Spontis Wochenschau #02/2013

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Faszinierend. Im Schwimmbad sind wir alle gleich. Oder? Erkennt man eine subkulturelle Zugehörigkeit in Badeanzug oder Badehose? Gut, es gibt Tätowierungen, Piercings, Sidecuts und gefärbte Haare, aber das sind auch schon lange keine Alleinstellungsmerkmale mehr. Hausfrau Gabi trägt stolz ihre chinesischen Schriftzeichen auf dem Rücken spazieren, Petra, die sich als kaufmännische Angestellte ihre Brötchen verdient, zeigt Gabi stolz ihre ausrasierten und pink gefärbten Seiten. Zwei aus ihrem Büro hätten ihr jetzt nachgeeifert, erzählt sie stolz. Ihre Männer, Dirk und Michael, geben sich cool und tragen ihre monströsen Muskeln zur Schau, während sie in stylischen Badelatschen immer wieder vor den Sprudel-Liegen auf- und ablaufen. Dass diese Menschen, deren Namen ich geändert habe zusammen gehören, erschließt sich mir im Laufe meines eigenen Besuchs der Sprudel-Liegen. Denn hier dringen neben platzenden Luftblasen auch immer wieder Gesprächsfetzen an mein Ohr. Der Unterschied ist allerdings marginal.  Je weniger wir anziehen, desto gleicher werden wir, denke ich bei mir. Und dennoch erkennt man Unterschiede, der Körper spricht seine eigene Sprache. Es gibt Menschen, die strahlen ihre Andersartigkeit einfach aus. Andere Menschen strahlen überhaupt nicht, obwohl sie nicht zu übersehen sind. Ein Besuch im Schwimmbad kann da befreiend wirken, oder heilend. Je nach Sichtweise. Viel Spaß bei der Wochenschau.

  • Schwarz trifft weiß | Wochenspiegel Sachsen
    Als ich den Artikel über eine Ladeninhaberin aus Hohenstein-Ernstthal las, war mir schnell klar, dass ich das für die Wochenschau verwenden musste. Wenn eine gelernte Nährerin aus ihrem Beruf und ihrer Passion ein Leben macht, finde ich das äußert großartig. Gerne hätte ich die Adresse oder einen Link zum Laden herumgereicht, doch genau hier patzt der Artikel. Immerhin erfahren ich, dass Evelin Josts auch keine Sargmöbel zu Hause hat (schade eigentlich) und viele Kunden hat, die nicht erkannt werden wollen: „„Viele ziehen sich nur so an, wenn sie ausgehen. Ärzte, Rechtsanwälte, Krankenschwestern – viele wollen auch nicht fotografiert oder gefilmt werden, aus Angst, sich zu outen“, berichtet die Frau mit dem flott geschnittenen leuchtend roten Haarschopf aus Erfahrung.
  • Wer Heavy Metal hört, geht öfter klauen | Ärzte Zeitung
    Ja, genau. Ihr habt richtig gelesen. Diese Überschrift stammt zudem nicht aus einer Boulevard-Zeitung, sondern aus einem renommierten Ärzte-Blatt, dessen zugehöriger Artikel sich sogar noch auf eine aktuelle Studien stützt. „Straftaten wie Laden- und Bagatelldiebstahl sowie Vandalismus werden demnach häufiger von jenen Jugendlichen begangen, die zuvor unorthodoxen Musikrichtungen wie Heavy Metal, Gothic, Gangsta-Rap, Punk oder Hardhouse gefrönt haben. […] Jugendliche, die brav die Hitparade hörten oder sogar Jazz- und Klassikplatten ins CD-Laufwerk schoben, zeigten sich in der aktuellen niederländischen Studie übrigens ebenso brav in ihrem Verhalten. Hier bestanden sogar schwach negative Korrelationen mit strafbaren Handlungen.“ Hach, ich liebe Studien. Ohne sie hätte wir definitiv weniger zu lachen.
  • Typologie der Festivalgäste: Vandalen, Jünger und Choleriker | UNIspiegel
    Ganz langsam aber sicher machen sich die Ersten wieder Gedanken über die bevorstehenden Festivals. Ich mache mir Gedanken darüber, wie ich möglichst schöne Live-Musik mit möglichst wenigen Menschen erleben kann. Um zu vermeiden auf Festivals zu kommen, die ich nicht mag, empfehle ich diese Lektüre: „In seinem Buch „Überleben auf Festivals – Expeditionen ins Rockreich“ hat er für die Saison 2012 aufgeschrieben, was Novizen über die musikalische Großveranstaltung Festival wissen sollten. Denn Festivalbesucher sind, sobald sie das Auto abgestellt und die erste Palette Dosenbier ausgeladen haben, nicht mehr sie selbst. Sie mutieren zu ganz bestimmten Typen, denen man auf einem langen Musikwochenende irgendwo im nirgendwo immer wieder begegnet: Einer kümmert sich rührend um seine Mitzelter. Ein anderer sitzt wie eine Sphinx inmitten des Chaos und man weiß nicht, was er hier eigentlich will. Und der Fahrer des alten VW-Busses ist zwar bald Mitte-Dreißig, hat aber trotzdem seinen Punkrockgeschmack aus den Neunzigern beibehalten.
  • Diary of Dreams geheimes Nebenprojekt: comkill | Facebook
    Der Mensch braucht Mythen und Utopien. Auch im kleinen. So mag es Diary of Dreams Fans freuen, dass Adrian Hates und Gaun:A bereits seit 1996 an diesem geheimen Projekt arbeiten: „Seit 1996 bereits arbeitet man bei Diary of Dreams hinter den Kulissen an einem geheimen Nebenprojekt. Nie jedoch führte man dieses Projekt zur Vollendung. Nie, so schien es, war der richtige Zeitpunkt, und stets kreiste der gesamte Fokus um den Koloss Diary of Dreams. Doch das soll sich nun ändern, Adrian Hates und Gaun:A haben ihre Ketten gesprengt und die Grenzen ihrer musikalischen Arbeit um ein weiteres Schaffenswerk ausgedehnt: „.com/kill“ kommt – soviel ist sicher … und auch schon sehr bald. Sicherlich gibt es Momente, in denen das musikalische Erbe .com/kills kurz aufflammt, doch dominieren die Momente und Titel, die unterschiedlicher zum Mutterschiff nicht sein könnten. Wütend stampfend wie eine Horde wilder Notenstürme prasseln Phrasen, Fragmente und voodoo-ähnliche Rhythmen auf den staunenden Hörer ein. Ungewohnt hart und heftig geht es hier zu, was die Clubwelt sehr freuen wird.
  • Vom Rattenkönig und dem blutenden See | Der schwarze Planet
    „Links zum Abbiegen“ nennt Shan Dark ihre neue Rubrik gesammelter Fundstücke aus den Untiefen des Netzes. Der Januar 2013 befriedigt dann auch die Erwartungen mit unzähligen Links, die einfach jeden morbiden Geschmack bedienen. Mit von der Partie sind der unentwirrbare Rattenkönig, der blutende See, eine Nacht auf der Bahre, Ruhe in Frieden, Chaos, eine Kathedrale, Gräber und eine dämliche Sandspinne. Um mehr zu erfahren genügt ein Klick. „Dieses Internet ist manchmal zum Verzweifeln! Ich weiß ja nicht, wie es euch so geht, aber ich lese täglich viele interessante Artikel und Webseiten, kann sie aber nur selten festhalten. Geteilt, gepostet und empfohlen in diversen Netzwerken und schwupps – vergessen! Vergessen, wo der Artikel zu lesen war oder wie irgendetwas hieß oder wo sich manche Reiseziele befinden.
  • Gothic glam und der Fake-Sidecut | Express + YouTube
    Nein, nein und nochmals nein. Die sogenannten „Smokey Eyes“, die heute immer wieder gerne als „Gothic-Makeup“ gestempelt werden sind eine 100%-ige Erfindung der Fashion-Industrie. Ganz sicher haben auch verschiedene Visagisten ihre Hände im Spiel, denen simpler Kajal und reichlich Theater-Schminke zu plump gewesen ist. „„Lightly contour in the hollow of the cheeks using bronzer. Alternatively, using a neutral-tone blush on the cheek revives the gothic look from the classic 80s ghostly gothic style and adds sculpture to the face, lightly contouring to give softly sunken cheekbones and making the look more modern and wearable,“ explains Kirstin.“ Fashionblubb. Als wäre das nicht genug, tauchen jetzt immer mehr „Fake-Sidecut“ Videos bei Youtube auf, damit der Wochenendgruftie am Samstag Abend auch so richtig böse aussieht, ohne gleich zum Rasierer zu greifen.
    www.youtube.com/watch?v=XDwyD9lUJ78
  • Frankenweenie: Robuste kleine Seelen | Süddeutsche
    Danke Gothic! Wer immer schon auf der Suche nach dem gewesen ist, was Gothic für die Gesellschaft getan hat, wird hier fündig. „„Zu düster“: Vor 30 Jahren packte Disney einen Kurzfilm von Tim Burton über einen Jungen und seinen toten Hund in den Giftschrank. Heute hat sich der Gothic Style durchgesetzt – und Burton darf im Animationsfilm „Frankenweenie“ endlich Untote, Geister und Monster auf die Kinder loslassen.“ Der Rest ist Geschichte. Tim Burton verließ Disney und wurde im Zuge der aufstrebenden Gothic-Szene der 80er immer gefragter. Seine Werke gehören in jede persönliche Gothic-Bibel. Okay, vielleicht bin ich heute ein wenig überheblich.
    www.youtube.com/watch?v=W7ZUGU5x7Jw

Karnstein kreatives Kämmerlein: Stofffarben

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Diesmal ist das kreative Kämmerlein mehr als ein Erfahrungsbericht zu verstehen, der den interessierten Leser vielleicht davor bewahren mag die gleichen Fehler zu machen wie wir. Bis vor einiger Zeit wusste ich gar nicht so recht dass es helle Stofffarben gibt, die für dunklen Untergrund gemacht sind. Dann sah ich jedoch das geniale selbstgemachte Bauhaus-Shirt einer Freundin und habe mich einfach mal im freundlichen kleinen Bastelladen in der Limburger Innenstadt umgesehen und einen weißen Stift erworben, mit dem experimentiert werden sollte.

Sich gegenseitig mit Ideen anfixend welche Bandshirts man sich auf diesem Wege doch selbst machen könnte fand ich mich also schließlich mit ein paar schwarzen Shirts bei Libbit im Wohnzimmer ein und so voller Tatendrang wie wir waren wurde nicht lange gefackelt und direkt losgelegt – vermutlich etwas schneller als gut gewesen wäre ;)

Eine Holzlatte und ein Geodreieck hatten wir – gerade Hilfslinien ziehen, um sich beim Konstruieren der Buchstaben daran zu orientieren war also nicht das Problem. Aber womit macht man die Hilfslinien? Schneiderkreide wäre natürlich die ideale Lösung gewesen, gibt’s in jedem Karstadt für wenig Geld, aber daran gedacht hatten wir natürlich nicht. Also musste ein weicher Bleistift herhalten. Das ging zwar auch irgendwie, aber besonders, wenn man irgendwann auf elektrisches Licht angewiesen ist mutiert es zu einer wahren Augenfolter.

