Ein Video auf YouTube zeigt die Londoner Gothic Szene zum Ende der 80er Jahre. Obwohl der Sprecher von einer neuen Jugendbewegung spricht, haben die Protagonisten des Werkes ihre Jugend schon länger hinter sich gelassen, aber gut, das können auch Wahrnehmungsfehler sein.
Stilecht beginnt die Reportage dann auch auf einem Friedhof, den ich jetzt mal Pauschal den Magnificent Seven zuordne, einem der 7 großen Friedhöfe des 19. Jahrhunderts die schon immer Treffpunkt für allerlei kuriose Gestalten gewesen ist. Wilfred Ernest Firminger antwortet dann auch auf die Frage, ob er sich als Gothic beschreiben lassen würde (2:22) : „Nein, ich würde mich als Vampire beschreiben.“ Unterstützt wird seine behauptung dann durch zahlreiche Attribute: Angespitzte Fingernägel und ebenfalls spitze Eckzähne zu Kajal umrandeten Augen, die mit grauem Lidschatten nochmals in Szene gesetzt werden. Der Screaming Master der dunkle Lesung Sean Cronin versucht dann die Beschreibung auf eine mehr sachliche Ebene zu lenken und konstatiert (2:38): „Die Punks der späten 70er waren auf der Suche nach einer Ausdrucksform mit mehr Style und Finesse, weniger die aggressive Ader mehr eine kreative Ader.“ Völlig richtig zusammengefasst mein lieber Sean.
In einem Laden auf der Camden High Street hockt dann auch tatsächlich Dave Vanian von The Damned in der Ecke (2:56) und präsentiert seine eigene, schwarze Kollektion. „Der Markt für böse Kleidung wächst„, behauptet die Sprecherin. Schade das es das einzige ist was Ende der 80er von den klassischen Grufties noch wächst, ein paar Jahre später wird es sehr ruhig um diese Kultur. Vanian erklärt dann der Reporterin das die vielen Totenköpfe, die die Menschen verwirren nur die Oberfläche sind und eigentlich viel mehr dahinter steckt. (3:29) Eine interessante Tatsache, denn heute ist unter der Oberfläche nicht mehr viel zu finden, schließlich sind Totenköpfe und schwarze Klamotten im Mainstream angelangt.
Die Besucher eines Konzerts von Screaming Master Cronin schätzen dann auch das geheimnisvolle und tiefgründige an der Musik (4:27) das sie offenbar deutlich von normaler Musik unterscheidet. „Das Make-Up ist unsere Markenzeichen, die Haare unser Look“ behauptet dann der junge Mann ein paar Sekunden später. Die Szene selbst ist von ihrem Erfolg als große Eigenständige Kultur überzeugt, die Sprecherin beruft sich auf „die anderen“, die behaupten, die Szene würde einfach wieder so verschwinden, wie sie aufgetaucht ist.
Die Wahrheit liegt wohl dazwischen. Style und Idee wurde weiterentwickelt und rettete sich durch die Zeiten bis in das neue Jahrtausend, die wahre Szene und das was Gothic damals von einer eigentlichen Kultur unterschied und ihm die Tiefe verlieh von der die Menschen in dem Video überzeugt sind, verschwand wieder in den Schatten aus dem es nie herausgetreten ist.
www.youtube.com/watch?v=ZX5H7Pn16OE
Ich finde dieses Thema immer wieder fesselnd… und schwierig. Denn meine Meinungen zu alldem sind zwiespältig. Ich sehe solche ‚Gotcis und Vampire‘ mit speziellen Augen. Es hat sich alles entwickelt.
Der Mensch lebt um sich selbst zu befriedigen. Für manche Menschen kann Aufmerksamkeit reine Befriedigung sein. Oder auch die Provokation.
Ist die künstliche Verwandlung in einen Hollywood-Vampir das Verstecken seines wahren Ichs? Spielt man seinen Lieblingscharakteren um ihm einen reelen Hauch einzuflösen?
Warum es einzelne Personen machen, können nur diese sagen.
Aber ich weiß das ich Hochachtung vor ihnen habe. Den Mut sein Wesen so zu verändern , egal was die Welt dazu sagt.
Ich könnte es nicht. Schon allein wegen meinem Beruf.
Und ich merke das ich wieder aussschweife. Ende
schöne Weihnachten dir morgen.
Schönes Video=)
Ich finde auch dass die früheren Grufties in einer eleganteren, kreativeren Weise rebellierten. Im Vergleich zu heute ebenfalls, wo es ja oft nur noch um das Äussere geht. Könnte auch daran liegen, dass es heute nicht mehr allzu viel gibt, wogegen man sich auflehnen könnte, und das was es noch gibt kann nicht nur von dieser Szene vertreten werden. Allerdings wird es wohl ewig ein Streitthema sein, diese Werte der Szene…
Ich finde allerdings man sollte solche Lesungen bei Kerzenschein wieder einführen und mehr Menschen mit Poe bekannt machen, hehe
Wünsch dir ein schönes Weihnachtsfest!
Liebe Grüsse
Ah, kenne ich auch ^^
Ich mag den Beitrag irgendwie, auch wenn ich immer herzlich schmunzeln muss über dieses „I consider myself a vampire“ :)
Lesungen, traditionelle Gothic-Künstler wie Poe und Kerzenschein – das ist genau das, was ich versuche so intensiv wie möglich auszuleben, und wofür ich glücklicherweise auch den richtigen Freundeskreis habe.
