Heute vor 124 Jahre wurde Howard Phillips Lovecraft in Providence (Rhode Island) geboren. Schon früh förderte sein Großvater die literarische Neigung seines Enkels und schenkte ihm Bücher wie die“ Geschichten aus Tausend und einer Nacht“. Zum Missfallen von Lovecrafts Mutter Sarah erzählte der Opa seinem Enkel auch selbsterfundenen Horrorgeschichten. Bereits mit 9 Jahren verfasste er handschriftliche Zeitschriften mit dem Titel „The Scientific Gazette“ und „The Rhode Isalnd Journal of Astronomy“, die er unter seinen Verwandten und Freunden verteilte und in denen er sein Interesse an Geschichte und Astronomie auslebte. H.P. Lovecraft war ein begabtes Kind, dass sein Leben einer blühenden Phantasie widmete und einige der einflussreichsten Werke der Horror-Literatur verfasste. Seine Texte, Bücher und Werke, die zu Lebzeiten nie für ein anständiges Auskommen reichten, sind heute Legende, Mythos und Inspiration für viele weitere Künstler.
1937 starb Lovecraft an den Folgen von Darmkrebs. Er wurde im Familiengrab beigesetzt und sein Name wurden neben dem seiner Eltern eingemeißelt. 1977 setzten Verehrer des „Meisters“ ihm einen eigenen Grabstein, auf dem der Spruch „I am Providence“ steht, der aus einem seiner Briefe stammt. Fans, die das Grab besuchen, verzieren es immer wieder mit einem Zitat aus „The Nameless City“: „That is not dead which can eternal lie, and with strange aeons even death may die.“ Meine Glückwünsche gelten einem Schriftsteller, der seiner Phantasie mit Worten beflügeln konnte und damit Geschichten schuf, die immer noch verstörend komplex bis unbegreifbar philosophisch interpretiert werden. Sie gelten einem Künstler der es wie kein Zweiter verstand, die dunkle Seite der menschlichen Phantasie so gekonnt in Szene zu setzen.
Zum Geburtstag gibt es die Dokumentation Fear of the Unknown in voller Länge:
Meine Reise tiefer in die Gefilde schwarzer Musik wurde vor einigen Jahren deutlich erleichtert von der „Gothic Rock“ CD-Kollektion von Mick Mercer, einem englischen Musik-Journalisten, der die Entwicklung der Punk-, Post-Punk- und Gothic-Szene von Anfang an mitverfolgt und begleitet hat.
Durch ihn lernte ich grandiose Künstler wie Southern Death Cult oder X-Mal Deutschland überhaupt erst kennen, und entdeckte erst dort so richtig meine Begeisterung für Bauhaus und Alien Sex Fiend.
Auch später im Anglistik-Studium sollte sein Name und diverse Zitate immer wieder auftauchen, wenn in englischer Fachliteratur der Weg von der traditionellen schwarzen Romantik hin zur dunklen Subkultur der Gegenwart gezeichnet wird, denn auch als Autor ist der zum Goth-Historiker avancierte Mercer tätig, der wie kaum ein Zweiter über Wissen aus erster Hand verfügt (und der daher z.B. sehr bewusst weder Joy Division, noch The Cure oder Siouxsie & the Banshees auf seine „Gothic Rock“-Compilations gepackt hat).
Doch warum erzähle ich das alles? Eigentlich nur um klar zu machen, warum ich diesem Menschen so huldige und seit Jahren (etwa auf Facebook) folge, und um damit zu veranschaulichen, was für eine ungeheure Ehre es für mich darstellt, dass er gestern abend in seiner wöchentlichen Radioshow zwei meiner Songs gespielt hat!
Besonders lustig fand ich, dass er eigentlich den bereits vorab aus dem kommenden Album ausgekoppelten Song Never too Late spielen wollte, jedoch wohl vergessen hat ihn runterzuladen, und ihn daher bereits für nächste Woche angekündigt hat – daher gab’s diesmal einfach schonmal zwei meiner Demos. Unten also kurzerhand das komplette zweieinhalbstündige Streaming auf Mixcloud. Seine Mischung ist sehr vielfältig und bizarr, und wem seine punkig-eklektische Art zwischendurch zu trinken, rülpsen und mit seiner Frau Lynda zu quatschen zu viel wird, der mag direkt zu 0:28:35 oder 2:15:40 springen ;)
Der Magic Circle präsentiert: „Noel Noire“, Katakomben in Zürich 1992 (Danke! an Ernest Maerki für die Einsendung) – Früher war alles besser? „…wir lebten in den 90ern eine Utopie, unsere einmalige Utopie: Katakombe, Laby, Aera – zehn Stunden Glück, die mir den Kater wert waren. Zeitvergessenheit, Hormonwolken, ozeanische Gefühle. Und heute? Bügeln, Weiterbildung, Kinderwagen, Facebook. Wer’s verpasst hat, tut mir leid – was ist besser geworden?“ (Aus den Kommentaren zum Artikel „Zürichs verschwundene Partytempel„)
Der Club „Katakombe“ an der Geroldstrasse 5 in Zürich existiert heute unter dem Namen „Hive Club“, wird allerdings von der „Katakombe“ Gmbh betrieben. Offenbar finden heute keine Veranstaltungen der Szene dort statt.
