Gothic Friday April: Unkonservative Ansichten eines konservativen Berufs (Jana)

Als Jana Strangeplant die Beiträge zum Gothic Friday im April las, war Sie erstaunt, wie tiefgründig und unterhaltsam die Teilnehmer ihre Erfahrungen im Beruf geschrieben haben. Die Tatsache, dass Sie ihrer Meinung nach keinen „szenetypischen“ und eher konservativen Beruf ausübt hat sie dann angestachelt, selber einen Beitrag zu verfassen. 

Einen spießigen Bürojob könnte ich nie machen!“ Ganz oft habe ich das in meinem Leben gehört, es sogar selbst geäußert. Als es darum ging, sich um einen Ausbildungsberuf zu bewerben, stand für mich fest, dass es einer werden sollte, in dem man schwarze Kleidung ohne Schwierigkeiten tragen und in den man sich einbringen kann, ohne sich zu verstellen und zu verbiegen…

Bestatter war in meinen Vorstellungen ein idealer Beruf. Ich fühlte mich dazu tatsächlich befähigt. Oft wurde und wird mir bestätigt, dass ich ein geduldiger, ruhiger, verständnisvoller Mensch bin, gut zuhören, argumentieren und Rat erteilen kann… Was jedoch die freien Lehrstellen anbelangte, war die Auswahl Mitte der 1990er Jahre recht überschaubar und so musste ich nehmen, was sich darbot.

Nun ja… es sollte sich herausstellen, dass meine beschriebenen Eigenschaften in meinem tatsächlich erlernten Beruf durchaus auch hilfreich sind. Zu uns ins „Büro“ kommen Menschen dann, wenn sie sich gerade in emotional angestrengten Lebenssituationen befinden. Wenn sie verärgert, verunsichert, verzweifelt oder besorgt sind, sich ungerecht behandelt fühlen und Rat suchen. Rechtlichen Rat, denn ich bin Rechtsanwaltsfachangestellte. Neben allerlei „Paragraphenpauken“ organisiere, schreibe, rechne und recherchiere ich, um meinen Chef zu unterstützen. Auf der anderen Seite kämpfe ich oft im Behördendschungel und nicht zuletzt bin ich für die Menschen, die mit uns in Verbindung treten, Ansprechperson und Vermittler zwischen knallharten rechtlichen Tatsachen auf der einen und dem reellen Leben auf der anderen Seite.

Jana Strangeplant - Die konservativeUnd genau das macht für mich den Reiz an meinem Beruf aus. Es ist nicht irgendein Bürojob. Es ist eine besondere Herausforderung. Jeden Tag habe ich Einblick in das Leben der unterschiedlichsten Menschen. Ihre Nöte und Sorgen, ihre Angst und Verzweiflung, aber auch ihr Glück, ihre Freude und Erleichterung. Ich beobachte, wie sie damit umgehen, welche Schlüsse sie ziehen und welchen Einfluss das wiederum auf ihr Leben hat.

Ich war schon immer jemand, der gerne hinterfragt, das ABER in Diskussionen einwirft und auch mal eine Mindermeinung vertritt, nach Alternativen sucht und die Kehrseite der Medaille betrachtet. In meinem Leben und auch durch meinen Beruf habe ich erfahren, dass Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld, Gewinn und Verlust, Freude und Leid nicht klar differenzierbar sind, nein sogar eng nebeneinander liegen, sich vermischen und sich einander bedingen. Es lohnt sich immer, das Yin im Yang zu suchen, offen zu sein, für das Positive und die Augen vor dem Negativen nicht zu verschließen. Immer wieder bestätigt sich für mich, dass Menschen, die danach leben, die glücklicheren sind. Diese Erfahrungen gelten für mich beruflich und privat.

Ich finde es nach wie vor wichtig, einen Job zu haben, der mich fordert und mit mir im Einklang steht. Umgekehrt fließt meine Persönlichkeit in die Art und Weise ein, wie ich meine Arbeit erledige. Nur so kann ich sie gut und auch gern machen und selbst mit mir zufrieden sein. Ich denke jeder, der seinen Beruf ernst nimmt und mit Freude ausführt, trägt Erfahrungen daraus mit in sein Leben und bringt seine Persönlichkeit auch in das Berufsleben mit ein. Dann wird es auch geschätzt und anerkannt.

Vielleicht hatte ich Glück bei der Berufswahl und mit den Kanzleien, in denen ich bisher gearbeitet habe, oder es hat sich so entwickelt, weil ich meinen Prinzipien treu geblieben bin. Auf jeden Fall empfinde ich meinen Job als Teil meines Lebens, auch wenn er augenscheinlich mit Gothic nichts zu tun hat.Und dennoch funktioniert es für mich miteinander.