Das Hauptproblem aber war, dass wir absolut keine Lust hatten, mit dem Bleistift dann auch noch die Motive vorzuzeichnen – aber wir sind ja zeichnerisch geschickt, das klappt also bestimmt, oder? Naaaaja ;)
Mein PINK sah noch super aus. Beim U von TURNS wurde ich schon nervös, und beim S angekommen war klar: Nee, das ist irgendwie viel zu weit rechts. Also zähneknirschend das BLUE dann schräg in einer schmierigen Handschrift daneben gesetzt und gehofft, dass es nach Absicht aussieht… So richtig überzeugt bin ich von der Lösung leider nicht, aber ich bin ja mit meiner Eile auch selbst dran schuld ;)

Libbit hatte anfänglich ein ähnliches Problem: IAMX sollte es werden, und IA sah wirklich genial aus – ich hab sie echt für ihre detaillierte und klare Linienführung beneidet (denn mit so einem dicken Stift ist das echt nicht leicht), aber beim M angekommen war auch hier klar, dass das X irgendwo unter der Achsel verschwinden würde. Ihre Lösung war jedoch deutlich eleganter als meine und so finde ich ihr Motiv richtig, richtig gut: Denn das X wurde dann einfach besonders groß hinter die anderen Buchstaben gesetzt (siehe Bilder). Sehr gut gerettet!

Ein IAMX-Shirt wollte ich dann auch noch, aber um dem nun schon bekannten Problem vorzubeugen habe ich mich dann ebenfalls dazu entschlossen den Schriftzug schon von Anfang an als schräg zu planen:
AFTER EVERY PARTY I DIE sollte draufstehen, also konnte ich auch die Zeilenumbrüche flexibel gestalten. Dafür dann eine Schriftart gewählt, die ich im Schlaf beherrsche (da sehr ähnlich dem Farblos-Logo ^^) und daher nichts groß konstruieren muss, und voilà: Diesmal klappt’s :)

Seit diesem Experiment sind nun schon ein paar Tage vergangen, und erwähnte Freundin mit dem Bauhaus-Shirt sagte mir, dass ihr Shirt deshalb so viel detaillierter ist, weil es eben nicht mit einem Stift gemacht wurde, sondern mit einem feinen Haarpinsel und Farbe aus einem Töpfchen. Libbit hat in der Zwischenzeit ein Shirt mit dem DEAD-CAN-DANCE-Logo entworfen und hierfür mit einem hellen Buntstift vorgezeichnet, was wohl auch nicht besser oder schlechter ging als der Bleistift. Die Bögen wurden ganz pragmatisch und effektiv mit einer Kaffeetasse konstruiert, was wohl auch sehr gut geklappt hat :)

Meine Tipps also:

  • Vorzeichnen! Am besten mit Schneiderkreide, und wirklich deutlich abstecken in welchem Bereich man bleibt, damit alles noch zentral ist und nicht verrutscht aussieht.
  • Filzstifte sind OK, wenn es sich um so vergleichsweise einfaches handelt wie unsere Schriftzüge, aber mit
  • Farbe aus Glastöpfchen, mit Pinsel aufgetragen, sind sicherlich weit mehr Details möglich. Nur braucht man eine noch ruhigere Hand.
  • Unbedingt darauf achten, dass man das nachher auch fixiert (Details sollten auf der jeweiligen Farbe stehen).
    Ich habe die Shirts auf Links gedreht, ein paar Zeitungsseiten reingelegt, damit nichts abfärbt, und dann einfach ein paar mal (ohne Dampf!) drüber gebügelt.
    Handwäsche kann aber sicherlich trotzdem nicht schaden.

Musikperlen – Wie einfach 74 Schiffe irrtümlich versenkt wurden (Tauchgang #27)

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Ja, ich weiß. 1986 flog Tom Cruise als waghalsiger Pilot im Film „Top Gun“ über die Kinoleinwand. Als er auf einem viel zu großen Motorrad Filmpartnerin Kelly McGillis im Sonnenuntergang abholt, brennt sich ein Song in das kollektive Langzeitgedächtnis der Menschheit: „Take my Breath away“. Dieses von Terri Nunn ins Mikrophon gehauchte Liebeslied blieb der größte kommerzielle Erfolg der 1979 gegründeten New Wave Band „Berlin“. Obwohl sie im Fahrwasser von Blondie und Ultravox eher als weitere Act der aufkommenden New Wave Bewegung gesehen wurden, hatten Terri Nunn, John Crawford und David Diamond deutlich mehr zu bieten. Leider blieb trotz des Oscar-prämierten Film-Theme zu „Top Gun“ der Durchbruch aus. Ein Jahr später löste sich die Band auf. Die Musiker widmeten sich anderen Projekten, Terri Nunn war 1993 als Gastsängerin bei den Sister of Mercy und gab gemeinsam mit Andrew Eldritch den Song „Under the Gun“ zum Besten. Der Song 1983 veröffentlichte Song „The Metro„, wurde als Cover von +44 und System of a Down Jahrzehnte später neu in Szene gesetzt, der Musiksender VH1 brachte die Band 2004 für eine Reunion-Reihe wieder zusammen. Berlin nahmen ihre alten Stücke neu auf, brachten ein Album heraus und sind auch wieder auf Tour.

U-BahnX – Young Hearts of Europe

Es ist auf eine fixe Idee von Chris Garland zurückzuführen, das die Band „U-BahnX“ in Düsseldorf das Licht der Welt erblickte. 1984 gab es für den Produzenten und Songschreiber drei interessante Strömungen. Electro war auf den New Yorker Dancefloors angesagt und in Deutschland sorgten Industrial um EBM für aufregende Impulse. Garland gewann abermals seine Frau Ilona Bolz für das Projekt und überzeichneten ihr eigenes Bild der deutschen Herkunft. Sie nannten sich Heidi von Düsseldorf und Adolf Schmetterling, kleideten sich in einer Mischung aus Uniformelementen, kühlen New Wave Look und deutschen Klischees und wurde in von der internationalen Presse als „Anglo-German Wagnerian Sex Beat Combo“ wahrgenommen. Kunst oder Popkultur? Auf jeden Fall eine weitere – mir unbekannte – Absonderung deutscher Kreativität der 80er Jahre. Wer möchte, kann auf der Seite „The Psychedelic Manifesto“ das gesamte Schaffen von Herrn Garland überblicken.

Printed at Bismarck’s Death – In Scapa Flow

1983 als Industrial-Band durch Martin von Arndt und Heiko Mutert gegründet, schlagen sie sich mit verschiedenen „Darbietungen“ durch Kunst- und Literaturveranstaltungen. Als sie 1986 eine Auszeichnung beim „Festival junger Liedermacher“ gewinnen, folgen Einladungen vom WDR und NDR, die die Beiden zur Produktion von Hörspielmusiken gewinnen. Auf Rough Trade veröffentlichen sie im selben Jahr ihr erstes Album „Fierceness of the immortal Charisma“. Das Stück „In Scapa Flow“ geisterte damals als Demo über die Plattenteller verschiedener Clubs, wurde aber nie auf einem regulären Album veröffentlicht. Der Song erinnert übrigens an die irrtümliche Selbstversenkung von 74 Schiffen der deutschen Hochseeflotte, die nach Ende des 1. Weltkrieges in Scapa Flow (Orkney, Schottland) interniert wurden. Mit wenigen Ausnahmen versanken alle Schiffe, 7 Stück davon sind heute Ziel von Tauchausflügen. Die Band „Printed at Bismarck’s Death“ pflegt eine aktuelle Internetseite, auf der zum 30-jährigen Bestehen der Band alle zwei Monate ein Song zum freien Download angeboten wird.

I just can’t get enough? Depeche Mode und der Herdentrieb

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Und, hast du Karten?“ – Eine Frage, die mir seit ungefähr 4 Monaten ständig gestellt wird. Es geht um Depeche Mode, denn die bringen bekanntlich im März 2013 ihr neues Album „Delta Machine“ heraus und sind passend dazu wieder auf großer Tournee. Und so ein richtiger Fan besucht natürlich auch jedes mögliche Konzert. Sagt man. Stimmt aber nicht ganz.

Seit ebenfalls 4 Monaten stelle ich mir die Frage: „Soll ich hingehen?“ Vielleicht wird das einige überraschen, dass diese Frage überhaupt aufkommt. Ich liebe die Band, die mich nun schon fast mein ganzes Leben begleitet. Ich liebe auch Konzerte in kleinen Clubs oder überschaubaren Hallen, Konzerte in großen Stadien mag ich nicht. Glaube ich zumindestens. Ich habe hier zwei Erinnerungen. Das Konzert 2010 war schrecklich, ich habe mich nicht wohl gefühlt, dabei schwebte doch über meinem Konzertbesuch 1990 ein Heiligenschein. Warum ist das so? Ich habe versucht herauszufinden, warum ich nicht gerne in Stadien gehen, warum ich Depeche Mode so großartig finde und wie das damals war, bei meinen ersten Berührungen mit der Band.  Und vor allem: Warum bin ich so hin- und her gerissen? Vielleicht findet sich der ein oder andere wieder, kann nachvollziehen was ich meine und pflichtet mir bei, oder widerspricht mir energisch. Unsere Erinnerung sind trügerisch, man kann sie verfälschen, manipulieren und filtern.

People are People – Höchstwahrscheinlich glorifizierte Erinnerungsfetzen

Die Geschichte beginnt auf dem Fußboden meines Kinderzimmers. Wie so oft sitze ich hier mit meiner Schwester nach der Schule herum und baue ganze Städte aus unzähligen bunten Plastiksteinen, bin Architekt, Ingenieur und Landschaftsgestalter in einem. Es ist früher Nachmittag, im Radio läuft – wie so oft – WDR 1, so wie der Sender für junge Musik genannt wurde, noch bevor man ihn Einslive taufte. Die Sendung „Hit Chip“s, die um kurz nach Eins startete, war jugendliches Pflichtprogramm, denn hier wurden die deutsche Charts in aufsteigender Reihenfolge zum Besten gegeben. Es ist irgendein regnerischer Tag im April 1984, ich bin 9, meine Schwester ist 17 Jahre alt. Ich glaube, zu dieser Zeit beginnt meine musikalische Prägung. Oftmals habe ich keine Ahnung was da im Radio gespielt wird, wie das Lied heißt oder wer die Band ist, die dort vom Moderator angepriesen wird. Meine Schwester ist besser informiert, singt sogar schon Texte mit, ich steige meistens beim Refrain mit ein, obwohl ich nicht wirklich weiß, was ich da singe. Ich trällere, was ich höre und das klingt manchmal echt schräg. Doch einen Namen sollte ich mir merken, an diesem Tag im April.

Gerade noch malträtierte ein gewisser Freddy Mercury das Mikrofon mit seiner unglaublichen Stimme (Radio Ga Ga – Queen), da wird er schon von einer kreischenden Frau abgelöst (Cindy Lauper – Girls Just want to Have Fun), während ich gerade eine hochkomplexe Fußgängerbrücke entwickle und verzweifelt die letzte Stütze suche, die das Bauwerk halten soll. Der Moderator kündigt Depeche Mode an, die mit ihrem Song „People are People“ gerade erst die Spitze der deutschen Charts erklommen haben. Ich bin begeistert. Genauso muss Musik für mich klingen, habe ich gedacht. Dieser Song ist untrennbar mit Erinnerungen verbunden, die sich wie ein Videoclip in meinem Kopf manifestieren. Während der 3:40 des Songs sehe ich mein Kinderzimmer, die Stadt die wir bauten, meine Schwester, die Poster an den Wänden und sehe, wie der Regen an die Fensterscheiben prasselt.