„What has changed me into something i dont know?“ 1984 gründete der aus Detroit stammende Gregory John McCormick (Itchy) eine Band, die er nicht umsonst „Shock Therapy“ nannte. Der Sänger, Gitarist und Pianist verbrachte viele Jahre in diversen Psychiatrien, seine dort gesammelten Erfahrung beeinflussten nicht nur den Bandnamen, sondern auch viele seiner depressiven Texte. Mit der Band fand er die Möglichkeit, seiner Aggressivität ein kreatives Ventil zu verschaffen und so wundert es auch nicht weiter, dass der ein Jahr später geschriebene Song „Hate is a 4-letter-Word“ zu den erfolgreichsten der Band zählt. In den USA fanden seine tiefgründigen Texte jedoch keine Beachtung, das erwünschte Feedback blieb aus, er beschließt, nach Europa zu gehen. Dem INTRO-Magazin verriet 1993: „Das amerikanische Publikum ist völlig leer. Sie stehen da und glotzen dich an. Niemand gibt sich die Mühe, in die Musik einzutauchen. Die Europäer, vornehmlich die Deutschen, sind da ganz anders. Sie konzentrieren sich auf das, was abgeht; sie wollen die Musik nicht nur hören, sondern auch verstehen.“ Doch die Schatten des eigenen Selbst sind stärker. Nach einem 7-jährigen Gefängnisaufenthalt zeigt sich Itchy geläutert und kündigt sogar ein neues Album an. Von der Realität eingeholt stirbt er 2008 im Alter von 44 Jahren vermutlich an einer Alkoholvergiftung. „A classic Film of Yesterday ist just Today; once tomorrow, maybe never, i hate me.„
The Electronic Circus – Direct Lines
Wen hätten wir da? Chris Payne (hat mal mit Gary Numan gespielt), Paul Johnson Rogers (kennt kein Mensch) und Michael J. Stewart (auch völlig unbekannt). Die drei Musiker dürften so unbekannt sein wie die Tatsache, dass der Stahl des Palastes der Republik (DDR) eines der höchsten Gebäude der Welt, das Burj Khalifa, zusammenhält. 1981 studierten alle drei am Chichester College of Music im britischen Sussex und kam auf die Idee, ihre Passion für elektronische Instrumente in einem Projekt (ein Band zu haben war irgendwie uncool) zu verbinden. „The Electronic Circus“ brachte genau eine Single heraus, die man „Direct Lines“ taufte und wohl eher sowas wie ein Lustanfall des Musikmachens angesehen werden könnte. Doch dieser Song bringt die 80er wie kein anderer auf den Punkt. Jedenfalls für mich. Lässig, unterkühlt und flach trällert die unbekannte Sängerin den Text ins Mikrophon und zaubert mir einen Gänsehautschauer nach dem anderen. Die Stimmung ist sphärisch verträumt, irgendwie berauschend und flockig naiv und findet ihren Höhepunkt im absolut zeitlosen Synthie-Refrain. Warum ein Retro-Zeitalter einläuten, wenn es noch so viele Schätze zu entdecken gibt? Herrje, jetzt habe ich das Stück schon zum fünften Mal in der Wiederholung.
Oppenheimer Analysis – Devil’s Dancer
Brighton 1979. Auf der „World Science Fiction Covention“ lauscht Martin Lloyd (damals 29 Jahre alt) dem Vortrag eines gelangweilten Douglas Adams und lässt seine Blicke schweifen. Am andere Ende des Raums sieht er jemanden, der exakt so gekleidet ist, wie David Bowie im legendären Film „The Man who fell to Earth“. Wow! Den musste Martin kennenlernen. Andy Oppenheimer und Martin Lloyd entdeckten unzählige Gemeinsamkeiten und teilen unter anderem die Leidenschaft für elektronische Musik. Sie werden gute Freunde und ziehen gemeinsam durch angesagte Clubs und weitere Science Fiction Conventions. Anfang der 80er beschließen sie, ihrem kreativen Potential Ausdruck zu verleihen, gründen eine Band und nennen sich „Oppenheimer Analysis“ (zusammengesetzt aus Andys Nachnamen und dem Namen eines früheren Projekts von Martin Lloyd). Die EP „New Mexico“ erscheint 1982 auf Kassette, die die beiden eifrig auf einschlägigen Conventions und Clubs unter die Leute bringen. Auf einer David Bowie Convention in Hammersmith spielen sie vor rund 2000 Leuten einen ihren größten Auftritte. In den folgenden Jahren sind Andy und Martin musikalisch sehr aktiv, bevor es Ende der 80er Jahre ruhiger wird. 2005 – dem Internet sei Dank – finden die beiden wieder zusammen und fühlen sich durch treue Fans dazu animiert, wieder Musik zu machen. Am 24. März 2006 steht man im Bochumer Zwischenfall nach über 22 Jahren wieder gemeinsam auf der Bühne. 2013 verstirbt Martin Lloyd überraschend. Andy beschließt, am Ball zu bleiben und ist seit 2013 mit dem Projekt „Oppenheimer MK II“ immer noch musikalisch aktiv.
Bereits im Januar dieses Jahres besuchte Kath Traumtänzerin den Friedhof in Grunewald. Friedhofsführerin Tina Knaus brachte ihr und einigen anderen den Ort und seine Geschichten ein wenig näher. Schwer beeindruckt postete sie einige Bilder und Geschichtsfetzen bei Facebook, die dort aber im Nirvana des Zeitstrahls kaum Beachtung fanden. Ich fand das schade und animierte Kathi auf dem Spontis Treffen, mir ihre Eindrücke nochmal als E-Mail zu schicken, um dann gemeinsam mit ihr einen Beitrag daraus zu verfassen.
Es ist ruhig auf der Lichtung im Grunewald, keine trauernden Friedhofsbesucher, keine frischen Blumen auf gepflegten Gräbern und die meisten Grabsteine sind mit Efeu überwuchert. Der Schnee auf Wegen, Bäumen und Gräbern hüllt den Friedhof in ein sonderbare Stille, nur das Knirschen der Schritte ist zu hören. Deutschlands einziger Selbstmörderfriedhof im Grunewald-Forst, auf dem seit über 100 Jahren alle die begraben werden, die ihrem Leben ein Ende setzen wollten, soll in 50 Jahren verschwunden sein. Die Grabsteine werden entfernt, die Gräber eingeebnet und die Friedhofsmauer wird abgerissen. Die zuständige Friedhofsverwaltung Charlottenburg-Wilmersdorf genehmigt kaum noch neue Bestattungen und möchte den Friedhof auslaufen lassen, eine Erhaltung des geschichtsträchtigen Ortes scheint nicht mehr finanzierbar. Dabei liegen nicht nur unzählige Namenlose dort begraben, sondern auch tragische Geschichten aus der deutschen Vergangenheit.
Der Dienstmädchenfriedhof
Zur Zeit der Industrialisierung gelangten vielen Menschen zu schnellem Geld und mit dem Reichtum wuchs auch die Sehnsucht nach exklusivem Wohnraum. Da aber im Zentrum von Berlin die Unterschicht lebte und der Geldadel und die Neureichen nicht mit dem Pöbel leben wollten, begann man damit, im Berliner Umland Rodungen durchzuführen um den gewachsenen Ansprüchen exklusiven Raum zu schaffen. Unter anderem entstand im Grunewald eine große Freifläche für eine ausgedehnte Villensiedlung, die auch heute noch zu den nobleren Stadtteilen Berlins zählt.
Die neu entstandenen Siedlungen sorgten dafür, dass viele der Armen aus dem Zentrum Berlins nach Grunewald kamen, um dort eine Anstellung im reichen Hause zu ergattern. Doch ein Arbeitsplatz bei wohlhabenden Arbeitgebern war nicht immer ein Segen. So nutzten die Hausherren und deren Söhne oftmals die Abhängigkeit der untergebenen Dienstmädchen dazu, ihre Gelüste diskret zu befriedigen. Wurden die Dienstmädchen zu allem Überfluss von einem der Beiden schwanger, so war ihr Schicksal nahezu besiegelt, denn mit dem entsprechenden Eintrag in ihrem Dienstbuch gab es nahezu keine Chance auf eine Neueinstellung in einem anderen Hause.
