Wochenschau: Ein nie endender Winter der Ungerechtigkeit

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Der Winter hatte noch gar nicht richtig angefangen, da steht auch schon der Frühling vor der Tür und dennoch fühlt sich die Welt immer noch wie Winter an. Eisig, stürmisch und leblos. Krieg in der Ukraine, eine Pandemie, die immer noch nicht vorbei zu sein scheint und Menschen, die nach 2 traurigen Jahren die Wände hochgehen. Das alles endet in einer toxischen Internetkultur, weil ein echter Austausch mit den Menschen Mangelware geworden ist. Auch mir geht nach einer langen Zeit ohne einige spärliche Sozialkontakte und ohne Urlaub und Zeitvertreib auch manchmal die Hutschnur hoch und ich verliere mich in Meinung statt in Fakten. Allerdings tun mir die wenigen unvermeidlichen Sozialkontakte auch nicht wirklich gut. In meinem Umfeld regt man sich mehr über Spritpreise auf, als mit der Angst vor einer neuen russischen Bedrohung umzugehen. Vielleicht bin ich aber auch der Dumme in dieser Gleichung. Alles bleibt ungerecht.

Ermordung von Sophie Lancaster: Täter Ryan Herbert soll aus der Haft entlassen werden | BBC

2008 wurde Sophie Lancaster zu Tode geprügelt, weil sie ein Goth war. Einer der Haupttäter, Ryan Herbert, der seinerzeit zu lebenslanger Haft verurteilt wurde konnte jüngst vor dem Bewährungsausschuss seine Rehabilitierung glaubhaft machen und scheint jetzt aus der Haft entlassen zu werden. Ein Statement von Sophie Lancasters Mutter macht deutlich, dass sie diese Entscheidung empörend findet: „Wieder einmal haben wir ein Justizsystem, das keine Gerechtigkeit schafft.“ Der Bewährungsausschuss und der vorsitzende Richter sind zu dem Schluss gekommen, Herbert hätte „große Fortschritte gemacht“ und sein für eine Bewährung geeignet. Sophie Lancasters Ermordung stand immer wieder im Focus der Berichterstattung nicht zuletzt, weil Sylvia, die Mutter des getöteten Teenagers sich mit ihrer „Sophie Lancaster Foundation“ gegen das Vergessen stark gemacht hatte. Die Frage, die sich nun stellt, ist schwierig. Wann ist der Gerechtigkeit Genüge getan? Hat ein Mörder, der bei seiner Tat 16 Jahre alt war, nach rund 14 Jahre Haft und Rehabilitierung genug gebüßt?

Musik, Jugendkulturen und Beteiligung | Journal für politische Bildung

Die Jugend muss geschützt werden, ob sie will oder nicht!“ Aber wovor eigentlich? Im breiten Angebot der Musik gibt es unzähligen Bands und Songs, vor denen man „warnen“ möchte, die eine Gefahr für die Jugend darstellen. Eine Lösung ist das allerdings nicht: „Sexismus, Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit befriedigen Bedürfnisse. Sie bieten vor allem selbst marginalisierten, gesellschaftlich nicht mächtigen, persönlich wenig selbstbewussten und bildungsfernen (jungen) Männern die Chance, sich selbst zu erhöhen, indem sie andere weiter erniedrigen, die auf der Leiter der gesellschaftlichen Hierarchie (vermeintlich) noch unter ihnen stehen (noch „Schwächere“). Niemand wird zum Schwulenhasser, weil er homophobe Musik hört, oder zum Nazi, weil er Rechtsrock hört, sondern er hört diese Musik, weil sie seine Bedürfnisse befriedigt, seine Lebenseinstellung widerspiegelt.

Sie will einen Geist heiraten. Noch streitet man über das Datum | Metro

Sie möchte nämlich eher im Sommer heiraten, obwohl Eduardo, der Geist eines viktorianischen Soldaten, die Hitze überhaupt nicht mag. „Brocarde, 38, is a singer songwriter from Oxfordshire and fell in love with Edwardo – who she says is the ghost of a Victorian soldier – last year. Edwardo appeared in her home and they have been together since. ‘Edwardo and I are currently arguing over the wedding date,’ Brocarde says. ‘I want a summer wedding but he hates the heat and I’d secretly love to make him melt, but he disappears often enough as it is.“ Auch die Moderatoren im Frühstücksfernsehen versuchen, ihr angemessen zu lauschen.

Italien: Frau sitzt mehr als zwei Jahre tot an ihrem Küchentisch | Spiegel

Niemand hatte sie vermisst, es gab keine lebenden Verwandten und die Nachbarn dachte, die 70-jährige Frau sei mit Beginn der Pandemie weggezogen. Was sie aber nicht. Die Frau, die keine Miete zahlen musste, weil sie im Haus lebenslanges Wohnrecht genoss, wurde zufällig entdeckt, als man einen umgestürzten Baum vor ihrem Fenster entfernte. „In Italien löste der Fund Bestürzung aus. Familienministerin Elena Bonetti schrieb auf Facebook: »Was in Como passiert ist, die vergessene Einsamkeit, verletzt unser Gewissen. Wir haben die Pflicht, uns als Gemeinschaft, die vereint bleiben will, an ihr Leben zu erinnern.« Niemand dürfe alleingelassen werden.“

Neu ab April: „Our Darkness. Gruftis und Waver in der DDR“ | Dennis Burmeister und Sascha Lange

Cover des Buchs "Our Darkness"
Cover des Buchs „Our Darkness“ | (c) Ventil Verlag

