Horror-Entertainment: Ein schrecklich schauriger Zirkus

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Die Löwenbändiger und Elefanten-Dompteure haben verstanden. Ihre Künste sind lange nicht mehr so gefragt wie vor 100 Jahren, heute betrachten viele das tierische Spektakel im klassischen Zirkus als überholt, nicht artgerecht und überhaupt völlig überflüssig. Auch die Clowns haben es nicht mehr leicht. Den Menschen mögen nicht mehr über Clown lachen. Der permanente Leistungsdruck, die Ellbogengesellschaft und zunehmende Resignation machen einfach nur noch traurig – wenn man heute lacht, dann aus Schadenfreude. Nicht zuletzt die armen Hochseilartisten. In schwindelerregender Höhe über ein Drahtseil zu laufen, schockiert dank des Fernsehprogramms aus Dschungel-Camp, Schönheitsoperationen und Frauentausch niemanden mehr. Mit oder ohne Netz war dabei völlig gleichgültig. Der Mensch ist kaum noch zu unterhalten, Julius Caesar erkannte schon vor Christi Geburt, dass Blut und Gewalt mehr Besucher locken als Theater, Poesie oder doofe Wagenrennen. Okay, die Wagenrennen waren beliebt, vor allem wenn es spektakuläre Unfälle gab.

Vor rund 100 Jahren war der Zirkus eine Sensation und ein gern gesehener Gast in jeder Stadt. Die Menschen waren noch nicht gesättigt vom alltäglichen Fernsehprogramm. Heute will kaum noch jemand dressierte Tiere sehen, Tierschutz ist in jeder Munde. Eine schöne Entwicklung, denn Tiere sollten nicht eingesperrt und abgerichtet werden. In den letzten Jahren sind Akrobaten und Artisten gefragte Körperkünstler, auch wenn es immer schwerer wird, die Nerven der Zuschauer zu kitzeln. Doch der Zirkus beherbergt kreative Menschen. Der böse Clown ist spätestens seit „ES“ ein Grund sich zu gruseln. Kettensägenschwingende Maskenmänner, gebildete Kannibalen und höchst ansteckende Zombie-Epidemien sind durch die Kinoleinwand in den Köpfen der Menschen.

Also kombinierten die frustrierten Artisten und Akrobaten ihre Talente mit dem aktuellen Zeitgeist. Warum nicht mit Kettensägen jonglieren? Warum nicht mit blutverschmierten Kostümen und Masken die Leute faszinieren? Warum nicht die Menschen mit realem Horror begeistern? Seit einiger Zeit treibt ein Circus des Horrors oder auch der Horror Circus in Deutschland ihr „Unwesen“:

Getreu dem Motto „Nervenkitzel mit Gänsehautgarantie“ erlebst Du eine innovative und immer wieder überraschende Show. Tauche ein in die Welt der lebenden Toten und nehme Platz am Rande der Manege der Dämonen, Vampire und besessenen, verrückten Artisten und durchgeknallten Clowns. Die Artisten, die Du hier erlebst, sind die Besten der Besten. Erlebe halsbrecherische Stunts mit Motorrädern und am Rad des Todes umgeben von Feuersäulen und Lasershows. Die Ballett-Girls sind wunderschön aber gefährlich. Unwirklich erscheint die schöne Drahtseilartistin, die sich erst vor kurzer Zeit in diesen Circus verirrt hat und die noch nicht hundertprozentig Teil dieser Welt ist.

Begeisterte Löwen in der Serengeti teilen ihre Antilope mit Artgenossen und die erleichterten Elefanten verpassen ihrem Kollegen nur aus Freude an der Freiheit eine Wasserdusche. Wurde aber auch Zeit, dass die Tiere endlich wieder ihre Ruhe finden dürfen. Ein Gefahr für die Spezies „Mensch“ sind sie schon lange nicht mehr, nun müssen sie vor dem Menschen geschützt werden. Menschen begeistern Menschen, so sollte es sein.

Horror Circus
Der Horror Circus aus Süddeutschland ist vom 28. März bis zum 14. April 2013 auf Tour. Weitere Infomationen gibt es HIER

Bleibt die morbide Form des Nervenkitzels. Was jagt uns kalte Schauer über die Rücken? Warum schauen wir uns Horrorfilme an?  Warum wollen wir uns Gruseln? Vielleicht ist es ganz einfach: Es geht um das kurzzeitige Gefühl der Angst, es geht um Ekel, Grauen, Gewalt, Mord und Blut. Dinge, die uns selber nie widerfahren sollen, die uns aber doch so sehr faszinieren, dass wir nicht wegschauen, den Film einschalten oder der Link anklicken. Kontrollierte Grenzerfahrung als Adrenalinquelle, aus Angst wird Programm, Ekel wird Entertainment. Diese Dinge haben sich offenbar sei Julius Caesar nicht geändert, auch wenn heute keine Menschen dabei sterben müssen.  Es scheint weit hergeholt und doch beschreibt die Vergangenheit eine düstere Zukunftsvision.

Bleiben wir in der schrecklichen Gegenwart.

Wir gruseln uns gerne. Das Horror-Genre erfreut sich seit Jahren an stetigem Absatz und blühendem Nachwuchs. In der Jugend ist man ganz versessen darauf zu erfahren was sich hinter „Freitag der 13.“ oder „Halloween“ verbirgt. (Wohlgemerkt zu meiner Jugendzeit) Sie schmeckten nach der verbotenen Frucht, man wollte uns durch Altersbeschränkungen davor schützen und machte uns eigentlich nur noch neugieriger. Doch Horror ist aus der Versenkung emporgestiegen, was früher einsamen Nächte vor dem Fernseher vorbehalten war, findet sich heute überall. In Großstädten formieren sich „Zombie-Walks“, bei denen man blutverschmiert durch die Stadt läuft und auch beim Karneval und einschlägigen Gothic-Festivals gehört Kunstblut zur Grundausstattung. Und ja, die Nennung dieser beiden Dinge in einem Satz ist pure und schamlose Absicht. Ist als auch dieser Trend schon wieder nicht mehr zum gruseln?

Der Circus of Horrors aus England, das extremere Gegenstück
Der Circus of Horrors aus England, das extremere Gegenstück

England, ein noch grusligeres Land. Schon wegen seiner Geschichte. Hier ist auch der härtere Bruder, der „Circus of Horrors“ zu Hause, der sich dort größter Beliebtheit erfreut. Hier geht es immer eine Spur extremer zu als bei seinen Ablegern und immer einen Hauch schockierender als erwartet. Ein weiterer Schritt in die Zukunft? Hier gleicht die Bühnenperformance einer Mischung aus Freak-Show, SM Einlagen, Porno und Live-Piercing. Eigentlich nichts, was wir nicht schon einmal irgendwann in dunkler Vergangenheit hatten, vielleicht nicht in dieser Kombination und nicht auf einer Bühne.

Und dieser Zirkus ist dann auch ganz sicher nichts mehr für Kinder. Jedenfalls noch nicht. Vielleicht laufen ähnlichen Dinge ja irgendwann im Nachmittagsprogramm der privaten Fernsehsender. Schockmittel verbrauchen sich mit der Häufigkeit ihres Einsatzes und Dank der vielen Möglichkeiten blitzschneller Verbreitung sind diese Mittel in Windeseile um den Globus.

Ein „Gruftie“ schockiert auch schon lange keinen „Normalo“ mehr. Im Gegenteil, kindliche Neugier, Begeisterung, Anerkennung und Kontaktfreude verwirren den Ur-Gruftie schon seit Jahren. Der wollte eigentlich nur in Ruhe gelassen werden. Angesichts aktueller Entwicklungen bleibt jedoch die Frage, womit wir in Zukunft noch schockieren können.

Spontis Wochenschau #03/2013

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In Zeiten wie diesen plätschert das Leben vorbei. Man fühlt sich, als hätte man nichts geschafft, nichts erledigt, nichts bewältigt. Die Zeiger der Uhr bewegen sich unaufhörlich vorwärts, es ist so, als befänden sich die Zeiger in einer fließenden Bewegung. Früher, da hatte ich mal Langeweile und die Zeit ging nicht vorbei. Heute traut man sich ja nicht mehr, nichts zu machen. Oder mal gar nichts zu tun. „Wie gehts Dir?“ – „Mir ist langweilig.“ – „Was? Also ich würde ja…“ Heute streitet man vehement ab, Langeweile zu haben. Es gibt immer was zu erledigen, immer schon wollten man die eine Sache in Angriff nehmen und überhaupt könnte man sich jetzt wieder mehr den anderen Dingen widmen. Sie ist und bleibt negativ behaftet, diese Langeweile. Wer schuld daran ist, klären die Philosophen oder vielleicht Momo. Ich genieße meine gelegentliche Langeweile. In dieser Zeit bin ich unproduktiv, langsam und träge. Ich konsumiere hemmungslos, phantasiere und lasse mich berieseln. Musik, Spiele und gute Filme. Ich spüre förmlich, wie der Akku wieder lädt. Solltet ihr mal versuchen, diese Langeweile. Sie ist nicht negativ, sondern nur fremd.

