Rückblick: Die Besucher 2012 – Eine gemeinsame Reise zum WGT nach Leipzig

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In guter alter Tradition möchte ich euch auf das kommende WGT einstimmen. Wie einige bereits wissen, habe ich einige Artikel  für das Pfingstgeflüster von Marcus Rietzsch beisteuern dürfen, in denen ich mich mit den Besuchern und ihren Gedanken beschäftige. Für die Ausgabe 2012 habe ich mit den Besucher eine Reise gemacht und zusammengefasst, was in vielen vielen Fragebögen an Reiseberichten zusammengetragen wurde. Wer das gedruckte Pfingstgeflüster 2012 noch nicht zu seiner Sammlung zählt, sollte HIER vorbeischauen und umgehend bestellen – es gibt keine bessere Reiselektüre für Pfingsten. Mein Dank für die freundliche Genehmigung und die tollen Bilder gehen an Marcus, dem Mann, dem nie die Friedhöfe ausgehen.

Mit dem 21. Lebensjahr ist die Zeit des Heranwachsens vorbei. Man gilt nun vor sämtlichen Institutionen als Erwachsener. Das Wave-Gotik-Treffen ist schon lange vor seinem 21. Jahr erwachsen geworden. Manche behaupten sogar, es altert bereits. Dabei ist lediglich der Altersquerschnitt der Besucher immer breiter geworden. Mittlerweile tummeln sich drei Generationen auf dem WGT, es ist Normalität geworden, daß die Oma ihre Enkel trifft oder die Eltern mit ihren Kindern unterwegs sind. Und für kaum jemanden ist es das erste Treffen dieser Art.

Das Wave-Gotik-Treffen ist wie ein Zug, in den immer wieder Reisende ein- und aussteigen, während andere länger unterwegs sind und manche gar nicht wissen, wohin sie eigentlich wollen. 20000 schwarze Reisende auf der Suche nach ihrem Abteil, mit einer Reservierung für ihren Stammplatz oder auch als Passagier in einem der Großraumwaggons.

Einsteigen und die Türen schließen

Vio Sol - Hat sie ihr Reiseziel gefunden?
Vio Sol – Hat sie ihr Reiseziel gefunden?
(c) Markus Rietzsch – Pfingstgeflüster

Was bewegte die Besucher eigentlich dazu, in den Zug WGT 2012 einzusteigen? Ist das Ganze immer noch in seiner Definition als Jugendkultur begründet? Die Zahl derer, die mit den Anfängen der Szene erwachsen geworden sind, steigt stetig. Immer mehr Quereinsteiger entdecken ihren Weg in die schwarze Subkultur. Jugendbewegung? Fehlanzeige! Es spielt offenbar keine Rolle mehr, mit welchem Alter sich jemand einer Szene zugehörig fühlt, daher muss die Antwort auf die Frage nach dem Einstieg woanders zu finden sein. Womöglich ist es die Faszination für das, was in der Szene zu finden ist, was Menschen dazu bewegt, den Schritt vom Beobachter zum Reisenden zu gehen.

Für DarAzar bietet diese Szene mit ihren unterschiedlichen Strömungen eine faszinierende Vielfalt. Sie bedeutet Freiheit und die Möglichkeit, die eigene Kreativität auszuleben und oft Neues in für ihn interessanten Bereichen zu entdecken: „Ich genieße es, mich in einem offenen Umfeld zu bewegen, in dem auch viel diskutiert und hinterfragt wird. Ich finde dort viele interessante und kreative Menschen, Musiker, Künstler und Fotografen, die mich ansprechen. Die Outfits, die damit verbundene Mühe und die Liebe zum Detail finde ich toll. Man mag der Szene dabei auf den ersten Blick eine gewisse Oberflächlichkeit vorwerfen, allerdings steht bei Einigen noch viel mehr dahinter. Man trifft innerhalb der schwarzen Szene viele aufgeschlossene, intelligente Leute, die sich tiefgründiger mit der Welt und auch schwierigen Themen auseinandersetzen; so etwas fasziniert mich und ist in anderen Szenen nicht zu finden.

Auf Fille de Porcelaine übt hingegen die Eleganz eine große Faszination aus: „Es ist einfach beeindruckend, ästhetische und zu gleich gut gekleidete Personen zu sehen, die sich dazu auch noch gut zu benehmen wissen und oftmals einen kleinen Hang zum Morbiden haben. Was die Musik betrifft, lässt sich meist Ähnliches sagen: Es ist alles viel stimmiger, viel – so düster es auch sein mag – liebevoller und allgemein mit ein wenig mehr Bedeutung als das, was einem sonst so in die Ohren schwebt.

Und Undómiel hat „den Eindruck, daß es im Vergleich zu ‚normalen’ Menschen relativ gesehen mehr Leute gibt, die sich Gedanken über die Welt machen und Geschehnisse und Prozesse hinterfragen.“ Sie denkt, daß „viele Szenemitglieder Dinge, mit denen sie unzufrieden sind, nicht einfach hinnehmen, sondern den Willen haben etwas zu ändern. Alte Werte, die in der heutigen Gesellschaft immer mehr verkommen, werden von einigen noch befolgt.“ Dennoch sieht Undómiel „leider eine Tendenz in Richtung oberflächliches Partyvolk“, was sie sehr traurig stimmt.

Dekadenz - Ist sein Name die Verkörperung seiner Einstellung oder ein Protest?(c) Markus Rietzsch - Pfingstgeflüster
Dekadenz – Ist sein Name die Verkörperung seiner Einstellung oder ein Protest?
(c) Markus Rietzsch – Pfingstgeflüster

Ist man einmal eingestiegen, beginnt man mit der Suche nach seinem Abteil. Man läuft durch die Gänge des Zuges WGT und wirft neugierige Blicke auf die vielen Facetten, die sich mittlerweile einen Platz gesichert haben.

Nischendasein

Täglich denken wir in Schubladen. Es ist aber auch unglaublich einfach. Ein bunter Irokesen-Haarschnitt und zerrissene Strumpfhosen? Ein Batcaver. Pikes und Pluderhose? Ein Waver. Neonfarbene Haarverlängerungen und Gasmaske? Ein Cyber. Kampfstiefel und Militärhose? Ein EBMler. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Ganz ähnlich ist es mit dem Musikgeschmack. Bei Combichrist erwartet man den Cyber, bei Feindflug den EBMler und die Batcaver gehen bestimmt zu Alien Sex Fiend.

Doch irgendetwas stimmt nicht. Man sitzt an der AGRA, beobachtet die vorbeiziehenden Gestalten und ist verwirrt. Es scheint so, als hätte man alle äußerlichen Stilrichtungen in einen großen Topf geworfen, sie umgerührt und aufgekocht. Ständig ist man gezwungen, neue Schubladen zu beschriften. Man ist schon fast froh, wenn sich der eine oder andere einer bestehenden Kategorisierung fügt. An den Veranstaltungsorten zeichnet sich ein ganz ähnliches Bild, kaum eine Band versammelt ein einheitliches Publikum vor der Bühne.

Fragt man die Besucher nach ihrer Nische, so wird deutlich, daß kaum jemand sich eindeutig zuordnet, niemand will in eine Schublade gesteckt werden. Individualität wird großgeschrieben.

So fühlt sich der Besucher Dekadenz der Szene, an der er vielseitig interessiert ist, im Ganzen zugehörig und nicht einer kleinen Nische. Was auch der Grund ist, sich nicht selbst eingrenzen zu wollen – zumindest nicht innerhalb einer Subkultur, die ihm „als Gesamtes viel Selbstbewußtsein verliehen hat“. Marquise de Noir bezweifelt, daß es eine einheitliche Szene gibt: „‚Die Szene’ gibt es nicht. Es gibt in meinen Augen nur ein paar Schnittpunkte wie die Farbe ‚Schwarz’, ein Interesse an Kultur, Geschichte, Übersinnlichem, Fantastischen, die Liebe zur Musik und zur ausgefallenen Kleidung, egal ob das rüschigen Prunk, Plastikschläuche als Haarschmuck, Lack und Leder oder eben mittelalterliche Gewandung beinhaltet.“ Und das genau macht für sie den Reiz aus, die Vielfalt, die Kreativität und die Liebe zum Detail und zur Ästhetik. „Darin liegt meiner Meinung nach auch die relative Friedlichkeit innerhalb ‚der Szene’ begründet – getreu dem Motto ‚leben und leben lassen’.“ findet Marquise de Noir.

Larissa - Wir leben die Individualität und schätzen die Vergangenheit - vor allem Ästhetisch (c) Markus Rietzsch - Pfingstgeflüster
Larissa – Wir leben die Individualität und schätzen die Vergangenheit – vor allem Ästhetisch
(c) Markus Rietzsch – Pfingstgeflüster

Wir sind Individualisten. Rein statistisch gesehen gibt es keinen zweiten Menschen auf dieser Erde, der die gleichen Fähigkeiten, Neigungen, Talente und Charaktereigenschaften hat. Schubladendenken, so der einheitliche Tenor, ist negativ. Aufgeschlossen bemühen wir uns, niemanden einzusortieren, alles ist erlaubt, jeder Musikgeschmack willkommen und doch stört uns so manches aus dem Topfinhalt, der sich als zähe Masse auf der AGRA-Flaniermeile ergießt. Fehlendes Abgrenzungsverhalten auf Kosten maximaler Individualität?

Zwischen Individualität und Szene-Treffen

Betrachtet man das Geschehen in Leipzig und die mitunter wild gestylten Menschen von außen, so stellt man sich unweigerlich eine Frage: Was bringt 20000 Menschen dazu, sich Jahr für Jahr in Leipzig zusammenzufinden? Man merkt schnell, daß es sich nicht nur um ein Festival handelt, sondern um ein Szene-Treffen, bei dem Individualisten zu ihren Gemeinsamkeiten finden. Hier steht das Miteinander im Vordergrund, die Musik sorgt für die richtige Atmosphäre.

Die großen Unterschiede zwischen Festivals im Allgemeinen und dem Treffen im Besonderen werden von den meisten Besuchern durchaus gesehen und geschätzt. „Natürlich ist es die gesamte Atmosphäre des Treffens, die sich durch die Stadt zieht und mit keinem Festival vergleichbar ist. Im Gegensatz zu Festivals steht für mich hier nicht die Musik im Vordergrund, sondern der Treffencharakter, das Miteinander, das Kennenlernen neuer interessanter Leute, das Treffen alter Freunde. Das Gefühl, unter sich zu sein, und trotzdem auf eine ganze Stadt verteilt zu sein, nicht nur auf ein enges Festivalgelände begrenzt. Am selben Abend mit fremden Leuten Gespräche darüber führen zu können, warum Pinguine besser als Menschen sind, worin der Sinn des Lebens liegt, wie verfallen die Gesellschaft ist – oder eben einfach Spaß zu haben und zu feiern.“ – so drückt es Sarah treffend aus.

