Horror-Entertainment: Ein schrecklich schauriger Zirkus

Die Löwenbändiger und Elefanten-Dompteure haben verstanden. Ihre Künste sind lange nicht mehr so gefragt wie vor 100 Jahren, heute betrachten viele das tierische Spektakel im klassischen Zirkus als überholt, nicht artgerecht und überhaupt völlig überflüssig. Auch die Clowns haben es nicht mehr leicht. Den Menschen mögen nicht mehr über Clown lachen. Der permanente Leistungsdruck, die Ellbogengesellschaft und zunehmende Resignation machen einfach nur noch traurig – wenn man heute lacht, dann aus Schadenfreude. Nicht zuletzt die armen Hochseilartisten. In schwindelerregender Höhe über ein Drahtseil zu laufen, schockiert dank des Fernsehprogramms aus Dschungel-Camp, Schönheitsoperationen und Frauentausch niemanden mehr. Mit oder ohne Netz war dabei völlig gleichgültig. Der Mensch ist kaum noch zu unterhalten, Julius Caesar erkannte schon vor Christi Geburt, dass Blut und Gewalt mehr Besucher locken als Theater, Poesie oder doofe Wagenrennen. Okay, die Wagenrennen waren beliebt, vor allem wenn es spektakuläre Unfälle gab.

Vor rund 100 Jahren war der Zirkus eine Sensation und ein gern gesehener Gast in jeder Stadt. Die Menschen waren noch nicht gesättigt vom alltäglichen Fernsehprogramm. Heute will kaum noch jemand dressierte Tiere sehen, Tierschutz ist in jeder Munde. Eine schöne Entwicklung, denn Tiere sollten nicht eingesperrt und abgerichtet werden. In den letzten Jahren sind Akrobaten und Artisten gefragte Körperkünstler, auch wenn es immer schwerer wird, die Nerven der Zuschauer zu kitzeln. Doch der Zirkus beherbergt kreative Menschen. Der böse Clown ist spätestens seit „ES“ ein Grund sich zu gruseln. Kettensägenschwingende Maskenmänner, gebildete Kannibalen und höchst ansteckende Zombie-Epidemien sind durch die Kinoleinwand in den Köpfen der Menschen.

Also kombinierten die frustrierten Artisten und Akrobaten ihre Talente mit dem aktuellen Zeitgeist. Warum nicht mit Kettensägen jonglieren? Warum nicht mit blutverschmierten Kostümen und Masken die Leute faszinieren? Warum nicht die Menschen mit realem Horror begeistern? Seit einiger Zeit treibt ein Circus des Horrors oder auch der Horror Circus in Deutschland ihr „Unwesen“:

Getreu dem Motto „Nervenkitzel mit Gänsehautgarantie“ erlebst Du eine innovative und immer wieder überraschende Show. Tauche ein in die Welt der lebenden Toten und nehme Platz am Rande der Manege der Dämonen, Vampire und besessenen, verrückten Artisten und durchgeknallten Clowns. Die Artisten, die Du hier erlebst, sind die Besten der Besten. Erlebe halsbrecherische Stunts mit Motorrädern und am Rad des Todes umgeben von Feuersäulen und Lasershows. Die Ballett-Girls sind wunderschön aber gefährlich. Unwirklich erscheint die schöne Drahtseilartistin, die sich erst vor kurzer Zeit in diesen Circus verirrt hat und die noch nicht hundertprozentig Teil dieser Welt ist. 1

Begeisterte Löwen in der Serengeti teilen ihre Antilope mit Artgenossen und die erleichterten Elefanten verpassen ihrem Kollegen nur aus Freude an der Freiheit eine Wasserdusche. Wurde aber auch Zeit, dass die Tiere endlich wieder ihre Ruhe finden dürfen. Ein Gefahr für die Spezies „Mensch“ sind sie schon lange nicht mehr, nun müssen sie vor dem Menschen geschützt werden. Menschen begeistern Menschen, so sollte es sein.

Horror Circus
Der Horror Circus aus Süddeutschland ist vom 28. März bis zum 14. April 2013 auf Tour. Weitere Infomationen gibt es HIER

Bleibt die morbide Form des Nervenkitzels. Was jagt uns kalte Schauer über die Rücken? Warum schauen wir uns Horrorfilme an?  Warum wollen wir uns Gruseln? Vielleicht ist es ganz einfach: Es geht um das kurzzeitige Gefühl der Angst, es geht um Ekel, Grauen, Gewalt, Mord und Blut. Dinge, die uns selber nie widerfahren sollen, die uns aber doch so sehr faszinieren, dass wir nicht wegschauen, den Film einschalten oder der Link anklicken. Kontrollierte Grenzerfahrung als Adrenalinquelle, aus Angst wird Programm, Ekel wird Entertainment. Diese Dinge haben sich offenbar sei Julius Caesar nicht geändert, auch wenn heute keine Menschen dabei sterben müssen.  Es scheint weit hergeholt und doch beschreibt die Vergangenheit eine düstere Zukunftsvision.

Bleiben wir in der schrecklichen Gegenwart.

Wir gruseln uns gerne. Das Horror-Genre erfreut sich seit Jahren an stetigem Absatz und blühendem Nachwuchs. In der Jugend ist man ganz versessen darauf zu erfahren was sich hinter „Freitag der 13.“ oder „Halloween“ verbirgt. (Wohlgemerkt zu meiner Jugendzeit) Sie schmeckten nach der verbotenen Frucht, man wollte uns durch Altersbeschränkungen davor schützen und machte uns eigentlich nur noch neugieriger. Doch Horror ist aus der Versenkung emporgestiegen, was früher einsamen Nächte vor dem Fernseher vorbehalten war, findet sich heute überall. In Großstädten formieren sich „Zombie-Walks“, bei denen man blutverschmiert durch die Stadt läuft und auch beim Karneval und einschlägigen Gothic-Festivals gehört Kunstblut zur Grundausstattung. Und ja, die Nennung dieser beiden Dinge in einem Satz ist pure und schamlose Absicht. Ist als auch dieser Trend schon wieder nicht mehr zum gruseln?

