Modelabel Gothic – Warum die Subkultur von Designern ausgeschlachtet wird

Gathering of Shadows„, so nennt die japanische Modedesignerin Rei Kawakubo die aktuelle Design-Linie für ihr Label Commes des Garçons, das sie jüngst in Paris der staunenden Fachpresse präsentierte. Spätestens als Parma Ham in seiner Funktion als DJ die sphärische Musik von einer Kanzel auf die versammelten Experten niederregnen lässt, während die ersten Models einstolzieren, bleiben keine Zweifel offen. Wieder hat sich eine Designerin daran versucht, die Inspiration einer Subkultur in einer Modelinie umzusetzen.

Doch Kawakubo ist nicht allein. Bei Prada tragen die Models Wednesday-Gedächtnis-Zöpfe zu schwarzer Spitze und schweren Kampfstiefel. (Beispiele) Auch ein gewisser Marni, der sonst eher durch seine bunte Verspieltheit auffiel, setzt Akzente mit schwarzem Lippenstift und schweren Ketten. (Beispiele)

Doch warum ist das so? Warum ist die ästhetische Dunkelheit der Gothic-Szene immer wieder Vorlage für Designs bekannter Modedesigner?

Der subkulturelle Puls als ständige Wiederholung

In wiederkehrenden Rhythmen präsentieren Designer ihre düsteren Outfits und jedes Mal spekuliert man in der Presse darüber, ob es vielleicht Reaktionen auf aktuelle Ereignisse, weltpolitische Vorfälle oder gesellschaftliche Veränderungen sein könnten. Vermutlich ist die Erklärung aber viel einfacher.

Schon immer bedienten sich Modemacher den Styles der Subkulturen. Malcom McLaren und Vivienne Westwood bedienten sich zunächst an der Kluft der Teds (Teddy-Boys), die sie in ihrem Laden „Let it Rock“ in der Londoner King’s Road verkauften, bevor sich die beiden Mitte der 70er Jahre in der ästhetischen und inhaltlichen Vermarktung der Punk-Bewegung profilierten.

Designer lieben ästhetisch klar definierte Dresscodes, aus denen sie ihre Inspiration ziehen können. Die Gothics machten es ihnen besonders einfach. Schwarze Kleidung aus Leder, Lack oder Spitze, hier und da ein bisschen S&M und natürlich unkonventionelles Schuhwerk in Form von Kampfstiefeln oder spitzen Schnabelschuhen. Dazu geschlechtsunabhängiges Make-Up, gemischt mit religiösen oder okkulten Symbolen die nur noch durch die außergewöhnlichen Frisuren übertrumpft werden. Ein einfaches Rezept, das immer wieder und immer noch funktioniert. Gothic ist längst das Label für genau diese ästhetischen Grundregeln.

Dabei wird bewusst auf den sinnstiftenden Hintergrund der Szene verzichtet und eher am Rande als atmosphärische Bereicherung garniert. So spielen die musikalischen Wurzeln, die die Jugendlichen eben zu dieser Ästhetik animierten, noch die späteren inhaltlichen Auseinandersetzungen mit Melancholie und Morbidität eine Rolle. Schon in der 80er bedienten sich Designer am mittlerweile etablierten Dresscode der wachsenden Subkultur, um im Laufe der nächsten Jahrzehnte immer mehr davon in den modischen Mainstream zu tragen.

Mit der aufkeimenden Pop-Kultur der späten 90er wurde es letztendlich chic, sich immer wieder an den Stilen der Vergangenheit zu bedienen. Spätestens seit dem Millenium scheint es sowieso nichts mehr schöneres zu geben, als sich mit ästhetischen Wiederholungen zu schmücken oder stilistische Eintöpfe aus dem zu kochen, was man in alten Jugendmagazinen entdecken kann. Andi Harriman fasst das für Style Zeitgeist so zusammen:

At this point, goth has been so bastardized, we have to just accept it; otherwise we would be angry all the time. Publications often call anyone who wears a black dress, or has blood red lipstick, or who dons cat eye makeup as goth. There’s no way around it.

Leichte Beute und der Reiz des Bösen

Für viele Menschen ist unser Style ein Sinnbild für das Böse geworden. Nicht das Böse, was man nach außen hin ablehnt, sondern für das prickelnde, reizende, erotische und aufregende Böse. Wir sind – wenn man so möchte – die hübschen Antagonisten, die jeden gruseligen Film schmücken und zu denen man sich dann doch irgendwie hingezogen fühlt. Spätestens als Brandon Lee in „The Crow“ den leidenschaftlichen Rächer in Gothic-Kluft mimte, verbinden viele den damit verbundenen Look als den Reiz des Bösen. Jeder fühlt ein Stück weit mit Eric Draven als Rächer seiner getöteten Frau, obwohl wir wissen, dass die Ermordung der schrecklichen Bösewichte gerecht, aber unmoralisch ist.

