Interview mit einer Chronistin – Aurion Aduial aus Lauchhammer

Aus unserer angekündigten Artikel-Reihe “Interview mit einer Chronistin” führte Lumina Obscura dieses mal ein Interview mit dem 27-jährigen Aurion Aduial, der für ihr Gothic-Projekt Rede und Antwort stand. Aurion, der aus dem beschaulichen Lauchhammer in Brandenburg kommt, ist schon so lange er denken kann in der „Szene“. Seine ältere Schwester bewegt sich schon länger in der Szene, so dass er bereits in Kinderschuhen mit der Subkultur in Berührung gekommen ist. Er fühlt sich als „schwarze Seele“, bezeichnet sich selber als Gothic und findet, dass auch die S/M-Szene ein Bestandteil seines Daseins und der Szene selber ist. Seinem Empfinden nach ist Gothic eine Kultur, die viele unterschiedlichen Stile und Einflüsse in sich vereint und jedem einen Platz zur Selbstverwirklichung bietet. Aurion hat seinen Platz gefunden und kann sich gut vorstellen, immer ein Gothic zu bleiben. Er betätigt sich als DJ, präsentiert Feuershows und schreibt Kurzgeschichten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Besondere Hobbies hat er nicht, er liest gerne, geht gelegentlich reiten oder schließt sich LARP-Gruppen an. Aurion hat ganz eigene Ansichten über die Szene, für manche sicherlich mit Reibungspunkten, für andere mit Identifikationspotential. Entscheidet selbst.

Wie lange bewegst du dich schon in der Szene?
Solange ich denken kann. Ich hab die „Szene“, wobei ich sie eher als eine Kultur empfinde, jedenfalls schon von Kindesbeinen an gekannt. Meine ältere Schwester bewegte sich schon lange Zeit in der Szene. Dadurch bin als Kind damit schon in Kontakt gekommen.

Wie bist du in die Szene gekommen? Wie hat es sich entwickelt?
Ich bin darin aufgewachsen, allerdings habe ich erst in der Pubertät gesagt (und gewusst), dass ich ein „Goth“ bin. Da war ich etwa 13 oder 14 Jahre alt. Ich kannte das alles ja schon und wusste im Grunde, dass ich mich darin wohlfühle und es zu mir passt. Allerdings wollte ich mich auch in anderen Szenen ausprobieren, beispielsweise dem Punk. Ich habe allerdings sehr schnell festgestellt, dass dies alles nichts für mich ist und bin bis heute bei Gothic geblieben und werde da wohl auch immer bleiben.

Wie stehst du zu der Gothic Szene?

Aurion Aduial - WGT 2012
Um sein Outfit zu gestalten, bedient sich Aurion Aduial auch schon mal im Baumarkt| (c) Björn Wechsellicht

Eine schwierige Frage, wie stehe ich eigentlich dazu? Ich würde sagen, dass Gothic mein Leben ist und ich versuche, so gut ich kann das Ganze auch am Leben zu erhalten. Dadurch, dass ich auch als DJ tätig bin, mache ich einige Projekte – wie zum Beispiel das „Schwarzbunttreffen“ oder die Obscurus Noctis, die ich noch mit Freunden betreibe. Ganz so, wie die „Gothic Generation“ die Bruno Kramm (Das Ich) mal gemacht hat, wo alte Musik sowieso gespielt wird und alle Generation der schwarzen Bewegung vertreten sind, wie es auch sein sollte. Im Grunde stellt man eine große Familie dar und genau so sollte man sich auch verhalten.

Was gefällt dir an der Gothic Szene und was nicht?
Das ist viel zu viel um es alles aufzählen. Ich mag die Romantik, das Schönheitsideal, den Individualismus, und die relativ große Toleranz. (Man kann nicht alles tolerieren und sollte es auch nicht, aber die Gothic Kultur ist ausgesprochen tolerant.) Was mir nicht gefällt, ist das viele dinge verloren gegangen sind und die Grüppchenbildung. Die ersten Generationen, sofern sie noch vorhanden sind, regen sich über die Jugend auf und scheren alle über einen Kamm. Sie lassen sich und ihre Musik aus den Clubs rausdrängen. Um ehrlich zu sein, sie brauchen sich doch gar nicht zu wundern, wenn die Jugend so die Vergangenheit versäumt. So rücken sie einfach nach und bringen ihre eigenen Geschmack mit in die Szene. Man sollte sie nicht verurteilen sondern leiten. Ich sagte vorhin, dass es wie eine Familie ist, also haben die Älteren auch eine gewisse Vorbildfunktion. Wenn man andere verurteilt, weil sie nicht genau zu dem passen was man selbst ist, diese dann über die Stränge schlagen bis es irgendwann so viele werden, dass es einem nicht mehr gefällt, braucht man sich nicht wundern. Die junge Generation ist zu einem großen Teil darin auch nicht besser.

