In diesem Jahr fliegt der Prediger Robert Smith mit seiner Band „The Cure“ nach 17 Jahren wieder nach Südamerika, um das dort heidnischen Publikum erneut zu missionieren. 2012 waren die unfreiwilligen Urgesteine der Gothic-Bewegung auf dem Hurricane-Festival zu Gast um vor 73.000 gleich hinter den Ärzten als Headliner geführt zu werden. Heute, so sagt man, haben sie mit ihren Wurzeln nicht mehr viel zu tun. Die Fans der Band kommen mittlerweile aus allen Bereichen der Gesellschaft und sind schon lange nicht mehr in einer Subkultur verwurzelt, doch das stört die meisten eingefleischten Anhänger nicht. Ganz so, wie es auch bei Depeche Mode der Fall ist. Der musikalischen Jugendliebe bleibt man länger treu, als dem statistischen Ehepartner, mit dem es bereits nach 5-6 Jahren 1 vorbei ist.
Warum man der ein oder anderen Band ein Leben lang treu ist, lässt sich vielleicht mit der Vergangenheit und der eigenen Jugend beantworten. Ein Artikel aus einer Bravo aus dem Jahre 1986 zeigt junge Cure-Anhänger bei einem Münchener Konzert ihrer Lieblingsbands. Sie verehren nicht nur die Band und ihre Musik, sondern vor allem Robert Smith, der ihnen als Sänger die Antworten auf ihre Fragen liefert.
„Cure-Fans gehören zu den treuesten und beflissensten Anhängern, die eine Band sich wünschen kann. […] Schwarzes Outfit, morbide weiße Schminke und der abgedrehte Blick, mit dem der harte Kern der Cure-Fans durch die Gegend läuft, um dem Idol Robert Smith zu huldigen, schien die Ordnungstruppe in Alarmzustand versetzt zu haben.“ Und ob man will oder nicht, die Zeit der Jugend gehört zu den prägendensten Zeiten des eigenen Lebens. Die hier gemachten Erinnerungen haben einen starken Einfluss auf Geschmack, Vorlieben und Leidenschaften. So jedenfalls meine persönliche Meinung.
1986 pilgern also die Jünger zur Messe ihres Meisters. Grufties, so werden die meisten von ihnen schon damals genannt, legen schon damals den Grundstein für den Lebensstil, der in der Szene gelebt wird. Der Alarmzustand der Sicherheitskräfte war unbegründet, denn „außer so gefährlichen Gegenständen wie Haarspray-Dosen, Stilkämmen oder kleinen Kerzenleuchtern fanden die Ordner nichts in den Taschen der Konzertbesucher. Ihre schweren Metallkreuze durften sie anbehalten. Die stoische Lebenshaltung der Gruftrocker bewies wieder einmal ihre Vorzüge.“ Während auf Metal-Konzerten schon längst etwas zu Bruch gegangen wäre, so die Bravo, blieben die Grufties friedlich. Eine Cure-Konzert in den 80ern hatte einen ganz eigenen Zauber. Es sind wohl die Erinnerungen eine schöne und unbeschwerte Zeit, die man mit einer solchen Band verbindet. Erinnerungen, die dank der Musik immer wieder in das Bewusstsein gerufen werden können, auch später, wenn das „Erwachsensein“ und der Alltag längst die Unbeschwertheit aufgefressen haben. Diese Liaison hält ewig. Glaube ich zumindest und vor allem dann, wenn es sich um Grufties handelt.
Cure-Fans verehren Robert Smith, weil er alles das, was ihn zu einem charismatischen und mitreißenden Frontmann machen könnte, konsequent ablehnt. Und genau diese Anti-Haltung passt zur Lebenseinstellung seiner Anhänger. „Für seine Fans, die ihn mit Jubel begrüßten und nun doch nach vorne zu drängeln begannen, hatte er kaum einen Blick und klein Lächeln übrig. Mit trauriger Miene, wirren, steif vom Kopf abstehenden Haarsträhnen, sang der Cure-Chef so langsam wie nie zuvor. Seine klagende Fistelstimme kam allerdings auch noch nie so intensiv rüber. Der Mann ist wirklich ein Phänomen. Er bewegt sich so träge wie eine Schildkröte, tut im Konzert so, als wäre das Publikum gar nicht vorhanden, erweckt den Eindruck, als interessiere er sich auch für seine Band keinen Pfifferling, und trotzdem schlug er knapp zwei Stunden lang ein paar tausend Fans völlig in Bann. An den verzückten Mienen sah man den schwarzen Vögeln vor der Bühne ihre Begeisterung an.“
Die Beziehung zwischen seinen Idolen und einem Selbst ist vielleicht das Idealbild einer Beziehung. Man geht gemeinsam durch Dick und Dünn, die Musik ist für einen da, wenn man sie braucht. Sie hilft uns an schlechten Tagen und verschönert die guten Tage. Man verzeiht sich Fehltritte und merkwürdige Entwicklungen und auch wenn sich die Beziehung irgendwann einmal auseinandergelebt hat, so bleiben die guten Erinnerung und das Gemeinsame auf das man zurückblicken kann. Die Beziehung zu seinem Idol wird meist nicht im Streit beendet und selten aus seinem Leben getilgt. Die meisten Leben mit ihrer Vergangenheit und profitieren von den guten und auch den schlechten Erinnerungen. Vielen ist „The Cure“ heute zu poppig, oder nicht mehr das, was sie einmal waren, viele sehen Robert Smith nur noch als Schatten seines Lebens. Und dennoch verfolgt man voller Neugier jeder Nachricht seines Idols. Irgendwie schön.