Depeche Mode sollte mich in den folgenden Jahren nicht mehr loslassen. Sie begleiten mein Kindheit, meine Jugend und sind auch dabei, als ich erwachsen werde. Mir gefällt fast alles. Ich liebe ihre Musik, die Texte, die Videos, das Styling und auch die Fans dieser Band. Ihr Album „Black Celebration“ aus dem Jahre 1986 ist eines der ersten selbst gekauften Alben, das ich mir von meinem Taschengeld zusammengespart habe. „Music for the Masses“ liegt 1987 unter dem Weihnachtsbaum und begleitet mich als Kassettenversion auf Schritt und Tritt. Der Walkman macht es möglich. Ich glaube, wenn ich mein Leben an mir Revue passieren lassen möchte, muss ich nur eine Auswahl an Depeche Mode Songs in chronologischer Reihenfolge abspielen. Meine Erinnerung macht den Rest.

Den Wunsch, Depeche Mode live zu sehen, habe ich erstmals 1986. Am 11.Mai geben sie ein Konzert in der Düsseldorfer Phillipshalle, so viel habe ich mitbekommen. Doch natürlich scheitert das Vorhaben an meinem Geldbeutel und (oder vor allem) an der elterlichen Fürsorge. Keine Chance meinen Willen zu bekommen. Im April 1987 versuche ich es ein weiteres Mal und schaffe es immerhin bis vor die Essener Grugahalle. Ich finde allein schon die Atmosphäre berauschend, vor der Halle tummeln sich unzählige Grufties, Waver und sonstiges Subkulturelles Klientel, damals konnte ich das freilich noch nicht so zuordnen. Obwohl Depeche Mode sehr deutlich im Mainstream angekommen sind, ist vom Mainstream selbst relativ wenig zu sehen. Das Konzert selber besuche ich nicht, ich genieße das Konzert vor der Halle. Denn aufgrund schlechter Isolierung kann man den lauteren Stücken problemlos folgen.

Am 8. Oktober 1990 ist es dann soweit, mein Lehrlingsgehalt macht die Reise nach Frankfurt und den Besuch der Festhalle möglich. Das neue Album „Violator“ ist großartig ich habe nur Augen für die Bühne und für Martin Gore, meine Umwelt nehme ich überhaupt nicht mehr wahr, fragt mich nicht, mit wem ich dort gewesen bin. Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht glorifiziere ich auch die Erinnerung an diesen Augenblick und verwische damit die Realität. Es ist wohl so, dass man seine Jugend oftmals schöner empfindet als sie eigentlich war, denn die Erinnerungen daran sind meist intensiver und prägender als die, die während des Erwachsenseins im Alltag, der eigenen Verantwortung und Existenz ertrinken. Als Jugendlicher hat man weniger Sorgen, weil die Eltern meistens für den sicheren Rahmen sorgen.

Zurück zu DM. War das Konzert nun großartig? Ich war dabei! Allein das scheint zu zählen. Das Album „Songs of Faith and Devotion“ habe ich noch verschlungen, „Ultra“, „Exciter“ und „Playing the Angel“ gefallen mir nicht mehr so sehr. Ich besuche kaum noch Konzerte meiner Lieblingsbands, zu Depeche Mode gehe ich gar nicht mehr. Warum das so ist, sollte ich mir 2010 erst wieder in Erinnerung rufen.

Tour of the Universe – Massenweise egomanische Individualisten

Ein kalter und regnerischer Tag im Februar 2010, fast so wie an dem Tag im April, als der Regen gegen die Scheiben prasselte. Eigentlich war das Ganze für Juni 2009 geplant, leider musste sich Dave Gahan einer Operation unterziehen, eine Magen-Darm-Entzündung entpuppte sich als Blasentumor und so wurden einige Konzerte abgesagt oder verschoben. Anfang Februar 2010 beginnt meine Vorfreude auf die endlich stattfindenden Nachholkonzerte. Seit einer Weile rede ich von nichts anderem mehr, Depeche Mode hier und Depeche Mode dort und das obwohl ich das Album „Sounds of the Universe“ eigentlich „nur gut“ und nicht überragend finde. Den Film zu „101“ gucke ich noch am Vorabend zum x-ten mal. Das Rosebowl-Stadium ist zum Bersten gefüllt, rund 60.000 Menschen zelebrieren 1988 die jungen Briten. Ist der Moment der Massenhysterie, das gemeinsame schwenken der Arme oder das gruppendynamische Gefühl ein Teil von etwas ganz besonderem zu sein?

Ich habe mich informiert, der beste Weg in die Düsseldorfer-Esprit Arena ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln, da das riesige Stadion einen eigenen Bahnhof besitzt. Wie praktisch. Je näher wir der Veranstaltung kommen, desto unbehaglicher wird mir. Bei der Fahrkartenkontrolle wird man noch als Mensch abgefertigt, bei einer solchen Veranstaltung regelt man nur noch Besucherströme. Wie eine Herde Kühe lenkt man den Besucher durch Gatter, Absperrungen und Ketten aus Ordnern in Richtung des Stadions. Straßenbahnen und Züge entleeren sich wie Zahnpastatuben, die man in der Faust zusammenquetscht. Es gilt mehr als 50.000 Menschen ohne Gefahr für Leib und Leben zu koordinieren. Das Individuum wird unwichtig. Es sind einfach so viele Menschen, die offenbar nur eines wollen: einen guten Platz beim Konzert. Niemand schaut nach links oder rechts, keiner nach unten oder oben. Immer nach vorne, je näher wie dem ausgewiesenen Innenraum des Stadions kommen, desto schlimmer wird es. Ellbogen und Rücksichtslosigkeit, ein wortkarger Kampf um den besten Platz und die beste Sicht.

Und überall Brezelverkäufer, Ein-Mann-Barkeeper mit Bierrucksäcken und Merchandise-Stände. Das obligatorische Tour-Shirt für schlappe 25€. Zusammen mit der Eintrittskarte also rund 100€ pro Person. „Hoffentlich fängt das Konzert bald an.„, denke ich mir und ertrage die furchtbar klingende Vorband mit Würde (das lag aber nicht an der Band, sondern an überforderten Ton-Ingenieuren) Umbaupause. Das Gedränge wird dichter, nochmals strömen Menschen in den Innenraum. Du kannst Dir nicht mehr aussuchen, wer um Dich herum ist. Deine gefühlte Intim-Zone wird dauerhaft und unausweichlich durchbrochen.

Der gefühlte Höhepunkt. Die Band spielt ihre Hymne „Never let me down again“, endlich kann ich mich ein wenig entspannen. Dachte ich. Wäre da nicht dieser Brezelverkäufer, der mitten im Lied an mir vorbei will. Ich sehe ihn natürlich nicht, bin hin und weg. Er benutzt seiner dämlich Hupe, guckt böse und versucht sich vor mir vorbeizudrängen. Ich glaube ich meine ganze Anspannung in meiner Mimik kompensiert, ihn angeschaut und unhöflich darum gebeten lieber umzukehren. Sorry Brezelverkäufer, nichts für ungut. Die Entspannung ist erstmal wieder ruiniert.

Ich warte. Ich warte geduldig auf das Gefühl, das ich mir erhofft habe. Ein Teil von etwas Besonderem zu sein. Das Gefühl bleibt aus. Alles ist Routine, geplant durchdacht und organisiert. Ich habe mich schon immer gefragt, warum bei Konzerte mittlerweile keine Arme mehr in die Luft gestreckt werden, sondern Handys, Fotoapparate und Kameras. Man macht Bilder und Videoaufnahmen von einem winzig kleinen Dave Gahan der später scheppernd durch die Lautsprecher kracht. Womöglich, weil viele mein Gefühl teilen. Sie machen Aufnahmen um das „Besondere“ später zu erleben. Keiner kann genießen, krampfhaft versucht man die Kamera gerade zu halten. In 5 Jahren sind die schlechten Erinnerungen verflogen. Das Video wird zu etwas besonderem erhoben, glorifiziert, schöngeredet. Solange, bis man wieder Lust hat auf ein Konzert zu gehen.

Everything counts – Zwischen alten Erinnerungen und frischen Gedanken

Ich wollte eigentlich nicht mehr auf ein Konzert in Stadien. Nicht das mich jemand falsch versteht, ich liebe Konzerte. Es sind die kleinen Veranstaltungen in kleinen Räumen oder Hallen bei denen es nicht darum geht möglichst weit vorne zu stehen oder seinen Platz zu verteidigen. Ich war bei Anne Clark, DAF, No More, Faun, Diary of Dreams, Broilers und vielen anderen. Alle hatten das „Besondere“, ohne das ich es erwartet hätte. Niemand drängelte, niemand drückte, kaum jemand hielt eine Kamera in die Luft. Man konnte sich bewegen. Vor dem Eingang keine Schlange und trotzdem gut besucht.

Aber gut, ich bin nicht so naiv zu glauben, dass Depeche Mode jemals wieder in solch einem Ambiente spielen. Seit Mitte der 80er füllen sie ganze Stadien und das wird sich sicherlich nicht ändern. Denn mittlerweile vereinen die nicht mehr ganz so jungen Briten einen breiten Schnitt durch Gesellschaft und Altersklassen vor der Bühne. Depeche Mode sind Mainstream und wenn ich ehrlich bin, das war noch nie anderes. Doch ich finde sie eben toll, kenne die meisten Texte auswendig, habe alle Alben, pflege die T-Shirts der Band mit Leidenschaft, kenne alle Biografien und Bücher.

Verdammt! Ich hatte gehofft ich könnte mich während des Schreibens zu einer Entscheidung durchringen. Depeche Mode bringt im März ihr neues Album heraus, die ersten Ausschnitte daraus klingen großartig. Endlich wieder ein paar Songs mit Dampf und sattem Sound. Seit dem 5. September läuft bereits der Vorverkauf für die entsprechende Tournee. Seit Wochen holt man mir das Ereignis zwanghaft in Erinnerung. Alle Freunde wissen, ich liebe Depeche Mode und alle fragen natürlich, ob ich hingehe. Gute Karten gibt es für schlappe 90€, seit Einführung der Front-of-Stage Idee verdienen sich Konzertveranstalter eine goldene Nase. Neulich sah ich eine Reportage über einen „Devotee“. So werden die ganz besonderen Fans der Band genannt. Der 39-jährige Jörg Uhlenbruch, von dem berichtet wird, war schon 72 mal auf einem Depeche Mode Konzert. Es ist mir schleierhaft, wie er das geschafft hat.

Am Alter kann es also nicht liegen. Ich hatte eigentlich gedacht, das Gedränge hätte mir früher nichts ausgemacht und erst mit zunehmendem Alter würde mir Massenveranstaltungen unangenehm werden, doch daran liegt es nicht. Ich glaube, ich habe mich immer schon unwohl gefühlt, wenn viele Menschen auf einem Haufen zusammenkommen und sich nicht mehr wie Menschen verhalten, sondern wie eine Herde. Ich versuche mich krampfhaft an 1990 zu erinnern und bin erstaunt, wie wenig ich von dem Ereignis noch abrufen kann, offensichtlich gab es da etwas zu verdrängen.  Unsere Erinnerungen haben ihr eigenes Leben und nicht den Hauch einer Ahnung, was Objektivität ist.

Aber was mache ich jetzt? Ich hatte gehofft, wenn ich das Problem aussitze, sind die Karten weg und ich habe eine Ausrede. Und neulich bietet mir ein Arbeitskollege zwei Karten zum Verkaufspreis an. So ein Mist. Should i stay, or should i go?

