Ralf vom Rabenhorst hat sich meinen kindlichen Traumberuf unter den Nagel gerissen. Als ich ihn vor ein paar Jahren kennen lernte, war ich doch tatsächlich neidisch darauf, dass er genau das zum Beruf gemacht hatte, was ich so liebte und in meiner Erinnerung das tollste von der Welt gewesen ist. Ganz so schlimm war meine Sehnsucht dann doch nicht, denn als ich erfuhr, wie die nackte Realität aussah, musste ich meine idealisierten Wunschvorstellung korrigieren. Gänzlich zu den Akten gelegt habe ich sie freilich noch nicht. Der Rabe, wie Ralf auch genannt wird, nährt gelegentlich meine kindliche Sehnsucht. Die Vorstellung während eines Sonnenaufgangs über Schienen den Rhein zu überqueren löst immer noch Herzklopfen aus. Genug von mir, hier nun Ralfs Artikel zum Gothic Friday im April.
„Gibt es noch mehr Lokführer-Gruftis oder bin ich ein Einzelstück?“ Dies könnte nun eine etwas längere Story werden, da mein eigentliches Leben als Grufti erst spät begann und ich dieses sozusagen der Deutschen Bundesbahn in mehreren Teilen verdanke.

Als Stino-Landei (Popper – eigentlich hörte ich damals musikalisch alles gemischt) kam ich 1987 völlig weltfremd zur Deutschen Bundesbahn, um mit der Lehre zum Energieanlagen-Elektroniker zu beginnen. Eine abgeschlossene Berufsausbildung im Metall- oder Elektrobereich war Voraussetzung für die Beamtenlaufbahn. Damals war ich 17 Jahre alt und mein Ziel war von vorne herein, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten und den Beruf des Lokführers zu ergreifen. Durch den Austausch mit den anderen Lehrlingen lernte ich dann mir bis dato völlig fremde Musikrichtungen kennen und sie gefielen mir so gut, dass ich auch nach und nach mein Äußeres änderte, sehr zum Missfallen meiner Mutter. Aber da war ich nun schon fast 18 Jahre alt und sie schrieb mir dahingehend nichts mehr vor.
In dieser Zeit lernte ich mehrere Leute kennen, die für meine weitere Selbstfindung enorm wichtig waren und denen ich daher sehr viel verdanke. Während der Lehrzeit gab es auch absolut keine Probleme wegen dem sich ändernden Aussehen. Die Haare wurden länger, nur der Side- und Undercut immer kürzer und letztlich zur haarlosen Zone.

1989 lernte ich meine zukünftige Frau kennen und lieben. Schon ein Jahr später zogen wir in unsere erste eigene Wohnung. Meine Mutter war wohl etwas entsetzt über die Spontanität, war aber mit Sicherheit irgendwie auch froh, da sie sich in dem kleinen Dorf doch sehr geschämt hatte für ihren „schwarzen Teufel“, denn so wurde ich wohl von einigen Dorfbewohnern genannt.
Für Ralf beginnt der Ernst des Lebens!
Im Juni 1991 begann dann endlich die Beamtenlaufbahn-Ausbildung zum Lokführer. Zu dieser Zeit gab es keine Uniform mehr bei der Bahn und man lief eben in seinen zivilen Klamotten rum. Ich also mit Zopf, meiner schwarzen Kleidung, meist hautengen Stretch-Jeans und Doc Martens, da es im Gleisbereich doch etwas blöd war, mit Pikes zu laufen. Mit den Lehrern, Ausbildern und Lokführer-Anwärter-Kollegen sowie diversen älteren Lokführern gab es absolut keine Probleme. Ein paar Gespräche und Aufklärungen wieso, weshalb und warum brachten Verständnis.
