Ich habe einen Wunsch. Den Wunsch, unsere Demokratie hält den Rechtsruck in der Regierung aus. Ich habe sogar die Hoffnung, sie wird durch diese Prüfung stärker und gelebter. Doch ich bin niedergeschlagen. Fast ein bisschen Hoffnungslos. Wie konnte man einen Herrn Gauland, Spitzenkandidat der AfD, der erst Aydan Özoğuz, Integrationsbeauftragte des Bundes und SPD-Politikerin, „in Anatolien entsorgen“ wollte und nun offen ankündigt: „Wir werden Frau Merkel jagen“ mit seinem Kreuz auf dem Wahlzettel nur wählen? Die Szene, so ist oftmals zu lesen, sei unpolitisch und beugt sich keiner Vereinnahmung durch eines der Lager. Das ist auch gut so, schützt aber nicht davor, sich individuell zu positionieren. Nie war es so wichtig wie am vergangenen Sonntag, zur Wahl zu gehen und seinem Standpunkt in Form eines Kreuzes Ausdruck zu verleihen.
Ihr hattet keinen Standpunkt? Ihr wolltet keinen haben? Es erschien Euch zu schwierig? Vielleicht wäre dann eine andere Regierungsform für Euch interessant, im Ausland gibt es zahlreiche Länder, die keinen Standpunkt erfordern. In einer Demokratie geht das nicht. Stellt Euch vor, die tausende AfD-Wähler nehmen ihre Spitzenkandidaten wörtlich und unliebsame Kritiker werden „entsorgt“ oder Frau Merkel wird „gejagt“. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an Rostock-Lichtenhagen?
Dies ist ein persönlicher Artikel. Er hat nichts mit der schwarzen Szene oder einer sonstigen Subkultur zu tun und spiegelt lediglich meine persönliche Meinung. Es soll sich nicht wiederholen, denn Spontis möchte keine politische Plattform sein oder der AfD weitere kostenlose Popularität spendieren. Totschweigen geht aber leider nicht. Es war mir ein Bedürfnis.
Als ich neulich meinen Briefkasten öffnete, war ich vom Brief aus dem Hause Art of Dark in Köln etwas überrascht. Hatte ich in meiner Konsumsucht wieder etwas bestellt, was ich nun völlig verdrängt hatte? Nachdem ich den Umschlag hastig aufriss, hielt ich den Comic „Immer wenn es dunkel wird – Zwischenfälle und andere Anektötchen“, nebst einem Anschreiben und kurzen Biografien der beiden Autoren Kämpfer und Zöller in meinen Händen. Was für eine freudige Überraschung! Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten und Parallelen verschlang ich das kleine Meisterwerk bei insgesamt 4 Sitzungen auf der heimischen Toilette. „Welch eine Wohltat!“ dachte ich, als ich die gesuchte Gemeinsamkeit entdeckte: Wir nehmen uns und die Szene nicht immer so ernst, wie unsere Leidenschaften gelegentlich suggerieren.
Demzufolge habe ich natürlich nicht an einer einzigen Stelle der 84 Seiten geschmunzelt, gelacht oder gekichert. Interessant fand ich die Geschichten dennoch, denn ihr hoher Wahrheitsgehalt erlaubt einen unverblümten Blick in das Szene-Leben der Protagonisten und versucht, durch den beiliegenden Humor den Geist für ein wenig Selbstkritik zu öffnen. Vielleicht war dann früher doch alles nicht so heroisch, wie es uns in unserer Erinnerung vorkommt. Natürlich gilt das nur für die gemeinen Leser, bei mir war alles genau so toll, ernsthaft und tiefgründig, wie es mir einrede! Genug Gründe, den Beiden ein paar Fragen zu ihrer Veröffentlichung zu stellen und herauszufinden, was denn nun hinter dem plumpen Versuch, mich zum lachen bringen zu wollen, stecken könnte.
Spontis: Kämpfer, das ist ja nun schon dein dritter Comic aus der Reihe „Immer wenn es dunkel wird“. Warum hast du dir dieses mal Verstärkung in Form des erfolglosen Regisseurs und Ex-Zwischenfall-Inventars Zöller dazu geholt?
Kämpfer: Die Idee kam uns, als wir wieder einmal durchgefeiert in meiner Küche saßen und uns über all die Dinge unterhielten, die uns so in all den Jahren widerfahren sind. Und da waren so bescheuerte Stories dabei, die nur das Leben schreibt. Zöller meinte dann, dass man sowas der Nachwelt nicht vorenthalten sollte und warum ich denn eigentlich keinen Comicband mehr gemacht hätte all die Jahre. Das überzeugte mich, denn tatsächlich saß ich nur noch noch völlig ausgelastet im ART OF DARK-Shop und musste arbeiten. Also schwang ich den Stift und schon war der neue Comicband nach fast einem Jahr fertig.
Spontis: In Eurem Anschreiben, das dem Comic beilag, behauptet ihr schamlos, in der Szene würde es „unglaublich viele lustige und humorvolle Menschen“ geben. Wie kommst Ihr eigentlich zu der haltlosen und völlig aus der Luft gegriffenen Annahme?
Kämpfer: Zöller und ich fristen ja nach wie vor unser Dasein in einem kalten Keller, wo wir uns gegenseitig mit Weltschmerz bewerfen. Dass die Düsterszene nur mit lustigen und humorvollen Menschen besetzt ist, konnten wir daher nur aus den unzähligen Berichten der Grufti-Klatsch-Presse entnehmen. Wie sieht es denn aus da draußen?
Zöller: Ich selber nehme mich da raus, da ich persönlich selten lache. Sollte ich versehentlich doch mal einen Scherz machen, versteht diesen jedoch nur der Kämpfer und andere Düstergestalten. An Supermarktkassen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn die Nachbarschaft samstags den Rasen mäht – der Normalbürger hat noch weniger Humor als ich oder andere depressive Bauhaus Fans. Von daher…
Kämpfer und Zöller sind bis an die Zähne bewaffnet, um rücksichtslos unsere Lachmuskeln anzugreifen.
Spontis: Ihr möchtet Jugend davor zu bewahren mit einem Handy in der Hand vom Auto überfahren zu werden und wünscht Euch, das die Jugendlichen lieber einen Comic – nämlich Euren – in der selbigen halten sollten.
Kämpfer: Das soll wohl heißen „Warum gibt es den Comic nicht als App?“ – Sollte dies die Frage gewesen sein, so kann ich nur antworten, dass ein Comicband besser in der Hand liegt und man diesen als lustiger und humorvoller Mensch in fröhlichen Farben ausmalen kann. Darum erschien der Comicband auch in tristem schwarz-weiß.
Spontis: Wo wir schon mal beim Thema Jugend sind: Was sind für Euch die größten Unterschiede zwischen der Szene, die ihr „erlebt“ habt und der Szene heute, die immer noch Jugendliche in ihren Bann zieht?
Kämpfer: Die größten Unterschiede, die ich persönlich in der Szene feststelle zu damals, sind, dass damals viele Musikrichtungen unter einem Dach liefen, sich aber leider, leider die Parties immer mehr irgendwelchen Schubladen widmen, womit auch immer weniger Leute insgesamt auf den Parties erscheinen. Damals war es meiner Meinung nach eine Ansammlung von Individuen, die einfach Bock hatten raus zu gehen, egal was dort an Szenemusik gespielt wurde. Okay, damals konnte man auch bevor man das 18. Lebensjahr erreicht hatte feiern gehen, und auch noch Rauchen… Ansonsten stört auch der kommerzielle Aspekt der Festivals und dass immer weniger Grufties auf Friedhöfen verstecken spielen, weil es heutzutage uncool sein soll… Was Jugendliche der Szene heute in den Bann zieht, kann ich nicht beantworten; außer ein paar guten Bands sehe ich nicht allzuviel Kreatives. Was ich aber toll finde ist, dass sich der Nachwuchs wieder vermehrt dem alten Style zuwendet (Haare toupieren, Pikes trägt, sich schminkt) und auch zu den „Oldies“ tanzt… Vielleicht weil die Welt um uns herum völlig öde und einheitlich geworden ist, wenn nicht sogar sehr spießig und seltsam. Vielleicht musste das so sein, damit ein paar wieder abdrehen und sich optisch und so weiter abgrenzen.
Zöller: Ich fasse mal beide Fragen (die mit dem Handy in der Hand halten – Anm. d. Red.) zusammen: Als ich letztes Jahr mal CDs während einer Party verkaufte, schrie mich ein dickes Mädchen an: „CDs???!!!! Pfff, wie altmodisch!!“ – Dann gab sie einige Titel der Auslegeware in ihr Handy ein und verschwand in Richtung Techno/EBM Floor. Ich brüllte ihr hinterher, dass sie ohne jene CDs heute wohl kaum tanzen gehen könnte, was sie jedoch mit einem nonchalanten „Tssssss“ abtat. – Naja, zu meiner noch viel aktiveren DJ Zeit standen mehr Leute vor dem Pult, um nach dem Titel des laufenden Songs zu fragen. Heute halten sie dir die Smartphone Playlisten entgegen. Wort- und Grußlos… Und außerdem: seinerzeit zog man mehr um die Häuser, war in alle Himmelsrichtungen in anderen Städten unterwegs; da war aber auch der Sprit billiger…
Spontis: Eure Rollen als Protagonisten im eigenen Comic schützen ja so richtig prima vor dem älter werden, nehme ich an. Ist die gelebte Albernheit in Form von Comics und den darin vorgetragenen Anekdötchen der Schutz vor dem eigenen „Erwachsen“ werden?
Kämpfer: Erwachsen ist man erst, wenn man feststellt, dass man schon monatelang pünktlich um 20 Uhr die Tagesschau guckt und dann feststellt, dass all die Jahre an einem vorbeigegangen sind, die nicht mehr zurück kommen und man außer arbeiten und schlafen und Fernseh schauen nichts mehr gemacht hat. Da wir aber weiterhin am (Nacht)leben teilnehmen und ständig von Leuten umgeben sind, die Spaß bereiten, und das sogar auch tagsüber (!), klappt das bei uns mit dem erwachsen werden wohl noch nicht so ganz. Und somit gibt es immer wieder neue erzählbare Anekdoten – und vielleicht auch nochmal einen Comicband. Dir wird aufgefallen sein, dass ich gelogen habe, als ich eben schrieb, dass Zöller und ich nur noch in einem kalten Keller vor uns hinvegetieren… Sorry dafür.