4. Elektronische Nacht in Wiesbaden am 2. März 2013

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Wiesbaden ruft! Endlich eine Wiederholung, die man gerne sieht. Die elektronische Nacht geht zum 4. mal auf die kleine aber feine Bühne im mittlerweile etablierten „Kontext“ und wartet diesmal mit 2 Neuerungen auf, die nur darauf brennen, entdeckt zu werden. Der musikalische Kern der Veranstaltung bleibt unberührt, denn wieder einmal werden New Wave, Minimal, 80’s Synthpop, Gothic, Wave, Oldschool Electro, EBM und unfassbar experimentelles von M. Synthetic und Sold State Entity zum Besten gegeben. Wie gewohnt ohne Etikettenschwindel in erlesener Auswahl und authentisch und liebevoll geschmückten Ambiente. Am 2. März 2013 ist es wieder soweit, die elektronische Nacht trotzt dem allgemeinen Veranstaltungssterben und wird ihr erfolgreiches Konzept zum 4. mal wiederholen. Wer möchte – und stolzer Besitzer eines Facebook-Accounts ist – kann seine Teilnahme an dieser Stelle bekunden.

Was ist neu?

Erstmals will man die elektronische Nacht mit einem einstündigen Intro einläuten und beginnt um 22:00 Uhr mit düster-atmosphärischen, obskuren und schwermütigen Klängen. Ganz so, wie man es sich für eine Gothic-Wellness Behandlung vorstellt. So schaffen die Veranstalter eine Stimmung der Entspannung, die sich aber eher mit der Ruhe vor dem Sturm definieren lässt. Zeit zum abschalten, eintauchen und fallen lassen. Je nach Lust und Laune. Um 23:00 Uhr geht es dann zur Sache. Und das gleich in doppelter Hinsicht, denn nicht nur die Musik wird tanzbarer, sondern soziales Engagement wird kaufbar, was nicht weiter schlimm ist, denn die Gegenleistung ist verlockend:

„Der synthetische Basar“ mit CDs, raren Demos und Musiktapes – Aus einem Grufti-Nachlass von lieben Freunden sind jede Menge schwarzer Tonträger – vorwiegend Dark Wave, Electro und Indie aus den späten 80er & 90er Jahren – kostenfrei abzugeben gegen eine freiwillige Spende zugunsten eines Tierheims oder Tierhilfe-Vereins (in alter Skinny-Puppy-Tradition). Unsere Freunde sind große Katzenliebhaber und wünschen sich, dass der Erlös des Basars der Katzenhilfe-Westerwald e.V. (Langenbach) und den dortigen Samtpfoten in Not zugute kommt.

Auf dem schwarzen Planeten hat die Marketing-Abteilung der elektronischen Nacht viele Impressionen und Berichte über die Vergangenen Nächte zusammengetragen, auf denen sich der ein oder andere – wenn er dann dagewesen ist – wiedererkennen wird. Auch ich habe in den Archiven gewühlt und stelle eine ganz eigene Impression in das virtuelle Bilderregal

Elektronische Nacht Wiesbaden 2012
Sicher kennt ihr alle das angebliche Original dieses Bildes. Das ist jedoch nachbearbeitet und verschönert worden, hier – und exklusiv – die ganze Wahrheit. Ungeschminkt und erschreckend. Selbst Kobold Karnstein kann seine menschliche Gestalt nicht länger halten.

Wie dem auch sei. Es wird Zeit, die alten Erinnerungen durch neue Erinnerungen zu ersetzen, gemeinsame über „früher“ zu sinnieren und sich wieder einmal für völlig überflüssige Bilder zur Verfügung zu stellen. Wiesbaden ruft! Übrigens: Der Kerzenständer, der in auf dem Bild des Flyers zu sehen ist, sollte angeblich auch für einen guten Zweck zur Verfügung gestellt werden, das geht aber nicht mehr, weil ich den längst vorbestellt habe ;)

 

Interview mit einer Chronistin – Aurion Aduial aus Lauchhammer

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Aus unserer angekündigten Artikel-Reihe “Interview mit einer Chronistin” führte Lumina Obscura dieses mal ein Interview mit dem 27-jährigen Aurion Aduial, der für ihr Gothic-Projekt Rede und Antwort stand. Aurion, der aus dem beschaulichen Lauchhammer in Brandenburg kommt, ist schon so lange er denken kann in der „Szene“. Seine ältere Schwester bewegt sich schon länger in der Szene, so dass er bereits in Kinderschuhen mit der Subkultur in Berührung gekommen ist. Er fühlt sich als „schwarze Seele“, bezeichnet sich selber als Gothic und findet, dass auch die S/M-Szene ein Bestandteil seines Daseins und der Szene selber ist. Seinem Empfinden nach ist Gothic eine Kultur, die viele unterschiedlichen Stile und Einflüsse in sich vereint und jedem einen Platz zur Selbstverwirklichung bietet. Aurion hat seinen Platz gefunden und kann sich gut vorstellen, immer ein Gothic zu bleiben. Er betätigt sich als DJ, präsentiert Feuershows und schreibt Kurzgeschichten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Besondere Hobbies hat er nicht, er liest gerne, geht gelegentlich reiten oder schließt sich LARP-Gruppen an. Aurion hat ganz eigene Ansichten über die Szene, für manche sicherlich mit Reibungspunkten, für andere mit Identifikationspotential. Entscheidet selbst.

Wie lange bewegst du dich schon in der Szene?
Solange ich denken kann. Ich hab die „Szene“, wobei ich sie eher als eine Kultur empfinde, jedenfalls schon von Kindesbeinen an gekannt. Meine ältere Schwester bewegte sich schon lange Zeit in der Szene. Dadurch bin als Kind damit schon in Kontakt gekommen.

Wie bist du in die Szene gekommen? Wie hat es sich entwickelt?
Ich bin darin aufgewachsen, allerdings habe ich erst in der Pubertät gesagt (und gewusst), dass ich ein „Goth“ bin. Da war ich etwa 13 oder 14 Jahre alt. Ich kannte das alles ja schon und wusste im Grunde, dass ich mich darin wohlfühle und es zu mir passt. Allerdings wollte ich mich auch in anderen Szenen ausprobieren, beispielsweise dem Punk. Ich habe allerdings sehr schnell festgestellt, dass dies alles nichts für mich ist und bin bis heute bei Gothic geblieben und werde da wohl auch immer bleiben.

Wie stehst du zu der Gothic Szene?

Aurion Aduial - WGT 2012
Um sein Outfit zu gestalten, bedient sich Aurion Aduial auch schon mal im Baumarkt| (c) Björn Wechsellicht

Eine schwierige Frage, wie stehe ich eigentlich dazu? Ich würde sagen, dass Gothic mein Leben ist und ich versuche, so gut ich kann das Ganze auch am Leben zu erhalten. Dadurch, dass ich auch als DJ tätig bin, mache ich einige Projekte – wie zum Beispiel das „Schwarzbunttreffen“ oder die Obscurus Noctis, die ich noch mit Freunden betreibe. Ganz so, wie die „Gothic Generation“ die Bruno Kramm (Das Ich) mal gemacht hat, wo alte Musik sowieso gespielt wird und alle Generation der schwarzen Bewegung vertreten sind, wie es auch sein sollte. Im Grunde stellt man eine große Familie dar und genau so sollte man sich auch verhalten.

Was gefällt dir an der Gothic Szene und was nicht?
Das ist viel zu viel um es alles aufzählen. Ich mag die Romantik, das Schönheitsideal, den Individualismus, und die relativ große Toleranz. (Man kann nicht alles tolerieren und sollte es auch nicht, aber die Gothic Kultur ist ausgesprochen tolerant.) Was mir nicht gefällt, ist das viele dinge verloren gegangen sind und die Grüppchenbildung. Die ersten Generationen, sofern sie noch vorhanden sind, regen sich über die Jugend auf und scheren alle über einen Kamm. Sie lassen sich und ihre Musik aus den Clubs rausdrängen. Um ehrlich zu sein, sie brauchen sich doch gar nicht zu wundern, wenn die Jugend so die Vergangenheit versäumt. So rücken sie einfach nach und bringen ihre eigenen Geschmack mit in die Szene. Man sollte sie nicht verurteilen sondern leiten. Ich sagte vorhin, dass es wie eine Familie ist, also haben die Älteren auch eine gewisse Vorbildfunktion. Wenn man andere verurteilt, weil sie nicht genau zu dem passen was man selbst ist, diese dann über die Stränge schlagen bis es irgendwann so viele werden, dass es einem nicht mehr gefällt, braucht man sich nicht wundern. Die junge Generation ist zu einem großen Teil darin auch nicht besser.

Fühlst du dich wohl in der Gothic Szene?
Ja definitiv. Ich wüsste auch gar nicht wo ich sonst hin sollte.

Wie würdest du jemanden “Gothic“ erklären?
Genaugenommen gar nicht. Es gibt keine einheitliche Erklärung. Worin wohl alle übereinstimmen werden ist, das Gothic aus einem, man könnte sagen „schwarzen Gefühl“ das über allem schwebt, hervorgeht und die Musik zum großen Teil das Ganze zusammenhält. Auch in der Reihenfolge. Es waren ja zuerst die Leute und das Gefühl da, die Musik gemacht haben wodurch andere darauf aufmerksam geworden sind und sich damit identifizieren konnten. Aus diesem Gefühl heraus erwächst alles andere. Der Kleidungsstil, die Art sich zu verhalten, das Zugehörigkeitsgefühl, usw. Wenn man wirklich versuchen wollte es zu erklären, könnte man ganze Bibliotheken füllen und hätte immer noch nicht alles gesagt…

Hat die Farbe Schwarz (oder eine andere) eine besondere Bedeutung für dich?
Ja sicherlich, schwarz vermittelt für mich ein Wohlbefinden, Sicherheit, Rebellion und Abgrenzung. Aber auch Stil und Ästhetik.

Was für Personen beeindrucken, inspirieren dich?

Aurions Feuertanz
Brennende Lichtspiele sind eine große Leidenschaft des gebürtigen Brandenburgers

Einige Musiker wie Marylin Manson oder Siouxsie & The Banshees, The Cure, Tilo Wolff, Mozart  oder auch einige Freunde oder Bekannte die ich habe und ich mich selbst irgendwo auch. Allerdings eher inspirieren sie, als das sie mich beeindrucken würden. Jeder hat einige Talente, man muss sie nur finden und ausleben. Das haben diese getan.

Woher nimmst du deine Kleidung?
Meistens von C&A, H&M, KIK, solche Läden. Der Rest kommt meistens aus dem Baumarkt. Es ist selten, dass ich mir mal Dinge wie Hemden, Hosen oder Stiefel aus entsprechenden Szene-Läden bestelle. Die brauche ich dann eben eher als Freizeitbekleidung. Aber nichts was ich auf Veranstaltungen tragen würde. man kann wenn man seine Kleidung selbst macht, viel mehr von sich selbst hineinstecken, als wenn man etwas von der Stange kaufen würde. Kleidung ist auch ein Ausdrucksmittel und jeder will sich damit ja auch aus der Masse hervorheben.

Hast du das Gefühl das du immer in der Szene bleibst oder probierst du aus?
Ich werde immer dabei bleiben.

