Ratte macht die Fliege – Zoff um Dagmars Glatze (2)

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Aufklärung in Bilder“ – unter diesem Titel führte Deutschlands größte Jugendzeitschrift, die BRAVO, 1972 die Foto-Love-Romane ein. Neben der Unterhaltung sollten die bebilderten Kurzgeschichten „neben viel Spannung auch noch klare Fakten zu Aufklärungsthemen (bringen). Sex, Flirten, Körperfragen, Verhütung und mehr – verpackt in spannende Geschichten!“ Kein Thema der Jugend wurde ausgelassen, kein Trend übersprungen und so kam es, das sich die Bravo 1987 auch den Grufties zuwendete, nachdem sie den Trend bereits in anderen Zusammenhängen für sich nutzte.

Wieder mit von der Partie ist Carla, die mittlerweile 20 Jahre alt sein dürfte und bereits in Carla, die Schock-Friseuse eine Seite der Bravo füllte. Diese Carla ist aber auch ein Münchener Wave- und Gothicstrudel und hat gleich reihenweise jungen Menschen in das düstere Verderben gezogen. Nicht nur das viele den Artikel über sie verschlungen haben und ihrem Beispiel folgten, jetzt macht sich auch noch Karriere in einem der renommiertesten Jugend-Foto-Romanen der 80er. Wir wollen in der mehrteiligen Reihe beobachten, was aus Carla und ihren Freundinnen wird und wie die BRAVO die moralische Kurve kratzt.

Zoff um Dagmars Glatze (Teil 2)

Ratten und Maus (A), zwei total schriller Münchener Waverinnen im Grufti-Look, sind die großen Vorbilder von Vero. Als über Ratte ein Artikel in einer Zeitschrift erschien, hat ihr Vero einen Brief geschrieben. Ratte lud sie daraufhin zu einem Treff in eine Münchener Waver-Disco ein. Damit sie nicht aussehen wie die letzten „Land-Pomeranzen“ hat Vero ihre Freundin Dagmar schwer gestylt und ihr in „Heimarbeit“ eine scharfe Waver-Frisur mit rasierten Schläfen verpaßt (B). Dagmar kriegt daraufhin natürlich erst mal Riesen-Stunk mit ihrer Mutter (C) …

Ratte macht die Fliege - Zoff um Dagmars Glatze (Teil 2)

Was dem ein oder anderen heute als spießige Wortwahl erscheint, war damals schon angepasste Jugendsprache. Ausrasierte Schläfen macht man heute ganz blank und nennt man Undercut, Waver im Grufti-Style haben sich getrennt und waren später Waver und Gruftis. „Bäh, wie hast du das denn hingekriegt? Sieht ja wieder voll spießig aus!“ Gemeint ist Dagmars Outfit mit zerissener Hose und Cowboy-Stiefeln und glaubt mir, damit hätte mich meine Mutter nicht aus dem Haus gelassen. Aber unrecht hat die Bravo damit natürlich nicht, Konflikte mit den Eltern waren vorprogrammiert und natürlich auch gewollt. „Seht her ich bin anders.“ Gerade in der Schule, der Ausbildung oder der Uni fallen Totalveränderungen natürlich bei Mitschülern am stärksten auf und schwanken bestenfalls zwischen Ablehnung und Zustimmung. Betrachtet man die Bilder heute, so hat man sicherlich auch an der Kleidung der anderen „Normalen“ etwas auszusetzen. Faszinierend wie die gesellschaftliche Norm unsere Wahrnehmung verändert.

Ratte macht die Fliege - Zoff um Dagmars Glatze (Teil 2)

Daß die alle so doof reagieren, hätte ich nicht gedacht!“ Was hat sie erwartet? In der Schule gibt es wohl immer Menschen die einen mögen oder eben nicht, da spielt das Outfit eine untergeordnete Rolle und ist lediglich Mittel zum Zweck. Zwischen den Zeilen steht auch sehr oft: „Ich würde gerne so aussehen wie du, traue mich aber nicht und deshalb lästere ich über Dich um wenigsten hier Gemeinschaft zu erleben.“ Seien wir ehrlich, mit einem solchen Mut zum Outfit gehört man sicherlich nicht zu den beliebtesten der Umgebung, die sich immer an der Masse orientiert. Zu Deutsch: Wären wir alle Gruftis, würde man wohl die „Normalen“ ausgrenzen. Liegt wohl in der menschlichen Natur. Nachvollziehen? Kein Problem, wir waren allen mal jung.

Ratte macht die Fliege - Zoff um Dagmars Glatze (Teil 2)

Dagmars Mutter war zunächst stocksauer auf ihre Tochter und deren angeblich bescheuerten Frisur. Aber dann läßt sie sich von Vero breitschlagen, die für ihre Freundin heiße Reden vom Stapel läßt, während Frau Martens bügelt. Und Veros Argumente ziehen – Dagmar darf mit in die Waver-Disco nach München. Vor allem, weil Veros Vater, ein Lehrer, die beiden Mädchen abholt und mit dem Auto nach Hause bringt. Die beiden wohnen schließlich 30 Kilometer von München entfernt… Nun gehen die Vorbereitungen für den Abend los. Verim deren Eltern großzügiger sind, hat genügend Wave-Klamotten und passenden Schmuck, den sie ihrer Freundin für den Abend leiht.

Ja so war das. Ohne Hilfe ist man aufgeschmissen, gerade was die Haar angeht. Die Feinheiten liegen jedoch im Bild verborgen: „Ob Ratte wohl sehr arrogant ist?“ Arroganz gehörte zum guten Ton der Szene, ein elitäres Gehabe und das offensichtliche „Über den Dingen stehen“ gehörte zum typischen Szeneumgang nach außen hin. Dadurch verstärke man einerseits die Ablehnung anderer Jugendlichen und schütze sich vor allzu dummen Fragen der Mitmenschen. Das machte es natürlich schwierig, den wahren Kern eines Menschen zu ergründen und in das vermeintlich schwarze Herz eines Grufties zu sehen. Das wollte die Bravo auch gar nicht, Foto-Love über Waver heißt nur am Rande Aufklärung und in der Hauptsache Unterhaltung. Doch im Gegensatz dazu war die Szene in sich sehr einfühlsam, empathisch und sensibel und ermöglichte es vielen Jugendlich wirklich über sich und ihre Gedanken zu sprechen. Tiefschürfende Gespräche sind kein Mythos, sondern durchaus Realität gewesen. Seit der Vereinnahmung durch die Spaßgesellschaft „Grufti sein ist cool“, ist das jedoch aus dem Blickwinkel verschwunden und wieder in den Untergrund abgetaucht.

