Gothic-Friday Juni: Wave-Gotik-Treffen – Krümmung des Raum-Goth-Gefüges (Federflausch)

Schon am Wochenende nach dem WGT habe ich angefangen diesen Beitrag zu schreiben. Die Eindrücke waren noch frisch (ich noch nicht wirklich wieder) und ich im schwedischem „Niemandsland“ zwischen tiefer Depression angesichts meiner gruftigen Isolation, von der ich schon viel zu lange die Schnauze voll hatte, einigen der schlimmsten Heimweh- und Vermissungsanfällen seit ich im Januar weggegangen war und himmelhoher Euphorie ob des Erlebten. Emsig tippe ich die ersten Sätze in die Tasten, um dann ratlos den Bildschirm anzustarren – dieses WGT war ganz und gar nicht wie die vorangegangenen gewesen. Bin ich nach dem WGT normalerweise für eine ganze Weile gesättigt – konnte ich wenige Tage danach die nächste Auflage nicht erwarten, die Treffentage fühlten sich an wie nebeliger Traum und als wären sie Monate vergangen.

Wegen, weil ja. Wie war mein letztes WGT? Anders. Wie immer. Emotional. Befremdlich. Vorallem kalt. Scheißschweinekalt!
Ich wusste es, jeder Mensch mit ein bisschen Verstand sollte es wissen, aber besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Nach über 12 Stunden Anreise am Mittwoch war ich schon bevor das WGT losging klipperkaputt, aber aufgeregt wie ein kleines Kind vor Weihnachten, Geburtstag und Ostern zusammen. Wiedersehensfreude, Umarmen, „meine“ Menschen und – ja, ich kann es nur immer wiederholen, so pathetisch und abgedroschen es klingen mag – nach Hause kommen.

Und doch: etwas stimmte nicht. Ich fühlte mich fremd in meiner eigenen Welt, ratlos zwischen authentisch zelebrierter Gruftiness und Karneval mit Schützenfeststimmung. Wo war sie „meine Szene“? Ich lies mich mitziehen ins Belantis um den Abend mit Freunden und Bekannten zu verbringen und für mich hatte es trotz all der lieben Menschen, die ich endlich wieder in die Arme schließen konnte etwas von Gruselkabinett, ich war im falschen Film (so was von falsch, dass der Artikel dazu noch aussteht). Erst am Freitag, als ich Mitcamper Mark nötigte meine Haare zu stellen und unter Thomas Witzeleien („Spürt ihr das? Das Raum Goth-Gefüge dehnt sich aus. Die Panadisierung schreitet voran“) es endlich schaffte Schminke aufzutragen fühlte ich mich langsam besser und mir wurde wieder bewusst, wie sehr mir das alles die letzten Monate gefehlt hatte.

Hante beim WGT 2016
Hante beim WGT 2016

Hante war eines der wenigen Konzerte, die ich beim WGT dieses Jahr gesehen hatte und unbedingt hatte sehen wollen. Klangrausch. Großartig. Tiefgehend. Auch Pink Turns Blue hätten mich begeistert, wäre ich nicht so furchtbar müde und erschöpft gewesen. Die meiste andere Zeit verbrachte ich dieses Jahr damit Freunde und Bekannte wieder zutreffen und mich mitziehen zu lassen. Die Fahrerei von hier nach dort war mir schlicht zu viel und ich war froh, wenn mir mal halbwegs warm wurde. Auch Austausch und erwählte Gesellschaft waren mir deutlich wichtiger als potentielle „könnte ganz interessant sein“ Konzerte und so endet ich immer wieder im Täubchenthal und der MB mit neuen und alten Gesichtern. Mit vielen Gesprächen, massiven Lachanfälle, die mir das Laufen fast unmöglich machten, einer Stunde warten im Starkregen und schließlich der Feier meines Geburtstages beim Gothic Pogo, zu dem mich eine Freundin von zu Hause extra besuchte und uns alle mit Kuchen und Hochprozentigem beglückte und was mir am nächsten Tag eine Begrüßung von Robert verwehrte, sondern unvermittelt ein „Du warst so betrunken gestern“ gefolgt von einem belustigtem Lachen einbrachte. Wie schade, dass ich es erst spät zum Spontis Family Treffen schaffte und viele Spontis-Leser und -Schreiber daher leider nicht mehr antraf.
Deutlich irritiert hat mich dieses Jahr die prollige Stammtischart vieler Festivalbesucher und viele seltsame Aufmachungen und Selbstdarstellungen. „Das ist nicht meine Szene“, dachte ich leider viel zu oft. Und doch: bei meinen Mitzeltern, beim GPF und dem Spontis-Family-Treffen und manchmal auch zwischendrin, war da dann doch „meine Szene“.

Fährst du wieder auf’s WGT?

