„Der Fetischismus (lat. facticius: nachgemacht, künstlich; franz. fétiche: Zauber(mittel)) bezeichnet einen Glauben an übernatürliche Eigenschaften bestimmter auserwählter oder ungewöhnlicher (vorwiegend selbstverfertigter) Gegenstände unbelebter Art und deren Verehrung.“ Pikes haben übernatürlich Kräfte, das steht fest. Sie verleihen dem Träger außergewöhnliches Interesse und einen guten Geschmack für Kunst, Kultur, Literatur und gute Musik. Darüber hinaus sorgen sie dem Besitzer einen außergewöhnlichen Sinn für Ästhetik eine ausgeprägte Tiefgründigkeit und einen unverwechselbaren Tanzstil. Kurzum: Pikes sind die Schuhe der Schuhe. Einziger Nachteil: Sie funktionieren nur im Zusammenspiel mit schwarzer Kleidung. Echt jetzt.
Als ich meinen Artikel über die Doc Martens schrieb, die künstlich auf „alt“ gemacht wurden, griff Karnstein diese Idee schonungslos auf und forderte seine Leser auf, Bilder von ihren Schuhen zu machen und eine Geschichte darüber zu erzählen. „Zeigt her eure Schuh'“ nennt er diesen Idee. Dieser großartigen Idee bin ich nachgekommen. Sehr gerne sogar.
Man darf es schon als Fügung des Schicksals betrachten, doch die Schuhe von denen ich erzählen möchte, werden bald drei Jahre alt. Ich entdeckte sie 2008 in einem kleinen Geschäft in Düsseldorf und sehr schnell wurden wir ein unzertrennliches Paar. „Normalerweise trägt man darin noch Schnürsenkel“ sagte der Verkäufer, „doch die haben wir früher immer rausgenommen weil wir das spießig fanden.“ Nein, spießig sollten die Schuhe natürlich nicht aussehen, deshalb habe ich die Schnürsenkel gleich vor der ersten Benutzung entfernt. Noch in der gleichen Woche wollte ich sie einweihen, standesgemäß in meiner damaligen Gothic-Discothek.
Es ist schon ein vertraut schönes Gefühl, wenn man sich die Schuhe an die Füße schnallt und auch wenig mit Arbeit verbunden, bis die Schnallen alle geschlossen sind. Die ersten Schritte auf dem Bürgersteig, wenn der kleine Absatz diese unverwechselbare Geräusche hinterlässt, können ein erhebendes Gefühl sein. Sie tragen sich ungewöhnlich, denn das Leder ist steif und robust, die Sohle glatt und unverbraucht. Der eigene Gang ändert sich, die spitzen Schuhe tragen sich für ungewohnte Füße etwas fremd, beim Treppensteigen auf schmalen Stufen stößt man mit der Spitze oft gegen die nächste Treppenstufe und ärgert sich gleich über die erste Beschädigung, auf glattem Untergrund werden dieses Schuhe schnell lebensgefährlich.
Mit Pikes tanzt man anderes, die Füße gleiten über die Tanzfläche und scheinbar ganz von alleine verändern sich die Bewegungsabläufe. Das klingt jetzt komisch ist aber so, denn im Gegensatz zu den sonst üblichen Stiefeln haben diese Schuhe deutlich weniger Bodenhaftung. Man gleitet, wirkt irgendwie eleganter, geschmeidiger. Eigentlich habe ich dieses Paar Pikes immer getragen, die kleine Sohle war schnell verbraucht und machten einen ersten Besuch beim Schuster notwendig. An ihrem Rücken sind sie aus mir noch unbekannten Gründen besonders beschädigt.
Sylvester 2008 schauten die Spitzen dem Feuerwerk zu und begrüßten das neue Jahr, doch als Anfang 2009 der erste Schnee auf den Boden liegen blieb wurde schnell klar: Pikes und Schnee sind eine gefährlich Kombination! Trotz einer gewissen Sorgfalt und ein einem Gang wie auf rohen Eier habe ich mich damit 4mal auf die Nase gelegt und den Entschluss gefasst, im Schnee wieder auf Stiefel zurückzugreifen. Doch kaum war die Schneeschmelze im Gange, waren wir wieder ein Paar. Wir fuhren zum Mera Luna 2009 und jubelten vor der Bühne, in London erkundeten wir gemeinsam die Pfade vergangener Zeiten und besuchten einen Friedhof, wir wurden gemeinsam staubig als wir auf dem Mittelaltermarkt wanderten und überraschten beim offiziellen Anlass meiner bestandenen Meisterprüfung unter der Anzughose die anwesenden Absolventen.
Zwischendurch
Und zwischendurch, wenn das Wetter es nicht zulässt, oder der Untergrund einen Einsatz von Pikes unmöglich macht, trage ich ein Paar Docs, wahlweise auch Ranger, je nach dem. Aber die Docs sind ja nun mal der Auslöser für diesen Anflug von Schuh-Fetischismus, deswegen stelle ich euch meine beiden gerade erst ausgezogenen Martens vor. Gekauft habe ich sie 2009 in London, es handelt sich dabei um die sogenannten 1490er Vintage, eine von den Paaren, die seit neuestem wieder in England gefertigt werden und nicht, wie die übrigen Schuhe, im Ausland. Ich mag sie, denn immer wenn es witterungsbedingte Unwägbarkeiten gab, standen sie mir gut zu Fuß. Belohnt habe ich sie, wie auch alle meine übrigen Schuhe, mit Pflege und Schuhcreme.