1919 versuchte sich das Dienstmädchen Minna Braun das Leben zu nehmen, in dem sich die gelernte Krankenpflegerin mit Schlafmitteln und Morphium vergiftete. Ihren leblosen und stark unterkühlten Körper fand man am Havelufer. Totengräber brachten die Frau in die Aufbahrungshalle des Selbstmörderfriedhofs. Als Kriminalbeamte 14 Stunden später die Identität der jungen Frau feststellen wollte, sahen sie, wie sich der Kehlkopf bewegte. Minna Braun wurde in Krankenhaus gebracht und überlebte. Der Fall löste ein rege Debatte über das Lebendig-Begrabenwerden aus, die damals in ganz Berlin die Runde machte. Die Magd blieb davon unbeeindruckt, zu tief der Schmerz, zu groß die Scham, zu hoffnungslos ihre Zukunft. Mit einer höheren Dosis erreichte sie drei Jahre später endlich ihr Ziel. Man fand sie an der gleichen Stelle wie zuvor. Wie viele Dienstmädchen sich in ihrer Verzweiflung von der Stölpchenseebrücke ins Wasser der Havel stürzten ist bis heute nicht geklärt.
Vom Oberhofjagdmeister zum einfachen Förster degradiert! Den gesellschaftlichen Abstieg verkraftete Will Schulz nicht und folgte nach der Auflösung der preußischen Monarchie dem Ruf des Todes.
Nicht vorzustellen, wie groß ihre Verzweiflung gewesen sein muss. Ganze 14 mal versuchte die Baronin Alexandra von Lieven sich das Leben zu nehmen. Zu ihrem Todeszeitpunkt, war sie 91 Jahre alt.
Man munkelt, dass dieser junge Russe seinen Alkoholrausch auf besonders günstige Weise erreichen wollte. Er starb an seiner eigenen Ethanolmischung.
Wasserleichen
Strömungen unter der Wasseroberfläche der Havel trugen die Leichen der Selbstmörder und Unfallopfer immer an die selbe Stelle im Fluss (für die Interessierten: ÖPNV – Linie 218, Haltestelle Havelchaussee), der sich so malerisch verzweigt durch den Forst in Grunewald zieht. Angehörige und Förster hatten die Lichtung still und heimlich zu einer Begräbnisstätte gemacht, als sie die rund einen Kilometer die Havelanhöhe hochwuchteten um ihnen dort die letzte Ruhe zu ermöglichen.
Sie näher am Ufer des häufig befahrenen Flusses zu begraben wäre riskant gewesen, denn illegale Bestattungen wurden hart bestraft, selbst der versuchte Freitod stand bis 1845 unter Strafe. Eine ordentliche und kirchliche Bestattung war undenkbar, denn nach Auslegung der Kirche ist der Freitod eine Sünde die ein Begräbnis in geweihter Erde unmöglich machte. Erst in den 60er Jahren lockerte die Kirche ihre Regeln und immer mehr Gemeinden ermöglichen seit dem auch Selbstmördern ein ordentliches Begräbnis.
Wie lange der Friedhof im Grunewald-Forst bereits betrieben wird, ist unklar. Als die erste Bestattung 1900 offiziell vermerkt wurde, sollen bereits 800 Leichen dort begraben worden sein. 1920 wurden umliegende Gemeinden mit Berlin zu „Groß-Berlin“ zusammengelegt und verpflichtet, einen eigenen nicht-kirchlichen Friedhof zu betreiben. Der Magistrat ließ den Selbstmörderfriedhof mit einer Mauer umgeben und erklärte ihn zum offiziellen Friedhof, auf dem nun auch andere Tote begraben wurden. Kaum jemand nahm das Angebot wahr, zu stark war der Glaube an die Sünde, die die dort begrabenen Menschen begangen hatte. Die Wasserleichen aus der Havel blieben weiterhin unter sich.
Zum Ende des ersten Weltkriegs wurden hier auch Opfer des Krieges beerdigt. Auch die fünf jungen Russen, die über den Sieg der Bolschewiki und den Tod ihres Zaren so bestürzt waren, dass sich selbst töteten, wurden an besagter Stelle aus der Havel gefischt. An sie erinnern fünf hölzerne, orthodoxen Kreuze unweit des Eingangs.
Das Lied vom einsamen Mädchen
Ein einsames Grablicht flackert vor Grab Nummer 82, den schwarzen Grabstein säumen mit Schneeflocken bedeckte Rosen, überall liegen verwitterte Schriftstücke und Mitbringsel herum. Es ist wohl das prominenteste Grab auf dem Friedhof im Grunewald und erinnert an die Sängerin Christa Päffgen, die unter ihrem Künstlernamen „Nico“ mit der Band „Velvet Underground“ international berühmt wurde.
1956 soll die damals 18-jährige mit ihrer Mutter Magarete zum Friedhof. Nico soll auf eine damals freie Stelle gedeutet haben und sagte: „Hier möchte ich einmal begraben werden, neben Dir.“ Kurz darauf machte sie eine steile und tragische Karriere, avancierte in den 60ern zur Mode-Ikone, wurde Vogue-Model und Warhol Star, Sängerin und Junkie. Ihre Todenähe war legendär, ihre kühle Erotik macht sie heute noch zum Mythos. 50 Jahre lang lebte sie ein intensives Leben, bis sie 1988 auf Ibiza vom Fahrrad stürzte und an einer Hirnblutung verstarb. Ungeachtet der Tatsache, dass es ein Unfall war, der ihr Leben beendete, erfüllte man ihr den Wunsch, neben ihrer Mutter auf Berlins „Friedhof der Namenlosen“ begraben zu werden. Drei Tage lang sollen ihre Freunde auf dem Friedhof gefeiert haben. Es liegt Schnee auf ihrem Grab, niemand ist da um mit Nico zu feiern. Nur am 16. Oktober, ihrem Geburtstag und am 18. Juli, ihrem Todestag verirren sich noch Menschen zu ihrem Grab. Das Lied vom einsamen Mädchen wurde bitterkalte Realität.
