Gothic Friday April: Bin ich als Lokführer-Grufti ein Einzelstück?

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Ralf vom Rabenhorst hat sich meinen kindlichen Traumberuf unter den Nagel gerissen. Als ich ihn vor ein paar Jahren kennen lernte, war ich doch tatsächlich neidisch darauf, dass er genau das zum Beruf gemacht hatte, was ich so liebte und in meiner Erinnerung das tollste von der Welt gewesen ist. Ganz so schlimm war meine Sehnsucht dann doch nicht, denn als ich erfuhr, wie die nackte Realität aussah, musste ich meine idealisierten Wunschvorstellung korrigieren. Gänzlich zu den Akten gelegt habe ich sie freilich noch nicht. Der Rabe, wie Ralf auch genannt wird, nährt gelegentlich meine kindliche Sehnsucht. Die Vorstellung während eines Sonnenaufgangs über Schienen den Rhein zu überqueren löst immer noch Herzklopfen aus. Genug von mir, hier nun Ralfs Artikel zum Gothic Friday im April.

Gibt es noch mehr Lokführer-Gruftis oder bin ich ein Einzelstück?“ Dies könnte nun eine etwas längere Story werden, da mein eigentliches Leben als Grufti erst spät begann und ich dieses sozusagen der Deutschen Bundesbahn in mehreren Teilen verdanke.

Ralf vom Rabenhorst - Bild 2 - Am Meer
Während der Lehre änderte ich nicht nur meinen Musikgeschmack, sondern auch mein Äußeres.

Als Stino-Landei (Popper – eigentlich hörte ich damals musikalisch alles gemischt) kam ich 1987 völlig weltfremd zur Deutschen Bundesbahn, um mit der Lehre zum Energieanlagen-Elektroniker zu beginnen. Eine abgeschlossene Berufsausbildung im Metall- oder Elektrobereich war Voraussetzung für die Beamtenlaufbahn. Damals war ich 17 Jahre alt und mein Ziel war von vorne herein, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten und den Beruf des Lokführers zu ergreifen. Durch den Austausch mit den anderen Lehrlingen lernte ich dann mir bis dato völlig fremde Musikrichtungen kennen und sie gefielen mir so gut, dass ich auch nach und nach mein Äußeres änderte, sehr zum Missfallen meiner Mutter. Aber da war ich nun schon fast 18 Jahre alt und sie schrieb mir dahingehend nichts mehr vor.

In dieser Zeit lernte ich mehrere Leute kennen, die für meine weitere Selbstfindung enorm wichtig waren und denen ich daher sehr viel verdanke. Während der Lehrzeit gab es auch absolut keine Probleme wegen dem sich ändernden Aussehen. Die Haare wurden länger, nur der Side- und Undercut immer kürzer und letztlich zur haarlosen Zone.

Ralf vom Rabenhorst - Bild 3 - Mit Teller
Manche Dorfbewohnern nannten uns „schwarze Teufel“.

1989 lernte ich meine zukünftige Frau kennen und lieben. Schon ein Jahr später zogen wir in unsere erste eigene Wohnung. Meine Mutter war wohl etwas entsetzt über die Spontanität, war aber mit Sicherheit irgendwie auch froh, da sie sich in dem kleinen Dorf doch sehr geschämt hatte für ihren „schwarzen Teufel“, denn so wurde ich wohl von einigen Dorfbewohnern genannt.

Für Ralf beginnt der Ernst des Lebens!

Ralf vom Rabenhorst - Bild 4a - Mit seinen KollegenIm Juni 1991 begann dann endlich die Beamtenlaufbahn-Ausbildung zum Lokführer. Zu dieser Zeit gab es keine Uniform mehr bei der Bahn und man lief eben in seinen zivilen Klamotten rum. Ich also mit Zopf, meiner schwarzen Kleidung, meist hautengen Stretch-Jeans und Doc Martens, da es im Gleisbereich doch etwas blöd war, mit Pikes zu laufen. Mit den Lehrern, Ausbildern und Lokführer-Anwärter-Kollegen sowie diversen älteren Lokführern gab es absolut keine Probleme. Ein paar Gespräche und Aufklärungen wieso, weshalb und warum brachten Verständnis.

Nach ungefähr 8 Monaten – während der Lokführerausbildung – fing dann sozusagen der Ernst des Lebens an. Man fuhr bei verschiedenen Kollegen unter Beaufsichtigung und bekam auch die ersten unregelmäßigen Wechseldienste mit, das heißt Dienste zu ungünstigen Zeiten oder Früh-, Tages-, Nacht- und Wochenenddienste. Ich kannte das schon durch meinen Vater, aber da man es nun am eigenen Leib erfuhr wurde einem schmerzlich klar, das man nicht mehr jeden Freitag ins Daddy Oberhausen oder ins geliebte „Zwischenfall“ nach Bochum konnte.

Ralf vom Rabenhorst - Bild 4 - In der Schaltzentrale

Mitte 1992 erfuhr ich durch Gespräche mit Ausbildern, dass sich diverse Prüfer und Lehrlokführer doch über mein Aussehen ausgelassen hatten und so entschied ich mich, zumindest die Frisur etwas zu normalisieren. Mein Notenspiegel änderte sich auffallend, obwohl man mir immer versichert hatte, dass doch das Aussehen keine Rolle spielen würde sondern der Charakter des Menschen. Meine Kollegen der Ausbildungsgruppe verrieten mir dann noch, das ein Prüfer sogar gesagt hätte: „Der Herr vom Rabenhorst hat sich aber stark verbessert.“ Merkwürdig, denn ich hatte nicht mehr oder besser gelernt als vorher.

Anfang 1993 wurde ich dann nach bestandener Prüfung zum Beamten ernannt und vereidigt. Im März trat ich den Zivildienst an und sah zu dieser Zeit optisch recht „normal“ aus. Durch das gemeinsame Hobby „Pferd“ und die Prüfungen ab September 1992 sowie die Dienste kaum noch Zeit und Lust blieb, um noch Abends rauszugehen, entschieden meine Frau und ich uns vorübergehend für ein „normales Äußeres“. Zu dieser Zeit brachen wohl sehr viele Bekannte und Freunde mit ihrem Dasein als Grufti, wie wir im Nachhinein hörten.

Während der Zivi-Zeit, in der das optische Erscheinungsbild relativ egal war, änderte sich mein Äußeres wieder in den – für mich – positiven Bereich. Die Seiten wurden wieder kürzer, das Haupthaar länger – mit diversen Farbwechseln (rot, blau, lila, blond, schwarz…).

Ralf vom Rabenhorst mit bunter MähneAb Juni 1994 wurde ich dann wieder wohlwollend bei meiner geliebten Eisenbahn aufgenommen. Mit meinen Diensteinteilern verstand ich mich prächtig, nur mein Dienststellenleiter brachte mehrmals zur Sprache, dass er Bedenken wegen meines äußeren Auftretens hätte. Bei einem persönlichen Gespräch einigten wir uns dann darauf, dass – solange es keine Kundenbeschwerden gäbe – ich mein Erscheinungsbild beibehalten könne, wobei es dann auch letztendlich blieb. Viele Pluspunkte hatte ich wohl auch durch den Bekanntheitsgrad meines Vaters. Dieser hatte auch immer zu mir gehalten, ihm war mein Aussehen als Grufti egal, für ihn war die Welt in Ordnung als er merkte, dass ich menschlich normal blieb und einen „anständigen Beruf“ erlernte.

1998 wechselte ich zu einer kleinen Dienststelle am linken Niederrhein, da durch die Privatisierung der Bahn sich das Berufsbild des Lokführers geändert hatte. Wir wurden in verschiedene Geschäftsbereiche aufgeteilt. Da ich beim Nahverkehr war und keine Lust mehr hatte, S-Bahnen zu fahren, wollte ich lieber heimatnah versetzt werden.

Heimatnaher Rebell in Unternehmensbekleidung

Ralf vom Rabenhorst in der Unternehmensbekleidung
Mit dem neuen Jahrtausend kam auch neue Unternehmenskleidung.

Irgendwann im Jahr 2000 wurde dann beim Nah- und Fernverkehr die Unternehmensbekleidung (UBK) eingeführt. Diese trug ich, jedoch bis auf Hose und Schuhe. Als Hose verließ ich mich lieber auf die marineblaue Moleskin Hose der Bundeswehr und deren Kampfstiefel. Die Hose aufgrund ihrer Funktionalität mit ihren vielen Taschen und die Stiefel aufgrund ihrer Festigkeit und Stabilität im Knöchelbereich, da wir ja nicht immer sehr lauffreundliche Abstellbereiche unserer Züge vorfinden.