Miez - Als sie kurz vor dem WGT noch einen Unfall hatte und im Rollstuhl sitzen musste, durfte sie von der andersartigen Freundlichkeit der Besucher am eigenen Leib profitieren.
Miez – Als sie kurz vor dem WGT noch einen Unfall hatte und im Rollstuhl sitzen musste, durfte sie von der andersartigen Freundlichkeit der Besucher am eigenen Leib profitieren.
(c) Markus Rietzsch – Pfingstgeflüster

Das riesige Alternativprogramm neben den vielen interessanten Bands und die außergewöhnlichen Leute, die das WGT so einzigartig machen, begeistern Dekadenz, der ergänzt: „Auch wenn es in einigen Punkten am WGT etwas auszusetzen gibt, so fühle ich mich jedes Jahr für die paar Tage in Leipzig heimisch. Ich erinnere mich noch sehr gut an meinen ersten Besuch auf dem WGT: Ich stieg an einem Freitag aus der Straßenbahn am Agra-Gelände aus und es überkam mich ein Gefühl der Geborgenheit. Vielleicht läßt es sich auch am besten mit ‚Familie’ beschreiben.

Miez hatte kurz vor dem WGT einen Unfall, weshalb sie die Zeit in Leipzig im Rollstuhl verbringen musste. „Bevor wir fuhren, hatte ich mir totale Sorgen gemacht und dachte, ich könnte überhaupt keinen Spaß haben und daß ich vielleicht doch lieber nicht fahren sollte. Aber das WGT und vor allem auch alle Besucher, haben es mir so schön gemacht, als hätte ich selbst laufen können. Im Grunde hatte ich gedacht, daß ich mein WGT größtenteils im Heidnischen Dorf und an der Agra verbringen müsste. Aber weit gefehlt. Von den Rollstuhltribünen aus hat man die allerbeste Sicht und einmal durfte ich sogar halb in den Journalistengraben vor der Bühne.“ Und sogar das Straßenbahnfahren war durch die Hilfe der Besucher kein Problem, denn viele packten an, um Miez beim Ein- und Aussteigen behilflich zu sein.

Und in der Tat ist es faszinierend, welchen Umgang man auf dem WGT miteinander pflegt. Vielleicht ist das ein Gegenpol zu unserer Ellenbogengesellschaft, in der man gezwungen wird, nur an sich selbst zu denken. Mag sein, daß darin eine Art neue Rebellion liegt. Die bewusste Entschleunigung des Alltags zugunsten eines friedlichen Miteinanders.

Kultur-Gut

Mit jedem Jahr des WGTs wächst auch das kulturelle Rahmenangebot. Immer wieder überraschen die Veranstalter mit neuen Angeboten, immer mehr Anhänger und Interessierte der Szene bringen sich aktiv in die Gestaltung der schwarzen Kultur mit ein. Das Treffen in Leipzig ist einzigartig, es lebt vor, wie man eine musikalisch begründete Szene mit Inhalten füllt.

Begeistert äußert sich Mandy Violetta über die von Jahr zu Jahr reichhaltigeren Angebote in den Bereichen Kunst und Kultur: „Besonders gefreut habe ich mich darüber, daß uns WGT-Gästen freier Eintritt in einigen Museen gewährt wurde. Ich liebe es, in Museen zu gehen, weil man hier mit Dingen aus der Vergangenheit konfrontiert wird, über die man sich sonst keine Gedanken machen würde. Man lernt einfach wahnsinnig viel – besonders über die Menschheit.“ Speziell einige tolle Kunstausstellungen haben ihr Herz höher schlagen lassen.

Ähnlich empfindet auch DarAzar: „Kunst und Kultur nehmen für mich einen hohen Stellenwert ein. Dementsprechend finde ich es gut, die Möglichkeit zu haben, auch viele Museen und Ausstellungen in ganz Leipzig während des WGT kostenlos besuchen zu können und auch, daß dieses Angebot stetig wächst. Ich interessiere mich sehr für Fotografie und für Kunst, die mit der Bearbeitung von Metall oder surrealen Skulpturen zu tun hat. Speziell die Ausstellungen in der Agra oder im Werk II haben mir gefallen.“ Bedauern äußert er nur darüber, daß im WGT-Plan kaum Informationen über diese Veranstaltungen zu finden sind. Eine Broschüre mit kurzen Zusammenfassungen zur jeweiligen Ausstellung, die man dem Plan beilegen könnte, wäre wünschenswert.

Trizzy - Wie sieht eigentlich ein Kommerzpunk aus und was ist das überhaupt?(c) Markus Rietzsch - Pfingstgeflüster
Trizzy – Wie sieht eigentlich ein Kommerzpunk aus und was ist das überhaupt?
(c) Markus Rietzsch – Pfingstgeflüster

Für viele Besucher spielt die Musik sicherlich die größere Rolle, ist sie doch auch ein Stützpfeiler der Szene, doch Sylvie findet wie ihre Vorredner das Rahmenprogramm, welches auf anderen Festivals bei weitem nicht in diesem Umfang geboten wird, faszinierend und spannend. „Ich freue mich jedes Jahr darauf, die verschiedenen Angebote wie Ausstellungen, Varieté, Oper, Lesungen besuchen zu können, um meinen eigenen Horizont erweitern zu können. Einziges Manko sind hier für mich die teilweise sehr langen Wartezeiten, daher darf das kulturelle Angebot gerne weiter ausgebaut werden.

Im Grunde waren es die Szene-Anhänger selbst, die Kunst und Kultur in der Szene etabliert haben. Heute interessieren sich mehr und mehr Besucher für das, was angeboten wird. Das Programmheft schickt den neugierigen Besucher auf eine Reise durch die unzähligen Facetten der schwarzen Kultur. Gothic, so gehasst und verallgemeinernd der Begriff auch sein mag, hat mehr zu bieten als Musik und Klamotten.

Kommerzpunk!

Eine Fahrkarte ist nicht umsonst, so viel ist klar. Die Reise muss bezahlt werden, die Angestellten, die für eine reibungslose Fahrt sorgen, wollen ihren Lohn. Und immer wieder bieten Händler den Reisenden ihre Waren an. Mit dem WGT wird Geld verdient. Mittlerweile ist es für Leipzig ein nicht mehr wegzudenkender Wirtschaftsfaktor, der an Pfingsten die Kassen füllt. Vielen Besuchern ist das klar und dennoch scheint dadurch etwas von dem verloren gegangen zu sein, was viele als „Inhalt“ bezeichnen würden.

So fällt vor allen Dingen die Sicht auf die Medien zwiespältig aus. „Ohne die Medien und den dazugehörigen Kommerz würde es heute manches vielleicht gar nicht mehr geben, deshalb sehe ich es als bittere Notwendigkeit. Es ist zwar nervig, daß sich überall diese Menschen mit Kameras um die beste Aufnahme prügeln, aber wenn man mal ehrlich ist, fast die Hälfte der Besucher möchte das doch auch. Nicht umsonst schleichen manche stundenlang vor dem Agragelände oder in der Stadt herum, anstatt das vielfältige Programm zu genießen!“ beurteilt Tina Abendstern kritisch das Verhalten diverser Fotografen und der sich zur Schau stellenden Besucher.

WGT 2012 - Pfingsgefluester - Nerois und Metamorphistophel
Nerois & Metamorphistophel – Nichts ist wandlungsfähiger als die Gothics, die ein wenig von ihrem Innersten nach Außen tragen.
(c) Markus Rietzsch – Pfingstgeflüster

Auch DarAzar sieht die Notwendigkeit, „Geld zu verdienen und kostendeckend zu arbeiten, um vor allem auch Großveranstaltungen wie das WGT zu ermöglichen“. Allerdings betrachtet er „die Kommerzialisierung der Szene zunehmend als Problem“ und findet, „daß sie schon Einiges daran kaputtgemacht hat“. Dadurch sind „die ursprünglichen Gedanken und Ideen der Szene bei vielen Jüngeren verloren gegangen“. DarAzar sieht darin eine große Gefahr: „Die Tiefgründigkeit der Szene, aber auch die Bereitschaft zur Beschäftigung mit Poesie und Philosophie leiden darunter und das Ganze wird zunehmend oberflächlicher. Durch das exzessive Marketing, vor allem der Musikindustrie, wird die Szene ziemlich verwässert. Oscar Wilde hat gesagt: ‚Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.’ Eben genau dieses für mich wertvolle, faszinierende Außergewöhnliche der Szene könnte durch die zunehmende Kommerzialisierung breitgetreten werden, wodurch schließlich diese Subkultur untergeht.

Die Besucher haben es selbst in der Hand, wie sie ihr Treffen entwickeln. Subkulturellen Inhalt kann man nicht kaufen, man muss selbst dafür sorgen. Wenn man vom WGT zurückkehrt und merkt, daß nichts außer einem gefüllten Kleiderschrank zurückbleibt, hat man eine Reise angetreten, ohne das Ziel zu erreichen.

Tipps für die nächste Reise

Ich wiederhole mich vielleicht, wenn ich sage, daß unsere Szene das wird, was wir daraus machen. Das WGT ist ein fester Bestandteil der Szene, es für sich zu formen, liegt in der Hand jedes einzelnen. Wir sollten uns aufregen, wenn uns etwas stört und uns freuen, wenn uns etwas gefällt. Das stillschweigende Hinnehmen und innerliche Begraben „seiner“ Szene kann man nicht hören. Wie sollen es denn die, die wissen wollen, was nicht „richtig“ ist, es besser machen? Wie soll man entscheiden, wohin man reisen möchte, wenn man die möglichen Ziele nicht kennt?

Über die möglichen Ziele macht sich Mandy Violetta Gedanken: „Das Programm ist vielseitiger geworden und lockt verschiedene Interessengruppen, das gefällt mir am meisten. Negativ hingegen finde ich die Entwicklung des ‚Festivalfeelings’. Bei vielen ist der Spaß am Festival an sich verloren gegangen. Stattdessen müssen die teuersten Designeroutfits aus London präsentiert werden, in der Hoffnung ein Fotograf hält dies fest. Das war früher noch ganz anders.