  • Gina schläft nicht im schwarzen Sarg | lokalkompass.de
    Schade. Ich habe doch tatsächlich gehofft, endlich würden sich wieder Klischees erfüllen. Die Seite lokalkompass.de bietet ambitionierten Autoren eine Plattform, sich über ein Thema auszulassen und über Kommentare mit dem Leser in Kontakt zu treten. Ganz so, wie es auch in Blogs gemacht wird. Daniel Magalski, ein Moderator der Bürger Community, geht mit gutem Beispiel voran und berichtet über Gina (25), eine Anhängerin der Gothic-Szene. „Sie schläft nicht im Sarg, hat keine Fledermäuse als Haustier. Solche Vorurteile gegen die Gothic-Szene gibt es viele. Gina trägt eben gerne Schwarz und viel Metall im Gesicht. Sie ist ein Gothic. Und hinter der dunklen Fassade ein ganz normaler Mensch.“ An dieser Stelle sei die Frage gestattet, warum sich alle immer auf „Normal“ herunterbrechen lassen müssen. Auch dieser Artikel bleibt an der Oberfläche, kein Grund, kein Warum, kein Gefühl. Gina, wer bist du?  „Wenn ich zum Arbeitsamt gehe, nehme ich die Piercings raus“, erzählt sie. Und für den Besuch bei der Oma kämmt die Enkelin die Haare brav über die rasierte Kopfhaut. Gina grinst. Gegen die Piercings hat Oma zwar nichts, die Glatze aber findet sie ziemlich schrecklich. „Ich sehe hart aus für eine Frau“, weiß Gina um ihre Wirkung in der Öffentlichkeit. „Hinter der harten Schale steckt aber ein weicher Kern.“ Und eine Frau mit ganz normalen Zielen.
  • David Bowie: Künstler der farbigen Hitzigkeit | Süddeutsche
    Nach rund 10 Jahren veröffentlicht David Bowie, der hübscheste 66-jährige der Welt, ein neues Album. Für sein Album „The Next Day“ blickt Bowie in seine Vergangenheit. Die Ballade „Where are we now?“ widmet er dem geteilten Berlin. Er singt über die Nächte im Schöneberger Tanzlokal „Dschungel“, über den Mauerfall und sich selbst. „Die Leute in Schöneberg summen es vor sich hin, während sie ihre Wolfgang-Müller-Büchlein über die alte Westberliner Subkultur nach Hause schleppen, die sich in den Buchhandlungen neben den Ausgangskassen stapeln: „Where We Are Now“ von David Bowie, Hymne der aktuellen Alter-Westen-Nostalgie. Ein Taxifahrer, angetan von dieser sagenhaften Aufwertung seiner Jugendzeit, erzählte neulich – wir glitten gerade an der fraglichen Bowie-Iggy-Wohnung in der Hauptstraße vorbei – von Begegnungen mit Bowie und Romy Haag in Charlottenburger Oma-Cafés. Seine Frau war damals Punk, er dagegen Blues-Rocker. Und in welcher Mitte habt ihr euch getroffen, bei Dr. Feelgood?
  • The Macabre Noir Interview | Gothic Tea Society
    Sie ist Selbstdarstellerin und Künstlerin. Macabre Noir, aufgewachsen in ländlicher Umgebung im Westen von Pennsylvania, zeichnet Bilder, malt Gemälde und bastelt Kunstobjekte und Puppen im Tim Burton Stil. Und sie ist Goth. Jedenfalls nach ihrer Definition: „In my opinion, (Goth) it is a state of mind and an appreciation for the darker things in life.  The understanding of things that are misunderstood and often feared by society as a whole.“ Ihre Eltern, ebenfalls künstlerisch aktiv, förderten ihre Tochter. Ihre „Makabere“ Kunst mit der dunkle Attitüde brachte ihr den Spitznamen „Macabre Noir“ ein. Und überhaupt ist ihre Kunst „angry„. Denn das liegt an der restlichen Gesellschaft: „The human race’s inability to accept one and other for differences, flaws, beliefs, and lifestyles.  If we were all born the same, it would be a hella boring world, and I don’t understand why you would want to hurt someone for not being the same as you are.  It’s ridiculous. Also, animal cruelty….I go insanely, blindly, tear filled, angry when I see those awful abuse pictures that get passed around on Facebook.  I can not fathom why anyone would want to torture, abuse, or brutally kill an innocent creature with no understanding of why it is happening to them.  I can’t imagine the fear and confusion.
  • Grusel-Tour in Mexiko: Insel der Zombie-Puppen | Spiegel Online
    Ronny nimmt mir die Worte aus dem Mund. „Und weil wir gerade beim Thema sind: in Mexico gibt es eine Insel, auf der ein alter Mann mal damit begann, Spielzeug-Puppen in die Bäume zu hängen. Das tat er, weil vor dieser Insel einst ein Mädchen tödlich verunglückte und er ihren Geist wohlwollend stimmen wollte.“ Der Artikel selbst liest sich wie ein Drehbuch für den nächsten Horror-Klassiker: „Wie kleine Kinderleichen hängen Hunderte von Puppen an Baumstämmen aufgeknüpft. In den Wipfeln schaukeln sie an Leinen, die quer über die Insel gespannt sind. Manche sind wie Mumien in Spinnennetze eingewoben, einer Babypuppe krabbeln rote Käfer aus den Augenhöhlen heraus. Vielen fehlen Arme oder Beine, einige sehen wie Brandopfer aus: Die Sonne hat ihnen die Gesichter schwarz versengt, die Plastikhaut ist von der Hitze aufgeplatzt und wirft Blasen“ Jetzt mal eben nach Mexiko. Olé!
  • Interview: She Past Away | Otranto-Archive
    Auch mir sind sie aufgefallen. Eigentlich durch ein Kürzel hinter der Ankündigung auf der Seite des WGT. „TR“ sollte doch nicht wirklich bedeuten, dass es sich um eine türkische Band handelt? Gothic, oder besser gesagt Wave nachdem ich ihre Musik gehört hatte, passte für mich nicht mit der Türkei zusammen. Offensichtlich ein Fehler, Vorurteil und Kurzsichtigkeit. Schnell konnte ich mich für die Band begeistern und wollte mehr erfahren. Gut, dass es Karnstein (übrigens völlig losgelöst) ganz ähnlich erging und er bereits ein kleines Interview mit der Band führen konnte. Die wichtigste Frage wurde auch gleich geklärt: Worum geht es überhaupt in den Texten? „Grob gesagt geht es in unseren Texten um Geister, Ungewissheit, Nichtigkeit, religiösen und sozialen Druck und Ausbeutung. Wir versuchen aber nicht direkte Botschaften rüberzubringen sondern kritisieren mehr unsere Lebensumstände.“ Kleiner Hinweis: Auf ihrer Facebook-Seite gibt es alle Texte zum nachlesen.
  • Unwort des Jahres 2012 | Werturteilsfrei
    Die Spannung steigt. Dann die Enttäuschung. Dann Entsetzten gepaart mit Empörung. Tobikult war an der TU Darmstadt unterwegs um bei der Verkündung des Unworts dabei zu sein: „Da hat bei mir erst mal gar nichts geklingelt und so war ich neugierig auf die Begründung der Jury. Die hat das Wort angeblich von Jörg Kachelmann mehrfach gehört, der damit behauptete, dass Frauen, durch gezielte Falschaussagen, Männer hinter Gitter führen könnten. Die Jury findet, das Wort ******* stelle “in diesem Zusammenhang Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein.”  Die anderen beiden Unwörter ********** und ***********  finde ich viel relevanter. Sie drohen, in den alltäglichen Sprachgebrauch vieler Menschen Einzug zu halten, ohne dass eine kritische Überprüfung der Begriffe erfolgt.“ Die Auflösung gibt es nach dem Klick. Und eins sage ich euch: Der Blick in meinen Feed-Reader kommt manchmal einem *********** gleich, ständig nur Nachrichten über die ollen *************! So langsam wird es echt Zeit für meine ***************, die habe ich mir redlich verdient.
  • Kunst auf Israelisch | Everyday is Halloween
    Was braucht man, um in Israel künstlerisch tätig zu sein? Nun, einen Rucksack, ein paar Dosen Sprühfarbe und eine Bushaltestelle. Den Rucksack lässt man dort unbeaufsichtigt stehen, baut eine Kamera in sicherer Entfernung auf und wartet. Den Rest erledigen Jahrzehnte aus Angst, Schrecken und Terrorismus.
  • MDR-Feature über Steampunk | Clockworker
    Irgendwie ein dämlicher Titel der MDR-Sendung. „Aussenseiter Spitzenreiter“? Aber gut, darum soll es nicht gehen. Der MDR hat sich auf die Spuren des Steampunk begeben und besuchte steampunker.de zu Hause. Fazit: Nein, auch Steampunks sind nicht gefährlich. Blöd. Ist denn keine ehemaligen Subkultur mehr rebellisch, gefährlich und provokativ? Hach. Was waren das für Zeiten, als Leser fragte, ob sie vor „Gothics“ Angst haben mussten…

https://www.youtube.com/watch?v=P32hYKPufVU

Fauns neues Album „Von den Elben“ von den Fans Unheilig gesprochen

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Seit Januar 2013 schlägt der bayrischen Pagan-Folk Gruppe Faun ein rauer Wind entgegen: „Ausverkauf!„, „Ihr verratet eure Ideale!“ oder „Was habt ihr euch dabei gedacht?“ hagelt es in den Kommentare auf ihrer Facebook-Präsenz. Das neue Album „Von den Elben“ und ein Wechsel zum Major-Label Universal entpuppen sich als Steine des Anstoßes. Irgendwie kommt mir das alles sehr bekannt vor.

Wir erinnern uns, 2001 gab ein Band namens Unheilig ihre Premiere auf dem Wave-Gotik-Treffen. Die Art der Musik trifft den Zeitgeist der schwarze Szene, ihr Stück „Sage ja!“ avanciert zum Underground Klassiker. Der „Graf“ prägt zu dieser Zeit gemeinsam mit anderen Bands das aus dem Boden gestampfte Genre „Neue deutsche Härte“ und erarbeitet sich in den folgenden Jahren eine breite Hörerschaft innerhalb der Szene. Doch die Band entwickelt sich. 2010 erscheint das Album „Große Freiheit“, dass durch seine poppige, seichte und massenkompatible Art eine völlig neue Hörerschaft anspricht. Das neu gewonnene Major-Label Universal vermarktet das Album massiv und verschafft Unheilig eine unglaublich hohe Medienpräsenz die das Album innerhalb kürzester Zeit auf Platz 1 der Albumcharts katapultiert. Vielen eingefleischten Fans der Band ist das zuviel Kommerzialisierung, sie „trennen“ sich von Unheilig und werfen dem Grafen einen Verkauf seiner Authentizität vor und stempeln ihn zum Schlagersänger. In einem Interview mit dem Stern äußert sich der Graf zu den Vorwürfen: „Es ist seltsam, jahrelang haben mir die Menschen vermittelt, wie wichtig ihnen meine Musik ist, und dann ändere ich ein wenig mein Äußeres, lasse den schwarzen Nagellack und diese weißen Vampirkontaktlinsen weg, und plötzlich zählt meine Musik nicht mehr. Plötzlich sagt man: Der singt jetzt kommerzielle Balladen. Der ist keiner mehr von uns. Ich verstehe das bis heute nicht. Wenn du die Akzeptanz der Leute nicht mehr hast, die du so lange kennst, dann tut das weh.“ Was das mit Faun zu tun hat? 

