Amphi erstmals in der Lanxess-Arena – Mit dem Charme eines Luftschutzbunkers

Bei der Premiere des Amphi-Festivals in der Kölner Lanxess Arena ging es stürmisch zu. Sturmtief „Zelijko“ sorgte am Samstag dafür, dass die Außenbereiche geschlossen blieben, der Ablaufplan durcheinandergewirbelt wurde und etliche Bands ersatzlos ausgefallen sind. Immerhin profitierte das Festival bereits vom Umzug in die große Arena, denn am Tanzbrunnen hätte es wohl noch eingeschränkter stattfinden müssen, wenn es nicht sogar abgesagt worden wäre. Einige andere Festivals in der Region hatten weniger Glück: Das Juicy-Beats Festival im Dortmunder Westfalenpark wurde abgesagt. Tausende Fans warten nun auf eine Rückerstattung. Am Sonntag konnte das Amphi dann aufdrehen, die Außenbereiche wurden wieder geöffnet und auch das Wetter zeigte sich von seiner freundlicheren Seite.  Doch wie war die Atmosphäre auf dem Amphi? Konnte der Veranstalter den Erwartungen der Gäste gerecht werden? Eignet sich die Lanxess-Arena überhaupt für solch schwarze Musikspektakel? In den sozialen Kanälen gehen die Meinungen weit auseinander und auch die Presse spiegelt dieses Bild wieder. Im Kölner Stadtanzeiger wird Besucherin Dagmar zitiert: „Ihre Stimmung hielt sich in Grenzen: „Eine Atmosphäre zwischen Flughafenhalle und Eishockey. Das passt überhaupt nicht zur Szene“, sagt die 35-Jährige. Sie trauert dem Tanzbrunnen nach.

Da ich selber nicht dabei war, habe ich bei Facebook einen Aufruf gestartet, mir Erfahrungsberichte zuzuschicken. Auf ganz großartige Weise machte das Leser Mourant, dessen Eindrücke ich Euch einfach nicht vorenthalten kann. Es würde mich freuen, wenn auch ihr eure Eindrücke und Gedanken zur neuen Location des Amphi-Festivals loswerden würdet.

Mourant und der letzte Kreis der Hölle

Ich war bisher zweimal beim Amphi, 2012 und dieses Jahr. Schon beim ersten Mal hatte ich mir eigentlich geschworen, diesem schwarzen Ballermann-Kommerz-Karnevals-Jahrmarkt in Zukunft nicht wieder mein Geld in den Rachen zu werfen. Aber die dazwischen liegenden Jahre haben mich wohl vergesslich gemacht. Außerdem waren tatsächlich einige tolle Bands auf dem Plan. Die wenigen gruftigen Künstler konzentrierten sich weitestgehend auf den Samstag, weshalb ich mir lediglich eine Tageskarte besorgte. Die Intensität, mit der dann die Erwartung auf die gegebene Realität traf, hat zur Folge, dass ich meinen Schwur, das Amphi nie wieder zu besuchen, hoch und heilig erneuere.

Mourant
Mourant (25) aus Bonn, kurz vor dem Aufbruch in das waagerechte Hamsterrad

Die Lanxess-Arena als neue Location schafft es, dieses an sich schon nicht leicht verdauliche Festival noch unerträglicher zu machen. Die Hauptbühne stellt die riesige Beton-Arena mit dem Charme eines Luftschutzbunkers dar, um den sich ein Rundgang zieht, der mit Fressbuden (Pommes, Pizza, Bratwurst, Bier) vollgestopft ist. Der Geruch nach Fett, die sich durch den Gang (von mir auch „letzter Höllenkreis“ getauft) quetschende Massen an größtenteils unsympathischen Menschen, ein ununterbrochenes Dröhnen und das unterschwellige Bum-Bum der von innen kommenden “Musik“ charakterisierten dieses waagerechte Hamsterrad. So eine feindliche Atmosphäre muss man beim Reinkommen erst mal verarbeiten.

Programmhefte mit Lageplan wurden anscheinend bei der Bändchenausgabe nicht obligatorisch, sondern optional vergeben. So hatte ich Glück, wurde aber von anderen Besuchern darauf angesprochen, wo ich denn dieses praktische Heftchen her hätte, so etwas hätte man nicht bekommen. Der Lageplan brachte mir auf Anhieb allerdings auch nicht viel, denn trotzdem irrte ich erst mal ziellos umher, auf der Suche nach den Open-Air-Bühnen, die man einfach auszuschildern sich nicht die Mühe gemacht hatte. Will mir gar nicht vorstellen, wie verloren sich die Leute ohne Programmheft zunächst gefühlt haben müssen. Als die Bühnen dann lokalisiert waren, brachte das auch nichts mehr, denn es fanden kommentarlos keine Konzerte statt. Wie sich später rausstellte, gab es eine Sturmwarnung.

Dass die Konzerte draußen ausfielen, erfuhr man allerdings durch „learning by (not) doing“, denn die zig Monitore im Höllenkreis bildeten stur nur die Spielpläne, unterbrochen von Werbung, ab. Auch die tollen Lautsprecher wurden nicht wirklich sinnvoll eingesetzt, stattdessen erfuhr man alle fünf Minuten, dass die Fressbuden auf Ebene 6 geöffnet seien. Wundervoll. Stichwort Ernährung: Die veganen/vegetarischen Imbisse waren leider ebenfalls gestrichen, da sie im Außenbereich zu finde gewesen wären. Dabei fällt mir ein, dass ich auch noch die (vermutliche) Pommessoße von den Pikes putzen muss…

Bei den Facebook-Kommentaren auf der Amphiseite stößt man immer wieder auf die Legitimation, man hätte ja nichts für das Unwetter gekonnt. Stimmt, dafür kann man nichts. Wofür man allerdings was kann, ist der grottige Informationsfluss beziehungsweise den Mangel an selbigem. Man wurde buchstäblich im Regen stehen gelassen. Zudem wussten wir schon eine Woche vorher, wie das Wetter werden würde. Es muss doch eigentlich genug Zeit gegeben haben, um sich einen besseren Notfallplan auszudenken. Stattdessen wortlos und scheinbar ganz überrascht die Konzerte zu streichen? Nein, solch ein Maß an Inkompetenz und Verarsche ist inakzeptabel. Zugeben, ich bin an sich schon kein Freund von Open-Air-Konzerten, besonders im Sommer. Entweder man wird in der Sonne gebraten oder man wird nass. Ein Vorteil des Tanzbrunnens: Es gab nur eine Außenbühne (die sogar noch überdacht) und zwei innen, jetzt ist es genau andersherum, denkbar unpraktisch also.

Als Besitzer einer Tageskarte für Samstag war man angeschmiert. „The Devil & The Universe“ und „Lebanon Hanover“ als zwei der wenigen Vertreter düsterer und/oder intelligenter Musik auf diesem Festival waren auch die zwei Bands, welche nicht Sonntag nachgeholt wurden, im Gegensatz zu den meisten (oder allen?) anderen am Samstag ausgefallenen. Lebanon Hanover schrieben bei Facebook: „sorry again to everybody. there was no slot to be found for us to fit in. too many bands. […]“, worin sich eventuell die musikalische Priorität dieses Festival wiederspiegelt: Die einzige Cold-Wave-Band passt nicht mehr rein…

Selbst wenn sie Sonntag nachgeholt worden wären, hätte es mir natürlich nichts gebracht. Auch für mich potentiell interessante Bands wie „Aeon Sable“ und „Inkubus Sukkubus“ fielen am Samstag weg. DAF wurde zwar nach innen verlegt (wovon ich dank der, wie schon erwähnt, hervorragenden Kommunikation erst nach dem Konzert erfuhr), doch ich habe mir sagen lassen, dass der Sound grottig gewesen sei. Davon konnte ich mich dann am späten Abend nach Stunden, die mehr oder weniger mit Langeweile gefüllt waren, auch beim Konzert von Goethes Erben überzeugen. Der Sound in der Halle ist halt, wie man sich Arena-Sound vorstellt: Breiig und lärmig. Man verstand die meisten Worte kaum oder gar nicht. Die kalte, unpersönliche Atmosphäre dieses Massen-Stadions kann selbst ein Goethes-Erben-Konzert nicht erwärmen. Für Semino Rossi und Mario Barth reicht es aber sicher.

Zurück bleibt die Reue über das viele Geld. Positiv aufgefallen sind mir die Toiletten. Auf Klo gehen und Geld ausgeben konnte man also hervorragend. Aber ob das genug ist? Für mich definitiv nicht. Man fühlt sich einfach wie am falschen Ort gelandet. Ob mit oder ohne Sturm. Ja, unter anderen Umständen wäre die Kritik vielleicht nicht so vernichtend ausgefallen, doch wie mit der Situation umgegangen wurde, spricht Bände. Das Amphi hat mit dem Umzug, dessen Hauptgrund wohl die Vergrößerung der Besucherzahl ist, ein Maß an kommerzieller Seelenlosigkeit erreicht (oder konsequent beibehalten?), auf das ich mich nicht mehr einlassen möchte. So ging es auch den Leuten, mit denen ich dort war. Fazit: Selbst schuld. Siehe Textanfang. Wer nicht (auf sich selbst) hören will, muss fühlen. (Text: Mourant, Bilder: Wikipedia, Mone vom Rabenhorst, Rania Tsironas)

Green Stage
Ein bisschen Leipzig? Der grüne Fleck inmitten der Großstadt neben der imposanten Arena.
Green Stage
Am Sonntag war der Außenbereich endlich geöffnet und nur gegen Abend gab es ein paar Schauer.
Main Stage
Der Innenbereich war riesig und sorgte für Stadion-Atmosphäre. Kein Wunder, den die Arena wird auch für Sportveranstaltungen genutzt.

Cementiri de Montjuïc – Prunkvoller Friedhof in Barcelona

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Man hat mir erzählt, dass die Einheimischen den Friedhof auf Barcelonas Berg, dem Montjuïc, nicht mögen. Die Vorstellung, dass ein Friedhof eine Sehenswürdigkeit sein könnte, ist ihnen fremd. So ist es, nicht ganz unerwartet, menschenleer als ich den Eingangsbereich des Friedhofs erreiche, nur ein gelangweilter Wärter im klimatisierten Häuschen spielt mit seinem Smartphone. Ich freue mich auf einen ungestörten Tag auf dem Friedhof, der 150 Jahre spanische Gräberkultur präsentiert und den man anhand eines Tourplans auf drei unterschiedliche Routen erkunden kann. Auf der Suche nach den Plänen betrete ich das Gebäude der Friedhofsverwaltung. Der Infostand ist ebenfalls leer, nur eine lächelnde Putzfrau zeigt mir – sie ahnte wohl mein Begehren – die entsprechenden Ständer. Mit meinem Plan für die historische Route und meinem Fotoapparat bewaffnet, meistere ich die ersten Treppen, die den Eingang des Friedhofs markieren.