Einzelnachweise
- Vergleiche dazu: Geschiedene Ehen nach Ehedauer, veröffentlicht von der Bundeszentrale für politische Bildung am 24. Oktober 2012 – http://www.bpb.de/wissen/NHXRDM,0,Entwicklung_der_Scheidungsrate.html[↩]
Schöner Artikel und irgendwie hat doch jeder so sein Idol, dass er weiterhin aufmerksam beobachtet, ob es nun musikalisch noch passt oder nicht.
Der Kernaussage am schluss kann ich ´nur absolut zustimmen. So war und wird es immer sein schätze ich.
Auch wenn Queen jetzt sonst absolut gar nicht mehr passt (musikalisch) bin ich der Musik treu, da damit aufgewachsen.
Ich liiiiiiiiiiebe The Cure :D Das ist meine Welt. Ich kann auf alle anderen Bands verzichten, solange mir Robert Smith und seine Jungs bleiben :D
*seufz*
Und wieder einmal bedauere ich, dass ich viel zu spät geboren wurde.
Gerne hätte ich das Flair eines solchen Konzertes wie 1986 in München mitgenommen.
Aber egal. Robert und The Cure haben mich schon vor 17 Jahren geprägt und der Band werde ich wohl auch weiterhin treu bleiben.
In einem VH1-Special über The Cure hatte mal eine Clubbesitzerin erzählt, dass Robert Smith die Distanz zum Publikum hält, weil er wohl ungerne angeschaut wird. Anfangs habe er auch stets mit Rücken zum Publikum gesungen. Kann sich von euch einer an die Anfangszeit erinnern und etwas dazu sagen?
Den Artikel habe ich auch noch. ;) Herrlich! Der ist aber von 1989 (Prayer-Tour), nicht 1986.
Also ich war letztes Jshr wegen Cure auf dem Southside und ich muss sagen, allein deswegen hat es sich gelohnt. Und ich würd es wieder tun. Professionelll bis in die letzte Haarspitze. Es klang wie immer, was auch immer das bedeuten mag.. Ich persönlich kenne nur einen Altstar, bei dem es auch noch so klingt wie immer, und das ist Al Jorgensen von Ministry.
schöner Artikel, denn hatte ich früher an der Wand meines Kinderzimmers für 20,- Ostmark erstanden. Ohne Cure läuft bei mir nix, damals nicht und heute nicht.. Danke fürs einstellen.
@Horizont030: Vielen Dank für die Korrektur, vermutlich ein Zahlendreher. Ich werde das bei nächster Gelegenheit korrigieren.
@Modermichl: Eine interessante Frage. Sollte eine Band nach 30 Jahren noch so klingen „wie immer“? Ist das dann ein „treu bleiben“ oder ein „Stillstand“? Mit „The Cure“ kenne ich mich nicht wirklich gut aus, ich habe auch hier meine Lieblingsalben, Lieblingsstücke und Lieblingsposter. Mir geht es da wie bei Depeche Mode. Ich mag nicht alles, was die Band herausbringt, mag manche Klänge nicht und einige Entwicklungen lehne ich ab. „Es klang wie immer…“ verzweifelt sucht man die Bedeutung für einen Selbst. Ist es Gewohnheit? Sind es die Erinnerungen, die untrennbar mit den Stücken der Band verknüpft sind? Ich glaube, das läuft auf das gleiche Problem heraus wie bei DM. Soll ich oder soll ich nicht? Ja, ich glaube, hätte DM auf einem Festival gespielt, auf dem noch 3-4 halbwegs interessante Bands anwesend gewesen wären, hätte ich mich auch zu einem Besuch überredet.
Ich finde an The Cure toll, dass die Musik für alle Lebenslagen machen. So wie Robert Smith sich fühlt, so klingt sein Werk. Wenn er schlechte Laune hat, ist die Musik ein Abbild dessen, wenn er gute Laune hat, macht er Sachen wie Friday I’m In Love. Das ist für mich Wave! Nicht NUR schwarz oder Friedhofsmusik, sondern das gesamte Spektrum der Gefühle. Gothic ist immer dark, da sind wir uns ja einig. Aber Wave kann alles sein, darum liebe ich dieses Genre (bzw. die vielen Splittergruppen ebenso).
Sehr gelungener Satz. Ich glaube hier zählt das Empfinden für Musik, die Wichtigkeit und der Stellenwert innerhalb des Lebens. Womöglich sind viele andere Musikrichtungen ebenfalls für diese Herangehensweise geeignet, es liegt einzig und allein am Hörer.
Ob Wave alles sein kann, weiß ich nicht. Für mich ist das ganze in einem ganz klaren Rahmen gesteckt. Synthesizer, klangliche Teppiche, verzerrte Instrumente, minimaler bis eingängiger Beat. Nagelt mich nicht darauf fest, aber mein Wave-Schirm hat Grenzen. DM ist beispielsweise schon lange KEIN Wave mehr sondern einfach nur Pop-Musik mit Elektro-Einschlag. Wave ist immer ein bisschen unangepasst und undergroundig.
Jau, da geb‘ ich dir recht, Robert :D Speziell das neue Lied von DM kommt mir arg un-DM-mäßig vor :D