Der Armenfriedhof
Den deutschen Schriftsteller Georg Heym inspirierte der Selbstmörderfriedhof zur Lyrik, vermutlich war es ein Rückzugort, an dem sich der junge Heym von der „Zwangsjacke seines Lebens“, wie er mal in sein Tagebuch notierte, erholen konnte. Leider ereilte ihn der Tod viel zu früh, so dass die meisten seiner Werke posthum veröffentlich wurden. Am 16. Januar 1912 verunglückte Georg Heym beim Schlittschuhlaufen auf der Havel in Kladow tödlich, als er seinen Freund retten wollte, der ins Eis eingebrochen war.
Der Armenfriedhof
Stiller Ort, um deine Mauern
Schleicht ein müdes, süßes Trauern,
Das mich immer zieht zu dir….
–
Deine Kreuze still und schlicht
färbt goldig doch das Sonnenlicht
Und leuchtet in die Gruft hinein.
–
Aus deinen Gräbern quillt das Leben.
Es schmückt in urewgem Weben
die kahlen Stein mit Liebesgrün.
–
Es schwingt aus Moderduft
Die Lerch sich in die Himmelsluft
O armer Ort, wie bist du reich.
–
Du einzger Ort, der hat hienieden
Die stille Ruh, den frommen Frieden
den draußen ich so oft gesucht.
In rund 50 Jahren soll der Friedhof „der Natur zurückgegeben“ werden. All die Geschichten verlieren dann ihren Ort, an dem sie erzählt werden können und die Namenlosen verlieren die Reliquien, die an sie und ihre Schicksale erinnern.
Auf dem Selbstmörderfriedhof in Berlin Grunewald finden die ihre letzte Ruhe, die in den Augen der Kirche eine Sünde begangen haben.
H.P. Lovecraft sagte einmal: „The oldest and strongest Emotion of Mankind is fear, and the oldest and strongest Kind of fear is fear of the Unknown.“ Die Angst vor dem Unbekannten ist überwunden, es ist geschafft! Am 3. August erreichte das Filmprojekt „The Dreamlands“ von Regisseur und Autor Huan Vu das Crowdfundig-Ziel von 40.000€ auf der Plattform Indiegogo. Der Film basiert auf den Erzählungen von H.P. Lovecraft, die sich direkt oder indirekt mit der Parallelwelt „The Dreamlands“ (Traumlande) beschäftigen. Bisher fristeten die Erzählungen eher ein Schattendasein unter dem dunklen Stern des Cthulhu-Mythos, denn trotz der melancholischen Grundstimmung wohnt den Dreamlands etwas schönes inne, das den typischen Leser des 1937 verstorbenen Querdenkers vermutlich abschreckt. Aus diesem Schatten will Huan Vu den Zyklus nun ins Zwielicht der Dämmerung hieven, Tageslicht wäre dann doch etwas zu grell.
„Es geht in dem Film hauptsächlich darum, einer schrecklichen Realität zu entkommen und in eine Traumwelt zu fliehen„, erklärt Regisseur Huan Vu der Stuttgarter Zeitung. Doch diese Traumwelt ist nicht bunt und laut, sondern düster und malerisch. Hinter den Kulissen wartet auf den Reisenden – sofern dieser geneigt ist, sich auf die Fahrt einzulassen – eine Reise in das Abgründige der menschlichen Phantasie in dessen Grund aber etwas positives liegt. Das für Lovecraft recht ungewöhnliche Credo erklärt sich Huan Vu – so verrät er im Artikel – als eine Art Rettungsanker für Lovecraft, der sich damit gelegentlich aus der eigenen dunklen Phantasie zu retten versuchte.
Ganz im Stil Lovecrafts Vorbilder Edgar Allen Poe und Lord Dunsany verliert er den „schwelgerischen phantastisch-traumhaften Stil des irischen Adeligen und erfolgreichen Schriftstellers anzueignen und begann so wie dieser die eigenen Träume als Grundlage für Ideen und Handlungen heranzuziehen„, wie die eigens eingerichtete Homepage zum Film offenbart.
Die Fertigstellung des vollständig finanzierten Films ist für 2016/2017 geplant. Gedreht wird auf Englisch mit internationalen Darstellern, in der Postproduktion wird auch eine deutschen Synchronfassung eingesprochen. Der Film, der 120 Minuten dauern soll, zählt zu einem der ambitioniertesten Independent-Produktionen, das im Vorfeld schon allerlei Anerkennung verbuchen konnte. Mit dem H.P. Lovecraft als Vorlage widmet man sich zum einer recht sperrigen Materie und geht darüber hinaus noch einen Schritt weiter. Das Werk ist die erste Verfilmung des oftmals verschmähten Traumlande-Zyklus und setzt möglicherweise auf den Überraschungseffekt, den Huan Vu bereits mit seinen Filmen „Damnatus“ (2008) und „Die Farbe“ (2010) auslösen konnte. Warum sich der Sohn eines vietnamesischen Gaststudenten-Paares, das in den 70er nach Deutschland kam, noch nicht offen zur Gothic-Szene bekannt hat, ist mir schleierhaft. Seine Filme und Visionen sind wie die ästhetische Steilvorlage eines ambitionierten Grufties.
Die Geschichte des Films: „Roland, ein Waisenjunge mit einer schwierigen Vergangenheit, wird von einem mysteriösen alten Mann in eine andere Welt geführt, die über Jahrtausende hinweg von den großen Träumern der Menschheit im Schlaf erschaffen wurde. Dort herrscht der alte Mann als König und er möchte Roland zu seinem Nachfolger ausbilden. Doch Roland gelingt es nicht den dunklen Schatten zu überwinden, der auf ihm lastet, und er muss sich entscheiden, ob er seine Fähigkeiten dafür einsetzen will, um die Traumlande weiter zu vergrößern, oder um zu zerstören, was andere errichtet haben.“ (Quelle: The-Dreamlands)
Es gilt viel Wartezeit zu überbrücken. Der eigens eingerichtete Blog „700 Stufen des tiefen Schlummers“ soll in Zukunft über die Fortschritte und den Produktionsverlauf informieren und bietet bis jetzt einen gelungen Schnappschuss des Teams, das sich über die erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne freut.