Am 1. April erscheint das neue Buch von Sascha Lange und Dennis Burmeister, die sich schon mit „Depeche Mode: Monument“ und „Behind the Wall“ einen Namen gemacht haben. Diesmal geht es weniger um Depeche Mode, sondern vielmehr um die „Schwarze Szene“ der 80er in der DDR. In der Beschreibung zum Buch heißt es: „Aus geschmuggelten Bravos und dem Jugendradio DT64 suchten sich Jugendliche in der DDR ab Mitte der Achtziger ihre Informationen zur Waver- und Grufti-Jugendkultur zusammen, bastelten sich in vielen Stunden ihre eigenen Interpretationen des Outfits und schufen sich eine eigene, selbst geschaffene kulturelle Heimat. Auch die zahlreichen Anfeindungen durch Faschos und den DDR-Sicherheitsapparat konnten die Ausbreitung dieser Jugendkultur nicht stoppen. Legendärer Höhepunkt war am 4. August 1990 das erste Konzert von The Cure in der DDR.“

Aus den Trümmern zu den Sternen | Deutschlandfunk Kultur

Zu feige, um Steine auf die Polizei zu schmeißen, zu revolutionär, um in Starre zu verharren. „Wir haben akustische Steine geschmissen, also kulturell zersetzt, das System aufgelöst.“ Deutschlandfunk Kultur hat ein Feature über die elektronisch-musikalisch Pioniere von Kraftwerk und Tangerine Dream gemacht. „Konzeptionell tritt die Band hinter ihre Musik zurück. Dazu passt, dass Kraftwerk uniform auftreten: Stoffhose, Hemd, Krawatte, die Haare kurz und geschniegelt. Die vier Musiker sehen aus wie Buchhalter, die an Stehpulten auf der Bühne ihrer Arbeit nachgehen: emotionslos, kühl. Ohne einen Tropfen Schweiß zu vergießen. Popjournalist Max Dax fasst das so zusammen: „Kraftwerk haben Musik nicht nur als Jam oder Musikmachen begriffen, sondern sie haben versucht, die Welt zu erfassen und das in Musik und Texte zu fassen.“

(Danke an Wiener Blut)

Wiederbelebung einer totgeglaubten Subkultur? „Emo Girl“ von Machine Gun Kelly | Musikexpress

Machine Gun Kelly ist nicht nur der medienwirksame Schwarm von Transformers-Star Megan Fox, sondern auch Musiker. Zusammen mit der 22-jährigen Tochter von Will Smith, Willow, hat er jetzt die Single „Emo Girl“ veröffentlicht. Manche erkennen bereits darin einer Wiedergeburt einer Subkultur, ich würde es als aufwärmen eines Styling-Konzeptes werten. Allerdings ist das Stück musikalisch so belanglos, dass ich es mal in Wochenschau verbanne. Die Formel Goth werde ich mir mit der musikalischen Seuche jedenfalls nicht zukleistern.

Dance Like a 90’s Goth With Me | Angela Benedict

Weil ja am 20. März sowas ähnliches wie ein „Freedom Day“ in Sachen Corona Pandemie war, und viele Discotheken der schwarzen Szene wieder knirschend ihre Pforten öffnen, kommt ein Tanz-Video genau richtig. Nur für die Gefahr, dass man nach 2 Jahren einige Moves vergessen hat.

WGT 2022: Wer braucht hier eigentlich wirklich Hilfe?

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Die geplante Nutzung des AGRA-Geländes als Notunterkunft für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kam für die Veranstalter des Wave-Gotik-Treffens überraschend, eine erneute Absage des Festivals schlossen sie in einer aktuellen Mitteilung allerdings aus. „Wir haben volles Verständnis für die Nöte der Flüchtlinge und die Dringlichkeit ihrer Unterbringung, erwarten nun aber von der Stadt die zugesagte Unterstützung beim Finden eines adäquaten Geländes sowie weitere Hilfen.“ Die Kommunikation zwischen der Stadt Leipzig und dem Veranstalter des WGT kann man gelinde gesagt als „dürftig“ bezeichnen.

In ihrer Pressemitteilung gab sich die Stadt noch vorausschauend und behauptete, im „engen Austausch“ mit den Veranstaltern zu sein, kündigte allerdings an, das WGT voraussichtlich absagen zu müssen. Obwohl die Veranstalter – nach eigenen Angaben – von der geplanten Nutzung als Flüchtlingsunterkunft wussten, äußerten sie sich am vergangenen Mittwoch allerdings sehr verschnupft und betonten, dass die Pressemitteilung der Stadt Leipzig „nicht mit uns abgestimmt war„. Mit der angedeuteten Absage des Treffens sieht man sich vor vollendete Tatsachen gestellt.

Sollte die Stadt in der Tat ohne ihre Pläne abzustimmen so vorgeprescht sein, ist das sicherlich eine sehr unglückliche Entscheidung. Hier hätte im Vorfeld mit den Veranstaltern geredet werden müssen um abseits der Öffentlichkeit schon Möglichkeiten zu erörtern. Das ganze in Pressemitteilungen nachzuholen polarisiert unnötig und führt zu einer negativen Diskussionskultur, die niemandem hilft.

https://www.facebook.com/WaveGotikTreffen/posts/5286238254754534

WGT 2022: empathielos und egoistisch?

Das Statement des Veranstalters sorgt an vielen Stellen für Entrüstung bei den Besuchern, denn obwohl man „volles Verständnis“ hat, verlangt man Unterstützung und Hilfen.

In einer Zeit, in der schutzsuchende Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine mit allen verfügbaren Kräften untergebracht und versorgt werden müssen, mit einer solchen Kommunikation die eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen, kann man durchaus als empathielos und egoistisch wahrnehmen. Es ist fraglich, ob der Einsatz der Ellbogen der richtige Weg ist, mit dieser Situation umzugehen. In den letzten Jahren habe sich die Veranstalter des WGTs gerne in Schweigen gehüllt und eher zu wenig auf Entwicklungen rund um das Treffen reagiert. Jetzt, wo es meiner Ansicht nach darauf ankommen würde, weniger zu sagen und verständnisvoll im Hintergrund zu bleiben, trägt man eine Art Streit mit der Stadt aus und polarisiert.