Ob sowas jetzt allzu verbreitet ist, und ob es einer „Szene“ entspricht ist mir dabei erstmal ziemlich wurscht. Ich empfinde es als gothic und fühle mich sehr wohl damit.
@Äwe: Was individuell dahinter steckt ist sehr verschieden und individuell. Es muss nicht immer das Verstecken der eigenen Person sein, manche machen es aus Provokation, um dazu zu gehören, weil sie es schön finden oder weil es ihnen einfach Spaß macht. Bei den meisten ist sowieso eine ganze individuelle Mischung allerlei Gründe zu sehen.
Ich finde man kann Persönlichkeit und Beruf gut unter einen Hut bringen. Ich für meine Person verkleide mich hald für die Arbeit und passe mich soweit an um dann nach der Arbeit wieder in mein Ich zu schlüpfen. Ich finde daran nichts verwerfliches :) Im übrigen: Auch Dir ein schönes Weihnachtsfest!
@Atanua: Stimmt, viele der Gründe sich damals aufzulehnen sind verschwunden, dafür sind aber auch viel dazugekommen. Ich behaupte jetzt einfach mal das viele vom Leistungsdruck des eigenen Daseins daran gehindert werden „Zeit“ dafür zu finden. Ich hatte als Jugendlicher viel mehr Zeit als die Jugendlichen von Heute. Bei manchen ist einfach auch das Bewusstsei „Ich kann sowieso nichts ändern…“ das das Handeln bestimmt. Für mich spielt die Ästhetik eine große Rolle, gerade in meinem persönlichen Umfeld. Irgendwo sind die schwarzen Klamotten immer noch ein Zeichen für mich, sich gegen das schmücken mit Statussymbolen aufzulehnen. Seit es jedoch zu einer massiven Vermarktung der Klamotten auch im Gothic-Bereich kommt, hat jedoch genau das ebenfalls Einzug erhalten. Und anstatt das zu registrieren, haben sich viele Leute innerhalb der Szene dem unterworfen und mit dem gebrochen, wogegen man einst rebellierte.
Auch Dir ein schönes Weihnachtsfest!
@von Karnstein: Ja, das finde ich auch. Zunächst einmal muss man sich mit dem was man gut findet auch identifizieren. Was die anderen davon halten, ist sowieso wurscht :) Lesungen bei Kerzenschein sind klare Indizien für schwarzes Gedankengut und entspricht durchaus meiner Definition von Gothic.
Dir auch ein schönes Weihnachtsfest!
Allzu ernst kann Sean Cronin seinen Lifestyle auch nicht genommen haben, denn schon Anfang/Mitte der 90er spielten die Marionettes nur noch Crossover (Sean mit kahl rasierter Birne und Ziegenbart). Book of Shadows war übrigens auch keine Meisterleistung. ;-)
Und Leute, die sich für Vampire hielten, wurden damals schon belächelt, es sei denn, sie waren so überzeugend wie Dave Vanian, der diesen Style bereits Ende der 70er lebte (hier zu sehen ab 03:30).
1987 war Gothic übrigens an einem Tiefpunkt angelangt. Bands gab es so gut wie keine mehr, die meisten versuchten so gut wie möglich nicht mit dem Gothic-Umfeld in Verbindung gebracht zu werden. Als Gothic-Band hatte man nämlich Null Chanchen auf dem Markt, es sei denn, man hieß Andrew Eldritch. Für die britische Presse war Gothic praktisch nicht existent. Der wurde ganz gezielt ignoriert.
Nik Fiend von Alien Sex Fiend meinte übrigens mal, dass eine Szene alle zehn Jahre wiederkommt. Wenn man das auf Gothic bezieht, scheint er damit sogar recht zu haben. Der Startpunkt liegt in den frühen 80ern, ein neuer Aufschwung kam in den frühen 90ern und das Batcave-Revival startete genau zehn Jahre später. Die zweite Hälfte eines Jahrzehnts scheint hingegen immer von Niedergang geprägt zu sein.
Letztendlich sind es ja sowieso nur die Fans und die Presse gewesen, die dem ganzen den Gothic-Stempel aufgedrückt haben, liest man sich Interviews mit den „Begründern“ dieser Bewegung durch, lehnen die meisten den direkten Bezug zu einer Gothic Szene ab, sei es jetzt Steve Severin, Andrew Eldritch oder auch Robert Smith. Ich finde, das der Tiefpunkt bereits mit dem Ende des Batcave mehr als besiegelt war. Man darf aber auch nicht außer Acht lassen, das sich die düstere Musik weiterentwickelt hat und auch heute noch Bands in dieses Gefüge passen, das man einst Gothic nannte. Vielleicht darf man vermuten, das die Lifestyle-Geschichte erst durch die Eigendynamik der Szene selbst entstanden ist, ebenso wie sie jetzt dafür verantwortlich ist, auf eine rein äußerliche Erscheinung reduziert zu werden.
Und Nik Fiend hat völlig recht, die meisten Jugendkulturen holen uns irgendwann wieder ein, sie tarnen sich nur hinter neuen Namen :)