Es ist ein sonniger Tag und vor mir hat sich eine nahezu unüberschaubare Anzahl von Wegen, Treppen, Gräbern und Kapellen in den Berg gekrallt. Unter mir höre ich die Geräuschkulisse der Schnellstraße, die nur vom Stöhnen vereinzelter Schiffshörner durchbrochen wird, denn am Fuß des Montjuïc erstreckt sich Barcelonas Containerhafen. Der Friedhof ist sehr gepflegt, alles ist in einem erstaunlich guten Zustand – ich frage mich, für wen die das eigentlich machen? Überall sind Hinweistafeln und Wegweiser, die auch in Englisch beschriftet sind, so bekomme ich einen Überblick über die Grabstätten und die Geschichte des Friedhofs.

Zum Ende des 19. Jahrhunderts wuchs Barcelona schnell, die Friedhöfe im Zentrum der Stadt waren überfüllt. Der damals kaum genutzten Berg im Rücken der Metropole schien ideal für einen neuen Hautpfriedhof. Im März 1883 wurde der Friedhof durch den Bürgermeister Barcelonas eröffnet. José Fonrodona Riva, ein Bürgermeister aus Kuba, war der Erste von 152.000 Toten, der hier begraben wurden. Auf dem Friedhof kann man 150 Jahre Kunstgeschichte und Bestattungskultur bewundern: Prachtvolle Mausoleen im neogotischen oder neoägyptischen Stil zeugen von reichen Geschäftsleuten und wohlhabenden Bürgern, die sich um die Jahrhundertwende in Design und Ausführung zu übertreffen versuchten. Später schuf man detailreiche Statuen und Engelsfiguren, die über Grabplatten ruhten. Bis 1960 beerdigte man dann viele Verstorbene in sogenannten Gemeinschaftsgräbern, bei denen man 8 Gräber übereinander in Nischen anlegte und am Fuß eine entsprechende Platte einließ, auf der die dort beigesetzten Menschen verzeichnet wurden. Vor allem der obere Teil des Friedhofs ist mit diesen gebäudeartigen Sammelgräbern übersät. Heute findet man hauptsächlich winzige Urnengräber und auch ein Waldstück, in dem man die Asche seines Angehörigen verstreuen kann, denn obwohl ist mittlerweile einen neuen Hauptfriedhof gibt, findet man immer wieder frische Gräber.

Jede Route endet auf dem höchsten Punkt des Friedhofs, an dem man ein römisches Krematorium finden soll und der einen grandiosen Blick über die Stadt garantiert. Ich habe es zugegebenermaßen nicht geschafft. 5 Stunden und 173 Höhenmeter zwischen unglaublich beeindruckenden Gräbern haben meine Pikes zum Qualmen gebracht und meine Sinne erschöpft. Dennoch: Der Cementiri de Montjuïc ist ein Friedhof, den ich nicht vergessen werde. Eindrucksvoll, bedrückend und imposant. Weniger verwunschen und mystisch wie die englischen Friedhöfe, dafür kunstgeschichtlich atemberaubend. Ein bisschen mystisch ist er dann doch noch gewesen, denn in einem abgelegenen Teil des Friedhofs streunte unzählige Katzen zwischen den Gräbern und beobachteten die Eindringlinge argwöhnisch. Wir wurden bis zu einer imaginären Grenze verfolgt, wo man dann schlagartig von uns abließ. Wirklich ruhig ist es auf dem Friedhof leider nicht, die Schnellstraße am Hafen ist laut und die Straße, die durch den Friedhof führt, ist für Einheimische eine beliebte Abkürzung vom Zentrum zu Autobahn.

Nützliche Tipps 

Den Friedhof erreicht man nur mit dem Bus. Mit der Metro fährt man bis zur Station Paral·lel, von der man zur gleichnamigen Haltestelle „Paral·lel Cabanes“(Nummer 722) geht. Von hier aus nimmt man den Bus 21 in Richtung „El Prat“, der fährt etwa alle 30 Minuten. An der Haltestelle „Cementiri de Montjuic“ (3254) steigt ihr aus. Wundert euch nicht, der Bus fährt ein Stück über die Autobahn. Achtet außerdem darauf, den Bus zurück zu erwischen. Steht niemand direkt an der Haltestelle, fährt der Bus durch. Eine Taxifahrt zurück ins Zentrum kostet etwa 15 Euro, wer möchte kann sich auch gleich mit einer Taxi-Stadtrundfahrt über den Friedhof fahren lassen, auch in deutscher Sprach. Führungen (An 2 Sonntagen im Monat) die dort stattfinden, werden nur in katalanisch und kastillisch angeboten. Der Friedhof ist von 8 bis 18:00 Uhr geöffnet. In den Abendstunden sind dort viele Mücken, vielleicht hilft lange Kleidung oder ein entsprechendes Mittelchen, wir haben sicherheitshalber darauf verzichtet.

Reportage: Faszination schwarze Szene – Alles, nur nicht bunt?

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Bettina Böttinger war auf der Suche nach der Faszination der Schwarzen Szene. Ist sie fündig geworden? Gestern Abend versammelten sich gegen 22 Uhr ungewöhnlich viele schwarz gekleidete Menschen vor dem Fernseher oder den Computerbildschirmen, um die Sendung „b.sucht“ im WDR zu verfolgen. Wieder eine Reportage über die Schwarze Szene? Schon im Vorfeld der Sendung wurde bei Spontis darüber diskutiert, welches Bild man von der Szene zeichnet und ob man an einem erneuten Versuch die schwarze Subkultur zu erklären, erstickt. Die Erwartungshaltungen schwankten dann auch zwischen brennender Neugier, schwelender Skepsis und offener Ablehnung. „Ich verstehe irgendwie immer noch nicht, warum wir unsere Szene erklären sollen/wollen. Mir ist es schrecklich egal was die Leute da draußen tun und warum sie etwas tun und so tue ich etwas und es ist meine Sache und nicht die der ganzen Welt.“ Die Frage, warum man sich den Medien immer wieder anbiedert, wurde da in den Raum geworfen. Sind also Hebamme Alexandra, Abiturient Valentin und Familie Mörkens-Köller geltungsbedürftige Selbstdarsteller?  „Was hat es bloß mit diesen schwarz gekleideten und blass geschminkten Menschen auf sich? Einmal im Jahr treffen sich 20.000 Anhänger der Schwarzen Szene. Was verbindet sie? Was wollen sie mit ihrem Stil ausdrücken? Und wie altert man würdevoll als Grufti? Gibt es sowas wie ein schwarzes Familienleben?

Alexandra aus Siegburg
Für Alexandra aus Siegburg kommt das Licht nicht vom Himmel, sondern aus dem Herzen – und das kann man auch in schwarzer Kleidung haben

Wir lernen Hebamme Alexandra aus Siegburg kennen, die ohne Fernseher, Radio und Zeitung inmitten von Marienbildern und Kreuzen in einer Wohnung lebt, in der Bettina Böttinger das Gefühl hat, „ich falle hier aus der Zeit.“ Alexandra möchte nicht der Herde hinterherlaufen und möchte sich abgrenzen – wer aus der Schwarzen Szene möchte das nicht? Die Hebamme ist mir sympathisch, hat was zu erzählen und tanzt auf ihre ganz eigene Art aus der Reihe – auch innerhalb der Szene, möchte ich vermuten, denn so einen offenen und reflektierten Umgang mit dem, was die Szene ausmacht und prägt, leben meiner Ansicht nach nicht allzu viele. Alexandra ist nicht vom Tod fasziniert, gesteht sie, pflegt aber einen tabufreien Umgang damit und empfindet den Friedhof, auf dem sie oft spazieren geht, als spirituellen Ort. Auch ihrer Arbeit als Hebamme geht die Siegburgerin in ihrer schwarzen Kleidung nach. Der besuchten Mutter ist es egal, wie Alexandra rumläuft. Sie schätzt an ihr, dass sie jederzeit mit Rat und Tat zur Seite steht. Auch nachts um fünf. Mich würde interessieren, ob ihr Outfit tatsächlich kein Problem darstellt. Gibt es tatsächlich keine besorgten Eltern mehr, die um das Wohl ihres Nachwuchs fürchten? Goth, das wäre ja mal eine schöne Entwicklung.

Valentin Winter aus Essen
Bettina Böttinger deutet es richtig. Der dramatische Kragen ist auch ein Schutz. Valentin möchte sich ausleben und in Ruhe gelassen werden.

Ganz besonders neugierig war ich ja auf Valentin – oder besser gesagt auf Frau Böttinger und Valentin-  hatte ich ihn doch der Redaktion der Sendung vorgeschlagen und den Kontakt hergestellt. Der 19-jährige Abiturient aus Essen empfängt Bettina Böttinger in seinem kleinen Reich, eigentlich wünscht sich Valentin in ein Schloss und liebt es, sich in andere Welten zu träumen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie angenehm ich den Ringfetischisten, Kontrollfreak und Corsagen-Träger finde. Er ist für mich das, was die Szene ausmacht. Verrückte Individualisten, die mit ihren ganzen Ticks und Eigenheiten permanent anecken und für jeden Psychologen eine Goldgrube wären. Er hält sich für beziehungsunfähig und scheut sich davor, sich zu verlieben – würde das doch „Kontrollverlust auf jeder Ebene“ bedeuten. Vielleicht schon ein Spur zu offen? Ich weiß es nicht. Als sehr angenehm empfinde ich es zudem, dass auch seine geschlechtliche Erscheinung völlig nebensächlich bleibt. Ein klares Statement zu seinem vermeintlich weiblichen Kleid reicht, die ganze Diskussion ad absurdum zu führen. „Es ist mir, wenn ich Kleidung gestalte, wenn ich mich gestalte, vollkommen gleichgültig was männlich ist oder was weiblich ist.“ Die Fahrt mit der Bahn, der Besuch in seinem Glitzer-Lieblingsgeschäft oder das Fotoshooting werden zur Nebensächlichkeit, wenn man sich einen Augenblick lang mit dem beschäftigt, was der Essener zu sagen hat.

„B: Passiert Dir das oft, wenn du im öffentlich Raum bist, dass du irgendwie auch blöd angemacht wirst? V: Sehr oft, aber das ist etwas, das zu meiner Alltags-Realität dazugehört, dass ich eben angesprochen werde, angeschaut werde. B: Aber ist doch auch was Schönes, we… V: Nein! Ich bin ja kein Schauspieler, keine Drag-Queen, ich schminke mich nicht abends ab und ziehe dieses Kostüm und diese Rolle aus und bin dann ein ganz normaler Mensch, sondern es macht mich aus. Es ist meine Persönlichkeit, meine Eigenschaften, es kommt aus mir.“

Zu verklärt? Vielleicht. Valentin empfindet diese Welt als lieblos und schnelllebig. Er wünscht sich mehr Träumerei, mehr Liebe zum Detail und den Bezug zur Natur. Ich wünsche mir einfach mehr Valentins auf dieser Welt. Ich hoffe, er bleibt so wie er ist.

Familie Moerkens-Koeller aus Dortmund
Familie Mörkens-Köller aus Dortmund zeigt, wie man die Szene auch als Eltern noch ausleben und bereichern kann. Stefan gründete vor 10 Jahren eine virtuelle Gemeinschaft für Eltern aus der Szene.