Und so sieht auch Marquise de Noir manche Entwicklungen kritisch: „Was mich persönlich sehr stört, ist das ‚Auffallen um jeden Preis’. Ich spreche dabei nicht von ausladenden barocken Roben, vollständig in Lack gehüllte Gestalten, Cybergothics oder aufwändigen Steampunk-Konstruktionen, das sind alles Teile der schwarzen Szene. Aber Menschen im rosa Hasenkostüm oder Damen, die im Evakostüm durch Leipzig marschieren, damit sie um jeden Preis auffallen – das hat für mich nichts auf so einem Festival zu suchen.

WGT 2012 - Starbrina - Pfingstgefluester
Starbrina E – Das WGT ist vom Treffen zur Massenveranstaltung mutiert.
(c) Markus Rietzsch – Pfingstgeflüster

Elegante Roben, aparte Details, perfekte Frisuren und Schminke sind eine Augenweide. Viele Besucher und Zaungäste wollen dieses Bild konservieren. Selten genug wird dabei Anstand und Höflichkeit gewahrt. Was Nerois ärgerlich kommentiert: „Ich finde es weniger gut, daß immer mehr Schaulustige angezogen werden, daß man permanent im Kameralicht steht und man auch des Öfteren ungefragt gefilmt wird. Eigentlich ist das WGT für mich ein Festival, in dem ich mich ungehindert so geben und kleiden kann, wie ich bin, und keinesfalls eine Modenschau, in der man wie ein Tier im Zoo begafft und fotografiert wird. Leider hat sich das in den letzten Jahren verschlimmert.

Erfreut zeigt sich Luscinia Lullaby über die schon angesprochene Ausweitung des Kulturprogramms. Doch daneben fand sie „die Überfüllung des Heidnischen Dorfes Samstag und Sonntag wirklich schlimm“. Enttäuscht stellt sie fest, daß dies „nichts mehr von seiner eigentlichen Gemütlichkeit“ hat und eine größere Bühne und der Verzicht auf einen Besucherstop hier sicher nicht hilfreich sind.

Auch Vampy hat ein paar unangenehme Erfahrungen gemacht: „Leider habe ich den Eindruck, daß sich dieses Jahr, trotz der gestiegenen Preise, das Angebot an guten Bands verkleinert hat. Und die Bands, die viele sehen wollten, waren oft in so kleinen Locations untergebracht, daß es einfach viel zu überfüllt war. Da war die Organisation in den letzten Jahren viel besser. Außerdem finde ich es sehr schade, daß mittlerweile einfach jeder überall reingelassen wird. Ich meine, so, wie ich aussehe, werde ich nicht in… sagen wir ‚Prollclubs’ reingelassen. Was machen dann also die Prolls im Darkflower? Richtig: dumm glotzen, Stress anzetteln und Mädels betatschen. Das ist wirklich schade und sollte sich dringend wieder ändern.“ Doch sie schließt ihren Gedanken wohlwollend ab: „Es gibt natürlich auch viel Positives: das kulturelle Angebot ist wirklich sehr schön und man trifft einfach nirgendwo anders so viele tolle Menschen.

Das Wave-Gotik-Treffen ist eine Reise. Die Organisatoren bringen uns an unbekannte und sehenswerte Orte, die viele Fahrgäste fasziniert betrachten. Doch wenn man durch die Abteile streift, fällt auf, dass sich immer weniger Fahrgäste unterhalten und viele damit beschäftigt sind, sie um ihre Erscheinung zu bemühen. Wohin es geht, wie das Ziel heißt und was einen dort erwarten könnte, spielt offenbar eine untergeordnete Rolle. Für die einen wäre es vielleicht wichtig, von ihren Reisen zu erzählen, aus sich herauszugehen und zu zeigen, dass jeder ein Ziel haben kann. Für die anderen ist vielleicht wichtig die Lust am Zuhören zu entdecken, mit anderen ins Gespräch zu kommen und eigene Ziele zu entdecken. Viele Besucher zeigen, dass sie genug Leidenschaft besitzen selbst etwas beizusteuern und ausreichende Neugier mitbringen, sich für ihre eigene Reise inspirieren zu lassen.

Spontis Family Treffen 2013 auf dem 22. WGT in Leipzig

Die meisten haben ihre flauschigen WGT Karten bereits an unheimlich wichtigen Orten verstaut, die kreativen Selbermacher nähen sich die Finger blutig und fast jeder hört sich durch das große Bandangebot zum Wave-Gotik-Treffen 2013 um seine Favoriten herauszupicken. Doch das Wichtigste fehlt immer noch: Das Programm – Die Liste mit den Konzerten und Veranstaltungen die sagt, wann und wo etwas stattfindet. Und was noch viel schlimmer ist als die Ungewissheit des zeitlichen Ablaufs ist die Frage der Fragen, die bestimmt jedem unter den Nägeln brennt, für einen Kloß im Hals sorgt und die schon seit Wochen für nervöses Kribbeln sorgt. Hierbei handelt es sich um eine gewollte, gewünschte und schamlos eingesetzte Übertreibung, die als Stilmittel eingesetzt wird um beim Besucher, der „uns“ immer noch nicht kennengelernt hat, eine unstillbare Neugierde zu wecken. Wann findet das Spontis-Family-Treffen statt?

Nun ist es soweit, hiermit kündige ich voller Vorfreude, Neugier und Spannung das Sponti-Family-Treffen auf dem 22. WGT in Leipzig an. Wieder sind alle Besucher, Kommentatoren  Sympathisanten, Kritiker, Freunde und heimlichen Leser dieses Blogs dazu eingeladen, sich am Sonntag, den 19. Mai 2013 gegen 15:00 zu einem zwanglosen Treffen im Park hinter der Moritzbastei in Leipzig einzufinden. Es würde uns sehr freuen, wenn auch dieses Jahr wieder überraschende Besucher ohne Vorankündigung kommen, denn jeder ist eingeladen, die Menschen kennen zulernen  die sich hier oder auf ihren eigenen Blogs herumtreiben. Wir sind offen, fröhlich und überhaupt nicht elitär, haben kaum Berührungsängste und sind für einen netten Plausch immer zu haben.

Es gibt keinerlei Verpflichtungen, kostet keinen Eintritt und ein Festivalbändchen ist auch nicht notwendig. Wie lange ihr bleibt, hängt von euch und eurem Zeitplan ab. In den letzten Jahren sind die Meisten rund 2 Stunden geblieben, bevor erste Konzerte sie wieder über Leipzig verstreuten. Gerne werden dort Kontaktdaten ausgetauscht um auch während (und vor allem nach dem Treffen) in direktem Kontakt zu bleiben.

Spontis Family Treffen - WegbeschreibungDa einige Besucher das Treffen 2011 und 2012 nicht besuchten weil sie uns nicht finden konnten, will ich die Lagebeschreibung noch einmal verfeinern. Das Treffen findet im kleinen Park hinter der Moritzbastei (auf der Karte rechts oben) statt, also direkt im Zentrum von Leipzig. Von der Innenstadt kommend lasst ihr die Moritzbastei links liegen bis ihr an der Kreuzung Schillerstraße/Universitätsstraße steht, hier könnt ihr den Park bereits sehen. Ihr geht ein Stück links und folgt dem ersten Weg durch den Park (die Moritzbastei liegt in eurem Rücken). Habt ihr die Gabelung erreicht, solltet ihr einen großen Baum sehen unter dem ein paar Menschen rumstehen oder rumsitzen. Das sollten wir sein. Von der Haltestelle der Tram (auf dem Bild der linke Startpunkt) ist es ebenso leicht. Ihr überquert die Ampel (bei Grün) und folgt dem kleinen Weg in den Park um dann gleich rechts über die Wiese zu laufen und unter dem großen Baum die netten Menschen zu treffen.

Was wird geboten?

  • Nette Grufties aus ganz Deutschland
  • Der kostenlose und mittlerweile obligatorische Button zum Spontis-Family-Treffen 2013
  • Die mittlerweile schon legendäre (ich übertreibe) Informationsbroschüre zu diesem Blog
  • Die unbezahlbare Möglichkeit Menschen in Echt zu sehen, die sonst nur als Buchstaben auf dem Bildschirm erscheinen
  • Höchstwahrscheinlich wieder billige Kekse, trockenes Gebäck und warme Getränke

Was musst Du mitbringen?

  • Eine Decke oder Sitzunterlage
  • Eigene Verpflegung (Getränke sind bei warmem Wetter wichtig))
  • Unvoreingenommenheit und Neugier

Auf Facebook gibt es schon eine entsprechende Veranstaltung, bei der ihr eure Teilnahme zusagen könnt. Eine Anmeldung ist aber NICHT notwendig, eine kurze Zusage via Kommentar, bei FB oder E-Mail wäre trotzdem nett. Ich werde versuchen, kurzfristigen Änderung hier bekannt zu geben. Ihr könnt auch gerne eine Handy-Nummer schicken, an die eine Nachricht schicke, falls irgendwas unmögliches passieren sollte. Und jetzt noch ein paar Bilder aus dem letzten Jahr :)

Vita Nigra – Eine Dokumentation über das Leben in Schwarz

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Es gibt unzählige Dokumentationen und Reportagen über die Gothic-Szene und ganze Bücher beschreiben das, was einst als Jugendkultur begann. Manche Macher versuchen sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen, andere versuchen eine Erklärung zu finden und wieder andere malen ein möglichst sensationslüsterndes Bild um mit uns, den „Gothics“, Einschaltquoten zu generieren. Wie soll man auch etwas in 45 Minuten oder auf 300 Seiten beschreiben, dass seit über 30 Jahren wächst und gedeiht? Zumal jedes neueste Machwerk auf die Szene selbst trifft, die selbstverständlich alles bezweifelt, weil sie fürchtet, sich in eine Schublade stecken zu lassen.

Eine E-Mail brachte mich zum Staunen. Inga Siebert, 23 Jahre alt und seit knapp 9 Jahren Szene-Mitglied, möchte sich mit der Dokumentation „Vita Nigra“ eben dieser Aufgabe stellen und eine Facette der Szene darstellen: „Hallo, ich bin gerade fleißig dabei eine Dokumentation über die schwarzromantische Szene zu erstellen. Diese wird extrem umfangreich sein und mindestens eine Stunde dauern.“ Die Dunkelromantiker, die ihre Wurzeln ebenfalls in den 80er Jahren finden dürften, von jemandem beschrieben, der sich erst seit 2004 zur Szene zählt? Der Alt-Gruft, der unzählige Bücher gewälzt hat und elitär die Nase rümpft spricht aus mir: „Niemals! Wie anmaßend!“, doch der extrem neugierige und leidenschaftliche Szenegänger freut sich: „Endlich eine frische Herangehensweise!“ Ich bin verwirrt, doch die Neugier gewinnt. Eindeutig. Grund genug, einmal nachzuhaken, wer hinter der Dokumentation, die Ende Mai veröffentlicht werden soll, steckt.