Anfang 2007 bekamen wir einen neuen Personalchef, der sich anscheinend bei unserem ersten Treffen persönlich durch mein Aussehen angegriffen fühlte. Zu dieser Zeit trug ich teilweise bunte lange Haare, Sidecut und einen bunt gefärbten Bart. Dreimal wurde ich zum persönlichen Gespräch geladen und mein Teamleiter musste wöchentlich erfragen, welches Schuhwerk und welche Haarfarbe ich zur Schau trug.

Hier war mein Vorteil, dass ich Beamter war/bin und mir nie etwas habe zu Schulden kommen lassen. Interessant war auch, dass wenn wir (DB-Personal) in einer Gruppe zusammen am Bahnsteig standen, sei es beim Ablösegespräch oder während diverser Pausen, meistens ICH von den Reisenden angesprochen wurde, um Fragen zu Abfahrtzeiten oder den Abfahrgleisen der Züge zu beantworten.

Ergo: Muss ich wohl doch nicht so ein gefährliches Auftreten gehabt haben, wie es mir mein neuer Chef eigentlich anlasten wollte….? ;-)

Nach dem dritten persönlichen Gespräch beim Personalchef war ich es leid und wurde langsam pampig. Auf die Frage, ob nun etwas gegen mich vorliegen würde, sei es Kundenbeschwerden oder andere Vergehen, bekam ich nur zur Antwort, dass mein äußeres Erscheinungsbild nicht passen würde und ich meine Frisur ändern müsste. Auf die Beantwortung meiner Frage, ob es eine Farbvorschrift für Haare oder das Erscheinungsbild geben würde, warte ich bis heute.

In dieser Zeit war ich sowieso durch wochenlange Überlegungen zu dem Schluss gekommen, dem Personenverkehr den Rücken zu kehren. Beim Nahverkehr war es mittlerweile dazu gekommen, dass man nur noch bestimmte Linien und Strecken befuhr und mir war das extrem langweilig geworden, immer die gleichen 10 Bahnhöfe anzufahren. So legte ich dem Chef dann beim letzten Treffen mein formloses Versetzungsgesuch vor, und wurde prompt zum Güterverkehr versetzt. Hätte ich dies doch schon früher getan, denn nun konnte ich endlich wieder in „zivil“ rumlaufen. Lediglich eine Warnweste musste neuerdings im Gleisbereich getragen werden.

Lieber einen Helm auf dem Kopf als Schläuche in den Haaren

Ralf vom Rabenhorst - Bild 7 - In der Nacht Ralf vom Rabenhorst - Bild 8 - Vor einer Lok2012 entschied ich mich dazu, eine Ausbildung zum Internationalen Tf (Triebfahrzeugführer) zu machen, welche ich dann auch erfolgreich abschloss. Hierzu gehörte das Erlernen der niederländischen Sprache sowie eine Betriebsdienstausbildung für das niederländische Eisenbahnsystem. Nun komme ich als Lokführer endlich wieder in der Welt herum und meine Arbeit ist wieder abwechslungsreich. In den Niederlanden fahre ich bis Rotterdam und in Deutschland wieder bis Osnabrück, Schweinfurt und Würzburg, mit allem was dazwischen liegt.

Allerdings hat DB Cargo NL eine Kleidungsvorschrift. Statt der orangenen Warnweste, die man in Deutschland anziehen muss, trägt man dort eine gelbe Jacke. Eine Helmpflicht haben sie auch. Sobald man das Fahrzeug verlässt oder den Bahnhofsbereich betritt, ist dieser zu tragen. Aber was solls, es gibt Schlimmeres: wie zum Beispiel Schläuche in den Haaren und Knicklichter. ;-).

Beim Güterverkehr ist das äußere Erscheinungsbild relativ egal, vor allem als Beamter. Im Nahverkehr hat man allerdings nicht mehr so leichtes Spiel, als Tarifkraft wäre man schnell der Willkür diverser Führungskräfte ausgesetzt.

Gothic Friday April: Das allerwichtigste für mich ist Zeit, Respekt und Höflichkeit (Anna)

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Anna aus Köln dachte sich: Ich mache einfach mal mit. Eine gute Entscheidung, wie ich finde. Denn Ihr Privileg, in seinem Traumberuf tätig zu sein, wird nicht jedem zu Teil und so macht es einfach Freude, Annas Zeilen bei der Beschreibung ihrer Tätigkeit zu lesen. Ihr Artikel zum Gothic Friday im April ist erfrischend persönlich und wirft eine ganze neue Sichtweise auf Ihre Berufung.

Welchen Beruf übst du aus?
Ich arbeite in der (mobilen) Seniorenbetreuung. Anders als der klassische Altenpfleger/in übe ich keine pflegerische Tätigkeiten aus und besuche die Leute meist noch in ihrer eigenen Wohnung. Ich kümmere mich dort um alles, was es den Menschen ermöglicht, selbstständig in ihren eigenen vier Wänden zu leben – also eher um die „zwischenmenschlichen, häuslichen Dinge“, für die in der „Pflege“ nur selten Zeit bleibt.

Ich begleite sie zu Arztbesuchen und Spaziergängen, hole Rezepte/Medikamente ab, unterstütze im Haushalt bei der Wäsche, dem Putzen der Fenster oder den Einkäufen, kümmere mich aber auch um administrative Dinge wie Briefe der Krankenkasse und Ämter oder die klassische Demenzarbeit. Es kommt aber auch vor, dass ich einfach nur mal auf eine Tasse Kaffee rumkomme und mit einer schwerst depressiven Dame Zeit verbringe, ihr zuhöre und versuche, ihrem Lebensgefühl etwas „Sinnlosigkeit“ zu nehmen.

Da ich auch aus der klassischen Altenpflege komme und es mir immer (!) nahe ging, kaum Zeit für die Menschen zu haben, ist es für mich der absolute Traumberuf. Ich arbeite recht selbstständig, bekomme von der Chefin wöchentlich den Dienstplan mit der groben täglichen Planung. Wenn Frau XY sich die Seele aus dem Leib weint, weil Pudel Achilles Leben tragisch endete, kann ich mir auch die halbe Stunde Zeit nehmen, um zu trösten. Was mich so glücklich macht, ist, dass ich den Menschen das schenken kann, was für mich das Allerwichtigste ist: Zeit, Respekt und Aufmerksamkeit

Denn gerade viele ältere Leute sind sozial wahnsinnig vereinsamt und so wird sogar ein Ausflug mit dem Rollstuhl zum Edeka um die Ecke zum absoluten Highlight.

(Wie) Lassen sich Gothic und Beruf verbinden und ist das überhaupt wichtig?

Mir ist es insofern wichtig beides zu verbinden, weil ich mich ja auch wohlfühlen muss. Müsste ich morgens mit Pünktchenrock und Blümchenbluse in pastellpink aus dem Haus, wäre der Tag für mich gelaufen und genau das würde ich dann wohl auch ausstrahlen. Ich halte es meist mit schlichter schwarzer Klamotte und Chucks oder Stiefeln, mal eine Kette, wenig geschminkt und gepflegt. Meine Chefin ist zum Glück sehr tolerant. Sie hat schon diverse Haarfarben miterlebt und es wohlwollend mitgemacht. Schwarz, rot, neonpink, pastellrosa, lila und aktuell kupfer und es gab nie auch nur ein böses Wort. Auch meine Tätowierungen und mein Nasenring waren nie wirklich ein Thema. Obwohl, da gabs mal was:

Welche Abstriche nimmst du bei deinem Äußeren im Kauf oder würdest du in Kauf nehmen?

Anna - BlumenstiefelDienstbesprechung mit der Chefin.

Chefin: „Sagen Sie mal Frau XY, da gibt es etwas, darüber muss ich mit Ihnen reden. Das ist mir ja sooo unangenehm und eigentlich ist es mir auch völlig egal. Es soll sich ja jeder selbst verwirklichen...“

Das Telefon klingelt, Chefin geht dran. Ich sitze da und mein einziger Gedanke ist: Neeeeeein…oh bitte nicht! Die Haare. Bitte nicht…! Noch nie verstrichen Minuten so langsam, gefühlt dauerte das Telefonat ewig und ich wusste ja, wenn Gespräche SO beginnen, naja…

Chefin kommt zurück: „Also, Frau XY hat gesagt, Sie haben sich tätowieren lassen. Am Unterarm. Also mir ist das ja völlig egal, aber Frau XY findet das wohl „fies“…“ (*PUH* Nicht die Haare… :D )

Ich: „Ach sooo, und ich hatte schon Angst wegen meinen Haaren. Nein, das kann ich völlig verstehen. Wenn Frau XY damit nicht kann, trage ich bei ihr was langärmliges. Ist ja kein Problem…

Chefin: „In Ordnung. Aber nicht im Sommer. Es kann keiner von ihnen verlangen, dass sie sich totschwitzen. Und jetzt zeigen Sie doch mal…“ Danach gab es dann noch ein ausführliches Gespräch über Tattoos und allen möglichen SchnickSchnack.

