Opernplatztreffen, Horror Highschool und schwarze Zusammenkunft

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Opernplatztreffen Frankfurt 2010
Mit Schatzi und Freunden auf dem Opernplatz

Ein ultraschwarzes Wochenende liegt hinter mir. So fühlt es sich jedenfalls an, nachdem ich doch einige Zeit nicht wirklich mit dem werten Podex hochgekommen war. Gerüchten zufolge sollte es das letzte Sommerwochenende dieses Jahr sein und passenderweise fand gerade da in unserer Gegend viel statt, sodass es sich mehr als nur anbot, da noch einmal richtig ins Getümmel zu springen. Es folgt also ein kleines Review – ein reichlich subjektives natürlich.

Also hieß es für mich Pikes polieren und endlich mal wieder die in den letzten Wochen so schändlich vernachlässigte volle Kriegsbemalung auflegen, während Schatzi sich Locken drehen lässt und den Lidschatten farblich auf das Korsett abstimmt. Ergebnis: Volle Zufriedenheit – wir finden uns hübsch und denken, das dürfen wir auch mal. So.

Und dann ab nach Frankfurt – Opernplatztreffen. Angefangen hat das offenbar als Forentreffen von Schwarzes Rhein/Main, aber es ist wohl generell zu einem einmal im Jahr stattfindenden Szenetreffen der Region geworden. Interessant ist es zwar, vor der Oper einen Auflauf von Schwarzkitteln vorzufinden und auch auf dem Weg dahin schon überall Schwarzvolk herumlaufen zu sehen, aber so richtig weiß ich noch immer nicht, was ich davon halten soll.

Musikperlen – Schmerz in deinen Augen macht mich grausam (Tauchgang #15)

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Clan of Xymox – A Day

Die neue Deutsche Welle ist schon fast vorbei als sich Ronny Moorings davon inspirieren lässt und 1984 zusammen mit Anke Wolbert die Band Xymox. Zusammen mit den Einflüssen aus der britischen Gothic-Rock Musik formen die Niederländer ihre Musik und veröffentlichen ihre erste EP „Subsequent Pleasures“. Nach einem Auftritt in Barcelona begannen die Dreharbeiten zu dem Video-Clip von „A Day“. Gedreht wurde dann auch gleich in Spanien, genauer gesagt in Cadaqués, einem Fischerdorf an der Costa Brava, unter anderem auch vor Salvador Dalis Haus. Das legendäre Label 4AD wurde neugierig und kaufte das Video, das später auf MTV gezeigt wurde und für den letztendlichen Durchbruch der Band sorgte. Nach zahlreichen Namenswechseln zwischen Xymox und dem Clan of Cymox veröffentlichte letzterer 2009 ihren neuen Longplayer „In Love we Trust“.

Charles de Goal – Exposition

Was mit den Gorillaz zunächst neu und mysteriös erschien, ist ein alter Hut. Charles de Goal war in den frühen 80er zu einem Mysterium avanciert, denn obwohl jeder den Underground-Kracher Exposition kannte, wusste man nicht das geringste über die Band. Das französische New Rose Label veröffentlichte das Debüt der Band und formte daraus den über die Landesgrenzen hinaus geachteten Longplayer „Algorhytmes“. Die Einflüssen von Kraftwerk, DAF, Der Plan, Gang of Four, XTC oder auch Devo waren nicht zu überhören. Die Franzosen intensivierten den technoiden Zeitgeist und kombinierten die Wurzeln des Punk mit minimalen Beats und senkten die Stimmung auf unter 0 Grad Celcius. Später nannte man es Coldwave. 2008 dann die klanglich überraschende Veröffentlichung von „Restructuration„, das die Idee von Exposition weiterentwickelt und ins Jetzt überführt.

Yazoo – Winter Kills

Synthiepopper können auch anders. Nachdem Synthie-Visionär Vince Clarke bei Depeche Mode 1981 ausstieg, gründete er mit seiner Schulfreundin Alyson Moyet die Band Yazoo. Ursprünglich sollte nur ein Song mit der damals 20-jährigen entstehen, glücklicher wurde mehr daraus. Zwischen 1981 und 1983 agierten die 2 ungleichen sehr erfolgreich und brachten auch die schöne Ballade Winter Kills heraus, die auf dem Album „Upstairs at Eric’s“ eine außergewöhnliche schöne Abwechslung darstellt. Auch den Text möchte ich euch nicht vorenthalten: „Green in your love on bright days, You grew sunblind you thought me unkind, To remind you how winter kills, Lost in daydreams you drove too fast and got nowhere, You rode on half fare when you got too scared – How winter kills – Tear at me searching for weaker seams, Pain in your eyes makes me cruel, Makes me spiteful tears are delightful welcome your nightfall – How winter kills

