Doku: Jugend in der DDR – ZDFinfo zum Tag der deutschen Einheit

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Zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober endete beim ZDF eine dreiteilige Dokumentation über die Jugend in der DDR. Bis Freitag, den 8. Oktober ist diese wirklich sehenswerte Reise in Vergangenheit noch in der Mediathek des ZDF zu sehen. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie es als Jugendlicher war, in der DDR aufzuwachsen. „Wo setzte die DDR Grenzen, und wo konnten sich junge Menschen Freiräume erkämpfen?“ Jetzt schnell noch ansehen oder mit unserem Tipp am Ende des Artikels auf der heimischen Festplatte sichern.

Aufbruch und Zwang

Die erste Folge zeigt die Zeit bis zum Mauerbau 1961. Für viele Jugendliche in der DDR, die eben noch in der Hitlerjugend aktiv waren, begann 1946 die Mitgliedschaft in der FDJ, der einzigen in der DDR anerkannten Jugendorganisation. Von eingetrichterten faschistischen Ideologien zu sozialistischen Musterbürgern, so die Vorstellung der damaligen Regierung, was glücklicherweise nicht bei jedem klappte, wie Manfred Haertel berichtet. „Manfred Haertel ist ein überzeugter FDJler, lässt sich sogar in die FDJ-Leitung wählen. Er möchte etwas verändern, sich demokratisch im neuen Staat einbringen. Doch als er sich weigert, bei der vormilitärischen Ausbildung mit einer Waffe zu schießen, gefährdet er seinen Studienwunsch, Lehrer zu werden. Er wird plötzlich zu einem nicht systemkonformen Jugendlichen.

Träume hinter Mauern

Im zweiten Teil der Dokumentation widmet man sich der Zeit zwischen 1961 und 1976, in der die erste Generation hinter der Mauer geboren wird. Doch anstatt in einem sozialistischen Staat zu systemkonformen Jugendlichen heranzureifen, bleibt bei vielen ein sehnsüchtiger Blick in den „Westen“. Diese Zeit „…ist geprägt von der politischen Abgrenzung des kleinen Landes zum Westen, vom Prager Frühling 1968 und von den Versuchen des Staates, mit großen politischen Veranstaltungen und einer zunächst liberalen Jugendpolitik die Mädchen und Jungen für sich zu gewinnen.

Vom Stillstand zum Widerstand

Ende der 70er-Jahre bröckelt die sozialistische Diktatur. Vor allem in der Jugend keimt in den 80er-Jahren die Rebellion gegen das, was ihnen der Staat servierte. Auch in der DDR keimen Subkulturen nach westlichem Vorbild doch unter ständiger Beobachtung der Staatsmacht. Der letzte Teil der Dokumentationerzählt die Geschichten von jungen Menschen, die ihren Platz im Leben und in der DDR gesucht haben. […] Ronald Galenza, Jahrgang 1963, wird zum Entsetzen seiner Eltern zum Punk. Die neue Subkultur provoziert nicht nur das Establishment der DDR, sondern auch die immer größer werdende Gruppe der Neonazis.

(Quelle der Meldung und des Bildes: Presseportal)

Sendung mit „Mediathekview“ für den Privatgebrauch sichern

Mit der kostenlosen und werbefreie Software „Mediathekview“ könnt ihr euch alle Sendung, die aktuell in den Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender zu sehen sind, bequem für zu Hause aufzeichnen, um sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt anzuschauen. Mit praktischer Suchfunktionen kann man die Beschreibungen der Sendungen durchsuchen und so relevante Programme finden.

Auf der deutschsprachigen Webseite findet man eine ausführliche und bebilderte Anleitung, wie ihr das anstellen könnt. Wählt unbedingt „höchste Qualität“ aus, um die Sendung auch auf großen Fernsehern in HD-Auflösung anzuschauen (wenn verfügbar).

 

Gruft-Orakel Oktober 2021: Immer wenn der Dämon seine Pillen nahm

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Der Dämon ist diesen Monat auch ein Derwisch, denn er fegt durch die Räumlichkeiten der Orakel-Redaktion wie die tanzende Touristenattraktion in der Türkei. Gleichzeitig beeindruckt er durch seine Klauen, die er nahezu überall einsetzt. Beim Sarg neues Papier für den Drucker, der Knoblauchzopf bekommt seine Post und der Werwolf hat schon wieder neue Bleistifte nötig. Angespitzt werden sie auch gleich, während er beim Vampir den Mülleimer leert. Die Durga würde vor Neid erblassen. Allerdings pfeift sich der Dämon auch ordentlich Pillen hinter die Lefzen, wie man in der Kantine munkelt. Ob er da wieder am Frankfurter Hauptfriedhof bei der Kröte die falsche Sorte gekauft hat? Hoffentlich kriegt das Chefredakteurin Alana Abendroth nicht raus, dann kann er wieder zur Strafe wochenlang Kaffee kochen.

Spontis-Magazin 2021: Geplanter VÖ-Termin verschiebt sich – Update #3

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Obwohl das Spontis-Magazin 2021 für den September angekündigt war, haben wir es leider nicht rechtzeitig geschafft, alle Inhalte redaktionell aufzubereiten. Der Umfang des Magazin und der deutlich gestiegene Anteil an externen Inhalten haben es erst Anfang September möglich gemacht, mit der redaktionellen Arbeit zu beginnen. Orphi, die leider durch ihre Selbstständigkeit, bei der sie sich (glücklicherweise) momentan vor Arbeit kaum retten kann, diesen Monat stark eingespannt ist, fand bislang zu wenig Zeit die Inhalten zu lektorieren und redaktionell zu bearbeiten.

Zudem ist der textliche Anteil dank der überraschend eloquenten und ausführlichen Beiträge unserer Gast-Autoren deutlich größer geworden und sorgt für ebenfalls erhöhten Arbeitsaufwand. Immerhin ein lohnenswerter Aufwand, denn beispielsweise die mehrseitige Geschichte von Klaus Märkert, die er für das Magazin geschrieben hat, ist großartig!

Ein spontanes Angeboten von Hagen, jedem Magazin kostenlos das letzte Album seiner Band „Thee Chemtrails“ beizulegen, brachte wieder ein wenig Sturm ins Wasserglas, so musste das Cover-Design des Magazins und auch inhaltlich noch mal ein wenig umgebaut werden.