Welche Vorurteile oder Probleme tauchen im Umgang mit Chefs, Kollegen oder Kunden auf?

Generell freuen sich alle meine Leute über meinen „Farbtupfer“ auf der Haut oder in den Haaren. Das Interesse ist immer riesig und es gibt immer ein Gesprächsthema.

Eine ältere Dame (86) begrüßte mich mal mit den Worten: „Anna, komm mal her und zeig mal dein Bein.“ Und zu ihrer Tochter sagte sie: „Anna hat Fledermäuse am Bein. Das musst du dir ansehen. Das ist wirklich toll!

Eine andere Dame (84) nannte mich aufgrund meiner knatschpinken Haare immer „Mein Kamellchen“ (kölsches Wort für Bonbon) und sagte neulich zu mir: „Du bist ja auch ein Schwarzfahrer. Immer in Schwarz unterwegs…“ was für herrliches Gelächter bei dem alten Ehepaar sorgte.

Eine andere Dame verbrachte das Wochenende mal damit, mir aus sämtlichen Zeitungen Berichte über Tim Burton auszuschneiden, weil sie wusste, das ich an dem Wochenende zur Autogrammstunde von ihm gehe und ein Riesenfan von ihm bin. Und immer wieder bekomme ich aussortierte schwarze Oberteile geschenkt „damit ich da noch was draus machen kann„. Vorurteile und Berührungsängste habe ich bisher in keinster Weise erlebt, eher im Gegenteil. Meine Chefin wird regelmäßig von Leuten angerufen (bei denen ich zum Beispiel das erste Mal war oder bei denen ich nur als Urlaubsvertretung eingeplant war) mit der Bitte ob „meine Anna“ nicht jedes Mal kommen könnte.

Ich denke, wenn man den Menschen respektvoll und offen gegenüber tritt, hat man die Sympathien schon von 80% der Leute in der Tasche. Und den restlichen 20% ist dann auch nicht mehr zu helfen… :)

30 Jahre Tschernobyl – Konrads bedrückende Reise in die Sperrzone

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Heute wird die nukleare Katastrophe von Tschernobyl 30 Jahre alt. Erinnert Ihr euch? Damals war ich 12 Jahre alt und hatte allenfalls Angst vor dem Spinnen im Keller, dem Lauchgemüse meiner Mutter und vor Dirk von gegenüber, der mich damals immer verprügelt hat. Was jedoch im April 1986 in der einstigen Sowjetunion geschah, sollte nicht nur die Welt, sondern auch die Jugendkulturen und natürlich mich nachhaltig beeinflussen. Mit der jugendlichen Unbeschwertheit war es irgendwie vorbei.

Als der ambitionierte Fotograf und Spontis-Leser Konrad mir Anfang des Jahres von seiner bevorstehenden Reise in die Sperrzone um den Reaktor Tschernobyl erzählte, war für mich klar, dass ich die den Eindrücken und Bildern des 26-jährigen Friedbergers eine Plattform bieten wollte. Nicht nur, um eindrucksvolle Aufnahmen und einen interessanten Artikel zu präsentieren, sondern auch, weil diese Katastrophe für mich unmittelbar mit der Szene zu tun hat. Vielleicht geht es dem ein oder anderen genauso.

Im Morgengrauen des 26. April 1986 ereignet sich im Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl der sogenannte Super-GAU. Während die Bewohner der nahe gelegenen Stadt Prypjat schlafen, fliegt die gewaltige Hülle des Reaktors durch eine enorme Detonation in die Luft. Eine Stichflamme schießt 1000 Meter in den ukrainischen Nachthimmel und bietet den aufgeschreckten Einwohner ein buntes und gleichzeitig bizarres Schauspiel. Die radioaktive Wolke, die sich durch die Explosion und den brennenden Reaktorkern ausbreitet, verbreitet in den folgenden Wochen in ganz Europa Angst und Schrecken. Ich weiß noch genau, wie groß die Verwirrung war, als die Nachrichten über den nuklearen Unfall berichteten und wie sich im Wetterbericht die radioaktive Wolke durch die vorherrschenden Windverhältnisse immer weiter Richtung Deutschland ausbreitete. Noch waren es Bilder in Nachrichten. Als dann aber Spielplätze gesperrt wurden, in der Tagesschau dazu geraten wurde bei Regen das Haus nicht zu verlassen, Gemüse und Salat aus den Regalen genommen wurden und die Leute begannen die jungen Pflanzen im Schrebergarten zu vernichten, war alles irgendwie unmittelbar, unausweichlich und unkontrollierbar.

Ein paar Monate später ist für viele alles vergessen. Deutsche Kernkraftwerke seien sicher, das AKW Brokdorf geht im Oktober 1986 ans Netz. Für mich war nichts in Ordnung. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Szene und ihre Musik damals so interessant waren. Texte und Auftritte voller Botschaften, Traurigkeit, Melancholie, Angst und Hoffnungslosigkeit fühlten sich nach Antworten an, die einem sonst keiner geben konnte.  Für mich sind die Erinnerungen an Tschernobyl und die Entwicklungen der folgenden Jahre essentieller Bestandteil meiner Szenezugehörigkeit. Konrads nun folgender Bericht unterstreicht diese Erinnerungen und meine heutige Einstellung für mich sehr eindrucksvoll.

Mit der Kamera durch Tschernobyl – Impressionen von Konrad

Tschernobyl 2016 - Ortsschild PrypjatIm März machte ich eine Fotoexpedition von urbexplorer.com in die Sperrzone von Tschernobyl. Die Reaktion seitens Familie und Freunde war ziemlich durchwachsen. Von „Das ist doch gefährlich wegen der Strahlung. Bist du sicher, dass du das machen möchtest?“ bis hin zu „Krass, wird bestimmt sau cool. Bring gute Bilder mit!“ war alles dabei. Ich kann auch verstehen, dass Einige Bedenken hatten. Allerdings würde es die Tour nicht geben, wenn es zu gefährlich wäre. Also fuhr ich nach Berlin und von da aus mit den anderen Teilnehmern erst nach Kiew und dann in die Sperrzone.

In die Zone kommt man nur mit den nötigen Genehmigungen der Regierung, weshalb es sinnvoll ist, das über einen entsprechenden Reiseveranstalter zu machen. Es ist militärisches Sperrgebiet, welches in zwei Bereiche unterteilt ist. Der erste ist die 30km-Zone um den Reaktor, in welchem sich die Stadt Tschernobyl, in welcher wir übernachtet haben, und die Radarstation Duga-3 befinden. Die Stadt Prypjat liegt in der 10km-Zone, wenige Kilometer vom AKW entfernt. Jeden Tag arbeiten dort immer noch etwa 3000 Menschen am und um den Reaktor und an dem neuen Sarkophag, der später über den Block 4 geschoben werden und isolieren soll.

Wir besuchten als erstes Einsiedler, welche sich nach dem Supergau wieder niederließen. Auch, wenn das Gebiet als unbewohnbar eingestuft ist, werden sie und alle anderen Einwohner von der Regierung dort geduldet. Ihre Lebensmittel baut das Ehepaar selbst an, die Wohnräume sind klein und vollgestellt mit Kleidung, Nahrung und Erinnerungsstücken. Ich fühlte mich dort in ein anderes Jahrhundert versetzt. Ein Leben in Abgeschiedenheit, umgeben von leeren Häusern und Einöde ist für mich unvorstellbar.

Nach dem Besuch fuhren wir in die Geisterstadt Prypjat

Es ist schon seltsam, durch tote Straßen und Häuser zu gehen und sich vorzustellen, dass dort vor 30 Jahren das blühende Leben herrschte. Die Natur hat sich die Straßen und Plätze zurückgeholt, in den Gebäuden findet man das, was die Menschen einst zurückgelassen haben. Ich kam während unseres Aufenthalts aus dem Staunen kaum heraus. An jeder Ecke gab es etwas neues zu sehen. Es war faszinierend, verstörend, dystopisch und apokalyptisch. Einige Bilder waren beängstigend und für uns heute unvorstellbar. Überall, besonders in den Schulen lagen Gasmasken herum – als Vorbereitung auf den Ernstfall.