Besucht auch die anderen Teile und erfahrt wie es weitergeht oder gewesen ist:

O Tannenbaum – Schwarze Musik an Weihnachten?

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Nachdem ich bereits 2008 über ein den Mythos eines schwarzen Weihnachtsfestes gebloggt habe, möchte ich diese Idee passend zum bevorstehenden Fest noch einmal aufgreifen und eine Idee, die Sabrina mit ihrer Alternative zu „Last Christmas“ anregte, weiterverfolgen. Musik ist für mich ein essentieller Bestandteil des Lebens und so darf natürlich auch ein Weihnachten ein fein säuberlich zusammen gestellter Sampler fehlen, der das gemeinsame Essen und das anschließend besinnliche Beisammensein musikalisch untermalt. Wirft natürlich die Frage für den interessierten Otto-Normal-Verbraucher auf, mit welcher Musik so ein Gruftie sein Fest beschallt. Gibt es überhaupt schwarze Weihnachtsmusik?

Nein, auch wenn Sampler wie beispielsweise „Black Snow Vol. 2 – the completely different Xmas compilation“ (Link) vermuten lassen ein ideales Geschenk für den Gothic von heute entdeckt zu haben. Musik zu Weihnachten ist ein subjektiver Akt, der sich immer durch das Gehör des Individuums bestimmt und gelegentlich untypischen Riten unterworfen ist. So ist der Klassiker „Last Christmas“ beispielsweise für manche ein Song, der das weihnachtliche Gefühl erst auslöst und der andere vollständig aus dem Konzept reißt und mitunter sogar in eine vorweihnachtliche Depression stürzen lässt.

Um die Frage, ob ein echter Gruftie überhaupt dieses christliche Fest für sich vereinnahmen darf gleich vorweg zu greifen: „I don’t care what people say…“ (Xmas Tip1) Ob irgendwelche Traditionen, religiösen Ansichten oder Feste gefeiert werden ist mir und sollte möglichst allen egal sein. Verfolgt man die einschlägige Literatur so erfährt man, das der in der Regel unreligöse aber gut informierte Gruftie sich seine eine „Religionsbricolage“ (nach Helsper und Richard) zusammenbaut, in der zahlreichen Einflüsse aus den unterschiedlichsten Richtungen breit machen. Kurioser Weise wissen die meisten Grufties mehr über Religionen als die religiösen selbst und zeigen sich bei passender Gelegenheit als äußerst Bibelfest, aber das ist nur ein Eindruck und „I don’t want to start, any blasphemous rumours…“ (Xmas Tip2).

Zurück zur Musik. Was hört man denn nun so an Weihnachten? Für mich darf es ja gerne ein bisschen ruhiger (Xmas Tip3) und auch gerne etwas elektronisch (Xmas Tip4) oder auch mal wieder was von Depeche Mode (Xmas Tip5) sein, aber prinzipiell geht eigentlich alles in Ordnung was einen nicht unbedingt in die Knochen fährt und überflüssiger Weise emotional aufwühlt. Schließlich soll man das Essen ja noch genießen und bei der Bescherung nicht in Wehmut verfallen, deshalb sollte es in der zweiten Hälfte vielleicht atmosphärisch dichter und dennoch leicht beschwingt werden, soll ja auch keine „Einfache Beute“ (Xmas Tip6)  sein.  Aber bitte: Gothic-Weihnachtsmusik ist ein Mythos und auch die CD „Frohes Fest“ von Unheilig ist weder Gothic noch eine tolle Idee für ein spontanes Weihnachtsgeschenk  nur weil irgendjemand mal gesagt hat deren Musik sei per se die Definition dieses Genre.

Übrigens, der Gothic-Geek kann natürlich auch einen der zahlreichen Internetsender in seiner Lautsprecher streamen. Ich empfehle beispielsweise Radio Shadowplay oder auch das Creative Commons und Freemusic orientierte Darkerradio, das sogar extra für Weihnachten eine Overdose Weihnachtssendung startet.

Wie sieht es bei euch aus, welches Lied darf für DICH nicht zu Weihnachten fehlen?

MEMORO Project – Erinnerst du dich?

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Ich wollte meine Oma immer nach dem Krieg fragen. Ich habe es als junge Erwachsene ein paar Mal versucht, aber sie wich mir stets aus. Die Fragen, die mich immer umtrieben: Habt ihr wirklich nichts gewusst von dem, was da geschehen ist? Ihr müsst es doch bemerkt haben. Was hast du damals gedacht, als deine Nachbarn fortgebracht wurden? Hast du dich gewehrt? Konntest du dich nicht wehren? Meine Oma war eine herzensgute Frau und das Thema schien ihr weh zu tun. Also bohrte ich nicht nach. Nun ist sie schon lange tot und mit ihr die Erinnerungen.

Heute bin ich auf ein Portal im Internet gestoßen, das ich ganz großartig finde. Es sammelt die Erinnerungen älterer Menschen. Zeugen einer vergangenen Zeit. Es geht nicht nur um Kriegserlebnisse, sondern auch um Reisen, um Berufe, um Moral und viele kleine und große Erlebnisse. Eine wundervolle Idee, denn hier sprechen keine – oder zumindest nicht nur – Promis, sondern einfache Leute, die ihre Geschichten für die Nachwelt aufzeichnen.

Sicher auch eine Fundgrube für Buchautoren. Mitunter muss man ein wenig Geduld haben, weil die Erinnerungen nicht publikumswirksam und actionreich aufgearbeitet sind. Man muss zuhören und vielleicht auch zuschauen.

Das Portal heißt MEMORO – Die Bank der Erinnerungen.

Passend zu Weihnachten und den prall gefüllten Süßigkeiten-Regalen hier vielleicht als Kontrastprogramm der Link zur Geschichte von Frau Neumann, die von Schmandbonbons zu Weihnachten erzählt. So war das damals. Ist noch nicht so furchtbar lange her.

Ebenfalls passend zu Weihnachten der erfrischende und anschauliche Bericht von Herrn Schauerte, der von Spielzeug und Kreativität erzählt. Großartig!

Ich werde das MEMORO Project auf jeden Fall öfter besuchen.