Fühlst du dich wohl in der Gothic Szene?
Ja definitiv. Ich wüsste auch gar nicht wo ich sonst hin sollte.

Wie würdest du jemanden “Gothic“ erklären?
Genaugenommen gar nicht. Es gibt keine einheitliche Erklärung. Worin wohl alle übereinstimmen werden ist, das Gothic aus einem, man könnte sagen „schwarzen Gefühl“ das über allem schwebt, hervorgeht und die Musik zum großen Teil das Ganze zusammenhält. Auch in der Reihenfolge. Es waren ja zuerst die Leute und das Gefühl da, die Musik gemacht haben wodurch andere darauf aufmerksam geworden sind und sich damit identifizieren konnten. Aus diesem Gefühl heraus erwächst alles andere. Der Kleidungsstil, die Art sich zu verhalten, das Zugehörigkeitsgefühl, usw. Wenn man wirklich versuchen wollte es zu erklären, könnte man ganze Bibliotheken füllen und hätte immer noch nicht alles gesagt…

Hat die Farbe Schwarz (oder eine andere) eine besondere Bedeutung für dich?
Ja sicherlich, schwarz vermittelt für mich ein Wohlbefinden, Sicherheit, Rebellion und Abgrenzung. Aber auch Stil und Ästhetik.

Was für Personen beeindrucken, inspirieren dich?

Aurions Feuertanz
Brennende Lichtspiele sind eine große Leidenschaft des gebürtigen Brandenburgers

Einige Musiker wie Marylin Manson oder Siouxsie & The Banshees, The Cure, Tilo Wolff, Mozart  oder auch einige Freunde oder Bekannte die ich habe und ich mich selbst irgendwo auch. Allerdings eher inspirieren sie, als das sie mich beeindrucken würden. Jeder hat einige Talente, man muss sie nur finden und ausleben. Das haben diese getan.

Woher nimmst du deine Kleidung?
Meistens von C&A, H&M, KIK, solche Läden. Der Rest kommt meistens aus dem Baumarkt. Es ist selten, dass ich mir mal Dinge wie Hemden, Hosen oder Stiefel aus entsprechenden Szene-Läden bestelle. Die brauche ich dann eben eher als Freizeitbekleidung. Aber nichts was ich auf Veranstaltungen tragen würde. man kann wenn man seine Kleidung selbst macht, viel mehr von sich selbst hineinstecken, als wenn man etwas von der Stange kaufen würde. Kleidung ist auch ein Ausdrucksmittel und jeder will sich damit ja auch aus der Masse hervorheben.

Hast du das Gefühl das du immer in der Szene bleibst oder probierst du aus?
Ich werde immer dabei bleiben.

Was für Musik oder welche Bands hörst du am liebsten?
Ziemlich gemischt, The Cure, Sisters of Mercy, Siouxsie & The Banshees, ASP, Manson, And One, Faun, Lacrimosa, Untoten oder auch Depeche Mode. Es gibt noch einige andere, ich würde mich da aber nicht festlegen wollen.

Gehst du auf den Friedhof?
Von Zeit zu Zeit schon. Aber nicht um Grabsteine zu schubsen oder Omas zu erschrecken. Spazieren, beobachten und einfach nur Dasitzen. Friedhöfe haben etwas sehr beruhigendes und auch ihre eigene Schönheit. Vor allem bei Nacht oder Dämmerung, wenn Kerzen brennen und sich so manche Statue majestätisch erhebt.

Gehst du oft in Clubs?  Wie, denkst du, wäre es wenn du alleine hin gehen würdest und niemanden kennst?
Ja, allerdings bleibt das nicht aus wenn man als DJ arbeitet. Ob ich sonst auch alleine hingehe? Mach ich oft genug. So schlimm ist das nicht. Ich habe ja den Vorteil das ich zumeist zum Arbeiten da bin. Als Gast denke ich, würde es mir auch nicht viel ausmachen, da allein hinzugehen.