Inga Siebert studiert an der FH Mannheim Kommunikationsdesign und während ihres Studium bereits einige Filmprojekte abgeschlossen und möchte sich nun an einer Dokumentation über die Schwarzromantiker versuchen. Für sie sind die Schwarzromantiker die Splittergruppe, die am ehesten ihren Gedanken zum Kern des Ganzen entsprechen. „Da es klar war, dass man unmöglich sämtliche Untergruppen unter einen Hut bekommen könnte, habe ich mir meine eigene Untergruppe heraus gepickt, welche nach Meinung Vieler immer noch am ehesten an das „alte Gothic“ heranreicht. Und zwar die Szene der Schwarzromantiker.“

Inga Siebert
Filmemacherin Inga Siebert, die auf Facebook als Le Petit Brouillard unterwegs ist.

Ein interessanter Ansatz, sind es doch die Schwarzromantiker, die mit ihrer starken DIY (Do-it-Yourself) Attitüde tatsächlich dem „Geist“ der ursprünglichen Szene nahe kommen  Doch reicht das aus? Ich fragte Inga, wie sie auf die Idee gekommen ist, eine Dokumentation zu machen: „Jedes Jahr auf’s neue (natürlich vorzugsweise um Pfingsten rum) laufen im TV ständig irgendwelche schlecht recherchierten Reportagen über die schwarze Szene, welche entweder bloßstellend sein wollen, oder schlichtweg falsch sind. Und jedes Mal dachte ich mir, das müsse doch mal Jemand richtig machen und eine Doku drehen, welche wirklich von den Menschen in der Szene handelt, ohne alle als Freaks, Traumtänzer, oder Wichtigtuer abzustempeln. Zum anderen wollte ich schlichtweg eine Hommage an diese wundervolle Gemeinschaft und dieses Lebensgefühl schaffen, wo wir uns zu Hause fühlen und was uns so verbindet. 

Ich bemerkte, wie ich beim Lesen zustimmend seufzte. Wichtigtuer. Jedes größere Festival ist voll mit dieser Spezies von Szene-Gängern. Besonders die Sorte, die beim WGT vor der Moritzbastei auf- und ab flaniert um möglichst viele Blicke, Kameraklicks und Fotowünsche zu erhaschen. Wer dabei nicht durch aufwendige Gesichtsbemalung und selbstgemachte Kleidung punkten kann, provoziert mit möglichst wenig Kleidung oder wahlweise verschmiertem Kunstblut im Gesicht. Doch was steckt hinter der Fassade? Neugierig fragte ich, wie sich Inga mit der Szene auseinandersetzt und einzelne Menschen integriert um eben hinter die prunkvolle Fassade zu schauen.

„…ich im letzten halben Jahr viele Freunde, Veranstaltungen und Bekannte besucht, welche in meinen Augen verschiedene Sparten der Szene abdecken um ein möglich umfangreiches Bild zu schaffen. Ich war bei einer Fotografin, einer Musikerin, einem Modeschaffenden, einem Pärchen, usw. Wichtig war mir auch, dass die Interviews immer in dem Zuhause der Menschen stattfinden, damit wird es persönlicher und schließlich leben wir uns ja auch bei unserer Einrichtung kreativ aus. Dann ging es mir bei meinen Fragen immer um die persönlichen Ansichten und Erfahrungen der einzelnen Personen. Es ging mir nicht darum, irgendein wissenschaftlich- psychologisches Gutachten zu erstellen, oder ein „Die Szene ist so und so und hat sich in den 80gern aus Punkbewegung entwickelt“. Es ging mir eher um die Jetzt- Zeit und wie die Menschen heutzutage mit der Szene leben und halt schlicht, was uns verbindet und was es so Besonders macht. 

Ich glaube, es geht nicht darum etwas zu erklären, was so vielfältig ist. Vielmehr geht es um das Gemeinsame, das uns zusammenbringt, neugierig aufeinander macht und uns letztendlich in dieser Szene hält. Niemand hat uns vorgelebt, was Gothic ist. Keiner hat definiert, was uns verbindet. Die Schwarzromantiker sind eine der interessantesten Splittergruppen der Szene. Ob sie den eigenen Wurzeln nahe kommen, bleibt jedem selbst überlassen. Die Dokumentation wird sicherlich kein 30 Jahre altes Phänomen erklären, sicherlich gibt es aber Einblicke in die Leidenschaften und Gedanken anderer. Vielleicht erkennt man ja so, dass man vieles gemeinsam hat. Fertigstellung ist für Mitte bis Ende Mai geplant. Wie und wo sie dann ausgestrahlt wird, wird hier bekannt gegeben: http://www.facebook.com/vitanigra

Spontis Wochenschau #05/2013

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Well, you wonder why I always dress in black. Why you never see bright colors on my back, And why does my appearance seem to have a somber tone. Well, there’s a reason for the things that i have on.“ Angesichts der aktuellen Wochenschau möchte ich jedoch ein klein wenig daran zweifeln dürfen. Jedenfalls für mich persönlich. Da gibt es doch tatsächlich jemanden, der „Goth“ ist und Blut trinkt. Eigentlich klar. Jeden Abscheulichkeit, die sich ein Mensch ausdenkt, wird irgendwo gelebt. Bevorzugt in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Schließlich kommt die zitieren Textzeile aus dem gleichen Land: Johnny Cash sang „Man in Black“, weil ihn die Leute immerzu fragten, warum er hauptsächlichen schwarze Klamotten trägt. Herrje. Und dann gibt es da noch eine Bloggerin, die mir schon seit Ewigkeiten auf die Nerven geht. Ich meine, ich bin auch selber schuld, warum habe ich ihre Seite auch in meinem Feed-Reader? Womöglich um an das erinnert zu werden, was Gothic nicht ist: Ein reiner Kleidungsstil – und überhaupt, was für ein Stil?. Fast so schlimm wie dieses rumgepose mit den ganzen Leuten die sie trifft. Herrje. Ich reiße mich ja schon zusammen. Habe mir ja selbst aufgeschrieben, dass ich als Gegenbewegung zur Meckerkultur blogge. Gelegentlich muss ich mich selber daran erinnern. Tut gut. Genießt eure Woche mit handverlesenen Links zum schmökern, staunen und echauffieren (klingt besser als meckern).

  • Tropische Goths – Szene in Südamerika | VICE
    Maria Isabel Rueda hat seit den frühen 90ern in Ländern wie Kolumbien, Mexiko und Kuba die Gothic-Szene fotografiert. Sie hat ihre Arbeit in eine Reihe Zeitschriften gebracht, die erste war Tropical Goth und ließ mich meine Position gegenüber der ganzen „Gothic“-Sache überdenken.“ Die Einleitung überlasse ich direkt der Quelle, den Rest lieber nicht, den manche Fragestellungen sind einfach furchtbar. Wie dem auch sei, Gothic ist ein weltweites Phänomen. Das Internet trägt auch die Subkulturen in die entlegensten Winkel unserer Erde. VICE befragte Rueda nach ihrer Zeitschrift und fand heraus, dass Gothic auch in Kolumbien seinen Platz erobert: „Die Leute gewöhnen sich langsam an Goths und solche Sachen. Post-Internet, nichts kann mehr wirklich schockieren. Damals war Goth etwas, über was man mal gelesen oder auf einer Platte gehört hat, doch gesehen hat man es selten […] Wenn man so gekleidet in Kolumbien aus dem Haus gegangen ist, war das eine klare Botschaft oder ein Zeichen von Opposition. Vielleicht wussten die Leute selber nicht, was es war, oder gar richtig darüber reden, wogegen sie sich stellten, doch sie wussten, dass ihre Erscheinung sichtlich schockierte.“
  • Goth-Queen in Hong Kong | La Carmina
    Während wir uns verzweifelt um Tiefe bemühen, kämpft Bloggerin La Carmina um die modischen Aspekte. Wie neulich in Hong Kong. Sie hat es als Autorin, Journalistin und Moderatorin bereits zu einer „kleinen Berühmtheit“ gebracht. „She specialises in goth and Harajuku fashion and Japanese pop culture, and has written three books: The Cosmos in a Carrot, Crazy, Wacky Theme Restaurants: Tokyo and Cute Yummy Time. Canadian-born with Hong Kong parents, La Carmina writes on travel for CNN, AOL and The Huffington Post, and hosts TV shows in countries including Japan, France and Norway. She has also appeared on popular TV programmes such as Bizarre Foods, Oddities and Taboo. With a large and passionate online following, La Carmina writes a regular online travelogue and is now filming a documentary in Japan.“ Es geht um – Mode. Auf dem Rücken einer Subkultur oder als unausweichliche Erscheinung eines alternativen Kleidungsstils?
  • Goths return „home“ for April spectacular | Whitby Gazette
    Ende der Woche ist es soweit. Noch vor dem WGT eröffnet das Whitby-Gothic Weekend die Festival-Saison. Diesmal mit 2 völlig verschiedenen Thementagen – interessante Idee übrigens. Die Whitby Gazette sprach mit Jo Hampshire über die Schwierigkeit Besucher zu rekrutieren und über Whitby als Standort für das Wochenende: „
    Jo, who has been running the event for the past 19 years, said she hopes, so long as people continue to support the event, whether through buying tickets or sponsorship, it will continue long into the future. “I don’t think it will ever move from Whitby,” she added. “Whitby is it’s home. Goths come to Whitby all year round, whether it’s goth weekend, they come because of its connections to Bram Stoker’s Dracula or for Whitby Gothic Weekend, it would not be the same to run it in another town, Whitby is at its heart.”
  • Eine wilde Partynacht mit Grufties (oder auch nicht) | VICE
    Was für einen Eindruck gewinnt eigentlich ein Berliner Party-Gänger, der zum ersten mal eine „waschechte“ Gruftie-Party-Nacht besucht? Luke Atcheson hat es ausprobiert und bringt einige Eindrücke mit: „Mir wurde empfohlen, zur Peak Time um 1 Uhr morgens aufzutauchen. Angeblich sind die nächsten zwei Stunden die beste Zeit, um hier abzuhängen. Aber wenn das Batcave der Alphaclub des Gothic ist, dann scheint Factory sein Omega zu sein. Es kam mir weniger wie eine wilde, laute Huldigung an den Untergrund vor, sondern eher das Gewimmer einer Todesfee oder das finale Gurgeln einer zu Tode geweihten Szene. Komische Typen, die nicht wirklich angemessen gekleidet waren, standen mit einem Bier in der Hand auf der einen Seite, während sich diejenigen, die extra für den Anlass ihre Lederhose aus dem Schrank gekramt hatten, gleichermaßen unbeeindruckt zeigten. Alle blickten auf die Tanzfläche und warteten darauf, dass etwas passierte—irgendetwas.“ Interessante Bilder, die der Fotograf dort eingefangen hat
  • Gothic Fans bemalen Wartehäuschen | Augsburger Allgemeine
    Ganz schön allgemein. Da schmiert jemand die Buchstaben „BNM“ an eine Bushaltestelle und niemand weiß was das zu bedeuten hat. Glücklicherweise ist die Augsburger Polizei auf Zack: “ Die Ermittler haben im Internet recherchiert – und sind bei Facebook auf die Modelagentur „Brutal Nightmares“ gestoßen. Sie zeigt Bilder von Teenagern, die sich in im Stil der Gothicszene kleiden. Ob die Autoren tatsächlich die Agentur im Sinn hatten, ist nicht sicher: Die Täter sind flüchtig. So bleibt bislang fraglich, ob sie nicht vielleicht auch Fans des Bayerischen Nationalmuseums oder der malaysischen Nationalbank sind. Beide Institutionen kürzen sich mit „BNM“ ab. Wie auch immer – die Polizei fahndet nach den Vandalen.“ Vielleicht heißt es auch „Bitte nehmt mich!“ – Vielleicht nimmt auch irgendjemand den Ermittlern das Internet weg. Wer weiß wo sonst die nächste Hausdurchsuchung droht.
  • Das Leben ist nichts für Feiglinge | Nordkurier
    Die Tragikkomödie, die am 28. April in den Kinos anläuft, geht es um Markus Färber (Wotan Wilke Möhring) der nach dem Tod der Ehefrau sein Leben wieder in geregelte Bahnen bringen muss. Die Tochter Kim (Helen Woigk) leidet ebenso unter dem Tod ihrer Mutter und sucht fehlende Zuneigung beim Schulabbrecher Alex (Frederick Lau). Der Nordkurier führte ein Interview mit Möhring und befragte ihn auch zur „Punk-Attitüde“ seiner Filmtochter: „Die Punk-Attitüde Ihrer Filmtochter dürfte Ihnen nicht fremd gewesen sein. Wie haben Ihre wilden Zeiten als Punk ausgesehen? Jetzt muss ich mal kurz penibel werden. Es gibt schon einen Unterschied. Meine Filmtochter ist eher der Gothic- und Gruftie-Szene zuzuordnen, was speziell durch das Geschminke und die düstere Attitüde zum Ausdruck kommt. Ich selbst war dann doch eher jemand, der die Gesellschaft als solche infrage gestellt hat. Trotzdem war es für mich interessant, diese Sache mal aus der Perspektive meiner Eltern zu erleben und zu erleben, wie es für sie wohl gewesen sein mag, als ich so war. Ich kann das Verhalten der Tochter nachvollziehen, deren Band zum Vater schon lange zerschnitten ist. Egal, ob Menschen nach außen hin verhärten oder sich durch harte Musik nach außen hin hart geben, letztendlich suchen sie doch nur nach Liebe und Anerkennung. Dass eine Tochter diese Dinge von ihrem Vater einfordert, ist doch klar. Eine gewisse Art von Revolution – egal, wie sie sich äußert – halte ich im Leben eines jungen Menschen für ganz wichtig.“
  • Interview with a bored, occasionally Blood-Drinking Goth Girl | Grantland
    Blitz und Donner zur gleichen Zeit! So eine Schlagzeile schlägt ein. Michelle ist Gothic und trinkt Blut. 7 Liter Tierblut trinkt sie jede Woche, sie kann nicht mehr ohne. Schon der Kaffee am Morgen ist mit Blut verfeinert. Glaubt ihr nicht?

