WGT ist, was man selbst daraus macht. Rückblick auf mein „anderes“ WGT 2019

Dieses WGT war für mich anders. Nicht vom Ablauf, nicht von den Umständen, nicht vom Setting. Mehr so vom Gefühl. Dieses WGT fühlte sich reicher an, weil ich von vielen Dingen weniger in Anspruch genommen habe. Nur eines habe ich ausgereizt: Zeit mit Menschen, deren Gesellschaft ich schätze. Das ist das wundervolle am WGT. Es gibt unglaublich viel Raum für was auch immer man sucht: Konzerte en masse, zahlreiche Parties, eine große Auswahl an Museen und Vorträgen. Leipzig bietet genug Parks, Friedhöfe, Restaurants und Cafés um auch einfach mal dem Tubel zu entfliehen. Für jeden Geschmack ist was dabei, für jeden gibt es eine Nische, vieles muss man sich nicht geben und jede/r hat Raum zu sein wie er/sie sich darstellen möchte.

Man kann sich aber auch, so wie ich, nur auf eine Sache konzentrieren und ein wundervolles WGT erleben. Dabei ist es völlig egal, ob andere das gut finden, von deren Meinung muss man sicht abghängig machen. Es gibt nicht „DAS Wave-Gotik-Treffen“ und auch nicht „DAS Programm“ – WGT ist, was man selbst daraus macht.

Weil es natürlich langweilig und für andere völlig irrelevant ist, wann ich mit wem wo gesessen haben und worüber ich mich unterhalten habe, möchte ich Euch mit kurzen Schlaglichtern auf Dinge, die ich während meines „anderen“ WGT erlebt und gesehen habe, einen Eindruck davon geben, was ich aus meinem WGT gemacht habe.

Bands

Obwohl eigentlich ein zentraler Bestandteil einer solchen Veranstaltung, hab ich dieses Jahr genau anderthalb gesehen. Hanté war wie immer toll, allerdings kommt die Musik in einer kleinen Location deutlich besser rüber, als in einem überfülltem Stadtbad, aber irgendwas ist ja immer. Bei Bragolin war es mir dann zu heiß, zu voll und ich war zu hungrig und zu müde, als dass ich das hätte genießen können. Gibt auch mal wieder eine bessere Gelegenheit dafür. Finde ich aber so gar nicht schlimm, quasi nur eine Band wirklich gesehen zu haben. Ich hatte dadurch einfach keinen Stress.

Wirklich Ruhe mir die Bandauswahl vorher mal durchzuhören hatte ich eh nicht, daher ist sicher vieles auch kompett an mir vorbeigegangen – ich bin mir sicher, da war noch einiges hörenwertes dabei. Die Konzerte treten für mich aber sowieso zunehmend in den Hintergrund. Wenn ich eine Band wirklich sehen will, leiste ich mir lieber mal eine Konzertkarte und wenn ich beim WGT die Wahl habe ein Konzert zu besuchen oder Freunde und Bekannte zu treffen tue ich lieber letzteres. Grundsätzlich möchte ich aber behaupten, irgendwas ist für jeden dabei. Wenn es kein Konzert ist dann halt eine Lesung, oder ein Vortrag, oder eine Ausstellung. Von denen ich mal wieder keine einzige besucht habe. Ich nehme mir das immer schön vor – dabei bleibt es dann aber in der Regel leider auch schon.

Parties

Dieses Jahr  war ich fast ausschlieslich auf den Parties beim Gothic-Pogo-Festival. Bis auf Donnerstag, denn da ist es für mich Tradition mit der Zeltplatzcrew die AGRA 4.2 zu betanzen. Electro-EBM-Techno-whatever-it-is bis die Füße qualmen und man klatschnaß den Boden volltropft. Ist lustig, macht immer wieder Spaß, ist für mich aber nichts für jeden Tag. Ganz anders beim GPF. Da ist musikalisch immer was dabei. Die Location ist toll. Die Kartoffeleckenpommesdingsies sind die besten und viele der Menschen, die ich sehen möchte sind früher oder später auch dort. Ein netter Plausch mit Fremden ist auch immer drin. Ästhetisch finde ich die Veranstaltung ebenfalls am augenfreundlichsten. Zum rundum wohlfühlen einfach.