Vieles wurde wahrscheinlich erst Jahre später so drapiert, hat aber seine Wirkung nicht verfehlt. Im Gegenteil, denn so wird die Tragik noch einmal drastisch verdeutlicht. Es war eine Mischung aus natürlichem Verfall, Vandalismus (der sich leider nie ganz vermeiden lässt) und dem ebenfalls häufigen Umgestalten ehemaliger Besucher.

Wir besuchten hauptsächlich öffentliche und soziale Einrichtungen, wie Kindergärten, Schulen, das Krankenhaus, aber auch die Fabrik Jupiter mir Bürogebäude und riesigen Hallen.Wir machten einen Spaziergang durch den Stadtkern mit einigen Stopps, wie dem Kulturzentrum, Läden, einem Café und natürlich auch dem Rummelplatz mit Autoscooter, Karussell und Riesenrad. Von 2 Hochhäusern hatten wir einen eindrucksvollen Blick über die gesamte Stadt uns deren Umland.

Am Horizont konnte man das Kernkraftwerk mit dem neuen Sarkophag sehen. Der Übeltäter ruht nur wenige Momente von der ehemaligen 50.000 Einwohnerstadt, als wäre nichts gewesen, wie ein Drache in seinem Horste neben einem Dorf, welches er gerade niedergebrannt hat.

Umso beeindruckender war es, als wir zum Kraftwerk selbst gefahren sind. Wir hielten direkt am Tor zu Block 4 mit dem Denkmal, welches an den Unfall erinnern soll. Bei dem Anblick wird einem schon etwas mulmig – von hier waren es nur noch wenige Meter bis zum Reaktor. Wissend, dass der alte Sarkophag eher eine Übergangslösung ist. Die Menschen, die wir hier gesehen haben, arbeiteten ganz normal, als wäre es ein Ort, wie jeder andere. Lediglich der Straßenkehrer hatte eine Staubmaske auf. Generell wirken die Menschen in der Zone, egal, ob Militär, Arbeiter, etc., sehr entspannt. Ich denke mal, dass sie einfach an das Leben hier gewöhnt sind. Es gibt feste Regeln, die zu befolgen sind, und solange jeder ordentlich seine Arbeit verrichtet, besteht wenig Gefahr für alle.

Radarstation Duga 3

Eine der letzten Stationen war die Duga 3 Radarstation, die nach dem Unfall aufgegeben wurde. Dieses 150m hohe und 750m lange Gebilde soll wohl den Westen abgehört haben. Berichten zufolge hat die Station aber auch in der Sowjetunion in vielen Sendern ein Störsignal hinterlassen, ähnlich dem Klopfen eines Spechts. Daher hat sie auch den Spitznamen „Woodpecker“. Imposant ist sie allemal. Das Gelände ist riesig und hat auch wieder viel zu bieten, wie Schulen, Steuereinheiten, Spielplätze und vieles mehr. Wir haben davon nur einen Teil besucht.

Dokumentation oder Sensationstourismus?

Sowohl vor, als auch nach der Reise kam immer wieder die Frage nach der Strahlung. Klar gibt es dort radioaktive Strahlung und einige Bereiche dürfen deswegen auch nicht betreten werden. Allgemein gesehen ist der Wert dort aber im Bereich des Erträglichen und auf den Straßen nicht höher als in Berlin. Wir hatten genug Dosimeter dabei, die uns vor zu hoher Strahlung gewarnt haben, und unser Guide hat uns einige Hotspots gezeigt, bei denen einem schon etwas mulmig wurde – Werte um die 90 Mikrosievert/h. Beim Verlassen der Zone muss man zudem einen Scanner passieren, damit man nichts Radioaktives mit raus nimmt. Sofern man sich also an die dort herrschenden Regeln hält, ist alles in Ordnung.

Bild von KonradAbschließend möchte ich noch sagen, dass es die wohl beeindruckendste und interessanteste Reise meines Lebens war. Durch verstrahltes Land zu gehen, die Kamera immer im Anschlag, auf der Suche nach dem richtigen Motiv ist angesichts der tragischen Geschichte etwas merkwürdig, auch für mich selbst. Es ist eine Gratwanderung zwischen geschichtlich-fotografischer Dokumentation und Sensationstourismus (womit ich auch schon konfrontiert wurde). Jeder hat seine Beweggründe für diese Tour. Meine konnte ich hier hoffentlich etwas verdeutlichen.

Oft habe ich mich gefragt, wie die Stadt in ihrer Blütezeit aussah und wie die Menschen hier lebten. Hatten sie Angst, dass es eines Tages einen Unfall im Kraftwerk geben könnte und wie sind sie damit umgegangen? Hätte man das alles verhindern können? All diese Gedanken mit den Eindrücken vor Ort haben mir oft eine Gänsehaut beschert. Den Blick zu uns gerichtet, komme ich auf ähnliche Gedanken.

Ich war letztes Jahr auf dem Maintower in Frankfurt und konnte von da aus das Kraftwerk Biblis sehen. 60 km sind eine vergleichsweise große Distanz und dennoch nicht groß genug. Ich gehe mal davon aus (und hoffe), dass unsere Kernkraftwerke recht gut gesichert sind und im Falle eines Lecks im Reaktor oder Ähnliches schnell und gut reagiert wird. Einen Ausstieg aus der Atomenergie sehe ich in den nächsten Jahren nicht. Wünschenswert wäre es auf jeden Fall. Es wird noch lange dauern, bis sich erneuerbare Energien so sehr etablieren, dass sie die alten Quellen ablösen können. Und selbst dann ist die Gefahr der Kraftwerke noch nicht vorbei. Tschernobyl ist noch heute in Betrieb und kann nicht einfach abgeschaltet werden. Auch der Atommüll ist ein weiteres Problem, für das es noch keine endgültige Lösung gibt. Ich hoffe aber, dass es diese gibt, bevor es zu spät ist. Vielleicht ist dieser Jahrestag ja ein Anreiz für neue Diskussionen auf allen Ebenen, welche auch die ein oder andere gute Idee hervor bringen und zu Taten anregen.

Weiterführende Informationen

Gothic Friday April: Der Mann von Nebenan (Magister Tinte)

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Magister Tinte hat eine kreative Leidenschaft, die auch seinen aktuellen Studiengang beeinflusste. Seiner Meinung nach gibt es jedoch keinen Zusammenhang zwischen den kreativen Berufen und der Szene, aber so ganz sicher scheint er mir nicht zu sein. So jedenfalls wirkt es in seinem interessanten Artikel zum Gothic Friday im April

In diesem Beitrag möchte ich mich vor allem auf die letzten Monate konzentrieren. Für das bessere Verständnis fasse ich den Weg dahin aber nochmal kurz zusammen: Letzten Sommer beendete ich mein Berufskolleg „Grafik-Design“ mit einen doch nicht so schlechtem Zeugnis wie befürchtet. Spätestens mit dem Zeugnis stand dann auch mein Entschluss fest, in dieser Richtung weiter zu machen. Schon etwas zu spät um sofort anfangen zu können, suchte ich mir zunächst ein Praktikums Platz, half gelegentlich noch bei meinem Vater im Kino aus und setzte mich (leider etwas zu spät) an die Bewerbungen.

Das bedeutete 3 DIN A 2 Mappen mit jeweils 10-15 Arbeiten für jede Hochschule. Vom Zeitplan her ein wenig ungünstig. Allerdings hatte ich so ab letzten Dezember erstmal viel Zeit. Die Mappen waren abgeschickt, es folgten die Aufnahmeprüfungen und dann hieß es erstmal warten. Zum Glück – oder je nach Sichtweise auch leider, denn wer die Wahl hat, hat die Qual – konnte ich mich sogar für eine Hochschule entscheiden. Ich fällte meine Entscheidung eher nach Bauchgefühl und fing an nach einem Zimmer in der neuen Stadt zu suchen.

Zwar nur 50km von meiner Heimatstadt entfernt aber weit genug, um bei meiner Mutter auszuziehen. Nach einiger Zeit fand ich auch ein Zimmer in einer 4er Jungs WG, man kann es sich eben nicht immer aussuchen. Und hier sitze ich jetzt: Visuelle Kommunikation, erstes Semester seit gut einem Monat und langsam auch endgültig in der neuen Stadt angekommen.

Magister Tinte vor dem Spiegel
Donnerstag Morgen. Für wichtige Fotos kann man auch mal zu spät kommen.