Es geht nicht um die Frage, ob man hinsichtlich der aktuellen Geschehnisse feiern sollte oder nicht. Das kann jeder mit sich selbst ausmachen. Vielleicht nutzt man das Umfeld des WGTs ja sogar für spontane „schwarze“ Friedens-Demos oder Hilfsaktionen. Ein Statement kann man aber auch solidarischer formulieren. So zum Beispiel: „Die Veranstalter des WGT haben vollstes Verständnis dafür, dass das Gelände der AGRA als Notunterkunft dienen soll. Wir werden uns mit der Stadt um eine alternative Durchführung des Festivals bemühen.“

Ich würde mir wünschen, das WGT würde doch stattfinden würde, trotz aller Widrigkeiten. Etwas „Hilfe“ für alle Beteiligten und natürlich für die Kriegsflüchtlingen können wir sicherlich erübrigen. Und wer weiß, vielleicht hilft ein schwarz-buntes Treffen den Menschen aus der Ukraine dabei, den schrecklichen Krieg für ein paar Stunden zu vergessen.

Umfrage: Wie sollte man 2022 mit Wave-Gotik-Treffen umgehen?

Uns würde interessieren, wie ihr die Möglichkeiten eines Wave-Gotik-Treffens seht. Nutzt dazu gerne die Umfrage oder auch die Kommentarspalte unter dem Artikel.

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Kein WGT 2022? AGRA-Gelände könnte Kriegsflüchtlingen Unterkunft bieten

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Die Stadt Leipzig sucht dringend nach Unterbringungsmöglichkeiten für Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine flüchten mussten. Man kündigte am Dienstagnachmittag an, das AGRA-Gelände in Dölitz für rund 1000 Menschen herrichten zu lassen. Damit könnte das Wave-Gotik-Treffen nach zweimaligem Ausfall durch die Corona-Pandemie auch in diesem Jahr ausfallen.

Wie die Stadt mitteilte, könne man in den Hallen sehr kurzfristig Menschen unterbringen und die angrenzenden Freiflächen böten ausreichend Möglichkeiten, Reservekapazitäten bereitzustellen. „Das Gelände bietet gute Voraussetzungen für eine schnelle Unterbringung von Menschen aus der Ukraine. Im Inneren der Hallen sollen Zelte aufgestellt werden, ebenso sind Gemeinschaftsflächen für die Essenversorgung geplant, sagt Matthias Kaufmann, Leiter des Liegenschaftsamtes. „Die großzügigen Frei- und Grünflächen bieten vor allem den vielen Kindern, die aus der Ukraine kommen, Möglichkeiten zum Spielen und zur dringend nötigen Erholung.“ Die Arena und die Neue Messe, die bisher als Unterbringungsorte dienten, sollen in den nächsten Tagen nicht mehr zur Verfügung stehen, so die Stadt Leipzig weiter.

Schon ab dem 1. April sollen auf dem AGRA-Gelände Menschen untergebracht werden, die sich vor Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine in Sicherheit bringen mussten. Da bisher kein Zeichen von Frieden in Sicht ist und der Krieg immer weiter zu eskalieren droht, muss man mit vielen weiteren Flüchtenden rechnen.

Für das WGT, das nach zweimaligem Ausfall vom 3. bis zum 6. Juni 2022 stattfinden sollte, könnte das erneut eine Absage oder Verlegung bedeuten. Die Stadt richtet sich auf eine „mittel- bis langfristige Unterbringung von Flüchtlingen“ ein. Die für die kommenden Monate geplanten Veranstaltungen müssen „voraussichtlich abgesagt“ werden. Das Liegenschaftsamt ist nach eigenen Angaben „mit den Veranstaltern im engen Austausch und versucht, alternative Standorte anzubieten„, heißt es offiziell.

Der LVZ gegenüber zeigte sich der Pressesprecher des WGT, Cornelius Brach, überrascht. „Für uns ist diese Nachricht noch sehr neu.“ Er zeigte sich skeptisch, ob sich die AGRA überhaupt ersetzen ließe, denn „Die Kombination aus großen Hallen, Freiflächen Zeltplätzen und dem Heidnischen Dorf ist einmalig.“ Das Gelände der AGRA diente dem WGT nicht nur als zentraler Veranstaltungsort, sondern beherbergte immer auch die Schaltzentrale der Veranstalter. In der Vergangenheit war das Gelände im Stadtteil Dölitz die einzige Konstante in der dynamischen Entwicklung der Veranstaltungsorte.

Ist ein WGT ohne AGRA denkbar? Und sollte man überhaupt ausgelassen in Leipzig feiern, während 1000 Kriegsvertriebene in Zeltstädten um die Zukunft ihrer Heimat bangen?

Aokigahara: Selbstmord im schwarzen Meer der Bäume

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Im Schatten des majestätischen Berges Fuji liegt Aokigahara. 30 Quadratkilometer Wald, der so dicht und undurchdringlich erscheint, dass er „Meer der Bäume“ genannt wird. Traurige Berühmtheit erlangte der Wald allerdings nicht durch seine Vegetation, sondern durch die vielen Leichen, die dort jedes Jahr gefunden werden. Bei den Toten handelt es sich hauptsächlich um Selbstmörder, die tief in den Wald eindringen, um sich dort in der Abgeschiedenheit das Leben zu nehmen.

Warum ausgerechnet Aokigahara ein berühmter Ort zum Sterben geworden ist, soll auf zwei Romane des japanischen Schriftstellers Matsumoto Seichō zurückgehen. 1957 erscheint sein erster Roman mit dem Titel „Turm der Wellen„, der von einer jungen Frau namens Yuriko erzählt, die sich aufgrund verschmähter Liebe in den Wald zurückzieht und sich dort umbringt. Der zweite Roman, der 1960 erscheint, trägt den Titel „Schwarzes Meer aus Bäumen“ und handelt von einem unglücklichen Liebespaar, das sich ebenfalls im Aokigahara umbringt.

Möglicherweise ließ sich Seichō von der Legende inspirieren, dass bereits im 19. Jahrhunderte arme Familien angeblich gezwungen waren, Kleinkinder und pflegebedürftige Senioren zum Sterben in dichten Wäldern zurückzulassen. Diese Praxis, die unter dem Namen Ubasute bekannt geworden ist, konnte jedoch nie zweifelsfrei nachgewiesen werden. Die Legende spricht von Geistern der Opfer, die noch heute in Wäldern wie dem Aokigahara ihr Unwesen treiben sollen.