Zöller: Albern? Wer? Das sind doch sozialkritische Themen, die wir verfasst haben. Und das ist doch das Erwachsenwerden: Ich persönlich genieße nunmehr eine gewisse Ruhe und Stetigkeit im Alltag, zum Beispiel wenn die Freundin abends pünktlich kocht, während ich das Auto aussauge und die GEZ Überweisung vorbereite. Gibt es noch viele Fragen? Ich krieg langsam Rückenschmerzen.
Spontis: Wie wäre es eigentlich mal mit ernsthaften Gedanken zu Eurer „Szene-Karriere“ und einer textlichen Reflektion Eures Lebens? Oder fühlt ihr Euch zu jung für eine Autobiografie?
Kämpfer: Eine Autobiografie würde wahrscheinlich keiner schreiben, geschweige denn lesen wollen. Sowas macht man, glaub ich, wenn man Kanzler war oder Sportler oder Blutengel-Sänger. Einen Teil unseres Lebens aber kann man ja in den Comics nachlesen; denn dort ist ja nicht allzuviel geflunkert worden. Das ist zwar nur ein Bruchteil unseres Lebens, aber darum empfehle ich ja allen, immer fleißig alle Comics von mir zu kaufen, da meine Biografie, anders als bei anderen oben genannten, sozusagen in mehreren Teilen erscheint.
Zöller: Ich hatte mal Prof. Dr. Helmuth Karasek gebeten, als Ghostwriter meine Lebensgeschichte zu verfassen. Der wiederum gab die Aufgabe an Reich-Ranicki weiter, der daraufhin verstarb. Das verwirrte mich dergestalt, daß ich mir vornahm, einen psychologisch fundierten Thriller mit autobiographischen Zügen zu schreiben, als Mystery-Horror-Roman mit Lovestory und Fantasy Elementen, gespielt im Mittelalter. Erste Fragmente existieren, die ich gerne weiterführe, wenn in 4 Wochen meine Therapie zuende ist.”
Spontis: Die „Immer wenn es Dunkel wird…“ Reihe geht mittlerweile in die dritte Runde. Eine endlose Geschichte? Habt Ihr vor die Szene auch noch mit einem 4. Band zu nerven oder welche Pläne habt ihr für die Zukunft?
Kämpfer: Es wird zu Weihnachten eventuell einen Sammelband der Kurzcartoons geben, die ich seit den 80ern bis heute zeichne. Mal sehen ob wir dafür die nötigen Taler zusammengekratzt bekommen. Einen vierten Teil der „Immer wenn es dunkel wird“-Reihe wird es sicherlich auch geben. Wir haben da noch einige Kritzeleien mit Ideen und Anekdoten auf zig Blättern, die wir der dunklen Welt dort draußen nicht vorenthalten wollen.
Zöller: Also ich hab noch einigen Stoff für eine Fortsetzung. Jene wäre auch insofern ratsam, da ich dann keine Autobiographie schreiben muss. Stattdessen könnte ich mich meinem künftigen Projekt “Uli Hoeneß – die Machtergreifung” widmen. Schaun mer mal…
Mein Fazit
Es gibt wohl niemanden in der Szene, der sich in den „Anekdötchen und anderen Zwischenfällen“ nicht wiederfindet. Spätestens im Teil „Wie es wirklich war…“, in dem Kämpfer und Zöller die Hintergründe zu den einzelnen Geschichten offen legen, findet sich jeder in seiner Grufti-Karriere wieder. Entgegen meiner Eingangs erwähnten Humorlosigkeit habe ich sehr wohl gelacht und mich erwischt, wie ich auch in meiner Vergangenheit immer wieder bunte Momente voller Fröhlichkeit und Peinlichkeit entdecke. Es war eben nicht immer alles so cool, so düster und so unfassbar geil, wie man es sich einredet. So schaffen es Kämpfer und Zöller mit ihren humorvollen Geschichten das „damals“ zu zeigen, ohne sich in falscher Eitelkeit und Idealisierung zu verlieren.
Neben den ganzen Biografien, Szene-Sachbüchern und sonstigen Publikationen über die Szene wirkt dann der Comic doch wie ein erheiternder Lichtblick im dunklen Schwarz der eigenen Sammlung. Für rund 10€ ist das ganze dann auch noch ein Schnäppchen und motiviert, auch die beiden Vorgänger des Comics zu bestellen, auch wenn die noch ohne den Zöller als Anektötchen-Spender auskommen mussten.
Dieser Beitrag wurde nie veröffentlicht, weil ich als Privatmensch keine Rechtsberatung leisten darf und ein solcher Artikel ggf. in dieser Form ausgelegt werden könnte. Ich hatte 3 Rechtsanwälte angefragt, einen solchen in einer Art Interview zu machen, aber entweder keine Antwort oder Ablehnungen bekommen habe.
Es ist eine Leidenschaft vieler Gruftis: das Fotografieren und Filmen von Friedhöfen. Da werden ausgiebige Spaziergänge, Exkursionen und sogar Reisen zu weiter entfernten Orten unternommen, um besonders schöne, verwunschene oder historische Friedhöfe zu besuchen. Natürlich möchte man sich diesen Besuch in Erinnerung behalten und fotografiert von der Zeit gezeichnete Engel, verwitterte Inschriften und halb versunkene Gräber. Das man seine Grufti-Freunde an diesem Erlebnis teilhaben lassen möchte, erscheint selbstverständlich und genauso werden die Bilder dann auch in sozialen Netzwerken oder auf Fotoplattformen hochgeladen. Wie die Vergangenheit jedoch gezeigt hat, ist es vor allem in Deutschland nicht immer einfach mit dem, was man fotografiert oder filmt und wie und wo man das dann veröffentlichen kann. Dabei tauchen immer wieder Fragen auf, die sich nicht so einfach beantworten lassen. Darf ich Grabsteine, Gruften und Mausoleen fotografieren? Wie sieht es mit Menschen oder Trauerfeiern aus? Und könnte ein Friedhof die Kulisse für mein nächstes Musikvideo werden? Wir haben versucht, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Das Fotografieren von Grabsteinen, Gruften und Mausoleen und die Veröffentlichung der Bilder sind zunächst einmal völlig unproblematisch. Nach §59 Abs. 1 Satz 1 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) ist es erlaubt, Werke, die sich bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinden, mit Hilfe der Malerei oder Grafik, durch Lichtbild oder durch einen Film zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich wiederzugeben. In der Rechtssprechung und der entsprechenden Literatur ist man einhellig der Meinung, dass Grabsteine, Gruften und Grabmäler zu den genannten Werken gehören, weil Friedhöfe zu den „öffentlichen Plätzen“ im Sinne des UrhG gehören. Das gilt im übrigen auch, wenn die Friedhöfe eine Einfriedung (Hecke, Zaun oder Mauer) besitzen und zu bestimmten Zeiten geschlossen werden. Wenn der Friedhof allerdings – aus welchen Gründen auch immer – geschlossen oder abgesperrt ist, könnt ihr euch nicht einfach Zugang dazu verschaffen, um Bilder zu machen. Auch Hilfsmittel, wie zum Beispiel Drohnen, dürfen dann nicht eingesetzt werden, um Aufnahmen machen.
Das Urheberrecht des Steinmetzes wird ebenfalls nicht tangiert, allerdings darf die letztendlich Abbildung des Werkes nicht entstellend oder verfremdet sein. Den Namen des Steinmetzes als Urheber des Grabsteins oder des Grabmals muss jedoch angegeben werden, wenn er ohne Weiteres in Erfahrung zu bringen ist – durch ein Schild am Grabstein beispielsweise. Bei historischen Grabmalen ist allerdings nicht davon auszugehen, ein solches Schild in leserlicher oder leicht zugänglicher Stelle aufzufinden ist.
Die bildliche Weitergabe von Grabsteinen verletzt auch nicht das sogenannte postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen noch das der Nutzungsberechtigten oder das Besitz- oder Eigentumsrecht der Angehörigen oder des Friedhofs. Denn mit dem Tod endet auch das Recht auf Datenschutz. Daher bestehen weder Unterlassungsansprüche oder das Anrecht auf Schadenersatz. Auch eine Verpixelung oder Unkenntlichmachung der persönlichen Daten des Verstorbenen ist nicht notwendig. Die Veröffentlichung und Verbreitung im Internet sowie die Verwendung der Bilder zu Werbezwecken, die man beispielsweise Facebook beim hochladen der Bilder einräumt, sind ebenfalls erlaubt. Ein Verbot der Erstellung und Verwendung von solchen Aufnahmen ist irrelevant, selbst wenn sie in der Friedhofssatzung enthalten sind, da selbst das Anstaltsrecht – unter dass das Friedhofswesen fällt – ein Verbot dieser Art nicht untermauern kann. Natürlich könnte man an dieser Stelle Moral und Ethik anführen, ganz so, wie es ein Vater für seinen Sohn in Bremen durchsetzen wollte – aber da Gruftis sich meist mit historischen Grabsteinen und deren kunstgeschichtlichen Hintergründen beschäftigen, sollte diese unproblematisch sein. In geschlossen Räumen innerhalb des Friedhofs, wie beispielsweise Kappelle oder Totenhalle, kann der Friedhofsträger allerdings Gebrauch von seinem Hausrecht machen und das Fotografieren und Filmen untersagen.
Lebende auf dem Friedhof
Menschen, die auf dem Friedhof spazieren gehen, Gräber pflegen oder auf der Parkbank ein Sonnenbad nehmen, dürfen nicht so ohne weiteres fotografiert werden. Nach §22 Satz 1 des Kunsturhebergesetzes dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten hergestellt, verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Bilder, bei denen die Menschen nur als „Dekoration“ neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeiten auftauchen, bedürfen keiner Einwilligung. Das ist immer dann der Fall, wenn die „Personendarstellung in der Gesamtschau untergeordnet“ erscheinen, so dass sie auch entfallen könnten ohne dass sich der Gegenstand oder der Charakter der Aufnahme verändern würde. Wenn ihr beispielsweise die historische Friedhofskapelle fotografiert, während eine Person am Bildrand durch die Aufnahme läuft, ist es erlaubt, diese Aufnahme zu verwenden.
