„Der Tod ist um uns herum. Jeden Tag. Wir sehen ihn nur nicht mehr.“ In der neuesten Ausgabe des Midnight Archives findet sich ein sehr interessantes Interview mit der Anatomie- und Todes-Bloggerin Joanna Ebenstein, die sich mit der Tatsache beschäftigt, dass der Tod mehr und mehr aus unserem Leben verschwindet. Nicht etwa, weil Menschen nicht mehr sterben, sondern weil wir diese Tatsache gerne verschweigen und verschleiern.  „Warum ist es makaber, über den Tod nachzudenken oder darüber zu reden? Die Menschen diskutieren immer darüber, was uns von den Tieren unterscheidet (…) Einen ganz wichtigen Unterschied, den wir gerne außer Acht lassen, ist der Fakt, dass sich die Menschen als einzige darüber im klaren sind, DASS sie sterben werden. Die Tatsache, dass wir darüber nicht in einer würdigen Form sprechen können, finde ich pervers.“ 1
Pervers? In der Tat, da ist was dran. Starb man früher im Kreise seiner Liebsten, so haben wir den Tod heute „ausgelagert“, um Joanna noch einmal zu zitieren. Viele Menschen sterben in Krankenhäusern, werden schnellstmöglich entfernt und für eine Bestattung vorbereitet. Sie werden verbrannt oder in einer Holzkiste eingeschlossen und in der Erde verscharrt, kaum jemand nimmt noch Abschied von den Toten. Ist das nun unsere Kultur oder ein Resultat des stetigen Verdrängens? Das Interview, das mit vielen visuellen Eindrücken gewürzt ist, spannt genau diesen Bogen und erzählt vom Totenkult der Jahrhundertwende, bei dem man die neu entdeckte Fotografie dazu benutzte, sich mit dem Toten abzulichten. An dieser Stelle sprechen die Bilder:
www.youtube.com/watch?v=TfKXIMk6cAI
Wer mehr über das Thema erfahren möchte, sollte sich auf Joannas Blog Morbid Anatomy umsehen, das vor dem thematisierten Tod nur so strotzt.
Einzelnachweise
- Quelle: Joanna Ebenstein, aus dem Interview mit dem Midnight Archive und frei übersetzt aus dem Amerikanischen, denn sie spricht viel zu schnell für meine alten Ohren.[↩]
Es scheint, als wird sich selbst in der Szene mit Anspruch auf Todesphilosophie kaum über den Tod zu Wort gemeldet…
Dem Menschen kann man schon einen Meinungsbedarf zu Thema Sterben unterstellen. Er befasst sich mit dem Tod seit Anbeginn von Kultur und Zivilisation. Allerdings verhüllt in Metapher der Religion, des Glaubens oder der Spiritualität. Entschlüsselt man diese Weltbilder, so stößt man im Kern immer auf die Frage nach dem »Danach«
In dutzenden Grabstätten, von den antiken Nekropolen bis zum modernen Friedhof findet man die bildliche oder verbale Abhandlung mit dem Tod. Viele der Definitionsformen haben ihren eigenen Umgang damit, ihre Dialoge, ihre Erkenntnisse und Vorstellungen. Die Art darüber zu sprechen ist schon dem Tode würdig.
Dass man mit 40 Jahren nicht am Frühstückstisch die Familie mit der Wunschvorstellung seines Begräbnisses belästigt, liegt wohl nicht an der Ermangelung von dahingehender Kommunikationsbereitschaft. Sondern mehr daran, dass es zu Lebzeiten wichtigeres gibt. Kann doch jedem der Tod grundsätzlich egal sein. Solange es einen selbst nicht betrifft lebt man noch und kann sich um anderes kümmern. Und wenn man gestorben ist, so ist man getilgt, für sich nicht mehr wahrnehmbar. Ergo: Der eigene Tod ist für einen selbst bedeutungslos.