Ostseereise: Schöne Grüße aus Kühlungsborn

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Die Zeit war reif für ein wenig Abwechslung. Urlaubsreif war ich ja sowieso, nur mit der Umsetzung einer kleinen Reise hat es gehapert. Doch kurzerhand wurde der Entschluss gefasst, die Ostsee zu besuchen, Mecklenburg-Vorpommern sollte ja um diese Jahreszeit besonders attraktiv sein. So haben wir unsere 4 Wände kurzerhand einer guten Freundin überlassen, die für einige Tage einen Platz zum Schlafen brauchte, um ihre Familie zu besuchen.

So beginnen wir unsere kurze Reise in den Nord-Osten des Landes in Kühlungsborn, einem Ostseebad, das ich jetzt absichtlich nicht malerisch nenne, denn das ist es für mich nicht. Muss es aber auch nicht sein, denn das Meer entschädigt für einiges. Der Blick in die Ferne ohne ein visuelles Ende zu entdecken vermittelt ein unterbewusstes Gefühl für die eigene Existenz.

Und zwischen all den Menschen, die sich in ihrem Kleidungsstil einer vermeintlichen maritimen Leidenschaft unterwerfen gibt es wider meiner Erwartungen immer wieder einzelne Kleckse ästhetischer Andersartigkeit. Natürlich fällt man auf wie ein „bunter Hund“, gestern wurde man sogar fotografiert, allein weil man nicht so ausgesehen hat wie alle anderen. Nichts Ungewöhnliches, nichts Schlimmes, denn so ist es eben. Wenn man selbst in seiner schwarzen Umgebung einen wirklich bunten Fleck entdeckt,  geht es einem selbst nicht anders. Bis auf die Fotos, die spare ich mir.

Doch neben all den Rufen nach Akzeptanz und Toleranz schwingt immer die Frage mit: Will ich überhaupt akzeptiert und toleriert werden? Gehört die Provokation seines Umfelds nicht immer ein bisschen dazu? Ich habe mir vorgestellt wie es wäre, wenn man überhaupt nicht mehr auffallen würde, ob der Reiz der Andersartigkeit dann verfliegen würde. Der ursprüngliche Gedanke, der Umwelt zu zeigen das es immer eine dunkle Seite des Lebens gibt und die Welt nicht nur aus grell-bunten Freizeitwelten besteht, wäre der dann verschwunden?

Ich würde mich immer noch schwarz kleiden, weil es mir gefällt und weil für mich einfach mehr dahintersteckt als reine Provokation oder der Wunsch aufzufallen. Es wäre aber unehrlich, wenn ich behaupten würde, das mir gar nichts ausmachen würde.

Das Meer ist schuld. Die Gedanken segeln hart am Wind und haben endlich einmal Zeit in die Ferne zu schweifen. Davon abgesehen gibt es leckere Fischgerichte, das Wetter ist so wie auf dem Bild oben und morgen setzen wir unsere kleine Tour an der Ostseeküste in Richtung Osten fort.

Geschichten aus der Gruft – The Hunger (1983)

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Quizfrage: Zu welchem Film läuft das Stück „Bela Lugosi’s Dead“ von Bauhaus  im Vorspann? Richtig, ein verkannter Klassiker der vom Spiegel einst als „schick, leer und langweilig“ und dessen „dekorativer Ästhetizismus“ als Kitsch beschrieben wurde. Ein Film mit David Bowie, Susan Sarandon und Catherine Deneuve der einer der ersten Meilensteine von Blockbuster-Regisseur Tony Scott werden sollte und der sich in Düsterheit und Atmosphäre von Blade Runner, dem Werk seines Bruders Ridley Scott, inspirieren ließ.

Um welchen Film es geht? Aufmerksamen Lesern dürfte die Überschrift erste Hinweise geben, denn während er sich im britischen Originaltitel „The Hunger“ nennt, wurde er bei seiner Deutschlandpremiere 1983 Begierde genannt und ist vielen vielleicht unter diesem Titel bekannt.

Handlung? Das New York der 80er Jahre. Die beiden Protagonisten des Films, Miriam und John Blaylock, sind seit mehreren Jahrhunderten unsterblich. Das einzige was sie dafür tun müssen, ist das Trinken von menschlichem Blut. Eines Tages bemerkt John bei sich erste Anzeichen des Alterns. Von Miriam erfährt er, dass all seine Vorgänger in Miriams Gunst nach einigen Jahren anfingen rapide zu altern und Miriam sich letztendlich von ihnen abwandte. Seinen Tod vor Augen wendet er sich an die Gerontologin Dr. Sarah Roberts die zunächst keine Zeit für ihn hat. Erst als John nach einigen Stunden gehen will merkt sich, das er während dieser Zeit gealtert ist und will ihn aufhalten, ohne Erfolg. Die neugierige Ärztin macht sich auch die Suche nach dem mysteriösen John und begibt sich damit in höchste Gefahr.