Die besten Neuerscheinungen: Top of the Blogs 2010

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Angekündigt, ausgeklügelt, ausgeführt. Es war schwer alles das was mich in diesem Jahr musikalisch animiert hat unter einen Hut zu bringen, auszuwerten und in eine mehr oder weniger sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Um es über einen Achtungserfolg zu einem gekauften Album zu bringen, muss man mich subjektiv überzeugen, umhauen, wegflashen und aus der Realität beamen. Ich bin nämlich ein alter Geizhals. Anlässlich der Aktion „Top of the Blogs 2010“ habe ich mich hingesetzt und zusammengetragen was mich alles erreicht hat. Diese 10 haben es nachhaltig geschafft und sorgen für reichlich Lesestoff:

  • Platz 1: O.Children – O. Children
    O.Children - O.ChildrenEs waren Stücke wie „Dead Disco Dancer“ oder auf „Ruins“ die sich in mein Ohr bohrten und festbissen und mich dazu animierten das Album schon recht früh beim englischen Deadly People Label zu bestellen. Und auch wenn man die Engländer als Trittbrettfahrer einer schwarzen Welle sieht kommt man sicherlich nicht um die Magie der Stücke herum. Das gleichnamige Album verschafft darüber hinaus noch tiefere Einblicke und sorgt auch mit „Radio Waves“ für einen bleibenden Eindruck. „We’re certainly inspired by 80s goth music but we’re also into the general sound of the 80s as well as early 90s noise. The production techniques in particular. We love bands like The Birthday Party, Ciccone Youth, Big Black and Ministry, so we just take bits from all those types of bands and add them to our own personal sound. A little bit of edge.
  • Platz 2: Veil Veil Vanish – Change in the Neon Light
    Veil Veil Vanish - Change in the Neon Light„And we’re going to San Francisco…“ nicht etwa um eine Brücke zu sehen, sondern um die Stadt zu sehen die Veil Veil Vanish ihr Zuhause nennen. 2010 erscheint ihr Debüt-Album „Change in the Neon Light“ der schon mit Auskopplungen wie „Anthem for a Doomed Youth“ für aufsehen sorgte, jedenfalls bei mir. „Niemand spielt den Bass dreckiger.“ schoss es mir durch den Kopf als ich die kühle blonde mit der schwarzen Brille sah, eine Überführung der 80er in eine 30 Jahre spätere Dekade scheint auch hier zu gelingen. Veil Veil Vanish klingen wie zu den besten Zeiten eine lebendigen Indie-Kultur in der Mitte der 80er die The Cure nie abgeneigt waren ohne dabei alt und staubig zu klingen. „Aber auch Shoegazer wie Slowdive und wavige Melancholiker wie Sad Lovers And Giants und And Also The Tree fallen mir spontan ein. Mir gefällt an “Anthem for a Doomed Youth”  der schöne Drive, die Euphorie, der Schmiss und der Effet.
  • Platz 3: Deine Lakaien – Indicator
    Deine Lakaien - IndicatorIch habe lange mit mir gerungen die beiden Lakaien auf den 3. Platz zu schieben, denn neben meiner Begeisterung für die Kombination Veljanov/Horn bleibt der Wehmut, das das ganze Album „Indicator“ zwar einige Perlen aufzeigt, im ganzen aber auch schon an „April Skies“ erinnert. Und dennoch, im Autoradio lief es rauf und runter, und auch meine Kopfhörer spielen Songs dieser Platte schon zum x-ten mal. Mag es den beiden Stücken „Gone“ oder auch „One Night“ geschuldet sein, ich finde das Stück „Europe“ immer noch am intensivsten und vor allem extrem tanzbar. Komisch das partout auf einigen Plattentellern nicht aufgelegt wird. „Ent­we­der man will was hören, oder man will nichts hören. Es gibt ja auch sinn­ent­leerte Musik, oder kal­ku­lierte Musik. Bei uns ist halt kein Kin­der­chor an der Stelle, wo die Trä­nen flie­ßen sol­len.“
  • Platz 4: Fehlfarben – Glücksmaschinen
    Neues Album der Fehlfarben - GlückmaschinenEinfach so. Die Band, die selbst zugibt nie so richtig von ihrer Musik gelebt zu haben feiern eine der ehrlichsten Reunions des noch laufenden Jahres. Mit „Glücksmaschinen“ gelingt Fehlfarben ein weiteres Puzzleteil ihrer Karriere. Schon als im Januar 2010 das Stück „Wir warten“ auf der virtuellen Bildfläche erscheint ist die Überraschung groß: Gute Texte und sauberer Sound erheben die Punkopas in ein neues Jahrzehnt. Einfach so. Als das Album im Februar erscheint ist meine Überraschung umso größer, denn es geht noch besser. Klingt tatsächlich wie ein „Neues Leben“. Die Tour läuft übrigens noch. „Und Peter bekommt zu seinem alltäglichen Biertest ein polnisches “Tyskie” vorgesetzt: “Optisch völlig in Ordnung. (trinkt gleich zwei mal ohne etwas zu sagen) Ich trink das jetzt einfach mal. Kann man trinken ohne Schmerzen, ist schonmal gut. (trinkt das Glas aus) Doch oberes Mittelfeld.
  • Platz 5: Zola Jesus – Stridulum II
    Zola Jesus - Stridulum IIWo kommen wir denn her? Spannend das ich Frau Jesus zunächst als visuelle Eindruck wahrgenommen habe ohne auch nur zu ahnen, das sie musikalisch aktiv ist. Nachforschungen landeten dann auch unweigerlich bei ihrem Album „Stridulum II“ das den Anspruch erhebt in die Fußstapfen einer Lydia Lunch oder Lene Lovich zu treten um ganz frech darin herumzustampfen. An dem Stück „Night“ kommt erstmal niemand vorbei, behaupte ich jetzt einfach mal – „Sea Talk“ fängt langsam an unter die Haut zu gehen um schließlich in „Clay Bodies“ wie ein Piercing anzufühlen. „Every moment has felt like a battle. A battle I love to fight. It is time now to take the fight back into my bedroom, this time even a studio… to create a new war, a new challenge, and to offer something that I am proud to contribute to the world. My body is heavy with sounds and shapes, thoughts and questions, rhyming ideas and calls for fire.
  • Platz 6: Crystal Castles – Crystal Castles II
    Crystal Castles - Crystal Castles IIMy Home ist my Castle. Klebt auf der Tür zu meinem Arbeitszimmer, von daher muss es ja passen. Blöd gedacht. Einfach gesagt sorgte Crystal Castles für eine faustdicke Überraschung als sie im Stück „Not in Love“ einfach mal den Robert Smith von „The Cure“ singen ließen. Hat er auch gemacht und sorgt damit für einen modernen Eindruck der Grufties, der es nun im wahrsten Sinne des Wortes geworden ist.  Doch darüber hinaus hat die Elektro-Formation einiges zu beaten, neben Stücken wie „Courtship Dating“ die tanzbar auf die Fläche brettern oder auch mit „Alice Practice“ ihre 8bit Vergangenheit repräsentieren. Erinnert mich stellenweise an das Ataria Teenage Riot, passt gut für mich zusammen. „That’s the opposite of what I was going for. I’m not trying to write pop songs at all. Year Of Silence was something I imagined hearing at some shitty, small goth club.
  • Platz 7: The Beauty of Gemina – At the End of the Sea
    Beauty of Gemina - At the End of the SeaHabe die Schönheit nach ihrem Stück „Into Black“ eigentlich nicht wieder aus den Augen gelassen. Das 2010 erschienen Album „At the End of the Sea“ gab meiner Vermutung recht, etwas hörbares zu hören zu bekommen. Weitere Recherchen ergaben, das es sich um eine Premiere handelte denn nach Grauzone sind das die zweiten Schweizer die einen Platz in meinem Plattenregal (im übertragenen Sinne) erhaschen können. Doch wer von Into Black ausgeht, sollte sich vom Stück „Rumours“ einmal (angenehm) überraschen lassen.  Wem das gefällt, klickt sich gleich zu „This time“ weiter das wieder ein wenig dunkler erscheint als der Auftakt. Insgesamt finde ich aber die Kombination reizvoll. „Gemina ist der Name einer Frau, nämlich der Muse des Philosophen Plotin. Mich hat der Name gereizt und in meiner Vorstellungskraft musste diese Frau wunderschön gewesen sein, weil sie ja die Muse dieses Philosophen war.
  • Platz 8: How to Destroy Angels – How to Destroy Angels
    How to Destroy AngelsMan glaubt es kaum, aber hinter dem unscheinbaren Namen verbirgt sich ein Projekt des Nine Inch Nails Sängers Trent Reznor und seiner Frau Mariqueen Maanding die mit dieser EP 2010 für Überraschungen sorgten. Zum einen wurden die Songs kostenlos zum Download angeboten und zum anderen stellt Reznor mit den Stücken „A Drowning“ und dem Aufmacher „The Space in Between“ wieder einmal sein Gespür für Melancholie unter Beweis. „Was nichts kostet ist auch nichts.“ stimmt in diesem Fall nicht. 2009 wurde Reznor zu Recht mit dem Webby Award ausgezeichnet worden, weil er das Album „The Slip“ der NIN unter eine Creative-Commons-Lizenz stellte. Irgendwie sympathisch. „For me personally, I waited a while to feel somewhat human and then found creating to be much easier and natural. Drugs hindered me much more than they ever helped creatively.
  • Platz 9: Hurts – Happiness
    Hurts - HappinessKulturschock. Diese Platte hat ja so gar nichts mit meinem mir unterstellten Musikgeschmack zu tun. Denkste. Als Kind der 80er kommt man an diesem Stück Musik einfach nicht ungehört vorbei. Popmusik in Reinkultur und für mich die klanglich perfekteste Scheibe 2010, wenn auch zum Gesamtkunstwerk etwas mehr dazu gehört. 2010 erscheinen Hurts auf der Bildfläche, hauen ihr Album „Happiness“ raus und stürmen mit „Wonderful Life“ die Charts. Das beamt mich direkt und ohne Umwege zurück in eine Zeit, in der sich Popmusik neu erfand. „Silver Lining“ ist ein weiteres sehr eingängiges Stück, das sich einprägt.  Für eine Spitzenposition hat es nicht gereicht. Die schicke Klamotte haben sie die Jungspunde übrigens schamlos aus der 80ern abgegeguckt, Wissende wissen jetzt wen ich meine.
  • Platz 10: OK Go – Of the Blue Colour of the Sky
    OK Go - Of the Blue Colour of the SkyEin Ehrenplatz. Ich finde die Musik OK, die Videos großartig und die Einstellung der Band großartig. Deshalb gibt es hier mal einen Ehrenplatz in Sachen Virales Marketing und Inhalten im Netz. OK Go glänzen nicht zuletzt durch ihre eindrucksvollen Videos zu ihren Titeln „This too Shall Pass“ und den ausgefallenen Bewegungsabläufen in „Here it goes Again“. Doch vor allem durch ihre Einstellung zu den neuen Medien, allen voran des Netzes. Als ihre Label nämlich durch „Geofucking“ dafür sorgte das einige Songs in vielen Ländern nicht zu sehen waren, gründeten OK Go kurzerhand ihr eigenes Label und sprachen sie ganz deutlich für die Videokultur im Netz aus, über das sie schließlich einen Großteil ihrer Einnahmen generieren. Sind einfach coole Jungs.