Ein Besuch im Wald ist grundsätzlich nicht ganz ungefährlich, denn im weitläufigen und abgeschiedenen Areal ist der Handy-Empfang sehr schlecht und der hohen Eisen-Anteil in Felsen und Boden stören Kompass und vermutlich auch GPS-Signale. Da die Vegetation durchgehen dicht und gleichförmig ist, verlieren vor allem Touristen schnell die Orientierung.

Aokigahara ist eines der weltweit bekanntesten Suizidziele

Im Laufe der Jahre nach den oben genannten Romanen fand man immer mehr Leichen im „Meer der Bäume“. Seit 1971 durchkämmen Bereitschaftskräfte regelmäßig den Wald und bergen die Leichname der Selbstmörder. 1993 erscheint das umstrittene Buch „Kanzen jisatsu manyuara“ (The Complete Manual Of Suicide) Handbuch zum Selbstmord) des japanischen Autors Wataru Tsurumi, das auf 198 Seiten alle möglichen Formen des Selbstmords beschreibt und Aokigahara als „perfekten Ort zum Sterben“ empfiehlt. Im Vorwort erklärt er zwar, er „habe nicht die Absicht, Leser zum Selbstmord zu ermutigen„, analysiert aber kleinteilig, welche Methode die effektivste, am wenigsten schmerzhafteste oder einfachste ist. Auch in Mangas, wie beispielsweise „The Kurosagi Corpse Delivery Service“ spielt der Wald eine zentrale Rolle.

Mit Aufkommen des Internet und einem immer stärkeren medialen und popkulturellen Interesse steigt die Zahl der Leichenfunde rasant. 2002 zählen die Behörden 78 Tote innerhalb eines Jahres, ein Jahr später sind es bereits 105 Leichen. Es wird befürchtet, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt, da man wegen der Dichte des Unterholzes und den vielen Spalten im porösen Boden des Waldes viele Leichen nicht finden kann.

Die Möglichkeit, Tote zu finden, hat in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten „Leichentourismus“ geführt. Unzählige Youtube-Videos zeigen vermeintliche Geistererscheinungen oder verlassene Lager von Selbstmördern. Durch bunte Bändchen an Bäumen habe viele Selbstmörder ihren Weg markiert, um für den Fall, dass sie es anders überlegen, wieder den Weg aus dem Wald zu finden, sind diese Lager leicht zu finden. Diebe und Plünderer folgen diesen Zeichen, um die Lager oder gar die Leichen nach Wertgegenständen zu durchsuchen.

2016 bringt der Horror-Film „The Forest“ Aokigahara mit all seinen Mythen und Fakten auf die Leinwand:

https://www.youtube.com/watch?v=Zb5IU3dfQAY

Der weltweit berühmte US-amerikanische YouTuber Paul Logan besuchte im November 2017 den Selbstmordwald, betrat abgesperrte Bereiche und filmte sich dabei, wie er einen Suizidanten fand, der sich erhängt hatte. Reichweitenwirksam lud Paul das Video am 31. Dezember 2017 auf YouTube und andere Social-Media-Kanäle hoch und sorgte damit für weltweite Kritik und Entsetzen. YouTube löschte das Video kurz darauf und Paul sah sich gezwungen, eine Entschuldigung zu veröffentlichen. Im Zuge des Vorfalls verlor er viele lukrative Zusammenarbeiten und Kooperationen, konnte seine Reichweite aber erneut vergrößern.

Seppuku – Tradition Selbstmord

In Japan hat Selbstmord nicht das gleiche negative Image wie in vielen anderen Ländern. Die Praxis des Seppuku, der ehrenhafte Selbstmord der Samurai, geht auf die feudale Ära Japans zurück. Obwohl sich diese Tradition nicht mehr in der japanischen Kultur findet und auch 1868 offiziell verboten wurde, „können Überreste der Seppuku Kultur als eine Möglichkeit gesehen werden, Verantwortung zu übernehmen„, wie Yoshinori Cho, Direktor der Psychiatrischen Abteilung an der Teikyo-Univesität der Japan Times berichtet.

Den Menschen in Japan ist es wichtig, einen Beitrag leisten zu können und werden darauf getrimmt, Leistung zu erbringen. Viele Menschen, die diesem Druck nicht standhalten, fühlen sich minderwertig. Der Direktor einer japanischen Hotline für Menschen, die Selbstmord begehen wollen, berichtet: „Anrufer geben am häufigsten psychische und familiäre Probleme als Grund für Suizidgedanken an. Dahinter finden sich aber noch anderen Themen, wie finanzielle Probleme oder der Verlust des Arbeitsplatzes.

Einer Studie zufolge ist die häufigste Art in Japan Selbstmord zu begehen, das Erhängen und das Springen von hohen Bauwerken, wie beispielsweise Brücken. Die japanische Regierung unternimmt viel, um präventiv gegen Selbstmord vorzugehen. Neben baulichen Veränderung an Brücken und hohen Gebäuden setzt man auch auf Aufklärung und Überwachung. So finden sich in an den Zugängen zu Aokigahara Überwachungskameras und Schilder mit Sätzen wie „Denke an Deine Kinder und die Familie.“ oder auch „Dein Leben ist ein kostbares Geschenk Deiner Eltern.

Obwohl sich die japanische Regierung seit Einführung der Prävention mit einer 20 Prozent niedrigeren Selbstmordrate schmückt, bleiben die Zahlen – vor allem bei Jugendlichen – erschreckend hoch. Zuletzt sorgte die Pandemie für einen deutlichen Anstieg der Zahlen, wie die DW berichtet. „Der Anstieg der Selbstmorde fällt in Japan besonders auf, da die Pandemie bisher relativ wenige Opfer gefordert hat. Rund 1600 COVID-19-Toten stehen aktuell mehr als 13.000 Tote durch Selbstmord gegenüber.