Musikalische Entwicklung und Erwartungshaltung

Seit 1999 spielen Faun ihre Art der Musik, die sie selbst „Pagan Folk“ nennen. Zu Beginn noch als klassische Mittelalterband, die sich mit Musik, Sprachen und Instrumenten aus den verschiedensten Epochen und Regionen beschäftigte, eröffnen sie sich 2003 mit ihrem Album „Licht“ durch den Einsatz von Synthesizern und Elektronik eine ganz neue Hörerschaft und die Herzen der Gothic-Szene. Stücke wie „Egil Saga“ zeigen im Wechsel mit dem Stück „Isis“ die ganze Bandbreite der Band und begeistern auch mich.  Jedes Album der Band ist eine Stufe ihrer Entwicklung, die bis jetzt von vielen sehr wohlwollend aufgenommen wurde. Während ihr Debüt-Album „Zaubersprüche“ mit ruhigen Balladen aus Mittelalter und Romantik begeistert,  zeigt man durch das zweite Album „Licht“, wie Elektronik das angestaubte Genre bereichern kann. 2005 erscheint „Renaissance“, das sich mit Tod und Wiedergeburt beschäftigt und das die Stärken der Band eindrucksvoll verbindet. „Satyros“ steht im sprachliche und musikalischen Gegensatz zu „Rosmarin„. Mit „Totem“ überwinden Faun 2007 ihre Abgründe und schaffen es wieder einmal, sich mit „2 Falken“ oder „November“ in mein musikalischen Langzeitgedächtnis zu spielen. 2011 widmet sich „Eden“ der mythologischen Vorstellung des Paradieses und zeigt deutlich, dass Entwicklung und Abwechslung ein stetiger Begleiter der Band sind. „Zeitgeist“ prägt die musikalische Linie.

Tanz mit mir - Faun
Bildschirmfoto vom aktuellen Song „Tanz mit mir“ im Duett mit dem Schlagersänger Santiano

Als sich 2012 die Veröffentlichung von „Von den Elben“ abzeichnet, ist die Erwartungshaltung groß, doch die Entwicklungen im organisatorischen Umfeld der Band werden kritisch beäugt. So sehen viele Fans bereits den Wechsel zum Major-Label Universal“ als Anfangs vom Ende. Auch innerhalb der Band gibt es Veränderungen, so ergänzen Sonja Drakulich und Stephan Groth  die Band und lassen mit Spannung erwarten, was das neue Album bringt. Mit der Veröffentlichung wird dann offensichtlich, dass man sich klanglich und musikalisch in eine massenkompatiblere Richtung bewegt. Schon der Sprachgebrauch, der bislang durch Ausflüge in viele Sprachen älterer Epochen abwechslungsreich gehalten wurde, spricht deutliche Bände und scheint darauf abzuzielen, von wesentlich mehr Menschen verstanden zu werden. Die Lyrik alter Zeiten, verschwindet mit der Textzeile „Und später Schöne teil das Bett mit mir, dass ich nicht so frier“ aus dem Stück „Tanz mit mir“ völlig im Nirvana. Dieses Duett mit Schlagersänger „Santiano“ ist zentraler Reibepunkt der Diskussion um die neue Marschrichtung von Faun. Offenbar ist es der Band jedoch ein Anliegen, ihre Beweggründe zu erklären, so heißt es im Booklet dazu: „[…] haben wir uns hier auf Wunsch der Plattenfirma einem weit verbreiteten Thema des Mittelalters gewidmet„. Das erscheint mir eher wie Öl in das Feuer der Kritiker, als eine Rechtfertigung für eine Neuorientierung. Stücke wie „Andro II“ oder „Bring mich nach Haus“ zeigen unterdessen die alten Qualitäten der Band und knüpfen an alte Traditionen an. Coverversionen wie „Schrei es in die Winde“ (Omnia) oder das „Minne Duett“ (mit Subway to Sallys Eric Fish) runden die Sache ab.

Willkommen bei Carmen Nebel!

Die musikalische Qualität hat jedoch nicht gelitten und ist – wie gewohnt – auf höchstem Niveau, der Klang hat viel von seiner „Andersartigkeit“ eingebüßt und fühlt sich für die meisten Fans fremd und glattgebügelt an. Doch das bleibt Geschmackssache, subjektiver Eindruck und wird an zahlreichen Stellen im Netz intensiv diskutiert. Als Faun jedoch am 16. Februar einen Auftritt in der Schlagersendung „Willkommen bei Carmen Nebel“ absolvieren, scheint das virtuelle Fass zum überlaufen zu bringen. Unzählige Kommentare auf der offiziellen Präsenz auf Facebook waren ein für die naturverbundenen Musiker ein völliger neuer Sturm der Entrüstung. Man warf der Band vor, ihre Ideale zu verkaufen und die Musik kommerziellen Interessen zu unterwerfen. „Bei einigen Lieder höre ich ihn – diesen Klang von Schlips und Krawatte.“ Das aktuelle Video zu „Diese kalte Nacht“ unterstreicht den „glänzenden“ Eindruck:

Die aufkochenden Emotionen, Meinungen und Unterstellungen bewegten sogar Frontmann Oliver Pade zu einem Statement. Mit so starken Gegenwind hatte er nicht gerechnet und obwohl es ihn schmerze, wie manche Dinge gesehen würden, so würde es ihn dennoch freuen, dass sich noch so viele Menschen mit der Musik beschäftigen.

„VON DEN ELBEN“ – EIN NEUER WEG? – […] Wie auch bisher ist die Welt viel zu farbenfroh und wir zu begeisterungsfähig, um uns einschränken zu lassen. […] Eine Veränderung heißt nicht, dass alles anders wird und anders bleiben muss, aber gewisse Schritte auszuprobieren, war für uns immer der richtige Weg. Schlimmer wäre es, glaube ich, über viele Jahre genau das gleiche Ding zu machen und still zu stehen, ohne sich überhaupt weiter zu entwickeln.

Eine Entwicklung – egal in welche Richtung – ist immer eine Entscheidung der Künstler, die ganz bewusst getroffen wird. Man sollte tatsächlich nicht erwarten, dass etwas so klingt, wie man es wünscht, sondern dass es sich bei Faun um Menschen mit eigenem Geschmack handelt, der sich in ihrer Musik äußert. Viel schwerer wiegt für die meisten Fans jedoch, dass man sich durch den Schritt zum Major-Label Universal einer Maschinerie unterworfen hat, die bei vielen anderen Bands bereits zu einem Ausverkauf geführt haben. Oliver Pade dazu:

Wir glauben aber auch, dass wir mit unserer Musik und mit FAUN eine größere Aufgabe haben, wie nur zu unterhalten. Wir haben eine klare Botschaft und glauben, es ist in diesen Tagen wichtiger denn je diese weiterzureichen. Von daher war dies für uns eine klare Chance, um mehr Menschen gerade für unsere Themen zu sensibilisieren. Um diese Chance wahrzunehmen, mussten wir gerade beim Erstlingswerk für Universal musikalische Kompromisse machen […] Und doch ist es glaube ich sinnvoll, dass wir jenes was wir gemeinsam seit vielen Jahren wissen und erlebt haben an dieser Stelle mit einer grösseren Öffentlichkeit teilen. Wir können etwas verändern, da sind wir uns sicher. Allein das allgemeine Interesse für Themen wie „der Herr der Ringe“, „Game of Thrones“ aber auch für Schamanismus und Naturreligion zeigt doch, dass in unseren Tagen eine große Hinwendung stattfindet zu Mythen, Märchen und dem Animismus einer lebendigen Natur.

Man fragt sich schon, ob hier unbeschwerte Naivität auf knallharte Realität trifft. Ich bin mir unsicher, ob man sich und seine Ziele der Veränderung, auf diesem Wege erreichen kann. Es ist sicher ein großes Ziel, der Welt auf diesem Weg ein Stück „Faun“ einzupflanzen. Einer Plattenfirma wie Universal sind diese Ziele in der Regel völlig egal, hier zählen der Profit und der Umsatz, die von einem „Produkt“ abgeworfen oder erzeugt werden. Ob sich Faun dem auf Dauer unterordnen kann, bleibt abzuwarten. Immerhin gibt er zu, dass das Gefühl, seinen Song im Schlagerradio zu hören nicht „prickelnd“ war, obwohl der Diplomat sich auch hier die erwünschte Wirkung erhofft. Den Auftritt im Fernsehen nimmt man ebenso wahr:

Ich glaube an dieser Stelle ist es wichtig, nicht in einer Gollum-Attitüde seinen Schatz zu verstecken, sondern gewisse Inhalte nach Außen zu tragen. Die Tatsache, dass wir nun im Fernsehen in Erscheinung treten, heißt ja nicht, dass wir unsere Ideale aufgegeben haben, im Gegenteil, wir versuchen mehr Menschen für unsere gemeinsamen Ideale zu gewinnen. […] Wir werden hier absolute Außenseiter sein, darauf sind wir stolz und das wird so bleiben. Aber dies ist auch eine riesen Chance, keine andere Band würde sich solch eine entgehen lassen.

Ob es an Ehrlichkeit mangelt oder die nötige Courage fehlt, um zuzugeben, dass man mit seiner Musik Geld verdienen möchte, sei einmal dahingestellt. Ich glaube, das wäre doch der verständlichste Punkt. Wenn man 10 Jahre seinen Lebensunterhalt in einer kleinen Szene verdient und im Sommer über Mittelaltermärkte tingelt, kann jeder den Wunsch, von seiner Musik zu leben, mehr als nachvollziehen. Die Verkaufszahlen des letzten Albums sprechen offensichtlich eine deutliche Sprache, denn die waren – so unterstelle ich einmal – nicht so berauschend, obwohl hier mehr Faun drinsteckte als man vermuten würde.

Ein Bildschirmfoto der Universal-Seite. Ein Zufall, welche Künstler hier als "ähnlich" präsentiert werden.
Ein Bildschirmfoto der Universal-Seite. Ein Zufall, welche Künstler hier als „ähnlich“ präsentiert werden.