Kurioserweise sind die Docs mit mehr negativen Erinnerungen behaftet, was aber sicher nur Zufall sein kann, oder? Mit diesem Paar bin ich auf der Autobahn liegengeblieben und habe bestimmt 6 mal den Zug verpasst. In diesen Schuhen ging ich zum Arzt, als ich mir den kleinen Finger in der Kofferraumklappe meines Auto gequetscht habe, mit diesem Paar half ich einer guten Freundin beim ausräumen ihrer abgebrannten Wohnung. Außerdem muss ich sie schon gefühlte 20mal duschen, nachdem ich im angrenzenden Park in einer natürliche Tretmine gelaufen war.
Aber nein, obwohl Scheiße am Schuh war, sind die Schuhe nicht scheiße. Ich mag sie. Sie sind die treuen, die zuverlässigen, die robusten. Sie springen immer dann ein, wenn es den Pikes zu heikel wird, wenn sie fürchten, sie könnte schmutzig werden, wenn sie meinen, dass es nicht zu erleben gibt.
Wizard of Goth – sanft, diplomatisch, optimistisch! Der perfekte Moderator. Außerdem großer “Depeche Mode”-Fan und überzeugter Pikes-Träger. Beschäftigt sich eigentlich mit allen Facetten der schwarzen Szene, mögen sie auch noch so absurd erscheinen. Er interessiert sich für allen Formen von Jugend- und Subkultur. Heiße Eisen sind seine Leidenschaft und als Ideen-Finder hat er immer neue Sachen im Kopf.
Ich WUSSTE einfach dass dein Artikel zu diesem Thema ein besonderer Genuss wird :)
Nach der Lektüre fühle ich mich ein ganzes Stück weit normaler, wenn ich das so sagen darf, denn manchmal überlege ich schon, ob es nicht etwas meschugge ist seinen Schuhen eine solche Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn man aber deinen Ausführungen folgt hat man fast das Gefühl deine Pikes und du lebt in Symbiose oder führt doch zumindest eine feste, ernsthafte Beziehung.
Vermutlich ist gerade das meschugge. Stört mich aber kein bisschen. Ist es nicht toll nicht alleine einen an der Waffel zu haben? ;D
Bei euren gemeinsamen Erlebnissen hast du das (mit einigem Abstand!) Wichtigste jedoch vergessen, denn sie waren auch an deinen Füßen als du und der Herr von Karnstein euch Halloween 2009 das erste mal in persona gesehen habt ;)
Ich erinnere mich noch gut, dass das direkt unser erstes Gesprächsthema war und wie bizarr/lustig du es fandest dass jemand den du noch nie vorher persönlich getroffen hast trotzdem genau weiß woher du deine Schuhe hast und wann und wie du sie gefunden hast ;)
Sehr schön und mit viel „Liebe zum Schuh“ geschrieben.
Sage mal gibt es von Deiner Meisterprüfung mit Pikes auch ein photographisches Beweisstück? Würde mich echt interessieren :)
Karnstein: Ist toll einen an der Waffel zu haben, definitiv. Außerdem hast du völlig recht, das Pike-Treffen zu Halloween habe ich völlig vergessen. „Zeig mir Deine Schuhe und sage Dir, woher du sie hast.“ Ein wirklich bizarres Erlebnis, was wohl in unserem Fall auf eine Couch enden würde, wenn man sogenannte „Psychologen“ fragen würde. Aber was soll’s UND wie Eingangs erwähnt, es ist toll einen an der Waffel zu haben. Schließlich habe ich mich gebremst, von den Stiefelpikes und meinen jüngsten Modellen aus dem Hause Pennangalan wollen wir gar nicht erst anfangen.
Steffi: Ja, so ist es. Es schmerzt nicht, sich als Fetischist zu outen ;) Ob ich noch fotografische Beweisstücke der Meisterprüfung finde, bleibt fraglich, ich werde mein Bilderarchiv durchackern.
Sehr schön mal wieder was über Pikes zu lesen, aus dem Hause Spontis. Pikes sind ja unverkennbar eines meiner Lieblingsthemen, durch soe hab ich hier ja schließlich auch her gefunden =D
Hach wie die Zeit vergeht es erscheint mir noch garnicht so lange her zu sein, das ich mich freute, mir den Namen dieser Seite richtig gemerkt zu haben, so dass ich sie, nachdem ich sie an einem anderen PC entdeckte, wieder aufrufen konnte. Und mittlerweile hat man sich sogar schon persönlich getroffen :D
Aber zurück zu den Pikes ;)
Geht mir da genauso wie dir, ich trage meine Pikes wann immer es geht, und wenn man die Hose nicht rein steckt sondern drüber lässt, passen sie sogar zum Anzug :)
Wenn es glatt oder schlammig wird oder allgemein der Untergrund ungeeignet ist wechsel ich allerdings auch zu robusten Stiefeln, aber mehr dazu dann bald in meinem eigenen Beitrag ;)
Meine pikes sind meine babys …. ich pflege sie und behüte sie wie mein augapfel ;) vielleicht auch weil ich sie sehr günstig bekommen habe !! sehr schöner artikel
Ich lieeebe Pikes. Habe seit einer Weile endlich auch eigene und hüte sie wie meinen Augapfel. Und genauso wie du setze ich nebenher auf robusteres Schuhwerk für raueren Untergrund ;)
Wie gerne hätte ich Pikes…..da ich aber bis dato keine gefunden habe die mir auch nur ansatzweise passen würden, hoffe ich auf ein Wunder und trage bis dahin meine 3-Loch-Boots von Boots & Braces bzw. Undercover. ^^
Wundervoller Bericht!
Soeben erst entdeckt.
Der Wizard sollte Schriftsteller werden.