Hinweise

Wir versuchen, rein informierend über das Thema Suizid zu berichten, da es Hinweise darauf gibt, dass manche Formen der Berichterstattung zu Nachahmungsreaktionen führen können. Solltest du selbst Selbstmordgedanken hegen oder in einer emotionalen Notlage stecken, zögern nicht, Hilfe zu suchen. Freunde, Vertraute oder die Familie helfen, es gibt auch Hilfsangebote, bei denen du dich anonym, kostenlos und jederzeit mit jemandem unterhalten kannst. Unter 0800/111 0 111 erreichst du die Telefonseelsorge, mit der man über ihre Internetseite auch chatten oder über E-Mail Kontakt aufnehmen kann. Hier gibt es noch einen Selbsttest, der Hinweise liefern kann, allerdings keine medizinische Diagnose ersetzt.

Nahtod: Wenn der Film des Lebens vorbeiläuft

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Wer kennt sie nicht, die filmische Darstellung der Momente vor, während oder nach dem Tod? Die Seele verlässt den Körper, wir schweben über unserem sterbenden Hülle, während wichtige Momente unseres Lebens am imaginären Auge vorbeirauschen. Kindheit, Jugend, Hochzeit oder auch die Geburt des ersten Kindes. Andere Filme zeigen Tunnel mit einem Licht am Ende oder geisterhafte Gestalten an der Bettkante. Menschen, die Nahtod-Erfahrungen gemacht haben, berichten tatsächlich von solchen Phänomenen, für deren Existenz die Wissenschaft seit Jahrzehnten Beweise sucht. Der Artikel „What Happens in Our Brain When We Die?“ möchte den wissenschaftlichen Beweis gefunden haben, dass sich so etwas tatsächlich in unserem Gehirn abspielt, während ganz andere davon träumen, diese Dinge einmal sichtbar zu machen.

„Heute ist ein schöner Tag zu sterben“

1990 jagten Kiefer Sutherland, Julia Roberts, Kevin Bacon und William Baldwin in „Flatliners“ in Nahtod-Erfahrungen ihre Dämonen, indem sie ihren Tod künstlich herbeiführten und sich nach einer festgelegten Zeit wiederbeleben ließen. Ich fand das damals, mit zarten 16 Jahren und ersten gotischen Knospen, unheimlich aufregend und hätte damals schon gerne gewusst, was mir mein Geist präsentiert hätte. Den Satz „Heute ist ein schöner Tag zu sterben“ habe ihr mir sogar ins Federmäppchen gekritzelt. 2017 gab es auch ein modernes Remake des Klassikers, den ich in Ermangelung eines vernünftigen Trailers des Originals zeige.

„Flashbacks“ nennen Neurowissenschaftler und Psychologen dieses erneute „Erleben“ von Erinnerungen, die häufig durch Schlüsselreize, wie einem Geruch aus der Kindheit, dem Hören eines Lieblingsliedes oder eben einer Nahtod-Erfahrung ausgelöst werden. Allerdings gab es dafür bislang keinerlei wissenschaftliche Belege, außer die Erzählungen von Menschen mit solchen Erlebnissen.

Eine neue Studie, die für „Frontiers in Aging Neuroscience“ veröffentlicht wurde, legt nahe, dass unser Gehirn während des Sterbens und auch nach dem Tod aktiv und koordiniert bleibt. Wirbeln diese neuen Erkenntnisse sogar unsere Vermutung, wann das Leben denn nun endet, völlig über den Haufen?

What Happens in Our Brain When We Die?

Um einem 87-jährigen Patienten, der an Epilepsie erkrankte, zu helfen, verwendeten Dr. Raul Vicente und seine Kollegen von der Universität Tartu in Estland, eine kontinuierliche EEG-Aufzeichnung um solche Anfälle zu erkennen und den Patienten zeitnah zu behandeln. Unglücklicherweise erlitt der Patient während dieser Aufzeichnung einen Herzinfarkt und verstarb. Die Daten, die während des Todes des Menschen aufgezeichnet wurden, gab anderen Wissenschaftlern die einmalige Gelegenheit, den Tod eines Menschen anhand detaillierter EEG-Aufnahmen nachzuverfolgen.

Wir haben 900 Sekunden der Gehirnaktivität um den Zeitpunkt des Todes herum geprüft und genau hingeschaut, was in den 30 Sekunden vor und nach dem Aufhören des Herzschlags passiert ist„, sagte Dr. Ajmal Zemmar, Neurochirug an der Universität von Louisville, USA. „Kurz bevor und nachdem das Herz aufhörte zu arbeiten, sahen wir Veränderungen in einem bestimmten Band neuronaler Schwingungen, den sogenannten Gamma-Oszillationen, aber auch in anderen […] Oszillationen.

Solche Gehirnwellen, die normalerweise nur in lebenden menschlichen Gehirnen zu finden sind, deuten auf hochkognitive Funktionen wie Konzentration, Träumen, Meditation, Informationsverarbeitung oder auch Erinnerung hin. Ebene solche Aktivitäten, wie man sie bei einem solchen „Flashback“ erwarten würde.

Offensichtlich scheint es also wahr zu sein, dass ein solcher Film von Erinnerungen vor unserem imaginären Auge vorbeiläuft, allerdings ist nicht klar, welchen Inhalt aus unserem Leben wir zu sehen bekommen.

Der Film des Lebens im DVD-Regal

Im Science-Fiction-Thriller „Project Brainstorm“ entwickelt Christopher Walken 1983 eine Maschine, die die Emotionen und Gedanken von Menschen aufzeichnet, sichtbar macht und auf anderen Menschen übertragen kann. Klar, dass irgendein Knallkopf (Achtung, Spoiler) das Projekt für das möglichst Schlechte im Menschen benutzt, einen Mord aufzeichnet, der einen Zuschauer dann so traumatisiert, dass er durchs zugucken stirbt.