Ausnahmen von notwendigen Einwilligung, wie sie beispielsweise in §23 Abs.1 Nr.3 des KUG (Bilder von Versammlungen, Aufzügen oder ähnlichen Vorgängen an denen die abgebildeten Personen teilgenommen haben) sind auf dem Friedhof grundsätzlich nicht zulässig. Auch wenn es sich um Prominente im Sinne von „Menschen im öffentlichen Interesse“ oder „Personen der Zeitgeschichte“ handelt. So genießen auch prominente Besucher des Friedhofs einen besonderen Schutz.
Beisetzungen und Trauerfeiern dürfen grundsätzlich nicht gefilmt oder fotografiert werden, es sei denn man wurde explizit von den Angehörigen und Teilnehmern dafür bestellt oder aufgefordert. Wenn man so möchte, gilt hier sogar das Grundgesetz nach Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, denn gerade in einem solch emotionalen Augenblick sind Angehörige und auch Teilnehmer einer Trauerveranstaltung besonders schutzbedürftig, was neben der Verletzung des Persönlichkeitsrechts und der Intimsphäre besonders schwer wiegt. Zwar handelt es sich bei einer solchen Trauerfeier um ein Ereignis, dass sich zwangsläufig in der Öffentlichkeit abspielt, jedoch bietet ein Friedhof in aller Regel eine Form der Abgeschiedenheit von der Öffentlichkeit, dass man die Erwartung der Trauergäste, in ihrer Trauer nicht fotografiert oder gefilmt zu werden, auch rechtlich untermauert. Die Rechtssprechung geht sogar soweit, dass man den Betroffenen ein Notwehrrecht gegenüber aufdringlichen Fotografen und Kameraleuten einräumt, soweit diese verbale Verbote der Anwesenden ignorieren. Wenn also ein Trauergast dem Fotografen die Kamera aus der Hand schlägt, nachdem dieser der Aufforderung zu verschwinden nicht nachgekommen ist, handelt es sich um Notwehr.
Das wollte ich nur der Vollständigkeit halber hier mit erwähnen, da sich Grufti-Fotografie im Grunde genommen nie mit den Lebenden auf dem Friedhof auseinandersetzt. Es sollte Euch nur daran erinnern, dass auch das Ablichten von Freunden auf dem Friedhof oder das Posieren an Grabsteinen problematisch werden kann, wenn man nicht gefragt hat, ob man die Bilder dann auch bei Facebook hochladen kann.
Musikvideos auf dem Friedhof drehen?
Wer kennt nicht HIM und seinen Song „Gone with the Sin“ oder „Six Feet Underground“ von den Lord of the Lost? So ein Grufti-Song, bei denen der Friedhof die gruselige Kulisse sein soll, stellt eine Sondernutzung des selbigen dar, da sie mit dem sogenannten „Gemeingebrauch“, nämlich der Gewährleistung von Bestattungen und Zurverfügungstellung eines Ortes der Trauer, eben nichts gemein haben. Die oftmals in Friedhofssatzungen Verbote beziehen sie auf diese Nutzungsart und sind durchaus zulässig, anders als bei dem Verbot von eigenen Bilder von Grabsteinen für seinen Friedhofsblog beispielsweise, von dem weiter oben im Artikel die Rede ist. Inwieweit Videoproduktionen sogenannter „YouTuber“ davon tangiert werden, vermag ich nicht zu sagen.
Grundsätzlich ist es ratsam, den Friedhofsträger oder die Friedhofsverwaltung um eine Genehmigung zu bitten, die dieser nach freiem Gusto erteilen oder eben nicht erteilen kann. Das ist, bei freundlicher Nachfrage in der Regel kein Problem.
Panoramafreiheit – Andere Länder, andere Sitten
Dass es in Deutschland schwierig ist, Bilder rechtssicher zu machen und zu veröffentlichen, wissen wir nicht erst seit der Verhüllung des Reichstags durch den Künstler Christo, der die Panoramafreiheit, die dem §59 des UrhG entspringt, faktisch aushebelte, weil seine Verhüllung temporär und nicht zeitlich bleibend gewesen ist. Friedhöfe, das wissen wir nun, sind öffentlicher Raum und fallen in Deutschland zu mindestens unter die sogenannte Panoramafreiheit.
In der europäischen Nachbarschaft sieht das allerdings teilweise völlig anders aus, wie die Karte links eindrucksvoll verdeutlicht. In hellgrün markierten Ländern, wie Deutschland, Österreich, Polen oder Tschechien gelten die hier im Artikel beschriebenen Grundsätze. Deutlich freiheitlicher sind da noch die dunkelgrün markierten Länder, wie die Niederlande oder Großbritannien, in denen selbst Bilder aus dem Innern öffentlicher Gebäude unter die Panoramafreiheit fallen.
In den Ländern Frankreich, Belgien und Italien, die auf der Karte rot markiert sind, gibt es keine Panoramafreiheit. Hier darf man grundsätzlich keine Fotos von urheberrechtlich geschützten Gebäuden veröffentlichen. Hier muss man in der Regel warten, bis der Urheber des Bauwerks 70 Jahre lang unter der Erde liegt. Bei Friedhofsfotografien von Grabsteinen, wie beispielsweise dem Pariser Père Lachaise, ist daher Vorsicht geboten, da hier auch Gräber aus dem letzten Jahrhundert zu sehen sind. Bei der Veröffentlichung der Bilder oder Aufnahmen kann man sich auch nicht immer auf das Territorialprinzip berufen . Vloggerin und YouTube-Star Black Friday wurde jüngst in Paris dazu genötigt, die Aufnahmen vom Pariser Friedhof wieder zu löschen, was also Glück im Unglück bedeuten könnte, wäre man erst später gegen die Veröffentlichung vorgegangen.
Prominentes Beispiel ist hier auch der Eiffelturm in Paris. Dessen Urheber Gustave Eiffel ist zwar 1923 gestorben und demnach seit über 70 Jahren tot, nicht aber die Firma, die die Lichtinstallation erbaute, die den Turm nachts beleuchtet. Fotos vom Eiffelturm bei Nacht dürfen als nicht veröffentlicht werden. Bilder vom Atomium in Brüssel dürfen ebenfalls nicht ohne Genehmigung veröffentlicht werden. Doch auch in Deutschland gibt es Ausnahmen von der Panoramafreiheit, wie das Beispiel des Schloss Sanssouci zeigt. Die Betreibergesellschaft „Stiftung Preußische Schösser und Gärten Berlin-Brandenburg“ hat durchgesetzt, dass ihre Gärten und Schlossparks NICHT als öffentlicher Raum gelten und demnach von der „Panoramafreiheit“ ausgenommen sind.
Fazit zur Friedhofsfotografie
Bilder von historischen Friedhöfen in Deutschland zu fotografieren und zu veröffentlichen, bleibt eine undurchsichtige Freizeitbeschäftigung. Grundsätzlich ist das Fotografieren von G Grabsteinen und Grabstätten problemlos, bei der Veröffentlichung sollte man jedoch Vorsicht walten lassen und sich eine Genehmigung des Friedhof-Betreibers einholen.
Für Ronny gibt es zwei Dinge, die zu seinem Alltag gehören: Der Tod und die Gothic-Szene. Als Pflegefachkraft in einer Altersresidenz in Leipzig ist er nicht nur für die Pflege und das Wohlergehen der Menschen zuständig, sondern begleitet die Bewohner oftmals auch auf ihren letzten Schritten bis in den Tod. Für ihn ist das schon eine Art Berufung, den Bewohnern bei allen ihren Wünschen, Ängsten und Nöten hilfreich zur Seite zu stehen. Alte Menschen werden in unserer Gesellschaft ausgeblendet und sterben oftmals einsam und allein. „Viele werden in Heime „abgeschoben“ und müssen dann dort den Rest ihres Lebens verbringen.“ Steht sein Beruf, der sich stärker als viele andere mit den Tabu-Themen unserer Gesellschaft auseinandersetzen muss, nicht im Grunde am langen Ende der Entscheidung „gegen den Mainstream“ zu sein? Als Ronny mir nach dem WGT in Leipzig einen Artikel zusandte, in dem er den Bewohnern in der hauseigenen Zeitschrift liebevoll erklärt, was ein Grufti ist und warum die sich jedes Jahr in Leipzig treffen, wurde ich neugierig auf die Geschichte hinter seiner Berufswahl.
Viele kennen den sympathischen Leipziger bereits aus dem letzten Jahr, als Ronny in der Dokumentation „Mein Leben in Schwarz“ bereits zum unfreiwilligen TV-Star avancierte und sich mit seinem Satz „Pikes kann man nie genug haben“ und einem denkwürdigen Auftritt im Sarg in die Herzen der Zuschauer bohrte. Ein nachdenklicher, aber sonst lebensfroher und humorvoller Grufti. So ist er vermutlich den Meisten wohl in Erinnerung geblieben.
Ronny arbeitet bereits seit seinem Zivildienst als Pflegefachkraft und hat sich ganz bewusst dafür entschieden. Zu helfen, das liegt dem 42-jährigen im Blut: „Die Menschen die mir dort begegnen, haben ihr Leben gelebt und sind nun auf Hilfe angewiesen. Meine Aufgabe ist es, ihnen den möglicherweise letzten Ort ihres Lebens so schön und so angenehm wie möglich zu gestalten.“ Trotz der beruflichen Distanz hat Ronny der Tod seines Ehemann 2011 sehr mitgenommen. Er wagte den Neuanfang und setzte einen Wunsch, den er schon mit seinem Mann hegte, in die Tat um und zog nach Leipzig. An seinem neuen Arbeitsplatz arbeitet der eingfleischte Grufti natürlich nur Nachts.
Warum arbeitest du eigentlich nur in der Nachtwache?
Ich liebe die Dunkelheit und die Ruhe der Nacht. Ich glaube, ich kann Nachts sinnvoller arbeiten, weil es dann nicht so stressig ist, wie tagsüber. Mich an das Bett eines Bewohners zu setzen, der nicht schlafen kann und mit zu reden, erfüllt mich mit Zufriedenheit. Nachts ist einfach mehr Zeit für alles. Auch mehr Zeit zum sterben. Ich konnte schon viele bei ihren letzten Atemzügen begleiten, mich zu Ihnen setzten und einfach nur da sein.
