Ungewöhnlich Typen 1982: Zwei, die aus der Reihe tanzen

Dem Klischee nach zu urteilen, tanzen wir alle aus der Reihe. Im November 1982 titelte die Bravo in einem Artikel „Zwei, die aus der Reihe tanzen – Sie sehen aus wie Stars. Aber sie haben nichts mit Profi-Musik zu tun. Ihre Absicht: als New Waver zu schocken„. Vor ziemlich genau 30 Jahren waren von Gothics überhaupt noch nicht die Rede, allenfalls als Musikstil hatten sich stilprägende Bands zu dieser Zeit einen Namen gemacht. Doch Klischee und verklärte Vergangenheit lassen wir dieses mal außer Acht, denn Christina und Ralph zeigen, wie man die subkulturellen Wurzeln des Punks weiterentwicklte. Rückblickend objektiv gesprochen. Denn 1982 war dieses Sichtweise subjektiv und äußerte sich viel mehr in Ablehnung, Abgrenzung und Individualisierung.

Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Edel-Punks: die „New Waver“. Aber wehe man hält sie dafür. Dann werden sie stocksauer. Denn außer knallbunten Haaren wollen Christina und Ralph mit den „Sicherheitsnadel-Freaks“ nichts gemeinsam haben…“ Da haben wir alle Bezeichnungen, die mit Gothic eine Verwandschaft haben. Edel-Punks, weil man zwar anders aussehen wollte, aber mit dem „Look aus der Mülltonne“ keine Identifikationsgrundlage sah. Hier gab es keinen Kampf wie bei den Punks (hier auch Sicherheitsnadel-Freaks genannte), der sich gegen das Establishment oder den Staat richtete, sondern offensichtlich nur den Wunsch, sich vom Rest der Gesellschaft abzugrenzen.

New Waver 1982Christina hatte es nicht leicht, „…denn die Mitschüler hielten sie für eingebildet und wurden oft aggressiv, wenn sie Christina in spitzen Schuhen und verrückten Klamotten auf dem Schulhof umherstolzieren sahen. „Ich wollte schon immer anders sein“, sagt sie“.  Eigentlich hat sie mittelbraunes Haar und das Färbemittel kostet sie zu dieser Zeit ein Vermögen, doch Christina möchte auffallen, sie will angegafft und gemustert werden und lebt von der Konfrontation mit dummen Bemerkungen. „‚Das sieht ja aus wie im Fasching.‘ Darauf pflegt Christina dann zu antworten: ‚Ja und im echten Fasching geh‘ ich dann in Jeans, grauem Pullover und blonder Perücke.‘“ Krampfhaft gegen die äußere Gleichschaltung. Ihr Leben ist auch ein wenig chaotisch, ihr Geld verdient sie durch gelegentlich Jobs. Womöglich eine Folge der Enttäuschung, denn nach ihrem Abitur bekam sie keinen Ausbildungsplatz als Tontechnikerin. Ob sie vielleicht Physik studieren möchte, weiß sie noch nicht.

Doch die Bravo riecht den Braten und schreibt: „Bloß nicht festlegen, ist ihre Devise. Und bloß nicht hinter die Kulissen gucken lassen. Die ist farbig, ausgefallen und arrogant. Alles bloß Mache oder wirklich was dahinter?“ Mit Ralph schaffen sie einen Gegenpol, denn der sei offen, mache keine geheimnisvolle Miene und geht auf die Leute zu. Als Ersatzdienstleister kümmert sich Ralph Behinderte, mit denen er sich gut versteht, denn die sind, wie er sagt „auch eine Minderheit“.

Ralph war vor seiner New-Wave-Zeit einmal ein echter Punk. Doch die waren ihm dann „zu ablehnend allen Dingen gegenüber“. Aber bei ihnen hat er trotzdem viele wichtige Erfahrungen gemacht. ‚Ich habe gelernt, daß man zusammen und nicht gegeneinander leben sollte‘  Heute allerdings ist Ralph – wie jeder New Waver – eben doch auf Konsum eingestellt. Gepflegt sein ist wichtig, teure Klamotten sind wichtig. Und beides ist im Punk bekanntlich scheißegal.