Nach ungefähr 8 Monaten – während der Lokführerausbildung – fing dann sozusagen der Ernst des Lebens an. Man fuhr bei verschiedenen Kollegen unter Beaufsichtigung und bekam auch die ersten unregelmäßigen Wechseldienste mit, das heißt Dienste zu ungünstigen Zeiten oder Früh-, Tages-, Nacht- und Wochenenddienste. Ich kannte das schon durch meinen Vater, aber da man es nun am eigenen Leib erfuhr wurde einem schmerzlich klar, das man nicht mehr jeden Freitag ins Daddy Oberhausen oder ins geliebte „Zwischenfall“ nach Bochum konnte.
Mitte 1992 erfuhr ich durch Gespräche mit Ausbildern, dass sich diverse Prüfer und Lehrlokführer doch über mein Aussehen ausgelassen hatten und so entschied ich mich, zumindest die Frisur etwas zu normalisieren. Mein Notenspiegel änderte sich auffallend, obwohl man mir immer versichert hatte, dass doch das Aussehen keine Rolle spielen würde sondern der Charakter des Menschen. Meine Kollegen der Ausbildungsgruppe verrieten mir dann noch, das ein Prüfer sogar gesagt hätte: „Der Herr vom Rabenhorst hat sich aber stark verbessert.“ Merkwürdig, denn ich hatte nicht mehr oder besser gelernt als vorher.
Anfang 1993 wurde ich dann nach bestandener Prüfung zum Beamten ernannt und vereidigt. Im März trat ich den Zivildienst an und sah zu dieser Zeit optisch recht „normal“ aus. Durch das gemeinsame Hobby „Pferd“ und die Prüfungen ab September 1992 sowie die Dienste kaum noch Zeit und Lust blieb, um noch Abends rauszugehen, entschieden meine Frau und ich uns vorübergehend für ein „normales Äußeres“. Zu dieser Zeit brachen wohl sehr viele Bekannte und Freunde mit ihrem Dasein als Grufti, wie wir im Nachhinein hörten.
Während der Zivi-Zeit, in der das optische Erscheinungsbild relativ egal war, änderte sich mein Äußeres wieder in den – für mich – positiven Bereich. Die Seiten wurden wieder kürzer, das Haupthaar länger – mit diversen Farbwechseln (rot, blau, lila, blond, schwarz…).
Ab Juni 1994 wurde ich dann wieder wohlwollend bei meiner geliebten Eisenbahn aufgenommen. Mit meinen Diensteinteilern verstand ich mich prächtig, nur mein Dienststellenleiter brachte mehrmals zur Sprache, dass er Bedenken wegen meines äußeren Auftretens hätte. Bei einem persönlichen Gespräch einigten wir uns dann darauf, dass – solange es keine Kundenbeschwerden gäbe – ich mein Erscheinungsbild beibehalten könne, wobei es dann auch letztendlich blieb. Viele Pluspunkte hatte ich wohl auch durch den Bekanntheitsgrad meines Vaters. Dieser hatte auch immer zu mir gehalten, ihm war mein Aussehen als Grufti egal, für ihn war die Welt in Ordnung als er merkte, dass ich menschlich normal blieb und einen „anständigen Beruf“ erlernte.
1998 wechselte ich zu einer kleinen Dienststelle am linken Niederrhein, da durch die Privatisierung der Bahn sich das Berufsbild des Lokführers geändert hatte. Wir wurden in verschiedene Geschäftsbereiche aufgeteilt. Da ich beim Nahverkehr war und keine Lust mehr hatte, S-Bahnen zu fahren, wollte ich lieber heimatnah versetzt werden.
Heimatnaher Rebell in Unternehmensbekleidung

Irgendwann im Jahr 2000 wurde dann beim Nah- und Fernverkehr die Unternehmensbekleidung (UBK) eingeführt. Diese trug ich, jedoch bis auf Hose und Schuhe. Als Hose verließ ich mich lieber auf die marineblaue Moleskin Hose der Bundeswehr und deren Kampfstiefel. Die Hose aufgrund ihrer Funktionalität mit ihren vielen Taschen und die Stiefel aufgrund ihrer Festigkeit und Stabilität im Knöchelbereich, da wir ja nicht immer sehr lauffreundliche Abstellbereiche unserer Züge vorfinden.