Wie kam es eigentlich dazu, das du einen Artikel über das WGT für die Hauszeitung verfassen solltest?
Meine Chefin fragte mich, da vielen Bewohne das WGT nicht fremd ist, aber sie leider überhaupt keinen Bezug dazu entwickeln können und nicht wissen, was dort überhaupt stattfindet. Da habe ich mich also hingesetzt und mit einfachen Worten zu erklären versucht, was das WGT ist. Es gab vorwiegend positive Reaktionen darauf und die zwei negativen Reaktionen, die hauptsächlich auf Missverständnisse beruhten, konnte ich im Nachhinein aus der Welt schaffen.
So fragte mich zum Beispiel eine ältere Dame, warum soviele „bunte“ mit herum laufen. Ich sagte ihr, dass ich das selber nicht verstehe und nicht so toll finde, aber das es eben auch sogenannte „Mitläufer“ oder „Wochenendgruftis“ gibt, die sich eben unter die echten schwarzen Seelen mischen. Die Dame bedankte sich für meine Informationen und fragte mich, auch ob ich ihr ein Foto schenken könnte – was ich natürlich auch tat. Solche kleinen Gesten, erfreuen mich immer wieder.
In dem Artikel schreibst du „Wave-Gothic-Treffen“, hast du Dich nicht verschrieben?
Warum ich das „Wave Gotik Treffen“ in „Wave Gothic Treffen“ unbenannt habe, ist für mich ganz einfach erklärt. Einige Bewohner sprachen mich schon im Vorfeld darauf an, warum eine Epoche mit in der Bezeichnung des Treffens vorkommt. Auch für mich bezeichnet Gotik eine Epoche der neueuropäischen Architektur und Kunst des Mittelalters und Gothic ist für mich den Name der Subkultur. Warum es in der offiziellen Betitelung des Treffens nun „Gotik“ und nicht wie ursprünglich „Gothic“ heißt, habe ich noch nie verstanden. Aber vielleicht kann mich hier ja jemand aufklären.
Wie gehen die Bewohner, die du betreust, eigentlich mit deinem Äußeren um? Bist du auch schon auf Ablehnung gestoßen?
Natürlich gefällt nicht jedem Bewohner mein Äußeres. Was auch gut so ist. In handhabe das eigentlich immer so, das wenn ein neuer Bewohner zu uns kommt und ihn nicht kenne, ich vor meinem Dienst zu ihm gehe und mich vorstelle, damit sie sich in der Nacht nicht erschrecken ;-) So richtige Ablehnung habe ich noch nie erfahren, außer von so einem sogenannten Reichsbürger, was aber dann auch auf Gegenseitigkeit beruhte. Die meisten Bewohner fragen eher, warum ich so aussehe, wie ich aussehe. Die bekommen dann eine ehrliche Antwort und meistens wird mein Äußeres danach auch völlig unwichtig.
Ronny bei der Entsorgung verschmutzter Textilien
Vorbereitung von Medikamenten
Ein neuer Tropf wird angehängt.
Du hast regelmäßig mit sterbenden Menschen zu tun und begleitest sie auf ihrem letzten Weg. Wie beeinflusst Dich das und wie hat Dich dein Beruf verändert?
Ich glaube nicht, das mich mein Beruf verändert hat. Ich habe jedoch viel an Erfahrungen gewonnen und kann vielleicht so, viel bewusster mit dem Thema Sterben umgehen. Während meiner Ausbildung zum examinierten Altenpfleger wird das Thema „Sterben und Tod“ sehr ausführlich behandelt, so kenne ich auch die verschiedenen Stadien des Umgangs mit dem Tod:
Nichtwahrhaben wollen – „Ich nicht!“
Zorn, Wut, Aggression – „Warum ich?“
Verhandlungen – „Jetzt noch nicht!“
Depressionen und Ausweglosigkeit
Annahme und Zustimmung – „Ja, ich kann mein Schicksal annehmen.“
Das „Loslassen“ beginnt. Natürlich ist das Theorie, aus einer Erfahrungen trifft es die Realität aber ganz gut. Als mein Mann zu Hause eingeschlafen ist, habe ich ihn auch eine ganze Woche auf seinem Weg begleitet. Ich glaube, das hätte ich ohne diesen Beruf nicht machen können.
Anti-Haltung gegen die Gesellschaft und ihre Normen?
Ich bleibe ein wenig ratlos zurück. „Gegen die Gesellschaft„, „den Mainstream ablehnen„, „sich mit dem Tod beschäftigen„, „Schwarz als Trauerfarbe für eine Traurige Welt„. Es gibt viele Argumente, die Szeneangehörige nennen, wenn es um ihre Zugehörigkeit geht. Die Szene brüstet sich gerne mit dem Interesse für das Abseitige, in den Wohnungen wimmelt es von Totenköpfen und Grabsteinen und auch die Vorlieben in Sachen Unterhaltung sind oft gruselig und handeln von Vampiren, Werwölfen oder dem Bösen im Allgemeinen. Doch außer einer weit verbreiteten Todesästhetik scheint es innerhalb der Szene nicht all zuviel Interesse für den Tod, das Sterben oder den Umgang damit zu geben. Jedenfalls sind mir noch keine Sitzkreise begegnet, die sich mit dem Sterben beschäftigen, sondern vielmehr mit den besten Bands oder dem besten Outfit. Auch Themen hier im Blog, die sich um den Tod drehen, bleiben oftmals unkommentiert. Hat die Szene nun an Glaubwürdigkeit eingebüßt oder ist die uns nachgesagte Beschäftigung mit Tod und Sterben ein Mythos?
Ronny hat seinen Beruf ganz bewusst gewählt und hat dadurch eine ganz alltägliche Konfrontierung mit diesen Themen. Sein Gesamtbild ist stimmig und auch seine Lebensfreude scheint das positive Ergebnis einer einfachen Formel zu sein. Wenn du den Tod als Teil des Lebens akzeptierst und auch mit der Tatsache lebst, dass dieser Zeitpunkt völlig willkürlich sein kann, solltest du das Leben bejahen. Jeden Tag. So wie Ronny:
„Die Gesellschaft lehne ich ja nicht ab – ich bewege mich ja darin. Nur eben anders als Andere.“
Wie seht ihr das? Ist der offene Umgang mit Tod und Sterben ein Märchen? Sind wie einfach nur ein Querschnitt der Gesellschaft die gerne anders aussieht? Ist es einfach nur die Ästhetik des Todes, die uns reizt, während uns die Realität überhaupt nicht interessiert?
In Köln treffen sich einmal im Jahr die Tageslichtvermeider, die Nerds, die Geeks, die Cosplayer, die Gamer und die Freaks an einem Ort zusammen, der sich Gamescom nennt. Das ist die zweitgrößte Computer-Spiele Messe der Welt, zu der jedes Jahr über 300.000 Menschen dieser Spezies in die Domstadt pilgern. Zugegeben, nicht alle Besucher bewegen sich abseits der Norm oder verlassen den gesellschaftlich gesteckten Rahmen der Vernunft völlig, aber die sind auch nicht der Grund warum ich diesen Tagebuch-Eintrag schreibe. Es geht um eben diese unerklärliche Masse an Menschen, die wie ihre Lieblings-Spiele-Figur aussehen wollen, die 5 Stunden darauf warten, einen angekündigten Spiele-Titel zu spielen, Menschen die kreischen, wenn sie einen YouTuber sehen, der nicht anderes macht, als auch Computer-Spiele zu spielen. Es geht auch nicht um Erklärungen, Anleitungen zum Dabeisein oder Hintergrundinformationen zur Lebenswelt der Spieler. Wer sich nicht schon mal gewünscht hat, wie Geralt der Hexer durch Temerien zu reisen, als gefürchteter Pilot in das Herz eines Sternenzerstörers einzudringen oder verzweifelt, wenn die feindlichen Truppen die wunderschöne Mauer um die eigene Stadt schon wieder einreißen, wird diesen Artikel wohl befremdlich finden. Ich bin gespannt, liebes Tagebuch, wie Du ihn findest.
Erstmals in diesem Jahr eröffnete unsere Bundeskanzlerin die Messe und stellte in ihrer Ansprache fest: „Computer- und Videospiele sind als Kulturgut, als Innovationsmotor und als Wirtschaftsfaktor von allergrößter Bedeutung.“ Das Bild der Eröffnung ging um die Welt. Angela Merkel umgeben von Ikonen der Spiele-Welt, die ihr genauso fremd erschien, wie es auf dem Bild den Eindruck erweckt.
Als sich die S-Bahn am Bahnhof erbricht wird mir klar, dass das ein intensiver Tag zu werden scheint. Ein Blick vom Bahnsteig offenbart die Perlenkette aus Spinnern, die sich zielstrebig über die Behelfsbrücke schlängelt und einem Demonstrationszug vom Planeten Andromeda ähnelt, denn immer wieder wachsen überdimensionierte Zauberstäbe, Flügel oder auch Kraken über die Köpfe der Menschen hinaus. Die GRÜNEN, die am Rande der Perlenkette ihr Parteiprogramm an die Elfen, Sturmtruppen und Zauberer verteilen wollen, scheitern am Tunnelblick des Besucherstroms. Hätten sie sich doch als Bäume oder Waldelfen verkleidet, wäre es sicher besser gelaufen.
In den Retro-Hallen bekomme ich gnadenlos um die Ohren gehauen, dass ich alt bin, denn alles was hier zu sehen ist, fühlt sich merkwürdig vertraut an. Irgendwo flimmert PONG auf einem Bildschirm, der eine Bildwiederholfrequenz zum mitzählen bietet, eine alter Spielautomat offenbart das urige Space-Invaders, während auf einem C64 (Modell Brotkasten) der Klassiker KAISER meldet, das wieder 20t Korn im Kornspeicher verrottet sind. Auch Kinder und Jugendliche scheinen sich noch für die alte Technik und die Wurzeln heutige Blockbuster zu interessieren, denn mitnichten sind die Hallen von ergrauten und gebückt laufenden Menschen durchzogen, die bei der Fortbewegung ständig mit ihren Rollatoren zusammenknallen.