Familie Mörkens-Köller aus einer Dortmunder Wohnsiedlung ist angenehm erdig und das schwarze und möglicherweise „bodenständigere“ Kontrastprogramm zu Valentin. Kinder und Familienleben fordern ihren Tribut, doch aufgegeben hat sich hier niemand. Das Paar ist nach eigenen Angaben in den 80ern steckengeblieben und hat sich durch Kindern zwar verändert, aber normal seien sie nicht geworden. Stefan Mörkens, den viele als Betreiber der Plattform „Die schwarze Familie“ (ehemals Gothic-Family) kennen, ist mit Leidenschaft bei der Sache. Begeistert präsentiert er Bettina Böttinger seine Internetseite, zu Recht, verbindet Stefan Mörkens doch schon seit Jahren die schwarzen Familien aus dem gesamten Bundesgebiet. Er hat eine funktionierende und lebendige Community aufgebaut. Seine eigenen Kinder wissen noch nicht, ob sie sich später einmal für die Schwarze Szene begeistern, denn sie wissen schon, dass es nicht nur darum geht, sich schwarze Klamotten anzuziehen. Gegründet wurde die Patchwork-Familie vor 2 Jahren im schottischen Edinburgh, als Manuela und Stefan heirateten. Sie weiß genau, was die Szene für sie bedeutet: „Für mich ist das schon ein bewussterer Umgang, auch mit den negativen Seiten des Lebens. Das Thema Tod wird bei uns nicht tabuisiert [und] dass auch scheitern zum Leben dazugehört.

Fazit: Kommt nicht her, bleibt weg!

Dem WDR gelingt meiner Ansicht nach einer der besten Einblicke in die Schwarze Szene, die ich kenne. Statt sich in immer den gleichen Klischees zu wälzen oder die Szene auf ihr extravagantes Äußeres zu reduzieren, ist man tatsächlich bestrebt, sich den Menschen zu widmen. Es wird nicht versucht, eine Definition der Szene abzuliefern, die so auch gar nicht zu definieren ist. Keine ausgetretene Recherche über die Wurzeln der Szene, keine Stereotypen einzelner Splittergruppen und auch keine Bands, die vermeintlich zur Entstehung beigetragen haben. Böttinger resümiert selbst: „Es ist schwer, hinter die Fassade der bleichen Gesichter zu schauen, sie zu verstehen. Die Menschen, die ich hier kennengelernt habe, sind alle sehr unterschiedlich. Was sie verbindet, ist ihre schwarze Kleidung und vor allem das Gefühl, in unserer bunten, schrillen Welt nicht zu Hause zu sein.

Die Reportage ist keine Einladung zum Nachmachen und auch keine Anleitung für den Einstieg in die Schwarze Szene. Es ist vielmehr ein Einblick in die Lebenswelten von Menschen, die anders sind und anders sein möchten. Es wird deutlich, dass mehr dazugehört als sich schwarze Kleidung überzuwerfen und sich einen Schritt neben den Mainstream zu stellen. Ich muss zugeben, ich empfinde es sogar als willkommene Abschreckung. Wirf deine Vorstellung von Lebensführung über Bord, befreie Dich von gesellschaftlichen Zwängen und lebe deine Eigenheiten, deine Ticks und deine Verschrobenheit. Der Zuschauer wird eingeladen, sich auf die Protagonisten einzulassen oder sie abzulehnen. Ein stiller, schwarzer Protest für einen bewussteren Umgang miteinander.

Mir hat der Bericht sehr gefallen. Vielleicht sogar einer der authentischsten Einblicke der letzten Jahre. Auch Bettina Böttinger fand ich sehr gut. Sie hat viele richtige Fragen gestellt und ist auch in die Tiefe gegangen, statt an der Oberfläche herumzufuchteln. Eine deutliche Entwicklung zur ersten Staffel, wie ich finde. Ich durfte ja ein wenig Einblick nehmen in die Arbeit von Encanto TV, Böttingers eigener Produktionsfirma, und bin überrascht, wie sauber man recherchiert hat und dass man sich tatsächlichen Gedanken darüber gemacht hat, in welche Richtung man gehen möchte.  Ich werde zwar weiterhin skeptisch bleiben, wenn mich Produktionsfirmen nach meiner Hilfe fragen, ein klein bisschen „Schwarzseherei“ habe ich jedoch fallen gelassen. Hoffnungslos optimistisch eben.

Bettina Böttinger sucht die Faszination der schwarzen Szene

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Am 23.07.2015 um 22:00 Uhr strahlt der WDR die Reportage „Faszination Schwarze Szene“ aus der Reihe „b.sucht“ mit Bettina Böttinger aus. Bereits im März dieses Jahres nahm die Redaktion von Böttingers eigener Produktionsfirma Encanto TV Kontakt zu mir auf, um mich um Hilfe bei der Suche nach möglichen Protagonisten zu bitten. In der Sendung besucht Böttinger Menschen aus Nordrhein-Westfalen und stellt sie mit ihren ganz eigenen Geschichten vor. Für die neue Staffel, die nun ausgestrahlt wird, soll es auch um Menschen gehen, die sich innerhalb der schwarzen Szene bewegen. „Welche Gedanken treiben Anhänge dieser Kultur an? Mit welchen Vorurteilen haben sie zu kämpfen? Was finden sie in der Schwarzen Szene?“ Das sind nur einige Fragen, mit denen sich die Reportage beschäftigen will. Eine ganze Weile habe ich mit mir gekämpft, um schließlich doch den Optimismus gewinnen zu lassen und meine Hilfe anzubieten.
Bisher konnte ich den bitteren Beigeschmack noch nicht aus dem Mund bekommen, denn bislang ist die Reportage noch nicht zu sehen gewesen. Ich möchte mit diesem Artikel den Transparenzgedanken hochhalten und einen kleinen Einblick „hinter die Kulissen“ bieten, auch wenn ich selbst nicht bei der Reportage mitgemacht habe. Nun aber erstmal von Anfang an:

Im März 2015 erreichte mich eine E-Mail der Firma Encanto TV, die für ihre Reportagereihe mit Bettina Böttinger, die sie für den WDR produzieren, Menschen aus der schwarzen Szene suchte. Redakteurin Sarah Ernst schrieb, dass sie im Netz auf Spontis aufmerksam geworden ist und sich nach Beschäftigung mit dem Blog sicher war, bei mir richtig zu sein. Sie bat mich, ihr bei der Suche nach möglichen Protagonisten zu helfen und fragte, ob ich nicht Lust hätte, selbst mitzuwirken. Sofort pulsiert die unerbittliche Skepsis durch meine Adern, um den Reflex der Ablehnung zu erzeugen, doch um die seriöse Absicht der Reportage zu unterstreichen fügte sie hinzu:

Ich bin vorrangig auf der Suche nach Menschen, für die die Schwarze Szene nicht nur Party machen und sich mit Freunden treffen bedeutet, sondern für die eine tiefere Bedeutung dahinter steckt. […] es geht in unserer Reportage nicht darum, Klischees zu bedienen oder unsere Protagonisten in irgendeiner Weise vorzuführen. Wir möchten vielmehr durch sie einen Bereich kennen lernen, der den meisten Menschen, die sich nicht speziell dafür interessieren, ansonsten verschlossen bleibt.

Den restlichen Tag verbrachte ich damit, mir die Sendungen der ersten Staffel anzuschauen, um das angepriesene Format kennenzulernen und mir ein Bild von Bettina Böttinger in der Rolle als Interviewerin zu machen. Bisher kannte ich sie nur aus der Sendung „b.trifft“ und dem „Kölner Treff“, die nicht unbedingt zu meinem Beuteschema gehören. Nach intensiven Gedankenspielen und heißen Diskussion mit Orphi Eulenforst erschienen das berühmte Engelchen und das berüchtigte Teufelchen auf meinen Schultern.
Der Engel war begeistert von der Möglichkeit, die Szene durch eine feinfühlige Auswahl von Menschen endlich in das richtige Licht zu rücken, fand die Sendung sympathisch und war hochmotiviert, entsprechende Protagonisten zu finden. Der Teufel schüttelte herablassend den Kopf. Er kennt das Geschäft nur zu gut und erinnerte mich an die Reinfälle in den letzten Jahren, nicht zuletzt an „Brisant“, denen ich auf dem Spontis-Treffen 2014 ein ausführliches Interview gegeben habe, von dem rein gar nichts gesendet wurde. Er fügte hinzu, dass die Macher der Sendung solche Leute vor die Kamera bekommen wollen, von denen sie denken, dass die Zuschauer sie sehen wollen und die idealerweise auch noch polarisieren. Nach einem zähen Schlagabtausch gewann dann doch irgendwie der Engel. Ich bin eben hoffnungslos optimistisch. Meine Antwort an die Redakteurin:

Ich bin sehr an einer Zusammenarbeit interessiert, weil ich denke, dass man durch die richtige Auswahl der Protagonisten zum einen die Sicht auf die Subkultur zu verbessern und zum anderen die Qualität der Sendung beeinflussen kann. Mir fallen gleich eine ganze Menge geeigneter Menschen ein, zu denen ich Kontakt herstellen kann, um die Idee der Sendung zu vermitteln. […] Die Menschen, an die ich denke, haben nichts mit Party-Kultur am Hut, sondern beschäftigen sich vielmehr mit Fotografie, Schriftstellerei, sind als DJ in der Szene tätig, schneidern und entwerfen ihre Klamotten selber und interessieren sich für das, was für mich die Szene ausmacht: die Beschäftigung mit den Randbereichen der gesellschaftlichen Wahrnehmung.

Das einzige Eingeständnis an den Teufel war die Ablehnung, mich selbst als Protagonisten anzubieten. Ich bot jedoch an, bei möglichen Fragestellungen zu helfen. Denn anders als die Redaktion der Sendung glaube ich nicht, dass szenetypische Vorurteile interessante Gesprächsthemen sind, sondern dass die Kunst darin liegt, durch die „schwarze Oberfläche“ zu stoßen, um auf Menschen zu treffen, denen es nicht ums Mitschwimmen in Verkleidungen geht, sondern um Selbstverwirklichung und das Ausleben persönlicher Facetten, die den Tod und die Vergänglichkeit als ästhetisches Element begreifen.

Bitterer Beigeschmack?

Den nächsten Morgen verbrachte  ich damit, Menschen anzuschreiben, die ich mir als Protagonisten für die Sendung wünschen würde. Ich erkläre ihnen, worum es geht, zitierte die Anfrage und versuchte, zu vermitteln, was ich mir vorstelle und warum ich das alles überhaupt mache. Gegen Mittag antwortet Sarah von Encanto (Redakteurin b.trifft), bedankt sich für den Luxus, dass ich ihr die Arbeit abnahm und nannte einen paar Rahmenbedingungen für die Auswahl der Leute.

Da ist innerhalb der Szene nach allen Seiten hin alles möglich. Von jung bis alt, von Einzelpersonen über Paare und Freunden bis hin zu Gothic-Familien inklusive Kindern. Auch jemand, der sich selbst als Vampyr bezeichnet, wäre ein möglicher Protagonist.