Doch eigentlich geht es gar nicht um den Film, sonder vielmehr um den Song im Vorspann und den Auftritt von Bauhaus. Ich finde die Konstellation der Namen und den Zeitgeist des Films einfach zu faszinierend, abgesehen von den durchwachsenen Kritiken. Peter Murhy, Bauhaus, David Bowie, Catherine Deneuve und Susan Sarandon in eine Post-Modernen 80er New York/London Kulisse mit klassischen Vampirthema? Nein, so etwas kann man sich einfach nicht entgehen lassen. Das ist ja so was von gruftig, das die Fledermäuse unter der Höhlendecke sich im Schlafe umdrehen.

Gibt es auch bei Amazon. Wollte ich nur mal erwähnt haben.

(Bildquelle: Ambush)

Berliner Kurier: Blutengel, die finstere Satans-Band

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Und es gibt sie doch! Eine Zeit lang war ich der Meinung, das die Zeitungen bei ihrer Berichterstattung über die Gothic-Szene dem allgemeinen Gusto der Akzeptanz gefolgt wären. So manch ein Autor lässt sich zwar zu Verniedlichungen oder auch humoristischen Einlagen treiben, verbale Mutationen die an die frühen Zeiten des Unverständnisses erinnern, sind aber weitestgehend verschwunden. In einigen Redaktionen gibt es sogar Engagement, die Jugendlichen und ihre Leidenschaften zu verstehen um sich dann halbwegs informativ damit auseinanderzusetzen. Das glaubte ich jedenfalls, bis ich über einen Artikel vom 19.01.2008 im Berliner Kurier stolperte. „Verschollen im Großstadt-Dschungel“ ist zunächst einmal der ernst gemeinte Hilferuf nach 2 Ausreißern, die aus der schwäbischen Provinz nach Berlin auszogen, um die Band Blutengel zu treffen.

Was Autorin Claudia Keikus dann daraus zaubert, erzeugt meiner Meinung nach Betroffenheit und Unverständnis und ist an Polemik, Verzerrung und Phantasie nicht zu überbieten. Im Text heißt es: „Schwaben-Mädchen im Bann der finsteren Satans-Band „Blutengel“! Julia und Christin (beide 15) rissen von Zuhause aus, um die düsteren Gothic-Musiker im fernen Berlin zu finden. In was für eine gefährliche Szene sind sie da abgerutscht?“ Wir fassen zusammen: Blutengel ist eine finstere Satans-Band und die Gothic-Szene ist gefährlich. Es würde mich ernsthaft interessieren, wie man darauf kommen kann. Was ist eine Satans-Band? Und natürlich ist die Gothic-Szene nicht gefährlich, sondern im Gegenteil für ihre Abneigung gegen Gewalt bekannt.

Weiter heißt es: „Welche versponnenen Gedanken haben Julia und Christin in diesen Wahnsinn getrieben? So furchtbar langweilig kann es selbst in der tiefsten Schwaben-Provinz nicht sein. Doch da ist diese Satans-Band aus Berlin, deren Stücke „Seelenschmerz“ und „Vampire Romance“ heißen. Ist sie es wert, ein behütetes Schüler-Leben mit tollen Eltern einfach so aufzugeben?“ Schon Wolfgang Petry sang einmal: „Das ist Wahnsinn, warum schickst du mich in die Hölle?“ – Dunkler Satans-Kult und die Aufforderung den „rechten Pfad“ zu verlassen? Herrlich, ich beginne mich zu amüsieren doch der Hintergrund dieser Nachricht macht mir einen Strich durch die Rechnung.

Sind diese blauäugigen Kinder seitdem ganz in die finstere Szene abgerutscht? Denn wenn es nur ein Konzert-Besuch war, könnten sie sich doch einfach wieder melden …“ Wäre es nicht einfacher gewesen die „finstere Szene“ um Hilfe zu bitten, seine Kinder zu finden?  Offenbar scheint der Weg, die Szene als das ultimativ Böse darzustellen einfacher um den Blick der Öffentlichkeit auf das Schicksal der beiden Mädchen zu lenken.