Und ob uns das Bewusstsein des Sterbens von den Tieren unterscheidet? Wohl kaum. Womöglich mag es das Tier erst dann begreifen, wenn das Ende unmittelbar vor ihm steht. Während der Mensch schon seit seiner Jugendzeit dazu fähig ist, über seine Sterblichkeit zu klagen.
Doch muss sich der Mensch zwangsläufig über das vollständige Wesen seiner Sterblichkeit im Klaren sein? Wann denkt der lebensfrohe Mensch schon an seine Endlichkeit. Auch erst vor dem Auftauchen des Endes. Ähnlich dem Tier. Komplexe Elefanten- oder Walfriedhöfe zeugen schon von deren Begreifen. Der Blick von Tieren im Schlachthof. Das Verhalten des Hundes vor seiner letzten Betäubungsspritze. Wer meint, den Tieren kein Todesbewusstsein unterstellen zu brauchen, hat einiges in der Welt übersehen.
Denn das unterscheidet nicht den Menschen vom Tier, sondern höchstens die Flora von der Fauna…und wenn man penibel ist nicht einmal das. Das Sterben ist ein ultimativer Tatbestand, der sich komplett durch das Bewusstsein der Natur zieht.
Einer der Gründe, weshalb der Mensch den Tod ausgrenzt, kann die sich selbst anerzogene Überheblichkeit sein. Der Mensch hält sich für das Beste, die Krone der Schöpfung. Er will schaffen, will erreichen und besitzen. Ist sich selbst oftmals nicht genug. Und dafür braucht er Zeit. Am Besten in unendlicher Ressource. Die er sich im Trugschluss seiner mittleren Lebensjahre andichtet.
Und sein gesellschaftlicher Spielball unterstützt ihn dabei kräftig. Wir leben und streben nicht mehr für unsere Spezies, sondern für den Wettkampf und die Konkurrenz innerhalb dieser. Im Neid wollen wir nichts einbüßen.
Bis uns der Tod daran erinnert, dass wir vor der Natur kein Deut besser sind als die Eintagsfliege. Und mit der Suche nach der Ausbeute des Lebens zuviel Lebenszeit verschwenden können. Zeit, die nicht wiederkommt. Die selbst ohne ein gelungenes Geschehen abläuft. Und dann werden wir nichts mehr sein. All das Streben, all die Lebensziele sind dann nur noch ein großes Nichts. Nichts kommt wieder. Man ist vergangen.
Das muss das Ego des modernen Menschen erst einmal verkraften. Das drückt die Stimmung, stellt alles in Frage. Und das will man ja nicht. Darf es innerhalb der Gesellschaft vielleicht auch nicht wollen. Denn wer strebt schon ohne die Gewissheit eines daraus bleibenden Monumentes. Diese Illusion eines solchen Denkmals begeistert niemanden.
Vielleicht untersagte die Menschheit dem Menschen die völlige Gegenwärtigkeit der Sterblichkeit. Aus dem Grund, dass der Mensch dann seine Zeit einzig noch für sich selbst nutzen würde…wovon die Menschheit, speziell die Machthungrigen darunter, nichts mehr hätte.
So etwas nennt man Kultur, Zivilisation. Nenne es von mir aus auch Hygiene. Ich habe während meiner Dienstzeit genug Verwesungsanzeichen gesehen, um von einer Lagerung der Todes abstand nehmen zu wollen. Der Tod besitzt auch ein deutlich unästhetisches Gesicht und warum sollte man dieses in seine Gedanken lassen. Auch muss das Sterben nicht so romantisch verklärt werden, als dass sich jeder gerne davon umgeben sieht.
Und dass der anhaltende Umgang mit den Toten alles andere als sinnlich ist, beweist die Notwendigkeit von Assfressern. Zudem sehe ich keinen Unterschied zwischen der Andacht vor einem toten Körper, einer Urne oder einem Grabmal. Das einzige, wovon unsere Rechtssprechung allmählich Abstand nehmen könnte wäre der »Friedhofszwang« Warum nicht das sachgemäße Grab im eigenen Grundstück oder die Urne in der Vitrine?