Aber wie wäre es denn, wenn man den „Film des Lebens“ tatsächlich speichern und wiedergeben könnte? Wäre es ein tolle Erinnerung für die Nachfahren oder doch nur eine gruselige Fiktion, die Gedanken eines Toten zu kennen?

Ganz so absurd scheint dieser Gedanke nicht mehr zu sein, man arbeitet bereits daran Bilder aus dem Parietallappen des Gehirns zu extrahieren und sichtbar zu machen. An anderer Stelle wird fleißig daran geforscht, neurale Netzwerke darauf zu trainieren, das, was das Gehirn sieht, darstellbar zu machen.

Aber das ist noch Science Fiction, auch rund 40 Jahre nach „Project Brainstorm“. Vielleicht ist es auch ganz gut so, Erinnerungen und Flashbacks nicht noch einmal sehen zu müssen, Dinge vergessen zu können ist eine unheimlich befreiende Eigenschaft.

NME Awards: Robert Smith verrät den Titel des neuen Cure-Albums

Ein bisschen Drama und Geduld hat der Kaiser der Dunkelheit ja im Laufe seiner Karriere angehäuft. So wundert es zunächst nicht, dass nach einer Ankündigung 2018 „Wir machen ein neues Album!“ erst mal nicht viel passierte. Schließlich hatte Smith und seine Band The Cure bis zu dieser Neuigkeit rund 10 Jahre verstreichen lassen. Zahlreiche Auftritte in der Öffentlichkeit sorgten aber seitdem dafür, dass der Großvater des Dunkel-Pop mit seiner angeborenen Schweigsamkeit brach und hier und da ein paar Neuigkeiten durchtröpfeln ließ. Die Fans, die auf dem ausgetrockneten schwarzen Wüstenboden nach jedem Tropfen dürsteten, machte aus jeder noch so unwichtigen Meldungen ein Ereignis, dass jede Öffnung der Kammer des Schreckens in den Schatten stellte.

Kurzer Abriss. Es werden 2 Alben, eins wird düster, eins wird nicht so düster, es erscheint bald, es erscheint nächstes Jahr, ich singe die Vocals ein oder auch es wird gerade abgemischt. Die Reihenfolge ist beliebig. Und als die Fans es kaum noch erwarten konnten, verließ Simon Gallup medienwirksam die Band, um kurz darauf wieder dabei zu sein. Drama pur!

Kurz bevor die Fans jedoch jede Hoffnung an ein neues Album verloren, platzte es bei den jüngsten NME Awards 2022 bei einem Interview aus dem Urvater der Melancholie heraus. „Ich weiß aber wie es heißt„, sagte er seinem Interviewer ganz aufgeregt „komm, ich sag Dir den Titel:

Songs Of A Lost World

Wie dramatisch er den Titel verrät! Die Spitzen meiner Pikes rollen sich ein. „Oh, nice!“ Der Interview-Partner ist ganz aus dem Häuschen. Da der Goth traditionell nicht aus seinem Häuschen kommt, hält sich meine Begeisterung in Grenzen. Aber recht hat er immerhin, der Gott der Dunkelheit, diese Welt ist echt verloren.

Immerhin hinterlässt der Meister der Verdammnis einen soliden Auftritt auf der Bühne. Zusammen mit seiner neuen Lieblingsband „Chvrches“ spielt er „Just like Heaven“ mit einer ganz frischen Duett-Idee. Ich muss ja fast kichern, als er „she said“ einwirft. Und bevor ihr woanders nachschlagt, auf der Gitarre des Dunkle Fürsten sind eine Fibonacci-Zahlenfolge, ein Zeichen des Extinction Rebellion, die Flagge der Antifa, ein Friedenssymbol, das Zeichen von Amnesty International und eine ukrainische Flagge zu sehen.

Ein Kommentator bei Youtube schrieb zu Smith Performance: „Seine Stimme reift wie guter Wein.“ Was bleibt zurück? Das neue Album heißt „Lieder einer verlorenen Welt“, es sind je 10 Lieder auf jeder Scheiben des Doppelalbum drauf und auch das Artwork steht schon. Robert Smith ist wie ein tropfender Wasserhahn in einer viktorianischen Küche, bei dem jeden Monat ein Tropfen Drama auf die Teller in der Spüle einschlägt.

Gruft-Orakel März 2022: Die Fledermaus macht die Klingel aus

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Der Fledermaus wird diesen Monat ihr flatteriges Mundwerk zum Verhängnis. „Auf jeden Fall„, wollte sie wieder Sport machen, „unbedingt mit von der Partie“ wollte sie bei der Idee der anderen Orakel-Zeichen sein. Jetzt hat sie den Salat, als sie kopfüber von ihrer Zimmerdecke baumelt. Ständig klingt einer an der Tür, hämmert und brüllt durch den Hausflur. „Los komm schon! Wir werden Fit für die Ewigkeit!“ Während sich andere solche Bekannte wünschen, die einen motivieren und mitreißen, will die Fledermaus nur noch eins. Die Klingel abstellen und sich verkriechen. Auch die Frau Abendroth kann sich trollen mit ihren Orakeln, die einem immer diese Flausen in Kopf setzen. Den blöden Stepper, auf den sie laut der Herrin des Orakels steppen sollte, blockiert immer noch den Abstellraum.

ARTE-Dokumentation über „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“

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Am 4. März wurde der Film „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ 100 Jahre alt. ARTE nimmt diesen Geburtstag zum Anlass, eine Dokumentation über den wohl legendärsten Vampirfilm aller Zeiten zu veröffentlichen. Der Stummfilm von Friedrich W. Murnau ist einer der einflussreichsten Filme des Genres, weil er der Phantasie und Fiktion der vielen literarische Vorlagen schon so früh bewegte Bilder beisteuerte. „Der Dokumentarfilm […] begibt sich mit der Figur von Nosferatu als leibhaftigem Schatten auf eine abenteuerliche Reise durch die 100-jährige Wirkungsgeschichte des legendären Films, der als visionärer Pandemiefilm heute aktueller denn je ist.