Ich hoffe sehr, ihr könnt Euch noch ein wenig gedulden, bis das Magazin in eurem Briefkasten liegt. Wir sind zuversichtlich, bald in den Druck zu gehen und Ende Oktober mit der Versand der Magazine zu beginnen. Als kleine Entschädigung gibt es schon mal einen Cover-Entwurf, der dem finalen Produkt wohl ziemlich nahe kommen dürfte. Und wie es aussieht, bekommt auch JEDER Vorbesteller eine Stofftaschen zu seinem Magazin, mit der dann diesen literarischen Erguss stolz herumtragen kann :-)

Oomph! trennt sich nach 32 Jahren von Sänger Dero Goi

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Wie Oomph! in ihrem Facebook-Account am 29. September mitteilte, wird Dero Goi nicht mehr länger Sänger der Band sein. „Wir alle drei bedauern, dass wir es trotz größter Anstrengungen nicht geschafft haben, die Band in dieser Konstellation zu erhalten.“ Die Gründe für die Trennung nannte man nicht, möglicherweise liegt es an den jüngsten Veränderung von Dero Goi, der sich zuletzt in einem Video offen zum christlichen Glauben bekannte und ankündigte, dass er einige Texte der Band als „wiedergeborener Christ“ nicht mehr singen könne.

https://www.facebook.com/oomphband/posts/10158404870623803

Die Band, die 1989 von Dero Goi (Stephan Musiol), Crap (Thomas Döppner) und Robert Flux (Rene Bachmann) auf einem Festival in Wolfsburg gegründet wurde, erlangte vor allem in der 2000ern beachtliche Erfolge. Der im Februar 2004 veröffentlichte Song „Augen auf!“ wurde zum ersten Nummer-eins-Hit in Deutschland und befreite die Band von Fesseln der Independent-Schiene, in der sie zuvor mit ihrem Genre-Mix aus Neue Deutsche Härte, Crossover und EBM rangierten.

Im März 2006 wurden sie von der Echo-Pop-Verleihung ausgeschlossen, weil das Lied „Gott ist ein Popstar“ in der Diskussion um die Mohammed-Karikaturen für Zündstoff sorgte. Auch im Radio spielt man den Song nicht. Der Popularität tat das allerdings keinen Abbruch, im Gegenteil. Alben verkauften sich prächtig und auch die Popularität war auf ihrem Zenit angelangt.

Ihr zuletzt veröffentlichtes Album „Ritual“ stieg auf Platz 1 der deutschen Albencharts ein, als es im Januar 2019 veröffentlicht wurde, eine ausgedehnte Tournee sollte den Erfolg abrunden. Viele Termine mussten aber – aus bekannten Gründen – bereits 2020 abgesagt werden. 2 Jahre und zahlreiche Glaubensbekenntnisse später steht Oomph! ohne Sänger da, wie es weitergeht, ließ man bislang offen.

Wochenschau: In bleib in meiner schwarzen Blase der Illusionen

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Seit der vergangenen Wahl bin ich mir sicher. Wir leben in Blasen unserer eigenen Wahrnehmung. Ich hatte ernsthaft angenommen, es gäbe keine vernünftigen Gründe dafür, die Parteien zu wählen, die einen viel zu großen Teil der Stimmen auf sich vereinen. Wohlmöglich hatte ich die demografische Entwicklung unseres Landes, und den Einfluss derer, die am liebsten auf gar nichts verzichten und weitermachen wollen wie immer, unterschätzt. So richtig schockiert war ich allerdings bei der Statistik der Erstwähler. 21% der 18- bis 24-Jährigen haben die FDP gewählt? Aus welchem Grund? Vermutlich wolle die alle coole Influencer werden, selbstständige YouTuber oder gut verdienende Streamer und denken, die FDP, die ja klassisch für die Interessen von Unternehmern vertritt, ist die richtige Wahl. Achso, bestimmt weil die E-Sport als gemeinnützig anerkennen wollen. WTF, liebe Leser. In meiner Blase hatte ich naiv mit einem historischen Wahlsieg der Grünen gerechnet und die CDU unter der 5% Hürde. Ja, ich weiß. Total bescheuert. Möglicherweise sind wir aber auch von Millionen Menschen umgeben, denen einfach alles egal ist, die nur an sich denken und am liebsten auf nichts verzichten wollen. Ich bleib lieber in meiner Blase. Sorry Realität! Hier das neueste vom Rand der selbigen:

Aus Mensch wird Kompost | Tagesschau

Nachdem im US-Bundesstaat Washington das „Human Composting“ bereits legal ist, zieht Colorado jetzt nach. Unter Beigabe von Holzspänen und Stroh wird aus dem menschlichen Körper nach 1-2 Monaten zwei Schubkarren feinster Erde. „Familienmitglieder können die Erde dann auf ihrem Grundstück verteilen, dürfen sie allerdings nicht kommerziell nutzen – um beispielsweise damit Essen herzustellen, das an Menschen verkauft wird. Eine solche Bestattung kostet aktuell zwischen mehr als fünf- und mehreren zehntausend Dollar.

Bochum: Discothek Matrix steht zum Verkauf | Ruhbarone

Die Discothek in Bochum Langendreer steht für schlappe 637.500€ bei Immobilienscout24 zum Verkauf – Alles inklusive. Der Eigentümer des denkmalgeschützten Brauereigebäudes ist insolvent, die Bank verwaltet die Räumlichkeiten. Wie die Anzeige verrät, könnte das auch das Ende für die Diskothek Matrix bedeuten, denn „Eine Mietdienstbarkeit ist im Grundbuch nicht eingetragen.“ Ein neuer Besitzer könnte demnach die Discothek vor die Tür setzen. Wir hoffen das Beste für den legendären Club mit über 40 Jahren musikalischer Geschichte.