Die ursprüngliche Meldung der Polizei, wie auf hierberlin.de zu finden ist, lautet übrigens ein wenig anders:

2 Tage später greift auf die Bild-Zeitung das Thema auf, entspannt die verbale Mutation leicht, feuert aber erneut auf die „Satans-Band Blutengel“. Vermutlich wollte beide gegen den Willen ihrer Eltern die Band besuchen und sind deshalb nach Berlin ausgebüchst. Hoffentlich sind beide wieder wohlbehalten in der schwäbischen Provinz angekommen und konnten ihr behütetes Schüler-Leben weiterführen.

Reingehört: Charles de Goal – Restructuration

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Nicht schon wieder. Die Liste der Bands, die sich nach einigen erfolgreichen Jahren in den 80er auflösten um dann in den letzten 5 Jahren auf wundersame Weise auferstehen, ist lang geworden.  In der Regel schwanken diese sogenannten Reunions zwischen peinlichen Live-Auftritten mit aufgewärmten, uninspiriertem Material und dem „Ist ja ganz nett“-Gefühl das sich breit macht, wenn die Idole von einst ihre Klassiker zum Besten geben. Meist folgt dann die Ernüchterung, denn die ursprüngliche Begeisterung die man bestenfalls der eigenen Erinnerung entnimmt, stellt sich eigentlich nie ein.

Eine Umstrukturierung, die nahezu spurlos an mir vorbeiging, war die von Charles de Goal, den französischen Coldwave Pionieren der frühen 80er, die mit „Restructuration“ 2008 ein neues Album auf den Weg brachten. Als ich jüngst dann das Stück Decadence auf dem Sampler Pagan Love Songs Vol.2 entdeckte, war meine Neugier geweckt und so habe ich spontan meine Sammlung, die eigentlich nur aus dem Erstlingswerk Algorythmes (1980) besteht um Restructuration (2008) erweitert.

Meine erste Begegnung mit den Franzosen hatte ich mit dem legendären Stück Exposition, das ich Anfang der 90er in irgendeinem schwarzen Club hörte und die mir Ohren und Verstand für das mir noch unbekannte Genre des Cold-Wave öffnete.  Charles de Goal, das war eigentlich 1979 ein Solo-Projekt von Patrick Blain, der zuvor mit der Band C.O.M.A. bereits ein Album herausgebracht hatte. Mit Synthesizer, Gitarre, Bass und Schlagzeug formte er das, was man später Cold-Wave taufte. Minimalelektronische Klänge und Beats, das aufflammende Post-Punk-Genre als Attitüde entwickelte sich daraus ein Sound, der unterkühlt und zurückhaltend wirkt, um letztendlich doch den Hörer zu faszinieren. 1986 war es dann auch schon wieder vorbei.

So pendelte ich zwischen Erwartungshaltung und Skepsis als Restructuration erklingt, doch ich sollte nicht enttäuscht werden. Nach einer kurzen Einleitung mit „Régularisez-moi“ hämmert dann auch gleich das eingängige „Passion/éternité“ durch meine Gehörgänge und sorgt zunächst für ein erstauntes „Wow!“. Auch „Choque moi“ zieht nocheinmal an mir vorbei, bevor mit „Procession“, tiefere und düstere Klänge eine Ausbreitung erfahren. Eine Ballade gibt es auch: „Figures imposées“ ist das melancholischste Stück, das von Patrick Blain tiefen Stimme lebt und wieder Lust darauf macht, französisch zu lernen. Genug der Ruhe, mit „Next Stop Disneyworld“ und „Décadence“ lässt man es wieder flotter angehen und betont mit der leicht Elektronischen und Poppigen Art mit Jetzt angekommen ist und es verstanden hat seine musikalischen Wurzeln zu verfeinern und sich weiterzuentwickeln. Das Finale biete wieder mit „Hais-toi!“ einen Höhepunkt, der zeigt, wie Punk heute klingen kann. Nach rund 45 Minuten ohne Pause ist der ganze Spaß schon wieder vorbei, ein in Deutsch gesungener Hidden-Track wirft zwar noch einige Fragen auf, passt aber gut zu dieser Fahrt mit dem TGV.

Ein „Früher war alles besser“ ist unangebracht. Es bleibt die Begeisterung, das es immer noch besser werden kann. Wer die älteren Herren auf den Bildern falsch einschätzt, wird sein französisches Wunder erleben. Die Übersetzung der Texte offenbart übrigens auch die intellektuelle Ader (das Stück Passion/éternité ist beispielsweise dem französischen Philosophen André Gorz gewidmet und handelt von seinem gemeinsamen Selbstmord mit seiner Frau Dorine) und zeigt, das Tanzexzesse auch intelligent klingen dürfen und Bewegung nicht immer kopflos erfolgen muss. Außerdem bin ich froh, dass es Ausnahmen von der Regel gibt, die ich Eingangs des Artikels beschrieben hatte.