Einen Zusammenhang zwischen gestalterischen Berufen und der Szene würde ich nicht unbedingt sehen. Die anscheinend doch erwähnenswerte Anzahl von Leuten mit berufen in dieser Richtung würde ich eher der generellen Beliebtheit dieser zuordnen. Gerade auch Fotografen gibt es nicht gerade wenige, dadurch eben auch in der Szene. Ich selbst fotografiere auch sehr ferne und habe einen Account bei Flickr, auf dem ein paar meiner Bilder zu sehen sind. Dort finden sich zwar keine Gasmasken-Blut-Fetisch Bilder, aber ein Paar Grabsteine sind schon zu entdecken und teilweise vielleicht auch etwas atmosphärische Melancholie. Mein ungefähr gleichzeitig auftretendes Interesse an Gestaltung und der Schwarzen Szene würde ich ebenfalls eher als Zufall beschreiben. Aber wer weiß, vielleicht hängt es aber doch irgendwie zusammen.

In meinem Kleidungsstil musste ich mich nie Anpassen. Für mich war es eigentlich immer normal bei einem Praktikum nicht unbedingt mit einem Bauhaus Shirt aufzutauchen, sondern schlichtes Schwarz zu tragen. Weiter als das musste ich mich bis jetzt nie anpassen. Weder bei der Wohnungssuche brauchte ich länger als Kommilitonen und auch sonst erinnere ich mich an keinen unangenehmen Zwischenfall in den letzten Jahren.

Selbst den Spitznamen Dracula trage nicht ich sondern ein Geschichts-Professor, welche ausschließlich in vollständig abgedunklten Räumen seinen Vorlesungen hält.

Da ich gerade die Freiheit habe mich so zu kleiden wie ich will, tue ich dies auch. Einzig mit der Einschränkung das mir morgens oft nur 5 Minuten im Bad bleiben versteht sich. Ein Anblick den ich, wie ich finde, meiner Umwelt noch zumuten kann. Letztendlich entschied ich mich doch dafür den Beitrag zu schreiben, gerade weil ich von keinen negativen Erfahrungen berichten kann, die auf meinen Kleidungsstil oder ähnliches zurückzuführen wäre.

Gothic Friday April: Zeitweilig stellt man mir dümmliche, unreflektierten Fragen (GM)

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Kleidung und Aussehen gehören mal mehr und mal weniger zum Berufsleben dazu. Für GM gehört es einfach dazu, auf ihre Kleidung zu achten. Sie weiß um die Wirkung, die ein extravaganter Kleidungsstil auf ihre Mitmenschen haben kann und muss sich manchmal dümmlichen und unreflektierten Fragen stellen. Für den Gothic-Friday im April erzählt Sie ein wenig über ihre Tätigkeit und auf welche Art Sie den Spagat zwischen bewusster Szenezugehörigkeit und dem beruflichen Erscheinungsbild ausführt.

Welchen Beruf übst du aus?

Ich bin die Assistenz (irgend)einer Leitung, auch Sekretärin genannt, was mir persönlich mehr behagt. Angestellt im öffentlichen Dienst, ich mag die Sicherheit. Der Beruf macht mir auch noch Spaß, derzeit besonders, weil ich ohne Chef bin. Der Job selbst ist trocken, Büroarbeit halt, tippen, telefonieren und Kaffee kochen, manchmal recherchieren. Es kommen oft Besucher aus den Referaten und Abteilungen. Ich mag den Umgang mit ihnen, die meisten kenne ich bereits über zehn Jahre. Mein Büro liegt in der obersten Etage. Obgleich ich nicht zur Hausleitung gehöre, komme ich doch manchmal mit deren externen Besuchern in Kontakt. Darum muss ich schon von Hause aus etwas auf meine Kleidung achten.

(Wie) Lassen sich Gothic und Beruf verbinden und ist das überhaupt wichtig?

Mein Privatleben trenne ich strikt von der Arbeit, ohne jedoch meine Persönlichkeit an der Eingangstür abzugeben. Natürlich haben sich über die lange Zeit, in der ich zum Haus gehöre, einige soziale Kontakte ergeben.

Als ich in diesem Haus anfing, in einem Bürojob ohne Kundenverkehr, kam ich noch in langen, spitzenbesetzten Röcken, zu Schnürstiefeln und Blusen oder Shirts, zur Arbeit. Nach sieben Jahren begannen meine Vertretungen auf der jetzigen Stelle. Im Laufe der Zeit änderte sich mein Kleidungsstil im Büro, gar nicht mal nur berufs-, sondern auch altersbedingt. Ich legte mir einen gewissen Fundus an Arbeitskleidung zu. Selbstgenähte Etuikleider, die nicht immer (nur) schwarz sind, dafür immer mit schwarzen Strümpfen und Schuhen kombiniert werden und Röcke die ich ebenfalls mit schwarzen Teilen kombiniere. Da ich keine Piercings und Tätowierungen habe, muss ich weder etwas verdecken noch entfernen. Der Schmuck ist Silber, manchmal mit keltischen Knoten oder Ornamentik. Schminken ist Teil meines morgendlichen Ablaufs. Es wird aber, bis auf den Kajal, meist nur dezent aufgetragen.

GM - Stoffe
Eine Auswahl der Stoffe meiner Kleider und Röcke

Die Kollegen, die ich in meine Nähe lasse, kennen meinen Hang zum Düsteren, wissen von meiner Vorliebe auf Friedhöfen zu fotografieren. Sie wissen auch, dass ich meine Klamotten selbst nähe, die sie nicht nur auf Fotos sehen möchten, sondern teils auch gerne in natura vorgeführt bekommen, sofern sie bürotauglich sind.
Vergangenes Jahr bekam ich von „meiner“ Etage eine CD von Goethes Erben und ein Buch von Christian von Aster zum Geburtstag. Für die, die noch nicht wussten, was ich so in meiner Freizeit mache, musste ich am nächsten Tag Fotos von meinen Klamotten mitbringen. Manche Kollegen zeigen sich sehr interessiert an meinen Lebenswandel, aber nur denen, die mir nicht zu neugierig erscheinen, sondern ehrliches Interesse vermuten lassen, erzähle ich davon.

Welche Abstriche nimmst du bei deinem Äußeren in Kauf oder würdest du in Kauf nehmen?

Ich denke, dass es an meinem jetzigen Arbeitsäußeren nichts auszusetzen gibt. Deswegen würde ich auch keine Abstriche machen, sollte zum Beispiel dem neuen Chef mein Äußeres nicht gefallen. Dafür ist das Haus auch zu individualisiert, mein Arbeitgeber ist in Sachen Personalführung ganz hervorragend.

Welche Vorurteile oder Probleme tauchen im Umgang mit Chefs, Kollegen oder Kunden auf?

Grundsätzlich stoße ich mit meinem Arbeitsaussehen, das vielleicht speziell ist, aber nicht überborden anders, auf Akzeptanz. Dennoch muss ich mich zeitweilig dümmlichen, unreflektierten Fragen gegenüber gestellt sehen. Kollegen, die mich schon Jahre kennen und wissen wie ich rumlaufe, fragen ob etwas passiert sei. Wenn ich dann zurückfrage warum, kommt die Antwort, weil ich so schwarz angezogen bin. Manchmal werde ich auch gefragt, ob ich denn immer schwarz trage und es gibt ungefragt Stylingtipps, welche Farben mir besser stehen würden. Letztes Jahr erzählte ich, dass ich während des WGT in der Kirche war, da meinte ein Kollege allen ernstes, ob die Kirche entweiht war. Auf meine Frage, warum denn eine Kirche entweiht sein sollte wenn ich sie betrete sagte er, dass solche wie ich sie ja sonst nicht betreten könnten. Manche Kollegen assoziieren eine Domina in mir. Solchen Leuten schieße ich direkt vor den Bug.

Gothic Friday April: Keine Probleme an der Front! (Fogger)

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Den Eingangsgedanken, den Fogger in seinem aktuellen Artikel zum Gothic Friday im April äußert, dürfte den Meisten wohl sehr nahe liegen. Letztendlich hat er sich doch hingesetzt und schiebt die Berufswahl ambitionierter Gruftis in die IT-Richtung. Jedenfalls ein bisschen. Ich bin ja, wie Fogger, auch davon ausgegangen, dass sich viel mehr Leute aus der Szene menschenscheu hinter dem Bildschirm verkriechen. Offensichtlich habe ich mich geirrt.

Die ersten beiden Gothic Friday Themen gingen sehr leicht von der Hand, daher war ich gespannt auf das neue Thema. Irgendwie war das Wichtigste schon abgefragt. Als ich dann das neue Thema lass, dachte ich: „Okay, da hab ich nichts beizutragen“. Aber eventuell ist ja gerade mein „Kein Problem“ Beitrag auch ein wertvoller Beitrag.