Fühlst du dich in den Clubs/Partys wohl und bist du zufrieden damit?
Das kommt ganz darauf an, wie die Atmosphäre ist. Es gibt viele gute Clubs und Partys aber leider auch sehr viele, die ich lieber geschlossen sehen würde. Es kommt immer darauf an, welches Konzept die Veranstaltung verfolgt, ob man sich daran hält und natürlich was für Leute da sind. Eine stinknormale Party in einem großen Club, die rein auf Gewinn ausgelegt ist und mit Themenabend wirbt, ist nichts für mich. Das ist weder etwas besonderes, noch verfolgen die ein Ziel, dass nicht mit Geld zu tun hat. Mir sind allgemein sehr wenige Clubs bekannt, die mit einem wirklichem Konzept aufwarten können und ihre Partys aus einem bestimmten Grund machen. Allerdings lohnt es sich auf die Veranstaltungen, die genau das umsetzen,  zu gehen.

Was denkst du bei den folgenden Aussagen?

Ich habe den Eindruck, dass diese ganze Gothic-Sache zeitlich begrenzt ist und ihrem Ende entgegengeht. […] Es scheint eine Renaissance für dunklere, theatralischere Musik zu geben, aber ich glaube nicht, dass sie sich uns als in dem bekannten Sinne von »Gothic« präsentiert. 1

Ob an diesem Niedergang der Gothic-Kultur all die unzähligen Neuerscheinungen schuld sind, die den Markt überschwemmen… ich weiß es nicht. […] Da ich selbst nicht in Clubs gehe, kann ich nicht einschätzen, was sich im Dark-Wave- und Gothic-Genre alles ereignet hat und welche Musik von den DJs gegenwärtig bevorzugt gespielt wird. Doch wann immer man mir berichtete, wie die Abende verliefen, musste ich fast jedesmal erfahren, wie furchtbar ernüchternd und langweilig es gewesen sei. Anscheinend liefen die ganze Zeit meist neuere Sachen, die einfach nur schlecht waren und man direkt dankbar wurde, sobald sich ein altes Sisters-Stück eingeschmuggelt hatte. 2

Neue Generationen kamen und alte verschwanden. Das Problem an dieser Sache ist, dass das heutige Publikum einfach nicht mehr die Wurzeln der Schwarzen Szene kennt. Auf den größten Teil der Leute wirkt Gothic Rock, wie zum Beispiel von Christian Death, Screams for Tina, Mephisto Walz, The Sisters of Mercy oder Fields of the Nephilim, angestaubt und langweilig, wohingegen sie sich dann bei den wöchentlichen Club-Veranstaltungen ihre Köpfe zu Moonspell, Type O Negative und Crematory schütteln. 3

Wenn man sich heute in vielen Clubs bestimmte Songs wünscht, dann wirst du oft dumm angeguckt. Ich habe manchmal das Gefühl, dass man, wenn man sich der ursprünglichen Bewegung zugehörig fühlt, heute sehr verloren ist. […] Und zwei Stunden lang Gestampfe mit verzerrten Vocals würde mich wahnsinnig machen. Ich meine, es hat in der Steinzeit mit solchen stumpfen, hämmernden Klängen angefangen und jetzt sind wir wieder dort angelangt. Das spricht doch Bände. 4

Nun ja, sie haben Recht und Unrecht. Die Sichtweise finde ich sehr einseitig. Natürlich stimmt das stellenweise und von der Hand weisen kann man es auch nicht. Andererseits gibt es aber auch genug Leute für die Gothic ihr Leben ist und die das auch voll und ganz ausleben und dabei nicht den IQ von einem Meter Feldweg besitzen und sich auch ihrer Wurzeln bewusst sind. Das zieht sich durch alle Altersklassen.

Gothic wird weder aussterben noch sonst irgendwas. Das sind alles Aussagen von Musikern und die haben ganz einfach folgendes Problem: Sie sind bestenfalls nur auf größeren Veranstaltungen gebucht, auf denen sich genau dieses Bild zeigt. Kleine Clubs, in denen andere Leute sind, werden nicht berücksichtigt. Kleine Partys oder gar Privatleute, die etwas Eigenes machen, können sich diese Bands nicht leisten. Natürlich trifft man in großen Clubs, die alles und jeden reinlassen weil sie eben Geld machen wollen und auch müssen, auf sehr viele Leute die keine Ahnung haben. Sie sind dort um zu feiern, nicht um ihre Neigung auszuleben.