Die Dokumentation wird heute Abend um 22:05 bei ARTE ausgestrahlt und ist darüber hinaus in der Mediathek verfügbar.

Obwohl die 1922 verfilmte Adaption von Bram Stokers Dracula nicht autorisiert war und nach einem verlorenen Urheberrechtsstreit 1925 vernichtet werden sollte, überlebten unzählige Schnittversionen und später restaurierte Fassungen die Zeit und prägten rund 100 Jahre das popkulturelle Bild des Grusel- und Horror-Films. Aus der jüngeren Riege der mit Vampir-Virus „Infizierten“ kommen auch die Gothic-Bands Nachtblut und Blutengel zu Wort und auch der Universalexperte der schwarze Szene, Mark Benecke, spricht hier als Vorsitzender der deutschen Dracula-Gesellschaft.

Im Stile eine „imaginären Geisterbahnfahrt“ führt uns die Doku durch 100 Jahre Popkultur und zeigt, wie sehr sich Menschen von den einst geprägten Bildern beeinflussen ließen. Auch Peri Baumeister, Schauspielerin der deutschen Netflix-Produktion „Blood Red Sky“ kommt zu Wort und markiert damit die jüngste Version einer Vampirgeschichte, die dem „Original“ nachempfunden ist.

Darüber hinaus bietet ARTE einige Vampir-, Grusel- und Horrorfilme aus seiner Sammlung an, die zwischen Kult, Kunst und Trash eine gemeinsame Brücke bauen. Zu sehen sind unter anderem:

  • Only Lovers Left Alive (2013) – Nur noch bis morgen Online verfügbar (Flederflausch hat bereits über diesen Film geschrieben)
  • Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) – Das Original
  • Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis (1987) – Nur noch bis 11. März 2022 verfügbar
  • Blow Up – Vampire im Film (2019)

37 Jahre alte Ballade „Russians“ von Sting mit neuer Relevanz

In Europa und Amerika wächst das Gefühl der Hysterie„. Diese erste Zeile des Liedes „Russians“, das Sting im Juli 1985 veröffentlichte, bezog sich auf den Kalten Krieg, der sich damals hauptsächlich zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika abspielte. Mit Schreckensszenarien eines atomaren Krieges, dem globalen Wettrüsten und der Entwicklung immer neuer Massenvernichtungswaffen hält dieser Krieg die Menschen damals im Würgegriff der Angst vor einer Eskalation. Auch als Jugendlicher in dieser Zeit konnte ich mich kaum diesem Gefühl entziehen, vor allem, als 1986 mit Tschernobyl die atomare Gefahr völlig real wird.

Im düsteren Schatten des Krieges in der Ukraine bekommt dieser Song eine ganz neue Relevanz, so erscheinen mir die Zeilen des Musikers und die Hoffnung, die daran liegt, nötiger als je zuvor. Auch Sting selbst äußerte sich vergangenen Sonntag zum Krieg in der Ukraine und erinnerte mit einer akustischen Version seiner Ballade an den Inhalt:

Obwohl der Song zu einem der bekanntesten Stücke des britischen Künstlers zählte, hat er es in den vielen Jahren nach der Veröffentlichung kaum gespielt. „Weil ich nie dachte, dass er je wieder relevant werden würde„, schreibt der Künstler in einem Statement bei Instagram.

Weiter schreibt er: „Doch nun, in Anbetracht der blutigen und bedauerlich fehlgeleiteten Entscheidung eines Mannes, bei den friedlichen und unbedrohlichen Nachbarn einzuschmaschieren ist dieser Song, wieder einmal ein Plädoyer für unsere gemeinsame Menschlichkeit. Für die tapferen ukrainischen Menschen, die gegen diese brutale Tyrannei kämpfen und auch für die vielen russischen Menschen, die trotz der Androhung von Verhaftungen gegen diese Schandtat demonstrieren.“

Schon damals zog mich die Traurigkeit und Melancholie des Songs in seinen Bann. Erschreckend, dass aus der schönen Ballade nun unsere einzige Hoffnung auf eine baldige Deeskalation und die Beendigung des Krieges zu keimen scheint.

We share the same biology
Regardless of ideology
What might save us, me, and you
Is if the Russians love their children too

Unter seinem Statement ruft der Musiker dazu auf, die Organisation „Help Ukraine“ zu unterstützen. Wir schließen uns diesem Aufruf gerne an.

Spontis Backstage: 4 alte Fotos von Carla „Ratte“ Fliegner = 3 Monate Recherche

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Das Format „Spontis Backstage“ wurde von der internen Qualitätsprüfung verworfen, weil es thematisch langweilig erscheint und mit spröder Sachlichkeit am Thema vorbeigeht.

Nach 3 Monaten ist es endlich geschafft. Ich habe eine Lizenz für 4 alte Fotos erworben, auf denen die 2021 verstorbene Carla „Ratte“ Fliegner zu sehen ist. Sie stammen aus einer Reihe von etwa 40 Bildern aus den Jahren 1985-1995, die ich im Nachlass der verstorbenen Grufti-Ikone habe sichten können. Meinem Ziel, eine Ausstellung mit alten Bildern, Gedanken und Fanbriefen aufzuziehen, bin ich damit 5% näher gekommen. Die restlichen Bilder sind demnach nur noch ein Kinderspiel.

Es liegt eine gewisse Ironie in dieser Beschreibung, die feinsinnige Zeitgeister möglicherweise schon wahrgenommen haben. Ich wurde ermutigt, darüber zu schreiben, wie viel Arbeit es ist, alte Fotos öffentlich zeigen zu können. Überhaupt möchte ich Euch in „Spontis Backstage“ mehr hinter die Kulissen mitnehmen, mal sehen, ob das klappt.

Zurück zu den Bilder von Ratte. In Zeiten von Facebook, Instagram und anderen sozialen Netzwerken sind wir es gewohnt, alte Bilder einfach zu teilen und an Freunde und Bekannte zuschicken. Wenn das eigene und selbst gemachte Bilder sind, ist das alles in der Regel kein Problem, aber wenn es Bilder in Zeitschriften, Bildarchiven oder Magazinen sind, sieht die Sache völlig anders aus.