Wie viel Prozent der Schwarzen haben mit IT zu tun?
Während eines Festivals kamen wir mit einigen Leuten ins Gespräch und immer wieder wurden Berufe aus der IT Welt genannt. Einer der Anwesenden stellte sogar die These auf, dass 80% der Leute IT Spezialisten seien. Das war auf dem Mera Luna 2014 und ist möglicherweise nicht sonderlich repräsentativ für die Leser der Spontis Seite. Aber wir waren damals zu viert und davon waren drei IT Fachleute. Ich selbst bin in der Entwicklung für CRM-Software tätig und liebe es, dort logische Aufgaben und Rätsel zu lösen.

Das Äußerliche ist nicht so wichtig
Passbild von FoggerFür mich ist das Äußerliche nicht so wichtig. Als ich nach dem Studium und nach dem Zivildienst mit 24 anfing zu arbeiten, hatte ich für mich beschlossen: „Frisur wird jetzt normal“. Ich habe damals schon immer Fotos gehasst. Heute bedauere ich dies und das einzige Foto, auf dem man eine ordentliche Frisur erkennen kann, ist in meinem Führerschein.

Natürlich habe ich meinen schwarzen Mantel und die Ketten geliebt, aber das hatte ich nicht lange getragen. Ausgefallen war es trotzdem und ich gehe davon aus, dass mehr Leute an der FH mich kannten als ich selbst Leute kannte. Meine Haare färbte ich mir nie und auch Schminke nutzte ich gar nicht. Das waren Dinge über die ich öfters mal nachdachte, aber nie umgesetzt habe. Damit war es für mich auch kein Problem die Seiten einfach etwas wachsen zu lassen, als der „Ernst“ des Lebens begann. Heute, nachdem sich meine Lebenssituation geändert hat, denke ich auch wieder über eine Rückentwicklung meines Äußeren nach. Bisher hat es jedoch noch keine Wichtigkeit bei mir erlangt. Ich vermute die Ursache liegt darin, dass mir immer hauptsächlich die Musik wichtig ist und immer bleiben wird.

Kein Geheimnis

Auf der Arbeit mache ich kein Geheimnis aus meinem eher ungewöhnlichen Musikgeschmack. Da mein Äußerliches auch keinen Grund für weitere Gedanken bietet, ist dies nicht dramatisch. Was mir aber immer wieder auffällt, ist die vollkommene Ahnungslosigkeit in den Gesichtern, wenn man Ansätze von schwarzer Musik und Kultur erzählt.

In unserer kleinen Softwareentwicklergruppe von 12 Leuten, gibt es drei weitere Kollegen, mit denen ich musikalische Übereinstimmungen erziele. Zum einen Jo. Er ist eher ein Metal-Fan aber wir haben eine Schnittstelle bei den Lakaien, Estampie, Qntal und Janus. Dann gibt es noch Mone, deren Musikgeschmack ich gar aber gar nicht verstehe. Irgendein Metalkram. Aber ihr Motto ist jedenfalls: „Ich trage so lange Schwarz, bis es was dunkleres gibt“. Dann gibt es da noch den Benni und der ist ein unglaublicher Mensch. Optisch ein absoluter Normalo, der auch rein emotional nichts mit Gothic zu tun hat. Sein Musikgeschmack ist extrem vielfältig. Auch wenn seine Partymukke eher Richtung Techno geht, hört er von Reinhard Mey bis  zu den Einstürzenden Neubauten einen wirklich extremen Mix. Unsere Übereinstimmung finden sich bei den Neubauten, NDT und dem Mittelalter-Genre.  Zweimal hat mich bereits schon zum Mera Luna Festival begleitet.

Doch noch ein Problem
Mein Problem nennt sich Facebook. Aufgrund meiner IT Affinität und der meines Umfeldes wird Facebook intensiv genutzt. Das bedeutet, dass ich viele „Freunde“ dort habe, die einen beruflichen Hintergrund haben. Das sind Kollegen von anderen Standorten, Mitarbeiter von Partnerfirmen oder sogar von Kunden. Ich verschweige meine Orientierung nicht aber reduziere meine Posts doch erheblich. Man kann zwar die Sichtbarkeit von eigenen Posts entsprechend einschränken, aber wenn man in öffentlich sichtbaren Gruppen Artikel verfasst, können dies automatisch alle „Freunde“ in ihren Threads sehen.

Nachtrag zum GF vom März
Neulich an der Arbeit: „Schau mal Jo. Hier hat jemand eine Grafik zur Timeline meines Musikgeschmacks gemacht.“ Jo: „Cool. Du hörst Neoklassik?“. Ich: „Scheinbar, hab mich damit noch nicht so beschäftigt“. Jo: „Und was ist mit Nicolas Lens? Gehört er dort rein?“. Ich: „Ähm, keine Ahnung. Aber wie konnte ich den nur vergessen?“. Das möchte ich hiermit nachholen. Mein Lieblingslied und seine tolle Trilogie.

Nachtrag 2 – 5 Stück für Everblacks sind einfach viel zu Wenige, daher nochmals 5 Stück :-)
1. “Malaria” – “You Turn To Run”
2. “Pink Turns Blue” – “Michelle”
3. “Fields Of The Nephilim” – “Last Exit For The Lost”
4. “Virgin Prunes” – “Baby Turns Blue”
5. “Girls Under Glass” – “Believe In Yourself”

Gothic Friday April: Ein Kindheitstraum, der in Erfüllung ging (Regin Leif)

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Es muss ja auch mal schöne Geschichten geben. Sollte man jedenfalls meinen, wenn man der Überschrift dieses Artikels von Regin Leif glauben schenken möchte. Ganz so rosig ist es dann noch nicht geworden. Wie Sie trotz schlechter Jobaussichten von ihrer „brotlosen Kunst“ leben kann, verrät sie Spontis in Ihrem Artikel zum Gothic Friday im April

Schon als kleines Kind wollte ich Archäologin werden. Mit dem geballten Wissen aus den Terra X Dokumentationen – damals waren die Sendungen tatsächlich noch ziemlich cool – und den „Was ist Was“ Büchern suchte ich verlorene „Schätze“ bei uns im Garten. Da wusste ich noch nicht wirklich auf was ich mich einlassen würde.

Das Ziel verlor ich nie wirklich aus den Augen. Ich besuchte auf den Reisen mit meinen Eltern viele Ausstellungen, Museen und Kulturdenkmäler. Auf dem Gymnasium wählte ich natürlich Latein als 2. Fremdsprache und Geschichte dann im Leistungskurs in der Oberstufe. Doch irgendwie hatte das so alles nicht wirklich viel mit Archäologie zu tun. Nach dem Abitur habe ich mich dann in Vor- und Frühgeschichte, Kunstgeschichte und später dann auch in Klassische Archäologie an der Johannes-Gutenberg Universität in Mainz eingeschrieben. Damit kam ich einen großen Schritt meinem Traum näher, der genauso ernüchtern aussah. Schlechte Jobaussichten, brotlose Kunst und für was mach ich das alles überhaupt?

Aber ich war an der Stelle angekommen, wo ich tatsächlich hinwollte. Ich nahm an diversen Ausgrabungsprojekten im In- und Ausland teil, verdiente mein erstes Geld und bereiste viele Länder. Im fortgeschrittenen Studium fiel zwar dann die Entscheidung auf eine klassische Abschlussarbeit, bei der ich Fundmaterial zweier Fundstellen auswertete, aber auch die berufliche Orientierung mit einem Schwerpunkt auf Depot/Archiv, Fundverwaltung und Datenbankmanagement.

So sammelte ich die ersten Erfahrungen am Römisch-Germanischen Zentralmuseum, wo ich mich unter anderem mit den Original-Inventarbüchern von 1850 des Museumsgründers und dem hiesigen Bildarchiv auseinandersetzte. Diese Arbeit bildete dann nach meinem Abschluss die Grundlage für ein weiteres Projekt bei der Landesarchäologie Rheinland-Pfalz, wo ich noch immer arbeite. Nach einem kurzen Abriss meines Werdeganges zurück zu den eigentlichen Fragen: Szene und Beruf

Regin Leif - Im Gelaende bei der Arbeit(Wie) Lassen sich Gothic und Beruf verbinden und ist das überhaupt wichtig? Welche Abstriche nimmst du bei deinem Äußeren im Kauf oder würdest du in Kauf nehmen?