Wie sagt man so schön? „Wir üben uns in Toleranz!“ Manchmal scheint mir, wir brauchen noch ganz viel Übung. Was wir ganz prima können, ist fremdschämen, ergötzen und herabsetzen. Kurz um: Wir lieben es, uns über andere zu stellen. Auch – oder vor allem – in der Szene. Es gibt sie überall, die Gothic-Proleten – gröhlend schwanken sie über das Festival-Gelände, sie quatschen permanent während des Konzerts, quetschen ihre übergewichtigen Körper in völlig unpassende Outfits oder stellen wahlweise ihre grotesken und braungebrannte Muskelberge in möglichst knappen Oberteilen zur Schau. Und wenn es auf irgendeinem privaten Fernsehsender eine Scripted-Reality-Soap mit Gothics gibt, dann kann man sich sicher sein, genau solche Gestalten dort vorzufinden – sie wissen nichts über die Szene, finden das alles eigentlich nur geil und meinen, ihren Partner mit einem Halsband über das Festival-Gelände zu führen wäre cool. Man selbst ist dann erleichtert und ein bisschen stolz: So schlimm bin ich nicht. So würde ich niemals benehmen. Meine Szene ist völlig anders. Das Prinzip erscheint immer gleich: Ich mache mich selbst besser, indem ich andere herabsetze. Habe ich das denn wirklich nötig? Ist mein Leben verpfuscht, mein Kindheit eine Katastrophe, hatte ich nie Zugang zu Bildung und muss ich 3 Putz-Jobs machen um mich über Wasser zu halten? Wir sind wohl chronisch unzufrieden und schlecht gelaunt und wir denken unsere Situation ist im Vergleich mit anderen immer ein bisschen schlechter. Das schlägt dann wohl auf die Toleranz, wie mir scheint. Beim Betrachten der vielen Bilder vom Amphi-Wochenende ist mir aufgefallen, dass ich wohl auch noch ein wenig Übung brauche mit dieser Toleranz. Andere können es nicht besser. Ich kann.
Die Gothic-Kultur: Einblick in die Schwarze Szene | Extremnews
„Die etwas anderen Nachrichten“ haben es sich einem jüngst erschienen Artikel zur Aufgabe gemacht, einer Überblick über die schwarze Szene zu geben und aufzuklären: „Gruftis werden sie manchmal genannt und oft negativ kritisiert. Dabei sind die Anhänger der Gothic-Szene keineswegs furchteinflößend. Sie gelten als sehr friedlich, unnahbar und wirklichkeitsfremd. Ein interessantes Merkmal der Kultur ist, dass sie keine gemeinsame Ideologie besitzt und auch keine politischen Ziele verfolgt. Die Jugendlichen beschäftigen sich eher mit sich selbst und suchen Ruhe und Orte der Einsamkeit, weswegen sie öfter auf Friedhöfen anzutreffen sind. Trotzdem ist die Bewegung keine Trauerkultur. Gothics sind historisch interessiert und begeistern sich für Epochen des Mittelalters, der Romantik, des viktorianische Zeitalters und der Gründerzeit. Außerdem beschäftigen sie sich viel mit Musik, Mode, Poesie und Malerei.“ Da steckt viel drin und es ist für jeden etwas dabei. Der Abschnitt liest sich so ein bisschen wie ein Horoskop. Obwohl man nicht dran glaubt, findet man sich doch wieder, egal welches Sternzeichen man nun wirklich hat.
Königin der Gothic Novel | Deutschlandradio
Vor 250 Jahren wurde sie geboren, mit 23 heiratete sie den Herausgeber William Radcliffe, der sich zum Schreibe aninmierte. 1794 erschien das Werk „The Mysteries of Udolpho“, das sie berühmt machte. „Das Spiel mit der Angstlust. Dem modischen Genre des Schauerromans gab die „mächtige Zauberin“, wie sie der Kollege Walter Scott nannte, ihre ganz eigene Richtung. Nicht nur mit ihren stimmungsvollen und detaillierten Landschaftsschilderungen. Mit dem Schrecken geht sie – anders als viele Kollegen – recht sparsam um und überlässt vieles ganz bewusst der Fantasie: „Der bereitwilligen Vorstellungskraft verschaffen halb ins Dunkel gehüllte Formen ein größeres Vergnügen als die deutlichste Szenerie im Sonnenlicht.“ Lange wurde Ann Radcliffe als Vertreterin der Empfindsamkeit gesehen. Dabei müssen alle ihre Heldinnen lernen, ihre Gefühle zu kontrollieren – und am Ende triumphiert immer die Vernunft.“
Dark Portraits | Dino Ignani
In den frühen 80er verbreitete sich „Gothic“ wie ein Lauffeuer – oder passender: wie die schwarze Pest. England, USA, Deutschland, Frankreich und selbst in das sonnige Italien schwappte die düstere Bewegung. Zwischen 1982 und 1985 macht sich Fotograf Dino Ignani auf, um in Rom schwarze Veranstaltungen, Konzerte und Discotheken aufzusuchen um dort diese „Goths“ zu finden, die mich dann doch mehr an die New Romantics oder Popper erinnern als an das, was wir hierzulande aus „Gothic“ machten. Trotzdem, sehenswert.
Gothic-Treffen: Tanz, Tod und Teufel | Kölner Stadt-Anzeiger
Die Festival-Saison ist in vollem Gange. 16.000 Besucher sollen sich das Amphi-Festival in Köln angesehen haben, auch Katja Diepenbruck vom Kölner Stadt-Anzeiger war dabei: „Das Amphi-Festival am Tanzbrunnen ist eine verkehrte Welt. Wer hier in Jeans und T-Shirt auftaucht, fühlt sich nicht, wie überall sonst auf der Welt, ziemlich normal. Sondern als Exot. Normkonform ist auf dem Gothic-Festival, wer sich möglichst furchterregend in Schwarz hüllen kann.“ Ein Sammelbecken, oder besser: Ein Tanzbrunnen voller Individualisten. Alles scheint erlaubt, hautpsache „anders“: „Es ist das Gesamtkonzept der Veranstaltung, dass uns aus Nordhorn ins Rheinland führt“, sagt Cornelia Hertwald, die nur ein schwarzes Netz am Körper trägt und sich schon den zweiten Becher des Trunks gönnt. Auf ihren Stil angesprochen, muss sie grinsen. „Na ist doch klar – die Gothic-Szene ist ganz eng mit der Fetisch-Szene verbunden. Deshalb laufen hier auch Paare herum, bei der einer den anderen am Halsband führt. Alles harmlos. Es ist einfach eine Art Hobby.“ In diesem Zusammenhang auch Lesenswert: Schwarze Szene feierte im grellen Sonnenlicht (koeln.de) – Alternativ dazu gibt es eine Sichtweise von „Innen“, denn die Gothmum ist ebenfalls auf dem Amphi gewesen.