Der Circus of Horrors aus England, das extremere Gegenstück
Der Circus of Horrors aus England, das extremere Gegenstück

England, ein noch grusligeres Land. Schon wegen seiner Geschichte. Hier ist auch der härtere Bruder, der „Circus of Horrors“ zu Hause, der sich dort größter Beliebtheit erfreut. Hier geht es immer eine Spur extremer zu als bei seinen Ablegern und immer einen Hauch schockierender als erwartet. Ein weiterer Schritt in die Zukunft? Hier gleicht die Bühnenperformance einer Mischung aus Freak-Show, SM Einlagen, Porno und Live-Piercing. Eigentlich nichts, was wir nicht schon einmal irgendwann in dunkler Vergangenheit hatten, vielleicht nicht in dieser Kombination und nicht auf einer Bühne.

Und dieser Zirkus ist dann auch ganz sicher nichts mehr für Kinder. Jedenfalls noch nicht. Vielleicht laufen ähnlichen Dinge ja irgendwann im Nachmittagsprogramm der privaten Fernsehsender. Schockmittel verbrauchen sich mit der Häufigkeit ihres Einsatzes und Dank der vielen Möglichkeiten blitzschneller Verbreitung sind diese Mittel in Windeseile um den Globus.

Ein „Gruftie“ schockiert auch schon lange keinen „Normalo“ mehr. Im Gegenteil, kindliche Neugier, Begeisterung, Anerkennung und Kontaktfreude verwirren den Ur-Gruftie schon seit Jahren. Der wollte eigentlich nur in Ruhe gelassen werden. Angesichts aktueller Entwicklungen bleibt jedoch die Frage, womit wir in Zukunft noch schockieren können.

Einzelnachweise

  1. Aus der Show-Beschreibung des „Circus des Horrors“, abgerufen am 18. März 2013 – http://circusdeshorrors.de/wp/die-show/[]
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Axel
Axel (@guest_34758)
Vor 11 Jahre

Angesichts aktueller Entwicklungen bleibt jedoch die Frage, womit wir in Zukunft noch schockieren können.

Die Frage ist gut. Und die Antwort: sehr naheliegend! Nämlich nicht mit immer extremeren Mitteln – sondern mit ganz, ganz einachen Mitteln. Beispiele:

– Ich trinke z.B. kein Alkohol. Überhaupt keinen. Null, niente, nada. Schmeckt mir nicht und will ich nicht. Das ist für mich normal, aber was glaubt ihr denn, was für Reaktionen ich erhalte, wenn ich das öffentlich sage? Das mindeste, was ich damit ernte sind ungläubige Blicke! Gefolgt von „Hast Du eine Krankheit“, „Gehts Dir nicht gut“? Und das nur weil ich kein Alkohol trinke? Ihr gleuabt garnicht, wie sehr man damit heutzutage provozieren kann. Es ist geselschaftlich so gefestigt, dass man da regelrecht aus dem Rahmen fällt.

– Asexualität: Fragt mal nen Asexy, was die für Reaktionen im Alltag ernten. Das sind halt Menschen, die kein Bedürfnis nach Sex haben. Da fallen die Reaktionen nochmal gleich extremer aus, als bei meinem Alkoholbeispiel.

– Genderfucking: Das ist etwas, was ich derzeit regelmäßiger betreibe: als Mann verbinde ich männliche Kleidung, Unisex Kleidung und weibliche Kleidung miteinander. Auch das provoziert extrem! Nicht mit Gothic-Klamotten, sondern ganz normale bunte Normalo-Klamotten. Man kann dann also nicht erkennen, dass ich Teil irgendeiner Subkultur bin. Als Gothic Beispielsweise hat es kein Effekt, weil man sich DA schon dran gewohnt hat. Aber versucht das mal als Mann mit bunter Normalokleidung. Da wird man richtig krass in Schubladen gesteckt und viele fühlen sich davon extemst provoziert, obwohl Frauen das beispielsweise schon seit Jahrzehnten machen.

Es ist heute ziemlich einfach zu Provozieren. Und das sogar mit einfachen Mitteln. Wenn die Gesellschaft immer extremer wird, schafft man es mit Understatement richtig gut aus dem Rahmen rauszufallen und das kann viele erst irritieren und dann provozieren. Versuchts mal!

Ian von Nierenstein
Ian von Nierenstein (@guest_34763)
Vor 11 Jahre

Genderfucking: In den 80ern als es noch keine Gothic-Stangenware gab, hat man dies übrigens genauso gemacht. Schau dir nur mal Boy George an (ok, ungruftiges Beispiel, aber trotzdem). Generell dieses androgyne schockt die „Spießer“. Nicht die Rüschengewänder und Bondage-Klamotten. Was die Menschen nicht in einen Zusammenhang bringen können, weil es für sie einfach nicht passt, verwirrt sie und stößt sie ab. Heute sind alle bei Menschen wie Keye Catcher oder Olivia Jones pikiert, aber soweit muss man noch nicht einmal gehen. Selbst enge Röhrenjeans, V-Ausschnitt und Eyeliner ist für die Normalbevölkerung unheimlicher als Kutschermantel und auf der spitze stehende Pentagramme.

Sheik Yerbouti
Sheik Yerbouti (@guest_34766)
Vor 11 Jahre

Angesichts aktueller Entwicklungen bleibt jedoch die Frage, womit wir in Zukunft noch schockieren können.

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