Zeitbilder: Jugendkulturen in Deutschland 1990-2005

In Deutschland schließen sich etwa 20 bis 25 Prozent der Jugendlichen Szenen – Jugendkulturen – an, doch jeder zweite sympathisiert mit ihnen. Sie wollen nicht wirklich voll und ganz dazugehören, finden aber die Mode und die Musik „cool“ und nehmen als Zaungäste immer wieder an szenischen Events teil. Szeneangehörige, vor allem natürlich Musiker, DJs und Mitarbeitern von Magazinen sind wichtige Trendsetter und Meinungsführer ihrer Generation.

Der Zweite Band der Reihe Zeitbilder ist bewusst auf die Zeit nach der Wende gelegt, denn diese Zeit war nicht nur eine Zeit des Wandels für Gesellschaft, Politik und Staat, sondern auch für die Jugend aus Ost und West. Während es im ersten Band mehr um die Entstehungsgeschichte der Jugendkulturen in Deutschland geht, endet der zweite Band mit einem abschließenden Fazit.

Band 2: 1990-2005

Der zweite Band steht unweigerlich unter dem Einfluss des Mauerfalls und zeigt eine Zeit, in der die Polarisierung der Gesellschaftsschichten eine große Rolle spielt, denn gleich im ersten Kapitel Die 90er-Jahre: Aufbruch und Agonie zeigt Farin beide Seiten der jugendlichen Entwicklung. Es wundert also nicht, das im nächsten Kapitel die Neonazis ein Rollen spielen. In Zeiten in denen der Jugendliche keine Perspektive und Ratlosigkeit vorfindet, sucht er Kameradschaftliche Strukturen und wir vom Opfer als Einzelperson zum Mittäter in der Gemeinschaft der Neonazis. Im nächsten Kapitel Gothics geht es um die uns so vertraute schwarze Subkultur, die löblicherweise aber gleich mit einigen Vorurteilen aufräumt und die Sichtweisen und Einstellungen der Gothic besser darstellt. Für einen tieferen Blick ist der Rahmen leider eng. Im Kapitel Techno beschreibt er sehr passend die „neue Jugend“, die rein Spaßorientiert konsumieren möchte und sich um Hintergründe nicht schert. Die Generation Love, Peace & Happiness ohne politischen Anspruch wirkt daher wie eine Retrobewegung der Hippieszene der 70er. HipHop berichtet von den Ursprüngen der jetzt größten Jugendbewegung und beschreibt sie treffend als Kultur zu mitmachen, denn keine andere Kultur hat soviele neue (nicht immer optimale) Einflüsse in die deutsche Jugend gebracht. Im Kapitel Die vermarktete Rebellion beginnt Farin schon damit, ein Fazit zu ziehen und erzählt Cliquen und dem Dazugehörigkeitsgefühl, das alle Jugendlichen teilen. Es erzählt von den Vorurteile derer, die selbst einmal jung waren und mit Mythen versuchen denn Sinn für die Jugend, den sie selbst verloren haben, wiederzufinden. Im Exkurs: No Woman, No Cry ist nachzulesen, das es sich bei den meisten Kulturen um eine Jungenkultur handelt, in der Mädchen eher in der Minderheit sind und nicht zum typischen Bild der Szenen gehören. Die Kommerzialisierung ist Thema des Kapitels Von der Sub- und Massenkultur und zurück und stellt ganz richtig fest, das es sich dabei um ein zweischneidiges Schwert handelt. Zum einen haben die Industrieunternehmen sich zu einem wichtigen Teil der Jugendarbeit gewandelt zum anderen liegt der Idee natürlich der eigene Profit zu Grunde.

Fazit

Beide Bände bilden ein umfassendes und aufklärendes Bild über die Jugendkulturen der deutschen Geschichte. Auch wenn alle Kulturen nur oberflächlich behandelt werden und das wichtigste zusammenfassen, versucht Farin dennoch vorurteilsfrei und unvoreingenommen zu schreiben. Glücklicherweise gelingt ihm das nicht immer, denn seine Schreibweise macht das Buch leicht verständlich. Für jeden interessierten und forschenden sollten diese Veröffentlichungen als Grundlage dienen, sich weiter zu informieren. Denn trotz der Objektivität scheinen einige Bereich der Jugend völlig ausgeblendet, so ist von Drogen nur am Rande zu lesen. Dazu schreibt Farin an anderer Stelle „Jugendkulturen & Drogen – Die Ursprungsversion, die für den Band Jugendkulturen in Deutschland der BPB ist jedoch der Zensur zum Opfer gefallen.“ 1.

In seinem Werk Über die Jugend ist nachzulesen, was dort eigentlich geschrieben stehen sollte und daher wundert es mich nicht, das dieser Teil gestrichen wurde, denn auch hier beschreibt er Objektiv und Vorurteilsfrei und räumt mit vielen Vorurteilen gegenüber Drogen und deren Verwendung auf, ohne jedoch die Thematik zu bagatellisieren. Der Eindruck, das das nicht die einzige Rotstift Attacke der BPB war werde ich beim lesen beider Bände nicht los, denn auch der problematische Bezug der Jugend zu Politik, Staat und System scheint nicht ganz klar zu sein.

Trotzdem möchte ich dieses Werk trotz dieser Tatsache, nahezu jedem ans Herz legen, der mit Jugendlichen zu tun hat, politische Bildung hin oder her. Die meisten Journalisten die über unsere Jugend schreiben sollten sich die beiden Bände unters Kopfkissen legen. Beide Bände wirken übrigens recht hochwertig und nutzen das recht ungewöhnlich Format gut aus. Unzählige Bilder und Aufnahmen aus den Archive, sowie viele Zwischentöne und Erklärungen runden das gute Gesamtbild zusätzlich ab. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis macht daraus eine äußerst glaubwürdiges Werk. Leider ist das Buch nicht mehr als solches bei der BPB zu erwerben und muss daher auf Alternative Wegen besorgt zu werden. Hier ist eine dringende Neuauflage fällig!

Einzelnachweise

  1. Klaus Farin: Über die Jugend und andere Krankheiten – Essays und Reden 1994-2008, S. 73[]
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