„Habe alles erreicht“ Satan erklärt Rücktritt | Welt
Endlich! Satan hat ausgedient und gesellt sich zu Gott in den wohlverdienten Ruhestand. „Damit hätte nun wirklich keiner gerechnet: Satan will künftig nicht mehr für das Böse auf der Welt zuständig sein. „Meine Rolle, mein Wirken sind ausgereizt“, erklärte der Höllenfürst dem Fachmagazin „Black Metal Hammer“. Die jüngsten Vorkommnisse in der Ukraine, das Wiederaufflammen der Gewalt im Nahen Osten sowie unzählige weitere mörderische Konflikte, über die wegen Platzmangels in den Medien nicht berichtet werde, hätten in ihm den Entschluss reifen lassen, die Kapitänsbinde niederzulegen, gab Satan zu Protokoll: „Ich glaube, die Menschheit braucht mich nicht mehr, es geht auch ohne mich.“ Satan, ruh Dich aus, du hast es Dir verdient. Wir Menschen haben viel gelernt.
Ein Review, das keins sein möchte | Otranto-Archive
Karnstein hat eine Nachricht erhalten. Ein „Industrial-Metal“ Band bittet um die Rezension ihres Albums, hängt ein Pressepaket mit dran und wartet. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie diese Nachricht dann doch bereuen, denn Karnstein rezensiert tatsächlich: „Was soll ich also davon halten, wenn mich eine “Industrial-Metal”-Band anschreibt und um ein Review ihres neuen Albums bittet? Vll. ist ihr Schaffen durchzogen von geschickten Anleihen aus der Art von düsterer Literatur für die die Otranto-Archive ebenfalls stehen? Oder man zeichnet sich durch sprachliche Finesse aus? […] Plötzlich aber springt der kleine Englischlehrer in mir auf und markiert mit seinem Rotstift eilig Textstellen wie: “for many childs”, “felt down from the stars”, “these glory”, “we should connecting” und fragt sich, warum Menschen, die in ihren Pressetexten sogar Probleme mit ihrer eigenen Muttersprache offenkundig werden lassen sich auch noch an einer Fremdsprache vergehen müssen.Mir bleibt nichts anderes übrig: Ich muss mir die Musik mal anhören um vll. wenigstens etwas finden zu können, was mir zeigen könnte, warum sich ausgerechnet solche Leute die Otranto-Archive aussuchen um beworben werden zu wollen.“ Karnstein, ich bin bei Dir. Im Geiste jedenfalls. Ich verkneife mir solche Rezensionen dann doch irgendwie, du machst das sowieso viel lesenswerter ;-)
Eating lunch with the Dead | Dangerous Minds
Für zwei Tage im Jahr, eine Woche nach dem orthodoxen Oster-Fest versammeln sich Familien in Moldawien an den Gräbern ihrer geliebten, um mit ihnen ein Festmahl zu veranstalten. „Often wearing their best clothes, the families bring food, drink and favorite treats to share together as they celebrate the life of their dead relative. Prayers are said, candles are lit, a glass of wine poured for the deceased and placed on their tombstone, symbolically keeping the dead part of living family life.“ Bizarr?
Festivals und das auferlegte Rad des ewigen Leidens | Cryptic Trails
Die spitzeste Feder des Westens, Robin Wilke vom Cryptic Trails Webzine, hat wieder zugeschlagen. Das Thema gewinnt durch die aktuellen Ereignisse auf diverse Festivals wieder an Bedeutung und hätte nicht besser (wenn auch etwas langatmig) auf den Punkt gebracht werden können: „Und das wir alle irgendwie schuld sind, liegt auf der Hand. Also, wenn ihr euch das nächste Mal via Facebook, in Foren oder im Freundeskreis darüber lauthals beschwert, wie gleichförmig, langweilig und BWLmäßig die Konzertlandschaft geworden ist, dann packt euch an die eigene Nase. Geht nächstes Jahr nicht zu dem Festival, über das ihr euch schon in den Vorjahren aufgeregt habt. Laßt das Hochglanzmagazin im Regal stehen, anstatt euch darüber zu beschweren, daß diese Zeitschriften Scheiße zu Gold hochjubeln. Kauft keine CDs mehr von satten, sich ewig wiederholenden Bands, mit denen ihr zwar aufgewachsen seid, aber die heute nur noch ein Schatten ihrer selbst sind […] Wer den Euro im Geldbeutel hat, der hat auch die Macht, etwas zu verändern, oder glaubt ihr wirklich noch, es geht bei all dem um irgendwas anderes?“ Natürlich könnten wir das jetzt auseinander nehmen und wie Trolle einzelnen Fakten widersprechen, für den Moment lassen wir Robins Text aber einfach mal so im Raum stehen.
The Stranglers about the color Black (1982) | BBC
Zwei Bandmitglieder der Stranglers wurden seinerzeit gefragt, ob sie nicht einmal eine Dokumentation über die Farbe Schwarz machen möchten. Haben sie dann auch gemacht. Herausgekommen ist das ultimative und argumentative Quellen für den geneigten Goth. Sollte man jedenfalls meinen.
Comic Con 2014 | Nerdcore
Und hier mein Beitrag zur Szene-Differenzierung. Es gibt nämlich auch Szenen, in denen man sich prima verkleiden kann. Die sind für sich genommen auch ziemlich großartig und gibt nicht nur in San Diege sondern auch in Deutschland.
Riesige Reifröcke, enge Corsagen und auslandende Mühlsteinkrägen enden in kunstvoll gestalteten und verzierten Gesichtern. Auf dem viktorianischen Picknick zum Wave-Gotik-Treffen in Leipzig sieht es aus wie in den Kulissen eines historischen Films. Bunte Kostüme aus allen Epochen adligen Daseins, sind das noch Gothics? Aus Sicht der schwarzen Szene sind die Neo-Romantiker, wie man diese Strömung nennt, eine durchaus umstrittene Entwicklung. Auf der einen Seite hält man sie für die Reinkarnation alter und ungeschriebener Gothic-Werte, die sich vorallem im Geist des Selbermachens und der Kreativität in düsterer Ästhetik wiederfinden sollen, auf der anderen Seite beäugt man die pompösen Verkleidungen skeptisch und hält die Meisten für exzentrische Selbstdarsteller, die mit dem Lebensgefühl und dem „Schwarzsein“ der Szene nicht viel gemeinsam haben. Filmemacherin Inga Siebert hat vor rund einem Jahr damit begonnen eine Dokumentation zu drehen, da sie sich und ihre Szene von den existierenden Produktionen unverstanden fühlte. In einem Interview, dass ich damals mit ihr führte, sagte sie: „Und jedes Mal dachte ich mir, das müsse doch mal Jemand richtig machen und eine Doku drehen, welche wirklich von den Menschen in der Szene handelt, ohne alle als Freaks, Traumtänzer, oder Wichtigtuer abzustempeln. Zum anderen wollte ich schlichtweg eine Hommage an diese wundervolle Gemeinschaft und dieses Lebensgefühl schaffen, wo wir uns zu Hause fühlen und was uns so verbindet.“
Pünktlich zu Pfingsten – etwas hinter ihrem eigentlichen Zeitplan – war es dann soweit. Zusammen mit dem MDR präsentiert sie ihre Dokumentation „Vita Nigra – Leben in Schwarz“ der Öffentlichkeit und obwohl sie dem MDR in einem Interview verrät, dass sie „eher auf die Reaktionen der Menschen gespannt [ist], welche mit der Szene gar nichts am Hut haben“ hat sie mich gebeten, trotzdem einen Blick auf ihr Werk zu werfen. Dieser charmanten Einladung bin ich natürlich erlegen und habe mir die Dokumentation ein zweites mal angeschaut.
