Le Petit Mort – Sex, Drugs und Mukoviszidose

Jörn Ranisch, der seit seiner Lehre von allen „Pfeffi“ genannt wird, wurde 1969 in Greifswald geboren und gehört seit den späten 80ern zu der auch in der DDR existierenden Gothic oder Gruftie-Szene an. In seiner Autobiographie Le Petit Mort erzählt er von guten und negativen Erfahrungen mit der Szene und der übrigen Gesellschaft, vom trotzigen Aufbegehren gegen staatliche Bevormundungen und seine lebensbedrohende Krankheit, vom Spaß am Leben in der düster-melancholischen Welt der schwarzen Subkultur.

Als Pfeffi in der Mitte der 80er durch seine Mukoviszidose den Anschluss zur restlichen Jugend in der DDR verlor und ausgegrenzt wurde, interessierte er sich mehr und mehr für alternative Jugendszenen, in denen Ausgrenzung und Anderssein zum Leben gehört. Im Lehrlingsinternat entwickelte er zunehmendes Interesse für die Punk und Gruftie Szene und erfuhr so Zugehörigkeit zu einer Clique. Seit nunmehr 20 Jahren lebt er als Gruftie unter Punks, Skinheads und anderen unangepassten Jugendlichen. Eine Zeit der Freiheit und der Selbstverwirklichung, abseits kommerzorientierter Spießer und Doppelmoral.

Bücher, die vermeintliche Innenansichten einer Szene vermitteln wollen, gibt es wie Sand am Meer. Mit lächerlichen Versuchen den Reiz der Szene zu erklären, zu erfassen oder zu beschreiben hält sich Jörn Ranisch gar nicht erst auf und hebt sich damit positiv vom Einheitsbrei selbsternannter Gothic-Bibeln ab. Das Buch ist eine akribische Auflistung seines Lebens mit allen Höhen und Tiefen die ihm sein Umfeld oder seine Krankheit beschert hat. Seine unverblümte und direkte Schreibweise machen das Buch zu einer angenehmen Lektüre die kein aufgeschlagenes Fremdwörterlexikon zum verstehen benötigt. Die Paarung mit Sarkasmus und Wortkreativität („Schichtkotzen“) machen  aus diesem Werk eine der besten Innenansichten der deutschen (und ostdeutschen)  Gothic Szene. Darüber hinaus zeigt es die Wende aus der Sicht eines Jugendlichen, Leben mit einer Behinderung aus der Sicht eines Behinderten und Deutschland aus der Sicht eines Grufties.

Nachdem ich das Buch gelesen hatte, erschien mir mein Leben als zu kurz um alles das nachzuholen, was Jörn Ranisch erlebt hat. Es wird deutlich, dass unser Leben das wichtigste Geschenk ist, das wir jemals bekommen haben – den Tod täglich vor Augen lebte er seinen Leben so, wie es der ein oder andere gern leben würde.

Le Petit Mort bedeu­tet wört­li­che Der kleine Tod, steht im Fran­zö­si­schen aber für einen Orgas­mus. Damit beschreibt er unter ande­rem die Dua­li­tät in sei­nem ereig­nis­rei­chen Leben, denn eigent­lich muss Ranisch jeden Tag mit sei­nem Tod rech­nen, die durch­schnitt­li­che Lebens­er­war­tung eines an Mukoviszidose erkrankten Menschen hat er bereits deut­lich über­schrit­ten, sein Lebens­hun­ger ist dabei unge­bro­chen, seine sexu­el­len Phan­ta­sien viel­fäl­tig und seine Krea­ti­vi­tät groß­ar­tig. Autor Jörn Ranisch lebt (immer noch) in Ber­lin, ist 38 Jahre und ist als Yoran Nesh auf sei­ner Inter­net­seite zu genie­ßen. Außer­dem enga­giert er sich noch für das Pro­jekt Cul­ture on the Road und infor­miert Jugend­li­che was es heißt, Gothic zu sein.

Dass seine 422 Sei­ten starke Auto­bio­gra­phie nicht allen gefal­len hat, zei­gen 8 geschwärzte Text­pas­sa­gen, die der Ver­lag nach Pro­zes­san­dro­hung bede­cken musste. Offenbar waren einige Protagonisten des Buches nicht mit ihrer Beschreibung oder den Erzählungen der Begebenheiten aus seiner Sicht zufrieden. Als Aus­gleich hat Pfeffi die Erst­auf­lage von 3000 Bücher per­sön­lich signiert. Das Buch ist beim Archiv der Jugend­kul­tu­ren erschie­nen und für 18€ zu haben, von denen sich wirk­lich jeder Cent lohnt.

Buchcover von le petit mort

(Bild­quelle: Yoran Nesh)
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