Während ich darüber nachgrüble, ob ich DEFENDER OF THE CROWN jemals ganz geschafft habe sehe ich einen älteren Herrn an einem dieser Stehtische und frage mich, woher ich den wohl kenne. Nachdem ich dann den Tisch ein paar mal umkreist habe wie ein Falke vor dem Sturzflug, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Chris Hülsbeck! Das musikalische Talent der 8-bit Musik. Mit zarten 18 Jahren gewann er einen Song-Wettbewerb der Computerzeitschrift 64’er und ein paar Monate später veröffentlichte er den Sound Monitor, ein Programm mit dem man den verbauten Soundchip programmieren konnte, in der selben Zeitschrift, den man als „Listing des Monats“ dann auf dem heimischen C64 abtippen konnte. Habe ich natürlich gemacht. Stundenlang. STUNDEN! Hülsbeck arbeitete nach der Schule für eine der ersten deutschen Spiele-Schmieden „Rainbow Arts“ und schrieb hier die legendäre Musik zu „The Great Giana Sisters“ und anderen Klassikern. Was habe ich diesen dürren Jungen aus Kassel bewundert. Später versuchte ich mich selbst an der Programmierung von Computerspielen und schrieb mit „Doktor Schiwago“ eine C64-Version der Romanvorlage von Boris Pasternak.
Ich nahm meinen Mut zusammen und sprach ihn an. Ich bedanke mich für das seitenlange Listing, die Schwielen an meinen jugendlichen Händen und brachte in Erfahrung, dass Hülsbeck auch Welle:Erdball ein Begriff ist, er immer noch gerne C64er-Spiele spielt und seit einiger Zeit auch als „Crusincrew“ als Blogger unterwegs durch die Staaten ist, in denen er auch lebt. Der RaBe macht noch ein ziemlich gestelltes Foto von uns, bevor es uns weiterzieht.
Chris Hülsbeck – Nicht der Schwarm, sondern ein Idol meiner Jugend.
Eltern haften für ihre Kinder
Liebes Tagebuch, hast Du eigentlich schon mal darüber nachgedacht, das die ersten Generationen Gamer bereits selbst Eltern von Gamer-Nachwuchs sein könnten? Überall entdecke ich sie, Paarungen von Eltern mit ihren Kindern, die gemeinsam die Gamescom besuchen, hauptsächlich Väter wie mir scheint. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, von den verschiedenen Stadien elterlicher Fürsorge zu erzählen.
Der Überforderte – In den 80ern gab es noch kein wirkliches Internet und Dinge wie YouTube oder Twitch waren uns völlig unbekannt. Es gab noch keine Stars und Sternchen, die einzig und allein durch das filmische verbreiten ihres Alltags, ihrer Schminkversuche oder ihrer Gaming-Exzesse berühmt geworden sind. So ist der Überforderte natürlich auch völlig ahnungslos, wen seine schätzungsweise 13-jährige Tochter da eigentlich treffen möchte. Die steht völlig aufgelöst, heulend und hysterisch in der oberen Etage der Halle, da sie realisiert hat, dass ihr Lieblingsyoutuber eine Halle unter ihr seine Fans unterhält. Die Tränen der Verzweiflung tropfen auf den Boden während sie panisch nach dem Treppenhaus sucht. Der bemüht ruhige Vater versucht es mit Logik und Zielstrebigkeit, was aber der Tochter logischerweise überhaupt nicht passt, denn die springt wie ein Flummi und bettelt, schneller zu sein. Und so lässt sich Papa von seiner Tochter durch die Menschenmenge schleifen, damit sie ihn noch trifft, ihren persönlich Schwarm.
Der Geduldige – Wow! Ich kann gar nicht genug Hochachtung vor dem Vater aufbringen, der seinen Sohn beim Ausprobieren von Starcraft II begleitet. Ich beobachte die Beiden zufällig, als ich selbst darauf warte, das aufpolierte Startcraft I zu testen. Auf der Gamescom muss man sich durch das Tragen eines farblichen FSK-Bändchens zum Ansehen entsprechender Spiele legitimieren. Grüne Bändchen ab 12, blaue ab 16 und mit den roten Bändchen darf man sich dann alles angucken. Da der Sohn aber kein Bändchen trägt, muss er jünger als 12 sein und dürfte sich daher Starcraft II, das ab 12 Jahren freigegeben ist, gar nicht ansehen. Doch hier gilt die Elternbeiregel, das heißt in Begleitung eines Elternteils… Ihr kennt den Rest. Also begleitet Papa seinen Sohn. Erst steht er mit ihm eine Stunde in der Warteschlange, trägt den Rucksack, reicht dem Sohn Getränke und das Smartphone zum Spielen. Als sie endlich dran sind, lässt er sich einen Stuhl geben, um sich neben seinen Nachwuchs zu setzen, während dieser anfängt die ersten Arbeiter in Richtung der Kristalle zu schicken.
Die Gamer-Eltern – Ihr Nachwuchs gehört zum Team und alle tragen mit ihren Namen beschriftete T-Shirts. Vorne das Logo ihrer Gilde, hinten der Ingame-Nick und der richtige Name. Links Dirk aka Zastron, Mitte 40, ohne erkennbare Haare, aber mit grauem Bart. Rechts Simone aka Mikonalia, auch Mitte 40, die rote Dauerwelle mit einem Haargummi gebändigt. In der Mitte Jonas aka Jolandilein, vielleicht 15, mit mehr Haaren als sein Vater aber ohne Frisur. Gemeinsam fachsimpelt man über den anstehenden Patch von World of Warcraft, während man darauf wartet, den auch an einem der endlosen Bildschirme zu testen. Traum oder Alptraum eines jeden Kindes? Ich grübele darüber nach, ob man Jugendlichen nicht einen Rückzugsraum zugestehen sollte, bin mir aber natürlich unsicher, ob Jonas das vielleicht gar nicht wollte und ob der überhaupt genug Freiraum hatte zu entscheiden, dass er diesen Rückzugsraum überhaupt braucht.
Der Klugscheisser – Ein unangenehmer Zeitgenosse. Einer von den Typen, der seinem Sohn eine Playstation samt Spiele schenkt, ohne sich dafür zu interessieren, was Sohnemann überhaupt spielen möchte und ob der nicht vielleicht doch einen potenten PC wollte. Reiner Eigennutz, wie sich herausstellt, denn Need for Speed und Resident Evil wollte Papa immer schon mal spielen. Auf der Gamescom begleitet er seinen Sohn dann bei der jugendlichen Neugier um alles, aber auch wirklich alles zu kommentieren. Und wenn Sohnemann dann leicht genervt die Kopfhörer aufsetzt, um ein Spiel zu testen, fingert der Klugscheisser ununterbrochen auf dem Bildschirm herum. „Klick doch mal hier!“, „Sammel das doch lieber ein“, „Jetzt musst du das Phasengewehr benutzen!“. Und so weiter. Ein Vater vom Typ Fußballzuschauer, der von der Seite des Spielfeldes den Sohn lautstark zu einem besseren Spiel verhilft. Hoffentlich fällt der Apfel dieses mal möglichst weit vom Stamm.
Wir wollen kurz das Tageslicht sehen, denn wir befürchten, dass und Vitamin-D-Mangel sonst zur Strecke bringen wird. Echte Gamer erkennt man an den zusammengekniffenen Augenlidern, denn nach dem die 4 Stunden darauf gewartet haben das neue Far Cry zu spielen, torkeln sie wie betrunkene Vampire auf die Freiflächen zwischen den Hallen, um Durst und Hunger stillen. Benommen bleiben die meisten einen Augenblick lang stehen um wieder sehen zu können, bevor sie sich für 11,50€ (!) eine Cola und eine Portion Pommes mit Currywurst gönnen. Bis auf die Currywurst schließe ich mich dem Verhalten an. In der Mitte eine eingezäunte Warteschlange, in der gut und gerne 1000 Leute auf irgendwas warten. Auffällig viele sind mit Smartphone oder Kamera ausgerüstet, manchen tragen Fahnen, Shirts oder Stofftiere vor sich her. Was machen die hier?
Am Ende der Schlange ist ein in weiß getauchter Werbestand von „The Evil Within 2“, an dem Twitch- und YouTube-Ikone Gronkh seiner Community die Möglichkeit gibt, sich mit ihm zu fotografieren, ihn anzufassen und sonstwas zu machen. Während ich an den weichen Pommes lutsche frage ich mich, was der Mann hat, dass hier die Leute Stundenlang bei schwüler Hitze darauf warten ein Bild mit ihm zu machen und ihn danach noch feste in den Arm zu nehmen. Die Antwort findet sich gleich zu Beginn dieses Artikels, die Gamescom wird hauptsächlich von Bekloppten besucht, die Leidenschaften und Ambitionen für Dinge entwickeln können, die dem Nicht-Gamer wohl ewig verschlossen bleiben dürften.
Bild von der Gamescom 2017 am Stand von World of Warcraft | Eigene Bildquelle
Friedlich Koexistenz
Wenn du in den 80ern vor dem Computer gesessen hast und mit krummen Rücken auf den flackernden Monitor geblickt hast, warst du den Erwachsenen fremd. Das Wissen um Computer, Spiele und deren Zusammenspiel macht Dich 1984 noch zum Außenseiter, auch unter Deinen gleichaltrigen Freunden. Für uns war das früher die Form der Abgrenzung, die uns zugänglich erschien und zu der wir etwas beitragen konnten. Heute sind die Grenzen zwischen dem Ernst des Lebens und der spielerischen Flucht in virtuelle Lebenswelten fließend und nicht allein den Jugendlichen vorbehalten. Ganz so, wie bei den Gothics. In den 80er argwöhnisch betrachtete Jugendkultur voller Geheimnisse, sind heute auch unbelehrbare Erwachsene Teil der Subkultur in schwarzer Kleidung und mischen sich in friedlicher Koexistenz auf das WGT in Leipzig.