UNICEF-Studie: Emotionaler Schrottplatz Deutschland

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Unserer Jugend geht es endlich besser! Glaubt man einer internationalen Studie der UNICEF, so hat sich das Lebensumfeld für Kinder und Jugendliche in Deutschland verbessert. Im Ranking der 28 Industrie-Nationen belegen unsere Kinder einen respektablen sechsten Platz. Die Armut ist verschwindend gering, die Gesundheitslage ausgezeichnet und auch die Bildung hat wieder angezogen. Deutsche Schüler erreichen bei den Pisa-Tests bessere Ergebnisse und haben sich in die Top 3 gebüffelt, knapp hinter der Niederlanden und Belgien. Die Raucherecken auf den Schulhöfen werden immer leerer, in keinem der 28 Länder hat sich die Zahl der „coolen“ Raucher so deutlich reduziert wie bei uns. Dafür werden die minderjährigen Racker immer übergewichtiger, aber das geht den meisten ehemaligen Rauchern so. Auch die Liebe zur Verhütung ist wieder gestiegen, die anzahl der Teenagerschwangerschaften ist nämlich gesunken. Die Gewaltbereitschaft sinkt, Alkohol und Drogen sind kaum noch der Rede wert und die meisten Jugendlichen gehen brav zur Schule. Ist also alles super?

Nicht ganz. Fragt man die Jugendlichen nach ihrer subjektiven Meinung, zeichnet sich ein ganz anderes Bild. Bei der Selbsteinschätzung der Lebenszufriedenheit fällt Deutschland wie kein anderes Land ab, auf Platz 22. Jeder siebte Jugendliche ist demnach mit sich selbst und seiner Situation unzufrieden. „Die deutschen Mädchen und Jungen stellen damit sich und ihrer Umgebung ein erschreckendes Zeugnis aus, das uns nachdenklich machen muss. Die einseitige Konzentration auf Leistung und formalen Erfolg führt dazu, dass sich viele Kinder und Jugendliche ausgeschlossen fühlen. Unsere an Ressourcen reiche Gesellschaft versagt offensichtlich dabei, allen Mädchen und Jungen Hoffnung und Perspektiven auf gerechte Teilhabe zu geben.“

Vergleichstabelle UNICEF Bericht 2013Die Leistungsgesellschaft bietet keinen Platz für Emotionen. Es zählt Leistung, Bildung und Funktion. Arbeitsplätze wären schwierig zu bekommen und ohne Studium hat man sowieso keine Aussicht auf ein lukratives Leben. Turbo-Abitur, schnell den Bachelor gemacht und schon winken unendliche Möglichkeiten. Sagt man. Was fehlt, sind Emotionen. Nichts ist für Jugendliche wichtiger als dazuzugehören, Anerkennung zu erfahren und einen Sinn in ihrem Dasein zu erkennen.  Doch das können Schule, Studium und Arbeitsplatz nicht mehr bieten. Keine Zeit zum zuhören.

Es reicht nicht aus, Jugendliche glücklich zu machen, indem man ihnen einen Ausbildungsplatz anbietet. Was sie brauchen, sind echte Chancen, das Gefühl, auch nach der Ausbildung gewollt zu sein, gehört zu werden, mit dem, was sie sagen, was sie fühlen, was sie sich wünschen. In einer Gesellschaft, die immer stärker überaltert, wird die Stimme jener Jungen immer leiser„, schreibt Autor Salome auf dem Blog von „Die Freiheitsliebe“. Doch wer soll diese Arbeit leisten? In Zeiten, in denen Jugendzentren geschlossen werden und Stellen für Sozialarbeiter und Streetworker höchstens noch der Statistik dienen, bleibt nur das Internet. Hier versammeln sich die Jugendlichen und tauschen sich aus. Doch hier ist niemand, der die offenen Fragen beantwortet und zum nachdenken anregt, der organisiert, der hilft und eine reelle Schulter zum ausheulen bietet. Stattdessen gibt es einen Klick weiter vorgefertigte Meinungen und mögliche Verhaltensweisen auf Abruf.

Deutschland ist ein emotionaler Schrottplatz. Statt den Jugendlichen emotionalen Rückhalt zu geben, versuchen wir verzweifelt die Symptome zu lindern. Die Medien verzerren die Wirklichkeit und suggerieren den Jugendlichen nur noch mehr Hoffnungslosigkeit. Wenn Gothic mit ihrer schwarzen Kleidung etwas symbolisieren möchten, so ist schwarz aktueller denn je. Als die EMO vor ein paar Jahren auf der Bildfläche erschienen, war das vielleicht ein Hilferuf? Kompensation einer emotionslosen Gesellschaft. Obwohl, wenn meckern, zetern und aufregen Emotionen sind, dann haben wir sicherlich die Nase vorn.

Seid niemals traurige Menschen. Ein Christ kann nicht traurig sein!„, so der neue Papst Franziskus in seiner Osteransprache. Die Kirche, die ich in meiner Jugend für ihre Jugendarbeit durchaus geschätzt habe, beklagt schwindende Mitgliederzahlen. Die Menschen verlieren nicht ihren Glauben, sondern die Kirche predigt an den Bedürfnissen vorbei. Heute suchen die Jugendlichen nicht mehr nach einer Erklärung für die Entstehung der Menschheit. „Wir müssen Kindern und Heranwachsenden besser zuhören und ihnen mehr Möglichkeiten zur Mitgestaltung eröffnen.„, so der Vorsitzende von UNICEF Deutschland Dr. Jürgen Heraeus.

Die Szene, so überliefern es ältere Szene-Bücher, war einmal bekannt für ihre emotionale Ader. Hier gab es Gespräche, die sonst nicht geführt wurden. Gefühle wurden groß geschrieben, die Musik lieferte den Rahmen, wir die Gedanken und auf der Tanzfläche verschmolz man damit. Mag sein, dass ich etwas idealisiere. Aber ich bin damals auch in die Szene gekommen, weil es hier nicht darum ging wer den schnellsten Computer, den größten Fernseher oder die teuersten Klamotten hatte. Ich würde mir wünschen, wenn wir uns diese Werte erhalten würden um den Schrottplatz Deutschland eine Alternative bieten zu können.

 

2009: Super Goths, Satanisten und Vampire in London

Vor rund 30 Jahren war London eine Hochburg der zu dieser Zeit aufstrebenden Jugendkultur der „Goths“. Begeistert lauschten die Jugendlichen der Musik und nahmen das auf, was die Szene an Inhalten mitbrachte und entwickelte. Vampire, Okkultismus, Satanismus und Mythologie versprachen einen möglichen „Kick“  und luden dazu ein, sich auszuprobieren. Man spazierte auf Friedhöfen, rückte Gläser über eine Tischplatte, entzündete schwarze Kerzen und murmelte geheimnisvolle Texte. Für viele ein Phase, ein Stück ihrer Jugend, eine Erinnerung. Was jedoch passieren kann, wenn man aus einem Interesse und einer Leidenschaft eine Lebensweise oder gar Weltanschauung macht, zeigt eine kurze Dokumentation aus dem Jahre 2010. Offensichtlich haben „Super Goths“, „Real Life Vampires“ und Satanisten vor 15 Jahren damit begonnen, sich in London zu organisieren und Gruppen zu bilden, in denen man sich austauscht und möglichen Aktivitäten okkulter Mächte beobachtet.

