Die Störung der Totenruhe beschäftigte Mitte der 1990er Jahre noch so manches Gericht in Brandenburg. Einige Jugendliche nahmen ihre Leidenschaft für Tod und Teufel wohl etwas zu ernst, warfen Grabsteine um, gruben Leichenteile aus und trieben auch sonst jede Menge Unfug auf den Gottesäckern des Landes. Auf der Suche nach Gründen drängte sich das Wort „Satanismus“ förmlich auf, ein begriffliches Sammelbecken für alles „unchristliche“ das damals so manchen Bürger in Angst und Schrecken versetzte.
Finsterwalde war 1996 offenbar eine Keimzelle der „Satanisten-Szene“ in Brandenburg, wenn man einschlägigen Berichten aus dieser Zeit genug Glauben schenkt. Mitglieder dieser Sekte, so der Tagesspiegel, beschmierten einen Altar, schändeten Gräber und ließen Leichenteile herumliegen. Im November 1996 nahm man drei Jugendliche auf dem Friedhof in Finsterwalde fest, die mit einem Rucksack voller menschlicher Knochen unterwegs waren. Die Reportage „Kinder der Nacht – Satanskult in Brandburg“ will zusammenfassen, was damals Polizei und Bürger beschäftigte:
Leider ist dieser Film von Meinung der Filmemacher geprägt, so heißt es zum Ende des Films: „Was fasziniert junge Menschen wie Christian an Tod und Teufel? Schlagworte wie Perspektivlosigkeit, Provokation und Mystik sind sicher keine ausreichende Erklärung.“ Doch häufig genug sind genau das die Gründe. Provokation, die Suche nach dem „Kick“ und die Profilierung im Freundeskreis, der „böseste“ von allen zu sein. Selbst damalige Ermittlungen der Polizei kommen genau zu dieser Erkenntnis.
Einen Sektenähnlich organisierten Satanismus, so das Fazit seiner Ermittlungstätigkeit, gibt es in Finsterwalde nicht. Die meisten Straftaten seien vielmehr Ausdruck einer jugendtypischen, spontanen Lust an Provokation.
Provokation, bei der man Leichenteile entwendet, Kreuze beschädigt oder Altäre verwüstet, ist allerdings völlig daneben. Sie dient einzig und allein dem Ego des Individuums, das seine trägen Synapsen mit immer neuen Herausforderung reizen will oder zwanghaft versucht, Aufmerksamkeit und Anerkennung in seinem Umfeld zu erzeugen. Eine provozierende Botschaft wird meistens nachträglich hineingedichtet, um seine niederen Beweggründe mit einem vermeintlichen Zweck zu erfüllen.
Immerhin, der Bericht zeigt auch die damalige schwarze Szene in Brandenburg, die sich klar von solchen Handlungen distanzierte und zeigt, das Gothic und Darkwave nichts mit diesem sogenannten „Satanismus“ zu tun hat. Ob Satanisten allerdings versuchten, Nachwuchs in Szenekreise anzuwerben, wie der Bericht anfügt, halte ich für fragwürdig. Die Statistik, dass sich rund 5% der Gothicszene anwerben lassen würden, wird nicht belegt.
Im Zeichen der Pandemie scheinen sich die Fronten zu verschieben, denn während „normale“ Menschen den Friedhof als Spielwiese für ihre Freizeitaktivitäten nutzen, ist es vor allem die schwarze Szene, die sich darüber echauffiert und ihren Rückzugsort der Stille, Ästhetik und Mystik in Gefahr sieht.
Ich habe gestaunt, dass Christian bereit war, vor der Kamera so viel von sich preiszugeben, aber auch dass er im Laufe des Beitrags die Chance bekam, sich in der Pathologie umzusehen – also auf ihn und seine Interessen zugegangen wurde. Der Pathologe, der ihm die Dinge dort zeigt und erklärt, macht einen sehr entspannten und offenen Eindruck, das ist vermutlich der richtige Umgang mit dem jungen Mann.
Aber beim letzten Gespräch wird ihm als DIE Lösung für seine Probleme und Lebensfragen eine Bibel aufgedrängt… war ja klar. Als ob es nichts anderes gäbe, das in Frage kommt. Das finde ich auch schlimm, dass als einziger (Aus-)Weg für diese jungen Leute der Weg „zurück zu Gott“ gesehen wird.
Es gibt doch keinerlei Beweise für die Existenz eines Gotts, und an so einer menschlichen Kopfgeburt soll sich jemand ernsthalt festhalten (können)?
Wer genug Einbildungsvermögen besitzt, der mag hierfür empfänglich sein, aber das kann doch nicht erwartet werden, dass im heutigen Zeitalter, wo die Wissenschaft und Aufgeklärtheit überwiegt, nicht erkannt wird, dass das eigentlich nur eine Flucht sein kann, indem Verantwortung abgegeben und das eigene Denken aufgegeben wird, wenn alles einer scheinbar höheren Macht zugeschrieben wird.
Auch eine Anbetung eines Gegenspielers zu Gott erscheint mir absurd, denn auch eine solche dunkle Macht kann es nicht geben, das ist auch letztlich wieder eine Erfindung der Menschheit. Kritik an den Machenschaften udn Strukturen der Kirche ist legitim, aber nicht auf solche Weise, damit erreicht man niemanden, auch Provokation bewirkt da nichts, die ist dann letztlich ein Eigentor.
Das was da auf dem Friedhof und in der Kapelle getan wurde, verabscheue ich zutiefst, dieses bewusste Verletzen von Tabus und Gefühlen anderer Menschen ist einfach abartig und nicht als Jugendstreich zu verharmlosen.
Aber dass die Probleme dieser Generation in der Region benannt wurden und versucht wurde, die Beweggründe der Täter zu verstehen, anstatt sie gleich als „krank/gestört“ hinzustellen, ist durchaus positiv zu bewerten.
In der Tat. Auch ich finde den offenen Umgang mit Christian ziemlich gut, allerdings schließt sich für mich nie die Brücke zwischen seiner wirklichen Gefühlswelt und den damit verbundenen Beweggründen und der Annäherung an die Wirklichkeit des Themas. Ich glaube der Bericht hält sich an journalistische Praktiken, kommt aber nie auf die Ebene des jungen Mannes herunter. Als Jugendstreich kann man so etwas sicher nicht abstempeln, allerdings wurde die Messlatte für Provokation in den 90ern schon sehr hoch gelegt. Ich denke, ein paar geistige Tiefflieger haben es in einem Anflug von Größenwahn übertrieben und sämtliche Grenzen hinter sich gelassen.