Der Film eröffnet mit der Verwandlung von Inga Siebert in „Neccitra Necultra“ und stellt die äußere Metamorphose wie das abtauchen in einer andere, düster-romantische Welt dar. Meine Gedanken, ob das im Falle von Inga eine Verkleidung oder Befreiung ist, werden von der Einblendungen „Die schwarze Szene ist keine Jugendkultur. Es ist eine Art zu leben. Aber was macht uns aus? Was verbindet uns? Was wollen wir darstellen? Worin liegt der Sinn? Wer sind wir?“ jäh unterbrochen. Die schwarze Szene keine Jugendkultur? Eine unglückliche Formulierung, denn ich halte die schwarze Szene immer noch für eine Jugendkultur und würde eher titeln: „Die schwarze Szene ist nicht nur eine Jugendkultur.“ Dennoch, es ist auch eine Art zu leben und genau diesem Fakt will Inga mit ihrer Dokumentation auf den Grund gehen.
Es dreht sich hauptsächlich um die drei Protagonisten Christine, Jan (18) und Ulla (34), die als Menschen aus der Szene einen sehr gelungenen Schnitt durch die Bandbreite der Neo-Romantiker darstellen und mit der Frage nach dem Anfang ihrer „schwarzen Karrieren“ beginnen. Christine erzählt von den Schwierigkeiten, die man als Gothic in einer dörflichen Umgebung erfährt: „Manchmal sind die Leute zwar sehr interessiert, aber man stößt dann doch auf Granit wenn man irgendwie versucht zu erklären, was einen daran so fasziniert oder wieso man da jetzt zu Hause ist in dieser düsteren Welt.“ Jan hat in der Szene, so sagt er, viel über sich gelernt und hat sich von einer „anfangs sehr schüchterner Person“ zu jemandem entwickelt, der über seine Identifikation mit dem ästhetischen und musikalischem der Szene, viele Leute kennengelernt hat.
Viona Ielegems, Initiatorin der Gala Nocturna, in historische Kulisse ihres eigenen Schlosses.
Auf die Bedeutung von Gothic angesprochen offenbaren sich sehr differenzierte und interessante Sichtweisen. So scheiterte Christine bereits einige Male daran, den Begriff anderen zu erklären sagt, Gothic ist „ist in erster Linie ein Gefühl, dass man einem Menschen nicht erklären kann, wenn er nicht selber einen Zugang dazu hat.“ Ich stimme dem völlig zu, wie will man Gefühle schon rational erklären? Ulla schafft jedoch einen sehr guten Einstieg in das Lebensgefühl der Neo-Romantiker: „Gothic bedeutet für mich: Ausdruck und Eindruck […] Ich glaube in der heutigen Zeit, die so hektisch ist – alles muss perfekt sein, alles muss schnell gehen, alles mus praktisch sein, niemand hat mehr Zeit – ist das alles so ein bisschen die Sehnsucht nach dem Loslösen davon und ich glaube, dass jeder seine kleine Tim Burton Welt um sich herum aufbauen möchte, um einfach an dieser Ignoranz des Alltags nicht zu zerbrechen.“ Es wird immer deutlicher, dass Inga mit der Beschränkung, nur eine Splittergruppe innerhalb der schwarzen Szene zu dokumentieren, eine gute Entscheidung getroffen hat, denn die Erklärungen der Interviewpartner sind erstaunlich homogen und lassen sich leicht auf einen gemeinsamen Nenner herunterbrechen. Die Beschäftigung mit seiner eigenen Szene-Existenz in Form einer Dokumentation garantiert die Augenhöhe gegenüber seinen Interviewpartner und der Thematik. Für Jan steht eben diese Beschäftigung mit sich Selbst im Vordergrund. Er sieht die Szene als eine andere Form des Ausgleichs, die „nicht so weit von sich weg“ ist, um letztendlich die eigene Authentizität zu wahren.
Die Gala Nocturna, die einmal jährlich in Antwerpen stattfindet, ist ein Höhepunkt der Neo-Romantiker. Viona Ielegems, die Initiatorin der Gala erzählt in der Dokumentation, wie sie mit der Veranstaltung ihren Traum verwirklicht hat, einmal wie einem Filmset zu feiern. Sie möchte sich damit dem Teil von sich selbst hingeben, der aus der Verkleidung das Lebensgefühl macht. „Mann kann sagen, wir wollen unserem Leben mehr Bedeutung geben und wir finden diese Bedeutung im Erschaffen von schönen Dingen.“ Sie ging sogar noch einen Schritt weiter, kaufte Schloss Heinrichshorst in der Nähe von Magdeburg und zog mit Mann und Kind in ihren gelebten Traum. Es bleibt fraglich, ob andere Neo-Romantiker das nötige Kleingeld aufbringen können, um ihrer Utopie von Ästhetik Gestalt zu verleihen.
Ein Leben für die Ästhetik
Ästhetik ist enorm wichtig – darin sind sich Christine, Jan und Ulla einig. „Die Sehnsucht nach Anstand, nach Werten und nach Ruhe. Nach Ruhe und Frieden und schönen Dingen. Es ist leider im Alltag nicht allzu häufig, dass man von schönen Dingen und guten Manieren umgeben ist.“ Die Klamotten sind jedoch nicht alles, wie Christine zu erzählen weiß: „Man würde lügen wenn man sagen würde das die Kleidung keine Rolle spielt. Aber ich finde schon, dass es eine falsche Wahrnehmung ist zu sagen, dass es nur darum geht. Und wenn es manchen Leuten nur darum geht, dann sind sie entweder fehl am Platz oder zu bemitleiden. Ich glaube man merkt auch ganz schnell, wenn nicht das entsprechende Lebensgefühl oder die Einstellung dahintersteckt.“ Aber was steckt denn nun dahinter? Diese Frage wird nicht abschließend beantwortet, vielleicht ist sie auch gar nicht abschließend zu beantworten.