Charles de Goal, das sind heute Patrick Blaine, Etienne Lebourg, Jean-Philippe Brouant und Thierry Leray. Neugierige besuchen die Internetseite der Band, hören sich auf MySpace noch einige andere Stücke an, oder besorgen sich das Album gleich als MP3-Download oder aber auch als Silberling.

Das Archiv der Jugendkulturen retten – Warum?

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In der Zeitung Neues Deutschland führte Redakteur Martin Kröger ein sehr informatives Interview mit dem Leiter des Archivs, Klaus Farin, das die Hintergründe der Rettungsaktion für das Archiv der Jugendkulturen anspricht.  Aus Jugendkultureller und Bildungspolitischer Sicht wirft das ein kritisches Licht auf die Hauptstadt selbst, denn obwohl hier offensichtlich viel investiert wird, bleiben wichtigere Dinge unberücksichtigt. Ein Regelförderung erhält das Archiv nicht, dass heißt eine regelmäßige finanzielle Unterstützung durch Bund, Land oder Berliner Senat fehlt. Es gibt zwar projektbezogene Mittel durch die Bundesprogramme „Vielfalt tut gut“ und „Jugend für Vielfalt, Demokratie und Toleranz“, die sind aber auf spezifische Aufgabe zugeschnitten und führen nur selten zu einem Mietzuschuss.

Einzige feste Einnahmequelle des Archivs der Jugendkulturen ist der eigene Verlag, dessen Erlös aber auch nicht ausreicht allein die Mietkosten von 5000€ pro Monat zu decken. So springen die Mitarbeiter immer wieder ein, um Lücken in der Kasse durch private Finanzspritzen zu füllen. Am 31. Oktober, dem Stichtag für die Spendenaktion läuft der Mietvertrag des Archivs auf der Fidicinstraße 3, Berlin aus. Bis dahin muss entschieden werden ob der Mietvertrag für die Räume verlängert werden kann, oder gekündigt werden muss, weitere Jahre mit Verschuldungsgarantie können und wollen die 28 Ehrenamtlichen Mitarbeiter nicht mehr auf sich nehmen. Letztendlich wäre das das Ende des Archivs in seiner jetzigen Form.

Ich möchte das Interview hier auszugsweise aufgreifen und für mich interpretieren. Das ganze Interview findet ihr in Artikel der Zeitung „Neues Deutschland“ – Archiv der Jugendkulturen geht stiften.

ND: Privat? Sie haben doch auch Geld durch das Bundesprogramm »Vielfalt tut gut«, »Jugend für Vielfalt, Demokratie und Toleranz«, Projektmittel des Berliner Integrationsbeauftragten oder EU-Gelder bekommen. Klaus Farin: Projektmittel bekommen wir. Aber die finanzieren nicht die Grundausgaben. Ab und zu gibt es einen Mietzuschuss – dafür sind wir dankbar. Aber das meiste fließt eben wieder in die Projekte hinein. Dazu müssen wir aber jeden Monat rund 5000 Euro Miete zahlen. Und die einzige Einnahmequelle, die wir haben, ist der Verkauf der Bücher aus unserer Verlagsreihe. Das reicht aber nicht. Wir schießen seit Jahren privat aus unseren eigenen Taschen so ein-, bis anderthalbtausend Euro pro Monat dazu.

ND: Allein für die Aufklärung, die Sie über extrem rechte Jugendkulturen leisten, müssten Sie doch von staatlicher Seite regelmäßig mit Geld überschüttet werden? Klaus Farin: Die Frage müsste man dem Berliner Senat stellen.

ND: Stellen Sie diese Frage denn selbst dem Senat nicht? Klaus Farin: Wir haben immer wieder versucht, Kontakte zu knüpfen. Hören aber nur, wir haben auch kein Geld, wir schließen unsere eigenen Bibliotheken, eigene Jugendklubs und da können wir Sie nicht auch noch finanzieren. Sicher wäre es die ideale Lösung, wenn wir vom Kultursenat einen Etat bekommen könnten, oder auch vom Bildungssenat, schließlich leisten wir für den Jugendkulturbereich Grundlagenforschung.

Das Archiv ist mehrfach ausgezeichnet, doch außer einem Händedruck von Ex-Bundespräsident Horst Köhler ist nicht viel geblieben. Die Einzigartigkeit zeichnet das Archiv aus und ist gleichzeitig auch sein größtes Stigma, denn dadurch lässt es sich schwerlich in bestehende Förderlinien einordnen. Die Aufgabe des Archivs wird immer noch missverstanden: „Weil viele Leute einfach nicht verstehen, dass es eine Bibliothek ist, eine Forschungseinrichtung. Dabei haben wir einen interdisziplinären Ansatz – hier arbeiten Professoren gemeinsam mit Punks an Projekten.