Ratte macht die Fliege – Ein neuer Anfang (1)

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„Aufklärung in Bilder“ – unter diesem Titel führte Deutschlands größte Jugendzeitschrift, die BRAVO, 1972 die Foto-Love-Romane ein. Neben der Unterhaltung sollten die bebilderten Kurzgeschichten „neben viel Spannung auch noch klare Fakten zu Aufklärungsthemen (bringen). Sex, Flirten, Körperfragen, Verhütung und mehr – verpackt in spannende Geschichten!“ Kein Thema der Jugend wurde ausgelassen, kein Trend übersprungen und so kam es, das sich die Bravo 1987 auch den Grufties zuwendete, nachdem sie den Trend bereits in anderen Zusammenhängen für sich nutzte.

Wieder mit von der Partie ist Carla, die mittlerweile 20 Jahre alt sein dürfte und bereits in Carla, die Schock-Friseuse eine Seite der Bravo füllte. Diese Carla ist aber auch ein Münchener Wave- und Gothicstrudel und hat gleich reihenweise jungen Menschen in das düstere Verderben gezogen. Nicht nur das viele den Artikel über sie verschlungen haben und ihrem Beispiel folgten, jetzt macht sich auch noch Karriere in einem der renommiertesten Jugend-Foto-Romanen der 80er. Wir wollen in der mehrteiligen Reihe beobachten, was aus Carla und ihren Freundinnen wird und wie die BRAVO die moralische Kurve kratzt.