Ideale und Risiko

Es ist ja nicht zwangsläufig so, dass man mit kommerziellem Erfolg seine Ideale verliert, seine Musik verändert und dem Geschmack der breiten Masse anpasst. Vielmehr geht es doch um Glaubwürdigkeit, die nun mal darunter leidet wenn Songs die Menschen zu Mythen, Märchen oder einer lebendigen Natur tragen sollen, zwischen den üblichen und oberflächlichen Schlagern gespielt werden und als Reihenfolge im Programm wahrgenommen werden. Im weiteren Statement-Verlauf spricht Oliver Pade davon, dass Universal ein großes Risiko mit Faun eingegangen wäre, als man die Band verpflichtete. Das halte ich für ein Gerücht, Firmen wie Universal gehen wenig Risiken ein, hier herrscht Kalkül und vielleicht möchte man sein Mittelalterprogramm, dass mit Subway to Sally und In Extremo sehr rockig bestückt ist, mit Faun um eine etwas ruhigere Spielart erweitern. Ein Platz 7 in den deutschen Mediacontrol Albumcharts ist jedenfalls kein Risiko.

Und ja, ich wünsche mir sehr, dass Faun sich nicht einfangen lässt von der Gier nach mehr. Ich wünsche mir weiterhin kleine Konzerte auf Mittelaltermärkten und kleinen Veranstaltungsorten. Ich wünsche mir, dass sich Faun treu bleibt, der aktuelle Erfolg sei ihnen gegönnt. Leider zeigt das Beispiel Unheilig in eine andere Richtung und macht nicht gerade Mut auf das, was kommt.

Wer Lust bekommen hat, sich mit Faun zu beschäftigen und im Augenblick des Lesens überdrüssig geworden ist, sein dieses Interview zum aktuellen Album ans Herz gelegt. Es unterstreicht die Ideale, die Faun mit ihrer Musik verfolgen und zeigt, wie man den Schritt zum Major-Label und einem professionellen Produzenten-Team erklärt. Wer lieber lesen möchte, was andere zu dem Album „Von den Elben sagen“, sei die Reviews auf metal.de, Himmelsnetz oder laut.de empfohlen.

 

Richard Wagner und das WGT 2013 – Parsifal am Völkerschlachtdenkmal

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Schon jetzt ächzt die Stadt Leipzig unter der bevorstehenden Doppelbelastung zweier Großereignisse, die auf einer Seite nicht unterschiedlicher und auf der anderen Seite nicht artverwandter sein könnten. Zum 200. Geburtstag von Richard Wagner veranstaltet die Stadt vom 16. bis zum 26. Mai die Richard-Wagner-Festtage, zu denen Tausende Liebhaber klassischer Musik aus aller Welt erwartet werden, um einen der berühmtesten Leipziger und seine Hinterlassenschaften zu feiern. Etwa zur selben Zeit, um genauer zu sein vom 17. bis zum 20. Mai versammeln sich Tausende Liebhaber düsterer Klänge und Klamotten aus aller Welt, um sich selbst, ihre Musik und das 22. Wave-Gotik-Treffen zu feiern.

Eine unglückliche Konstellation oder gar eine schicksalhafte Fügung? Es liegt wohl auf der Hand, dass Richard Wagner und die Gothic-Szene nicht viele Gemeinsamkeiten haben. Spießigkeit gegen Individualismus, Klassik tönt gegen Gothic und die Genießer des Establishments treffen auf die Erben der Punk-Bewegung. Oder passt das am Ende doch irgendwie zusammen? Richard selbst sagte einmal: „Der Blick über die Welt hinaus ist der einzige, der die Welt versteht.

Parsifal am Völkerschlachtdenkmal

Der 17. Mai verspricht ein ganz besonderer Freitag zu werden. Zur Eröffnung des 22. WGTs haben sich die Stadt Leipzig und die Organisatoren des Festivals auf einen ganz besonderen Event geeinigt. Zur Eröffnung der „schwarzen Tage“ werden Ausschnitte aus Richards Werk „Parsifal“ am Völkerschlachtdenkmal zum Besten gegeben, voraussichtlich wieder mit einer spektakulären Licht-Show vor dem eindrucksvollen Monument. Unklar ist, ob das überhaupt in Richards Sinne geschieht, denn der hatte doch vor seinem Ableben verfügt, dass „Parsifal“ ausschließlich in Bayreuth aufgeführt werden sollte,“ damit es auf anderen Bühnen nicht in Konkurrenz mit niederem Zeitgeist treten müsse.“ Blöd für Richard, dass 1913, dreißig Jahre nach der Veröffentlichung der Oper,  das Urheberrecht auslief. Trotz eifriger Verlängerungs-Bemühungen von Richards zweiter Ehefrau Cosima vor dem damaligen Reichstag wurde das Stück im Oktober 1913 vor dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig aufgeführt.

Dem geneigten Besucher des WGTs darf diese Tatsache und die schicksalhafte Verknüpfung von Daten und Orten ruhig schnurzegal sein, denn er erhält die Möglichkeit, etwas ganz „Besonderes“ zu erleben. 2013 ist das Wave-Gotik-Treffen offizieller Bestandteil der Leipziger Wagner-Feierlichkeiten und erhält damit einen offiziellen Kultur-Stempel. Herrlich. Dieses Ereignis hat alles, was das Grufti-Herz begehrt. Ein Denkmal zur Erinnerung an eine der blutigsten Schlachten der Weltgeschichte garniert mit einer Oper die vor inhaltlicher Symbolik geradezu überläuft und von einem Mann geschrieben wurde, der aufgrund seiner Gedanken und Ansichten in rechten Kreisen verehrt wird. Zynisch gesprochen. Es ist und bleibt ja alles Kunst.

Kulturelles aufbegehren einer musikalischen Szene

An dieser Stelle noch einmal die Frage: Was haben Wagner und Gothic gemeinsam? Im Grunde genommen nichts. Gothic ist zwar eine musikalisch orientierte und geprägte Szene, diese hatte jedoch in ihren Ursprüngen nicht viel mit der klassischen Musik gemeinsam. Mit den 90er Jahren und einer neuen Generation von Gruftis stiegen die Bandbreite der Musik und der inhaltliche Anspruch der Szene. Neo-Romantik, Neo-Klassik und die neue Deutsche Todeskunst sorgten für neue Strömungen, neue Inhalte und neue Interessen. Ein Festival in Leipzig avanciert zum Schmelztiegel einer ganzen Subkultur. Das Wave-Gotik-Treffen hebt sich sehr schnell vom Einheitsbrei der üblichen Festivals ab und trägt durch ein breites Rahmenprogramm und den immer stärker werdenden künstlerischen Charakter den gestiegenen kulturellen Bedürfnissen der Szene Rechnung. Beinahe jedes Jahr steigt das Angebot an Lesungen, Aufführungen und Ausstellungen.

Der Zeitpunkt, an dem die Szene ihre Wurzeln verließ, ist unklar. Seit Jahren wachsen die Diskussionen in die unterschiedlichsten Himmelsrichtungen. Die einen sehen den Baum der Szene als Gesamtkunstwerk, der nicht nur das Bedürfnis nach Musik und Andersartigkeit stillt, sondern auch Raum zum Entfalten, Entdecken und Erleben bietet. Andere betrachten die überladenen Wipfel des Baumes als morsch und haben Angst, von den herabfallenden Auswüchsen erschlagen zu werden. Die Szene hat sich entwickelt, doch niemand weiß wohin. „Wandel und Wechsel liebt, wer lebt„, sagte Richard Wagner und schwieg.

Mythologie, Ideologie und Zufälle

Wie schon seit Jahren sorgt das Design der Eintrittskarte für wilde Spekulationen und (un)erwünschte Provokation. Kein Wunder also, dass jedes Jahr besonderes Augenmerk auf das gelegt wird, was als Logo des Wave-Gotik-Treffens die Eintrittskarten schmückt.  Dieses Jahr prangt das Abbild von Richard Wagner als zentraler Punkt des Logos und macht deutlich darauf aufmerksam, wem man dieses 22. Treffen widmet. Im Hintergrund ist das symbolisierte Völkerschlachtdenkmal zu sehen. Im Jahr 2013 wird das Monument 100 Jahre alt, Wagner feiert seinen 200. Geburtstag, den man mit dem 22. Mai beziffert. Wer jetzt noch liest, dass die Freimaurerloge „Apollo“ beim Bau des Denkmals ihre Finger im Spiel hatte, lässt sich zu leicht auf mystische Spuren locken. Ich bin mir an dieser Stelle sogar ganz sicher, dass wissende Leser noch die eine oder andere Verknüpfung herstellen können.

Richard und Cosima Wagner
Richard mit seiner zweiten Ehefrau Cosima, die erfolglos für eine Verlängerung des Urheberrechts kämpfte. | Fritz Luckhardt creator QS:P170,Q94383, Richard and Cosima Wagner, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

 

Dass Wagner ein bekennender Antisemit war, macht er mit Werken wie „Das Judenthum in der Musik“  deutlich. Richard war ein unverbesserlicher Romantiker und zerrissen von der ständigen Sehnsucht nach Aufbruch, Umsturz und Revolution. Seine nationalistischen Phantasien von einer einheitlichen Rasse prägen die Biografien. Ein paar Jahre nach Wagners Tod kommt sein Erbe zu „neuen Ehren“, als ein durchgeknallter Österreicher namens Adolf Hitler erwähnten Richard zu seinem Idol erhebt.

Es ist wohl genau dieser Geschichte geschuldet, dass alles was Adolf Hitler gut, interessant und spannend fand, heute unter einem moralischen und ethischen Mantel verurteilt wird und von allen Seiten beleuchtet, zerrissen und verwendet wird. Dass „Parsifal“ eine Lieblingsoper des Diktators war, ist daher nur eine Formsache. Zufall, dass Richard ein Kind Leipzigs ist. Und wieder einmal öffnet sich der große WGT-Mixer, um Ideologien, Kunst, Kultur, Mythologie und Musik aufzunehmen und durchzumischen. Wie Säure brennt das Ergebnis auf der Haut der Kritiker, während es in den Hälsen der Sympathisanten wohlschmeckend perlt. Die anderen schauen sich das Treiben an, lehnen sich zurück und verstehen die Welt überhaupt nicht. Doch vielleicht hat genau diese Verwirrung auch ihre Vorteile. Vielleicht nutzt der eine oder andere die möglichen Quellen und informiert sich eingehend, um zu einer eigenen Meinung zu kommen.