Vampire? Ich hatte es gewusst. Der Teufel lachte im Hintergrund. Jemand, der sich als Vampir fühlt, gehört glücklicherweise nicht zu meinem Bekanntenkreis und dennoch fühlte es sich in meiner Mundhöhle an wie nach einem Glas Bitter Lemon – nur ohne Zitronengeschmack. Erneut schlug ich meine Bedenken in den Wind und arbeitete die nächsten Tage daran, Überzeugungsarbeit bei möglichen Interviewpartnern zu leisten. Gar nicht so leicht, denn viele sind skeptischer als erwartet und scheuer als gedacht.

Bettina Böttinger und Valentin Winter
Valentin Winter und Bettina Böttinger. In Valentins Blog könnt ihr nachlesen, was die beiden bei den Dreharbeiten erlebt haben.
(c) Bild: Valentin Winter

Ich schlage Valentin Winter und Jan Opderbeck als Freunde und Verwandlungskünstler vor, Hobbyfotograf Jens Kreimendahl und seine Freundin Dolores als Grufti-Paar mit Vergangenheit, der Mittelalter-Enthusiasten Ingo Verhees willigt ebenfalls ein und ich kann auch Schriftsteller und Szene-DJ Klaus Märkert davon überzeugen, mitzumachen. Alles Leute, die etwas zu erzählen haben. Zusammen mit ein paar Bildern und zusätzlichen Angaben schickte ich ein paar Tage später meine Antwort an die Redaktion ab. Ich merkte in der E-Mail an, dass ich niemanden kenne, der sich als „Vampir“ fühlt und auch eigentlich sehr froh darüber bin, dass es so ist.

Abwarten und Tee trinken

Einige Wochen ziehen ins Land. Ich erfahre, dass Valentin Winter der einzige ist, für den man sich entschieden hat. Ein wenig Enttäuschung macht sich breit, hatte ich doch gehofft, man würde sich auch für die anderen Leute interessieren. Aber was habe ich erwartet? Ich kann nur hoffen, dass man nicht tatsächlich einen „Vampir“ gefunden hat, der vor der Kamera erzählt, wie es ist, als solcher zu leben. Gestern hatte das Warten dann zunächst ein kleines Ende, denn mich erreichte eine weitere Mail von Encanto, die unter anderem von der Fertigstellung der Dreharbeiten kündet: „Im Namen von Bettina Böttinger und des gesamten „B.sucht“-Teams möchte ich mich für Deine Unterstützung bei der Protagonistensuche bedanken! Es war uns eine große Freude, Valentin Winter für die Dreharbeiten besuchen zu dürfen. Ohne Dich wäre das nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank dafür!“ Das Team macht jedenfalls einen sehr sympathischen Eindruck, ob meine Skepsis berechtigt ist und wie die Reportage letztendlich ausfallen wird, werden wir sehen und ihr werdet es hier an dieser Stelle nachlesen können.

Ab dem 16. Juli zeigt der WDR dann jeweils um 22:00 Uhr die Folgen der neuen Staffel. „Faszination Schwarze Szene“ ist die zweite Folge und wird am 23. Juli ausgestrahlt. Weitere Informationen zu den einzelnen Folgen werden jeweils eine Woche vor Ausstrahlung auf der Homepage des WDR zu finden sein. Bis dahin bietet ein Artikel auf Valetins nagelneuem Blog genügend Lesestoff, um sich einen kleinen Einblick in die Dreharbeiten zu verschaffen und die Sache aus seiner Sicht nachzulesen.

Mein schaurig schönes Tagebuch – Episode 7: Leben im Kino

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Ich liebe Filme. Keine Ahnung, wie viele ich schon gesehen habe, und wie oft ich manche Filme wiederholt angeschaut habe. Es müssen Tausende gewesen sein. Ganz besonders gerne gehe ich dafür ins Kino, vorausgesetzt der Film passt zum Kino. Es gibt sogar Filme, die sind meiner Ansicht nach nur fürs Kino gemacht. Twister, der Film mit dem Wirbelstürmen, zum Beispiel: Den kannst du zu Hause noch so laut stellen und auf einem noch so großen Fernseher genießen, es ist nicht zu vergleichen. Ich lasse mich lieber in die wohlige Dunkelheit des Kinosaals sinken und kralle mich in den Armlehnen fest, wenn im neuesten Mad Max die Fahrzeuge durch die Wüste rasen und einen Teil der Sinne völlig vereinnahmen. Ich erinnere mich noch ziemlich genau an meinen ersten Besuch im Kino. Im Grunde erinnere ich mich an viele Kinobesuche, vor allem dann, wenn sie mit kleinen Anekdoten aus schlechten und auch schönen Erinnerungen verbunden sind. Den ersten Kuss habe ich zum Beispiel im Kino genossen, meinen ersten Rausch im Kino ausgeschlafen und mich schon mal in eine Vorstellung für ältere reingeschmuggelt. Dies ist also kein Tagebuch-Eintrag über die besten und schlechtesten Filme meines Lebens, sondern mein Leben in Form von Kinobesuchen – dass ich noch nicht früher auf die Idee gekommen bin!

Das erste Mal

DchungelbuchIch war 5 Jahre alt, als ich zum ersten Mal im Kino gewesen bin. Meine 8 Jahre ältere Schwester begleitete mich, nicht etwa, weil ich allein Angst gehabt hätte, sondern weil das „Dschungelbuch“ erst ab 6 Jahren freigegeben war. Ordnung muss sein! 1979 lief der Film als Wiederholung im Sommerprogramm des Kinos, für ein paar Mark war das eine Art Videothek unserer Zeit. Als Dickkopf nötigte ich meine Schwester dazu, in der ersten Reihe zu sitzen, für ein 13-jähriges Mädchen die finale Höchststrafe. Doch damit nicht genug: Als Mogli von Schlange Kaa hypnotisiert wurde und drohte, lächelnd zu ersticken, habe ich als einziger im ganzen Kinosaal lauthals und dauerhaft gelacht und brachte damit meine Schwester und mich in den Fokus des Publikums. Doch wir haben uns zusammengerauft und wurden fast schon sowas wie Cineasten. Das jährliche Sommerkino Anfang der 80er Jahre (jeden Tag ein anderer Film zu 3 verschiedenen Tageszeiten und für jeweils 5 Mark) machte es möglich. Ich liebte das Kino und seine Filme! Ich wurde zu Indiana Jones, war Geisterjäger und wollte mit Gremlins kuscheln und den doofen Atréju hätte ich am liebsten vom Fuchur geschubst, um selbst auf dem Drachen zu fliegen. 1985 wurde ich dann zusammen mit meiner Schwester zu Luke Skywalker und Prinzessin Leia, denn unzählige Male haben wir „Krieg der Sterne“, „Das Imperium schlägt zurück“ und „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ geguckt. Wir zwei, Bruder und Schwester, wie auf der Leinwand. Toll! Einziger Unterschied: Wir wussten voneinander und haben auch nicht geknutscht.

Die verbotene Frucht

Lost Boys1987 bin ich dann schon selbstständig ins Kino gegangen, möglicherweise weil ich in diesem Alter ein furchtbar nerviger Bruder gewesen bin und meine Schwester sich nun für die Beendigung ihrer Lehre und die Jungs in der Handelsschule interessierte. In der Bravo habe ich jedenfalls einen Artikel zu „The Lost Boys“ entdeckt, ein Vampirfilm mit den angesagten Jung-Darstellern unserer Zeit. Blöd war nur, ich war gerade erst 13 Jahre alt und der Film erst ab 16. Mein Herz klopfte bis zum Hals, als ich die Karte kaufen wollte, 2 Mädchen hatte die Kassiererin in ihrem kleinen Häuschen bereits wegen ihres Alters abblitzen lassen, doch mein Körperbau und ein möglichst unaufgeregtes sachliches Verhalten waren die perfekte Maske. Ich war drin! Leider war ich die ganze Zeit so aufgeregt, dass ich mich kaum auf den Film konzentrieren konnte. Corey Haim, Kiefer Sutherland und die bezaubernde Jami Gertz – ich schmelze noch heute dahin. Wie gerne hätte ich einen großen Schluck aus der Vampir-Flasche genommen und wäre selbst zu einem Vampir geworden? Dann hätte ich Jami haben können, wäre stark und unsterblich und hätte möglicherweise ein Motorrad. Die große Cola, die als Ersatz für das Vampirblut verschlang, sorgte dann zusätzlich für einen permanenten Harndrang, den ich aber unter großer Anstrengung unterdrückte. Ich befürchtete wohl, ich würde nach Verlassen des Saals nicht wieder reinkommen. Die Lücken habe ich dann ein paar Jahre später schließen können, als ich mir den Film in der Videothek ausgeliehen habe, denn die gab es mittlerweile.

Der erste Rausch

Kevin allein zu Haus1990 begann dann meine rebellische Phase, nicht etwa gegen die Gesellschaft, sondern gegen meinen eigenen Geschmack. Alkohol fand ich immer schon schrecklich, egal wie süß und unscheinbar er verpackt war, ich mochte ihn einfach nicht. Gleichzeitig wollte ich aber Anschluss an eine Clique finden und bildete mir ein, das würde nur gehen, wenn ich mich den Gepflogenheiten der Gruppe unterordnete. So hatte sich bei den Jungs aus dem Wasserballverein eingebürgert, nach dem Training zusammenzusitzen und „Turmgeist“ (Ein Gemisch aus Maracuja-Saft und Korn) zu konsumieren. Als wir nach einem überraschend ausgefallenen Training schon am frühen Donnerstag-Abend die selbstgemischten Vorräte aufbrauchten, wurde zunächst vorgeschlagen, mir zwei Ohrlöcher zu stechen und anschließend ins Kino zu gehen. Jugendliche Pläne unter dem Einfluss von Alkohol. Ganz üble Idee! Mit frischen Ohrlöchern, pochenden Ohrläppchen und geschenkten Ohrringen von Alexander entschieden wir uns nach dem Studium der Filmplakate, „Kevin allein zu Haus“ anzuschauen. Ich habe keine Ahnung, wie wir darauf kamen. Zunächst wurden wir aber an der Tür abgewiesen, weil die laut polternden Glasflaschen in unseren Rucksäcken von verbotenerweise mitgebrachten Getränken zeugten. Auf den Vorschlag, die Flaschen nach der Vorstellung wieder an uns zu nehmen zu können, gingen wir nicht ein. Wir waren uns sicher, dass sich das Kinopersonal an unserem perfekten Gemisch laben würde. Wir beschlossen, die Flaschen selbst, schnell und restlos zu leeren. Das klappte. Ich ließ mich in den Kinosessel sinken und betrachtete die sich drehende Leinwand und noch bevor der Vorspann begann, war ich eingeschlafen. Ich kann mich weder an den Film erinnern noch daran, wie ich nach Hause gekommen bin. Eine Zeit lang wusste ich noch nicht mal mehr, warum ich plötzlich Ohrlöcher hatte.