Ein neuer Anfang (Teil 1)

Ratte fühlt sich als die „Königin“ der Grufties und Waver in München. Sie will immer im Mittelpunkt stehen und mit Ihren schriller Klamotten, den andern immer eine Nasenlänge voraus sein. Und sie genießt es auch ganz besonders, wenn in den einschlägigen Waver-Discos ein ganze Pulk von Fans um sie herumsteht… Das große Ziel von Ratte ist ein London-Trip. Dort soll die Post in Sachen Wave ganz irre abgehen, und Ratte spart schon seit Monaten auf eine Fahrkarte in die englische Hauptstadt. London ist auch meist das Hauptthema, wenn Ratte mit Ihrer besten Freundin „Maus“ einen Tee-Nachmittag veranstaltet. Heute allerdings reden die beiden über Leserbriefe, die Ratte auf einen Artikel hin bekommen hat…

Ratte macht die Fliege - Ein neuer Anfang (Teil 1)

Da ist Sie also wieder: Carla, die von der Bravo erhobene Queen der Münchener Waver- und Gruftie-Szene. Eine ganze Weile war es still um den Foto-Love-Roman, doch das hatte seinen Grund. Ich entdeckte das ich von einer völlig falsche Reihenfolge ausging und bei weitem nicht über alle Teile der 8-teiligen Serie verfügte . So war jetzt erstmal ein paar Wochen Recherche angesagt, die sich mit Verlaub gesagt, gelohnt hat. Grund genug nocheinmal von vorne zu beginnen und die Protagonisten vorzustellen: Da hätten wir also Ratte, alias Carla die schon aus ihrem Artikel bekannt ist, dann hätten wir noch Vero, die an Carla’s Rockzipfel hängt und Waver voll cool findet und sich darüber mit ihrem Freund Udo zerstritten hat. Dagmar ist ihre beste Freundin und noch mit Timmy einem ekligen Schnösel tollen Typen zusammen.

Ratte macht die Fliege - Ein neuer Anfang (Teil 1)

Aha. Vero hat also zusammen mit Dagmar einen Leserbrief an die Bravo geschickt, der nun als Fanpost von Carla und Ihrer besten Freundin „Maus“ geöffnet wird. Inzwischen hat sich Carla als geschäftstüchtig erwiesen: „In den abenteuerlichsten Outfits flaniert sie auf beliebten Straßen auf und ab, läßt sich von Touristen fotografieren oder gibt Reportern Interviews. Die bezahlen dafür und Ratte verdient sich auf diese Weise Geld…“ Wahrscheinlich hat sie diesen Trend auch aus London, denn dort gibt es zu dieser Zeit die Buisness-Punks, die mit ihrem Aussehen schon länger ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Carla und Maus laden die beiden „Land-Eier“ nun ins Münchener „Limit“ ein, den Laden gibt es nach meinem Kenntnisstand leider heute nicht mehr. Dagmar und Vero sind natürlich aus dem Häuschen und verwandeln sich eigens für diesen Termin in Komplett-Waver mit ausrasierten Schläfen und hochtoupierten Haaren.

Ratte macht die Fliege - Ein neuer Anfang (Teil 1)

Statt eines ganz normalen Mädchens mit kurzen blonden Haaren sieht ihr nun eine mondäne Type aus dem Spiegel entgegen, total gestylt und ganz anders, irgendwie fremd.“ Hoppla, mondän? Wie konnte dieses Wort in den sonst betont jugendlichen Wortschatz der Bravo rutschen? Die dem Wort entsprechende Bedeutung „sehr elegant, sehr gewandt und dabei lässig überlegen“ hätte es auf getan. Immerhin zeigt sich die Mutter von Dagmar entsprechend schockiert und beendet den (neuen) ersten Teil mit dem Zitat des Tages: „Limit… was ist das schon wieder?! Limit ist jetzt hier und sofort, nämlich Schluß mit diesen Trauerfummeln und Kitschketten…

Besucht auch die anderen Teile und erfahrt wie es weitergeht oder gewesen ist (die Verlinkung wird mit dem erscheinen hier im Blog ergänzt):

Bettie Page, die Mutter von Emily Strange

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Heute vor 2 Jahren starb Bettie Page, die Stilikone des Pin-Up die heute in stilisierter Form auf unzähligen Körperteilen zu sehen ist und als Inspirationsquelle für unzählige Subkulturen immer noch kopiert wird. Sie gilt als einer der meist fotografierten Frauen der 50er Jahre und stand Modell für sehr frühe Bondage- und Fetischproduktionen und gilt damit auch als Wegbereiterin der sexuellen Revolution. Zu Beginn der 60er zog sich Page aus der Öffentlichkeit zurück und hinterließ einen riesigen Fundus mit rund 20.000 Bildern, die immer wieder auf den Titeln von Magazinen und Zeitschriften zu sehen waren. In den 7 Jahren ihrer Tätigkeit als Motiv erschien sie auf mehr Titelseiten als Marilyn Monroe und Cindy Crawford zusammen. „Ich fühlte mich zu alt, sehen sie, ich war 27 als ich mit der Fotografie begann und war mit 34 älter als fast jedes andere Mädchen in dieser Branche.

1976 veröffentlichte Eros Publishing einen viel beachteten Rückblick auf die zahlreichen Fotos aus den 50er. Bildbände und Sammlungen erschienen, Künstler der frühen 80er ließen sich inspirieren. Dave Stevens machte sie zu Geliebten seines Comic-Helden Rocketeer, 1987 brachte Greg Theakston ein Fanzine heraus, das sich mit Page und Anekdoten aus ihrem Leben befasste. Die rasche Verbreitung von alternative Quellen in Subkulturen der frühen 80er sorgte für einen Inspirationsschub, der bis zu ihrem Tod angehalten hat.

Rockabillys, Psychobillys, Punks und auch Gothics griffen Stilelemente auf und setzten sie in ihren Szenen um. Als Rob Reger sich die Comicfigur Emily the Strange ausdenkt, lässt er sich in vielerlei Hinsicht von Page beeinflussen und verpasst dem 13-jährigen Mädchen einen düsteren Gesichtsausdruck und ein ausgeprägt pessimistische Weltbild und schafft eine neue Generation von Gothic-Crossdressern, die sich in Aussehen an Emily orientieren und dennoch Bettie Page kopieren.

Was macht die Faszination aus? Eine Vermutung: Die Figur Bettie Page verkörpert Unschuld und sexuelle Freizügigkeit in einer Person, sie ist das All-American-Girl – ein Mädchen von Nebenan das die Phantasie der meist männlichen Bewunderer schürt. Als „Pin-Up“ schafft sie es in unzählige Spinde der in Übersee stationierten US-Soldaten und ebnet auch den späteren Weg von Marilyn Monroe als Sexsymbol einer ganzen Nation. Misst man die Bilder nach heutigen Verhältnissen ist es doch gerade der verbleibende Rest von von Züchtigkeit und Bravheit der den Reiz ausmacht. Dabei wirkt die Verbindung des „Mädchens von Nebenan“ mit einer erotischen Frau männlicher Phantasien auf Männer besonders anziehend. Frauen lieben den Reiz der Verruchtheit, der sich im Kleidungsstil manifestiert und die damit verbundene Überzeichnung der eigenen Person.