Es bleibt aber nur solange friedlich, solange die Einen den Anderen nicht vorschreiben wollen, wie sie sich zu verhalten haben oder was sie spielen dürfen und was nicht. Dazu gehört auch das akzeptieren von Umständen, die den eigenen Horizont verlassen oder dem eigenen Ästhetikempfinden zuwider laufen. Man muss nicht alles verstehen, alles erklären oder analysieren – sondern akzeptieren. Jugendliche brauchen ihre Freiräume um zu sich selbst zu finden und die Erwachsene brauchen Freiräume, um sich selbst zu verwirklichen. Hoppla. Wenn ich jetzt Vater wäre, dann würde man mich wohl als Moralapostel stilisieren. Und ich könnte mich noch nicht mal wehren.
Auf der Rückfahrt mit der Bahn merken wir schnell, wie Andersartigkeit wirkt. Schiefe Blicke, tuscheln hinter vorgehaltener Hand und freie Plätze neben dem erschöpften Magier mit seinem Zauberstab. Gelegenheitsgamer mit Gamescom-Bändchen (das muss man nicht tragen, sondern extra kaufen) baden in der Oberflächlichkeit menschlichen Daseins. Vanessa hat Tim angeglotzt auf der Gamescom, Lukas hat 12 Dosen Energydrinks weggezogen und „Alter“ brüstet sich bei seinem Freund „Alter“ damit, dass er eine Tasche voller Schlüsselbänder „abgecheckt“ hat von Spielen, die er möglicherweise gar nicht kennt. Schnell noch ein Selfie mit dem einsamen Magier von schräg links und fertig ist das Gamescom-Erlebnis. Deutschland, wo sind deine Freaks geblieben?
Die Dichte der Spinner und Bekloppten nimmt in der Niederrheinische Provinz rapide ab. Ein Lichtblick ist da der Augsburger ohne Dialekt, der sich auf der Fahrt zu seinen Bekannten neben uns setzt und mit dem wir wertvolle Spiele-Tipps und Gamescom-Erlebnisse teilen können. Die richtige Realität ist eben scheiße, aber die Grafik ist deutlich besser. Wir sehen uns 2018 in Köln!
Nick Caves Biografie ist als Graphic Novel im Carlsen-Verlag erschienen, Reinhard Kleist hat sein Leben gezeichnet und illustriert. Dabei hat Cave seine Biografie im Grunde genommen schon selbst verfasst, denn seine Lieder erzählen seit fast 40 Jahren aus dem Leben des Musikers, von seinen Gedanken, seinen Ängsten und Phantasien. Seine Songs könnten als thematische Vorlage der späteren Gothic-Szene dienen, denn mit seinen gruseligen, surrealen und manchmal religiösen Texten bewegt er sich stets im Randbereich des gesellschaftlichen Interesses. Seine tiefe und grabesschwere Stimme macht ihn zudem nicht unbedingt massenkompatibel. So mag man sich auf den ersten Blick wundern, das der Zeichner Reinhard Kleist, der bereits Johnny Cash und Elvis in einer Graphic Novel biografisch aufarbeitete, sich ausgerechnet Nick Cave als Protagonisten seiner neuesten Geschichte aussuchte.
Auf den zweiten Blick aber eine durchaus künstlerische Entscheidung, denn Nick Cave liefert mit seinen Songtexten quasi Figuren und Geschichten frei Haus. Reinhard Kleist zaubert daraus eine wunderschön gezeichnete Graphic Novel, die sich zwar an Caves Biografie orientiert, aber weniger chronologisch erzählt, sondern sich an Rückblenden durch das Leben und die Songs des Australiers hangelt. Doch ist seine Lebensgeschichte eine gezeichnete Biografie wert?
Nick Cave. Der Meister melancholischer Musik wurde 1957 recht unspektakulär in einem australischen Kaff namens Warracknabeal auf, bevor er die Zeichen der Zeit erkannte und mit Anfang 20 erst nach London und dann nach West-Berlin zog. Erst formte er mit seiner Band „The Birthday Party“ ein Stück vom Gothic Rock, bevor er zusammen mit Blixa Bargeld „The Bad Seeds“ gründete, die in der frühen Dark-Wave-Szene des geteilten Berlins auf fruchtbarem Boden wächst.
Cave entwickelt sich weiter. Wird Schriftsteller, Dichter, Drehbuchautor und bleibt stets Musiker. Mitte der 90er kommt er auch ganz kurz in den Fokus der breiten Öffentlichkeit, als er mit Kylie Minogue den Song „Where the Wild Roses Grow“ ins Mikrofon haucht. Doch das reicht nicht, um ihn populär zu machen. Nick Cave bleibt der Australier, der auf der Suche nach Extremen immer neue Dinge abseits des Mainstreams ausprobiert. Andere Länder, andere Menschen, andere Drogen. Cave bewegte sich stets im sogenannten Underground und erlebte Berlin zu seinen kreativsten Zeiten und formte aus diesen Eindrücke ein melancholich-gruseliges Songbook.
Für Kleist war das Comic eine Herzensangelegenheit, den in der 90er war der ein großer Fan. Fraglich bleibt, ob diese Biografie ohne die Musik funktioniert. Ob die durchaus Stimmungsvollen Bilder die gewünschte Melancholie verströmen und nicht ohne die tragende Musik zu einer groben Karikatur verwaschen. Timur Vermes schreibt bei Spiegel Online:
Musik kann man nicht zeichnen, weil der Leser sie nur dann korrekt lesen kann, wenn er sie selbst kennt. Kleist lässt etwa Caves Band The Birthday Party ihre Texte in rasiermesserscharfen Spruchbändern durch die Schädel des Publikums schlitzen, ein starkes Bild, das aber nicht weiterhilft, wenn man beim Anhören kein eigenes Schlitzerlebnis vorfindet. Dafür zeigt sich, dass Nick Cave auf der Bühne und selbst noch im Videoschnipsel eine morbide, selbstbewusste, aufregend irritierende Faszination ausstrahlt, die allerdings auch ein Reinhard Kleist nicht ins unbewegte Bild transportieren kann.
Ich selbst war nie ein echter Fan der Person oder seiner Musik. Und genau das scheinen Voraussetzungen dafür zu sein, eine Graphic Novel über Nick Caves Leben spannend werden zu lassen. Ob das Leben des Australiers eine Biografie wert ist, darf jeder Leser selbst entscheiden, seine Songs bieten jedoch genug Stoff für ganze Romane. Vielleicht liegt hier das Potential dieses Werks. Nick Cave: Mercy on Me ist gerade erst beim Carlsen-Verlag erschienen. Das 328 Seiten dicke Werk von Reinhard Kleist ist für knapp 25€ käuflich zu erwerben.
Felix Flaucher, Sänger der Band 18 Summers (Silke Bischoff), ist vergangene Nacht verstorben. Wie sein Mitstreiter Frank Schwer auf der offiziellen Facebook-Seite der Band mitteilte, ist der Musiker und Fotograf in seiner Wohnung in Ludwigsburg, umgeben von Freunden und Familienangehörigen, an den Folgen einer schweren Krankheit gestorben.
„Felix ist heute Nacht nach langer Krankheit leider verstorben. Er war ein besonderer Mensch und einmaliger Musiker. Danke, für die gemeinsame Zeit. Hoffe es geht dir jetzt gut wo du bist… viel kraft für die Familie und die Menschen, die um ihn trauern.“
Der Sänger mit der einprägsamen Stimme gründete zusammen mit Axel Kretschmann im Frühjahr 1990 die Band Silke Bischoff, die sich mit Hits wie „Under Your Skin“ (1995) und „On the Other Side“ (1991) ins kollektive Szene-Gedächtnis gebrannt haben. Der Name der Band war eine Hommage an Silke Bischoff, die bei dem Gladbecker Geiseldramas (1988) erschossen wurde. Die Verwendung des Namens war damals sehr umstritten, für Felix Flaucher was es ein Zeichen sich an das Opfer eines schrecklichen Verbrechens zu erinnern und nicht an die Täter.
Flaucher machte sich parallel dazu auch früh einen Namen als Fotograf und arbeitete mit den Magazinen Gothic, Orkus, Sonic Seducer und dem Zillo zusammen. Viele seiner Aufnahmen erschienen in dem von ihm veröffentlichten Fotobuch „Under your Skin“.
2002 trennten sich die Wege von Felix Flaucher und Kretschmann und aus Silke Bischoff wurde 18 Summers, das Nachfolgeprojekt, das er zusammen mit Frank Schwer auf die Beine stellte. Auch dieser Bandname soll an Silke Bischoff erinnern, den die starb am 18. August 1988 im Alter von 18 Jahren und erlebte bis dahin 18 Sommer. Die weiteren Veröffentlichungen blieben zwar im Schatten der früheren Werke, dennoch hat Flaucher seinen musikalischen Weg nie aus den Augen verloren. 2012 erschien ihr letztes Album „The Magic Circus“, ob das auf der Homepage angekündigte neue Album noch erscheint, ist bislang unklar.
Die Szene verliert mit Felix Flaucher eine der einprägsamsten Stimmen, die die Dark-Wave-Szene der frühen 90er Jahre entscheidend formte. Vielleicht sieht man sich auf der anderen Seite. Solange werden wir uns an dich erinnern.
Die Engländer haben ein unnachahmliches Talent, sich unmöglich anzuziehen. Von nahezu übertriebener Eleganz und dekadenter Hingabe bis hin zu getragenen Lächerlichkeiten unter völliger Ignoranz von Umwelteinflüssen und dem eigenen Spiegelbild. Eine Doku-Reihe auf ARTE widmet sich dem „British Style“ und schmückt diese Irrfahrt durch die Stile mit Archivbildern sämtlicher Jahrzehnte und einem ironisch überzogenen Text, der unterschwellig mehr Wahrheiten enthält, als dem gemeinen Engländer vielleicht lieb sein könnte. „Wie nennt man einen Engländer, der sich nicht völlig verrückt kleidet?“ – „Einen toten Engländer!“
Hauptstadt der Unmöglichkeiten ist definitiv London. Hier wird solange gemischt, geschneidert und entworfen, bis ein neuer Style entstanden ist, der von Modelabeln aufgegriffen dann auch das Festland und die restliche Welt beeinflusst. Das, was zu gewagt oder für den Sachverstand zu schrecklich aussieht, bleibt dann erstmal den jungen Leuten vorbehalten, die das Ganze dann mit einer englischen Unbeirrbarkeit in eine Subkultur verwandeln. Das diese dann später von den Modelabels doch noch aufgegriffen werden liegt einfach daran, das sie in aller Munde sind und damit interessant werden. Ich bin tatsächlich der Ansicht, das die meisten Subkulturen unserer Zeit ihren modischen Ursprung in England genommen haben. Die Punks, die Skins oder auch die Raver aus Manchester sind englische Ergebnisse von Rebellion und Geschmacklosigkeit, während die Goths, die Mods oder die New Romantics exzentrische Auswüchse des Wunsches sind, sich von der Masse als etwas Besonderes abzuheben.