Eine schwierige Zeit? Die falsche Regierung? Ein engstirniger Senat? Das Archiv existiert in seiner Form nun seit 12 Jahren, genug Zeit als für mehrere Legislaturperioden, Senate und Regierung sich der Sache anzunehmen, darüber zu beraten, oder sich zu informieren – doch geschehen ist nichts. Mittlerweile fehlte sogar das Geld, die regelmäßige Zeitschrift „Journal der Jugendkulturen“ in gedruckter Form zu publizieren, so dass sie einer sparsameren – wenn auch unattraktiveren – PDF Ausgabe gewichen ist.  Man spart also wo man kann und bewegt sich für ein Archiv mit bibliothekarischem Anspruch am Rand des Existenzminimums.

ND: Dass das Archiv gute Arbeit leistet, steht außer Frage. Sie sind mehrfach ausgezeichnet worden. Klaus Farin: Diese Auszeichnungen waren jedoch nicht mit größeren Preisgeldern verbunden. Der Ex-Bundespräsident Horst Köhler hat uns gerne die Hand geschüttelt, aber keinen Cent dazugegeben. Da wir die einzige Einrichtung dieser Art überhaupt sind, fallen wir durch alle möglichen Töpfe. Weil viele Leute einfach nicht verstehen, dass es eine Bibliothek ist, eine Forschungseinrichtung. Dabei haben wir einen interdisziplinären Ansatz – hier arbeiten Professoren gemeinsam mit Punks an Projekten.

ND: Ist das der Grund, weshalb das Archiv als einzigartig gilt? Klaus Farin: Unser Ziel ist es, differenzierte Informationen über Jugendliche und deren Welten zu sammeln und diese Erkenntnisse zur Verfügung zu stellen. Es gibt nichts dergleichen in Europa. Also Forschung zu dem, was Jugendliche am meisten interessiert: Mode, Musik, Freizeitszenen, Peergroups. Außer uns sammelt das niemand, damit meine ich: authentische Medien, Flyer, Tonträger, T-Shirts, Fanzines aber auch wissenschaftliche Studien, Zeitungsberichte. Wir arbeiten das auf und stellen es jedermann, der interessiert ist, kostenlos zur Verfügung.

Jugendliche Szene lassen sich nicht mit schnöden Analysen und trockenen Zahlen analysieren, dazu muss man einfach schwarz/weiß Denken beenden und beruhigendes Schubladendenken konsequent in Frage stellen. Das Archiv sammelt das was aus der Szene stammt, trägt zusammen und sammelt auch darüber hinaus vielen Szenerelevante Publikationen und bieten so die einzigartige Möglichkeit, sich selbst ein Bild über das zu machen, was man nicht versteht.  Darüber hinaus forscht das Archiv auch selbst und veröffentlicht immer wieder entsprechende Bücher von eigenen Autoren die häufig ein differenziertes Bild zur üblichen Szene-Literatur bieten. Noch ist Zeit zur Rettung, lassen wir sie nicht ungenutzt verstreichen! Informationen findet ihr im Artikel zur Rettungsaktion des Archivs.

Neues Leben 1991: Totentanz in der Grufti-Szene

Ein blasser Mond liegt über dem Friedhof. Vom Kirchturm tönt es leise zwei Uhr: Schwarze Gestalten huschen durch eine Lücke in der Friedhofsmauer. Der brave Bürger hat längst das Licht gelöscht. Die Grufties zünden ihre Kerzen an. Ihr warmer Schein weist den Weg zu Gräbern und Gruften. Es ist wie schon so oft – und doch anders. Die Grufties nehmen dieses mal uns mit. “ Eine durchaus gelungene Einleitung für einen Artikel, der etwa 1991 in der Zeitschrift Neues Leben erschien. Doch auch der Artikel selbst scheint sich vom üblichen Vorurteils-Brei dieser Zeit abzuheben und einen eigenen Weg zu gehen.

Ich weiß, daß es nicht passieren wird. Hier, in dieser Nacht und auf diesem Friedhof, wird keine schwarze Messe zelebriert. Keiner Katze wird das Fell über die Ohren gezogen, um sie Satan zu opfern. Niemand trinkt eine Blutkonserve leer. Grabsteine und Särge bleiben unberührt. Die hier auf den Friedhof gehen verabscheuen diese Klischees, das höchstens 2 von 100 Grufties bedienen.