(Bildquelle: CMG Worldwide, Bettie Page, CC BY-SA 3.0)

Knopf drücken, abschalten: Krieg der Welten

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Faszinierend, erschreckend, aufwühlend. Das was wir nur von düsteren Filme kannten ist Realität geworden, das Internet ist zum integralen Bestandteil unseres Lebens mutiert. Jahre fristete es einer Existenz als Nebensache, als Spielplatz oder auch als Lexikon das man zuklappen und ins Regal stellen kann. Doch für manche unmerklich, für andere absehbar hat sich das Internet in das reelle Leben geschlichen. Das mag für den ein oder anderen absonderlich klingen, doch in meiner Jugend war das Wort Internet noch nicht bekannt. Als „Generation Golf“ bin ich in das Internetzeitalter hineingewachsen und habe schon früh damit begonnen mit auseinanderzusetzen. Viele gleichaltrige werden mir beipflichten, wir kennen beide Seiten und haben damit denen die es gar nicht anders kennen etwas voraus, jedenfalls in dieser Hinsicht.

Das tagesaktuelle Geschehen zeigt es deutlich: Die klassischen Nachrichten berichten immer häufiger über das Netz, Wikileaks und seine selbsternannte Galionsfigur Julian Assange haben geschafft, was niemand vor 30 Jahren für möglich gehalten hätte: Digitale Informationen sind zur Waffe geworden, mit der Verteilung der geheimen Dokumente von Diplomaten an viele Redaktionen auf diesem Planeten haben sie nicht etwa gezeigt was ein US-Diplomat über Angela Merkel denkt, sondern vielmehr welche Macht das hat, was vor Jahren belächelt wurde und warum Informationen der Schlüssel zu einer vielleicht besseren Welt sein können. Robert Basic nennt Wikileaks „the next big thing“ und spiegelt damit meine Sicht der Dinge und lenkt den Fokus auf das großartige, das Wikileaks und seine Aktivisten ausmacht. Sie zeigen auch die andere Seite der Medaille und fordern damit Regierungen, Geheimdienste und Organisationen heraus, die Wikileaks und Julian Assange den Krieg erklärt haben. Die echte Welt, gegen die virtuelle Welt.

Vielleicht ein Video von einer Interview mit Julian Assange, das erklärt Warum die Welt WikiLeaks braucht um zu verstehen worauf sie meine Ansicht stützt. Nehmt die zahlreichen Untertitel in Anspruch, mir hat es beim Verstehen geholfen.

Paradox möchte man meinen. Hier wird etwas kriminalisiert was gar nicht kriminell ist, hier arbeiten plötzlich Behörden, Regierungen und Organisationen zusammen um Wikileaks zu stoppen, und Assange zu inhaftieren. Faszinierend, das das was seit Jahren bei Cyberkriminalität nicht möglich schien nun wie von Geisterhand funktioniert, erschreckend wie Regierungen und Firmen zusammenarbeiten, aufwühlend wenn man sich die Konsequenzen ausmalt.

Das geht mich nichts an? Legen wir den Krieg der Welten wie eine Blaupause auf die deutschen Ereignisse und ziehen (wohl möglich hinkende) Schlüsse zum JMStV, dem Jugendschutzschwachsinn der Bundesregierung, der 2011 in Kraft treten soll. Zusammen mit den jüngsten Facebook-Skandalen, dem Google Street-View Eklat und dem Krieg der Welten rund um Wikileaks entsteht ein bizarres Bild, das den, der sich nie mit dem Netz und seiner Macht auseinandergesetzt hat vor Fragen stellt, die er sich nicht beantworten kann. Die Medien schüren Ängste und erzeugen ein Weltbild das fern von dem ist, was wirklich passiert.

Glücklicherweise gibt es Prominente, die uns ihre Sicht der Dinge präsentieren, das man durchaus zum lachen finden könnte, ich finde es jedoch erschreckend. Prominente haben die unangenehme Eigenschaft, das deren Gedanken und Wort häufig von der entsprechenden Zielgruppe zur eigenen Meinungsbildung heran gezogen werden:  „Wenn ich auf einen Knopf drücken könnte […] und könnte das Internet abschaffen für alle, ich würd‘ ihn sofort drücken.

Es ist nicht meine Absicht jedes Wort auf die Waage zu legen, geschweige denn jeder Wort eines Bill Kaulitz für bare Münze zu nehmen (von Joop ganz zu schweigen), aber es spiegelt irgendwo die Sichtweise eines großen Teils der Gesellschaft und genau das macht mir Angst.

Abschalten. Abschaffen. Ausblenden. Ich will nichts schlechtes mehr hören, ich will mich weiterhin in meiner kleinen bescheidenen Welt wohlfühlen. Was ich nicht sehe und höre, das gibt es nicht. Und wenn alle so wären wie ich, dann wäre die Welt bestimmt ganz toll.

Die gnadenlose Verwirrung – Sophie sucht den Szenekern

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Dieser Artikel wurde von der ASRianerin verfasst, die sich schon seit geraumer Zeit immer wieder in die Kommentare bei Spontis einbringt. ASRianerin ist 20 Jahre alt und kommt aus Sonneberg und ist auch in der Model-Kartei zu finden, aus der auch die Bilder in diesem Beitrag stammen. Wenn auch Du Lust hast einen Artikel über Dich, die Szene oder das was Dich bewegt zu schreiben, nutze das Kontaktformular.

Auch die Gothics sind im Internet schon lange angekommen und es ermöglicht vielen einen regen Austausch, über alles, was das Gruftieherz begehrt. Es ist nicht nur eine Informationsplattform, sondern auch eine Möglichkeit des Meinungsaustausches. Das hat natürlich etliche Vorteile. Man lernt Gleichgesinnte kennen (was für Menschen die in Kuhkäffern wohnen eine echte Wohltat ist) man erfährt immer das Neuste über die Lieblingsband oder über bestätigte Künstler für das nächste Festival UND man kann sich wunderbar über die Szene selbst austauschen. Doch manchmal denke ich, dass gerade der letzte Punkt nicht immer nur ein Vorteil ist, ganz besonders für junge Szeneeinsteiger oder Interessierte. Denn oftmals ist es doch so, dass die Diskussionen eher frustrierend als aufschlussreich sind.

Ich verknüpfe diesen Beitrag mit meinen ersten Erfahrungen als Junggruftie in diversen Foren (ich werde hier keine genauen Namen nennen. Zum einen tut das hier nichts zur Sache, zum anderen ist es doch eh überall dasselbe Spiel). Man wird gnadenlos verwirrt, wenn man sich auf die Suche begibt.