Offene Fragen und gewagte Theorien

Artverwandt oder grundverschieden? Wagners musikalische Visionen waren romantisch und düster, er war Individualist und Freidenker. Ich vermag keinen direkten Bezug zwischen ihm und der Szene herstellen, ich würde es an den Haaren herbeiziehen. Dass er mit Leipzig und damit auch dem WGT Gemeinsamkeiten hat, liegt jedoch auf der Hand. Damit ist eine Verbindung der beiden Ereignisse unausweichlich, wenn auch fraglich. Ob hier der Autor Peter Matzke, den einige noch als Pressesprecher und Mitorganisator des WGT kennen und der neben seine Tätigkeit als Referent im Kulturdezernat der Stadt Leipzig auch im Kuratorium der Richard-Wagner-Festtage sitzt, eine Rolle spielt, ist ungewiss. Alles Spekulation.

Dass man sich einigen musste, machen allein schon die Termine klar. Ich finde, die Organisatoren des WGTs und die Stadt Leipzig haben hier ein sehr spannendes Szenario geschaffen, das sicherlich für interessante Begegnungen sorgt. Spätestens, wenn der Opern-Fan in feiner Abendgarderobe auf seinen Nachbarn schaut, der ihm mit tiefschwarz geschminkten Augen, bleichem Gesicht und Nietenhalsband freundlich zulächelt, wird man zwischenmenschliches Eis brechen können. „Die Welt“ hat die Zeichen der Zeit auch erkannt:

Eigentlich komisch, dass die Parallelen jetzt erst aufgefallen sind. Gothic-Fans, die man früher Gruftis nannte, tragen gern lange schwarze Haare und schwarze Klamotten. Genau wie die Figuren in Richard Wagners Opern: Als Kleidung der Kundry aus dem „Parsifal“ schreibt das Libretto vor: „Gürtel von Schlangenhäuten lang herabhängend; schwarzes, in losen Zöpfen flatterndes Haar“. Der Nibelung Alberich wird von Bekannten „schwarzes, schwieliges Schwefelgezwerg“ oder „Schwarz-Alberich“ genannt. Der Gott Wotan lebt mit schwarzen Raben zusammen. Wagner und Metal-Fans verbindet so viel. Der Mittelalterfimmel. Die Vorliebe für Patchwork-Mythologie und christliche Mystik. Wagner-Verse wie „Zum Tausche deiner Runen reich‘ ich dir diesen Ring“ („Götterdämmerung“) würden sich auch wunderbar über verzerrten E-Gitarren brüllen lassen.

Anderes Thema und abschließende Frage: Falsche Ideologie? „Ich möchte einfach nur meine Ruhe. Niemand soll mir die Fähigkeit absprechen, meine Bildung dazu zu benutzen, mir selbst eine Meinung zu bilden.“  Wieder einmal nutzen die Macher des WGTs die üblichen Handwerksmittel, um sich in Szene zu setzen. Richard Wagner ist und bleibt ein umstrittener Künstler mit antisemitischen, nationalistischen und rassistischen Gedankengut. Nur weil er als Teil der deutschen Kultur fungiert, muss man sich nicht mit ihm anfreunden. Auch diese Eintrittskarten werden wieder polarisieren, wie eigentlich alles zu diesem Thema, wie fast jedes Jahr. Und ich werde nicht müde, den Finger in die Wunde zu legen und dieselben Diskussionen wieder und wieder zu entfachen. Ich will keine Eintrittskarten mehr in den Händen halten, von denen ich nicht weiß, was sie bedeuten sollen. Was waren das schöne Zeiten, als nichtssagende Symbole die wunderschönen Karten zierten. Hach!

Nicht der versteckte Groll, sondern eine offen erklärte und bestimmt motivierte Feindschaft ist fruchtbar; denn sie bringt die nötige Erschütterung hervor, die die Elemente reinigt, das Lautere vom Unlauteren sondert, und sichtet, was zu sichten ist„, sagte Richard und schwieg.

Von Lederhosen und Spitzenkleidern: The Postpunk Project

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Some wear leather, some wear lace. Some wear makeup on their face. Some are young, some are old. Some too hot, some to cold.“ Punk als Wurzel der schwarzen Flut ist ausreichend dokumentiert, es gibt unzählige Bildbände, Dokumentationen und Bücher. Doch die Szene, die später einmal Gothic genannt werden sollte, bleibt unrepräsentiert. Zwischen 1980 und 1990 nimmt man die „Schwarzen“ als Randerscheinung wahr und versucht sie den verschiedensten Szenen zuzuordnen. Die Musik hatte schon lange ihren eigenen Weg genommen und beschrieb mit dem Begriff „Postpunk“ ganz eigene Wege. Die Anhänger dieser Musik wurden häufig als New Waver, Punks oder auch New Romantics bezeichnet, bevor Mitte der 80er endlich jemand von „Goths“ sprach. Erst zu Beginn der 90er wird die Szene als solche ernst genommen, man beginnt sie zu fotografieren, in Szene zu setzen und Bücher über sie zu schreiben. Die ersten 10 Jahre bleiben dunkel.

Genau diese Lücke möchte das „Postpunk Project“ von Andi und Marloes schließen. Marloes dürfte vielen schon durch ihre Website nowthisisgothic.tumblr.com bekannt sein, auf der sie schon seit Jahren an der Basis für das Projekt baute. Bilder aus den Jahren 1980-1990, aus allen Ländern, in denen Postpunk zum Jugendkulturellen Phänomen avancierte. Die Beiden schlossen sich zusammen und planten, ein Buch herauszubringen. Ein Buch über den Postpunk, gefüllt mir Bilder aus privaten Archiven, die sonst wohl dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen wären.

Postpunk Project

Um das ganze zu realisieren  hat man jetzt ein Kickstarter-Crowdfoundig-Ding gestartet, um die 8000$ für die Kosten des Buches zu finanzieren. Schon seit Monaten verkaufen Marloes und Andi vieles aus ihrer Sammlung, knüpfen Kontakte und schnüren Pakete für die möglichen Spender. Bislang sind 74 Menschen zum dem Entschluss gekommen, Geld für das leidenschaftliche Projekt zu sammeln. 3.464$ sind bereits zusammengekommen, bis März ist noch Zeit seinen Teil beizutragen und ein großartiges Projekt zu unterstützen.

Auch Spontis hat sich bereits beteiligt und wird darüber hinaus noch die Werbetrommel rühren, um für ein kleines bisschen Verbreitung zu sorgen, ich wünsche mir sehr, dass das auch von Erfolg gekrönt sein wird. Vielleicht gibt es sogar ein Interview mit Andi und Marloes, die beiden scheinen mindestens genauso interessant wie ihr Projekt zu sein, wir arbeiten bereits an einer Umsetzung. Andi hat sich sogar an einem Video versucht, um das Ganze anzukurbeln. Auf der einschlägigen Seiten erfährt man alles über das Projekt, den Stand der Dinge und den Fortschritt. Ich wünsche den Beiden von ganzem Herzen, dass sie mit ihrer Idee Erfolg haben und uns endlich einen Bildband präsentieren, in dem nicht nur professionelle Fotografen die Bilder der „Stars“ präsentieren.

Heute noch hatte ich einen Bildband über „Punk“ in den Händen, in denen die „Stars“ der Szene in unzähligen Konzertfotografien vorgestellt wurden. Man könnte meinen, „Punk“ hätte auf der Bühne stattgefunden, doch die eigentliche Bewegung fand vor der Bühne statt. Denkt an die vielen Bilder von Joy Division, Bauhaus, The Cure, Siouxsie and the Banshees, Virgin Prunes oder Alien Sex Fiend – ist das Postpunk? Jugendkultur fand immer schon in der Jugend statt, die Bühne lieferte das nötige Rahmenprogramm, die notwendige Musik und legte häufig den Dresscode fest. Die Jugend nahm auf, verinnerlichte und lebte was sie sah. Von diesen Menschen soll das Buch erzählen.

Young & Cold Festival in Augsburg: Arterhaltung in Handarbeit!

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Es ist noch gar nicht solange her, da meckerten wir herzhaft und ausgiebig über die großen Festivals. Die meisten waren sich einig: Was auf dem Mera Luna in Hildesheim oder dem Amphi in Köln zu hören und zu sehen war, hatte mit der „Szene“ nicht mehr viel zu tun. Artfremde Musikstile und merkwürdige Gestalten, die sich unter den Fangarmen des Kommerz-Kraken tummelten, drängen die eigentlichen Szene-Anhänger in die Resignation. „Man müsste selber etwas auf die Beine stellen!“ So klang der einheitliche Tenor, in dem ein Hilfeschrei nach brauchbaren Alternativen lag.

In Augsburg hatte man ein offenes Ohr für den stillen Schrei der Szene. Seit 3 Jahren gibt es dort die Party-Reihe „Deca Dance“, die nach rund 15 Veranstaltungen in der Ballonfabrik Augsburg einen beachtlichen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Mittlerweile nehmen manche Besucher eine Strecke von 400-500 km in Kauf, um die Mischung aus DJ-Sets und Live-Musik  zu genießen. Diese Form der Anerkennung war den Veranstaltern Grund genug, im November 2012 den Entschluss zu fassen, das „Young & Cold Festival“ zu veranstalten, das vom 13. bis zum 14. September 2013 in besagter Ballonfabrik stattfinden soll.

Das Line-Up (ohne Gewähr) kann sich sehen lassen: Velvet CondomLebanon HanoverKinder aus AsbestBloodygraveMassendefeCtParadox Sequenz, Corps NoirEycromon, Tiefenstadt, NachtAnalyse, Radio Murmansk. Die auf 155 Stück limitierten Festivaltickets sind für 34,50€ über Facebook als Vorbestellung oder ab dem 23. März 2013 im Vorverkauf auf der Deca Dance XV erhältlich, eine Abendkasse wird es nicht geben.

Nachdem mit einem „Zaunpfahl“ auf die Veranstaltung hingewiesen wurde, habe ich es mir nicht nehmen lassen, die 6-köpfige Veranstalter-Hydra um ein Interview zu bitten. Ich wollte wissen, wer hinter dem kleinen Festival steckt, was die Idee zu „Young & Cold“ war und welche Leidenschaft sich hinter dieser „Non-Profit“ Veranstaltung, bei der alle Einnahmen lediglich die entstehenden Ausgaben decken, verbirgt.

Marcel - Young and Cold
Marcel (28) Seit 14 Jahren in der Szene und vielen als DJ „Bat“ bekannt.

Ihr seid ein Team von Leuten, die gemeinsam ihr erstes Festival auf die Beine stellen. Das finde ich nicht nur mutig, sondern auch ziemlich großartig. Würdet ihr Euch und das „Young & Cold Festival“ kurz vorstellen?