Gothic ist die stilistisch leichte Beute, die in ihrer Ästhetik diese romantisch-exotischen Gefühlswelt verkörpert, ohne sich mit dahinter liegenden „Bösen“ zu identifizieren. Die Mode der Gothics – oder auf diesen Artikel bezogen – die Mode Gothic, ist für viele genau das: Ein vorübergehendes eintauchen in eine andere Welt, in der man sich besonders, irgendwie anders und ein klein bisschen böse fühlt.

Für Designer ist das ein patentes Rezept, ihren Kollektionen eine Richtung zu geben, von der sie meinen, dass sie die Menschen anspricht. Ein bisschen schwarzer Lippenstift, ein paar Kampfstiefel zur Feinstrumpfhose, ein Netzhemd zum braven Sakko und vielleicht hier und da ein Kreuz oder ein Pentagramm? Mit jedem „düsteren“ Merkmal fühlt man sich dann ein bisschen mehr „Gothic“.

Wir sind wohl dazu verdammt, als ästhetischer Freizeitpark für Menschen zu dienen, die auf der Suche nach einem neuen Reiz in ihrem Leben sind, weil sie ihr eigener Alltag befriedigt, aber gleichzeitig langweilt.

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Ella de Vil
Ella de Vil (@guest_57932)
Vor 4 Jahre

Nun, dort wo ich wohne, jenseits von großen Städten und Menschenansammlungen da bleib ich das Alien. Ganz gleich was in der weiten Welt passiert, hier kommen Veränderungen oder Entwicklungen erst später oder eher gar nicht an. So weit so gut.
Weiter denke ich dass „wir“ / die schwarze Szene,unseren Fokus logischerweise gezielt auf bspw. Designer und Aktionen welche sich unsere Subkultur bedienen lenken und dann evtl. angewidert, entsetzt oder verärgert etc. darüber sind wie wir “ ausgeschlachtet“ werden. Nur meine ich dass es die allermeisten Menschen gar nicht groß jucken wird und wenn nur kurz…dann kommt der nächste „heiße Scheiß“. Ich hätte mich früher sehr viel mehr darüber geärgert als ich es heute tue, auch weil ich weiß wie schnelllebig und oberflächlich unsere Gesellschaft oft ist. Allerdings habe ich leicht reden, ich muss nicht so vielen Zweibeinern, Reaktionen und Einflüssen tagtäglich begegnen. Der Wald und Mutter Natur liegt direkt vor der Haustüre und das ist das größte für mich. LG.

Mone vom Rabenhorst
Vor 4 Jahre

Gebt den Mädchen was zu essen!

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus (@guest_57934)
Vor 4 Jahre

Absolut gruselige Kollektion (dasVideo). Unförmig, seltsame Kunsttoffteile, da ist nun überhaupt nichts dabei, was mich anspricht und dem Gothic Look entlehnt wirkt es auch nicht auf mich. Es hat eher was von Science Fiction. Alltagstauglich ist das auch nicht, wird also vermutlich wenig Anklang in der Masse finden ;-)

Victor von Void
Victor von Void (@guest_57935)
Vor 4 Jahre

Der Fairness halber muss man aber sagen, dass nicht alle Designer, die mal was Schwarzes auf den Laufsteg bringen, damit nur kurzfristige Trends bedienen wollen. Einige (z.B. Gareth Pugh, Rick Owens, Ann Demeulemeester u.a.) hatten oder haben durchaus eine (mehr oder weniger starke) Affinität zur Schwarzen und artverwandten Szenen und ziehen schon seit Jahrzehnten Inspirationen daraus. Das ist dann mal mehr mal weniger offensichtlich, die „schwarze“ Linie ist aber immer da.

@Tanzfledermaus
Man unterscheidet verschiedene Linien: Haute Couture und Ready-To-Wear (oder auch: Prêt-à-porter).
Haute Couture ist in der Regel maßgeschneidert und handgenäht und dient mehr dazu die skulpturalen, künstlerischen Ideen zu zeigen, die werden in der Regel auch nur als Einzelstücke gefertigt und oft nicht verkauft.
Ready-To-Wear Kollektionen sind dagegen in der Regel in Konfektionsgrößen gefertigt und mit der Maschine genäht und das, was man dann auch kaufen kann (Kleingeld vorausgesetzt), auch wenn einiges davon natürlich immer noch sehr … seltsam … sein mag. Aber dabei geht es ja auch oft darum, abseits des Mainstreams zu bleiben und sich nicht der Masse anzubiedern.

Auseklis
Auseklis (@guest_57936)
Vor 4 Jahre

Aufgeplatzte Autoreifen als Hose zu tragen, ist doch auch mal was… Ich glaube, ich mag dann aber doch eher Mode, die Körperkonturen sichtbar macht bzw. diese zumindest erahnen lässt.

Und warum die alle so steif herummarschieren, als hätten sie zuviel Psychopharmaka intus, will mir auch nicht so recht einleuchten. Das vermittelt ein Gefühl von Langeweile. Ein Elvis-Hüftschwung täte denen mal gut.

Alles in allem scheint es mehr eine Re-Verwurstung des Visual-Kei-/Gothic-Lolita-Trends zu sein. Vor etwa 20 Jahren gab es eine Plattform namens Japanese Channel, die ganz ähnlich merkwürdige Fashion-Kreationen abbildete.