Da Carla häufig für solche Formate abgelichtet wurde – und auch die meisten Leser sie so kennengelernt haben – muss ich für einen Rückblick eben auf solche Fotos zurückgreifen.

Carla vor der Linse von Fotograf „Al Herb“

Ein Umschlag, der sich im Nachlass von Carla fand, war an ihre Adresse in London adressiert geschickt worden, an der sie für einige Monate zwischen 1986 und 1987 wohnte. Ein Fotograf namens „Al Herb“ bedankte sich darin schriftlich für die Zusammenarbeit an einem „Fotonachmittag in München“ und legte einige Bilder bei, die Carla unter anderem mit einer nackten Dame im englischen Garten zeigen.

„Ein leichter Fall!“, dachte ich, denn Al Herb war ein bekannter Münchener Fotograf, der neben seiner Tätigkeit als Jurist zwischen 1954 und 1997 das lokale Nachtleben fotografisch in Szene setzte. Nach seinem persönlichen Brief, den er Ratte damals zusammen mit den Bildern schrieb, war ich mir sicher, mit meinem Anliegen beim ihm auf offene Ohren zu stoßen. Leider wurde der Gedanke, ihm einfach zu schreiben, von dem traurigen Umstand zunichtegemacht, dass der Fotograf 2015 im Alter von 84 Jahren verstorben war. Ich hatte wohl unterschätzt, wie alt Al Herb schon gewesen ist, als er Carla vor seiner Linse in Szene setzte. Nun war guter Rat teuer.london 1986 - brief al herb

Bei der Bildagentur der Süddeutschen Zeitung konnte ich allerdings wieder eine heiße Spur aufnehmen, denn hier fanden sie bei der Google Rückwärtssuche 2 der Bilder, die ich von der Serie aus Carlas Nachlass kannte. Also schrieb ich die SZ an und erkundigte mich nach den Bildern von Al Herb und wollte wissen, ob es noch weitere Bilder gab, für die man eine kostenpflichtige Lizenz anbot. Glücklicherweise erhielt ich Antwort:

Wir haben schon seit langer Zeit Bilder von Al Herb bei uns. Vor etlichen Jahren waren wir auch nochmal bei ihm daheim und haben weitere Bilder übernommen. Ich denke eigentlich, dass er uns alles gezeigt hat (was er uns geben wollte). Somit ist der Bestand bei uns „abgeschlossen“, mehr Bilder haben wir nicht.

Ich hatte also Bilder von Al Herb, die die SZ nicht hatte und war natürlich neugierig, ob ich diese für mein Museum verwenden konnte. Die SZ bot mir an, Kontakt zur noch lebenden Schwester von Al Herb aufzunehmen, um sich zu erkundigen, was mit den Bildern geschehen sollte, die ich in digitaler Form und Marcel, der Lebensgefährte von Carla, im Original hatte.

Unglücklicherweise zeigte sich die Schwester mit der Anfrage des Bildarchivs überfordert und so einigte ich mich mit der SZ darauf, dem Bildarchiv die unbekannten Bilder zur Verfügung zu stellen, damit ich die diese Bilder dann in digitaler Form, gegen die Zahlung einer Lizenzgebühr, verwenden konnte. Die Bildrechte am Nachlass des verstorbenen Fotografen lagen ja sowieso beim Bildarchiv.

Leider haperte es an der Scanqualität und so bat ich Marcel, den Lebensgefährten von Carla, die Bilder erneut und in besserer Auflösung einzuscannen, damit das Bildarchiv mit den Aufnahmen arbeiten konnte. Er zeigte sich darüber hinaus auch bereit, die Original „auszuleihen“, damit man sie bei der SZ in München noch einmal professioneller Scannen würde. Das wurde allerdings unnötig, denn die neuen Scans reichten aus.

Im Gegenzug erhielt ich die Genehmigung 4 der Bilder für „kleines“ Geld zeitlich unbegrenzt nutzen zu können. Mission erfolgreich.

So viel Aufwand für 4 Bilder?

Lohnt sich der ganze Aufwand für 4 Bilder? Nein, überhaupt nicht. Es gehört auf meiner Seite eine gehörige Portion Leidenschaft dazu, diese Hürden zu nehmen. Am langen Ende verdiene ich ja keine Cent mit der Bereitstellung solcher Inhalte und kann weder etwaige Lizenzgebühren erwirtschaften noch die damit verbundene Recherchearbeit abrechnen.

Nach einigen bösen Überraschungen in der Vergangenheit (Abmahnung wegen falsche CC-Lizenz oder Abmahnung wegen einer Nachlizensierung) ist sowieso kaum noch möglich, Inhalte von damals einfach abzubilden, daher bin ich dazu übergegangen, auf lizenzfreie oder private Werke, die ich verwenden kann, zurückzugreifen. Wer möchte, kann sie ja mal bei einem Anwalt durchlesen, was man alles beachten muss, um einfach ein Bild zu nehmen: eRecht24 – Bildrechte

Im Falle von Carla „Ratte“ Fliegner ist das allerdings nicht so einfach möglich, da sie auch ein mediales Phänomen war, das häufig und ausgiebig von Magazinen, Zeitungen und Zeitschriften abgelichtet wurde. Da mir diese – ihre – Geschichte sehr wichtig ist, muss ich eben investieren, denn diese alten Aufnahmen sind ein wichtiger Bestandteil vom Phänomen „Ratte“.

Ich hoffe, diese „Spontis Backstage“ hat euch einen kleinen Einblick verschafft. Wenn ihr selbst alten Aufnahmen der Münchener Szene oder von Ratte zur Verfügung stellen könnt meldet Euch! Wer Kontakt zu Fotografen von damals herstellen kann, möge sich gerne auch melden. Gesucht werden unter anderem ein „R. Kurzendörfer“ eine „Julia Oberer“ oder auch ein „Stefan“, der Carla eine Reihe von Bildern schickte. Meldet Euch!