Der erste Kuss

Star TrekFirst time first love oh what feeling is this – Electricity flows with the very first kiss…“ Meinen ersten Kuss vergab ich – unter sehr obskuren Verhältnissen – 1991 im Kino. Wo sonst? Da ich mir mit meinen 17 Jahren wie ein ungeküsster, hoffnungsloser Versager vorkam, schmiedete ich einen durchtriebenen Plan zur Erlangung meines ersten Kusses, denn bei einem Forst geht nichts ohne Plan. Die Idee: Nadine (Name verfälscht), die ich im Jahr zuvor bei einem Urlaub in Norwegen kennengelernt hatte, zum Kino einladen. Nach einem Treffen der alten Norwegen-Clique unterhielten wir uns stundenlang über Goth und die Welt, tauschten Nummer aus und telefonierten von nun an hemmungslos. Ich erfuhr, dass sie ebenfalls Star-Trek-Fan war und beschloss, dass der aktuelle Film der Star-Trek-Reihe „Das unentdeckte Land“ der ideale Filmtitel für den ersten Kuss sein musste. Schon hundertfach selbst in Filme gesehen: Kino, Popcorn, Dunkelheit, dann den Arm vorsichtig um das Mädchen seiner Wahl legen und irgendwann die Gunst der Dramaturgie nutzen und zuschlagen – also küssen. Leider lief der Film inzwischen nur in unserem Kellerkino, einem kleinen Saal unter den großen Kinos, nachdem er in den Wochen zuvor alle Besucherrekorde gesprengt hatte. Mit Popcorn und Cola in der linken und Nadine in der rechten Hand steuerte ich im leeren Kinosaal zielsicher auf freie Platz in der letzten Reihe zu – die sogenannte Lümmelbank. Mir ist gleich der unangenehme Geruch aufgefallen – eine Mischung aus übergelaufener Toilette und Raumspray. Doch Wolke 7 war mächtig und ich ein Dickkopf. Ich setze auf den Duft von Lagerfeld, das ich meinem Vater geklaut hatte. Auch den Riss in der Scheibe des Projektors, der einen kleinen Teil des Films unkenntlich machte, ignorierte ich völlig. Lampen aus, Vorhang auf, Lokalwerbung. Das Popcorn schmeckte auch furchtbar, die Cola war sowieso ohne Kohlensäure. Kaugummi, Trailer, Vorspann. Das Kino stank, überall lag Müll, der Film war kaum zu erkennen und 4 Reihen vor uns ein Kerl, der sich ständig laut räusperte. Alles egal, ich küsste! Nadine guckte wie die junge Vulkanierin, die von Spock gedankenverschmelzt wird. War wohl alles nicht so toll. Zur Krönung setzte ich Nadine anschließend noch in den falschen Zug: „Klar, ich bin mir sicher!“ und ihr Vater musste sie dann mitten in der Nacht an der einsamen Endstation nahe Köln abholen.

Liebes Tagebuch, noch stundenlang könnte ich vom Kino erzählen, aber bestimmt langweilst du dich schon. Von Melanie, mit der ich eine Woche zusammen war und die sich direkt nach dem „Fluch der Karibik“ von mir trennte, weil sie durch mich festgestellt hat, dass sie doch lesbisch ist, erzähle ich dir besser gar nicht. Ich liebe das Kino, obwohl es immer teurer wird und noch so absurde Techniken die Preiserhöhungen rechtfertigen. Ich habe in meinen fast 40 Jahren Kinoerfahrung Folgendes gelernt: Es gibt keine Pause-Taste im Kino, die Idee, kurz vor der Vorstellung auf Klo zu gehen, haben viele, manchmal ist der Trailer besser als der Film und Lehnen, die man nicht hochklappen kann, sind doof.

Vampirfilm: Only Lovers Left Alive – Düsternis und Schwere mit seidiger Leichtigkeit

Ein sich drehendes Firmament. Kleine helle Punkte, die formiert im Schwarzen einen sanften Reigen tanzen. Schweife ziehen, Linien bilden und im Schwarz zu einer Schallplatte verschmelzen. Sqürl – Funnel of love. Ein Stück 60er. Verrucht und mystisch anmutende Gitarrenmusik. Leises Klingen und eine whiskeygeschwängerte, verrauchte Frauenstimme – „Here I go falling down, down, down. My mind is a blank. My head is spinning around and around, as I go deep into the funnel of love“ – breitet sich aus über eine sich sanft drehende Oberansicht eines Zimmers. Gedämpfte, warme Beleuchtung, dunkle, schwere Teppiche. Auf dem Boden vor dem Bett, umgeben von unzähligen Büchern, eine blasse, blonde Frau, die Hände neben sich gelegt, die Augen geschlossen. Wie im Rausch. Wie in einer anderen Sphäre auch der Mann auf dem antik anmutenden Sofa in den nächsten Bildern.

In entspannter Haltung zurückgelehnt, eine Laute auf dem Schoß, die Hände daneben ausgebreitet. Beinah antike Elektrogeräte auf den alten Teppichen, fahles Licht. Düsterschwere Leichtigkeit und der Geschmack von damals, vor langer Zeit. „It’s such a crazy, crazy feeling, I get weak in the knees, My poor old head is a reelin‘, As I go deep into the funnel of love.“

Kling.

Unsere Protagonisten, Eve (Tilda Swinton) und Adam (Tom Hiddleston), erwachen aus ihrer Trance und nehmen uns mit, in das nächtliche Tanger und das nächtliche Detroit.
Only Lovers Left Alive (Regisseur Jim Jarmusch) ist die wundervolle Liebesgeschichte zweier Vampire in sanften Tönen und gedeckten Farben, ohne dabei übertrieben kitschig zu sein (und wenn doch ist es zu verkraften). Seit vielen Jahrhunderten ein Paar, haben sie ihre dritte Hochzeit schon vor einigen Jahrzehnten vollzogen und leben auf verschiedenen Kontinenten, aber immer verbunden im Geiste und durch moderne Kommunikationsmedien. Eve verbringt die Nächte mit ihren Büchern und ihrem alten Freund Marlow. Adam mit seiner Musik und seinem Agenten Ian, der ihm Instrumente und Zubehör besorgt. Als Eve erfährt, dass sich Adam mal wieder schwer in seiner Depression, der Verzweiflung über den Zustand der Menschheit (den Zombies) und das was sie aus sich und der Welt (und ihrem Blut) gemacht haben, versinkt, begibt sie sich auf den Weg nach Detroit, in welchem sie auch auf ihre unliebsame Schwester Ava trifft.

Noch ein Vampirfilm – dachte ich und hatte ernsthaft etwas Angst mir den Film anzusehen, trotz aller Lobeshymnen der Kritiker. Ich ertrage Eves Stimme nicht zwei Stunden lang – dachte ich, als ich die erste Filmsequenz gesehen hatte, diese leidend-pathetisches Gesäusel. Ich möchte diesen Film immer wieder sehen – denke ich jetzt.
Only lovers left alive lässt einen eintauchen in eine düsterne Leichtigkeit, die einen ganz tief nach unten zieht und auf einen sanften Fluss treiben lässt. Der Film lebt von seinen Bildern, von kleinen Ausschnitten, wenigen Gesten, sparsamen Worten und von seiner großartigen Musik. Er malt ein faszinierendes Bild der Welt in der Dunkelheit, der Einsamkeit der Nacht, den essentiellen Fragen des Lebens und ist dabei ebenso, schwer, wie wunderbar leicht und verspielt und von einer ganz eigenen Komik.

So nimmt uns der Vampirfilm mit auf einen nächtlichen Spaziergang. Durch das nächtlich beleuchtete Tanger (Marokko), Adam und Eve unterwegs im nächtlichen Tanger durch schmale Gassen in einem orientalischen Viertel in denen nachts Gemüse verkauft wird und Männern in Hauseingängen den Passanten „wir haben was du brauchst“ entgegensäuseln. Durch das nächtliche Detroit, eine sterbende Metropole , vorbei an leeren Fabrikgebäuden und ausgestorbenen Vierteln. Ins Michigan Theater, mit seiner großartigen Deckenkonstruktion, das nunmehr nur noch ein Schatten seiner selbst ist und als Parkhaus dient. In ein Gefühl von Leere und Melancholie in dass es uns die tiefe Verbundenheit zweier Wesen stellt. In sanften innigen Gesten, getragen von den wabernden, tiefgehenden Klängen der Musik . Immer mit einem Fingerzeig auf geschichtliche Ereignisse, die der Filme gerne für seine Zwecke nutzbar macht und damit nur knapp der Gefahr der Überstilisierung entgeht – und manchmal muss man doch kurz mit den Augen rollen. Nicht selten aber auch ernsthaft schmunzeln oder tatsächlich lachen.

Sie versprüht dabei den stillen Charme einer sanften Femme Fatale und die freudige Leichtigkeit eines Kindes. Er hüllt sich in tiefe Melancholie und Weltschmerz, komponiert auf den Gitarren tragend schwere Trauermusik. Adam und Eve sind Metaphern, so Jarmusch, „für den gegenwärtigen Zustand menschlichen Lebens – sie sind zerbrechlich und in Gefahr, empfindlich für die Gewalt der Natur, und für das kurzsichtige Verhalten derer, die an der Macht sind“.

Wenn ich den Text jetzt wieder lese und über den Film nachdenke, dann habe ich das Gefühl, dass alles nicht ansatzweise beschreiben zu können und unglaublich viele kleine Details, Stimmungen, Deutungen und so weiter nicht beschrieben zu haben und nicht ansatzweise die Großartigkeit dieses Filmes rüber zu bringen. Und ich habe noch immer viele Fragen an den Film, die ich mir nicht beantworten kann und teilweise auch nicht beantworten will. Bleibt also nur eins: anschauen!

Friedhof Ohlsdorf – Eine beruhigende Lebendigkeit

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Ein Friedhof, auf dem Autos und Fahrräder herumfahren? Eine Unmöglichkeit, dachte ich bisher. Leserin Kerstin, die einige schon von ihren Bildern vom Frankfurter Hauptfriedhof kennen, empfindet jedoch genau diese Lebendigkeit auf dem Ohlsdorfer Friedhof als beruhigendes Element. Und schon verliert man sich in Gedanken über Pietät und das Verhältnis zum Tod, ob man will oder nicht. Ein Fernsehbeitrag vom NDR, auf den sie mich auch aufmerksam machte,Ihre Bilder – eine Mischung aus neuem und altem Material – hat sie diesmal mit ihren ganz eigenen Eindrücken versehen, die ein Stück ihre Faszination für diesen Friedhof erklären.

Der Hamburger Friedhof Ohlsdorf ist der größte Parkfriedhof der Welt. Auf einer Fläche von rund 391 Hektar wurden seit dem 1. Juli 1877 – heute feiert er seinen 138. Jahrestag – über 1,4 Millionen Beerdigungen durchgeführt unter anderem die von Gustaf Gründgens, Hans Albers, Inge Meysel und Heinz Erhardt. Doch bevor ich mich über einen Friedhof auslasse, den ich leider noch nicht besucht habe, lasse ich Kerstin zu Wort kommen.