Nicht nur scheißegal, sondern es ist genau das, wogegen sich der Punk immer aufgelehnt hat. Doch es ist eben nicht jedermanns Sache ein Leben an der Grenze der Existenz zu führen. Für den eigenen Unterhalt zu sorgen, sein Leben auf eine Basis zu stellen und „Steuern bezahlen“, wie Ralph sagt, können die Grundlage für eine Entwicklung sein. Ralph macht Musik, komponiert und schreibt seine eigenen Texte. Ein Lied nennt er „Die Terrorhelden“, in dem ironischer Weise einen Zwiespalt zwischen Punk und seinem Wunsch nach Sicherheit aufreißt. „Wir sind die Terrorhelden, wir werden alles vergelten, wir wollen Freiheit und keinen Zwang. Wir zwingen allen in unsern Bann.

New Waver 1982Doch anstatt in ein selbst gewähltes Abseits zu stellen, engagiert sich Ralph in einem Ersatzdienst, bei dem er für zehn Jahre jeden Sonntag Behinderte Menschen im Rollstuhl spazieren fährt, oder ihre Besorgungen erledigt. Die Behinderten, so Ralph, „akzeptieren mich, so wie ich eben bin“ und fühlt sich in seinem Dasein ebenso ausgegrenzt. Es ist erstaunlich, mit welchen Gedanken sich Jugendliche vor 30 Jahren beschäftigten, manchmal erweckt das in mir den Eindruck, dass sich eigentlich nichts geändert hat. Früher oder später stellt man doch als halbwegs nachdenklicher Mensch sein eigenes Szene-Dasein oder seine gewählte Andersartigkeit in Frage und kommt unweigerlich zu dem Punkt an dem man seiner Individualität den Rücken kehrt oder etwas daraus macht. Anders zu sein, als nur anders auszusehen.

Ralph hat gelernt, dass Anpassung ein notwendiges Mittel zu Selbstzufriedenheit ist, um nicht im ewigen Kampf gegen Etwas seine Energie zu verbrauchen. Die Autorin des Artikel beschreibt ihre Schlußfolgerung so: „New Waver sind nämlich angepaßt. Sie machen das gleiche wie alle anderen auch – Konsum, bürgerlicher Beruf, Geldverdienen und so weiter – bloß: Sie machen es extremer. Das ist New Wave.

Ich sehe das anders. Wer wirklich anders sein will, aber sich selbst und seine Lebensgrundlage als Teil des Systems in Einklang bringen möchte, der beteiligt sich an den notwendigen Dingen mit dem notwendigen Antrieb, sichert sich damit sein Leben das er sich wünscht und investiert alle entbehrbare Kraft darauf nicht nur anders auszusehen, sondern auch als „Anderer“ etwas anders zu machen als die Anderen. Dazu muss man nicht in Extreme verfallen.

Ein ungewöhnlicher Artikel, den wir in einer alten Bravo gefunden haben. Neulich hatte ich eine aktuelle Ausgabe der Zeitschrift in der Hand, blätterte darin herum, las einige Artikel und fragte mich, ob ich in 30 Jahren auf eine solche Ausgabe so interessiert zurückblicken würde. Vielleicht wage ich ein Experiment, kaufe eine Bravo, schweiße sie in Folie ein und packe sie am 15.01.2043 im zarten Alter von 68 Jahren wieder aus und blogge darüber. Vielleicht erlebt das Schreiben dann wieder ein Retro-Welle, denn selbst die New Waver kehren langsam wieder zurück. Jedenfalls äußerlich.