Haben hier ein paar Erwachsene nie aufgehört wild und rebellisch zu sein? Wie in der schwarzen Szene selbst, ist auch hier ein breiter Altersquerschnitt zu finden. Offensichtlich ist das Interesse für die Randbereiche zwischen Wissen und Glaube immer noch enorm groß. Das Devonshire Arms war und ist so ein Treffpunkt. Hier trifft sich unter anderem die London Vampire Meetup Group zum monatlichen Stell-Dich-Ein.

Interessant. Hier treffen sich Cyber, Steampunker, Goths und Neo-Romantics, weil sie ein Interesse haben. Vampire, Geschichten und Menschen mit den gleichen Leidenschaften. Völlig unabhängig von der subkulturellen Zugehörigkeit. Vorbildcharakter? Ohne vom Eigentlichen, der kurzen Video-Reportage, abzulenken möchte ich behaupten: Durchaus! Beobachtet man beispielsweise die Ausstellungen, Lesungen und Museumsführungen zum WGT in Leipzig wird deutlich, dass Interessen keine Differenzierung kennen.

https://www.youtube.com/watch?v=RprDeB2_gSE

Spontis Wochenschau #04/2013

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Provokation ist etwas, worüber wir uns aufregen. Provokation ist darauf angelegt eine Regung zu erzeugen und Gedanken und Emotionen zu vermischen. Erst neulich provozierte ein Artikel über die Jesus-Freaks eben solche Reaktionen. Ich hatte damit nicht gerechnet und war überrascht, wie provoziert ich mich durch die vielen Kommentare fühlte. Und ich sage euch, es ist gut, dass wir uns noch provozieren lassen, dass wir unsere Meinung sagen, uns aufregen, diskutieren und streiten. Was wäre die Alternative? Schweigend alles hinnehmen, was um uns herum passiert. Kein schönes Szenario. Natürlich, Provokation bewirkt nicht nur Gutes, sie kann auch Mittel zum Zweck werden, jemanden von seiner Meinung oder Ideologie zu überzeugen. Man hat es nicht leicht. Es gibt viel zu viele Menschen, die alles falsch verstehen. Lange Rede, kurzer Sinn. Ich werde auch weiterhin schreiben, was ich denke. Ich werde weiterhin den inneren Schweinehund besiegen und zugeben, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Und natürlich werde ich auch weiterhin provozieren. Bewusst oder unbewusst. Bis dahin gibt es erstmal die aktuelle Wochenschau:

  • Eigentlich ist die Kirche ja auch eine Sekte | diesseits.de
    Das humanistische Online-Magazin hat mit der Hexe Minerva über Schamanismus, Rituale und Paganismus gesprochen. Das anständig gemachte und ausführliche Interview gibt einen kleinen Einblick in die Szene, zu denen auch „Wicca“ gehört: „Wicca ist ja eine – in den USA mittlerweile anerkannte – Religion oder religiöse Gemeinschaft. Die ist erst in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden und schon sehr strukturiert. Rituale und auch andere Sachen sind sehr in eine Form gepresst. So bin ich nicht. Ich sehe mich dann doch eher im Schamanismus, bzw. im europäischen Schamanismus. Also sehr frei, ich lasse mich da nirgendwo reinpressen.“ Wer mehr über Wicca erfahren möchte, wird in Rosas ausführlichem Artikel fündig. Minerva erklärt abschließend, was Hexen heute sind: „Eine moderne Hexe hat nichts mit den Hexen im Mittelalter zu tun, auch nicht mit der Hexenverbrennung und sieht sich auch eher als europäische Schamanin. Es hat auch nichts mit der Frau im Fernsehen zu tun, die in die Kugel guckt oder Karten legt. Eine Hexe ist viel mehr.“
  • Survival-Tipps: Goth at Work | Der schwarze Planet
    Frau Dark, ich nenne sie mal einfach Shan, ist beruflich sehr eingebunden und nutzt die zwanghafte Inspiration für einen Artikel über den täglichen Kompromiss zwischen Beruf und Szenezugehörigkeit.  „Reduziere Deinen Stil zu Beginn auf ein Minimum, mit dem Du Dich noch wohlfühlst, aber die neuen Kollegen nicht mit dir selbst überforderst. Die meisten verstehen uns ja sowieso nicht und haben einen anderen Geschmack (oder gar keinen). Es lohnt sich daher nicht, sie mit deinem Goth-Sein oder Aussehen beeindrucken zu wollen und von deinem Können abzulenken. Du steckst schneller in einer Schublade, als du zeigen kannst, was für eine/r du bist und was du drauf hast! Pech gehabt, wenn es die falsche ist.“ Weitere nützliche Tipps aus erster Hand gibt bei Shan, die das Ganze auch noch mit schmunzelbaren persönlichen Erfahrungen würzt.
  • Karl Bartos: Die Hit-Maschine | Zeit Online
    Die Band Kraftwerk steht seit Jahrzehnten für elektronische Musik aus Deutschland, die viele Künstler inspirierte, neue Musikrichtungen schuf und den Grundstein für zahlreiche Subkulturen legte. Karl Bartos, Ex-Mitglied der Düsseldorfer Band, hat nun eine eigene Platte gemacht und spricht mit der Zeit über sein Werk. Gleich vorweg, ich habe eine Meinung zu dem Artikel und – zugegeben – keine gute. Was soll ich von einem Artikel halten, in dem sich ein Ex-Mitglied einer Band auf Kosten seiner eigenen Wurzeln eine provokative Haltung zulegt? Was soll ich von einem Artikel halten, der zeilenweise beschreibt, was der Interviewpartner trägt? „Für ein Treffen hat Karl Bartos das Café im Hamburger Literaturhaus vorgeschlagen. Ein unprätentiöser Ort, ganz ohne futuristische Attitüden. Der 60-Jährige erscheint in einem dunkelblauen Dufflecoat, darunter Rollkragenpullover, Jeans und ein paar Desertboots, alles ziemlich dunkel, alles recht unspektakulär. Man hatte ihn eher als Dandy im Stil der fünfziger Jahre in Erinnerung, so wie auf den alten handkolorierten Kraftwerk-Fotos eben. Vom Habitus her wirkt er heute deutlich lässiger und seltsamerweise fast jünger als damals.“ Ich finde: Schrecklich! Damit beraubt man mich meiner Neugier, das Album von Herrn Bartos kennenzulernen. Immerhin ist mein Fremdwörterlexikon zu neuen Ehren gekommen.
  • Postcard Punks | Chris Parker
    In den 80er arbeitete Chris Parker für eine Postkarten-Firma in London und war damit beauftragt, Punks vor die Kamera zu bringen, um sie später als Postkarten an Touristen zu verkaufen. Ein Teil der Bilder landete auch in den Werbeagenturen, die Punks als stilprägendes Merkmal der britischen Hauptstadt etablierten. Ein paar Bilder gibt es jetzt auf einer Internetseite zu sehen. Tolle Aufnahmen!
  • Liegt die Schwarze Szene im Sterben? | Negative White
    In der Schweiz sorgt man sich derweil um ein ganz akutes Problem. Offensichtlich liegt die Szene dort im Sterben, jedenfalls wenn man dem Artikel des Online-Magazins Negative White Glauben schenkt. „In letzter Zeit häuften sich die Hiobsbotschaften für die Gothic- und Wave-Kultur der Schweiz. Clubs sterben, Veranstaltungen verschwinden und Geschäfte schliessen. Sinkt die Szene wieder mehr in ins Grab?“ Im Grunde sind wir uns einig, totgesagte leben länger und so kommt auch Autor Janosch Tröhler zum einzig möglichen und sehr gut formulierten Fazit: „Die Szene wird aber ein möglicher Rückgang in allen Bereichen überleben. Genauso wie sie den Kommerzialisierungsversuchen standgehalten hat. Ein Rückzug in den Untergrund und DIY-Mentalität würde sie denn auch bereichern und neuen Aktivismus hervorrufen. Die Trägheit verleiht der Subkultur Scheuklappen, die abgelegt werden müssen, bevor Mut zum Neuen wachsen kann. Ein Problem, mit dem nicht nur die Gothic-Szene kämpft, denn überall fehlen Menschen, die bereit sind, freiwillige Arbeit zur kulturellen Vielfalt zu leisten.
  • Goth-Typographie und Grufti-Logos | Otranto-Archive
    Wo wir gleich beim Thema wären. Vielfalt, Kreativität und Ästhetik. Gehen wir gleich ans Eingemachte. Herr von Karnstein hat sich in einem sehr informativen Artikel über die typische „Goth-Typographie“ und so manches Band-Logo ausgelassen. Grund war wohl Kritik am Logo seiner Band Farblos, die er – wie ich nicht anders erwartet habe – mit seinem Artikel entkräften konnte. Denn wer Karnstein für ideenlos und unkreativ hält, ist selber doof. „Schonungslos ehrlich darauf angesprochen dass mein eigenes Farblos-Logo zu schlicht und ideenlos und vermutlich lieblos mit einer Standard-Schriftart dahingeklatscht worden sei fasste ich den Entschluss meine Intention dem geneigten Leser zu erläutern. Denn auch wenn es nach wenig aussieht: Es ist nicht zufällig entstanden. “Gotik in der Moderne” – das war quasi “in a nutshell” das Konzept. Die schmalen, hohen, aufstrebenden Formen der gotischen Architektur, die einen davor stehenden und nach oben schauenden Menschen sich so klein und unscheinbar fühlen lassen, nachgebildet in einer gleichförmigen und kalt-minimalistischen Schriftform, wie sie dem späten Jugendstil oder dem deutschen Expressionismus der 1920er entstammen könnte.
  • In Kreuzberg an der Mauer, 1985 | KFMW
    Ja liebe Jugend. Kreuzberg war mal cool und es gab tatsächlich eine Mauer, die die Hauptstadt und ein ganzes Land in zwei Hälften teilte. Blöd, dass man alle Spuren beseitigen will, aber glücklicherweise gab es Mitte der 80er begeisterte Hobby-Filmer, die was draus machten und die West-Berliner Kunst-Seite filmten. Eine kleine Zeitreise ins Berlin 1985. Manche kennen es noch so von der Klassenfahrt.

Jesus-Freaks 1994: Jesus, du bist ein turbogeiler Typ!