Einer der Gründe dafür ist der Generationenkonflikt innerhalb der Szene, welcher überall ausgefochten wird. Ich habe Verständnis für beide Seiten. Die (ich nenne sie an dieser Stelle einfach dreisterweise so) „Altgrufties“ verstehen die Welt nicht mehr, wenn sie sich auf Szeneveranstaltungen umsehen oder die Aussagen in den Foren lesen. Es sind zum Beispiel Aussagen wie: “Wir müssen ALLES tol(l)erieren!“ Sicherlich möchte die Szene auch tolerant sein, nur bekommt man das Gefühl, dass sehr viele diese Sache nicht ganz verstanden haben. Man sagt gerade szeneintern zu allen Dingen „Ja und Amen“ und macht sich kaum tiefere Gedanken um etwas. „Leben und leben lassen!“ bekommt man oft zu hören. Doch wie weit darf das innerhalb einer Gemeinschaft gehen? Es ist verständlich, dass Menschen die die Ketten der Gesellschaft abwerfen wollen, so denken, doch ist es ebenfalls eine Tatsache, dass das knallharte Durchsetzen dieses Denkens immer Reibungen und Spannungen erzeugt. Und das gilt genauso für eine Subkultur. Wenn man sich also jahrelang in dieser befindet, möchte man auch seinen gemeinsamen Nenner bewahren. Und hier ist der Konflikt. Einerseits liest man, dass man so hier keine festgesetzten Regeln findet, andererseits wird einem genau das Gegenteil erzählt. Das verwirrt.

ASRianerin - Auf der Suche
Zugehörigkeitsgefühl weicht eine intensiven Individualität

Wir lassen uns nicht in Schubladen stecken!

Und dann kommt es auch oft zu Aussagen wie: “Ich bin kein Gothic!“ Ein zweischneidiges Schwert. Einerseits scheint es ein Bewusstsein dieser Menschen zu sein, dass sie gewisse Grundgedanken und Gefühle oder dergleichen nicht haben. Andererseits stelle ich mir immer die Frage, ob es denn nicht eigentlich traurig ist, dass man solange herumstreitet, dass man nicht mehr zugeben will, dass man sich einer Sache hingezogen fühlt?  Bzw. dass man eben solange herumdiskutiert, dass sich eine allgemeine Verunsicherung breit macht, die so stark ist, dass es Interessierte abschreckt. Ich glaube, es gibt einfach gewisse Dinge, die sind typisch für die Szene und man kann sie nicht abstreiten. Es sind individuelle Unterschiede, die auf einer gemeinsamen Basis beruhen. Und diese Erkenntnis kommt selten bei solchen Diskussionen zum Vorschein.

Vielleicht kommt diese Erkenntnis aber auch durch die Eintrichterung der Phrase „Wir lassen uns nicht in Schubladen stecken!“ zustande. Sicherlich wird ein großer Wert auf individuelle Entfaltung gelegt, dennoch kann man nicht verhindern, dass man von Außenstehenden in die Gothic-Sparte gedrängt wird, wenn man nur schwarz trägt und einen Faible für Düsteres hat. Auch wenn man fest davon überzeugt ist, nichts mit Gothics am Hut zu haben, muss man sich einfach vor Augen führen, dass das Gehirn eben mit Schubladen und Netzwerken denkt, um etwas kognitiv zu verarbeiten. Man kann es zwar, wenn man das weiß, bewusst beeinflussen, gerade um Menschen gegenüber neutral zu sein, aber man kann es nie verhindern. Dieses Denken ist wichtig, sonst könnte man nicht mal Mann von Frau unterscheiden. Egal wie man aussieht, man wird immer in Schubladen gesteckt. Manchmal auch in die falschen. Damit muss man Leben. Fehlt einigen Leuten dieses Hintergrundwissen (von dem ich überzeugt bin, dass man es nicht benennen muss und man das nicht erst durch den Psychologieunterricht erfährt) oder ist der Wunsch nach Einzigartigkeit und Individualität so unbeschreiblich groß, dass man dieses Denken nicht mit sich selbst in Verbindung bringen will?

Gutes Klischee, schlechtes Klischee?

Weiterhin glaube ich, dass eine gewisse Klischeephobie für Verwirrungen sorgt. Ist man wirklich ein ahnungsloser Klischeegruftie, wenn man gerne auf Friedhöfe geht? Ist man dann wirklich durch die Medien erblindet? Oder enthält dieses Klischee mehr Wahrheit als man denkt, aber man möchte es nicht zugeben, weil man damit vorurteilsbelastete Außenstehende mit etwas füttert, was sie wirklich hören wollen, aus Angst, man bestätigt sie in Vorurteilen? Ich muss hier viele enttäuschen: Ob ihr ein Klischee welches ihr bedient zugebt oder nicht: Ihr werdet immer mit den Vorurteilen konfrontiert werden. Und selbst wenn manche Klischees Jugendsünden sind: Na und? Sind wir doch mal ehrlich, wer von uns hat sich in seiner Anfangsphase nicht irgendwie lächerlich gemacht?

ASRianerin - Gefesselt
Die Fesseln der Vergangenheit werden immer wieder angelegt

Die Fronten sind also verhärtet. Die Leier ist immer wieder die Selbe. Und keine Seite fühlt sich ernst genommen. Die Altgrufties, weil sie immer mehr durch teilweise schlecht durchdachte Aussagen und Geplänkel zum Wahnsinn getrieben werden, welche durch zunehmenden Etikettenschwindel immer weiter verstärkt werden. Und manchmal geht es so weit, dass junge Goths sogar das komplette Interesse an der Szene verlieren. Sie machen ihr Ding, ziehen es gnadenlos durch, verlieren das Interesse an Tiefgründigkeit, Melancholie und hören lieber Techno. Und dennoch sind sie verwundert, wenn sie dann in Diskussionsforen die Meinungen anderer an den Kopf geknallt bekommen.

Ich dachte wir sind alle tolerant!“ An dieser Stelle werde ich ein anderes Klischee bedienen und zwar das Soziklischee. Denn ich denke, dass beide Seiten festgefahren sind und nur selten Verständnis füreinander aufbringen. Junggrufties (die teilweise auch einfach sehr stark medienverblendet sind) verstehen nicht die Verbissenheit der Altgrufties, die teilweise von Anfang an dabei waren und die mit dabei waren, wie aus Mode und Musik ein Lebensgefühl wuchs. Hinter dieser Verbissenheit steckt einzig und allein der tiefe Wunsch etwas so wunderbares zu bewahren, welches schon so lange Zeit immer weiter verkauft wird. Und wenn dann Menschen kommen, die sich gerne nur schwarz kleiden und die Spaßgesellschaft in die Szene schleppen, dann entsteht Wut. Und je weiter es fortschreitet, desto größer wird sie.