Irgendwer oder irgendwas wird irgendwie immer fotografiert

Das Faszinierende am Friedhof Ohlsdorf ist für die meisten – und auch für mich – seine unfassbare Grösse. Ich habe es in 12 Jahren nicht geschafft, einmal über den ganzen Friedhof zu kommen. Die Vielfalt der unterschiedlichen Gräber ist schon fast erschlagend schön – neben neuen und modernen Gräbern gibt es auch solche, die in der Natur verschwunden sind. Bis vor kurzem war der Friedhof noch in einen alten und einen neuen Teil unterteilt, was aber im Zuge jüngster Modernisierungsmaßnahmen aufgehoben wurde. Die neueren Gräber finde ich nicht so interessant, alle sieht sehr geordnet und gleichförmig aus, klassische Grabsteine oder Kreuze in Reih und Glied. Dafür spiegelt der Friedhof 130 Jahre Bestattungskultur unzähliger Epochen und Einflüsse, neben Gräbern der verschiedensten Religionen und Kulturen finden sich auch eine Vielzahl von Gedenkgräbern, vor allem für die Opfer des Nationalsozialismus.

Auf der linken Seite – vom Eingang aus gesehen – findet man die Mausoleen alter hanseatischer Familien. Viele von ihnen werden nicht mehr genutzt und von einem wird behauptet, das dort mittlerweile ein Weinkeller verborgen ist, wo ein Nachfahre dieser Familie Weinverkostungen anbietet. Ich muss dann immer an Vampire denken, die auf dem Friedhof stilecht ihrer Dekadenz frönen.

Auf der linken Seite befinden sich die meisten der wunderschönen Engelsstatuen, sowie etliche der prominenten Gräber. Hier gibt es das Meiste zu entdecken: wunderschöne bronzefarbene Madonnen, Männer mit den verschiedensten Instrumenten, Paare aus Marmor, alte Säulengräber oder auch alte Plattengräber, die in ihrer Art auf adelige Ritter zurückzuführen sind. Leider sind viele der Werke oder Gräber mittlerweile schwer verfallen, da sich die Familien nicht mehr darum kümmern oder mittlerweile ausgestorben sind.

Ich gehe so 3 vielleicht 4 mal im Jahr nach Ohlsdorf und wähle immer unterschiedliche Routen. Oft mache ich dort Fotos und es wurden dort auch schon Fotos von mir gemacht. Aber die meiste Zeit schlendere ich einfach so rum. Ich finde die Atmosphäre dort sehr beruhigend .Was schön und irgendwie anders ist, das es dort eben nicht so ruhig ist wie auf anderen Friedhöfen. Dort fahren Busse, Autos und Fahrräder herum und Leute mit einer Kamera fallen kaum auf und werden nicht gleich als Pietätlos empfunden. Immer wenn ich dort bin, wird irgendwer oder irgendwas irgendwie fotografiert. Und das sind nicht nur Gothics, wie einige meinen. Oft bin ich dort, um an meine Eltern zu denken. Die wurden zwar in Bremen, meiner Heimatstadt, beerdigt – da sie sich aber verbrennen und anonym beisetzen ließen, fühle ich auch von Ohlsdorf aus eine beruhigende Nähe, denn dort gibt es ebenfalls einen Bereich für anonyme Urnengrabstätten, die alle einen Gedenkstein oder Gedenkplatz haben, wo man dann Blumen oder Kerzen aufstellen kann. In den letzten Jahren ist dort auch ein neuer Platz entstanden, der sogenannten Rosengarten. In seinem Innern ein Meer aus Rosen, der von einem Rundgang gesäumt ist, auf dem man auf viele neue Gräber und Gedenktafeln stößt. Vielleicht schaffe ich es dieses Jahr das Rosenmeer in seiner vollen Pracht zu fotografieren.

Im Laufe der Jahre habe ich so immer wieder interessante Menschen kennengelernt: Lebenskünstler und Künstler, „Überlebende“ und viele die dort, wie ich, einfach nur herumlaufen und über die eigene Lebensgeschichte nachdenken. Man lernt sich dort irgendwie einfacher kennen, wenn man auf einer Bank sitzt, liest und entspannt.

Reisetipps

Der Friedhof ist zu groß, um ihn auf einmal kennen zulernen. Hamburg-Besuchern, die nur ein paar Tage da sind, empfehle ich eine geführte Rundfahrt – wie im Video zu sehen – oder einen der zahlreichen Rundgänge oder Führungen. Die meisten finden an den Wochenenden statt und können direkt vor Ort gebucht werden. Sie dauern etwa 1,5 oder 2 Stunden und kosten zwischen 4 und 13 Euro, je nach Umfang und Dauer. Einige Führungen sind sogar kostenlos.

Wenn man alleine unterwegs ist, empfehle ich dringend, sich vorher einen Plan zu zulegen. Den kann man auf der Internetseite des Friedhofs runterladen, oder sich vor Ort, im Büro am Haupteingang, einen gedruckten Plan besorgen. Pikes sind in diesem Fall nicht unbedingt geeignet um ausgiebige Märsche zu absolvieren, vor allem wenn man von den Hauptwegen querfeldein gehen möchte und es zu allem Überfluss am Vortag noch geregnet hat, denn da ist der Untergrund häufig weich und sehr matschig. Ein kleines Museum, das Sonntags von 10 bis 14 Uhr geöffnet ist, zeigt auch immer wieder Ausstellungen, die immer irgendwas mit Tod und Bestattungskultur zu tun haben.

Zeltplatzidylle und WGT-Gefühle – Remember the days!

Nachdem wir über unsere WGT-WG in Leipzig berichteten, in der wir nahezu unverschämt luxeriös in einer gemieteten Wohnung abgestiegen waren, ist es Zeit ein Blick über den Tellerrand zu werfen. Spontis-Autorin Flederflausch berichtet von „ihrem“ Besuch in Leipzig – ein wunderbares Tagebuch zwischen sehnsüchtiger Melancholie und dem Gefühl „nach Hause“ zu kommen.

Wave Gotik Treffen 2015. Mein sechstes. Alles schon besondere Routine sollte man meinen – ist es eigentlich auch – aber dieses Jahr ist etwas irgendwie…anders. War ich sonst die Woche vor Pfingsten schon mit Vorbereitungen beschäftigt und dank To-Do-Liste top vorbereitet, überrollt mich dieses Jahr ganz ungeniert das Alltagsleben und ich stelle Mittwochnachmittag leicht erschrocken fest, dass ich mich mit dem Packen mal etwas ranhalten sollte und habe gleich schon gar keine Lust mehr (ich gebe zu, die Hälfte der Zeit vor dem WGT und während des WGT bin ich immer ganz traurig, weil es bald wieder vorbei ist). Als wir (fröhlicher Mitcamper und freundlicher Fahrdienst Matthias und ich) Donnerstagmittag auf der Autobahn die erste vollbepackte Gruftikutsche sichten, packt mich dann doch die vollste Begeisterung und ich winke bei jedem Überholen freudig wie ein kleines Kind auf dem Weg in den Zoo. Coming home.

Spätestens als die übliche Truppe auf dem Zeltplatz versammelt, die Zelte aufgebaut und der Grill angefeuert ist, setzt langsam ein wohliges WGT-Zuhause-Gefühl ein. Reden, trinken, umarmen, Wiedersehensfreude, zum Tanzen zu wechselhaft musikalischen (Un-)Genuss in die Agra 4.2. Wir tanzen jeder für sich und als Grüppchen zusammen, ausgelassen und in uns gekehrt. Bei jedem Blick, die strahlenden Gesichter der anderen – noch alle da, noch alle wohlauf. Atmen. Leben. Im kalten Morgengrauen stolpern Mark und ich als letzte Verbliebene der Bande ins Zelt – und kurz darauf irgend ein wirrer Drunkener in mein Vorzelt, was mich aus dem hart erkämpften Schlaf reisst und mir den größten Schrecken seit langem verpasst – Falsches Zelt! Eine Weile noch kämpfe ich mit dem Schock, beim üblichen gemeinsamen Frühstück kann ich darüber lachen.

Freitag – Die Möglichkeit, dunkle Nuancen zuzulassen

Zeltplatzidylle beim gemütlichen Beisammensein

Am Nachmittag bin ich mit Carmen unterwegs und stelle fest, nicht nur ich habe das Gefühl, dass dieses Jahr etwas anders ist. Zwischen all den wunderbaren Momenten und Menschen fühlt sich etwas anders an, etwas hat sich verändert. Ist es die gefühlt gesunkene Besucherzahl oder der Eindruck von überbordender Oberflächlichkeit vieler Besucher? Irgendwie kommt das tiefe wunderbardunkelwarme Gefühl von dem was die Musik, die Ästhetik, die „Szene“ für mich ist nicht hundertprozentig durch. Es ist da, aber der Geschmack hat sich verändert. Melancholie und Sehnsucht machen sich breit und halten sich auch bei der Fahrt zu den Lesungen von Christian von Aster und Lydia Benecke. Trotz des Kurzweils und des tiefgängigen Gespräches, auch wenn mich dieses wiederholt daran erinnert, was ich an vielen Schwarzkitteln so schätze: eine andere Sicht auf die Dinge, die Möglichkeit dunkle Nuancen zu zulassen und sie zu kommunizieren.

Kirlian Camera verpasse ich dadurch natürlich und die Unterschätzung der Entfernungen in Leipzig trägt ebenfalls dazu bei (wie so ziemliche alle anderen Konzerte, die ich mir als Option markiert hatte – eigentlich hab ich es am Ende nur zu zweien geschafft zu denen ich wirklich wollte). Die Künstlerauswahl in der Agra bringt mich nicht gerade in Wallung (also eigentlich so ziemlich gar nicht), dafür aber der anwesende Haufen meiner Camping-Crew. Eine Flasche Fruchtwein mit Nancy und die Party in der Moritzbastei, welche wir eher aus Bequemlichkeit wählen und welcher wir schnell überdrüssig werden und die für uns mit viel Blödsinn und Gelächter im Hof der MB endet, sollten das vergessen machen – und wieder die Erkenntnis: Leipzig bringt einem Menschen näher, schafft Freundschaften und festigt sie. Kreiert schillerndschwarze Erinnerungen, bei denen es einem ganz warm ums Herz wird – und ganz feucht in den Augen (und während ich das hier in den Tasten tippe erwische ich mich immer wieder dabei wie ich grenzdebil anfange zu grinsen und mir ein Tränchen verdrücken muss…).

Samstag – Das WGT Gefühl, dass ich vermisst hatte

Dennoch ist es Samstag noch irgendwie da, das Gefühl, dass etwas anders ist. Die Konsummeile ist es auf jeden Fall nicht, die ist wie immer und interessiert mich auch nur sehr partiell. Auf den Weg zurück zum Zeltplatz entdecke ich Robert mit Weggefährten, sterbe fast vor Aufregung, habe das Gefühl ich erzähle nur komisches Zeug und schaffe es dann im Zelt natürlich mal wieder nicht, wie geplant Schlaf nachzuholen (und der mangelnde Schlaf sollte mich noch übers WGT hinaus verfolgen). Etwas angematscht erreiche ich Samstagabend dann aber doch noch mein erstes Konzert des diesjährigen WGTs im Stadtbad und die andere Nancy und den anderen Matthias (diese Namensdoppelung sollte in meinem Kopf dieses WGT alles etwas komplizierter machen). Crash Course in Science sind ganz nett und dann: Minuit Machine: große klasse! Pulsierendes Dunkel, wie ein tiefer dunkler Strom. Floating and drowning.