Die Friseure, die schon fürchteten, das die Skinhead-Bewegung ihre Zunft in den Ruin treiben würde, sich die Punk-Bewegung einverleibt und sie verschlimmbessert. […] Die Straßen von London gleichen einem Haar-Massaker: Die New Romantics. Eine ganze Generation, die der Farbe, den Strähnchen und dem Haarlack anheim gefallen ist.
Und so macht die kleine, 9-minütige Dokumentation wieder eines klar: Die modische Welt ist ein Wiedergänger, wird selten neu erfunden, sondern lediglich neu zusammengestellt. Jede jugendliche Rebellion scheint gleich zu bleiben, nur die Kleidung (und die Musik) ändert sich. So waren es die Mods, die nicht nur ihre Roller aufbrezelten, sondern auch sich selbst. n, Amphetamine die in den 60ern sogar eine Zeit lang frei verfügbar waren, putschten die Mods auf. Anfang der 90er machten die Raver in ihren teuren Trainingsanzügen und den kleinen Pillen mit den lachenden Smilies, den ersten popkulturellen Emojis, genau das gleiche, was ihr Eltern als Mods bereits durchlebt hatten.
Bei ARTE gibt es noch einige andere Styles, die genüsslich dekonstruiert werden und den Menschen in seiner ganzen Lächerlichkeit der Selbstdarstellung zurücklassen. Es hilft nicht abzustreiten, das wir ein Teil davon sind, was hilft ist eine Prise Selbstironie. Die Fähigkeit, über sich selbst zu schmunzeln. Vielleicht mag ich die Freaks und London und England deshalb so gerne leiden, ihre unfassbare Leidenschaft etwas Style in die Rebellion zu tragen.
Was mussten Vampire in den letzten Jahren alles ertragen! Bram Stoker hat sich mehrfach im Grab umgedreht. Erst kamen die gut aussehenden Jünglinge der Twilight-Saga, die im Sonnenlicht glitzerten anstatt zu Staub zu zerfallen und dann kämpfte sich auch noch eine Fetisch-Lara-Croft in Matrix-Manier durch mittlerweile 4 Underworld Filme. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen Vampire sich auf unterschwelligem Grusel schwebend, stilvoll und erhaben in die Wohnzimmer der Zuschauer schlichen. Ana Lily Amirpour, die US-amerikanische Filmregisseurin mit den iranischen Wurzeln, gibt mit „A Girl Walks Home Alone At Night“ ihr Langfilmdebüt und schickt sich an, wieder ein bisschen Atmosphäre in das überreizte Vampir-Genre zu zaubern. Der Film erzählt von einer Vampirin, die sich in einen Sterblichen verliebt, irgendwo in einer möglicherweise iranischen Stadt und einer in schwarz-weiß gehaltenen Kulisse aus krächzenden Pferdekopf-Pumpen und dampfenden Erdöl-Raffinerien.
Die fiktive Bad City, die trostlose und böse Stadt, hat einen Helden. Arash ist nicht ganz so blütenrein wie Helden in Kaugummi-Produktionen, aber immerhin nicht so heruntergekommen wie all die anderen um ihn herum. Mit seinem 57er Ford Thunderbird, für den er lange gespart hat, seinem weißen T-Shirt und den Jeans wirkt er wie ein lokales James Dean Double. Seit seine Mutter abgehauen ist, bringt er seinen drogenabhängigen Vater alleine durch. Es gibt aber auch eine Heldin, die keinen Namen hat. Im Schutz der Dunkelheit ist sie stets alleine unterwegs. Die meisten, die sie kennengelernt haben, liegen jetzt blutentleert in einer Grube vor der Stadt. Unter ihrem schwarzen Tschador ist ihr Geheimnis offenbar gut aufgehoben. Die muslimische Vampirin hört gerne Musik mit ihrem Plattenspieler und fährt auf einem Skateboard durch die Straßen von Bad City und sucht ihre Opfer. Lange muss sie nie suchen, denn der Sündenpfuhl ist die Heimat der Verbrauchten, der Gesetzlosen und der Hoffnungslosen, um die sich nicht wirklich jemand schert.
Held und Heldin begegnen sich eher zufällig. Arash, der gerade seinen geliebten Wagen verkaufen musste, um die Schulden seines Vaters zu begleichen, streift wütend auf alles und jeden durch die nächtlichen Straßen von Bad City als er dem Mädchen begegnet, das er rätselhaft und doch anziehend findet. Obwohl er ihr Geheimnis recht schnell lüftet, freunden sich die beiden an und an dem Ort, an dem eigentlich nichts Schönes wächst, entwickeln sich zarte Knospen der Liebe…
Die Kontraste, die der Film zeichnet, sind stark. Eine skateboardfahrende, muslimische Vampirin in einer von Dunkelheit verklebten trostlosen Stadt im Iran verliebt sich in einen James-Dean-Verschnitt, der sich um das Wohl des Vaters sorgt. Es ist nur konsequent, das der Film in Schwarz-Weiß gedreht wurde. Atmosphärische Kameraeinstellungen, ästhetische Bildkompositionen. Die Musikauswahl füllt die Stille im sonst Wortkargen Film und fügt sich harmonisch in die Szenen ein. Wen wundert es, das Ana Lily Amirpour den Soundtrack schon vor dem Schreiben des Drehbuchs zusammengestellt hatte? Die Stadt, die sich weder geografisch, zeitlich oder kulturell einordnen lässt ist ausschließlich mit iranischen Schauspieler bevölkert. Die Auswahl ihrer Protagonisten hat Amirpour ebenfalls nicht dem Zufall überlassen. Die Amerikanerin Sheila Vand als namenlosen Vampirin und der Hamburger Arash Marandi als heldenhafter James Dean.
Muss der Film eine zwangsläufige Botschaft haben? Interpretationsvorlagen gäbe es genug. Eine Vampirin als heimliche Rächerin unterdrückter Frauen? Eine verschleierte Heldin zur Anfeuerung der Kopftuch-Debatte? Ein verzerrtes Bild der iranischen Gesellschaft zwischen Erdöl und Drogen? Amirpour lässt sich in keinem der zahlreichen Interviews zu dem 2015 erschienen Film eine wirkliche Position dazu entlocken. Muss sie aber auch nicht. Vielleicht zeigt der Film auch einfach nur, dass Licht und Schatten näher beieinander liegen, als uns lieb ist. Unabhängig von Kultur, Religion oder Sprache. Und irgendwie zeigt er auch die Komplexität einer multikulturellen, globalisierten Gesellschaft in der es eben keine einfachen Antworten mehr gibt und gültige Wahrheiten an Bedeutung verlieren. Der Film ist ab 12 Jahren freigegeben, für rund 6€ käuflich zu erwerben und bei diversen Streaming-Diensten zu mieten.
Nach jahrelangem Terror der Randgruppen scheint der Mainstream zur Gegenoffensive auszuholen! In den 80ern pressten sich immer mehr alternative Lebensentwürfe in das mediale gesellschaftliche Leben. Es fühlte sich so an, als würde die Homosexuellen, die Atheisten oder Satanisten und die Feministinnen aus ihren Poren kriechen, in denen sie jahrelang ein Dasein als Mitesser fristeten. Für den Mainstream war klar, das ist eine Gefahr für die etablierte Weltordnung, für die kleine überschaubare Welt zwischen Vorgarten und Terrasse. Immer mehr von denen, die sich immer verstecken mussten, spürten die frische Morgenluft und begannen, um ihr Dasein zu kämpfen. Sie wollten die Welt verändern, zum Umdenken animieren und endlich in einer Welt leben, in der es um den Menschen geht, nicht um sein Geschlecht oder Aussehen. Und irgendwie haben sie es geschafft. Die Welt hat sich verändert, der Mainstream ist eingeknickt und muss zähneknirschend hinnehmen, dass es mehr gibt als ihre binäre Weltanschauung. So wurden beispielsweise die „echten“ Männer selbst zur Randgruppe, denn alles, was sie eins ausmachte, war weichgespült, infiltriert und glattgebügelt. Der Macho, der Macher, der Checker und all die anderen Illusionisten wurden ausgemustert. Doch der Mann wehrt sich! 2017 lässt er sich Bärte wachsen, raucht Zigarre und trinkt möglichst teuren Whiskey und hat von all dem furchtbar viel Ahnung. Er bildet Männerclubs, schließt sich alten Geheimbünden an, organisiert Männerabende und schart Frauen um sich, die dieses Weltbild mittragen. „Männer im Beautysalon sind keine Männer„, sagt der Archetyp, während er sanft das Bartöl in seiner Gesichtmähne verteilt, das diesen „im Sonnenlicht funkeln lässt, als wäre er mit 1000 Diamanten besetzt„.
Auf der Suche nach der Subkultur. Selbst die Londoner suchen das, was beispielsweise Camden einst ausmachte. Vergeblich: „„It’s just like any other high street.“ Gary’s been standing on Camden High Street for roughly a month, holding a sign advertising a local piercing and tattoo parlour. He’s an American and got offered this job while he was travelling. Camden has left him thoroughly unimpressed: „I’d liked to have been here in the ’70s. But now it’s a tourist trap.““ Mal ist das Internet schuld, mal die Spekulanten und dann wieder die Touristen selbst. Das Cyberdog, das wir früher gemieden haben, wird zum letzten subkulturellen Erbe einer fast vergessenen Oase.
„Gefällt ihnen die Gothic-Szene?“ So lautet die Umfrage innerhalb des Artikels und noch bevor wir antworten, sacken wir wieder zusammen. „Ja, die Szene ist mit ihren Kostümen sehr attraktiv – Nein, das ist mir zu düster – Ich bin Punk!“ Stell Dir vor da passiert was in Deiner Umgebung, was möglicherweise mit Liebe, Hinhabe und Leidenschaft ins Leben gerufen wurde und dann kommt die lokale Presse vorbei und berichtet die Veranstaltung auf den inhaltlichen Rang eines Schützenfestes. Dann doch lieber gar keine Berichterstattung.