Andererseits scheinen die Altgrufties nicht zu verstehen, dass die Zeiten eben nun mal andere sind und bei manchen Usern beschleicht einen oftmals das Gefühl, dass alle neuen Sachen der Szene verteufelt werden. Die 80er sind nun mal vorbei. Man hat nun mal die Möglichkeit, relativ einfach an gruftige Klamotten zu kommen und die Musikauswahl ist nicht nur unglaublich vielfältig, sondern auch sehr leicht zugänglich geworden ist. Hinzukommt, dass die neue Generation bereits in eine Gesellschaft geboren wird, deren Konsumverhalten krankhaft ist und die überstimuliert sind.

Man trifft sich nicht in der Mitte. Oder nur selten. Die Junggrufites wollen sich nicht an die Hand nehmen lassen und sie verschwinden auch nicht, weil anscheinend nur noch wenige bereit sind ihnen zu sagen, was Phase ist. Sie sehen zum Teil einfach nicht mehr außer genannte Phrasen und Technoclubs.

Man muss nicht dauerhaft auf die Unwissenheit einknüppeln, auch wenn es manchmal schwer fällt. Andererseits sollte man immer offen sein und nie glauben, dass man alles weiß. Vollkommen egal, wie lange man schon dabei ist und es ist auch vollkommen egal, ob man schon die perfekte Subkultursplitterung für sich gefunden hat. Denn das sind die Dinge, die die Szene vielfältig und interessant machen. Es ist nicht die Anzahl der Splittergruppen. Es sind die Menschen untereinander, die das Selbe Grundgefühl besitzen, es aber individuell leben und doch teilen. Und wenn man dies nicht teilt, dann sollte man sich eben vor Augen halten, dass man nur am Rande steht (was nicht bedeuten muss, dass man deswegen schlechter ist als die anderen) und nicht auf Biegen und Brechen irgendwas Schwafeln oder tun, nur um Anders zu sein. Oder kurz gesagt: Entweder man ist es, oder nicht. Und man findet es manchmal nur heraus, wenn man nachforscht und seinen Horizont erweitert.

 

Video: Neulich in der Diskothek (1986)

Tanzen. Neben den klassischen und erlernbaren Methoden zu Tanzen gibt es auch den Tanz als Ausdrucksform seiner Selbst und das kann man nicht erlernen. Seit tausenden von Jahren tanzen wir und der Tanz entwickelte sich von einer Ausdrucksform zur Tradition und später zum Zeichen gesellschaftlicher Integration. Das ist auch heute noch so. Die Namen der Tänze ändern sich mit den Jahrhunderten, nicht aber die Bedeutung.

Ich kann nicht tanzen. Jedenfalls nicht klassisch. In meiner Jugend habe ich begonnen die Tänze meiner Idole im Musikfernsehen nachzuahmen, allen voran den von Curt Smith und zwar so, wie er ihn im Video zu „Mad World“ von 1982 (ab Minute 2:20) tanzt. Auch heute tanze ich eher so wie es mir gefällt, füge mich aber dennoch aus Gemeinschaftsgefühl auf der Tanzfläche ausgerufenen Massenbewegungen. So wie den „Totengräbertanz“, da mache ich einfach mal mit, weil er eben so herrlich traditionell ist, während ich bei Anne Clark meist mit geschlossenen Augen die Musik so richtig schön in mich reinkriechen lasse. Ein Video zu Trisomie 21 – The Last Song hat mich dann doch wieder in Erinnerungen schwelgen lassen, obwohl ich anfangs nur im Dunkeln getanzt habe und mich bei zu Viel Licht wie ein scheues Reh im Dickicht der Menschen verkrochen habe. Wie tanzt ihr?

Vorweihnachtlicher Einkaufsstress?

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Am 24. Dezember, dem heiligen Abend, habe ich ein ganz besonders kurioses Ritual, das ich nun schon seit gefühlten Ewigkeiten pflege. Und folgt man der Diskussion über die Definition von Gothic, so kann der Eindruck erweckt werden, ich würde das aus eben den genannten Gründen immer wieder machen. Bekanntlich haben die Geschäfte am 1. und 2. Weihnachtsfeiertag geschlossen und sind damit – je nach Jahreslage – ein ordentlicher Batzen ohne die Möglichkeit einzukaufen was die Menschheit mit panikartigen Einkäufen am 24, Dezember quittiert. „Man will vorbereitet sein“ hört man da, „Tante Erna kommt doch noch und die trinkt nur Ramazotti„, wird auch gerne genommen, oder „Scheiße, ich habe die Paprika für das Weihnachtsessen vergessen“ schallt es auch aus manchen Küchen – vielleicht geht auch einfach nur die Welt unter, wer weiß.

Klischeehafte Männer kaufen Geschenke für die Menschen denen sie eigentlich gar nichts schenken wollen und nur aus Pflichtgefühl etwas einpacken und dazu irgendeinen Mist kaufen den die findigen Geschäftsleute genau an diesem Tag und genau aus diesem Grund in ihre Auslagen legen. Verärgerte Schlafmützen tauschen sogar jetzt schon Dinge um, von denen sie erfahren haben das der zu beschenkende jenige es bereits bekommt oder bekommen wird. Gutscheine sind beliebt, kleine Geschenkkörbe mit Duschgel oder Hautcremes und sonst irgendein unpersönlicher und meist lieblos verpackter Mist. Na gut, vielleicht nicht lieblos, aber dann wenigstens talentfrei – denn zum Einpacken fehlt vielen Männern das entsprechende Gen. Aber gut, das ist auch sicherlich ein überstrapaziertes Klischee.

Ich liebe es jedenfalls – um wieder auf mein skurriles Ritual zu kommen – am Heiligen Abend einkaufen zu gehen, nicht weil ich etwas bräuchte, sondern weil ich als Zeitlupe in Mitten gestresster Menschen dem bunten Treiben in schwarzen Klamotten Paroli biete und beobachte wie sie Erwachsene Menschen um Gemüse streiten, sich MP3 Player aus der Hand reißen und ihre Qualitätsansprüche wegen fehlendem Angebot immer weiter runter schrauben. Kontrovers, nicht wahr? Und genau dann mache ich diese Beobachtungen die mich so besonders faszinieren und moralisch pikieren. Nervenkitzel ist natürlich auch dabei, denn was wäre, wenn ich selbst etwas vergessen hätte?

Ich beruhige mich wieder, denn heute ist erst der 1. Dezember und einige Sachen habe ich bereits besorgt, Wunschzettel sind geschrieben und das Weihnachtsessen ist geplant. Irgendwie unspontan für einen Spontis, aber so bin ich eben. „Man(n) will vorbereitet sein.