Draussen, während die Dunkelheit langsam über die Stadt sinkt, lasse ich los und mich fallen, in die Klänge und die Leichtigkeit des (Beisammen-)Sein. Also lasse ich die Fields oft the Nephilim sausen und mit einer Flasche Pfeffi bewaffnet machen wir uns als bald auf den Weg ins Täubchenthal zur „When we were young“ – und da finde ich es, zwischen angeheiterten Gesprächen mit alten und neuen Gesichtern, zu vielen Zigaretten, der Kälte draussen und der Wärme der Menschen und auf der Tanzfläche – das WGT Gefühl, dass ich vermisst hatte – zu Hause. „The beat and the pulse, laughing like a fool, playing for the heart and the soul, and the soul“. Morgens um sieben stolpern wir mit schweren Beinen und leichten Herzen aus der Veranstaltungsstätte ins Taxi. Mit zum Pogo-Festival schaffe ich es nicht mehr, dafür morgens um elf reichlich angematscht aus dem Zelt, als die Sonne das Klima in diesem zu sehr aufheizte.

Sonntag – Der Schminkpinsel hat die Schnauze voll!

Tempers bei ihrem Auftritt beim WGT - (c) Oliver Krapp
Tempers bei ihrem Auftritt beim WGT – (c) Oliver Krapp

Sonntag hänge ich übermüdet und etwas neben der Spur auf dem Zeltplatz und kämpfe mit dem Kajal meiner Mitcamperinnen – mein Schminkpinsel schien die Schnauze nämlich voll und sich verdrückt zu haben. Gefühlte drei Stunden später, am frühen Abend bereits – nachdem ich endlich einigermaßen schwarz und bleich ins Gesicht gebracht habe und einen neuen Schminkpinsel mein eigen nennen konnte (es lebe die Shopping Meile im Leipziger Hauptbahnhof!) erreiche ich relativ abgekämpft mit Mitcamper Mark die Moritzbastei und mit dieser Nancy, Thomas und Matthias und beklage die fehlende Möglichkeit mich klonen zu können und mein schlechtes Gewissen, da wir bedingt durch unterschiedlich musikalische Vorlieben am Ende doch immer auf unterschiedlichen

Veranstaltungen laden und vielfach nur das Frühstück teilen, weil ich dieses Jahr viel zu verbammelt bin um irgendwie mal zu einer Nachmittagsveranstaltung aufzubrechen (wirklich – seit Jahren möchte unbedingt mal eine Friedhofsführung mitmachen, klappt nie). Darum beschliesse ich mit Nancy und Mark zu Beborn Beton aufzubrechen, die mir überhaupt nichts sagen, aber live tatsächlich ganz angenehm tanzbar sind und dann von dort aus zu Tempers in den Volkspalast zu fahren. Bei diesem Unterfangen zeigt sich mal wieder, dass die Haltestellenangaben auf dem WGT Plan völlig daneben sind. In meiner Schusseligkeit fahre ich erst mal nicht Richtung Volkspalast, sondern Richtung Stadt und verbringe dann viel Zeit mit dem Warten auf die nächste Bahn (und belausche dabei zwei junge Studentinnen, wie sie über das Festival das da grad ist reden und muss mir mehr als ein Mal echt auf die Zunge beissen) und der Suche nach dem richtigen Weg von der Haltestelle zur Alten Messe, nur um dann festzustellen, dass gleich zu Fuß zu gehen viel günstiger gewesen wäre.

Montag – Ist es wirklich bald vorbei?

Aber Tempers machen das alles wieder wett. Großartig, bewegend, düsterleicht und weich. Ohne Worte einfach nur. Leider bewegen sich die Temperaturen in der Veranstaltungsstätte deutlich über meiner Komfortzone, weshalb ich bald die Flucht nach draussen ergreifen muss, was mir jedoch zumindest ein Pläuschchen mit Freunden und Bekannten beschert. Der Abend endet wiederholt im Täubchenthal und für mich dann verhältnismäßig früh um halb vier im Zelt – schon wieder kein Pogo Festival – aber man ist halt keine achtzehn mehr und am Montag beglückwünsche ich mich ein bisschen zu meiner Entscheidung, noch müder wäre ich unerträglich für meine Umwelt geworden und schon so zeige ich mich mein Spontis-Treffen relativ unkommunikativ und etwas neben der Spur – ganz abgesehen davon, dass mich so viele neue Menschen immer etwas überfordern. Nichtsdestotrotz war es schön, die vielen Gesichter der Spontis-Leser und Schreiber kennen zu lernen und die ganz besondere Atmosphäre des Treffens zu genießen.

Eines wunderschönen Nachts im Thäubchenthal
Eines wunderschönen Nachts im Thäubchenthal

Später liege ich im Zelt, lausche dem ruhigen Klopfen der Regentropfen, dämmere vor mich hin und fühle mich warm und geborgen. Ist es wirklich bald vorbei? (Und ganz hinten irgendwo, Goth sei dank ist es bald vorbei, ich brauche Schlaf und eine heiße (!) Dusche). Die anvisierten Konzerte habe ich natürlich mal wieder erfolgreich verpasst, dafür mit meinem Mitcampern geplauscht, getrunken, gelacht und noch mal die andere Nancy und den anderen Matthias ins Thäubchenthal begleitet – für ein paar wenige Stunden, denn mein Körper gibt auf und ich ihm nach.

Am Dienstagmorgen bin ich wehmütig und von Abschiedsschmerz geplagt und zugleich in großer Vorfreude auf mein Bett, in dem ich mich in die Post-WGT-Leere und die schönen Erinnerungen fallen lassen. Bis nächstes Jahr, schöne dunkle Welt.

 

German-Ness: Ein Reiseführer für Einsteiger zum WGT in Leipzig

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Neulich wurde ich von Expedia gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ihren alternativen City Guide „GERMAN-NESS“ vorzustellen, denn die waren – so schrieb man mir – auch auf dem WGT 2015 in Leipzig unterwegs und haben sich unter anderem mit Chris Pohl von Blutengel unterhalten. Ich habe mir das Video natürlich gleich angeschaut, um meine schwelende Skepsis zu nähren und sie erwartungsgemäß zur Ablehnung wachsen zu lassen. Doch ich war überrascht, denn nicht nur die Moderatorin macht ihre Sache gut, sondern auch Chris Pohl, mit dem ich mich zugegebenermaßen noch nicht wirklich auseinandergesetzt habe. Ich finde ihn ganz sympathisch.  Ich sagte zu, das Video vorzustellen. Aber eins nach dem anderen.

Ein Reiseführer für das Wave-Gotik-Treffen? Wir halten fest, das WGT in Leipzig ist bereits weltberühmt, es lockt nicht nur Szene-Gänger aus aller Welt nach Deutschland, sondern auch Besucher, Neugierige und Schaulustige. Das ist unabänderlicher Fakt, schließlich prägt das Festival seit über 20 Jahren nicht nur die Szene, sondern auch die Stadt in Sachsen und hat seine Bekanntheit immer weiter gesteigert. Es wundert natürlich niemanden, dass die Zielgruppe des alternativen Reiseführers eher bei Neulingen und Neugierigen zu suchen ist und nicht die großen Geheimnisse für Alteingesessene lüftet. Soll sie auch gar nicht. Zunächst war ich natürlich skeptisch, ob die Moderatorin Claire Oelkers (30), die bis 2008 bei MTV beschäftigt war und zugibt „absolutes Neuland“ zu betreten, mit aufgesetzten Fragen und den immer gleichen Klischees nervt, doch hier hat jemand seine Hausaufgaben gemacht.

Obwohl das Video nur an der äußerlichen Oberfläche einer facettenreichen Szene kratzt, finde ich es sehr löblich, dass man versucht, unvoreingenommen an Thematiken heranzugehen. Auf einer AGRA-Tour mit Chris Pohl kommt man auch auf den „Renner“ seiner Merchandise-Artikel zu sprechen, ein T-Shirt, auf dem er mit einem Kreuz in der Hand abgebildet ist und auf dem steht „Ich bin dein Gott“. Und tatsächlich hat sich Chris Pohl auch etwas dabei gedacht, mit Symboliken des Glaubens zu spielen: „Ich finde Glauben an sich ist sehr, sehr gut. Jeder sollte glauben, egal an was und wenn er halt sagt, es ist ein christlicher Glaube: in Ordnung! An was auch immer möchte ich den Menschen selber überlassen, aber ich spiele gerne mit diesem Thema.

Auch Cornelius Brach, der Pressesprecher des WGT kommt zu Wort und erinnert an das bevorstehende 25-jährige Jubiläum des Treffens. Goth, die Szene wird alt. Kurzum: Der Ausflug der MTV-Moderatorin aufs WGT hat eine der spärlich gesäten guten Reportagen für „Neulinge“ hervorgebracht. Wenn Ihr also mal wieder jemandem erklären müsst, was das WGT ist… ;-)

Kleiner Tipp: Auch wenn ich persönlich kein großer Fan von Dr. Made bin: Das zweite WGT-Video aus der Expedia-Reihe wird ein Interview mit Dr. Mark Benecke enthalten. Es ist allerdings noch nicht veröffentlicht. Da müsstet Ihr dann selber am Ball bleiben. Ich bin mir sicher, dass das auch „Alteingesesse“. interessiert. Auf dem YouTube Kanal des City-Guides finden sich übrigens zahlreiche weitere Videos zu deutschen Großstädten, wie Berlin, Hamburg oder Köln, die man aus einer „anderen“ Perspektive wahrnehmen kann – vielleicht gibt es ja noch mehr zu entdecken.

Noch kurz ein paar Worte zu Leipzig: Den Südfriedhof mit seinen geschichtsträchtigen Gräbern oder auch das Stasi-Museum mit seiner bedrückenden Atmosphäre sollte man sich nicht entgehen lassen. Viele Sehenswürdigkeiten kann man auch ohne das Festival-Bändchen – das man zum Besuch der Konzert-Locations erwerben muss – besuchen. Weitere Tipps von mir und anderen Szenegängern findet man auch beim schwarzen Planeten.

Update

Der zweite Teil des Reiseführers ist mittlerweile auch erschienen. Zusammen mit Dr. Made erkundet Claire das heidnische Dorf, denkt über eine Heirat nach und steigt in den dampfenden Waschzuber um einen Krug Kirschbier zu genießen. Interessant für die Besucher des WGT: Das heidnische Dorf kann man auch OHNE Festivalbändchen, gegen Zahlung eines Eintritts, besuchen. Ebenso wie den Markt auf der Moritzbastei in der Leipziger Innenstadt.