„Positive Records feiert 25jähriges Jubiläum. Backs, die One-Man-Show hinter dem Konzertveranstalter aus dem Ruhrpott, blickt mit uns zurück auf seine Anfänge in Dorsten, erzählt was eigentlich hinter dem Namen Positive Records steckt und warum es nie zum Plattenlabel gereicht hat.“ Backs ist ein Urgestein der Ruhrpott-Szene. Ich schätze, das so ziemlich jeder aus NRW schon mal ein Konzert besucht hat, bei dem der böse dreinschauende Glatzkopf mit dem weichen Kern seine Finger im Spiel gehabt hat. Das Magazin „Get Addicted“ führt mit dem Dorstener ein interessantes und vielseitiges Interview. Er spricht über die Höhen und Tiefen seines Geschäfts, über Tattoos und warum er seit rund 17 Jahren keinen Urlaub mehr gemacht hat. Tipps von Backs gibt es gratis: „Hast du Tipps für Leute, die heute Konzerte organisieren wollen? Backs: Achso, ja. Ganz wichtig: Nicht so viel Geld reinstecken. Wenn die Leute das als Hobby machen wollen, dann sollen sie das gerne tun. Ich habe da auch früher meinen Lohn reingesteckt, aber da ist natürlich einfach auch immer viel Risiko bei – gerade bei den kleinen Shows. Wenn bei den kleinen Shows mal was hängen bleibt, dann ist das schön, aber du bezahlst davon keine Miete, keine Versicherung, kein Garnix.„
Bevor jemand fragt, mit Generation Z sind die unter 20-jährigen gemeint. Und genau die löschen angeblich ihre Facebook-Profile und Twitter-Accounts: „…one big reason is an increased desire for privacy. According to The New York Times, Gen Z-ers are more aware of their digital footprint, and don’t want to get photographed in compromising positions without their knowledge or permission. They’re not the only ones craving a bit of anonymity in the era of overexposure. Céline designer Phoebe Philo was quoted as saying, „The chicest thing is when you don’t exist on Google. God, I would love to be that person!“ Nun, ganz so einfach ist die Sache dann doch wieder nicht, denn der gleichzeitige Wunsch nach Anerkennung, Aufmerksamkeit und Beachtung zieht immer noch unzählige Jugendliche in die sozialen Netzwerke. Je aktiver, offener und emotionaler du bist, umso beliebter scheinst du zu werden. Blöd nur, dass in den Schulen Medienkompetenz immer noch kein Unterrichtsfach ist und labile Charakter durchaus am selbst auferlegten Druck zerbrechen können. Also doch kein Facebook mehr? Mir soll es recht sein. Ihr wisst ja, wie ihr Spontis findet.
Der Artikel über Christiane F. und ihre zweifelhafte Karriere als Deutschlands berühmteste Drogensüchtige ist seit Jahren einer der beliebtesten Artikel bei Spontis. Ich verfolge das Schicksal der mittlerweile 55-jährigen schon seit den 80ern, seit das Buch meinen Dunstkreis erreichte und mich nachhaltig beeinflusste. So wurde ich natürlich hellhörig, als man ankündigte, eine Serie über das Leben und Schicksal der Christian F. zu drehen. „Aus dem Bestseller „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ wird eine Fernsehserie. […] Die Arbeit am Drehbuch hat bereits begonnen, wie die Filmproduktionsfirma am Sonntag mitteilte. In dem Buch geht es um die authentische Geschichte einer 14-Jährigen, die mit zwölf Jahren Haschisch rauchte und später auf den Kinderstrich ging, um das Heroin zu finanzieren, von dem sie abhängig war.“ Ich bleibe natürlich skeptisch. Zum einen finde ich es fraglich, das Buch und seine spezielle Inhalte in dieses Jahrzehnt zu transportieren, ohne lächerlich oder altbacken zu wirken. Wir bleiben am Ball.
Da hatte man ja mal eine aufregend neue Idee: „But every summer, I spare a thought for goths—a community that, in my mind, doesn’t seem equipped to deal with high temperatures. This year, I decided to contact a few goths to ask how they manage to stay black-clad and corseted when the heat is on.“ Schnell waren ein paar Gruftis gefunden, die Rede und Antwort standen. „„If it’s over 80 degrees outside, I’ll call in sick at work.“ Plörk! Das ist schon so furchtbar triefend schlecht, dass es schon wieder fast gut ist.
Der Kölner Stadtanzeiger berichtet interessiert oberflächlich, wahlweise aber auch neugierig und investigativ, wie zum Beispiel von der Nebenveranstaltung vor dem eigentlichen Festival, dem „Jardin de Belle Epoque“, einem historisch geprägten Picknick im Friedenspark: „Bereits im sechsten Jahr veranstalten die Kölner Designerinnen Marina Minkler, die sich selber Lady Marisha nennt, und Natalia Le Fay das historische und dunkel-romantische Picknick „Jardin de Belle Epoque“. Der gewünschte Dresscode: Eine Mischung aus Barock, Gothic, Steampunk oder Märchen. Und so bot sich dem Betrachter eine Vielfalt an liebevoll und authentisch designten historischen Kostümen.“ Immerhin gibt der Kölner Express Entwarnung: „Keine Angst, die beißen nicht!“ Na dann ist ja alles gut! Immerhin glänzt die offizielle Internetpräsenz der Stadt Köln mit einem besseren Einblick: „Bunte, schrille und ausgefallene Outfits lassen allerdings lang auf sich warten. Der Nachmittag ist klassisch schwarz, wallende Kleider, aufwändige Frisuren, Masken und Hörner verstreuen sich wie kleine Juwelen auf dem Gelände. Erst am frühen Abend als die Sonne weicher wird, trauen sie sich endlich heraus und aus dem Publikum wird die vertraute bunte Melange.“
Der Heitz, der weiß Bescheid! Der Osnabrücker Zeitung steht der schreibende Grufti, der am Freitag vor dem M’era Luna immer eine Lesung in Hildesheim veranstaltet (zusammen mit Christian von Aster), in einem Interview Rede und Antwort: „Viele Eltern reagieren besorgt, wenn ihre Teenie-Kinder plötzlich nur noch Schwarz tragen, komische Bücher lesen und noch seltsamere Musik hören. Wie nimmst Du ihnen die Sorgen? Markus Heitz: Die Beschreibung könnte auch auf Priester zutreffen, fällt mir wieder auf. Sollten die Kinder Priester werden wollen, ach, sollen sie doch. Geht die Tendenz zum Nachwuchs-Gothic, auch da ist Entwarnung angesagt, denn: Abgesehen davon, dass man sich viel mehr mit Tod und Dasein auseinandersetzt, was recht philosophisch sein kann, verbindet uns Gruftis, dass wir das Leben sehr gerne haben und es feiern. Und wahrlich, ich sage euch: Es wird auf Festivals viel gelacht. Sehr viel.„
Lolitas sind kein Fetisch | Tillate
In der Schweiz erkundet man derweil die Lolitas, die so betont eine der Protagonisten, nicht mit einem Fetisch zu tun haben: „Sara führt aus: «Lolitas sind kein Fetisch! Es geht wirklich nicht um Sexualität, sondern nur um die Mode und das Lebensgefühl. Manche scheinen das nicht zu begreifen.» Auch mit dem berühmten namensgleichen Charakter von Vladimir Nabokov hat der Style nichts zu tun. Hier könnte es eventuell auf ein sprachliches Missverständnis zurückzuführen sein. Wobei unsere Lolitas zwar auch schöne, junge Frauen sind – jedoch prinzipiell reichlich wenig mit dem sexuellen Innuendo der russischen Romanfigur gleichhaben.“ Ich glaube es wird Zeit für den Artikel über japanische Subkulturen, die mir zwar oberflächlich aber dennoch sehr spannend erscheinen.
In der englischen Presse findet zur Zeit ein kleiner Kolumnisten-Krieg statt, denn während Barbara Ellen den zunehmenden „Grabstein-Tourismus“ für eine Aktivität hält, die ausschließlich „großen und fetten Gothics“ vorbehalten ist, springt Jessica Hanson von der Huffpost in die Bresche: „A couple of weeks ago, Guardian columnist Barbara Ellen caused a bit of a stir by calling the pastime of tomb tourism an activity for “Big Fat Goths”. The short opinion piece is a joke – I hope. I don’t suppose Ms Ellen is really dismissing all taphophiles as morbid and morbidly obese. But the punchline fell rather flat with those commenting on the Guardian‘s website. Confidence wasn’t high, starting with the repeated use of the misspelt ‘tapophile’ (someone who likes plumbing?) and ending with the article’s supposedly affectionate labelling of graveyard enthusiasts as obese. “How about calling them historians, social investigators and academics – even people just interested in the past?” said one commenter.„
Things Not To Say To… |BBC Three
Der BBC hat eine sehr spannende Webserie gestartet, die sich mit der Neugier der Menschen beschäftigt. Denn immer dann, wenn die etwas sehen, was sie nicht verstehen, nicht einsortieren können oder was einfach für einen Wirbel in deren Weltordnung sorgt, beginnen sie Fragen zu stellen. Das ist grundsätzlich löblich, denn in anderen Ländern lässt man häufig genug Fäuste oder Steine sprechen. Im Grunde geht es eben um diese gesellschaftliche Grundordnung, die niemand braucht, aber jeder benutzt. Frauen, die Fußball spielen, Männer die Frauen werden, Frauen die Männer werden, Leute mit tätowierten Augäpfeln, oder auch Frauen, die freiwillig ein Burka tragen. Sucht es Euch aus. Irgendwo kratzt alles an der ungeschriebenen Weltordnung, dass Dinge so sein sollen, wie sie sein sollen. „Weil das eben so ist, immer schon so war und DU auch nicht ändern wirst.“ Häufig im Fokus: Das Geschlecht – Logisch, denn das ist die letzte Bastion vorgefertigter Lebensentwürfe, Weisheiten und Weltanschauungen, die wir so haben.