Eine bizarre Welt! Doch nicht wegen der Erde selbst tragen wir in unserer Organisation schwarz, sondern wegen der vielen Menschen die unsere Welt zu diesem bizarren Platz machen. Wir glauben an die verrücktesten Dinge und lassen uns von anderen vorschreiben, was gut und böse ist. Eine ganz besonders gruselige Sekte, die uns auch in der Vergangenheit mehrfach wegen unseres stillen Protestes attackierte, feierte erst kürzlich ein bizarres Splatter-Ritual, über das der Postillon in einem Artikel berichtete.

Doch die Feierlichkeiten gehen weiter, denn kurz nachdem der bärtige junge Mann vor über 2000 Jahren starb, erweckte ihn eine „unsichtbare Macht“ von den Toten und entführte ihn an einen angeblich „himmlischen Ort“. Als Symbol für diesen widernatürlichen Akt entwickelte man das Ei, dass als merkwürdiges Zeichen für Auferstehung von Millionen Menschen mit wirren Zeichen bemalt und dann auch noch verspeist wird! Verrückter Glaube!

Was bringt die Menschen trotz Aufklärung, Wissenschaft und Säkularisierung dazu auch heute noch an diesen Mythos zu glauben? Wieso verfallen immer noch Jugendliche trotz aller Warnungen dieser fragwürdigen Vereinigung? Die „Kirche“, wie sie sich lapidar nennt, hat dazu ein ausgefeiltes Rekrutierungssystem erschaffen, dass sich seit Jahrhunderten dem Zeitgeist anpasst und die jungen Menschen in ihren Cliquen anspricht. Ein Artikel aus einer Jugendzeitschrift aus dem Jahr 1993 zeigt beispielhaft, wie geschickt man vor rund 20 Jahren die Jugendlichen in einen Bann zog.

Okay, Jesus, ich will hier keine frommen Sprüche wie all die anderen Superturbospießer ablassen. Ich find’s einfach nur geil, daß du jetzt in diesem Moment bei uns bist und mit uns redest. Wir alle haben einen Monsterbock auf dich. […] Es ist eine ziemlich beschissene Welt und du hilfst mir und den anderen Freaks hier, mit all dem Scheiß besser klarzukommen. Bitte, Jesus, nimm‘ dich dieses Abends an, damit er für uns alle richtig geil wird.

Die Jesus-Freaks, wie sich die jungen Menschen selbst nennen, haben sich zu dieser Zeit bereits etabliert und zählen in ganz Deutschland tausende Anhänger. Moralische Rückdeckungen erhalten sie dabei von ihrer „Kirche“, die ihre Werte und Vorstellungen von einer besseren Welt bereits seit über zwei Jahrtausenden unter der Menschheit verbreitet. Daher genießt der „Glaube“ und die „Kirche“ einen hohen Grad an Anerkennung innerhalb der Gesellschaft. Die Jugendlichen können sich dem Gemeinschaftsgefühl nicht entziehen. Gerade während ihrer schwierigen Lebensphase, in denen die Heranwachsenden immer komplexere und schwierigere Fragen an sich und ihr Umfeld richten, ist die Kirche mit ihren fadenscheinigen Antworten, Geboten und ihrem Gesetzbuch, der „Bibel“ ein willkommener Platz, mit dem sich die Fragenden identifizieren können.

Man gibt sich elitär: Es muss ein zwingendes Ritual durchgeführt werden, dass den „Ungläubigen“ letztendlich zu einem „Gläubigen“ macht. Die Anhänger der Jesus-Freaks nennen es Taufe. Der Artikel zeigt erschreckende Bilder von diesem Ritual. Zwei kräftige junge Bursche drücken den vermeintlichen Anwärter mit grober Gewalt unter Wasser und zwingen den wehrlosen Menschen damit in eine Nahtoderfahrung. Nur so ist der Zugang zum elitären Kreis gestattet. Wer die Tortur nicht übersteht, wird aussortiert. In Ablehnung von Verantwortung schieben es die Freaks auf einen gewissen Johannes: „Schon Johannes der Täufer, aber auch Jesus selbst, taufte die Menschen stehend in einem Fluß. Also finden unsere Tauf-Sessions in der Alster statt„, sagt Christian, der nach eine Karriere als Punk, in der er in der Schule absackte und anfing zu rauchen und so zu den Freaks kam, die ihm ein besseres Leben versprachen.

Erst jüngst erinnerte ich mich über eine im Netz publizierte Einschätzung unserer Organisation: „Der erwähnte Pessimismus bezüglich der menschlichen Zukunft kann fatalistisch sein […] es (kann) auch vorkommen, dass die melancholische Weltsicht sich mit einer persönlichen Depression verbindet. Jugendliche, insbesondere wenn keine direkte soziale Anbindung vor Ort besteht, können sich dabei auch in einer dunklen Eigenwelt verstricken und die bürgerlichen Anforderungen des Lebens vernachlässigen. Ebenso kann der Pessimismus den Konsum leichter Drogen begünstigen, Haschischkonsum etwa wird in der Szene teilweise toleriert.“ Ein offener Schlagabtausch mit unseren Idealen, die zwar ähnlich den kirchlichen zu funktionieren scheinen, offensichtlich aber von vielen skeptisch betrachtet werden.

So brachte mich folgendes, abschließendes Zitat zu der Frage, wer denn hier die Freaks sind. Denn was machen wir anders, außer das wir zu unseren Satan beten? „Im Zimmer stehen zwei große Kerzen neben einem roten Vorhang. Wir setzen uns und schließen die Augen. Simone legt mir ihre Hand auf den Kopf und beginnt zu beten. Es ist ganz still in dem Raum. Ich spüre den tiefen Frieden des Ortes. „Jesus, wir wissen, daß du irgendwie da bist. Gib Kai den inneren Frieden, den er sich wünscht.“ Für einige Minuten verharren wir noch, dann ist die Zeremonie beendet. Tief berührt verlasse ich den Raum…“ Autor Kai Bargmann hat also 1993 am eigenen Leib erfahren müssen, was es heißt, ein Jesus-Freak zu sein. Wie es ihm heute geht, ob er aussteigen konnte oder noch tiefer im Sumpf von Glauben und Kirche versank, bleibt unklar. Ich hoffe, er hat es geschafft.

10 Thesen über das Gothic-Dasein

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Es war einmal. Vor rund 500 Jahren nagelte ein rebellischer Theologe ein paar Zettel an eine wehrlose Tür im beschaulichen Wittenberg und präsentierte seine 95 Thesen, mit denen er die christliche Kirche reformieren sollte. Jedenfalls hat er es versucht. Martin Luther sorgte mit seinem Wunsch nach Veränderung für eine neue Form des christlichen Glaubens, nicht für eine Veränderung der Kirche. Ganz so große Ansprüche habe ich nicht. Ich möchte jedoch etwas fortführen, was in unzähligen Beiträgen und Kommentaren schon seit gefühlten Ewigkeiten diskutiert wird. Das Beispiel Luthers ist nur Sinnbild für einen Veränderungsprozess, der in den Köpfen vieler Menschen stattfinden muss. Es braucht Zeit, bis Gewohnheiten, Rituale und gefühlte Sicherheiten aufgebrochen werden können und meist ist das ein schleichender Prozess, der von vielen nicht wahrgenommen wird. Doch was hat das mit „Gothic“ zu tun?

Vor einiger Zeit titelte Sabrina in einem Artikel „Gothic – Kein Ziel und keine Richtung?“ und sorgte damit  für die erneute Diskussion der Fragen, was Gothic nun ist und ob wir uns nicht über gemeinsame Ziele und Sichtweisen definieren sollten. Es gibt kein abschließendes Fazit, kein Ergebnis, keine Handlungsanweisung, nur eine Reihe von vagen Wünschen und Vorstellungen, wie man eine Szene, die einen wichtigen Teil des Lebens eingenommen hat, verändern, gestalten oder gar reformieren könnte. Ich möchte an dieser Stelle zehn Thesen aufstellen, wie Gothic ist, war und sein kann. Zehn nicht recherchierte Behauptungen, die sich zusammenhanglos zwischen Oberflächlichkeit und Tiefgang bewegen. Zehnmal die Möglichkeit, beizupflichten, nachzudenken und umzusetzen. Zehnmal die Möglichkeit, mich zu verurteilen, anderer Meinung zu sein oder zu meckern.