Marcel: Hallo Robert und liebe Spontis Leser, vielen Dank für die Interviewanfrage zum Young & Cold Festival. Mein Name ist Marcel und ich bin 28 Jahre alt. Im normalen Leben arbeite ich als Arbeitstherapeut in der Wohnungslosen- und Sträflingshilfe. In der Gothicszene bin ich seit ca. 14 Jahren und als DJ unter dem Namen „Bat“ seit 2001 bekannt. Ich sammle leidenschaftlich Musik und spiele Synthesizer. Zusammen mit meinen beiden DJ Kollegen Daniel Hallhuber (DJ NeonForce / Nachtanalyse) und Manuel Sammet (DJ Mannequin) bilden wir das Deca Dance Team Augsburg von Dead and Buried Events. Seit nun 3 Jahren arbeiten wir zusammen und veranstalten die Party „Deca Dance“

Daniel
Daniel. Seit 1999 veranstaltet er Partys. Damals noch im Bauwagen.

Ich bin Daniel (DJ Neon Force) ich veranstalte das Festival und die „Deca Dance Party“ zusammen mit meinen Freunden. 1999 habe ich angefangen Partys zu veranstalten, damals noch in einem alten Bauwagen im Wald. Meine Freundin Babsi und ich haben damals alles selber organisiert und freuen uns jetzt, dass wir durch unsere Freunde und Gäste bei dem Festival unterstützt werden. 2003 habe ich zusammen mit Babsi die Band „Nachtanalyse“ gergründet, die mittlerweile noch von Basti verstärkt wird.

Ich bin der Basti, 33 Jahre alt. Ich spiele seit 10 Jahren Synthesizer und gehöre mit den Bands „Nachtanalyse“ und „Paradox Sequenz“ mit zum Programm. Musikalisch orientiere ich mich an elektronischer Musik aus den Achtzigern. Ich unterstütze das Team in allen Belangen, bin Mädchen für alles.

Babsi
Babsi. Zusammen mit Daniel in der Band „Nachtanalyse“

Ich heiße Manuel, bin 26 Jahre alt, freidenkend seit 12 Jahren und von Beruf Fluggerätmechaniker in der Fertigung für Airbus. In der schwarzen Szene bin ich nun seit 4 Jahren aktiv. Musik ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens, ich spiele Synthesizer und sammle Vinyl. Seit kurzem bereichere ich das Deca Dance-Team als „DJ Mannequin“.

Ich bin Sasha, 23 Jahre jung, bin seit meinem vierzehnten Lebensjahr an der Szene interessiert. Zusammen mit Babsi bin ich der kreative Kopf von unserem Team. Ich bin ein großer Liebhaber der achtziger Jahre, besonders wegen dem Synthesizerklang von damals, sowie die avantgardistische Kleidung und Frisuren aus dieser Zeit.

Young & Cold wird bei Facebook als „1. DIY Underground Wave/Goth/Minimal Festival“ angekündigt. Wofür steht das „Do it yourself“? Muss ich meine Musik selber mitbringen?

Marcel: Klar kann man seine Musik mitbringen, wobei wir zusammen eine recht große Sammlung an Schallplatten und CDs haben. Auch seltener Gehörtes. Was heißt DIY für uns? Mit viel Aufwand und vielen fleißigen Helfern ein einzigartiges Festival auf die Beine zu stellen. Ich möchte nicht zu viel verraten. Aber um einen kleinen Vorgeschmack zu geben: die komplette Deko wird von uns selbst per Handarbeit hergestellt. Wer schon mal bei Deca Dance war kennt die abwechslungsreiche Deko unseres Dekoteams. Auch die Buttons machen wir selbst. Deca Dance hat es sich auf die Fahnen geschrieben, volle Konzentration auf die Musik und die Vielfalt der Subkultur zu ermöglichen. Das Young&Cold ist auch ein NonProfit Festival die kompletten Einnahmen decken die Kosten die für das Festival entstehen.

Bastian (33) Spielt seit 10 Jahren Synthesizer und ist Mädchen für alles.
Bastian (33) Spielt seit 10 Jahren Synthesizer und ist „Mädchen für alles“.

Basti: Klar, kann man seine Musik mitbringen. DIY bedeutet auch, dass man seine Individualität pflegt.

Ihr seid, wie Eingangs erwähnt, ein ganzes Team von Veranstaltern, das sich darum kümmert, ein Festival auf die Beine zu stellen. Es gibt sicherlich viel zu organisieren und in trockene Tücher zu bringen. Wie kann ich mir die Team-Arbeit einer Gruppe Individualisten vorstellen?

Marcel: Ganz ehrlich chaotisch, aber das gehört dazu. Viel versuchen wir dank Facebook in Gruppenarbeit zu organisieren. Neben uns bereits genannten Personen, gehören auch viele weitere zum Orga Team dazu. Claudia die sich größtenteils um die Bandkontakte kümmert. DJ Team Bats.Noire (DJ Ultrafuchs & DJane Anachronismus) kümmern sich um die Organisation und darum, Hotels und Pensionen für die Festivalbesucher bereitzustellen und werden uns natürlich auch beim Festival musikalisch unterhalten. Auch die Grafikgestaltung für kommende Flyer und unsere FB Seite, die Sicherheit, unsere Tontechniker, die Bardamen & Catering gehören alle mit zum Team. Das gemeinsame Ziel „Die Leidenschaft zu unserer Musik“ bringt uns alle unter einen Hut.

Sasha: Chaotisch? Ach was!!! Man kann sich darauf verlassen, das über die Farbe und Blattstärke des Toilettenpapiers abgestimmt und diskutiert wird. Aber es ist und bleibt unser Baby. Das heißt, wir „Individualisten“ müssen lernen, an den richtigen Momenten die eigene Idee zurück zu schieben und andere vor zu lassen. Jedoch finde ich es schön zu beobachten, dass wir alle das gleiche Ziel haben und sich die Vorstellungen recht ähneln. Es wird zwar heiß diskutiert, jedoch rücksichtsvoll!

Sasha (23)
Sasha (23) Flammender Liebhaber der 80er

Basti:  Ideen werden besprochen und meist kommt man auf den gleichen Nenner. Aber in der Regel halte ich mich aus allem raus und trage nur die Kabel.

Meiner Einschätzung nach könnte man Lebanon Hanover und Velvet-Condom durchaus als Headliner bezeichnen. Beide Bands sind national und international unterwegs und haben sich in „Underground-Kreisen“ einen Namen erspielt. „Die Kinder aus Asbest“ kommen aus Schweden, Bloodygrave reist aus Berlin an. Wie habt ihr diese und die vielen anderen Bands für euer Festival gewinnen können?

Marcel: Fast jeder von uns ist mit irgend jemand aus den Bands befreundet. Das ist das Schöne an dieser Szene, sie ist klein und man kennt sich untereinander. Wir haben auch eine Ausschreibung gemacht und zahlreiche weitere Bands angeschrieben. Am Ende der Frist hatten wir 40-50 gute Bands auch aus Italien, Amerika usw. Die Bands, die dieses Jahr nicht dabei sind, werden wir vielleicht in der Zukunft wieder für uns gewinnen können. Wir werden es sehen.

Viele behaupten, Wave und Goth sind Musik- und Subkulturen, die schon vor vielen Jahren dem Untergang geweiht waren. Meist werden diese Strömungen von „älteren“ Szenegängern bevorzugt. Darüber hinaus zeugt es von Feuer und Leidenschaft, ein eigenes Festival aus der Gruft zu heben. Eigentlich müsste das Festival also Old & Hot heißen. Heißt es aber nicht. Ganz im Gegenteil: Warum der Name „Young&Cold“?

Manuel: Die Wave & Gothicszene findet ihren Ursprung in den 1980ern. geprägte Ära von Unmut, Frust, kälte & ausgeprägter Kunst. Die rasante, wie auch interessante Entwicklung von elektronischer und dunklen Musik dieser Zeit durchflutet damals wie heute die sinne ihrer Hörer wo sie kennen. im clubleben wie auf Festivals ist die Magie all dieser unzähligen Musikstücke jedoch schon lange in Vergessenheit geraten. vermehrt jüngeres Publikum bekommt von dieser Welt oft leider nichts mehr mit.

Manuel
Manuel (26) Freidenkender Sammler von Vinyl und bekannt als „DJ Mannequin“

Menschen die aus dieser Zeit entsprungen sind, vergessen sie nicht. So einfach erklärt sich der Strom „älterer“ Szenegänger. Viele aktuelle Interpreten sind jedoch nicht darauf aus Mainstream Pop oder Vocoder-Techno zu fabrizieren, sie sind im Untergrund und machen hervorragende Kunst. Das Young & Cold Festival zeigt eine Welt von damals und heute … im verborgenen. Um was geht es am 13. & 14. September? Musik und Kultur.

Sasha: Festivals dieser Art sind für mich Resteessen. Es scheint nicht mehr viele Waver und Grufties mit der Leidenschaft für diese Art der Musik und mit der Ästhetik zu geben. Da sind für mich solche Treffpunkte, wo sich die Einzelkämpfer vereinigen können, Gold wert. Viele beschweren sich über den Verfall der Subkulturen, bleiben aber passiv. Wo ist da die Logik? Uns ist die „Artenerhaltung“ wichtig und deshalb gibt es dieses Festival. Deswegen, lieber Robert, packt die Koffer und besucht uns!

Basti: Meiner Meinung nach findet in der Szene so langsam ein „Erwachen“ statt. (Erwachen feat. Neuer Trend, Modeerscheinung?). Es wird vermehrt die eigene Stellung in der Subkultur hinterfragt. Das wichtigste für mich an der Waveszene ist, dass sich die Freigeister vereinen können. Anders wie vor 30 Jahren, aber mit ähnlichen Intentionen. (Musik, Kunst, etc.)

Das Festival ist auf 155 Tickets limitiert. Was steckt hinter dieser Beschränkung?

Marcel: Zum einen müssen wir uns an die gesetzlichen Beschränkungen der Räumlichkeiten halten und zum anderen ist eine Debüt-Veranstaltung bei der sich die Gäste mit den Künstlern im kleinen Rahmen vermischen und sich austauschen können. Ob wir das in der Zukunft auch so machen werden, ist abhängig von der Resonanz.