Ein Ausschnitt der Ausstellung 26. Jahre WGT im Stadtmuseum Leipzig
Ein Ausschnitt der Ausstellung 25. Jahre WGT im Stadtmuseum Leipzig

Deshalb und trotzdem werde ich auch nächstes Jahr auf’s WGT fahren. Weil ich eben doch immer wieder „meine Szene“ dort finde. Leute mit denen ich mich gerne austausche, feier, diskutiere, tanze, (neuer) Musik lausche. Leute, die ich meist das ganze Jahr nicht sehe, von denen ich nicht viel höre, aber die einen dann herzlich umarmen und aufnehmen. Die zu besseren Bekannten und Freunden werden. Die sich ganz authentisch zeigen, wie sie sind und einem das schillernde Dunkel ihrer selbst offenbaren. Ich fahre zum WGT wegen den vielen Begegnungen. Wegen des wohlig warmen Gefühls im Bauch, wenn Künstler einem mit ihren Werken unmittelbar in der Seele berühren, wenn man sich fallen lassen kann in die Musik und dieses Gefühl teilen kann. Ich fahre auf’s WGT weil sich jeder Millimeter schmerzender Fuß vom zu vielem Tanzen, stehen, laufen lohnt. Ich fahre zum WGT für all die schönen Momente, die ich mit nach Hause nehme – und eigentlich fahre ich zum WGT um zu Hause zu sein.

Mein erstes WGT

Dabei war mein erstes WGT rückblickend betrachtet ziemlich seltsam. Die Personenzusammensetzung war sehr suboptimal, den Freitagabend verpassten wir ganz, es herrschte teilweise gedrückte Stimmung, wir waren auf Grund der Lage des Hotels etwas abgeschnitten vom ganzen Geschehen und ich als Soziallegastetikerin war völlig überfordert von den ganzen Menschen. Trotzdem habe ich das ein oder andere gute Konzert erlebt und das Bedürfnis immer wieder zu kommen.

GPF
Gothic Pogo Festival

Das schönste Festivalerlebnis und das beste Konzert

Ein einziges schönstes Festivalerlebnis kann ich überhaupt nicht benennen. Es sind die Menschen und Begegnungen, die diese Momente prägen, die einem in Gedanken und im Herzen bleiben, die menschliche Wärme und Unmaskiertheit von Menschen, die mir begegnet sind, die ich meine Freunde nennen darf und solcher, die sich trotz aller Entfernung einem Platz im Kreis meiner Lieblingsmenschen und interessanter Bekanntschaften gesichert haben.

Auch ein eindrücklichstes Konzert kann ich nicht benennen. Hante waren fulminant. Ascetic auf dem Melting Sounds nicht weniger eindrücklich. Escape with Romeo bei einem Konzert nicht weniger mitreisend. Auch in Erinnerung bleiben wird mir das Konzert der Krupps bei meinem ersten WGT – eigentlich so gar nicht meine Musik war ich von deren Darbietung einfach nur geflasht und und jeder einzelner industriell anmutender Hammerschlag vibrierte durch jede Schicht meines Körpers.

Und sonst?

Neben dem WGT reizen mich vor allem kleine Festivals. Das Melting Sounds, das Young and Cold, die Gothic Pogo Party, aber auch das Campus Noir in Ilmenau kann ich nur wärmstens weiterempfehlen. Hier kann man das familiäre Gefühl fast greifen, neue Bands entdecken und sich immer wieder im Tanz und der Ektase verlieren.

 

 

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Animus
Animus (@guest_52437)
Vor 8 Jahre

„prollige Stammtischart“:
Danke, ich such schon seid Monaten einen Audruck dafür, was mich dieses Jahr am WGT gestört hat!

Donna-Clara
Donna-Clara (@guest_52438)
Vor 8 Jahre

Bei Hante kann ich mich dir nur anschließen. Es war ein tolles Konzert und für uns der Auftakt für eine super Zeit in Leipzig.
Wir hatten das Glück nicht all zu oft auf die „prolligen Stammtischart-Vertreter“ zu stoßen. Lag wohl an den ausgesuchten Konzerten und Locations.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 8 Jahre

Nanu, was war denn da los? Was meint Ihr denn mit prolligem Stammtischverhalten?
Bei einem TV-Bericht über’s Mera Luna vor einiger Zeit wurden Grüppchen gezeigt, die Saufspiele veranstalteten.
Das fand ich schon ziemlich befremdlich, je eben prollig.

Kathi
Kathi(@kathi)
Vor 8 Jahre

Danke für den Bericht und mir ging es dieses Jahr ähnlich es war teilweise ziemlich befremdlich.
Wobei ich sagen muss, dass nicht jeder, der manchmal prollig wirkt es auch ist :D

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