Was für Musik oder welche Bands hörst du am liebsten?
Ziemlich gemischt, The Cure, Sisters of Mercy, Siouxsie & The Banshees, ASP, Manson, And One, Faun, Lacrimosa, Untoten oder auch Depeche Mode. Es gibt noch einige andere, ich würde mich da aber nicht festlegen wollen.

Gehst du auf den Friedhof?
Von Zeit zu Zeit schon. Aber nicht um Grabsteine zu schubsen oder Omas zu erschrecken. Spazieren, beobachten und einfach nur Dasitzen. Friedhöfe haben etwas sehr beruhigendes und auch ihre eigene Schönheit. Vor allem bei Nacht oder Dämmerung, wenn Kerzen brennen und sich so manche Statue majestätisch erhebt.

Gehst du oft in Clubs?  Wie, denkst du, wäre es wenn du alleine hin gehen würdest und niemanden kennst?
Ja, allerdings bleibt das nicht aus wenn man als DJ arbeitet. Ob ich sonst auch alleine hingehe? Mach ich oft genug. So schlimm ist das nicht. Ich habe ja den Vorteil das ich zumeist zum Arbeiten da bin. Als Gast denke ich, würde es mir auch nicht viel ausmachen, da allein hinzugehen.

Fühlst du dich in den Clubs/Partys wohl und bist du zufrieden damit?
Das kommt ganz darauf an, wie die Atmosphäre ist. Es gibt viele gute Clubs und Partys aber leider auch sehr viele, die ich lieber geschlossen sehen würde. Es kommt immer darauf an, welches Konzept die Veranstaltung verfolgt, ob man sich daran hält und natürlich was für Leute da sind. Eine stinknormale Party in einem großen Club, die rein auf Gewinn ausgelegt ist und mit Themenabend wirbt, ist nichts für mich. Das ist weder etwas besonderes, noch verfolgen die ein Ziel, dass nicht mit Geld zu tun hat. Mir sind allgemein sehr wenige Clubs bekannt, die mit einem wirklichem Konzept aufwarten können und ihre Partys aus einem bestimmten Grund machen. Allerdings lohnt es sich auf die Veranstaltungen, die genau das umsetzen,  zu gehen.

Was denkst du bei den folgenden Aussagen?

Ich habe den Eindruck, dass diese ganze Gothic-Sache zeitlich begrenzt ist und ihrem Ende entgegengeht. […] Es scheint eine Renaissance für dunklere, theatralischere Musik zu geben, aber ich glaube nicht, dass sie sich uns als in dem bekannten Sinne von »Gothic« präsentiert.

Ob an diesem Niedergang der Gothic-Kultur all die unzähligen Neuerscheinungen schuld sind, die den Markt überschwemmen… ich weiß es nicht. […] Da ich selbst nicht in Clubs gehe, kann ich nicht einschätzen, was sich im Dark-Wave- und Gothic-Genre alles ereignet hat und welche Musik von den DJs gegenwärtig bevorzugt gespielt wird. Doch wann immer man mir berichtete, wie die Abende verliefen, musste ich fast jedesmal erfahren, wie furchtbar ernüchternd und langweilig es gewesen sei. Anscheinend liefen die ganze Zeit meist neuere Sachen, die einfach nur schlecht waren und man direkt dankbar wurde, sobald sich ein altes Sisters-Stück eingeschmuggelt hatte.

Neue Generationen kamen und alte verschwanden. Das Problem an dieser Sache ist, dass das heutige Publikum einfach nicht mehr die Wurzeln der Schwarzen Szene kennt. Auf den größten Teil der Leute wirkt Gothic Rock, wie zum Beispiel von Christian Death, Screams for Tina, Mephisto Walz, The Sisters of Mercy oder Fields of the Nephilim, angestaubt und langweilig, wohingegen sie sich dann bei den wöchentlichen Club-Veranstaltungen ihre Köpfe zu Moonspell, Type O Negative und Crematory schütteln.

Wenn man sich heute in vielen Clubs bestimmte Songs wünscht, dann wirst du oft dumm angeguckt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass man, wenn man sich der ursprünglichen Bewegung zugehörig fühlt, heute sehr verloren ist. […] Und zwei Stunden lang Gestampfe mit verzerrten Vocals würde mich wahnsinnig machen. Ich meine, es hat in der Steinzeit mit solchen stumpfen, hämmernden Klängen angefangen und jetzt sind wir wieder dort angelangt. Das spricht doch Bände.

Nun ja, sie haben Recht und Unrecht. Die Sichtweise finde ich sehr einseitig. Natürlich stimmt das stellenweise und von der Hand weisen kann man es auch nicht. Andererseits gibt es aber auch genug Leute für die Gothic ihr Leben ist und die das auch voll und ganz ausleben und dabei nicht den IQ von einem Meter Feldweg besitzen und sich auch ihrer Wurzeln bewusst sind. Das zieht sich durch alle Altersklassen.

Gothic wird weder aussterben noch sonst irgendwas. Das sind alles Aussagen von Musikern und die haben ganz einfach folgendes Problem: Sie sind bestenfalls nur auf größeren Veranstaltungen gebucht, auf denen sich genau dieses Bild zeigt. Kleine Clubs, in denen andere Leute sind, werden nicht berücksichtigt. Kleine Partys oder gar Privatleute, die etwas Eigenes machen, können sich diese Bands nicht leisten. Natürlich trifft man in großen Clubs, die alles und jeden reinlassen weil sie eben Geld machen wollen und auch müssen, auf sehr viele Leute die keine Ahnung haben. Sie sind dort um zu feiern, nicht um ihre Neigung auszuleben.

Es liegt auch nicht an der Generation, solche Leute gab es früher auch schon und heute gibt es einfach noch mehr. Allerdings aus dem Grund, dass die schwarze Szene selbst enorm gewachsen ist und sehr viel Zulauf hat. Dadurch ist es eben sehr viel schwerer geworden, den Kern des Ganzen zu finden. Ich bin überzeugt, das es Heute nicht weniger Leute gibt als früher in den 80er oder Anfang der 90er Jahre. Auch aus den Anfängen sind viele nicht mehr dabei, die getönt haben, sie würde immer schwarz bleiben. Ich denke das Generation-Ding kann man abhaken. Es kommt immer auf die einzelnen Personen an. Die einen leben es und genau die werden es auch immer am Leben halten.

Aurion auf dem WGT

Spontis Wochenschau #01/2013

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Das Land erstarrt in der Kälte-Zange! Das Rheinland ertrinkt im Schnee-Chaos! Wenn man, so wie ich,  jeden Morgen an den Schlagzeilen der Boulevard-Blätter vorbeiläuft, gewinnt man den Eindruck, dass jedes mal, wenn das Wetter nicht den Wünschen und Ansprüchen der breiten Bevölkerung entspricht, gleich die ganze Welt untergeht. Wettermeckern. Dabei spielt es natürlich keine Rolle, welches Wetter gerade ist, irgendetwas gibt es immer daran auszusetzen. Tatsache ist, dass sich diesbezüglich 2013 noch nichts geändert hat, ganz im Gegensatz zu den anderen Dinge die ich ändern möchte und mit deren Umsetzung ich bereits begonnen habe. So bin ich jüngst wieder in die Fluten eines Schwimmbades eingetaucht und habe Geschmack daran gefunden, eine gewisse Regelmäßigkeit in  dieser Form der Bewegung zu etablieren. Zusammen mit seiner Orphi besucht der Wizard of Goth auch einen Rauchentwöhnungskurs um uns gemeinsam auf Nichtraucherpfaden zu bewegen. Womöglich, dass man mit schwindender Lebenszeit damit beginnt, sich an die restlichen Tage zu klammern und unweigerlich in einen Zwang der Gesunderhaltung verfällt. „Besser spät als nie!„, wie die Kursleiterin uns vermittelte. Und ganz ehrlich? Alle haben sie recht. Was nützt einem der immer noch entfernte Altersruhestand, wenn man nicht mehr in der Lage ist zu genießen? Wenn Bewegung zur Qual wird, oder die Lunge bereits nach 100m ihre Funktion einstellen möchten? Sie haben alle recht. Auch damit, dass man jetzt darüber grübelt warum man nicht viel früher irgendetwas getan hat. Aber Zweifel und Selbstmitleid beiseite, 2013 ist ein neues Jahr. Das Blatt ist leer. Das Leben wartet, genau wie die Wochenschau:

  • Im Viertel gibt jeder sein Bestes | Saarbrücker Zeitung
    Leidenschaft, Energie und Kampfeslust sind Dinge, die bei Inhaber kleiner eigenständiger Gothic-Läden zur essentiellen Grundausstattung gehören sollten. Die Saarbrücker Zeitung berichtet über den Gothic-Laden „Flamingo“, dessen Besitzerin Uschi Schäfer über genau diese Eigenschaften verfügt. „Seit 25 Jahren ist die 57-Jährige im Geschäft. „Wir machen das mit Leidenschaft, und wir haben Zeit für unsere Kunden“, spricht sie nicht nur für sich, sondern auch für ihre Kollegen im Viertel. Aber gleichzeitig sei es auch ein Kampf. „Es wird zunehmend schwieriger. Das größte Problem sind die Online-Shops“, erzählt sie. „Existenzangst gehört dazu“, sagt Uschi Schäfer. Dennoch würde sie nicht tauschen wollen. „Aufgeben kommt unter keinen Umständen in Frage. Irgendwie kommt man immer durch.“ Der Laden hat übrigens auch einer Internetseite: Flamingo Market
  • Darkflower im Dunkeln: Schwarze Leipziger Szene-Disco sieht ungewisser Zukunft entgegen | LVZ-Online
    Das Darkflower, eine Leipziger Institution in Sache Gothic-Discos, schaut in eine ungewisse Zunkunft, so jedenfalls die LVZ-Online: „Doch auch die positive Bilanz hat für Meyer einen leicht herben Beigeschmack. Vor allem wegen Streitigkeiten mit dem Vermieter des denkmalgeschützten Hauses in der Hainstraße, in dem die Szene-Disco seit sieben Jahren beheimatet ist. „Wir wollten unseren Mietvertrag bis 2023 verlängern, aber der Vermieter lässt derzeit nicht mit sich reden. Wahrscheinlich, weil das Haus verkauft werden soll“, erklärt Meyer. Im Frühjahr machten sogar Gerüchte die Runde, dass das Ende der Szene-Disco unmittelbar bevorstehe. „Status quo ist, dass der Betrieb des Darkflower bis 2018 gesichert ist.“ Weitaus stiller starben andere Legenden. Leipzig ist und bleibt – nicht zuletzt wegen des WGT – eine Gothic-Hochburg. Es würde mich schwer wundern, wenn das irgendwann und abrupt enden würde.
  • Schwarzer Trauermarsch der Fashion-Welt
    Gothic, oder besser gesagt die seit 30 Jahren vorherrschende Farbe schwarz, ist (wieder) auf den Laufstegen der Welt zu Gast. Wieder einmal bedienen sich Modeschöpfer – wenn man sie dann so nennen kann – der Subkulturen. Sie machen aus dem Mut zur Andersartigkeit eine Mode und präsentieren möglichst belanglos blickende Models in Kleidung, die eigentlich nicht mehr als ein Patchwork vergangener Stile ist. Ehrlicherweise muss man zugegeben, dass Gothic selbst darauf basiert und doch machen die Designer keinen Hehl daraus, bei wem sie sich ihre „Ideen“ geholt haben. Düster und dunkel das Ambiente, möglichst erschreckend das Styling. Willkommen auf dem Laufsteg:

    • Wenn die Models Trauer tragen | Süddeutsche
      Einflüsse aus den 1920er und 1940er Jahren, aus russischer Folklore und Rokoko, aus Gothic-Style und Luxusgewand, angesiedelt zwischen zeitloser französischer Eleganz und hochaktuellen Modetrends, gleichzeitig Prêt-à-Porter und Haut Couture – alles auf einmal. Und doch ist diese Mode wie durch Zauberhand weder überfrachtet, noch angestrengt konzeptuell, noch verliert sie sich in Details, sondern bleibt schlicht und überzeugend eindeutig. Weil eben in Schwarz. Und so gut komponiert wie eine edle Praline.
    • Gothic wird glamourös | Gala
      Beim Gedanken an Gothic haben die meisten sicher Teenie-Mädchen mit schwarzen Klamotten, gefärbten Haaren und blutrotem Lippenstift vor Augen. Doch das war gestern. Zwar bedient sich der aktuelle Saison-Trend einiger altbekannter Elemente, doch die Designer haben ihm eine gehörige Portion Schick verliehen. […] Ein Lederkleid mit zurückgegeltem Haar und knallroten Lippen sind Schlüsselelemente für den modernen Gothic-Chic.“
    •  Romanian Designers – Schauerromantik, kühle Avantgarde und etwas zu viel Glitzer | Styleranking
      Sie ließ blasse, stille Schönheiten über den Laufsteg stolzieren, die Haare streng in der Mitte gescheitelt, die Augen dunkel eingefasst, grazile Gothic-Prinzessinnen und stilsichere schwarze Witwen […] Eine Pluderhose, die in Overknee-Stiefeln steckt, dazu eine geschnürte Leder-Korsage, ein Bustier-Top und ein hoher, bestickter Kranz auf dem Kopf, der an rumänische Folklore erinnert. Das klingt nach einer wüsten Mischung, funktionierte aber  wunderbar.
  • Geburt des Punk-Designs: Schere, Wut und Anarchie | einestages
    Irgendwie fühlt es sich fremd an, das Punk mittlerweile ein zeitgeschichtliches Ereignis ist, das immer wieder in Museen und Ausstellung thematisiert wird. Gerade in ästhetischer Hinsicht ist uns ja vieles erhalten geblieben, wird wieder und wieder durchgekaut und bringt niemanden mehr aus der Ruhe. Punk ist verkommen zum Aufsatzthema, zu einer Formalie im Geschichtsunterricht. Und alle paar Monate erscheint irgendwo einer dieser Artikel, die alles erklären können: „Sie beleidigten die Queen und warben mit Sadomaso-Collagen: In den Siebzigern eroberten Punks nicht nur mit schiefen Songs die Bühnen, sondern auch mit selbstgebastelten Plakaten die Designwelt. Ihre rohe „Do it yourself“-Ästhetik entsetzte England – und hängt heute in Museen.
  • Der Fluch des Abnormalen | Der schwarze Planet
    „Die Haare sind das wichtigste!“, sagte einmal ein junger Gothic in den 80ern. Heute leidet man(n) unter fehlendem Haupthaar und vereinzelt gesähten Haaren an Stellen, wo sie dem ästhetischen Empfinden nach nicht hingehören. „Gerade in diesen enthaarten Zeiten würden wir einem Menschen wie Andrian Jeftichjew auf offener Straße vermutlich mit Entsetzen begegnen. Ein Mann mit kompletter Gesichtsbehaarung wie ein Hund hätte auch anno 2013 nicht viel Entgegenkommen zu erwarten.“ So schreibt Shan Dark über die 4-teilige Reportage „Some call them Freaks“, die sie darüber hinaus auch noch mit interessanten Informationen bereichert. Ich möchte die Faszination, die ich beim schauen und lesen empfand, weitergeben. Ein Klick auf den Link zum schwarzen Planeten reicht.
  • Twixt – Virginias Geheimnis | Near Dark
    Ich habe fast darauf gewartet. Jetzt kann ich mich nicht zwischen subjektivem Empfinden und gezwungener Objektivität entscheiden. Near Dark, die Horrorfilme lieben, haben den Film angeschaut: „Hinzu kommen interessante Personen, wie etwa Edgar Allan Poe, der Hall nächtens auf seiner Reise und beim Schreiben hilft. Oder der rätselhafte junge Gothic-Fan Flamingo, der gern Baudelaire zitiert und über seine kleine Gemeinschaft wacht. Überhaupt strotzt „Twixt“ nur so von Anspielungen und Hinweisen auf Film und Lyrik, Tradition, Moderne und Kunst. Das könnte leicht anstrengend werden, ist es aber keinesfalls. Denn die Geschichte funktioniert auch ohne die ganzen Anspielungen und Seitenhiebe und ist trotz zahlreicher Vermischungen von Realität und Schein unterhaltsam.“ Soviel zur Objektivität. Ich mag den Film übrigens nicht. Val Kilmer ist weit unter seinem Niveau, die Geschichte ist interessant, wirkt aber aufgedrängt. Die Elemente von „Gothic“ sind überladen und ziehen den Film für mich in eine ganz merkwürdige, ja fast komödienhafte Stimmung. Nun ist aber gut, macht euch selbst ein Bild.
  • Neues Video von Nick Cave: Alptraum mit Baum | SpOn
    Mein Goth, wie punktet dieses Video doch schon im Vorfeld. Ein Skandal-Regisseur, der auch nicht vor verfilmten Vergewaltigungen zurückschreckt und Nick Cave & The Bas Seeds, die in jedem Gothic-Rock Lexikon zu finden ist, machen ein Video. Hurra! Oder dann lieber doch. Oh Goth! Auch der Spiegel ist sich nicht sicher: „Von den Sex- und Muskelprotzereien, die Cave mit seiner anderen Band Grinderman betreibt, ist hier ebenso wenig zu hören wie von seinen Soundtrack-Moritaten mit Violinist Warren Ellis. Stattdessen breitet sich hier erneut eine Atmosphäre des Unterschwelligen, Brütenden aus; einer stets nur mühsam in Schach gehaltenen Urgewalt, die das Schaffen der Bad Seeds seit nunmehr 30 Jahren prägt. Zwischen den Bäumen, in der Nacht, da wachsen die Triebe, gebt bloß Acht.“ Ich gehe da härter ins Gericht. Das Video ist langweilig und bringt eigentlich nichts rüber und die poppig-seichte Attitüde der Musik schreckt ab. Und Nick hatte auch schon mal dunklere Tage.

Ungewöhnlich Typen 1982: Zwei, die aus der Reihe tanzen

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Dem Klischee nach zu urteilen, tanzen wir alle aus der Reihe. Im November 1982 titelte die Bravo in einem Artikel „Zwei, die aus der Reihe tanzen – Sie sehen aus wie Stars. Aber sie haben nichts mit Profi-Musik zu tun. Ihre Absicht: als New Waver zu schocken„. Vor ziemlich genau 30 Jahren waren von Gothics überhaupt noch nicht die Rede, allenfalls als Musikstil hatten sich stilprägende Bands zu dieser Zeit einen Namen gemacht. Doch Klischee und verklärte Vergangenheit lassen wir dieses mal außer Acht, denn Christina und Ralph zeigen, wie man die subkulturellen Wurzeln des Punks weiterentwicklte. Rückblickend objektiv gesprochen. Denn 1982 war dieses Sichtweise subjektiv und äußerte sich viel mehr in Ablehnung, Abgrenzung und Individualisierung.

Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Edel-Punks: die „New Waver“. Aber wehe man hält sie dafür. Dann werden sie stocksauer. Denn außer knallbunten Haaren wollen Christina und Ralph mit den „Sicherheitsnadel-Freaks“ nichts gemeinsam haben…“ Da haben wir alle Bezeichnungen, die mit Gothic eine Verwandschaft haben. Edel-Punks, weil man zwar anders aussehen wollte, aber mit dem „Look aus der Mülltonne“ keine Identifikationsgrundlage sah. Hier gab es keinen Kampf wie bei den Punks (hier auch Sicherheitsnadel-Freaks genannte), der sich gegen das Establishment oder den Staat richtete, sondern offensichtlich nur den Wunsch, sich vom Rest der Gesellschaft abzugrenzen.

New Waver 1982Christina hatte es nicht leicht, „…denn die Mitschüler hielten sie für eingebildet und wurden oft aggressiv, wenn sie Christina in spitzen Schuhen und verrückten Klamotten auf dem Schulhof umherstolzieren sahen. „Ich wollte schon immer anders sein“, sagt sie“.  Eigentlich hat sie mittelbraunes Haar und das Färbemittel kostet sie zu dieser Zeit ein Vermögen, doch Christina möchte auffallen, sie will angegafft und gemustert werden und lebt von der Konfrontation mit dummen Bemerkungen. „‚Das sieht ja aus wie im Fasching.‘ Darauf pflegt Christina dann zu antworten: ‚Ja und im echten Fasching geh‘ ich dann in Jeans, grauem Pullover und blonder Perücke.‘“ Krampfhaft gegen die äußere Gleichschaltung. Ihr Leben ist auch ein wenig chaotisch, ihr Geld verdient sie durch gelegentlich Jobs. Womöglich eine Folge der Enttäuschung, denn nach ihrem Abitur bekam sie keinen Ausbildungsplatz als Tontechnikerin. Ob sie vielleicht Physik studieren möchte, weiß sie noch nicht.

Doch die Bravo riecht den Braten und schreibt: „Bloß nicht festlegen, ist ihre Devise. Und bloß nicht hinter die Kulissen gucken lassen. Die ist farbig, ausgefallen und arrogant. Alles bloß Mache oder wirklich was dahinter?“ Mit Ralph schaffen sie einen Gegenpol, denn der sei offen, mache keine geheimnisvolle Miene und geht auf die Leute zu. Als Ersatzdienstleister kümmert sich Ralph Behinderte, mit denen er sich gut versteht, denn die sind, wie er sagt „auch eine Minderheit“.

Ralph war vor seiner New-Wave-Zeit einmal ein echter Punk. Doch die waren ihm dann „zu ablehnend allen Dingen gegenüber“. Aber bei ihnen hat er trotzdem viele wichtige Erfahrungen gemacht. ‚Ich habe gelernt, daß man zusammen und nicht gegeneinander leben sollte‘  Heute allerdings ist Ralph – wie jeder New Waver – eben doch auf Konsum eingestellt. Gepflegt sein ist wichtig, teure Klamotten sind wichtig. Und beides ist im Punk bekanntlich scheißegal.

Nicht nur scheißegal, sondern es ist genau das, wogegen sich der Punk immer aufgelehnt hat. Doch es ist eben nicht jedermanns Sache ein Leben an der Grenze der Existenz zu führen. Für den eigenen Unterhalt zu sorgen, sein Leben auf eine Basis zu stellen und „Steuern bezahlen“, wie Ralph sagt, können die Grundlage für eine Entwicklung sein. Ralph macht Musik, komponiert und schreibt seine eigenen Texte. Ein Lied nennt er „Die Terrorhelden“, in dem ironischer Weise einen Zwiespalt zwischen Punk und seinem Wunsch nach Sicherheit aufreißt. „Wir sind die Terrorhelden, wir werden alles vergelten, wir wollen Freiheit und keinen Zwang. Wir zwingen allen in unsern Bann.