Rio Reiser und Ton Steine Scherben: Soundtrack zur Revolte der 70er | SPIEGEL

Eine Band, die Spontis im Geiste verbunden scheint, sind sie doch das unfreiwillige Aushängeschild der Berliner Hausbesetzer, Anarchos und Spontis, die in ihren Texten auch eben diese markigen Sprüche verwenden, die sich jetzt unter unserem Logo wiederfinden. „Macht kaputt, was Euch kaputt macht!“ Allerdings stehen sie bei Linken und Staatsmacht gleichermaßen im Visier. Den Hardcore-Linken werden sie langsam zu seicht und der Polizei sind sie mit ihre „verdächtigen“ Kontakten ein Dorn im Auge. „Nach knapp vier Jahren Freiheit und Abenteuer, Sex and Drugs and Rock’n’Roll hatten die Scherben genug vom Großstadtleben. 1975 zogen sie aus dem T-Ufer aus und kauften für 53.000 Mark einen reetgedeckten Bauernhof im nordfriesischen Fresenhagen. Dort auf dem Land produzierten sie Platten, deren Lieder persönlicher waren als die Kreuzberger Agit-Prop-Songs.

USA: Satanic Temple geht gegen Abtreibungsgesetz in Texas vor | Frankfurter Rundschau

Der Staat Texas hat jüngst eines der strengsten Anti-Abtreibungsgesetze eingeführt, mit Zustimmung des Supreme Courts. Nach der 6. Woche ist eine Abtreibung fast ausnahmslos verboten, auch bei Inzest oder nach einer Vergewaltigung. Der Satanic Temple versucht, das Recht auf Abtreibung als glaubenbasiertes Recht durchzusetzen: „Die Gruppe argumentiert, dass sie Zugang zu den Abtreibungspillen Misoprostol und Mifepristone für den religiösen Gebrauch durch den The Religious Freedom Restoration Act (RFRA) haben sollten, der geschaffen wurde, um amerikanischen Ureinwohnern den Zugang zu Peyote für religiöse Rituale zu ermöglichen. Nach diesen Regeln argumentiert der Tempel, dass ihnen die gleichen Rechte eingeräumt werden sollten, Abtreibungsmittel für ihre eigenen religiösen Zwecke zu verwenden.

Spanischer Bischof verlässt die Kirche, nachdem er sich in eine Autorin satanistischer Erotik verliebt hat | Independent.ie (Englisch)

So eine Meldung kannst du dir nicht ausdenken: „Ein spanischer Bischof, der für Exorzismen bekannt ist, ist zurückgetreten, nachdem er sich Berichten zufolge in einen Autor satanischer Erotikromane verliebt hatte, was bei seinen ehemaligen Kollegen Befürchtungen aufkommen ließ, er sei vom Teufel besessen.“ Der mit 52 Jahren einst jüngste Bischof Spaniens hat sich in die Autorin Silvia Caballol, die für ihre satanisch-inspirierten Romane wie „Gabriels Lust“ und die Erotik-Trilogie „Amnesia“ verantwortlich ist. Angeblich hat auch noch der Papst den Bischof gedrängt, sich den Teufel austreiben zu lassen, doch für Xavier Novell gibt es nach eigenen Angaben kein Zurück mehr.

Ein Grab mit Aussicht | World-Architects

Im brasilianischen Santos steht der größte vertikale Friedhof der Welt, genauer gesagt ein Friedhof in einem Hochhaus. Der „Memorial Necrópole ecuménica“ hat 14 Stockwerke und bietet Platz für über 14.000 Gräber und eine tolle Aussicht über die brasilianische Hafenstadt. Der Friedhof bietet alle Möglichkeiten und beherbergt neben einem Café auf dem Dach auch ein Krematorium, ein Mausoleum und ganz nebenbei noch ein Museum für Oldtimer – inklusive einem 24-Stunden Service.

ABBA Voyage – Die Zukunft von Live-Bands

Die schwedische Band war eine Legende und hat sich mit ihrem jüngsten Projekt vorgenommen, eine zu bleiben. Als Computer-generierte Avatare sind sie im jüngsten Musikvideo der Singleauskopplung „I Still Have Faith In You“ zu sehen, das ihr neues Album „Voyage“ einläuten soll. Es ist auch geplant, 2022 Konzerte in London zu geben, die eben mit diesen „Abbataren“, wie man die Abbilder den Bandmitglieder nennt, in einem eigens dafür gebauten Gebäude auf dem ehemaligen Olympia-Gelände zu sehen sind. Führen uns Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid in eine entalterte, entmenschlichte und digitale generierte musikalische Zukunft der Musik?

Die Grabputzerinnen von Marilia | Tagesschau

Als Putzfrauen auf einem brasilianischen Friedhof haben es eine Mutter und ihre Tochter auf Instagram zu landesweiter Berühmtheit geschafft. „Mit Hingabe schrubbt Jaqueline Alveres das vergilbte schwarz-weiß Foto auf dem Grabstein. Das schaumige Putzwasser rinnt über das Bild einer Frau mit schwarzem Hut, die laut Bronzetafel vor exakt 68 Jahren im Hinterland Brasiliens gestorben war. Auch die kleine Christus-Statue auf der Grabplatte reinigt und poliert Jaqueline liebevoll. Daneben schüttet ihre Mutter Debora etwas Wasser über das nächste Grab, um es ebenfalls einer Reinigung zu unterziehen.“ (Danke Caro!)

Interview mit Julia Kohli: „Mein dunkles Styling empfand ich als eine Art Idioten-Filter“

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In ihrem Artikel „Zurück ins Dunkle: Warum ich ein Grufti war“ (Neuerdings nur mit ABO, bei Facebook aber noch zu lesen), der in der NZZ am Sonntag erschienen ist, beschreibt Autorin Julia Kohli ihren Werdegang in der Gothic-Szene, den sie mit 17 begann und der mit Mitte 20 abrupt endete. In einer sehr persönlichen Geschichte beschreibt sie ihre Erfahrungen als Grufti und schildert die Beweggründe, die sie damals in die Arme der Gothics getrieben haben. „Viele Jahre habe ich mich in der Gothic-Szene bewegt. Sie machte mich frei von gesellschaftlichen Zwängen. Heute vermisse mich mein Leben als Grufti.“ Nach 20 Jahren ohne Subkultur hat sie sich 2021 wieder entschlossen, einer aktuellen Party der Szene einen Besuch abzustatten.