Es liegt auch nicht an der Generation, solche Leute gab es früher auch schon und heute gibt es einfach noch mehr. Allerdings aus dem Grund, dass die schwarze Szene selbst enorm gewachsen ist und sehr viel Zulauf hat. Dadurch ist es eben sehr viel schwerer geworden, den Kern des Ganzen zu finden. Ich bin überzeugt, das es Heute nicht weniger Leute gibt als früher in den 80er oder Anfang der 90er Jahre. Auch aus den Anfängen sind viele nicht mehr dabei, die getönt haben, sie würde immer schwarz bleiben. Ich denke das Generation-Ding kann man abhaken. Es kommt immer auf die einzelnen Personen an. Die einen leben es und genau die werden es auch immer am Leben halten.

Aurion auf dem WGT

Einzelnachweise

  1. Douglas Avery, ehemaliger Schlagzeuger der Band „London after Midnight, 1996[]
  2. Anna-Varney Cantodea, Sopor Aeternus, 1996[]
  3. Thomas Thyssen, Journalist und Szene-DJ, 1997[]
  4. Tilo Wolff, Musiker, ehemaliger DJ und Labelinhaber, 2005[]
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Kommentare

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Axel
Axel (@guest_31848)
Vor 11 Jahre

In vielen Dingen hat der gute Mensch recht. Z.B. wenn er dieses leidige Grüppchenbildung anprangert, dass sich ältere aus den Clubs vertreiben lassen, dazu intolerant zur nachfolgenden Generation sind – und sich schlussendlich wundern, warum sie im Abseits stehen.

Schwierig finde ich von der Lumina die zwei erstzitierten Aussagen, die jetzt schon knapp 20 Jahre her sind und mit der heutigen Zeit, finde ich, relativ wenig zu tun hat. Heute haben wir Internet und gerade für den musikalischen Underground ist es viel einfacher geworden.
Ich finde das Zitat von Tilo da schon passender, weil es nicht allzuweit in de rVergangenheit liegt.

Diese Aussage dagegen finde ich schwierig:

Sie sind bestenfalls nur auf größeren Veranstaltungen gebucht, auf denen sich genau dieses Bild zeigt. Kleine Clubs, in denen andere Leute sind, werden nicht berücksichtigt. Kleine Partys oder gar Privatleute, die etwas Eigenes machen, können sich diese Bands nicht leisten.

Einfach deswegen, weil auch diese Menschen ein Privatleben haben und sich auch im Privaten solche Events anschauen können. Nur weil man Musiker ist, heißt das ja nicht, dass man nicht auch zu ner kleinen Party gehen kann.

superwiser
superwiser (@guest_31866)
Vor 11 Jahre

Lässt sich möglicherweise irgenwo einmal eine Motto-Party veranstallten? Ich dachte da an Motten, wie zum Beispiel „Wasser-Leichen, vier Wochen in einem Rheinstrudel treibend!“, oder „Was den Feuerwehrleuten soviel Angst macht!“! Denkbar wäre auch „Besuch auf der Body-Farm!“ Was auch, da zu Zeit sehr aktuell, interessieren könnte: „Müssen Kriege wirklich immer so grausam sein?“
Nicht, dass mich hier jemand falsch versteht, ihr seid ja auch nicht etwa falsch zu verstehen, mir geht es lediglich um den Mode-Aspekt der oben genannten Motten!
Falls jemand dazu ne Idee hat, heraus damit! Gruß in die Runde, superwiser

Aurion
Aurion (@guest_31867)
Vor 11 Jahre

Das stimmt schon natürlich haben auch musiker ein privat leben und können auch auf kleine veranstaltungen etc gehen.

allerdings kenne ich persönlich zumindest wenige die das tun oder können.
als beispiel mal genannt hatten wir früher zb in der gegend öfter mal die leute von Welle Erdball oder Goethes Erben (Henke) bei welle ist es zb das sie gern malwieder hier zb auflegen würden aber man sie sich nicht leisten kann ein musiker muss ja auch von was leben und mit unter bestimmen die musiker selbst nicht den preis.

gibt sicherlich einiege die sich schon geziehlt die partys aussuchen wo se gern hinwollen aber ich vermute mal das das nicht alzuoft der fall sein wird und auch dann ist es immernoch ein unterschied zum „ottonormal Schwarzen“ oder sonstieges da man mit bekannten persönlichkeiten nunmal anders umgeht.

ich denke als musiker hat man immernoch ein etwas anderen blick auf das ganze als,als gast einer veranstaltung

schwarzherzlichste grüße Aurion

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