Auch mit meiner schwarzen Kleidung. Ich trage schwarz seit ich 14/15 bin. Selbstverständlich und jederzeit auch auf Arbeit. Vorurteile oder Probleme haben sich daraus nie ergeben. Niemand hat sich – zumindest seit Ende meiner Schulzeit – mir gegenüber negativ deswegen geäußert. Natürlich achte ich auf gepflegte Kleidung und wenn ich morgens im Büro ankomme tausche ich die Schnürstiefel unterm Schreibtisch mit den Pumps oder Ballerinas. Möglicherweise hat der Bürojob auch dazu beigetragen, dass mein Stil privat etwas klassischer ausfällt. Aber prinzipiell trage ich meine schwarzen Miniröcke und Shirts sowohl im Büro als auch privat. Nur halt beruflich ohne Nietengürtel und ohne Löcher in den Strumpfhosen.

Ich kann mir nicht vorstellen, in Job und Privatleben unterschiedliche Personen zu verkörpern. Es macht mich glücklich, dass ich beruflich und auch privat von den Menschen um mich herum (Familie, Freunde, Kollegen und Chef) als die Person geschätzt werde, die ich bin, genauso wie ich bin.

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Flederflausch
Flederflausch(@flederflausch)
Vor 8 Jahre

Doch interessant wohin einen die Wege führen und womit man sich am Ende doch sehr wohl fühlt.
Ich wollte auch nie einen Bürojob machen, jetzt sitzt ich doch die ganze Zeit vor dem Rechner und ich muss ganz ehrlich gestehen, wenn mich irgendwann der Rappel packt und ich doch beschliesse, dass ich was anderes machen muss, dann würde ich über so einen „Orgajob“ tatsächlich auch nachdenken :)
Ich denke du spricht damit einen guten Punkt an, wenn du sagst, dass du einen Teil deiner Persönlichkeit miteinfliessen lässt, das macht einen ja gerade authentisch und damit greif- und verstehbar für andere Menschen.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 8 Jahre

Ein faszinierender Einblick in dieses Metier und was es für Dich bedeutet, zwischen den starren, theoretischen Regelungen und den realen Sorgen und Nöten des Lebens zu agieren.
Eine frühere Freundin von mir hat Jura studiert, sich aber sowohl gegenüber ihren Kommilitonen als auch späterem Arbeitgebengegenüber nicht getraut, zu ihrer Szenezugehörigkeit zu stehen. Es war ihr peinlich, allerdings vor dem Hintergrund der in den Neunzigern noch stärker präsenten Vorurteile gegenüber den Gruftis. Sie fürchtete um ihre berufliche Anerkennung und passte sich daher an. Jahre später traf ich sie zufällig wieder, sie arbeitet wohl recht erfolgreich als Juristin. Ist halt ihr Weg…
Ich kenne entfernt noch eine andere Rechtsanwaltsgehilfin, die sich allerdings aus anderen Gründen allmählich von der Szene entfernt und daher auch weniger in Konflikt gerät, wie sie sich auf der Arbeit kleidet.
Rechtssprechung und Rechtsberatung an und für sich finde ich spannend, nützlich, allerdings würden mich diese vielen Paragraphen abschrecken, die man lernen muss. Das bekam ich damals bei der Jurastudentin mit, wie krass das Lernpensum war. Das wäre mir persönlich zu viel Theorie, zu abstrakt. Schade eigentlich, aber in unserem Land ist so vieles bis ins allerkleinste Detail durchgeregelt – ob sinnvoll oder nicht sei mal dahingestellt – dass es extrem kompliziert ist, Recht und Unrecht einzustufen. Wäre es weniger kompliziert, praxisnaher, könnte ich mir mit meinem sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn (und Freude an Beratung/Lösungsfindungen) es sogar vorstellen, in diesem Bereich zu arbeiten.

strangeplant
strangeplant (@guest_52115)
Vor 8 Jahre

Mir persönlich tut es immer leid zu hören, dass Menschen ihr Privatleben ändern, für einen Job. Aber es muss ja nicht zwangsläufig negativ sein. Jeder entscheidet das für sich selbst und wird seine Gründe haben. Es gab auch Phasen in meinem Leben, da habe ich mich auf andere Dinge konzentriert, die mir halt damals wichtiger waren, die mich gefordert haben. Aber auch solche Zeiten sind prägend, tragen dazu bei, dass man sich entwickelt und bewegt. Zumindest empfinde ich es für mich so.

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