Mir selbst und vielen Lesern, die mir diesen Artikel als Link geschickt haben, hat dieser Einblick außerordentlich gut gefallen. Jeder fand Anknüpfungspunkte an die Erinnerungen und Erfahrungen, die Julia Kohli damals und heute gemacht hat. Wie sie sich selbst fühlt, was sie ausmacht und womit sie sich in ihrem aktuellen Buch „Menschen wie Dirk“ beschäftigt, lässt allerdings nur einen Schluss zu: Sie ist immer noch ein Grufti. Es sind also brennende Fragen offen geblieben. Darunter die wichtigste Frage in ihrem Artikel: Warum ist sind denn nun kein Grufti mehr? Spontis hat nachgefragt.

Interview mit einem Ex-Grufti

Mit 17 bist du, wie du in deinem Artikel schreibst, in die Szene gerutscht. Wie bist du überhaupt in die Schweizer Gothic-Szene gekommen, Mitte der 90er Jahre?

Ich glaube MTV mit all den genialen Clips von The Cure und Depeche Mode war eine Art Inspiration, dann kaufte ich alle möglichen CDs, hortete diese wie ein Eichhörnchen und hörte sie allein. Ich hatte oft ganz üblen Liebeskummer, das passte dann gut. Bald kaufte ich das erste Gothic-Magazin. Ich hatte mehrere Brieffreundschaften mit sympathischen Gruftis, es gab ja diese interessanten Kleinanzeigen in den Heften. Die Club-Zeit kam dann eher so gegen Ende der Neunziger. Geht der offizielle Einstieg in die Szene über Clubs? So wie das Gleis neundreiviertel bei Harry Potter? Ich weiß eigentlich bis heute nicht genau, wann man drin ist und ob ich je drin war.

Wo hat man sich als Gothic in Zürich damals herumgetrieben, wie bist du an Deine Outfits gekommen und an welche Festivals oder Konzerte kannst du Du Dich noch erinnern?

X-tra, Endstation, Dynamo, D-33 und Abart heißen oder hiessen die Clubs, wo ab und zu Gothic-Parties stattfanden. Letztere zwei gibt es so nicht mehr. Der Club Abart wurde so viel ich weiß abgerissen, das D-33 heißt jetzt Zukunft. Ich bin auch gerne für Parties herumgereist.

Outfits gabs im „Soho“ und sonst gabs ja diese Kataloge, wo man Kleider aus Deutschland und England bestellen konnte. So extrem modebewusst war ich aber nicht, ich war eher ein schlampiger Grufti. Ich glaube, eines der allerersten Konzerte Richtung Gothic war New Model Army in Winterthur. Langweilig aber irgendwie doch schön. Eines der besten Konzerte anfangs der Nullerjahre war für mich Cinema Strange in Bern. Ich hatte davor absurde Kopfschmerzen und nach dem Konzert waren sie weg. Aufs WGT oder sonstige Festivals ging ich nie, ich habe Mühe mit Menschenmassen und Reizüberflutung, irgendwo hingehen kann ich schon, muss aber immer sehr gezielt sein und nur für wenige Stunden.

Julia Kohli
Julias dunkle Vergangenheit in einer Sammlung privater Bilder. Sie meint, sie wäre „ein schlampiger Grufti“ gewesen. Wir widersprechen.

Glaubt man dem Autor und Gründer des „Archiv der Jugendkulturen“ Klaus Farin und seinen einschlägigen Publikationen über die schwarze Szene, so kommen Gothics „meist aus der Mittelschicht oder gutbürgerlichen Familien“ oder, wie in deinem Fall, „einem Reihenhaus in der Zürcher Agglomeration„. Warum sind deiner Meinung nach gerade Menschen aus diesem Umfeld anfällig für die Reize der Gothic-Szene?

Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das für die Schweiz stimmt. Mir ist in dieser Szene vom Sozialhilfeempfänger bis zur Anwältin so ziemlich alles begegnet. Ich habe keine Statistik geführt, aber ich glaube, hier war und ist die Szene punkto Klasse sehr durchmischt. Vielleicht war das in den 80ern elitärer oder in Deutschland? Wer weiß… Mir fällt da eines meiner Lieblingsbücher ein, „The Buddha of Suburbia“ von Hanif Kureishi. Die Sehnsucht des Protagonisten, die Welt dieser gepflegten Vorgärten und unglücklichen Kleinfamilien zu verlassen, kann ich sehr gut nachvollziehen.

Du schreibst, dass Du Dich durch die Zugehörigkeit zur Gothic-Szene von gesellschaftlichen Zwängen befreit hast, von welchen Zwängen sprichst du?

Mein dunkles Styling empfand ich zunächst als eine Art Idioten-Filter. Man wird automatisch von gewissen Leuten gemieden. Aber generell: Der Zwang zur guter Laune, der Zwang als Frau lieblich und nett auszusehen, vor allem der Zwang „normal“ zu sein, was auch immer das heißt. Ich glaube, Gruftis sind eher bereit über psychische Probleme offen zu reden und beschämen sich nicht gegenseitig dafür. Stimmt sicher nicht für alle, aber ich habe es mehrheitlich so erlebt. Jeder Mensch verzweifelt doch an dieser Welt, in der Gothic-Szene rückt diese Unsicherheit ins Zentrum. Ich finde das sehr befreiend. Machertypen, die alles im Griff haben und dauernd lächeln sind mir immer noch suspekt.

Friedhöfe waren meine Oasen. Mein Zimmer räucherte ich mit Weihrauch aus, mich selbst besprühte ich mit Patschuliparfum. Im Nachhinein muss ich über so manch pathetisches Klischee lachen. Aber wieso eigentlich? Ist Golfspielen oder Hornussen als Lifestyle nicht um einiges absurder? (Aus dem Text der NZZ am Sonntag)

In deinem Buch „Menschen wie Dirk“ das jüngst erschienen ist, „sezierst du Rollenbilder und Geschlechterkonflikte im Hier und Jetzt“ und bist mitunter „beissend, beinahe böse und ironisiert überzeichnend„, wie die Kritiker schreiben. Ich bin mir fast sicher, dass diese Weltsicht ein gemeinsamer Nenner vieler Gothics ist. Eine Mischung aus Misanthropie und Fremdkörpergefühl im sozialen Umfeld. In welchem Zusammenhang steht das Buch zu deiner Jugend als Grufti?