Ich bin ganz sicher, dass die Karten wie warme Semmel über die Ladentheke gehen werden und das Festival ein voller Erfolg werden wird. Was ist für die Zukunft geplant?

Marcel: Wir denken in kleinen Schritten. Sollte das Young and Cold dieses Jahr gut ankommen, wird es sicher eine Wiederholung geben. Bereit dafür sind wir!

Video: Midnight Archive #15 – Kunst und Okkultismus

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Okkultismus findet meistens im Verborgenen statt, ganz so, wie es das ursprünglich lateinische Wort „occultus“ schon sagt. Kein Wunder, war die Beschäftigung mit „Nicht-Christlichen“ Weltanschauungen, Gebräuchen und Ritualen lange Zeit ein Grund, auf dem Scheiterhaufen zu brennen oder im Gefängnis zu schmoren. Heute wird man vielleicht noch schief angeschaut, gesellschaftlich ausgegrenzt und ganz tief in die Esoterik-Ecke geschoben. Dabei ist die Auseinandersetzung damit immer schon ein Feld voller Phantasie und Kreativität, wenn man so möchte, zieht auch die Szene aus dieser Thematik ein Stück ihrer Inspiration.

Auch die neueste Folge des „Midnight Archives„, beschäftigt sich mit der Verbindung von Kunst und Okkultismus und stellt Pam Grossman vor, die auch einen eigenen Blog mit okkulten Inhalten befüllt. Die Einordnung in eine hübsche Schublade, die man Esoterik, Okkultismus, Magie, Hexerei, Spinnerei oder einfach nur durchgeknallt nennt, überlasse ich Euch.

Eigentlich wollte ich nicht groß kommentieren, was ich sehe. Aber offensichtlich kann ich gar nicht anders. Fakt ist, das die US-Amerikaner begeisterungsfähig sind. Ob das gut oder schlecht ist, bleibt fraglich. Ich glaube ich kenne kein anderes Volk, das man so enthusiastisch für eine Sache begeistern kann. Wenn jemand Okkultismus für sich entdeckt, dann mit Haut und Haar. Mit Überzeugung und Leidenschaft und allem was dazu gehört. Das kann etwas Gutes, aber auch etwas Schlechtes sein.

ARTE-Dokumentation 1998: Die Rückkehr der schwarzen Romantiker

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Die Ursprünge der Gothic-Szene wurden bereits ausgiebig dokumentiert. In unzähligen Publikationen wird die Entstehungsgeschichte immer wieder demontiert um auf die Wurzeln des Punks zu pochen. Man hofft, eine Erklärung für das Phänomen „Gothic“  zu finden, dass sich seit über 30 Jahren in der subkulturellen Landschaft festgefressen hat. Die Zeit zwischen 1980 und 1990 wird dabei glorifiziert, frei nach dem Motto „Früher war alles besser!“, während man über die aktuellen Entwicklung seit 2010 ausgiebig meckert. Dazwischen liegen gefühlte 20 Jahre Dunkelheit. Dabei gibt es auch in dieser Zeitspanne viele Ereignisse, die maßgeblich zum „Jetzt“ beigetragen haben dürften. Große Festivals feierten in dieser Zeit ihren Ursprung, die ersten auflagenstarke „Szene-Magazine“ erschienen an der Bildfläche und die ersten Szene-Shops öffnen ihre Pforten. Zur Jahrtausendwende bekommen alte Ängste durch die sogenannten „Satansmorde“ neues Futter, die immer bekannter werdende Szene platzt aus allen Nähten und ist schon lange keine Jugendkultur mehr. Die Szene kommt in Erklärungsnot, immer neue Bücher beschäftigen sich mit „Gothic“ und verstricken sich in Analysen und Erklärungsversuchen. Kommerzialisierung und eine unglaubliche Toleranz gegenüber Subkulturen der „Andersartigkeit“  machen aus einer Szene der Abgrenzung eine Facette des Lebens, in der jeder ein wenig „Dunkelheit“ ausleben kann.

Um die Lücken zu schließen, habe ich meine Archiven gegraben und bin fündig geworden. ARTE-Tracks zeigte 1998 eine Dokumentation, die eigentlich ganz gut den Status Quo vor der Jahrtausendwende zeigt und unweigerlich Parallelen zum aktuellen Zustand aufzeigt. Viel „Vergnügen“ und gute Unterhaltung.

Der Bericht beginnt mit der zwar klischeehaft mit der Titelmelodie des Films „Halloween“, doch darüber sollte man aus Gründen der Dramaturgie hinwegsehen. „Gothics. Im Volksmund heißen sie Grufties und kommen seit 7 Jahren jedes Pfingstwochenende zu einem internationalen Treffen in Leipzig zusammen. In diesem Jahr waren es etwas 12.000, etwa 5.000 mehr als im Vorjahr. Die Gruppe wächst. Was sie zusammenhält ist die Suche nach anderen Lebensformen, eine bewusste Abkehr von der Techno-Jugendkultur und ein hinwenden zu Mystik und Romantik. Entstanden ist Goth Ende der 70er aus der Punk-Bewegung, 10 Jahre später war der Hang zum Schwarzen schon fast aus der Mode, als sich mit dem Mauerfall und der einhergehenden Desillusion der Jugendlichen im Osten eine regelrechte „Goth-Renaissance“ vollzog. Heute ziehen immer mehr Jugendliche düstere Romantik und Fackelschein dem dumpfen Techno-Beat der 90er vor und zelebrieren ihre Lebensanschauung.“ Faszinierenderweise können sich in diesen Worten wohl einige wiederfinden oder neu entdecken.

Und bevor ich dieses Bildmaterial wieder „zu Tode analysiere“ (Wortspiele die nur einen einzigen Zweck verfolgen: Klischee Olé!) nur ein paar schöne Sätze, die mir in Erinnerung geblieben sind. „Und was die heutige Gesellschaft nicht bieten kann, wird mystisch verklärt in früheren Jahrhunderten gesucht. Besonders beliebt: Das Mittelalter. Seuchen, Hexenverfolgung und Armut sind Nebensache, was zählt sind die Romantik und die Rückbesinnung auf sogenannte „ehrliche“ Werte.“ – „Vier Tage im Jahr ist Leipzig Gruftie-Metropole. Vier Tage an denen die Schwarzen unter sich sind mit ihrer Kleidung, ihrer Musik und ihren Theaterstücken und ihren gemeinsamen Träumen. Nun müssen sie wieder in den Alltag zurückkehren. Aus Vampiren werden Gabelstaplerfahrer, aus barocken Damen Schulmädchen. Aber nur rein äußerlich. Innen drin sind sie Grufties, egal wo.“ Die Wertung überlasse ich dem Leser. Ich liebe meine Klischees, meine Verklärung, meine Kleidung und meine Träume. Ich muss mich nicht mehr erklären.

The Cure – Die Fans kamen wie zu einer Rock-Messe

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In diesem Jahr fliegt der Prediger Robert Smith mit seiner Band „The Cure“ nach 17 Jahren wieder nach Südamerika, um das dort heidnischen Publikum erneut zu missionieren. 2012 waren die unfreiwilligen Urgesteine der Gothic-Bewegung auf dem Hurricane-Festival zu Gast um vor 73.000 gleich hinter den Ärzten als Headliner geführt zu werden. Heute, so sagt man, haben sie mit ihren Wurzeln nicht mehr viel zu tun. Die Fans der Band kommen mittlerweile aus allen Bereichen der Gesellschaft und sind schon lange nicht mehr in einer Subkultur verwurzelt, doch das stört die meisten eingefleischten Anhänger nicht. Ganz so, wie es auch bei Depeche Mode der Fall ist. Der musikalischen Jugendliebe bleibt man länger treu, als dem statistischen Ehepartner, mit dem es bereits nach 5-6 Jahren  vorbei ist.

Warum man der ein oder anderen Band ein Leben lang treu ist, lässt sich vielleicht mit der Vergangenheit und der eigenen Jugend beantworten. Ein Artikel aus einer Bravo aus dem Jahre 1986 zeigt junge Cure-Anhänger bei einem Münchener Konzert ihrer Lieblingsbands. Sie verehren nicht nur die Band und ihre Musik, sondern vor allem Robert Smith, der ihnen als Sänger die Antworten auf ihre Fragen liefert.

Cure-Fans gehören zu den treuesten und beflissensten Anhängern, die eine Band sich wünschen kann. […] Schwarzes Outfit, morbide weiße Schminke und der abgedrehte Blick, mit dem der harte Kern der Cure-Fans durch die Gegend läuft, um dem Idol Robert Smith zu huldigen, schien die Ordnungstruppe in Alarmzustand versetzt zu haben.“ Und ob man will oder nicht, die Zeit der Jugend gehört zu den prägendensten Zeiten des eigenen Lebens. Die hier gemachten Erinnerungen haben einen starken Einfluss auf Geschmack, Vorlieben und Leidenschaften. So jedenfalls meine persönliche Meinung.

The Cure - Rock MesseThe Cure - Rock Messe

1986 pilgern also die Jünger zur Messe ihres Meisters. Grufties, so werden die meisten von ihnen schon damals genannt, legen schon damals den Grundstein für den Lebensstil, der in der Szene gelebt wird. Der Alarmzustand der Sicherheitskräfte war unbegründet, denn „außer so gefährlichen Gegenständen wie Haarspray-Dosen, Stilkämmen oder kleinen Kerzenleuchtern fanden die Ordner nichts in den Taschen der Konzertbesucher. Ihre schweren Metallkreuze durften sie anbehalten. Die stoische Lebenshaltung der Gruftrocker bewies wieder einmal ihre Vorzüge.“ Während auf Metal-Konzerten schon längst etwas zu Bruch gegangen wäre, so die Bravo, blieben die Grufties friedlich. Eine Cure-Konzert in den 80ern hatte einen ganz eigenen Zauber. Es sind wohl die Erinnerungen eine schöne und unbeschwerte Zeit, die man mit einer solchen Band verbindet. Erinnerungen, die dank der Musik immer wieder in das Bewusstsein gerufen werden können, auch später, wenn das „Erwachsensein“ und der Alltag längst die Unbeschwertheit aufgefressen haben. Diese Liaison hält ewig. Glaube ich zumindest und vor allem dann, wenn es sich um Grufties handelt.