New Waver 1982Doch anstatt in ein selbst gewähltes Abseits zu stellen, engagiert sich Ralph in einem Ersatzdienst, bei dem er für zehn Jahre jeden Sonntag Behinderte Menschen im Rollstuhl spazieren fährt, oder ihre Besorgungen erledigt. Die Behinderten, so Ralph, „akzeptieren mich, so wie ich eben bin“ und fühlt sich in seinem Dasein ebenso ausgegrenzt. Es ist erstaunlich, mit welchen Gedanken sich Jugendliche vor 30 Jahren beschäftigten, manchmal erweckt das in mir den Eindruck, dass sich eigentlich nichts geändert hat. Früher oder später stellt man doch als halbwegs nachdenklicher Mensch sein eigenes Szene-Dasein oder seine gewählte Andersartigkeit in Frage und kommt unweigerlich zu dem Punkt an dem man seiner Individualität den Rücken kehrt oder etwas daraus macht. Anders zu sein, als nur anders auszusehen.

Ralph hat gelernt, dass Anpassung ein notwendiges Mittel zu Selbstzufriedenheit ist, um nicht im ewigen Kampf gegen Etwas seine Energie zu verbrauchen. Die Autorin des Artikel beschreibt ihre Schlußfolgerung so: „New Waver sind nämlich angepaßt. Sie machen das gleiche wie alle anderen auch – Konsum, bürgerlicher Beruf, Geldverdienen und so weiter – bloß: Sie machen es extremer. Das ist New Wave.

Ich sehe das anders. Wer wirklich anders sein will, aber sich selbst und seine Lebensgrundlage als Teil des Systems in Einklang bringen möchte, der beteiligt sich an den notwendigen Dingen mit dem notwendigen Antrieb, sichert sich damit sein Leben das er sich wünscht und investiert alle entbehrbare Kraft darauf nicht nur anders auszusehen, sondern auch als „Anderer“ etwas anders zu machen als die Anderen. Dazu muss man nicht in Extreme verfallen.

Ein ungewöhnlicher Artikel, den wir in einer alten Bravo gefunden haben. Neulich hatte ich eine aktuelle Ausgabe der Zeitschrift in der Hand, blätterte darin herum, las einige Artikel und fragte mich, ob ich in 30 Jahren auf eine solche Ausgabe so interessiert zurückblicken würde. Vielleicht wage ich ein Experiment, kaufe eine Bravo, schweiße sie in Folie ein und packe sie am 15.01.2043 im zarten Alter von 68 Jahren wieder aus und blogge darüber. Vielleicht erlebt das Schreiben dann wieder ein Retro-Welle, denn selbst die New Waver kehren langsam wieder zurück. Jedenfalls äußerlich.

Interview mit einer Chronistin: Wintermute aus Berlin

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Aus unserer angekündigten Artikel-Reihe „Interview mit einer Chronistin“ führte Lumina Obscura dieses mal ein Gespräch mit dem 23-jährigen Wintermute, der für ihr Gothic-Projekt Rede und Antwort stand. Der gebürtige Sachse fühlt sich im Moment in Berlin zu Hause und bewegt sich seit etwa 2004 aktiv in der schwarzen Szene, in der er eine zweite Heimat gefunden hat. Er selbst würde sich im Augenblick als Apocalyptic Folker bezeichnen, doch auf eine abschließende Einordnung möchte er sich nicht einlassen. Seinen wirklichen Namen verrät er nicht so gerne, konnte sich aber mit dem selbst gewählten Pseudonym „Wintermute“ anfreunden. Hier wird auch deutlich, dass Lesen eine ganz besondere Leidenschaft von ihm ist, denn sein Name leitet sich offensichtlich aus William Gibsons Romanreihe „Neuromancer“ ab, in der eine künstliche Intelligenz mit dem gleichen Namen eine Gruppe von Menschen dirigiert. Darüber hinaus spielt er noch mit der Gitarre, dirigiert seinen Computer und ist kulturell vielseitig interessiert. Wie er sich selbst sieht, was er von der Szene hält und welchen persönlichen Weg er in der schwarzen Vielfalt eingeschlagen hat, kann man diesem Interview entnehmen.

Wie bist du in die Szene gekommen? Wie hat es sich entwickelt?
Am Anfang über die Musik und meinen Bruder, da man in der Kleinstadt quasi allein war, hatte man nur ein paar Kassetten und CDs. Danach über einen Gothic/Esoterik Laden wo ich mich mit dem Besitzer und den Kunden angefreundet habe. Das war im Alter von 16 Jahren.

Wie stehst du zu der Gothic Szene?
Von der Gothic-Szene halte ich mal mehr mal weniger, viele Sachen gefallen mir und viele nicht. Generell halte ich nicht viel vom großen Zusammenhalt der Szene, den gibt es meiner Ansicht nach nicht. Es gibt einzelne Gruppen in Städten wo es einen schönen Zusammenhalt gibt. Beispielweise haben wir in unserer Gruppe gemeinsame Kinoabende veranstaltet oder auch einen „schwarzen“ Stammtisch jede Woche. Leider gibt es meiner Meinung nach nicht viel Nachwuchs in der Szene, der sich damit auseinandersetzt. Ein großes Problem ist für mich das Internet. Früher hat man sich mehr mit der Musik beschäftigt weil man Alben oder Kassetten durchhörte. Eine mp3 ist doch oft schon recht Seelenlos, deshalb bin ich auch Verfechter von Originalen Alben.

Wintermute
Wintermute (23), sympathischer Wahlberliner

In der letzten Zeit habe ich eine etwas negative Einstellung zur „Szene“ gefasst, da die meisten Leute die momentan in Clubs unterwegs sind, wenig mit Gothic zu tun haben. Es erinnert eher an eine Karnevalsparty oder ein „Gothic Weekend“. Ein weiterer Kritikpunkt ist die immer stärker werdende Fraktion der Neue Deutsche Härte Fans und auch der Cyber- und Hellelectro-Hörer. Diese Hörerschaft hat nichts mit dem eigentlichen Szene-Gedanken am Hut, haben mit der ursprünglichen Darkwave-Bewegung nichts gemeinsam und bringt mitunter schlechte Stimmung in die Lokale. Durch diese immer beliebter werdenden Musikrichtungen wird leider viel Untergrundmusik aber auch andere gute eigentlich bekannte Musik verdrängt und es erinnert eher an eine Metal oder Ü-30 Party.

Trotzdem fühle ich mich im großen und ganzen zu Hause. Das WGT in Leipzig bringt immer etwas gewisse Magie mit… und nicht alle Leute sind schlecht. Es ist auch ein Querschnitt der Gesellschaft und es ist ganz normal das man mit 80% der Idioten nix zu tun haben will. Das war früher mal besser muss man einfach sagen!

Wie würdest du jemanden “Gothic“ erklären?
Gothic ist eine Subkultur die in den 80ern begann. Es ist eine Szene ohne Namen. Es ist eine Musik (!), Kunstform und Lebenseinstellung. Vieles bewegt sich in einem unklaren nicht definierbaren Rahmen. Gothic sein gehört zu den Dingen die man schwer wissenschaftlich erklären und erfassen kann (ich verweise gern auf diverse Bücher die das ziemlich gut versucht haben -> Gothic 1/2/3 oder auch Charisma des Grabes). Aber ist es denn wichtig sowas zu erklären?

Hat die Farbe Schwarz (oder eine andere) eine besondere Bedeutung für dich?
Man könnte es mit Johnny Cash beschreiben, er trug schwarz für alle Ausgestoßenen. Schwarz ist generell eine Farbe die einen von der Gesellschaft etwas abkapseln möchte, somit auch ein Ausdruck von Freiheit. Albert Camus sagte einmal den Satz „The only way to deal with an unfree world is to become so absolutely free that your very existence is an act of rebellion.“, mit dem ich mich sehr gut identifizieren kann.

Was für Personen beeindrucken, inspirieren dich?
Früher hat mich Oswald Henke inspiriert und auch Rogue von den Crüxshadows. Heute sind es eher Leute wie Dougles P. von Death in June, David Tibet (C93) oder Kim Larsen von OTWATM.

Woher nimmst du deine Kleidung?

Obwohl er zur Wende geboren wurde, bezeichnet sich der gebürtige Sachse scherzhaft als "Ossigruftie"
Obwohl er zur Wende geboren wurde, bezeichnet sich der gebürtige Sachse scherzhaft als „Ossigruftie“

Generell Klamottenläden, Armyshops oder notgedrungener weise auch mal was aus dem Darkstore.

Hast du das Gefühl das du immer in der Szene bleibst oder probierst du aus?
Das wird die Zeit zeigen. Die Tendenz geht aber auf das „für“ immer, sprich so lange ich lebe. Aber ob ich so lange in der Szene bleibe… weiß ich nicht. Die Musik und meine Einstellung versuche ich beizubehalten.

Was für Musik hörst du am liebsten?
Neofolk, Darkwave, Industrial (richtiger), Ambient, Weltmusik, NDT, Gothic Rock, Postpunk, Batcave

Welche Bands magst du besonders?
Of the Wand and the Moon, Death in June, Sol Invictus, The moon lay hidden beneath a cloud, Zero Kama, Leger des Heils, LICTD, Dead can Dance, Siouxsie and the Banshees, Skeletal Family, Fangs on Fur, Cocteau Twins, Tropic of Cancer, Fire+Ice, Der Blutharsch, Blood Axis, SPK, Sopor Aeternus, November Növelet, Goethes Erben, Dies Natalis, Down in June, Fields of the Nephilim, Joy Division, Darkwood, Orplid, Sonne Hagal, Current 93, Coil, Forseti, In my Rosary, Kirlian Camera, Psychic TV, NON, Chiasm, Cradle of Filth(alte), Allerseelen, Tor Lundvall

Gehst du auf den Friedhof?
Ja gerne, allein nicht so oft aber mit Freunden oft um die Stimmung zu genießen oder die Architektur zu bewundern. Man sieht mehr oder weniger die Vergänglichkeit des Lebens, die ja kein Teil mehr von der westlichen Welt zu sein scheint. Man erlebt dort wundervolle Momente mit Freunden in ganz besonderer ruhiger Stimmung… sprich man kann die schnelle Welt einmal anhalten.

Gehst du oft in Clubs?
Ich gehe gerne in Berliner Clubs, wie dem Duncker, Blüthenrausch, Flowers of Romance oder Death Disco, aber meist bin ich mit Freunden zuhause. Ich gehe nicht gerne alleine in Clubs, da ich ungerne Leute anspreche um mit ihnen in Kontakt zu kommen und letztendlich kann ich meine Musik auch zu Hause besser und billiger bekommen. Es ist schwer geworden eine vernünftige Party zu finden, bei Neofolk-Partys bin ich meist zufriedener als bei normalen Gothic Partys, von den sogenannten „Industrial Partys“ ganz zu schweigen. Aber in Berlin kann man Dank der Vielzahl wirklich nicht meckern, da ist für alle was dabei.

Was denkst du bei den folgenden Aussagen?

Ich habe den Eindruck, dass diese ganze Gothic-Sache zeitlich begrenzt ist und ihrem Ende entgegengeht. […] Es scheint eine Renaissance für dunklere, theatralischere Musik zu geben, aber ich glaube nicht, dass sie sich uns als in dem bekannten Sinne von »Gothic« präsentiert.