Ja, wahrscheinlich merkt man den Kurzgeschichten an, dass ich einen etwas finsteren Blick auf die Gesellschaft und vor allem auf patriarchale Strukturen habe. Früher hatte ich einen richtigen Menschenhass, der ist heute etwas spezifischer. Das Erstaunliche beim Schreiben ist ja, dass man unerwartet Empathie für manche Figuren entwickelt, darum habe ich Dirk, der eigentlich ein Ekel ist, doch nicht umgebracht, wie ich es eigentlich vorhatte. Es geschieht viel Unheimliches, wenn man schreibt. Man stirbt ein bisschen, man taucht ab in eine sehr intensive Welt, und manchmal spürt man wie die Figuren in der Wohnung herumstehen. Das ist für mich auch Gothic. Ich glaube, ich habe die Frage gar nicht richtig beantwortet?

Du behauptest, kein Grufti mehr zu sein und datierst mit Mitte 20 ein Art Ausstieg aus der Szene. Als Grufti, der immer noch dabei ist und einfach keine Ende findet, frage ich mich: Wie steigt man eigentlich aus?

Ja, offiziell bin ich ja weder ein- noch ausgestiegen. Ich fürchte, ich habe eine Art Paranoia, dass da draußen irgendwo eine Grufti-Polizei über mich richtet – und diese würde wohl sagen, dass ich keiner bin.

Warum Julia Kohli kein Grufti mehr ist, aber im Grunde wieder einer sein sollte

Du stellst dir selbst in deinem Artikel die Frage, warum du kein Grufti mehr bist, bleibst dem Leser allerdings eine Antwort schuldig, wie ich finde. Warum bist du denn nun kein Grufti mehr?

Ich glaube, ich wollte einfach in der Masse untergehen. Sehr uncool! Die Parties wurden zudem auch immer langweiliger, das ganze Drumherum hat mich einfach nicht mehr interessiert. Dazu kamen immer mehr Freundschaften und Beziehungen mit Menschen, die nichts mit der Szene zu tun hatten. Es war aber so ein langsamer Prozess, ich habe das gar nicht aktiv mitbekommen. Vielleicht habe ich mich auch von Stimmen beeinflussen lassen, die behaupteten, es sei „infantil“ als Grufti rumzulaufen. Aber ich weiß bis heute nicht genau, was denn mit „erwachsen“ gemeint ist. Sind das diejenigen, die Babyshowers organisieren, Streit in der IKEA haben und für eine Karriere ihre Würde verlieren? Damit habe ich auch nichts am Hut.

Ich fühlte mich zwar nicht marginalisiert, das Zelebrieren der Vergänglichkeit verstand ich aber als Schutzschild gegen die Anforderungen meiner Umwelt. Der Rückzug in diese dunkle Welt bedeutete für mich Geborgenheit und Ruhe von genormten Zwängen. Von Aussenstehenden wird die Gothic-Szene oft zu Unrecht pathologisiert oder mit Satanismus gleichgesetzt, während Gewalt und Frauenhass in Deutschrap schulterzuckend hingenommen werden. (Aus dem Text in NZZ am Sonntag)

Deine „melancholische und introvertierte Natur„, eine Vorliebe für Friedhöfe, Weihrauch und Tanzhits der Vergangenheit und die „Unangepasstheit“, die man dir in Kritiken zu deinem Buch attestiert, lassen nur einen Schluss zu. Du bist immer noch ein Grufti. So etwas wächst nicht raus. Warum wirst du nicht wieder ein „richtiger“ Grufti? Was spricht dagegen?

Meine Faulheit spricht dagegen. Vielleicht bräuchte es eine Makeover-Show für Leute wie mich.

Nach fast 20 Jahren ohne Szene, wenn man das so sagen kann, hast du Dich wieder mit einer Freundin auf die Tanzfläche gewagt. Möglicherweise hast du ja für deinen Artikel Internet recherchiert über die Szene. Was hat sich aber nach deiner Sicht der Dinge zu deinem „damals“ verändert?

Ich glaube reine Frauenbands wie Kælan Mikla gab es früher weniger? Ich war auf jeden Fall sehr froh, als ich diese Band entdeckt habe! Aber groß recherchiert, habe ich nicht, muss ich gestehen. Viele Webseiten scheinen auch so um 2007 eingefroren zu sein.

Last, but not Least: Julia Kohlis Top 5 ihrer Gothic-Songs?

The Cure – One Hundred Years
Anne Clark – Lovers Retreat
Eleven Pond – Watching Trees
Esben and the Witch – No Dog
Noi Kabat – Make Room

Wer ist Julia Kohli?

Julia Kohli, geboren 1978 in Winterthur, machte eine Buchhandelslehre, studierte Wissenschaftliche Illus­tration, Anglistik, Osteuropäische Geschichte sowie Kultur­publizistik in Zürich. Sie schreibt für Das Magazin und die NZZ am Sonntag. Ihr Roman Böse Delphine wurde 2018 mit dem Studer/Ganz-Preis für das beste unveröffentlichte Prosadebüt ausgezeichnet. Ihr aktuelles Buch, „Menschen wie Dirk“ beschreibt ihr Verlag folgendermaßen: „Rasant, provokant und sprachgewandt, oft schmunzeln machend und plötzlich wieder schockierend – mit diesen sieben Short Storys legt Julia Kohli eine Textsammlung vor, die mitten in ein gesellschaftliches Reizthema sticht. Sie ist dabei ebenso unangepasst wie überzeugend.

Matrix 4: Resurrections – Waren Trinity und Neo nicht eigentlich tot?

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Am 23. Dezember kommt der vierte Teil der Matrix-Trilogie in die Kinos. Ihr merkt schon, hier stimmt etwas nicht. Was das sein könnte, soll dieser Artikel aufklären. Der kürzlich veröffentlichte Trailer und die dazugehörige, und fast schon ikonische Webseite, haben den glimmenden Hype, der seit dem Leak eine Maskenbildnerin im April rauchte, vollends entfacht. Die Trilogie, die den schwarzen Trenchcoat in den 2000ern zum wichtigsten Teil des Szene-Outfits erhob, war eine inhaltliche Spiegelung unserer Subkultur, weil sie eine scheinbar wilde Collage an philosophischen und theologischen Elementen in einer dystopischen Parallelwelt vereint. „The Matrix“ ist einer der Orte, an dem sich ein Grufti am wohlsten fühlt. Ob mit der roten oder der blauen Pille könnt ihr euch aussuchen.