Cure-Fans verehren Robert Smith, weil er alles das, was ihn zu einem charismatischen und mitreißenden Frontmann machen könnte, konsequent ablehnt. Und genau diese Anti-Haltung passt zur Lebenseinstellung seiner Anhänger. „Für seine Fans, die ihn mit Jubel begrüßten und nun doch nach vorne zu drängeln begannen, hatte er kaum einen Blick und klein Lächeln übrig. Mit trauriger Miene, wirren, steif vom Kopf abstehenden Haarsträhnen, sang der Cure-Chef so langsam wie nie zuvor. Seine klagende Fistelstimme kam allerdings auch noch nie so intensiv rüber. Der Mann ist wirklich ein Phänomen. Er bewegt sich so träge wie eine Schildkröte, tut im Konzert so, als wäre das Publikum gar nicht vorhanden, erweckt den Eindruck, als interessiere er sich auch für seine Band keinen Pfifferling, und trotzdem schlug er knapp zwei Stunden lang ein paar tausend Fans völlig in Bann. An den verzückten Mienen sah man den schwarzen Vögeln vor der Bühne ihre Begeisterung an.

Die Beziehung zwischen seinen Idolen und einem Selbst ist vielleicht das Idealbild einer Beziehung. Man geht gemeinsam durch Dick und Dünn, die Musik ist für einen da, wenn man sie braucht. Sie hilft uns an schlechten Tagen und verschönert die guten Tage. Man verzeiht sich Fehltritte und merkwürdige Entwicklungen und auch wenn sich die Beziehung irgendwann einmal auseinandergelebt hat, so bleiben die guten Erinnerung und das Gemeinsame auf das man zurückblicken kann. Die Beziehung zu seinem Idol wird meist nicht im Streit beendet und selten aus seinem Leben getilgt. Die meisten Leben mit ihrer Vergangenheit und profitieren von den guten und auch den schlechten Erinnerungen. Vielen ist „The Cure“ heute zu poppig, oder nicht mehr das, was sie einmal waren, viele sehen Robert Smith nur noch als Schatten seines Lebens. Und dennoch verfolgt man voller Neugier jeder Nachricht seines Idols. Irgendwie schön.

 

 

Interview: She Past Away – Türkischer Darkwave aus Bursa (deutsch/englisch)

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Sie sind derzeit DER Geheimtipp des Wave-Undergrounds – She Past Away (Homepage). Zwar hat das türkische Duo schon einige Jahre die Bühnen unsicher gemacht und 2010 eine drei Song starke EP herausgegeben, doch 2012 gelang ihnen schließlich ein internationaler Durchbruch mit ihrem ersten Album „Belirdi Gece“. Die Kritiken für dieses Werk könnten kaum besser sein, und auch ich selbst finde jeden der 10 Songs auf seine Weise genial und zögere nicht eine Sekunde, mich als schlichtweg begeisterten neuen Fan zu outen. Bassist İdris Akbulut sprach mit Karnstein:

They are currently THE insiders‘ tip of the New Wave underground – She Past Away. The duo from Turkey had already been active on stage for several years and had released a three song EP in 2010, but it was in 2012 with their first full length album „Belirdi Gece“ that they had an international breakthrough. Critiques for this work almost couldn’t be any better, and I myself think every single one of the ten songs is quite ingenius in its repective way and I won’t hesitate a second to call myself an enthusiastic new fan. Bass player İdris Akbulut talked to Karnstein:

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İdris, eure Musik erinnert mich sehr an klassische Darkwave-Bands der 80er und frühen 90er – ist das beabsichtigt? Wie würdest du die Musik von She Past Away beschreiben und welche Einflüsse habt ihr?

Wir sind sehr stark beeinflusst von der Musik der 80er. Die Alben die wir am liebsten hören stammen größtenteils aus dieser Zeit, und unsere Musik ist das Ergebnis dieser Einflüsse. Es gab allerdings nie eine Band nach der wir konkret klingen wollten.

Und wie sieht euer musikalischer Background aus – und generell eure Inspirationen?

Wir hatten beide verschiedene musikalische Erfahrungen, haben in Bands aus ganz unterschiedlichen Genres gespielt – von Death Metal bis Indie Rock. Und es gibt viele Dinge von denen wir beeinflusst und inspiriert wurden: Vom italienischen Erotikkino der 70er bis zu B-Movies, von Giallos bis zu Spaghetti-Western, vom Coldwave bis hin zur Neuen Deutschen Welle und der kalten Attitüde monotoner Drummaschinen, die so typisch für die 80er waren.
Außerdem beeinflusst uns natürlich auch die konstant zunehmende Bedrückung überall in unserem Land.

Kannst du uns irgendetwas über euren Schreibprozess sagen? Was kommt zuerst, Musik oder Texte?

Zuerst die Riffs, dann die Texte. Alles in allem sind so unsere Prioritäten.

Und um was für eine Art Texte handelt es sich – worüber singt ihr und was inspiriert euch inhaltlich?

Grob gesagt geht es in unseren Texten um Geister, Ungewissheit, Nichtigkeit, religiösen und sozialen Druck und Ausbeutung. Wir versuchen aber nicht direkte Botschaften rüberzubringen sondern kritisieren mehr unsere Lebensumstände.

Für mich kommt einiges der Atmosphäre die eure Musik so einzigartig macht von Volkans Stimme und der Tatsache dass ihr auf Türkisch singt. Warum habt ihr euch entschieden in eurer Muttersprache zu singen? Wäre es mit englischen Texten nicht einfacher ein internationales Publikum zu erreichen?

Mit unseren vorherigen Bands haben wir immer englischsprachige Musik gemacht. Aber es erschien uns authentischer, Musik in unserer eigenen Sprache zu machen, also haben wir es ausprobiert und waren sehr zufrieden damit.
In der Türkei gab es nie ein wirkliches Publikum für New Wave und seine Subgenres, und dank der Texte in unserer Muttersprache ist es uns gelungen diese Art von Musik ein paar Menschen näherzubringen.

Kann man eure Texte irgendwo einsehen? Ich bin mir sicher dass viele Nicht-Türken gerne wüssten worüber ihr singt.

Ja, wir haben unsere Texte auf unsere Facebook-Seite gestellt – auf Türkisch und Englisch.

Ihr habt für 2013 bereits mehrere Tourdaten für Europa angekündigt. Seid ihr vorher schonmal außerhalb der Türkei aufgetreten?

Nein, wir haben vorher noch nie im Ausland gespielt. Aber bis jetzt haben wir auch bereits zwei feste Daten für Auftritte in Deutschland [Anm.: am 16.05.13 in Köln im MTC, sowie am 17.05.13 auf dem Shoegazer-Festival in Bielefeld].

In Zeiten des Internets lernen viele Leute (wie auch ich selbst) eure Musik mittels Videostreaming kennen. Wo kann man eure Musik beziehen? Gibt es CDs, und vielleicht etwas Merchandise wie etwa Shirts?

Unser Debut-Album „Belirdi Gece“ ist in digitaler Form auf verschiedenen Internetseiten zu finden. Im Februar 2013 wird es bei Fabrika Records auch auf Vinyl erscheinen und Veröffentlichung auf CD ist auch eine Möglichkeit, die wir in Betracht ziehen.
T-Shirt-Designs sind bereits fertig und werden so bald wie möglich veröffentlicht.

Zu guter Letzt: Was sind eure nächsten Schritte? Arbeitet ihr bereits an neuem Material?

Zum einen wollen wir unsere momentanen Aufnahmen beenden und ein neues Album herausbringen. Außerdem aber versuchen wir auch so viele Konzerte wie möglich zu geben, um möglichst viele Leute zu erreichen.

Wir sind gespannt! Ich werde euren weiteren Werdegang definitiv verfolgen und freue mich schon auf Köln. Vielen Dank, İdris!

İdris, your musical style reminds me a lot of classical dark wave bands of the 80’s and early 90’s. Is that intentional?

We are heavily influenced by the 80’s music. The albums we love to listen to mostly belong to that period. Our music is an outcome of this influence; however, there has never been a band we tried to sound like. It is totally natural.

And how would you describe your music, and what are your musical backgrounds, inspirations and influences?

We both had different musical experiences – we played with bands in different genres from Death Metal to Indie Rock. There has been a lot by which we have been influenced and inspired: Italian erotic cinema of the 70’s to B-Movies, Giallos to Spaghetti Western, Coldwave to NDW and the cold attitude of monotonous drum machines belonging to the 80’s are among our main influences.
Besides, the gradually deepening depression all about the land we are living on is naturally affecting us.

Can you tell us about your song writing process? What is first – music or lyrics?

Riffs first, then the lyrics. In general, we can say this is our priority in music.

What kind of topics do you sing about? And where do you get the inspirations for the lyrics?

In our lyrics, roughly, we address wandering souls, haziness, obscurity, nullity, etc. alluding to religious and social pressure and exploitation. We don’t endeavour to give any direct messages but we can say we complain about the situation we are living in.

To me a lot of the atmosphere that makes your music unique lies within Volkan’s vocals and the use of Turkish language. Why did you chose to sing in your native language? Wouldn’t it be easier to reach an international audience with English lyrics?

We always made music in English with our previous bands. Making music in our own language seemed quite genuine to us, so we gave it a go and were quite pleased with it. In our country, New Wave and its sub genres have never attained a real audience. Thanks to our lyrics in our mother tongue, Turkish, we have managed to introduce this music to some people.

Do you plan to publish the lyrics to your songs? I’m sure many will be interested in what you are saying.

Yes, we have put our lyrics on our Facebook page both in Turkish and in English.

You announced several dates for concerts in Europe in 2013. Have you played outside Turkey before?

We haven’t ever played abroad yet. So far, we have two certain gigs in Germany. [info: May 16, 2013 in Cologne in MTC club, and May 17, 2013 at the Shoegazer Festival in Bielefeld].

In times of the internet many (like myself) will have come across your music via video streaming. Where can we buy your music? Are there CDs, and maybe some merchandise like t-shirts?

Our debut album ‘Belirdi Gece’ is being released on vinyl in February 2013 from Fabrika Records. It can also be found digitally on several internet sites and a CD release is also under consideration.
We have t-shirt designs to be shared soon as well.

And last but not least: What are your next steps? Are you working on new material?

Among our future plans is completing our recent recordings and releasing a new album. Besides, we are trying to draw upon the concert offers as much as we can in order to reach people.

We’re very much looking forward to that! I will definitely follow your future career and I hope I will be seeing you guys in Cologne.
Thanks a lot, İdris!