Menschen

Ganz viele, ganz tolle. Viele alte Gesichter, einige neu. Mit einigen konnte ich mich endlich mal etwas länger unterhalten, mit anderen endlich mal wieder persönlich. Bei fast allen bin ich traurig, dass wir uns bis nächstes Jahr nicht sehen werde, wohlwissend, dass das den kommenden Gesprächen keinen Abbruch tun wird. Dieses WGT stand also ganz im Zeichen des Treffens. Und genau das war es, warum es für mich dieses Jahr irgendwie anders besonders war. Musik finde ich toll, Konzerte finde ich toll, aber Zeit mit interessanten und liebenswerten Menschen finde ich unglaublich wertvoll. Das sind die Menschen und Gespräche, die ich in meiner Jugend auf dem Dorf vermisst habe. Die Gespräche, die die eigene Welt ein bisschen großer, aber heimeliger machen. So viel Offenheit und Interesse, so viel ehrliche Warmherzigkeit begegnet einem selten. Ganz besonders hier die Pre-WGT-Party bei Jen und Holger, wo viele unterschiedliche aber spannende Charaktere zusammen kamen, die GPP und natürtlich das Spontis Treffen.

Trends

Es gibt ja jedes Jahr irgendwie sowas was voll in ist. Mal waren es Schläuche in den Haaren, mal Zahnräder, mal Hörner. Letzte sind übrigens schon wieder auf einen absteigenden Ast, der modebewusste WGT-Besucher von heute trägt ein Headpiece. Irgendwas mir Blumen, Federn, Ornamenten, oder Kreuzen, oder Ästen oder was, was aussieht wie ein ganzes Cinderellaschloss oder ein toter Vogel. Okay, Hörner sind auch manchmal dabei. Ganz weit vorne auch: Masken. Also jetzt nicht so ne Winniepuh-Maske für Fasching, sondern so (venezianische) Augenmasken. Mit ganz viel Schnörkel und ganz filigran und romantisch verspielt und so. Gibt da echt hübche, wirklich. Insgeheim frage ich mich trotzdem, wie viele Leute sie abgenommen, sich versehentlich daraufniedergelassen und das Sitzfleisch punktiert haben. Ich würde mich vermutlich damit versehentlich erdolchen, oder mir ein Auge ausstechen. Ich nutze das WGT auch gerne um mir ästhetische Anregungen und Ideen zu holen, aber für Trends bin ich wohl zu alt und zu verbohrt. Spannend finde ich es aber sie zu beobachten. Was es wohl nächstes Jahr ist? Vielleicht kommen Flügel wieder in Mode?!

#Hashtag

Etwas abseits an einem Weg hatten wir uns beim Viktorianischem Picknick in einem Schattenplätzchen niedergelassen. Ja, ich schaue ganz gerne mal, was andere so tragen. Ja, einiges ist beeindruckend, anderes lädt zum schmunzeln ein. So auch das Schauspiel, dass wir vor der Leinwand eines Fotografen bewundern durften – willkommen im natürlichen Lebensraum des #instagoth(ic). Da habt ihr noch nie drüber nachgedacht, was das ist? Ja, ich bis zum viktorianischen Picknick auch nicht. Eventuell liegt meine Unkenntnis auch daran, dass trotz meiner Jugend vieles an mir vorbei geht. Youtuber, Instastars, Facebookmodels – Es interessiert mich einfach nicht so brennend, dass ich meine Zeit damit verbringen möchte. Aber unter den Hashtags #instagoth, #instagothic und #instagoths finden sich mehrere tausend Beiträge auf Instagram. Das sind dann die Personen, auf die ihr mit der Kamera draufhalten könnt und alle Bilder was werden, wirklich alle. Nicht ein Bild aus 200 ist ganz annehmenbar, sondern 20 Bilder aus 20 Klicks sind was. Alle in einer anderen Pose. Ich habe davon ja genau drei: Reh im Scheinwerferlicht, bekifftes Eichhörnchen und „ich versuche mal, dass es ganz okay wird“. Eins von 200 Bildern kann man dann auch wirklich anderen Menschen zu muten.

Aufreger

Keinen. Zumindest nicht für mich. Ignoranz hilft. Einfach mal wegschauen, weghören, weggehen. Man muss nicht alles toll finden, man muss nicht jeden mögen. Man muss sich nicht in Dinge reinhängen, die man nicht ändern kann und man muss sich auch nicht alles zu Herzen nehmen. Gibt immer Karnevalisten, gibt immer Leute, denen man besser nicht zu hören sollte, gibt immer Situationen in denen man sich denkt: „was zur Hölle…“. Die wirklich großen Aufreger wurden ja eh abgeschafft: Die Toilettensituation an der Parkbühne, der Parkplatz am Kohlrabizirkus. Nur das Stadtfest blieb. Kannste nüscht machen, muss man ja nicht hingehen.
Kleinigkeiten sind immer zu bemängeln: Zum Zelten bin ich langsam wirklich zu alt und zu bequem und finde das auch gar nicht mehr so geil, wie es mal war. Über meine Kleidungsauswahl werde ich nächstes Jahr mal dringend nachdenken müssen, das erspart mir dann vielleicht Tage an denen ich mich 3 Mal umziehe, bevor ich das Zelt verlasse, weil sich alles nicht richtig anfühlt.