Damit geht die Zeitschrift auf ein Phänomen ein, das sich ebenfalls Anfang der 90er und vorwiegend in den neuen Bundesländern zu beobachten war.

Neues Leben - Totentanz 1991 Bild 2

Eine Zeit, in der wohl möglich einige Gestalten sich neu entdeckten und ausprobierten. In manchen Tageszeitungen die von 90 bis 93 erschienen war immer wieder von „Totenmessen“, „Teufelsbeschwörungen“ und „Schwarzen Messen“ die Rede, denen oft als einziges Indiz Wachsspuren auf Grabsteinen oder gemalte Zeichen im Sand der Fußwege dienten.

Die Einordnung, in der sich die Zeitschrift versucht, ist hingegen etwas eigen. „Der typische Mode-Gruft liebt vor allem seine schwarze Kluft – weite „Türkenhosen“, spitze Schuhe, Totenkopfschnallen und gestylte Frisuren.“ Soweit nachvollziehbar, die gibt es heute immer noch – die tragen zwar häufig Hosen mit D-Ringen und klotzige Boots, sind aber soweit identisch. „Lullabys sind neugierige Anfänger, die meist nicht lange durchhalten.“ Interessant, offenbar dem gleichnamigen Titel eines Songs von The Cure entnommen, bezeichnet man neugierige Anfänger als Lullabys, wohl zu seiner wörtlichen Nähe zu „Baby“. Weiter geht es mit: „Der Depri-Gruft kann keinen Sinn im Leben erkennen und vergräbt sich in seiner pessimistischen Grundstimmung.“ Soll es gegeben haben, steht aber nicht ideologisch für eine ganze Jugendkultur, aber Pauschalisierung sind ja heute auch noch in Mode. „Der Gothic beschäftigt sich mit der Kultur des Mittelalters – dem Baustil, dem Lebensstil.“ Kann man irgendwie nicht abstreiten. „Der spiritistische Gruft nimmt Verbindung zu den Toten auf, glaubt an die Unsterblichkeit der Seele und kann Sequenzen der Zukunft voraussagen. Und dazwischen liegen unzähligen Schattierungen.“ Klingt ein bisschen nach Nostradamus-Gruftie, hat es aber durchaus auch gegeben, das kann ich absolut und auch für den Westen des Landes zu dieser Zeit bestätigen. Schattierung bringt die Sache dennoch auf den Punkt, denn die Gruftie-Gothic Szene ist nie, war nie und wird nie ein homogener Haufen Jugendlichen und Erwachsenen sein.

Doch nun aufgepasst: „Drei Merkmale aber sind allen Grufties gemeinsam. Sie hassen Gewalt und tragen ihren Frust im Inneren aus. Sie lieben das Trauer-Schwarz als Zeichen der Abkehr von einer sich grellbunt und heil gebenden, in Wirklichkeit aber doch kaputten Welt.“ So ist es. Eine großartige Passage und Merkmale, mit denen sich wohl viele Jugendliche dieser Zeit identifizieren konnten. Bedenkt man die Zeit und die Quelle dieses Artikels, darf ich behaupten, es handelt sich um einen authentischen Einblick in diese Zeit, der nahezu ohne polemisches Gehabe auskommt und darstellt wie es wirklich war. Er erhebt nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit und kommt nahezu ohne Verallgemeinerungen aus, zudem der Autor selbst erkennt, das eine umfassende Darstellung wohl unmöglich ist. Irgendwie schade, das diese Zeitschrift 1992 eingestellt wurde und die 30.000 verbleibenden Abonnenten mit der sicherlich gleich guten Coupé beliefert wurden .

OMDs Lied „Enola Gay“ – Is Mother proud of Little Boy today?

Ein gleißender Blitz erhellt die Stadt. Die unglaubliche Helligkeit und Intensität verdampft die obersten Hautschichten stehengebliebener Passanten, ihre Umrisse brennen sich in die Häuserwände der Stadt kurz bevor die Druckwelle Menschen und Häuser wegreißt. Niemand im direkten Detonationsbereich überlebt den Einschlag der Bombe, die tödliche Strahlung legt sich wie ein Schleier des Todes über die Stadt. Noch während die Feuersäule den Himmel erhellt, versinkt die Erde in tiefe Finsternis. Menschen die vor der Hitze zum Fluss fliehen und davon trinken, fallen später die Haare aus. Rote Flecken bedecken den ganzen Körper noch bevor sie qualvoll innerlich verbluten.