Es stellte sich mir nie die Frage, ob ich meinen Beruf und meinen Lebensstil miteinander verbinden lässt. Die Szene gehört zu mir und ist eben mein Lebensstil. Wobei ich auch zugeben muss, dass sich in der Archäologie genug „Freaks“ rumtreiben, die dann auch noch irgendwo/irgendwie der Szene angehören. Schwarze Klamotten, Undercut und Springerstiefel sind also nie wirklich groß während dem Studium aufgefallen. Zum Übergang von Studium zum Beruf wurde ich etwas seriöser, aber das Schwarz blieb und ließ ich mir auch nicht nehmen. Auch auf meiner derzeitigen Stelle laufe ich logischerweise schwarz rum – nie übertrieben aufgerüscht, da das einfach im Depot unglaublich unpraktisch ist. Glücklicherweise ist mein Chef auch eher alternativ unterwegs und so sind mir schon beim Vorstellungsgespräch seine Dr. Martens sowie seine schwarze Kleidung aufgefallen ;-)

Welche Vorurteile oder Probleme tauchen im Umgang mit Chefs, Kollegen oder Kunden auf?

Im Umgang mit meinen Chefs und Kollegen hatte ich nie wirklich Probleme. Klar wurde man mal ausgefragt und klar war es irgendwo auffällig, dass ich immer recht flexibel mit meiner Arbeitszeit/Urlaub war AUßER an Pfingsten – da konnte ich nie. Bei Besuchern, Gästen beziehungsweise Kunden wird man zwar ab und an beäugt (vor allem, wenn es dann eher mal die etwas ältere Generation ist), aber damit kann ich gut leben und schwarz wirkt ja auf der anderen Seite sehr edel.

Meist ist auch das Interesse an der Szene deutlich größer als die Abneigung. So kann ich für mich sagen, dass Szene und Beruf bei mir sich wirklich gut miteinander verbinden lassen und ich mir da auch nie wirklich viele Gedanken dazu gemacht habe und machen musste. Glücklicherweise…

Gothic Friday April: Unkonservative Ansichten eines konservativen Berufs (Jana)

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Als Jana Strangeplant die Beiträge zum Gothic Friday im April las, war Sie erstaunt, wie tiefgründig und unterhaltsam die Teilnehmer ihre Erfahrungen im Beruf geschrieben haben. Die Tatsache, dass Sie ihrer Meinung nach keinen „szenetypischen“ und eher konservativen Beruf ausübt hat sie dann angestachelt, selber einen Beitrag zu verfassen. 

Einen spießigen Bürojob könnte ich nie machen!“ Ganz oft habe ich das in meinem Leben gehört, es sogar selbst geäußert. Als es darum ging, sich um einen Ausbildungsberuf zu bewerben, stand für mich fest, dass es einer werden sollte, in dem man schwarze Kleidung ohne Schwierigkeiten tragen und in den man sich einbringen kann, ohne sich zu verstellen und zu verbiegen…

Bestatter war in meinen Vorstellungen ein idealer Beruf. Ich fühlte mich dazu tatsächlich befähigt. Oft wurde und wird mir bestätigt, dass ich ein geduldiger, ruhiger, verständnisvoller Mensch bin, gut zuhören, argumentieren und Rat erteilen kann… Was jedoch die freien Lehrstellen anbelangte, war die Auswahl Mitte der 1990er Jahre recht überschaubar und so musste ich nehmen, was sich darbot.

Nun ja… es sollte sich herausstellen, dass meine beschriebenen Eigenschaften in meinem tatsächlich erlernten Beruf durchaus auch hilfreich sind. Zu uns ins „Büro“ kommen Menschen dann, wenn sie sich gerade in emotional angestrengten Lebenssituationen befinden. Wenn sie verärgert, verunsichert, verzweifelt oder besorgt sind, sich ungerecht behandelt fühlen und Rat suchen. Rechtlichen Rat, denn ich bin Rechtsanwaltsfachangestellte. Neben allerlei „Paragraphenpauken“ organisiere, schreibe, rechne und recherchiere ich, um meinen Chef zu unterstützen. Auf der anderen Seite kämpfe ich oft im Behördendschungel und nicht zuletzt bin ich für die Menschen, die mit uns in Verbindung treten, Ansprechperson und Vermittler zwischen knallharten rechtlichen Tatsachen auf der einen und dem reellen Leben auf der anderen Seite.

Jana Strangeplant - Die konservativeUnd genau das macht für mich den Reiz an meinem Beruf aus. Es ist nicht irgendein Bürojob. Es ist eine besondere Herausforderung. Jeden Tag habe ich Einblick in das Leben der unterschiedlichsten Menschen. Ihre Nöte und Sorgen, ihre Angst und Verzweiflung, aber auch ihr Glück, ihre Freude und Erleichterung. Ich beobachte, wie sie damit umgehen, welche Schlüsse sie ziehen und welchen Einfluss das wiederum auf ihr Leben hat.

Ich war schon immer jemand, der gerne hinterfragt, das ABER in Diskussionen einwirft und auch mal eine Mindermeinung vertritt, nach Alternativen sucht und die Kehrseite der Medaille betrachtet. In meinem Leben und auch durch meinen Beruf habe ich erfahren, dass Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld, Gewinn und Verlust, Freude und Leid nicht klar differenzierbar sind, nein sogar eng nebeneinander liegen, sich vermischen und sich einander bedingen. Es lohnt sich immer, das Yin im Yang zu suchen, offen zu sein, für das Positive und die Augen vor dem Negativen nicht zu verschließen. Immer wieder bestätigt sich für mich, dass Menschen, die danach leben, die glücklicheren sind. Diese Erfahrungen gelten für mich beruflich und privat.

Ich finde es nach wie vor wichtig, einen Job zu haben, der mich fordert und mit mir im Einklang steht. Umgekehrt fließt meine Persönlichkeit in die Art und Weise ein, wie ich meine Arbeit erledige. Nur so kann ich sie gut und auch gern machen und selbst mit mir zufrieden sein. Ich denke jeder, der seinen Beruf ernst nimmt und mit Freude ausführt, trägt Erfahrungen daraus mit in sein Leben und bringt seine Persönlichkeit auch in das Berufsleben mit ein. Dann wird es auch geschätzt und anerkannt.

Vielleicht hatte ich Glück bei der Berufswahl und mit den Kanzleien, in denen ich bisher gearbeitet habe, oder es hat sich so entwickelt, weil ich meinen Prinzipien treu geblieben bin. Auf jeden Fall empfinde ich meinen Job als Teil meines Lebens, auch wenn er augenscheinlich mit Gothic nichts zu tun hat.Und dennoch funktioniert es für mich miteinander.

Auch mit meiner schwarzen Kleidung. Ich trage schwarz seit ich 14/15 bin. Selbstverständlich und jederzeit auch auf Arbeit. Vorurteile oder Probleme haben sich daraus nie ergeben. Niemand hat sich – zumindest seit Ende meiner Schulzeit – mir gegenüber negativ deswegen geäußert. Natürlich achte ich auf gepflegte Kleidung und wenn ich morgens im Büro ankomme tausche ich die Schnürstiefel unterm Schreibtisch mit den Pumps oder Ballerinas. Möglicherweise hat der Bürojob auch dazu beigetragen, dass mein Stil privat etwas klassischer ausfällt. Aber prinzipiell trage ich meine schwarzen Miniröcke und Shirts sowohl im Büro als auch privat. Nur halt beruflich ohne Nietengürtel und ohne Löcher in den Strumpfhosen.

Ich kann mir nicht vorstellen, in Job und Privatleben unterschiedliche Personen zu verkörpern. Es macht mich glücklich, dass ich beruflich und auch privat von den Menschen um mich herum (Familie, Freunde, Kollegen und Chef) als die Person geschätzt werde, die ich bin, genauso wie ich bin.

Gothic Friday April: Kreativbombe auf dem Weg vom Hobby zum Beruf (Zæddyst)

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Diese Mail im Gothic-Friday-Account musste herausstechen. Satte 52 MB groß, versprach der Beitrag zum Gothic Friday im April von Zæddyst Blacksun, einige besondere Leckerbissen in Form von Bildern. Denn der Fotograf machte seine Leidenschaft zum Beruf und schickte neben seinen Antworten auf die Fragen auch einige Beispiele seiner Arbeiten.

Welchen Beruf übst du aus oder strebst du an?

Ich bin eigentlich gelernter Altenpfleger. Aus gesundheitlichen Gründen war ich gezwungen, meinen Beruf an den Nagel zu hängen. Ich war schon immer eine „Kreativbombe,“ und viele haben mich gefragt, warum ich meine Hobbies nicht zu meinem Beruf machen möchte und dieser Gedanke begann an mir zu nagen. Momentan bin ich dabei, mich frisch selbstständig zu machen. Das Ganze läuft bei mir zweigeteilt. Auf der einen Seite steht da die Fotografie, mit der auch alles angefangen hat. Das ist in erster Linie das, was ich als „meine Kunst“ bezeichne. Ich liebe es, mein Innerstes in Bilder zu bannen und ebenso liebe ich es, zu provozieren.