Im Großen und Ganzen waren das Wave-Gotik-Treffen und das Gothic Pogo Festival dieses Jahr eine runde Sache, die die Vorfreude auf das nächste Jahr ordentlich geschürt hat. Ich freu mich schon auf euch, ihr schönen, tollen Menschen.

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Mone vom Rabenhorst
Vor 4 Jahre

Ich ahne bereits, daß Dein nächstes WGT ATEMBERAUBEND wird. ;-)

Fântome noir
Fântome noir (@guest_58108)
Vor 4 Jahre

Andere Locations, andere Bands – sonst aber könnte ich diesen Bericht fast 1:1 für mich nehmen. Schön geschrieben!

Nur den Zeltplatz haben wir schon lange gegen ein kleines, zum WGT zu 100% von schwarzgekleideten Leuten belegtes Hotel getauscht. Da hockt man dann halt nicht vor der Dackelgarage und vernichtet Alkohol und quatscht mit den Schlafplatznachbarn, sondern tut dasselbe im Garten zwischen den beiden ehemaligen Wohnhäusern, aus denen das Hotel besteht, zusammen mit der Hotelmama :-)

Hans-Georg von Wurst
Hans-Georg von Wurst (@guest_58110)
Vor 4 Jahre

Als diesjährigen Trend habe ich die schwarz gemalten Hälse („Anti-Doppelkinn-Painting“) wahrgenommen. Möglich, dass sich das bis zum nächsten Jahr noch häuft. Ich finde das ja auch immer ziemlich interessant zu beobachten; man könnte glatt Wetten darauf abschließen!

Du hast aus Deinem WGT 2019 das Beste gemacht – anstatt sich wie viele Andere über Unabänderlichkeiten aufzuregen, hast Du Dein eigenes Wunschprogramm durchgezogen. Es müssten viel mehr Besucher Deinem Beispiel folgen, dann klappt es auch wieder mit dem WGT-Spirit! :cool:

Svartur Nott
Svartur Nott(@svartur-nott)
Vor 4 Jahre

@ Federflausch: Ich hätte da jetzt auf „Inspiration“ der Serie Vikings getippt. Da drin hat man sich irgendwie auch so komisch angemalt… und die Werbung dafür zeigte sowat auch :)

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus (@guest_58119)
Vor 4 Jahre

Diese merkwürdigen, unschönen schwarzen Hälse sind mir auch aufgefallen… hab sie zwar nicht „live“ gesehen, aber auf etlichen WGT-Fotos im Internet. Hab mich auch sehr gewundert darüber, aber wenn es da eine Serie gibt, die scheinbar „Kult“ ist, erklärt es sich ja. Mir fiel noch auf, dass es diesmal sehr viele Leute gab, die sich mit Leuchtkram behängt haben. Leuchtende Reifen um Arme/Füße, kurze Lichterketten um den Hals oder im Haar.
Da ich die „Karneval-Hotspots“ weitesgehend gemieden habe, bekam ich von den Kostümierten zum Glück auch wenig mit. Ich war weder an der AGRA, noch beim Viktorianischen Picknick / Steampunk Treffen noch viel in der Fußgängerzone unterwegs. An der MoBa hielt es sich auch in Grenzen, wenn ich dort war, daher hatte ich eigentlich ein recht gruftiges WGT.

Robert
Robert(@robert-forst)
Admin
Vor 4 Jahre

Ja, ich würde die schwarzen Hälse oder Augenpartien auch als popkulturelles Phänomen einordnen, das von Serien wie Vikings geprägt wurde. Möglicherweise auch in einer Abwandlung aus dem Dia de los Muertos, dem Tag der Toten. Ich kann aber im Augenblick keine eindeutige Quelle ausmachen. Erstmals habe ich das vor 2 Jahren gesehen, wenn ich nicht irre. Jetzt bin ich aber angefixt und werde der Sache auf den Grund gehen :)

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