  1. Der Einstieg ist gefühlte Musik und findet geistig und emotional statt, alles andere ist mitlaufen. 
    Wir fühlen uns unverstanden, nicht akzeptiert und verstehen die Anderen nicht. Wir wollen nicht mitschwimmen und auch nicht gegen den Strom ankämpfen und isolieren uns im tagtäglichen Kampf. Die Musik ist die Grundlage unserer Szene, sie berührt, beeinflusst und inspiriert uns. Wir nehmen Musik nicht nur als Unterhaltung wahr, sondern als emotionalen und inhaltlichen Katalysator. Musik, die düster oder sphärisch klingt, verstärkt unser Gefühl der Isolation, ein Gefühl der Fremdkörper in einer Außenwelt zu sein. Musik ist Ausdruck unseres Lebensgefühls, man „tanzt“ um sich in eine andere Welt fallen zu lassen. Texte transportieren oftmals eine Botschaft und erzählen uns von gesellschaftlichen und menschlichen Problemen, die uns darin bestärken, anders zu sein.  Sie bestätigen uns, in unserer eigenen Welt leben zu wollen.
  2. Wir möchten allein sein, aber nicht einsam bleiben.
    Wie alle anderen Menschen streben auch wir nach Gesellschaft, jedoch nicht nach einem „Gemeinschaftsgefühl“, wir umgeben uns gerne mit Gleichgesinnten ohne dabei unsere Individualität einzubüßen. Wir möchten uns mit Menschen austauschen, die einen ähnlichen Zugang zur Musik oder Kultur haben wie wir selbst. Wir sind auf der Suche nach Anerkennung für unsere Gedanken von Menschen, mit denen man seine eigene Andersartigkeit teilt. Auch ästhetische Anerkennung ist uns wichtig, wir wollen dazugehören und unsere Andersartigkeit ein Erkennungsmerkmal geben.
  3. Schwarze Kleidung ist Gleichstellungsmerkmal und Wohlfühlfaktor.
    Unsere schwarzen Klamotten sind die visuelle Umsetzung des Gedanken „Lasst mich in Ruhe!“ Unser Outfit soll edel, unnahbar und arrogant wirken. Wir möchten unserem Gefühl, nicht dazuzugehören einen äußerlichen Ausdruck verleihen. Allein die Farbe ist als Dresscode anzusehen, der Stil ist eine Patchworkkultur aus dem, was im Laufe der Jahre den äußerlichen Anschein „edel, unnahbar und arrogant“ ausdrückte. Damit steht unser Äußeres im direkten Gegensatz zu unserem Innersten, denn wir sind aufgeschlossen, neugierig und wissbegierig. Entstehende Provokationen werden hingenommen. Gewolltes provozieren mit Symbolen oder Kleidung ist nicht Teil unserer Kultur, sie steht im logischen Widerspruch zum Gedanken „Lasst mich in Ruhe!“ Der Gothic möchte sich in seiner Welt so kleiden, wie er sich wohlfühlt. Selbstdarstellung (Punkt 10) gehört dazu.
  4. Gothic ist nicht auf Konfrontation oder bewusste Provokation aus.
    Im Gegensatz zur Punk-Kultur streben wir keine Reformation des Systems an. Wir nehmen daran teil und schaffen uns auf dieser existenziellen Basis eine alternative Sicht- und Lebensweise. Die meisten Szene-Anhänger gehen einer geregelten Arbeit nach, die ihre eigene Existenz sichert und das Szene-Dasein überhaupt erst ermöglicht, denn Gothic ist eine teure Subkultur. Kleidung, Selbstdarstellung, Musik, Festivals, kostspielige Unterkünfte, lange Reisen und die Teilhabe an Kunst und Kultur hat ihren Preis. Wir wollen kein Gegenentwurf zur klassischen Gesellschaft sein, sondern nur die gelebte Andersartigkeit aus der bürgerlichen Mitte. Wenn der Gothic provoziert, ist das eine unbewusste oder passive Handlung. Die äußere Erscheinung folgt keiner politischen oder sonstig einnehmbaren Ideologie
  5. Gothic ist Resignation und Rückzug
    Es ist die Einsicht, seine Welt nicht ändern zu können und sich in seine eigene Welt zurückzuziehen. Unangenehme Zustände werden nicht durch offene Konflikte gelöst, sondern durch Rückzug. Nehmen wir das WGT als Beispiel: War der Anteil der „Gothics“ auf dem AGRA-Gelände 2000 bei gefühlten 60%, so ist dieser heute auf 10% gefallen, weil immer mehr Splittergruppen, Subszenen und Profilneurotiker die AGRA zu ihrer Flaniermeile gemacht haben. Die Gothics sind aber nicht weniger geworden, sondern nur auf andere Veranstaltungsorte in der Stadt verteilt. So ist der Anteil der Gothics, die sich beispielsweise im Park vor der Parkbühne treffen, deutlich gestiegen. Wir resignieren nicht nur vor der Weltanschauung der Gesellschaft, sondern auch vor Veränderungen in unserem Umfeld. Wir wehren uns nicht, wir gehen einfach weg.
  6. Die Szene schafft sich immer neue Parallelwelten.
    Die Szene hat 30 Jahre überlebt, weil sich im ständigen Fluss an die Gegebenheiten anpasst. Ein pulsierender und kreativer Kern zieht sich immer wieder heraus und definiert sich neu. Gemeinsamkeiten liegen nicht in der gleichen Musik, den gleichen Orten oder den gleichen Leidenschaften sondern in gemeinsamen Gedanken, Gefühlen und Empfindungen. Droht diese Parallelwelt durch einen Einfluss von außen zu zerbrechen, greift das Prinzip des Rückzugs (siehe 5.). Es ist nicht das Ziel die vielen „unpassenden“ Einflüsse aus den geschaffenen Schutzräumen zu entfernen und durch eine gelebte Intoleranz sein Refugium zu schützen, sondern man verlässt die gewohnte Umgebung und erschafft sich neue Schutzräume. Das „Partyprinzip“ macht Schule und steht sinnbildlich für diese Entwicklung. Einzelne Veranstaltungen  die in der musikalischen Auswahl gewollt klein gehalten werden und Festivals, die nicht die Interessen vieler, sondern einzelner kleiner Gruppen verfolgen.
  7. Inhalte füllen ein langes Szene-Leben, Kunst und Kultur den schwarzen Geist.
    Ist der Einstieg stets musikalisch, emotional (siehe Punkt 1) und mehr „gefühlt“ als bewusst, so ist die Entscheidung, mit der Szene zu wachsen immer mit der Suche nach Inhalten behaftet. Oftmals nehmen Einsteiger die düstere Musik sehr subtil wahr ohne sich auf die Texte zu konzentrieren. Eine Beschäftigung mit gesellschaftkritischen, romantischen, morbiden und verträumten Texten sorgt nicht für Rebellion gegen das Bestehende System (siehe Punkt 4) sondern für den Wunsch eine eigene Welt zu formen. Man „verschwendet“ seine Energie nicht mit mehr damit sich den gesellschaftlichen Problemen zu stellen, sondern dazu, die eigene Welt mit Inhalten zu füllen. Dabei überschreitet man ganz bewusst die klassischen Interessen und bewegt sich in den Randbereichen. Gemeinst ist die Beschäftigung mit Okkultismus, Mystik, Esotherik, Religionen, Hexen, Horror, Astronomie, Astrologie und den „Tabu-Themen“ der Gesellschaft.
  8. Planet Gothic – Ein kreativer und höflicher Ort mit herrlicher Langsamkeit
    Was früher aus der Not heraus entstand, ist heute die Reaktion auf die Tatsache, das „Gothic“ als Konsumgut entdeckt wurde. Wir machen selber. Wir schneidern unsere Klamotten, gestalten unser Outfit, kombinieren, verzieren und schmücke was wir haben. Wir dekorieren die Welt, wie sie uns gefällt und immer anders, als sonst wo. Wir schreiben Texte, dichten Gedichte, zeichnen und malen. Im Gegensatz zu unserem Äußeren sind wir im innerlichen äußerst farbenfroh und facettenreich. Wir entschleunigen unsere Parallelwelt und leben die Langsamkeit. Es wird nicht gedrängelt und nicht geschubst. Ist der Bus zu voll, warten wir auf den nächsten oder gehen zu Fuß. Lange Schlangen ertragen wir geduldig. Wir räumen unseren Dreck weg, lieben das Leben und unsere Umwelt. Auf dem Planeten Gothic hat Aggression, Gewalt, Neid und Egoismus keinen Platz. So richtig rund läuft die Sache jedoch noch nicht, schließlich sind wir auch nur Menschen.
  9. Gothic ist keine reine Spaßkultur!
    Niemand geht zum lachen in den Keller und auch Gothics feiern gerne. Doch während viele Menschen dazu neigen, ihren Alltag, die Welt, ihre Probleme und Sorgen durch exzessiven Feiern zu verdrängen oder zu vergessen, stellt sich der Gothic ganz bewusst der Reflektion. Gedanken ersetzten das Feiern, Alkohol wird als Genussmittel verwendet, nicht als Rauschmittel. Gothic ist nicht saufen.  Schwarze Gestalten, die sie schon um 11:00 am Morgen auf dem Zeltplatz des Gothic-Festivals ein Bier an den Hals setzten, haben Gothic nie als Kultur verstanden, sondern nur als alternatives Feierprogramm zum bunten Alltag.
  10. Selbstdarstellung ist unser Leben
    Wir sind leidenschaftliche Selbstdarsteller, nur die Form des Ausdrucks schwankt. Wir inszenieren unseren Körper als Kunstwerk und unsere Kleidung als Teil der Gedankenwelt. Gesellschaftliche Konventionen werden äußerlich bewusst aufgebrochen, Geschlechterrollen verwischt, tabuisierte Kleidungsstile gelebt. Stundenlang stehen wir vor dem Spiegel, formen unsere Haare oder geben unserem Gesicht eine Geschichte. Alternativ profilieren wir uns durch Wissen, Phantasie, Kreativität oder Organisation. Im Gegensatz zu dem, was wir darstellen (oder was uns angedichtet wird), zelebrieren wir das Leben und uns Selbst. Doch wir bleiben Individualisten. Ordnet uns jemand ein, streiten wir ab dazuzugehören. Jeder von uns ist immer etwas mehr anders als der Andere.

Baut Mist statt Bauhaus – Peter Murphy festgenommen

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Es gibt Gründe, die Künstler auf der Bühne von dem Menschen dahinter zu trennen, sonst werden aus legendären Ikonen schnell stinknormale Straftäter. Peter Murphy, Sänger der Band Bauhaus, wurde am Samstag, dem 18. März, wegen Fahrerflucht von der Polizei festgenommen. Wie die Glendale News-Press berichtet, stand der 55-jährige vermutlich unter dem Einfluss von Alkohol, als er in Glendale (Kalifornien) rückwärts ein Auto rammte und den Fahrer dabei leicht verletzte. Ein Augenzeuge, der Murphys Flucht und seine Fahrweise als lebensgefährlich beschrieb, verfolgte den Flüchtigen und informierte die Polizei, so dass Murphy wenig später gestellt werden konnte. Die Polizeibeamten beschrieben Peter Murphy als „sehr verwirrt“, er hatte angeblich Schwierigkeiten, den Tag und die Uhrzeit wiederzugeben. Er stritt zwar ab, an diesem Tag Alkohol getrunken zu haben, gab aber zu, Anti-Depressiva eingenommen zu haben.

Bei einer Durchsuchung fand man unter anderem ein Plastiktütchen, in dem er Methamphetamine (Crystal) mit sich führte. Peter Murphy stritt ab, dass ihm das Tütchen gehört, während die Polizeibeamten zu Protokoll gaben, er hätte zuvor versucht, das Zeug aus dem Fenster zu entsorgen. Bis zum Montag hielt man den Sänger in Gewahrsam und setzte die Kaution letztendlich auf 500.000$ fest, da Gefahr bestehe, Murphy würde außer Landes fliehen. Unklar ist noch, ob Murphy die geplante Tour „Peter Murphy Celebrates 35 Years of Bauhaus“, die am 22. April starten sollte, überhaupt durchführen kann.

Ich muss sicher niemandem erklären, dass Murphy großen Bockmist gebaut hat. Sich mit 55 Jahren noch mit „Mittelchen“ aus dem Leben zu beamen und sich dann noch hinter das Steuer eines Autos zu setzen ist einfach nur peinlich. Vielleicht sollte man sich angewöhnen nicht von Wiedervereinigungen alter Legenden zu träumen um dann doch nur bitter enttäuscht zu werden. Manchmal muss man sich einfach mit einer schönen Erinnerung begnügen, mit einer Geschichte oder einem Lied. Manchmal haben die Kunstfiguren mit dem Menschen dahinter nicht viel gemeinsam. Ich bleibe gespannt, ob Murphy die Läuterung schafft und verfolge die News.