Heute vor 65 Jahren, am 6. August 1945 zerstörte eine Atombombe die japanische Stadt Hiroshima und tötete etwa 150.000 Menschen. Um 8:15 wirft die Enola Gay, ein amerikanischer B29 Bomber seine tödliche Fracht „Little Boy“ über der Stadt ab. Zusammen mit der Bombe auf Nagasaki, die 3 Tage später abgeworfen wurden beenden die Amerikaner ihren Krieg mit Japan und unterzeichnen am 2. September die Kapitulation des Landes.

Hiroshima

Atomare Bomben und atomare Energie gewinnen in den Jahren nach Ende des 2. Weltkrieges zunehmend an Bedeutung und gipfeln in Wettrüsten und dem kalten Krieg. Die gegenseitige Androhung eines Atomkrieges der Supermächte, die zynisch unter dem Begriff Abschreckung geführt wurde, beschwor erstmals Auslöschungsszenarien der Menschheit herauf. Immer wieder scheint der Streit zwischen Ost und West zu eskalieren. In den 80ern wächst der Protest gegen atomare Machenschaften, in Deutschland wird offen gegen Atomwaffen protestiert – die vor allem jungen Menschen ersticken an der Gewissheit das es mit einem Knopfdruck vorbei sein könnte und auch die Kernenergie, die man nach der Ölkrise 1973 als Heilmittel für eine einseitige Abhängigkeit sah stößt auf Kritik. Atomkraft? Nein Danke.

1980 schrieben Orchestral Manoeuvres in the Dark (OMD) ihren Song Enola Gay das die Ereignisse in Hiroshima musikalisch umsetzt und den ich heute anführen möchte um an den Tag zu erinnern.“ Is mother proud of Little Boy today?“ heißt es in dem Song – Ist die Mutter stolz auf ihren kleinen Jungen?

Dokumentation (1985): So war das SO36

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Nichts scheint fester mit der Berliner Punk-Geschichte verbunden zu sein, wie das SO36. Die historische Halle im ehemaligen Zustellbezirk 36, diente am 12. August 1978 einem zweitägigen Mauerbaufestival (wissende achten auf das Datum), dem ersten Festival der aufstrebenden deutschen Punk- und NDW-Szene.  Eigentlich hatte so ziemlich alles, was heute als Ursprung einer ganzen und höchst umstrittenen Musikrichtung gilt, im SO36 gespielt. Nicht vom Punk, sondern von der Neuen Deutschen Welle ist die Rede, dem deutschen Bruder des englischen New-Wave, der im späteren Verlauf durch musikalische Lächerlichkeiten und Kommerzialisierung zur Phrase degradiert wurde.

Aber da war das SO36 schon wieder zu. 1983 übernahm ein türkischer Pächter die Hallo, eröffnete einen Hochzeitssaal, der aber noch im selben Jahr vom Bauamt geschlossen wurde. 1984 gab es dann eine Internationale Bauausstellung, die aber kurze Zeit später von den Vertriebenen Besetzer des KuKuck gestürmt wurde. Das duldete die Obrigkeit bis etwa 1987, denn das „Zentrum für Punk und Rock“ war mehr und mehr als Ausgangspunkt von Straßenschlachten der Berliner Hausbesetzerszene geworden, die meist auf der Oranienstraße ausgetragen wurden.

Genug Geschichte. 1985 machten Manfred Jelinski und Jörg Buttgereit eine Dokumentation „So war das SO36“, die 1997 auch als Video erschien – ein Muss für jeden NDW Historiker, der weiß, das die Neue Deutsche Welle nichts mit brennenden Taschenlampen, verkorksten Astronauten oder Luftballons zu tun hat. Werkstattkino fasst zusammen: „Eine Hommage an den berühmtesten Punk-Schuppen seiner Zeit. Die Kamera dicht am Geschehen, direkt vor der Bühne neben Schlagwerk, Gitarre und schwarzen Lederstiefeln. Die Körnigkeit des hochempfindlichen Filmmaterials (Super 8) im Pogotaumel, fliegende Bierbüchsen im bunten Nebel aus Bühnenlicht, Qualm und verdunsteten Schweiß und die authentische Geräuschkulisse erbitterter Fans. Mit Einstürzenden Neubauten, Lorenz Lorenz, Betoncombo, Die tödliche Doris, Malaria und vielen anderen mehr.

Warum schreibe ich darüber? Bei mogreen gibt es dazu ein paar Filmsequenzen, die nochmal so richtiges „So war es wohl früher“ Gefühl vermitteln, gewürzt mit Neid „Schade das ich nicht dabei gewesen bin“ und einer Spur Mitleid für die Musiker „Bierdose an der Rübe müssen doch unheimlich zwiebeln“. Hier die ganze Playlist: