leider oft missverstanden.“
Wer heute in einer kompletten Uniform herumläuft, führt damit nichts ad absurdum und drückt nicht damit aus, gegen etwas zu sein. Die Provokation liegt vielmehr darin, etwas darzustellen, was mittlerweile im Mainstream auf breite Ablehnung stößt. Kein Nazi-Aufmarsch ohne Gegendemonstranten, keine Kundgebung einer rechten Partei ohne wehrhafte Bürger. Ein Aufnäher mit „Nazis raus!“ provoziert niemanden mehr, eine Nazi-ähnliche Uniform provoziert viele. Doch Provokation ohne Standpunkte und Inhalte ist gefährlich und lässt viel Spielraum für Interpretationen.
Für die meisten ist es Mode, sie finden es cool so herumzulaufen. Das Spiel mit dem Feuer gibt womöglich den besonderen Kick und übt einen besonderen Reiz aus. In einem Artikel des Kölner Stadt-Anzeigers zum Amphi-Festival 2012 beschreibt Jan S. die Motivation zu seinem grünen Armee-Outfit mit Luftwaffen-Schiffchen: „Das ist Military-Fashion, kein politisches Statement – mit der rechten Szene hat so ein Outfit nichts zu tun, das wird leider oft missverstanden.“ Für ihn ist es Fashion, kein Statement. Er verbindet nichts mit seiner Verkleidung als Soldat. Gibt es Vorbilder für diesen fragwürdigen Trend?
Das Vorbild auf der Bühne – Uniformen und kriegerische Thematiken
Steve Naghavi – Sänger von „And One“
Vorbilder stehen häufig auf der Bühne. Seit EBM, Electro und Neofolk in der schwarzen Szene aufgingen, gehören militärische Outfits zum Repertoire vieler Bands und Musiker. Schon in den 80ern wurde EBM zum festen Bestandteil der Gothic-Szene, obwohl es sich immer schon um eigenständige Subkulturen handelte, die nur die kulturellen Wurzeln und die Farbe Schwarz gemeinsam hatten. Mit der EBM wuchs auch die Präsenz martialischer Outfits, die in Form von militärischen Haarschnitten, Tarnhosen, Feldkoppeln, Bomberjacken und Kampfstiefeln immer häufiger auf beiden Seiten der Bühne anzutreffen waren.
Relevante Bands wie Front 242, Nitzer Ebb oder die Krupps etablierten diese militärischen Outfits auf der Bühne. Front 242 sorgten bereits in ihren Anfängen durch paramilitärisches Auftreten, kugelsichere Westen und eine mit Tarnnetzen behangene Bühne für Diskussionsstoff. Für manche war das eine Reaktion auf die in den 80ern allgegenwärtigen Themen „Kalter Krieg“ und „Atomare Aufrüstung“. Für andere war es eine Einladung, die Bands in die faschistische Schublade zu räumen. Wieder einmal versäumten es viele Bands, ihren Standpunkt und die Beweggründe darzulegen. Die Fans übernahmen den Stil ohne einen entsprechenden Hintergrund.
Wenn ein Großteil des Publikums das faschistoide Gehabe keineswegs als Provokation begreift, sondern als schick, aufregend, männlich und mystisch, dann wäre es für diejenigen, die damit provozieren wollen, längst an der Zeit, über den Begriff der Provokation neu nachzudenken. Grufties gegen Rechts, Bremen 1998
Erst viel später distanzierten sich die meisten Künstler sehr deutlich von politischen Inhalten, so sagte Jürgen Engler von der Band die Krupps 1994: „Wir haben uns immer ganz bewusst gegen Rechts gestellt, weil der EBM-Generation dieser faschistoide Touch anhaftete und die tonangebenden Bands sich nie klar abgrenzten, sondern unbekümmert mit solcher Symbolik kokettierten, künstlerisch frei auslegbar bleiben wollten. Dabei musst du deinen Standpunkt klarmachen, denn die wenigsten verstehen doch die künstlerische Aussage oder Provokation.“
Mitte der 90er Jahre wurden einige Künstler des Genre „Neofolk“ zum Stein des Anstoßes, da ästhetische und auch inhaltliche Randbereiche betreten wurden, die abermals unkommentiert dargeboten wurden. Einige Bands und Musiker bewegten sich dazu noch in einem deutlich rechten Umfeld oder kokettierten mit Künstlern des Dritten Reichs. Death in June, Forthcoming Fire (die im Zillo 2/1996 eine diskussionsauslösende Anzeige schalteten), von Thronstahl, Weissglut, Allerseelen und Der Blutharsch waren die zentralen Figuren dieser Diskussion, die vor allem von der Initiative „Grufties gegen Rechts“ geführt wurde. Zu grenzwertig ihre Texte, zu nebulös ihre Haltung und zu deutlich ihre ästhetische Darbietung.
Auf den Wave-Gotik-Treffen zwischen 1997-2002 fanden viele der fragwürdigen Bands eine Plattform, die an zahlreichen Veranstaltungsorten für eine bizarre und verstörende Atmosphäre sorgte. Immer extremer wurden die Outfits auf und vor der Bühne. Historische und detailgetreue Uniformen aus den unterschiedlichsten Epochen und militärische Rangabzeichen und Embleme wurden zum Stil dieser Szene. Altertümliche Symbole nordischer und germanischer Myhtologie, mit denen man sich auch zur Nazi-Zeit beschäftigte, wurden zum Erkennungsmerkmal.
Die Diskussionen um die rechte Unterwanderung und um strittige Bands sind weitgehend verstummt. Dafür sind Uniformen mehr denn je präsent – auf der Bühne und im Publikum. Vielleicht auch deshalb, weil die Schwarze Szene für Leute aus dem Fetisch-Bereich immer interessanter wird und sich die Untergruppen mischen. So passen sich Musik und Künstler-Outfits – meist fern jeder weltanschaulichen oder politischen Gesinnung – der neuen Zielgruppe an und bedienen den Fetisch-Markt.
Nachtmahr brachte beispielsweise 2010 ein Album mit dem Titel „Mädchen in Uniform“ heraus. Das Cover zeigt eine leicht bekleidete Dame im Soldaten-Outfit, die Charlotte Rampling aus dem Film „Der Nachtportier (1974)“ – den bereits, wie eingangs erwähnt, Siouxsie Sioux zur ihren stilbildenden Einflüssen zählte – zum Verwechseln ähnlich sieht. So macht Thomas Rainer von Nachtmahr in einem Interview auch keinen Hehl aus seiner Intention:
„Der Titel ist selbstredend, denke ich. Der Titeltrack ist einfach mal eine Auseinandersetzung mit einem kleinen Tabu der Gesellschaft, nämlich, dass Uniformen für uns nicht nur Autorität ausstrahlen, sondern auch eine starke sexuelle Anziehungskraft haben.“
Uniformen als Fetisch – Symbol für Macht und Gewalt
In den frühen 90ern strömte eine ganz andere Szene zur schwarzen Gemeinde und griff die Thematik der erotischen Kompenente einer Uniform noch einmal auf, ganz ähnlich wie es schon Siouxsie Sioux gemacht hat. Immer mehr Menschen aus der S/M-Szene strömten in die schwarze Welt, weil sie als Refugium für ihre Neigungen ideal erschien. Offenheit nach allen Seiten, die Beschäftigung mit den dunklen Seiten menschlichen Daseins und eine weit verbreitete Toleranz gegenüber neuen Strömungen sorgten schnell für neue Ableger und einen bald undurchschaubaren Stilmix aus Gothic und Fetisch. Die Uniform ist dabei eine erotische Komponente, die Macht und Gewalt ausstrahlt, wie uns eine Uniformfetischistin erklärt:
Die sinnlich-stimulierenden Reize einer Uniform liegen meiner Ansicht nach in dem Umstand, daß eine Uniform erlaubt, bis zu einem gewissen Grad in eine Rolle zu schlüpfen und im Rahmen des Rollenspiels eine andere Identität anzunehmen. Gerade militärische Uniformen, aber auch z. B. Polizeiuniformen oder sonstige Kampfanzüge, die mit dem Normalberuf und Outfit des „Trägers“ nichts zu tun haben, bereichern diesen Impuls. Ein starker sexueller Reiz geht mit Sicherheit auch schlicht davon aus, daß wenn auch unterschwellig, eine Uniform immer auch etwas darstellt, das im eigenen Kontext Macht und Gewalt beinhaltet. Zum anderen ist es sehr reizvoll, sich selbst mitunter sehr vorteilhaft in einer Uniform zu präsentieren, somit wird die eigene erotische Ausstrahlung zum inspirativen Reiz.
Uniformen, so behauptete Thomas Rainer, hätten ein „starke sexuelle Anziehungskraft„, die Nähe zum Film „Der Nachtportier“ spricht dagegen für sadomasochistische Phantasien mit Nazi-Ästhetik. Fakt ist, dass der tatsächliche Fetisch für Macht und Gewalt nur auf einen sehr kleinen Teil der Menschen zutrifft, die sich in der Szene bewegen. Für mich ist das ein vorgeschobenes Tabu, um mit provokanter Ästhetik erhoffte Aufmerksamkeit zu erregen.
Lack und Latex, Corsagen, Halsbänder und Peitsche mischen sich mit historischen Uniformen und militärischen Accessoires zu einem undurchsichtigen Verkleidungs-Dschungel innerhalb der Gothic-Szene. Niemand ist mehr in der Lage, den Mix auseinanderzuhalten oder die Beweggründe nachzuvollziehen. Die meisten, die sich mit Fetisch-Elementen schmücken, haben mit der BDSM-Szene keine Gemeinsamkeiten und viele, die in einer Uniform herumlaufen, sind keine Neonazis. Das alles erweckt den Anschein, dass die Gesellschaft sich an die kleinen Provokationen der Vergangenheit gewöhnt hat und die Messlatte für wirksame Mittel deshalb immer höher gelegt wird. Der Reiz des Verbotenen und das Spiel mit dem ästhetischen und symbolischen Feuer scheint die einzige Motivation zu sein. Alles andere wäre doch irgendwie eine Form von Dummheit, oder?
Selbstdarstellung auf Kosten der Integrität – Pure Dummheit?
Gothic hat nichts mit Uniformen zu tun und Soldaten-Outfits mit Nazi-Ästhetik gehören nicht in die Szene. Gothics drücken mit ihrem Äußeren immer ein wenig von ihrem Innersten aus, ganz frei nach dem Motto „Lasst mich in Ruhe mit eurer lauten und bunten Welt!„. Was also drücken Menschen in Soldaten- und Naziuniformen aus? „Ich finde es toll, auf Befehl andere Menschen zu töten!“ oder „Ich bin ein Faschist und finde toll, was damals alles erreicht wurde!“ Sicherlich nicht. Es ist unreflektiertes Gehabe. Man möchte auffallen, angeschaut werden, sich verkleiden. Provokation würde nur gelten, wenn man sein Äußeres mit Inhalten füllt, mit einem Sinn, einer Botschaft. Ich würde gerne die Botschaft eines in Soldatenuniform gekleideten Festivalbesuchers hören. Es ist Dummheit, Uniformen und Naziästhetik (insofern man da überhaupt von Ästhetik sprechen kann), unreflektiert zu seinem Äußeren zu machen.
Aktualisierung (15.08.2012)
Von Dr. Marcus Stiglegger erhielt ich eine E-Mail, in der er mich darauf hinweist, dass er bereits ein Buch über das Thema veröffentlicht hat und sich auch in vielen anderen Medien zum Thema geäußert hat. Offensichtlich habe ich nicht ausreichend recherchiert ;) Als Herausgeber und Betreiber des Ikonenmagazin – aus dem auch der Auszug mit dem Interview eine Uniform-Fetischistin stammt – beschäftigt er sich schon eine ganze Weile mit „alternative Lebensmodellen“ um „komplexe künstlerische und kulturelle Zusammenhänge einem aufgeschlossenen Publikum verständlich zu vermitteln.“ Sein Buch „Nazi-Chic und Nazi-Trash„, dass im Oktober 2011 erschienen ist, beschäftigt sich eingehend mit der Thematik:
Nazis! … Man muss nicht Indiana Jones sein, um überall auf sie zu stoßen. Oder zumindest auf ihr mediales Bild. Ein Blick in die populäre Kultur der letzten Jahre genügt: Die Palette reicht vom »Nazi-Chic« der Modewelt über sexualisierte und trashige Bilder des Nationalsozialismus im Kino bis zur faschistischen Ästhetik in der Selbstinszenierung international bekannter Musiker. Der vorliegende Band diskutiert kritisch die mal subtilen, mal plakativen Zitate faschistischer Symbolik und fragt nach Funktion und Resonanz dieses popkulturellen Phänomens. Die behandelten Beispiele führen von Kriegsfilmen wie INGLOURIOUS BASTERDS über Comic-Verfilmungen (THE SPIRIT) hin zu pornografischen Inszenierungen, vom Manga-»Cosplay« in den Fetischclubs über die Rock-’n’-Roll-Posen eines Marilyn Manson bis zur kritischen Überaffirmation der slowenischen Band Laibach.
Weitere Informationsquellen und weiterführende Links:
„Ares und das Band der Charis – Militärische Elemente in der Mode“ von Thomas Oláh – Ausführlich im Ikonenmagazin rezensiert.
Außerdem freue ich mich, ein Interview mit Marcus Stiglegger ankündigen zu dürfen, in dem ich ihn über genau dieses Thema befragen werden und das in Kürze auf Spontis.de erscheinen wird. Im Rahmen der Themen-Wochen „Nazi-Ästhetik und rechte Unterwanderung“ sicherlich eine Bereichnung.