Wiener Blut
Wiener Blut (@guest_57937)
Vor 4 Jahre

„Warum ist die ästhetische Dunkelheit der Gothic-Szene immer wieder Vorlage für Designs bekannter Modedesigner?“ …. Gegenfrage: Warum sind die „Klamotten“ und ästhetischen Vorstellungen vergangener Jahrhunderte, naher und ferner Kulturen, immer wieder Vorlage für die „Klamotte“ der Gothic Szene geworden? Ein Mühlsteinkragen, ein Gehrock, ein… Bestimmte Klassiker der historischen Modegeschichte sind wohl dazu verdammt, als ästhetischer Freizeitpark für Menschen zu dienen, die auf der Suche nach einem neuen Reiz in ihrem Leben sind, weil sie ihr eigener Alltag befriedigt, aber gleichzeitig langweilt. ;-) Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Außerdem bin ich froh mehr problemlos im Alltag tragen zu können, als zB noch vor 15 Jahren… ganz einfach, weil die Mode und die Gesellschaft freier und toleranter geworden sind. Meine Freiheit und Toleranz gestehe ich dann aber auch den Damen und Herren am Laufsteg gegenüber zu. Ich muss nicht alles selber als ästhetisch gelungen empfinden, interessant ist es allemal.

Daniel
Daniel (@guest_57938)
Vor 4 Jahre

Ich möchte Wiener Blut applaudieren für diesen gelungenen Beitrag, der mir aus tiefster Seele spricht, und den Gedanken noch etwas ausführen: Anscheinend halten sich viele „Schwarzkittelträger“ gleichzeitig für die Gralshüter einer vermeintlichen unberührbaren Subkultur, die bei genauerer Betrachtung aber schon längst Teil des popkulturellen Kanons geworden ist. Und da gerade in der Gothic-Szene das Hauptaugenmerk auf die Mode gesetzt wird, ist es doch nur konsequent, dass sich Modedesigner davon beeinflussen lassen (wie sie auch schon die Rave-, Hippie- oder Hiphop-Kultur für ihre Zwecke genutzt haben). Einige Kommentare zeigen deutlich, dass sie in keinster Weise mit der Haute-Couture und dem Modezirkus vertraut sind. Um vielleicht zu erahnen, dass Mode vielleicht ein bisschen mehr ist als nur „Stofffetzen am Körper tragen“, sollte sich „Der Teufel trägt Prada“ anschauen, da auf leichte Weise ein Teil der Wahrheit über den Sinn und Zweck von Mode durchdringt.

Allen Spöttern möchte ich ebenfalls zurufen, sich doch kulanter und auch offener zu zeigen. Immerhin wird das gleiche ja auch vice versa verlangt. Der Gruftie möchte doch auch Gruftie sein und dafür nicht unebdingt angespuckt werden.

Und zum Schluss vielleicht auch mal ein Gedanke in die entgegengesetzte Richtung. Bedeutet ein Aufgreifen modischer Codes eines Modedesigners für seine Stücke nicht gleichzeitig auch eine Hommage u,d eine Wertschätzung dessen, was er von der Gothic-Szene sieht? Wenn ihn das nicht inspirieren würde, hätte er es auch nicht in seinen Kleidern verhandelt. Und in dieser Weise war es sehr künstlerisch.

Auseklis
Auseklis (@guest_57944)
Vor 4 Jahre

Allen Spöttern möchte ich ebenfalls zurufen, sich doch kulanter und auch offener zu zeigen. Immerhin wird das gleiche ja auch vice versa verlangt. Der Gruftie möchte doch auch Gruftie sein und dafür nicht unebdingt angespuckt werden.

Das ist eine Fehlwahrnehmung. Diese Darstellung Gruftie vs. Modewelt halte ich argumentativ jedenfalls für zweifelhaft. Die meisten Kritiker und Spötter des Gruftie-Stylings fanden sich – und da bin ich mir ziemlich sicher – in der Gruftie-Szene selbst, wohlgemerkt. Peinlichkeiten wurden da schon mal mit abwertenden Blicken oder auch verbal abgestraft. Gerade in einer stark ästhetisch und modisch orientierten Jugendkultur wird man kaum grenzenlose Offenheit bezüglich Kleidung und Design erwarten können.
Und wie sieht es denn nun außerhalb des jugendkulturellen Kontextes aus? Ich bezweifle, dass es in der Pariser Modewelt offener zugeht. Da muss man nun auch keine Lagerfeld-Zitate hervorkramen. Die spöttischen und bissigen Äußerungen von Kalle sind hinlänglich bekannt.

Natürlich sollte man offen sein für verschiedene Ausdrucksformen von Mode, keine Frage. Das funktioniert aber bei den meisten auch nur bis zu einem gewissen Punkt. Irgendwann trifft man auf Bereiche, deren Ausdrucksform man nicht mehr wirklich nachvollziehen kann. Das hat dann so einen faden Beigeschmack von „Aus Scheiße mach Kunst“.

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