Allerdings hat dieser Hype einen Schönheitsfehler, denn eigentlich sterben Trinity (etwa 30 Minuten lang in den Armen von Neo) und Neo selbst im letzten Teil der Trilogie. Naja, Neo wird von Smith kopiert und löscht ihn und sich damit aus, erfüllt den Deal mit den Maschinen und rettet die Menschheit. Ist das tot? Wie kann es also einen vierten Teil geben, der wieder Keanu Reeves und Carrie-Anne Moss zusammen auf der Leinwand zeigt? Und überhaupt, ist das nicht wieder alles Geldmacherei?

Ein wenig Licht ins Dunkel brachte Regisseurin Lana Wachowski in einem Panel auf dem internationalen Literaturfestival in Berlin. Der hatte man „jahrelang LKW-Ladungen mit Geld vor ihr Haus gefahren„,  um sie zu einer Fortsetzung der Trilogie zu überreden, doch erst ein tragisches Ereignis in ihrer Familie brachte sie dazu, Neo und Trinity wieder auf die Leinwand zu bringen.

Erst starb mein Vater, dann ein guter Freund von mir und dann meine Mutter. Ich wusste wirklich nicht, wie ich mit dieser Trauer umgehen sollte. Ich hatte das noch nie so nah erleben müssen und obwohl ich natürlich damit rechnete, dass meine Eltern starben, war das eine sehr harte Zeit für mich. In dieser Zeit ja mein Gehirn meine Vorstellungskraft in Gang gesetzt. Als ich eines Nachts weinte und nicht schlafen konnte, explodierte diese ganze Story in meinem Kopf. Da ich weder meinen Vater noch meine Mutter bei sich haben konnte, waren plötzlich wieder Trinity und Neo in meinem Kopf, zwei der wichtigsten Charaktere in meinem Leben. Es spendete mir Trost, diese beiden vor mir zu haben.

Es ist genauso einfach, wie es sich anhört, ergänzt Wachowski. Wenn zwei Menschen sterben, bringt man einfach zwei Menschen wieder zurück. Das fühlt sich einfach gut an.

Das ist es, was Kunst zu erschaffen vermag, was Geschichten auslösen können: Sie spenden uns Trost

Sie bespricht sich mit ihrer Schwester Lily, mit der sie stets zusammenarbeitet und mit Freunden und lässt den Entschluss wachsen, die Angebote der Filmstudios anzunehmen. Im Verlauf kommt nicht viel über den Film heraus, wohl aber über die Entstehung der Filme und im Dezember erscheinenden „Fortsetzung“, wenn man davon sprechen kann.

Natürlich, letztendlich soll dabei auch Geld eingenommen werden und Regisseurin Lana Wachowski hat sicherlich nicht einen nur Film gemacht, um ihre Trauer zu verarbeiten. Eine Fortsetzung der legendären Matrix-Reihe, die vor 20 Jahren zeigte, wie man sich eine Welt in einer dunklen Zukunft vorstellt, war für die Produktionsfirma von monetärem Interesse. Blenden wir den Franchise-Gedanken und gut bezahlte Stars einmal aus, bleibt die Quintessenz solcher Filme:

Uns für eine Geschichte visuell und akustisch für knapp 2 Stunden in einer andere Welt zu katapultieren. Eine Geschichte erzählen, die möglicherweise unsere Fantasie anregt, uns nachdenklich macht oder einfach nur unterhält. Und bis zu einem gewissen Grad gehört da auch eine Regisseurin dazu, die mit Trinity und Neo ihre Trauer verarbeitet hat. Das ist Teil der Geschichte. Tod, Trauer und die Matrix. Wenn das mal nicht Gothic ist.

Ob man allerdings eine fulminante Trilogie, wie die Matrix sinnvoll weiterführen, ergänzen oder neu erzählen sollte, werden wir im Dezember entscheiden. Es bleibt allerdings fraglich, ob der Film wieder für neue Bekleidungsstandards in der Gothic-Szene sorgen wird. Wir bleiben gespannt.

Veranstaltungstipp: Berliner Tag des Friedhofs am 19. September 2021

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Berliner Gruftis und Friedhofsliebhaber aufgepasst. Am 19. September findet auf vielen Friedhöfen Berlins der „Tag des Friedhofs“ statt. Gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und dem Gartenbauverband Berlin Brandburg hat man „Mein Kiez. Mein Friedhof“ in Leben gerufen, wo für den kommenden Sonntag zahlreiche Veranstaltungen geplant sind. Mit über 200 Friedhöfen aus allen Epochen der Berliner Geschichte hat die Stadt einen besonderen Fundus eindrucksvoller Grabstätten. Der jüdische Friedhof in Weissensee ist mit 115.000 Gräber der größte in Europa, auf dem alten St. Matthäus Friedhof liegen die Brüder Grimm begraben und der Friedhof in Grunewald ist der sogenannte „Selbstmörder-Friedhof„, weil hier bis 1927 viele Suizidenten beerdigt wurden.

Gemeinsam mit Ulrich Thom geht es beispielsweise über den Waldfriedhof Zehlendorf, wo er in einer Führung die Gräber berühmter Persönlichkeiten vorstellt und aus dem Leben der Menschen erzählt. „Sie sehen die Grabstätten von Hildegard Knef und Edith Hancke, Rut und Willy Brandt, Ernst Reuter, Walter Scheel, Jakob Kaiser, Paul Löbe, Wolfgang Neuss und Günther Pfitzmann, Jutta Limbach u.a. und erfahren viel über das Leben dieser Persönlichkeiten.“

Auf dem alten Zwölf-Apostel Kirchhof gibt es neben ein Ausstellung der 20 besten Friedhofsfotos auch ungarische Totenlieder aus Tanssilvanien, Silke Jensen liest aus Kinderbüchern zu Trauer und Tod und eine kulturhistorische Friedhofsführung.