Spontis Wochenschau #03/2015

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Vorgestern war ich mit meinem besten Freund und seinem 12-jährigen Sohn im Kino. Ich wurde eingeladen, den neusten Teil aus der „Jurassic Park“ Reihe anzuschauen, der sich nun „Jurassic World“ schimpft und sich anschickt, zum Blockbuster des Jahres zu avancieren. Und während auf der Leinwand – vom Dolby-Klang knackender Knochen untermalt – reihenweise Menschen gefressen, durch die Luft geschleudert und zu Tode getrampelt wurden, machte ich mir darüber Gedanken ob Filme ab 12 Jahren auch in meiner Jugend so blutrünstig gewesen sind. Ihr merkt schon, so doll fand ich den Film jetzt nicht – oder besser gesagt, die Anspruchslosigkeit der Story ließ Raum für Grübeleien. Meine altersgerechte Empörung (bin nun offiziell Ü40) über die Gruseligkeit und Brutalität aktueller Kinofilme verfolg jedoch schnell, denn so war es eigentlich schon immer, man denke nur an „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“, der auch ab 12 war. Gut, ein klein bisschen strenger war man früher schon, so konnte ich damals „Gremlins“ (FSK 16) nur in Begleitung meiner Schwester gucken – der Film läuft heute im Nachmittagsprogramm. Man geht eben mit der Zeit oder irre ich mich etwa? Es ist schwieriger geworden die Jugend zu schützen, soviel ist mal sicher. In der 80ern war es kaum möglich, sich „Halloween“ ins Kinderzimmer zu schmuggeln, schon gar nicht wenn man keinen VHS-Rekorder hatte und „nur“ eine ältere Schwester die so etwas überhaupt nicht toll fand. Heutzutage ist das alles ein paar Mausklicks entfernt. Ich finde, es ist schwieriger geworden seinen Nachwuchs zu „schützen“ oder deutlich anstrengender, seinen Kinder bei der Bewältigung der Reizüberflutung zu helfen.  Jetzt aber zur Wochenschau:

  • Einen Schritt zu weit? Zombie-Kinder-Fotos | VICE
    Das Internet kennt keine Altersfreigabe. Gut oder schlecht? Fotografin Brittany Bentine aus Houston verwandelt Kinder in blutrünstige Zombies. Sie beschreibt sich als „America’s First Goth/Alt and fantasy themed photographic art for Maternity,babies,kids,families and teens.“ Sie inszeniert Kinder als blutüberströmte Zombies und arrangiert sie kunstvoll in ihren Foto-Arbeiten. Stichwort Kunst. Für ihre Arbeit wird sie kritisiert, sogar von Kindesmisshandlung ist die Rede. „…in der Unterhaltungsindustrie haben wir es schon sehr, sehr lang mit Zombie-Kindern zu tun—in Hollywoodfilmen oder so. Es ist kein brandneues Konzept. Es gibt Das Omen und Kinder des Zorns und das sind alles Horrorfilme mit Kinderfiguren. […] Jeder hat das Recht auf seine Meinung. Nicht alle mögen die gleiche Sache. Manche Leute mögen Landschaftsgemälde und manche nicht. Die Kinder haben eine Menge Spaß. Niemand wird gequält. Ich habe das schon so oft gesagt: Wenn ein Kind keinen Spaß dabei hat, dann hören wir auf. Und das ist auch schonmal vorgekommen. Wenn sie sich nicht wohlfühlen, wenn sie das nicht machen wollen oder sie Angst bekommen, dann wird das Shooting nicht stattfinden.
  • Gruftorexie – Eine erbliche Krankheit | Gothmum
    Endlich! Nach all den Jahren vorurteilsfreien Daseins und fast schon voll akzeptierter Integration gibt es endlich wieder eine Regung aus dem Ort, in dem die Gothmum und ihre ebenfalls schwarz gewandete Tochter wohnen. Die hat nämlich bei so einer Schulverstaltungen erfahren, dass man zu ihr besser nicht geht, weil sie ja an einer psychichen Erkrankung leidet – denn sonst, so der Volksmund, würde sie ja nicht zu herumlaufen. „Naja, aber das war wieder mal irgendwie typisch für unsere Dörfler hier. Die sind echt schon ganz schön seltsam, diese Normalos… Haste keine Jack Wolfshit- oder Hollister-Klamotten, biste in unserem Kuhkaff eh schon ein Punk, ist dein Auto älter als zwei Jahre, biste asozial, stehen die Geranien auf dem Balkon nicht in Reih‘ und Glied, ein Messie…Naja, who cares? Die lästern über uns, wir über sie. So gleicht sich das wieder aus – egal, an welcher Geisteskrankheit man nun auch immer leidet.“ Ich bin dann ja fast schon wieder ein bisschen froh, dass „normale“ Menschen uns meiden, denn das kommt mir bei den meisten gar nicht so ungelegen.
  • Britische Studie belegt: Metal-Fans sind treu – auch in ihren Beziehungen | Metal Hammer
    Der britische Mirror berichtet, dass Metal-Fnas die treuesten aller Musikfans sind. Laut einer Umfrage der Affären-Website Milan gehen die Metal-Heads auch gerne dauerhafte Beziehungen ein. 6500 Fans wurden befragt und während 19% aller Jazz und 14% aller Salsa-Anhänger schon einmal fremd gegangen sind, rangieren die Metaller mir 2% auf dem letzten Platz. Wer jetzt damit kommt, dass sich gestandene Metaller überhaupt nicht an Umfragen von Affären-Webseiten beteiligen würden und die Studie damit jeder Grundlage entbehrt, ist ein Besserwisser.
  • Interview mit Martin Gore: Die Welt befindet sich im Chaos | Magistrix
    Für Magistrix gab Martin Gore ein Interview um über sein neues Album zu sprechen. Dennoch lassen sich spannende Dinge finden, die Herrn Gore immer noch zu meinem Lieblingsgrufti machen. Ob er will oder nicht. „Magistrix: Sie leben mittlerweile in Amerika. Vermissen Sie Ihre Heimat England manchmal? Gore: Das tue ich. Zum einen, weil Familie und Freunde dort leben. Ich habe nicht viele Freunde in Amerika. Dazu vermisse ich ganz banale Dinge wie Fußball. Ich bin großer Arsenal-Fan und habe nach wie vor eine Dauerkarte, aber ich kann froh sein, wenn ich es ein- oder zweimal im Jahr ins Stadion schaffe. Und nicht zuletzt gibt es eine Art europäische Sensitivität, die mir in Amerika fehlt. Amerikaner – nicht alle, aber die meisten – sind so super-optimistisch. Manchmal vermisse ich den europäischen Pessimismus.
  • Alter jüdischer Friedhof Frankfurt | Gedankensplitter hinter GlasWas wunderschöne Bilder eines alten jüdischen Friedhofs in Frankfurt mit Star Trek zu tun haben, erklärt und Marcus Rietzsch in seinem Artikel: „Symbole weisen auf Herkunft, Beruf oder Namen hin. So stechen beispielweise wiederholt Hände ins Auge, deren Haltung an den Vulkanischen Gruß erinnert. Was kein Zufall ist: Die Begrüßungsgeste der Vulkanier ist angelehnt an einen jüdischen Segen, dem Birkat Kohanim. Am Rande sei erwähnt, dass Zachary Quinto, der in einigen Star-Trek-Filmen den jungen Mr. Spock verkörperte, diesen Gruß auch nach längerem Üben nicht ausführen konnte. Mit einer entsprechenden Menge Klebstoff soll es letztendlich doch noch geklappt haben.
  • Spocks Sohn möchte Dokumentation über seinen Vater drehen | Motherboard
    Adam Nimoy, offenbar stolzer Sohn seines Vaters Leonard, möchte eine Dokumentation über seine Vater und sein alter Ego Mr. Spock drehen. Er hat dazu auf Kickstarter eine entsprechende Kampagne gestartet, von der ich mir sicher bin, dass sie schnell erfolgreich sein wird. „Last year, just before Thanksgiving, I approached my dad, Leonard Nimoy, about the possibility of working together on a film about Mr. Spock. I had skimmed through some of the books on the making of Star Trek and felt there was so much more to explore about the birth and evolution of Spock. And the timing seemed right, as the 50th anniversary of Star Trek: The Original Series was not that far away. Dad agreed that now was the right time, and that he was 100% committed to collaborating with me on this project. He also reminded me that we were (then) just days away from the 50th anniversary of the start of production on “The Cage,” the original pilot for Star Trek in which Dad first appeared as Mr. Spock.
  • World Goth Day 2015 | The Blogging Goth
    Die meisten dürften diesen Tag auf dem WGT verbracht haben, schließlich war es der 22. Mai 2015. Darüber hinaus ist der WGD auch eher ein Phänomen der englischsprachigen Community und ist hierzulande nicht so präsent. Glücklicherweise haben wir „The Blogging Goth“, der solche Ereignisse immer sehr gut zusammenfasst: „It’s almost the end, anyway – because as we all know, when night falls, Goths reallycome out to play! Do so – get out there, hit up your local club or catch a gig or just get down the pub and see what’s on the jukebox. Confounding all stereotypes, Goth is morethan just sitting in your room listening to the same records over and over. OK, a lot of it is that but at the same time, the whole culture benefits from people getting out there, supporting the efforts made to bring new blood into the scene.
  • 1984: Video-Scratching | Screen Ocean
    Nicht nur Mixtapes sind gedanklich mit den 80er verknüpft, sondern auch Videokunst, denn bereits in den 70ern beginnen Videorekorder ihren Siegeszug in den Wohnzimmern dieser Welt. 1985, so Wikipedia, hat bereits jeder 4. deutsche Haushalt so ein Gerät. Klar dass die Jugend damit wieder rumspielen musste, so wie James Deas in diesem Video von 1984:
    http://www.youtube.com/watch?v=l_eCXJ1FvU8
  • 1936: Der erster Horror Film der Welt? | Dangerous Minds
    „The Facts in the Case of M.Valdemar“ ist eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe, die 1845 erschienen ist. 1936 machten sich zwei italienische Filmemacher daran, die Vorlage in einen Gruselfilm zu verwandeln. Aufsehen erregt die Schlussszene (ab 10:00) in der Valdemar aus der Trance geweckt wird: „Nach dieser verstrichenen Zeit versucht der Erzähler, Waldemar wieder zu erwecken. Er stellt ihm Fragen, die nur mit äußerster Mühe beantwortet werden, seine Stimme scheint aus seiner geschwollenen, schwarzen Zunge zu kommen. Zwischen Trance und Schlaflosigkeit bittet Waldemars Zunge darum, ihn möglichst schnell wieder in Schlaf zu versetzen oder aufzuwecken. Als seine Stimme „tot − tot“ schreiend wiederholt, befreit ihn der Erzähler aus seiner Trance, jedoch hat dies zur Folge, dass Waldemars Körper blitzartig in sich zusammenfällt und eine „ekelhafte, stinkende Masse“ hinterlässt.“ Ich wäre neugierig, welche Altersfreigabe der Film bekommen würde…
    http://www.youtube.com/watch?v=c4HwpnZUbfg
  • Kopfüber & Rheinabwärts – Links zum abbiegen | Der schwarze Planet
    Wer immer noch nicht genug vom klicken, lesen und staunen hat, dem sei auch im Mai wieder der schwarze Planet ans Herz gelegt, in dem Shan Dark von einer Reise nach Australien erzählt, bei der fliegende Hunde sie „bewegungslos, weil fassungslos & fasziniert“ zurückließen. Außerdem beantwortet sie einige spannende Fragen rund um ihren Blog.