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sba
sba (@guest_31662)
Vor 11 Jahre

…und frisurentechnisch läuft heute in Berlin gefühlt jede(r) zweite so rum und in anderen Großstädten zumindest jeder fünfte.
War das Trendsetting? ^^

Axel
Axel (@guest_31665)
Vor 11 Jahre

@Robert: Wäre es öglich die BRAVO-Artikel in ihrer Originalgröße anzeigen zu lassen, sodass man den Originaltext lesen kann? Interessant wäre sich auch die ganzen gesammelten Artikel in eine PDF zu packen.

mela
mela (@guest_31667)
Vor 11 Jahre

Jedesmal, wenn du einen Bravo-Artikel aus den 80ern hervor zauberst (kommen die alle aus deiner Sammlung oder durchstöberst du mittlerweile auch Flohmärkte gezielt danach?), freue ich mich so ein kleines bisschen darüber, dass die Szene heute gar nicht so weit entfernt ist von damals, wie man in meinem Alter und jünger gerne glaubt.
Konsumieren, Arbeit für den teuren Lebensstil (ich bin immer aufs Neueste erschrocken darüber, wie teuer ein schlichtes Samtröckchen doch sein kann…) und sich unbedingt ausgrenzen von der „bunten“ und „ignoranten“ Gesellschaft. Jupp, da hat sich offensichtlich nichts geändert seither.

Mir fehlt oft einfach das „Warum?“. In dem Beitrag wird ja treffenderweise gesagt, dass Punks gegen das System rebellieren. Aus einem Beweggrund entsteht eine Subkultur. Aber was hat die Jugend damals bewegt, sich ausgrenzen zu wollen? Wie konnte – außer vielleicht musikalisch – eine Bewegung aus dem Punk entstehen, die sich klar und deutlich von eben diesen distanziert? Ging es damals ausschließlich um ein bewusstes Abgrenzen, nur um sich optisch hervor zu heben? Um dem Mainstream den Mittelfinger zu zeigen und „etwas besseres“ darzustellen?
Versteht mich nicht falsch, ich möchte nicht augenrollend über die Wurzeln schimpfen, dass sie ja ach so oberflächlich waren und eigentlich nichts dahinter steckte. Ich verstehe es nur nicht. In Berichten von „damals“, die Robert hier vorstellt, wird halt nur auf das Oberflächliche eingegangen. Aber nicht auf das „Warum“ – und vermutlich geraten wir alle ins Rudern, wenn wir gefragt werden, warum wir schwarz tragen. Warum wir der schwarzen Szene angehören.

orphi
orphi(@orphi)
Editor
Vor 11 Jahre

Möglicherweise gab es gar kein „Warum“, sondern nur das Gefühl, gegen den Strom schwimmen zu wollen.

Death Disco
Death Disco (@guest_31669)
Vor 11 Jahre

…und frisurentechnisch läuft heute in Berlin gefühlt jede(r) zweite so rum und in anderen Großstädten zumindest jeder fünfte.
War das Trendsetting? ^^

Nun, von den 68er Hippie-Luschen können die Frisuren nicht stammen. Ja, definitiv. Die Frisuren, die heute trendy sind, waren in den 80s noch popkulturell verankert. Damals von der Masse verpönt, heute akzeptiert und chic. Deshalb kann es durchaus sein, dass aktuelle Damenfrisuren im Friseurkatalog mehr mit Punk und Wave zu tun haben als die derzeitigen Frisuren der Schwarzen Szene, die teils von langhaar-hippiesk (und metallisch) bis ungestylt reichen („Muttisöhnchenfrisur“).

Aber ich denke, die Herkunft der Frisuren ist längst aus dem Bewusstsein getilgt worden. Leute wie Rihanna, die sich die Seiten rasieren und das Deckhaar stylen, verlieren sicherlich keinen Gedanken daran.

Jedesmal, wenn du einen Bravo-Artikel aus den 80ern hervor zauberst (kommen die alle aus deiner Sammlung oder durchstöberst du mittlerweile auch Flohmärkte gezielt danach?), freue ich mich so ein kleines bisschen darüber, dass die Szene heute gar nicht so weit entfernt ist von damals, wie man in meinem Alter und jünger gerne glaubt.