Vielleicht habt ihr ja Lust auf einen dunkelromantischen Sonntags-Spaziergang über einen der Berliner Friedhöfe? Wer es nicht nach Berlin schaffen sollte und trotzdem alte Friedhöfe bewundern möchte, dem sei an dieser Stelle unsere Rubrik „Historische Friedhöfe“ ans Herz gelegt. Dort sind mittlerweile 34 Friedhofsgalerien mit über 1.300 Bildern zu finden, darunter auch 6 Berliner Friedhöfe. Vielleicht habt ihr ja Lust, diese Liste mit Eurem Friedhof zu erweitern?

Formel Goth: Wenn Kantsteine zwischen Berlin und Chernobyl zerspringen

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Eine sehr spannende Startaufstellung, hier bei der neuesten Ausgabe der Formel Goth. Neben einigen Größen des Gesangssports finden sich auch einige kleinere Teams, die den Helden der Branche mit ihren klassischen Klangbildern vom Thron stoßen wollen. Vielleicht wollen sie aber auch einfach nur eine gute Performance abliefern. Dahingehend holen gerade die beiden frische Protagonisten auf meiner musikalischen Rennpiste das Maximum aus ihren Genres. Alltag macht sich und mich zu ihrem fordernden Beat locker, währen Paura Diamante wie eine Marlene Dietrich auf der Darkwave schwebt. Die Lords liefern das eindrucksvollste Video, während Dave Gahan seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis stellt und Mandel-Mark sich wieder mit Soft Cell versucht.

Paura Diamante – Berlin

Deutschsprachigen Darkwave zu singen, ohne pathetisch zu klingen, gilt gemeinhin als schwierig. Die selbst ernannte „Juliane Werding des Darkwave“, hat versucht, „Klischees angstlos zu begegnen, und bestimmte Worte so mit neuer Wahrhaftigkeit aufzuladen„, wie sie im Interview mit Bouygerhl zu Protokoll gibt. Der Song „Berlin“ steht nicht ganz ungewollt in den Fußstapfen von X-mal Deutschland und eifert Anja Huwe in ihrer kühlen Art nach, pathetische Inhalte glaubhaft zu transportieren. Der Wechsel zwischen den Sprachen schadet dem Song nicht, vermeidet es doch die Gefahr, ein Klischee zu überreizen. Im Herzen bleibt Paura Diamante übrigens der Goth, der sie mal war, auch wenn sie die Szene für mehr persönliche Freiheit irgendwann verlassen hat, wie sie sagt. Nun gelingt es ihr, nicht pathetisch zu klingen? Nein. Aber das muss sie auch gar nicht vermeiden. Wünschen wir uns alle vielleicht auch ein bisschen 90er Pathos zurück, als deutsch gesungener Darkwave zur subkulturellen Identifikation gehörte? Paula trifft uns dann auch gleich doppelt ins Identitätsherz, nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen des queeren Charakters.

Alltag – Wenn der Kantstein zerspringt

Ich entschuldige mich höflich für die Verwendung des Spontis-Spruchs „Für die Abschaffung des Alltags“ und mache ein Ausnahme. Punk-Rave, wie man es in Bremen nennt, ist wie Kirmes-Techno der 90er, bei dem aber zwischen den Beats, Bassdrums und Hooks kantige Texte lauern, die dann das Ruder in Richtung Punk herumreißen. Allerdings zerfasert die Aussage des Textes ein wenig an der Indirektheit und dem zu großen Interpretationsspielraum. Das hält mich aber auch nicht davon ab, mich genau mit diesem Song „locker zu machen“. Auch Daniel von unter-ton.de hat sich Alltag angehört und fand schlauere Worte. Ich verneige mich ehrfürchtig vor dem Satz: „Viel spannender ist, dass diese Truppe ein konzises Gemälde geschaffen haben, das sich auf der Schnittstelle zwischen angewandter Philosophie, politischem Aktivismus und der Suche nach dem nächsten Rausch kristallisiert.“

Lord Of The Lost – Viva Vendetta

Mit dem Genre „Dark Rock“, der angeblich gruftigen Mischung aus Härte und Melodie konnte ich mich noch nie anfreunden. Allerdings bekommt die Band „Lord Of The Lost“ ein offizielles Fleißkärtchen für ihre Unermüdlichkeit, neue Musik zu produzieren und diese auf unzähligen Festivals über das Publikum zu verteilen. Seit ihrer Gründung 2010 haben sie beinahe jedes Jahr ein neues Album produziert und es gefühlt auf jedem schwarzen Festival präsentiert. Chris „The Lord“ Harms ist dieses Jahr 41 geworden und noch lange nicht müde geworden, Musik zu machen. Das Video zu „Viva Vendetta“ hat den Lord dann auch zu uns gespült, denn das ist nun wirklich eine gelungene Hommage an den „Spaghetti-Goth“, den Cowboy ähnlichen Grufti, der seit den Fields of the Nephilim mit entsprechenden Hüten vor den Bühnen lungert.

Dave Gahan – Nothing Else Matters

Für das geplante Album „The Metallica Blacklist„, wird das legendäre „Black Album“ von Metallica von 53 Künstlern interpretiert. Die gesamten Einnahmen durch Verkauf und Streaming sind für einen guten Zweck gedacht. Dave Gahan von Depeche Mode hat ein Cover von „Nothing Else Matters“ rausgehaucht, das mir tatsächlich gefällt – allerdings mit Abzügen, weil das Original beinahe nicht zu verbessern gewesen wäre. Ich nehme ja an, die Künstler durften sich den Song, den sie Covern wollten, selbst aussuchen, nur so ist zu erklären, warum es gefühlt nur Cover von „Nothing Else Matters“ gibt. Immerhin hat sich auch PG Roxette, also Per ohne Marie, denn die starb ja bekanntlich 2019, die Ehre gegeben. Auch ein Ohr wert: Die Coverversion von „Through the Never“ der mongolischen Band „The Hu“ – richtig ordentlich!