Ob an diesem Niedergang der Gothic-Kultur all die unzähligen Neuerscheinungen schuld sind, die den Markt überschwemmen… ich weiß es nicht. […] Da ich selbst nicht in Clubs gehe, kann ich nicht einschätzen, was sich im Dark-Wave- und Gothic-Genre alles ereignet hat und welche Musik von den DJs gegenwärtig bevorzugt gespielt wird. Doch wann immer man mir berichtete, wie die Abende verliefen, musste ich fast jedesmal erfahren, wie furchtbar ernüchternd und langweilig es gewesen sei. Anscheinend liefen die ganze Zeit meist neuere Sachen, die einfach nur schlecht waren und man direkt dankbar wurde, sobald sich ein altes Sisters-Stück eingeschmuggelt hatte.

Neue Generationen kamen und alte verschwanden. Das Problem an dieser Sache ist, dass das heutige Publikum einfach nicht mehr die Wurzeln der Schwarzen Szene kennt. Auf den größten Teil der Leute wirkt Gothic Rock, wie zum Beispiel von Christian Death, Screams for Tina, Mephisto Walz, The Sisters of Mercy oder Fields of the Nephilim, angestaubt und langweilig, wohingegen sie sich dann bei den wöchentlichen Club-Veranstaltungen ihre Köpfe zu Moonspell, Type O Negative und Crematory schütteln.

Wenn man sich heute in vielen Clubs bestimmte Songs wünscht, dann wirst du oft dumm angeguckt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass man, wenn man sich der ursprünglichen Bewegung zugehörig fühlt, heute sehr verloren ist. […] Und zwei Stunden lang Gestampfe mit verzerrten Vocals würde mich wahnsinnig machen. Ich meine, es hat in der Steinzeit mit solchen stumpfen, hämmernden Klängen angefangen und jetzt sind wir wieder dort angelangt. Das spricht doch Bände.

Die Aussagen sind prinzipiell richtig. Doch jede Generation muss die Musik und die Subkultur neu erfinden. Das war schon immer die Aufgabe, man soll sich nicht ins gemachte Nest setzen sondern muss aktiv mitgestalten. Diese Lethargie ist der Krebs in der momentanen Szene. Außerdem wirken die Aussagen auf mich wie nach dem Motto „Früher war alles besser!“.
Aber für jeden ist die Gothic Szene etwas anderes, man sollte da auch nicht so viel hinterhertrauern, es ist der lauf der Dinge. Irgendwann implodiert es und entsteht erneut, vielleicht in anderer Form. Schade ist es nur um die gute Musik. Ich habe es lieber wenn es etwas kleiner ist, man sich dafür aber besser untereinander kennt.

Lumina Obscura – Eine Chronistin der Gothic-Szene

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Was macht eigentlich so eine Chronistin und wer ist überhaupt Lumina Obscura? Zum Jahresende erreichte mich eine Nachricht über eines der sozialen Netzwerke, der ein Artikel des Schweizer „Landboten“ vom 17. Dezember 2012 angefügt war und mit der Überschrift „Eine Chronistin der Gothic-Szene“ meine Aufmerksamkeit erregte. Ich begann ich zu lesen:  „Der jungen Frau mit dem klingenden Künstlernamen fällt es schwer, die Essenz des Milieus zu beschreiben, in dem sie sich bewegt, seit sie 12 ist.“ Mir schossen Fragen durch den Kopf: „Wem fällt das nicht schwer?“ gleich gefolgt von einem „Gibt es überhaupt eine Essenz der Szene?“ Lumina antwortet im Artikel: „Kleidung, Poesie, Geschlechtslosigkeit, Männer schminken sich, Frauen rasieren sich den Schädel.

Es fühlte sich unbequem an, was dort in dem Artikel zu lesen war, doch das letzte Zitat weckte meine Neugier, entspricht er doch einigen Gedanken, die ich ebenfalls hege: „Solange es Leute gibt, die wahrhaftig sind, wird die Gothic-Szene nicht aussterben.“ Die 17-jährige Schweizerin ist der Nachwuchs einer Szene, die längst in die Jahre gekommen ist. Doch das, was man über Sie liest, hebt sich ab vom Bild der jungen feierwütigen Gothics die nur an der Oberfläche schwimmen. Widerspricht sie damit dem eingefahrenen Bild vieler älterer Szene-Gänger, die ihre eigenen Werte nur noch unter gleichaltrigen finden? Ich wollte mehr erfahren über die angehende Fotofachfrau und das Projekt, von dem in dem Artikel die Rede ist, wollte wissen was hinter der Gothic-Chronistin steckt. Was lag also näher, sie um ein Interview zu bitten um sie und ihre Ideen vorzustellen.

Wer ist die „Gothic-Chronistin“?

Lumina Obscura
Lumina Obscura – Die Gothic Chronistin aus der Schweiz

Ich bin Lumina Obscura (17 Jahre jung), von Freunden Lumi genannt, komme aus der Schweiz, bin leidenschaftliche Fotografin und anscheinend eine „Chronistin“ der Gothic-Szene. Mit 12 Jahren wurde mir erstmals bewusst das ich mich in der schwarzen Szene zu Hause fühle. Von da an war es mir schon immer wichtig, kein dummer Mitläufer zu sein. Ich wollte einfach alles über die Szene wissen, vom Anfang bis Heute. Warum? Vielleicht weil mich damals ein guter Freund immerzu belehren musste. Aber ich hörte einfach schon immer lieber Sopor Aeternus als dieses ganze kommerzielle Zeugs.

Wie ist es zu dem Artikel mit dem „Landboten“ gekommen?

Der Landbote hat schon öfters über die Stiftung Märtplatz geschrieben, und dieses mal suchten sie wieder jemanden Interessanten, über den sie schreiben konnten. Die Leitung des Betriebes, in dem ich zur zeit meine Lehre mache, schlug mich vor. Daraufhin habe ich natürlich zugesagt, ich dachte, ich könnte auf diese Weise etwas mehr Wahrheit verbreiten. Was ja leider ziemlich schief gelaufen ist.

Lumina Obscura Photography
Laila | (c) Lumina Obscura Photography

Auf Facebook äußerst du Dich kritisch über das, was von dem Interview mit der Redakteurin übrig geblieben ist, und das vieles von dem, was dort zu lesen ist, aus dem Zusammenhang gerissen oder verfälscht wurde. Wie würdest du unseren Lesern Deine Sicht auf die Gothic-Szene schildern und was ist die „Essenz“ der Szene, von der im Artikel die Rede ist?

Sie hat ihr Bestes versucht, hat dann aber anscheinend doch wieder auf den üblichen Medien-Mist zurückgegriffen. Gut, wie soll man so ein großes und vielseitiges Thema auch in 15 Minuten beschreiben? Davon abgesehen, dass dies fast unmöglich ist, wenn derjenige der es zu verstehen versucht sich nicht damit identifizieren kann… Denn für mich ist und bleibt Gothic eine tiefgreifende Lebensweise, ein Gefühl.

Dein letztes Zitat: „Solange es Leute gibt, die wahrhaftig sind, wird die Gothic-Szene nicht aussterben.“ hat mich neugierig gemacht. Wie stellst du Dir „wahrhaftige“ Szene-Mitglieder vor und warum können diese Menschen die Szene am Leben erhalten?

Da ich alles andere als ein alter Hase in der Szene bin, kann ich es im Grunde nicht genau wissen. Doch ich weiss, das jeder der allein schon die Anfänge, die Musik und den Lebensstil schätzt und lebt, kein totaler Ignorant ist. Es sollte doch klar sein, dass man früher nicht einfach in einen Laden spazieren konnte und sich seine Kleidung so einfach aussuchen konnte. Oder dass man sich gute Musik nicht einfach aus dem Internet ziehen konnte. Das ist es, was heute immer öfter in Vergessenheit gerät. Die Szene mutiert immer mehr zu einem traurigem Spiel oberflächlicher, arroganter Kinder, die das Gefühl brauchen, anders zu sein. Was in einer simplen Verkleidung endet, die mich immer mehr an Fasnacht erinnert.

Lumina Obscura Photography
Apo-Kalypsia | (c) Lumina Obscura Photography

Im Artikel ist davon die Rede, dass du für ein Projekt im Rahmen der Stiftung Märplatz, Kollegen, die ebenfalls mit der Szene zu tun haben, porträtiert hast. Wie würdest Du das Projekt beschreiben über das der Artikel berichtet?

Es ist ein Langzeitprojekt welches von zwei Stiftungen ins leben gerufen worden ist. Die Foto-Lehrlinge sollten sich ein Thema aussuchen und in den zwei Jahren eine Serie über das jeweilige Thema erstellt werden, welche dann in einer Galerie in Zürich ausgestellt werden. Dabei soll uns der Fotograf Christian Lutz zur Seite stehen. Mein Thema ist die Wandlung einer wunderbaren familiären Kultur, die zu einer Pseudo verseuchten Mainstream Mode geworden ist. In dem Projekt will ich die Wandlung und die Weiterentwicklung deutlich machen.

Die Stiftung Märtplatz ist ein Werkstatt-Verbund für junge Menschen mit psychischen oder sozialen Schwierigkeiten. Im Artikel beschreibst du die Gruppe der Szene-Gänger, mit der du gearbeitet hast, als „Leute, die schlechte Erfahrungen im Leben gemacht haben und Abstand von der normalen Gesellschaft suchen“. Warum ist die Gothic-Szene deiner Meinung nach ein Rückzugsort für diese Menschen?

Da wären wir wieder an dem Punkt der Verfälschung. Wer hat denn nicht schon einmal schlechte Erfahrungen im Leben gemacht, schlimme Dinge erlebt und durchgemacht? Jeder verarbeitet seinen Schmerz anders. Der feine Unterschied ist, in der Szene brauchst du dich nicht zu verstecken. Du hast Menschen um dich herum, die dich verstehen und keine Angst davor haben, Schwächen zu zeigen und wissen, wer sie wirklich sind. Diese Offenheit findest du in der „normalen“ Gesellschaft nur selten.

Lumina Obscura Photography
Christian | (c) Lumina Obscura Photography

Die Überschrift des Artikel beschreibt Dich als „Chronistin der Gothic-Szene“. Was kann man sich darunter vorstellen oder wie würdest du es beschreiben?

Ich weiß nicht, wie sie darauf gekommen sind, aber es beschreibt jemanden, der ein Geschehen verfolgt und darüber berichtet.

Für Dein Projekt, das in dem Artikel vorgestellt wird, hast du auch Interviews geführt, die sehr zu meiner Freude und nach Rücksprache mit allen Beteiligten in einer kleinen Artikelserie auf spontis.de erscheinen werden. Was war die Idee, die hinter diesen Interviews gesteckt hat?

Ich wollte mich in die Personen vertiefen können, mehr über die Denkweise einzelne Personen zu erfahren. Mir geht es nicht um die Gedanken der Merheit oder einfache Fakten, sondern die Ansicht Einzelner. 

Vielen Dank für das Interview! Es war mir eine Ehre, die von einer Zeitung betitelte Gothic-Chronistin zu befragen :-). Für mich zeigt sich deutlich, wie manchmal die eingefahrenen Vorstellung einer neuen „Gothic-Jugend“ von der eigentlichen Realität abweichen. Lumina Obscura zeigt einen möglichen Weg auf. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit und den „eigenen Wurzeln“ um eine verstaubte Szene mit alten Werten, neuen Ideen und frischen Interpretationsformen in ein neues Zeitalter zu begleiten.

Dieser Beitrag ist mit Bilder von und mit Lumina Obscura geschmückt. Möchtet ihr mehr über Lumina und ihre Photografie erfahren, so besucht ihre Seite auf Facebook.