Ich behaupte einfach mal, dass Du Dich auf demselben Irrweg befindest, solange Dein subjektives Bild der Szene auf einzelnen BRAVO-Artikeln beruht. Die Wahrheit liegt wie immer irgenwo in der Mitte. Andererseits wird es hier ja auch einigermaßen gut dargestellt. Die Dame ist ein Popprodukt, der Typ stammt aus der Punk-Szene, hat also kaum Berührungsängste mit seinen Wurzeln. So wird man noch auf viele weitere Gegensätzlichkeiten stoßen, die ein klar umrissenes Szenebild nur schwer ermöglichen.

Mir fehlt oft einfach das „Warum?“.

Warum. Warum ist die Banane krumm? Damals hat sich niemand hingesetzt und nach Gründen gesucht. Die Dinge haben sich einfach entwickelt. Dabei ist jugendliche Rebellion nicht einmal szenebedingt. Jugendliche suchten generell nach Dingen, die „hip“ sind, um sich von Eltern und der Erwachsenenwelt abzugrenzen. Ein völlig natürlicher Prozess. Da gab es auch selten die Erkenntnis, dass eine ablehnende Haltung gegenüber der bunten Konsumgesellschaft nicht mit dem eigenen Konsumverhalten harmoniert (Jugendkultur als Träger der Kulturindustrie). Wie auch? Von diesen Mechanismen hatte der pubertierende Jugendliche doch keine Ahnung.

Aber diese Rebellion ist heute ziemlich verloren gegangen. Zumindest empfinde ich es so. Damals wurde geschockt und abgegrenzt, heute wird krampfhaft versucht, in der Gesellschaft Anerkennung zu finden. Schwarze, die ihren Eltern gefallen wollen, hören dann lieber Unheilig. Und siehe da, Mama findet diese Art der „Goffick“-Musik gar nicht mal so schlimm und schunkelt gemeinschaftlich mit dem Kindchen zu Graf’schen Klängen unterm Weihnachtsbaum. Frohes Fest!… Man möchte kotzen…

mela
mela (@guest_31671)
Vor 11 Jahre

@Death Disco: Meine von dir zitierte Aussage bezog sich darauf:

Konsumieren, Arbeit für den teuren Lebensstil (ich bin immer aufs Neueste erschrocken darüber, wie teuer ein schlichtes Samtröckchen doch sein kann…) und sich unbedingt ausgrenzen von der „bunten“ und „ignoranten“ Gesellschaft. Jupp, da hat sich offensichtlich nichts geändert seither.

Ob sich in den 80ern wirklich alle so verhalten haben, kann ich nicht sagen. Ich selber bin Jahrgang 1982 und kann mich daher leider so gar nicht dran erinnern, wie die Jugendlichen damals „tickten“.
Mir geht es aber auch vielmehr um den Eindruck, den man nach außen hin macht. Und da erkenne ich den ein oder anderen wieder, der mir auf Parties begegnet, wenn ich das hier lese:

Heute allerdings ist Ralph – wie jeder New Waver – eben doch auf Konsum eingestellt. Gepflegt sein ist wichtig, teure Klamotten sind wichtig.

Ich kann nicht in die Vergangenheit reisen, um Ralph hinter die Stirn zu gucken, ob er das wirklich so meinte oder die Bravo e ihm so andichtete. Ich kann aber zum Glück auch sonst niemandem hinter die Stirn gucken, der heutzutage genau den selben Eindruck auf mich macht.
Ich hatte es ja schon neulich geschrieben, dass in meiner (vermutlich arg „romantisierten“) Vorstellung, damals alles nicht so „konsumgeil“ war. Dass es damals auf Außenstehende aber den Eindruck mache (ob berechtigt oder nicht), zeigt mir aber, dass dies kein Phänomen der heutigen Zeit ist.

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