Soft Cell – Heart Like Chernobyl

Sie sind wieder da! 1979 gegründet, 1984 aufgelöst, dann 2001 gegründet und 2003 wieder aufgelöst, haben sich Marc Almond und David Ball 2018 erneut zusammengefunden, um die Welt mit der Musik von Soft Cell zu beglücken. Möglicherweise hat man jetzt Frieden geschlossen, wie die Aufarbeitung der Bandgeschichte für die Doku der BBC „Say Hello, Wave Goodbye“ zeigt, in der man auch über das skandalöse Video zu „Sex Dwarf“ spricht, das Soft Cell trotz zahlreicher Auftritte erst wieder 2018 live gespielt haben. „Wir waren mit dem Song fertig, schon weil er der Band so viel Ärger eingebracht hat. Das Video und die Diskussionen darum haben uns viel Bauchschmerzen bereitet, und den Song live zu spielen, hätte alte Wunden wieder aufgerissen.“ Hoffentlich ist ihr neues Album „Happiness Not Included“ das ersehnte Pflaster, die Auskopplung „Heart Like Chernobyl“ ist spannend, aber nicht umwerfend.

CoronaGothic – Wie die Pandemie gruftiger Ästhetik angeblich einen Höhenflug verleiht

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Die Pandemie, die weltweit für mehr als 4,5 Millionen Todesfälle verantwortlich ist, zwingt die Menschen seit fast 2 Jahren sich intensiver mit dem Tod und der menschlichen Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Die Professoren Nick Groom und William Hughes kommen zu dem Schluss, dass daraus eine neue Nähe zur Gothic-Ästhetik resultiert, mit der die Menschen die unfreiwillige Isolation und die zwanghafte Auseinandersetzung mit dem Tod kompensieren: „Viele Merkmale des Narrativs Gothic wie Spuk, Monstrosität und die Untoten, lassen sich leicht als soziale und politische Metaphern lesen. Das Herauskommen aus der Pandemie kann mit einem Wiederauferstehen verglichen werden, bei der man nach seiner Gefangenschaft im Grab wieder zum Leben erweckt wird.“ (Quelle) Ein Artikel im englischen Guardian aus dem Bereich „Fashion“ liest die Auswirkungen dieser Studie in der Mode der Prominenten. Stellen wir uns also die berechtigte Frage: Völliger Unsinn oder totaler Unfug?

CoronaGothic – Letztendlich doch nur ein Modetrend

In der Tat liegt Gothic-Fashion voll im Trend. Zahlreiche Stars und Sternchen verleihen ihrem Image die gewisse Spur „Edgyness“, in dem sie sich in guter alter Patchwork-Manier an den Stilen der Subkultur bedienen und Designermarken graben schamlos in den Looks der Straße und versorgen die großen Geldbeutel ihrer Kundschaft. Emma Stone wirkt in der Rolle von Cruella wie frisch aus der Gothic-Umkleide und seit Kat von D den Chulu-Goth Leafar Seyer geheiratet hat, gibts von ihr sowieso nur noch Goth-Style. Prof. Catherine Spooner, die Texte wie „Romance and the Rise of Happy Gothic“ oder das Buch  „Contemporary Gothic“ verfasst hat, kommt zu der Erkenntnis: „Mit dem Gothic-Style zu flirten ist die perfekte Möglichkeit für Prominente, ihrer Identität ein wenig Würze zu verleihen.“ Ich behaupte, keine der Prominenten hat mit Gothic etwas am Hut.

In dem Dossier, von Groom und Hughes „CoronaGothic, Culture, and Crisis“, das die Autoren des Guardian als Quelle heranziehen, gehen die beiden Professoren sogar noch weiter und machen Corona dafür verantwortlich, dass Mythologie und Aberglaube wieder auf dem Vormarsch seien. Das klingt ein bisschen weniger absurd wie ihre Eingangsthese, denn der Mensch neigt Angst durch Unwissenheit und Unberechenbarkeit oft mit den verrücktesten Ansichten zu beruhigen.

Spooner, die Gothic-Expertin aus Newcastle, sieht in der aktuellen Belebung gruftiger Ästhetik auch eine Gegenbewegung zum „Cottagecore„, der „Zurück-aufs-Land-Ästhetik“, der ebenfalls viele Prominente anheimfallen. „In der Gothic-Fiktion und im Film ist das Land selten ein Ort der Ruhe und Entspannung – hier passieren ahnungslosen Städtern dunkle Dinge. Dass bedingt die Tatsache, dass sich einige der politischsten Probleme westlicher Länder auf dem Land abspielen, vom Klimawandel bis hin zum ländlichen Konservatismus.“

CoronaGothic – Alles nur ein Hirngespingst?

An jeder noch so absurden Geschichte ist meist ein Fünkchen Wahrheit. Keine Frage, Gothic ist (mal wieder) eine Modetrend, der Goth-Style in zahlreichen Genrefremden Bereichen omnipräsent und auch so mancher Promi umhüllt sich mit einer Portion Spookiness, um seinem Image einen neuen Geschmack zu geben. Das war bereits vor Corona so und ist seit den 80er-Jahren ein wiederkehrender Prozess. Dabei müssen wir aber eine klare Grenze zwischen Gothic-Style und der Subkultur ziehen, denn obwohl das erst seine ästhetische Quelle in unserer Subkultur hat, verbindet sie inhaltlich nur wenig damit.

Allerdings sind Dinge, die Gothic inhaltlich ausmachen, wie etwa Sehnsucht, Melancholie oder auch Traurigkeit in der Pandemie weit verbreitet. Das macht allein keinen Gothic aus, doch sie sind Wind in den Flügeln der Überzeugung, das Schwarz die richtige Farbe ist um auszudrücken, dass wir wieder einmal vor einem Abgrund stehen. Corona und Klimawandel schleudern Gruftis der 80er-Jahre wieder in das Gefühl, dass manche schon damals hatten, als es dank Umweltzerstörung und atomarer Aufrüstung zur subkultureller Verbitterung kam.

Ich bin mir sicher, der Gothic-Style verschwindet wieder von den Laufstegen und Bühnen, wenn der Mensch nach 2 Jahren Isolation wieder unbeschwert das Leben feiern. Vielleicht stehen wir vor einer neuen Explosion der Farben? Schließlich wartet doch jeder darauf, zu vergessen und zu verdrängen.

Wie seht ihr das? Welchen Einfluss hatte die Pandemie auf die Inhalte unserer Subkultur? Hat Corona wirklich für einen neuen Ansturm auf gruftige Ästhetik gesorgt, weil der Mensch gezwungen wird, sich mit dem Tod zu beschäftigen?