Ludwig Lilienthal, der als Designer und Schneider seine Kreationen feilbietet, ist für mich ein etwas sperriger und widersprüchlicher Zeitgenosse. Während er wie Kollege Lagerfeld den Stand vertritt „Wer einen Jogging-Anzug trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren“ fordert er auf der anderen Seite, dass man sich für die Oper mit Anzug und Krawatte „chic“ macht. Vielleicht lässt er dabei außer Acht – er besitzt ja nicht mal ein paar Turnschuhe – dass Sport in Korsett und Pikes weder chic noch angemessen sind, sondern einfach nur unpassend. Wer einen Jogging-Anzug trägt hat demnach nicht unbedingt die Kontrolle über sein Leben verloren, sondern geht einfach nur joggen. Seine Relevanz für die Dokumentation erschließt sich mir nicht wirklich, was möglicherweise an fehlender Aussage in seinen Ausführungen liegt. Als Erklärung für die Ästhetik der Neo-Romantischen Gemeinde füllt er zumindest einige der Lücken.
Für die Zukunft sehen sich alle weiterhin in ihrer schönen Welt, die sie sich aufgebaut haben. Für die Meisten steckt immer noch zu viel Begeisterung und Leidenschaft in ihrem Szenedasein um ein Ende abzusehen. Warum auch? Der gelebte Rückzugsort in einer überzeichneten Parallelwelt scheint in Zukunft immer wichtiger zu werden, um sich Erholung vom Alltag zu verschaffen.
Fazit
Mit ihrem Konzept, nur einen Teil der „schwarzen Szene“ zu beleuchten, ist Inga auf einem sehr spannenden Weg. Dass sie sich selbst in der Szene bewegt ist ein zweischneidiges Schwert, denn zum einen leidet die Objektivität, während die viel beschworene Authentizität deutlich höher erscheint. Die Protagonisten sind gut ausgewählt und gewähren einige interessante Einblicke hinter die oftmals weiß geschminkte Fassade. Dennoch bleiben die Eingangs gestellten Fragen nahezu unbeantwortet und können allenfalls aus den Antworten der Befragten abgeleitet werden. „Was macht uns aus?“ Die bedingungslose Leidenschaft für historische Ästhetik? Das Schaffen einer Parallelwelt um der Funktionalität des Alltags zu entkommen?
Die Doku ist ein interessanter Anstoß eine Subkultur näher zu beleuchten. Der Begriff „Gothic“ und „schwarze Szene“ sind viel zu überladen um sie in einer einzigen Dokumentation zu erschlagen. Mit dem Einblick in diese Splittergruppe eröffnet sich die Möglichkeit, Barrieren abzubauen. Gerade hinsichtlich der Eingangs erwähnten Differenzen. Es gibt sie, die reinen Selbstdarsteller in prunkvoll zusammengekauften Kostümen, doch einige Szenemitglieder haben ihre Existenz mit Fertigkeiten, Inhalten und Verhaltensweisen ergänzt. Dadurch ist aus dem Kostümball eine eigene Subkultur geworden, die sich unter den erwähnten Oberbegriffen zu Hause fühlt.
Nicht Gothic? Jede Splittergruppe fühlt sich gerne als „Kern der Gothic-Szene“, dabei ist das gar nicht notwendig und nahezu unmöglich, denn Gothic, dass kann niemand so richtig erklären. Etwas auszufüllen, dessen Grenzen man nicht definieren kann ist eben schwierig. Auch diese Dokumentation schafft es nicht „Gothic“ zu erklären. Muss sie auch gar nicht. Das Bewusstsein, Neo-Romantiker zu sein befreit von den Fesseln etwas zu erklären, was man nicht erklären kann. Diese Doku ist eine großartige Hommage an die eigene Szene, die vielen Szene-Skeptikern den Sprung über den Tellerrand erleichtern kann. Ich bezweifle jedoch, dass sie einem Außenstehenden ohne das Hintergrundwissen und die notwendige Differenzierung erklären kann, was Neo-Romantiker sind, was sie mit Gothic gemeinsam haben und was hinter den Kostümen steckt.
Der Decalook Katalog 1’86 lässt Grufti-Herzen höher schlagen. „Dekadenz“ war ein Underground Klamottenladen, der 1983 in Helsinki von Ville Nisonen eröffnet wurde. Im Laufe der Jahre entwickelte er sich zu einem der wichtigsten Institutionen der finnischen Gothic-Szene. Von 1985 bis 1987 gehörte auch ein kleines Plattenlabel dazu, in der Besitzer und Betreiber Nisonen auch seine eigene Band „Garbagemen“ vertrieb, die er 1986 mit Viktor Klimenko gründete. Aus dem Archiv von kiiimm habe ich einige Aufnahmen des Katalogs „Decalook 1’86“ ergattert, die ich euch nicht vorenthalten will.
Bei Youtube habe ich dazu noch ein kurzes Video gefunden, dass Ladenbesitzer Nisonen zeigt und auch ein paar Impressionen aus dem Dekadenz Geschäft in Helsinki. Wer sich in einer Übersetzung versuchen möchte oder weitere Informationen zum Laden oder dem Besitzer hat: Ich würde mich freuen.
Die blaue Stunde, die das Wave-Gotik-Treffen für viele Leser ein- und wieder ausklingen lässt, ist längst ein Begriff. Selten schwebten so viele Grablichter auf die große Wiese beim Parkschlösschen, wie dieses Jahr. Die Eröffnungstanznacht am Donnerstag vor dem Pfingstwochenende ist wohl die gelungenste Einstimmung – dunkel, romantisch, besinnlich und irgendwie ein bisschen mythisch.
Dennis Merbach ist ein besonderer Liebhaber dieser Nacht, seine Augen funkeln immer noch ein bisschen heller als die Fackeln, die den Tanzkreis säumen. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass in ihm der Wunsch reifte, die Idee einer solchen Nacht auch über die Leipziger Stadtgrenzen hinaus zu tragen. Am 19. Juli 2014 um 20:00 ist es soweit. Der „Bal des Corneilles“ (Ball der Krähen) feiert seine Premiere in Offenbach. Exklusiv habe Spontis-Leser die Möglichkeit, daran teilzunehmen und vor allem mitzumachen, damit der Ball als voller Erfolg auch wiederholt wird. Die Idee ist großartig und auch könnte ich mir keinen besseren Gastgeber als Dennis vorstellen, den viele Leser schon auf diversen Treffen unserer kleinen Gemeinschaft kennenlernen konnten.