Anfang 2007 bekamen wir einen neuen Personalchef, der sich anscheinend bei unserem ersten Treffen persönlich durch mein Aussehen angegriffen fühlte. Zu dieser Zeit trug ich teilweise bunte lange Haare, Sidecut und einen bunt gefärbten Bart. Dreimal wurde ich zum persönlichen Gespräch geladen und mein Teamleiter musste wöchentlich erfragen, welches Schuhwerk und welche Haarfarbe ich zur Schau trug.
Hier war mein Vorteil, dass ich Beamter war/bin und mir nie etwas habe zu Schulden kommen lassen. Interessant war auch, dass wenn wir (DB-Personal) in einer Gruppe zusammen am Bahnsteig standen, sei es beim Ablösegespräch oder während diverser Pausen, meistens ICH von den Reisenden angesprochen wurde, um Fragen zu Abfahrtzeiten oder den Abfahrgleisen der Züge zu beantworten.
Ergo: Muss ich wohl doch nicht so ein gefährliches Auftreten gehabt haben, wie es mir mein neuer Chef eigentlich anlasten wollte….? ;-)
Nach dem dritten persönlichen Gespräch beim Personalchef war ich es leid und wurde langsam pampig. Auf die Frage, ob nun etwas gegen mich vorliegen würde, sei es Kundenbeschwerden oder andere Vergehen, bekam ich nur zur Antwort, dass mein äußeres Erscheinungsbild nicht passen würde und ich meine Frisur ändern müsste. Auf die Beantwortung meiner Frage, ob es eine Farbvorschrift für Haare oder das Erscheinungsbild geben würde, warte ich bis heute.
In dieser Zeit war ich sowieso durch wochenlange Überlegungen zu dem Schluss gekommen, dem Personenverkehr den Rücken zu kehren. Beim Nahverkehr war es mittlerweile dazu gekommen, dass man nur noch bestimmte Linien und Strecken befuhr und mir war das extrem langweilig geworden, immer die gleichen 10 Bahnhöfe anzufahren. So legte ich dem Chef dann beim letzten Treffen mein formloses Versetzungsgesuch vor, und wurde prompt zum Güterverkehr versetzt. Hätte ich dies doch schon früher getan, denn nun konnte ich endlich wieder in „zivil“ rumlaufen. Lediglich eine Warnweste musste neuerdings im Gleisbereich getragen werden.
Lieber einen Helm auf dem Kopf als Schläuche in den Haaren
2012 entschied ich mich dazu, eine Ausbildung zum Internationalen Tf (Triebfahrzeugführer) zu machen, welche ich dann auch erfolgreich abschloss. Hierzu gehörte das Erlernen der niederländischen Sprache sowie eine Betriebsdienstausbildung für das niederländische Eisenbahnsystem. Nun komme ich als Lokführer endlich wieder in der Welt herum und meine Arbeit ist wieder abwechslungsreich. In den Niederlanden fahre ich bis Rotterdam und in Deutschland wieder bis Osnabrück, Schweinfurt und Würzburg, mit allem was dazwischen liegt.
Allerdings hat DB Cargo NL eine Kleidungsvorschrift. Statt der orangenen Warnweste, die man in Deutschland anziehen muss, trägt man dort eine gelbe Jacke. Eine Helmpflicht haben sie auch. Sobald man das Fahrzeug verlässt oder den Bahnhofsbereich betritt, ist dieser zu tragen. Aber was solls, es gibt Schlimmeres: wie zum Beispiel Schläuche in den Haaren und Knicklichter. ;-).
Beim Güterverkehr ist das äußere Erscheinungsbild relativ egal, vor allem als Beamter. Im Nahverkehr hat man allerdings nicht mehr so leichtes Spiel, als Tarifkraft wäre man schnell der Willkür diverser Führungskräfte ausgesetzt.