Beispielhaft kann man hier glaube ich das „Scar Project“ nennen, eine Fotoserie, die ich gegen Ende 2015 gestartet habe. Ziel dieser Serie war/ist es, genau das in den Fokus zu rücken, was normalerweise versteckt wird: Narben. Dabei war es mir egal, ob es sich um Unfall- Operations-, selbst oder durch Fremdeinwirkung entstandene Narben handelt. Größtenteils sind aber durch Selbstverletzung entstandene Narben dabei. Das Ganze habe ich versucht, in schwarz-weiß und sehr schattig, dunkel und künstlerisch umzusetzen. 08/15 Portraitbilder und Sonnenschein kommen für mich nicht infrage, ich will immer Emotionen mit meinen Bildern hervorrufen, gleich, ob das Geborgenheit, Ekel, Zorn, Liebe, Trauer oder Entsetzen ist. Natürlich mache ich aber auch einfach gerne Bilder mit viel Kunstblut und Portraitshootings mit interessanten Szene-Typen.

Der andere Teil meiner Arbeit besteht aus Pyrografie und Holzarbeiten. Dabei brenne ich Motive in Holzplatten, die man so nie woanders in dieser Form finden würde, wie zum Beispiel Horror-, Gothic, oder Fantasy-Motive. Auch große Karten aus Games oder Mittelerde brenne ich auf Platten, setze Farbakzente und Ornamente ein und lackiere das Ganze anschließend. 2016 habe ich auch angefangen, kleinere Schmuckartikel wie individuelle Runenketten und Ear Plugs zu fertigen. Dazu benutze ich ausschließlich Holz, das ich eigenhändig aus Wäldern zusammentrage und von Hand bearbeite.

(Wie) Lassen sich Gothic und Beruf verbinden und ist das überhaupt wichtig?

Das kann ich als Selbstständiger natürlich von einer sehr freien Warte berichten. Ich mache Szenekunst für die Szene, je abgefahrener, desto besser. Eigentlich geht das Ganze sehr fließend ineinander über, da meine Kunden zum allergrößten Teil aus der schwarzen Szene stammen. Viele Probleme, die andere Szenegänger im Arbeitsalltag haben, fallen bei mir weg.

Ich bin allerdings schon der Meinung, dass man beides bis zu einem gewissen Punkt verbinden können muss. Wenn man beispielsweise seine Optik mehr als ein wenig anpassen MUSS um seinen Job ausüben zu können, so entsteht meiner Meinung nach ein innerer Druck. Dieser innere Druck kann sich negativ auf das eigene Empfinden sowie die Arbeit auswirken. Je freier man sich in seinem Berufsleben entfalten kann, desto entspannter und glücklicher ist man mit seinem Beruf und kann demzufolge auch besser arbeiten.

Welche Abstriche nimmst du bei deinem Äußeren im Kauf oder würdest du in Kauf nehmen?

Keine. Früher habe ich mich minimal an die Wünsche meiner Chefs angepasst, bei Plugs zum Beispiel. Man muss aber irgendwann einen Schlussstrich machen. Ab dem Punkt, wo man sich selbst nicht mehr erkennen kann muss man Schluss machen. Ich habe beispielsweise gekündigt, als ich meine Haare anders schneiden sollte. Heute bin ich da noch ein ganzes Stück radikaler geworden. Ich arbeite um zu leben, ich lebe nicht, um zu arbeiten. Man muss sich selbst die Frage stellen: „Was ist mit wichtiger, mein privates Leben oder meine Arbeit?“ Nach mehr oder weniger überlegen werden die meisten wohl sagen, dass ihnen ihr privates Glück mehr am Herzen liegt. Warum sollte man also den „wichtigsten“ Punkt einem minder wichtigen unterordnen?

Aber auch an dieser Stelle kann ich mir meine Maßstäbe selbst setzen. Ich könnte mir auch das komplette Gesicht zutätowieren. Wenn ich das tue, muss ich selbst mit den Konsequenzen leben, aber niemand verbietet es mir, und das ist mir wichtig.

Welche Vorurteile oder Probleme tauchen im Umgang mit Chefs, Kollegen oder Kunden auf?

Meine Kollegen (oder auch meine „3 helfenden Elfen,“ wie ich sie immer gerne nenne) sind allesamt aus der schwarzen Szene, ebenso 90% meiner Kunden, daher bleibt mir nur kurz und knapp zu sagen: Nein, keine Vorurteile und Probleme.

Gothic Friday April: Schwarz, kreativ und flexibel (Caro)

Im April gibt es diesmal ein ganz alltagstaugliches Gothic-Friday-Thema, es geht um Berufe und Berufung. Die Frage dabei ist, ob es Gothic-typische Berufssparten gibt, ob sich Schwarzgewandete gezielt bestimmte Berufe suchen oder ob es da irgendwelche scheinbaren Gemeinsamkeiten gibt. Ich für meinen Teil kann, wenn ich meinen Freundes- und Bekanntenkreis unter die Lupe nehme, schon bestätigen, dass es viele gibt, die in kreativen oder sozialen Berufen arbeiten. Im Einzelhandel sind auch ein paar, ebenso im Marketing und Kulturbereich, sogar zwei im juristischen Metier, einer ist Archäologe. Eigentlich ein breiter Querschnitt, nur typische Büro- oder „Fließbandjobs“ fehlen gänzlich. Es gibt ein paar, die auch gestylt arbeiten gehen (dürfen), aber die meisten passen sich im Alltag schon ein wenig bis stärker an.

Bevor ich auf die Vereinbarkeit Gruftisein und Job in meinem Fall näher eingehe, skizziere ich erst mal meinen Lebenslauf.

Mein beruflicher Werdegang war ein ganz schöner Zickzack-Kurs, auch wenn sich vieles von dem, was ich zuvor gelernt habe, auch heute noch gebrauchen und nutzen lässt. Und letztlich haben alle meine Berufe, die ich gelernt und ausgeübt habe, als kleinsten gemeinsamen Nenner doch eines, und zwar wird (mal mehr, mal weniger) Kreativität gefordert.

Schon als Schülerin wollte ich am liebsten etwas Kreatives erlernen, Zeichnen, Texten oder Gestalten. Mein Lieblingsfach war Kunst und ich habe auch in meiner Freizeit sehr viel gebastelt und gezeichnet, aber auch Gedichte und lustige bis ernste Texte verfasst. Als ich einmal an einem sehr umfangreichen Test zur Ermittlung der persönlichen Berufs-Eignung teilnahm, wurde mir als Ergebnis unter anderem eine Ausbildung zur Dekorateurin vorgeschlagen. Kunst-Lehrerin wäre ich zwar auch gerne geworden, aber da mein Selbstbewusstsein nicht das stärktste war, gruselte mich doch etwas die Vorstellung, später vor vielen Menschen stehen und reden zu müssen. Dekorateurin/Schauwerbegestalterin klang aber auch interessant, ich mag liebevoll dekorierte Schaufenster und habe schon immer die Regale in meinem Zimmer (und später meiner Wohnung) optisch ansprechend gestaltet. Als Grundschülerin hatte ich eine „Schatzecke“ in einem Schrankfach, in der ich Federn, Steinchen, allerhand Nippes und Fotos anordnete. Auch archäologische Restauration hätte mich gereizt, aber da war es sehr schwer, überhaupt ranzukommen.

Dunkle Deko

Caro und die Schaufensterpruefung
Mein Prüfungs-Schaufenster, bei dem alle Einbauten selbstgebaut sein mussten. Der Aufbau erfolgte in einer Halle.

Also entschloss ich mich, trotz bestandenem Abitur, zu einer Ausbildung zur Schauwerbegestalterin und ergatterte 1995 sogar einen sehr begehrten Ausbildungsplatz in einem großen Kaufhaus – aus über 80 Bewerbern als einzige ausgewählt zu werden, machte mich unheimlich glücklich und stolz. Ich nahm damals an einem Einstellungstest teil, und als wir zum Schluss mit einer Zange aus einem Stück Draht ein Weihnachtssymbol biegen sollten, bastelten alle anderen Sterne und Tannenbäume. Ich baute einen Engel, dessen Flügel ich nach hinten wegbog, so dass die Figur dreidimensional wurde. Das war der Grund, weshalb sie mich nahmen. Leider nütze mir meine doch etwas „unkonventionellere“ Kreativität nur hier etwas, später in der Ausbildung gab es hier doch öfter Reibereien, da ich mich stärker „austoben“ wollte, als ich durfte.  Die Ausbildung machte zwar Spaß, aber ich merkte schon bald, dass man längst nicht so frei arbeiten konnte, wie man wollte. Gerade in Filialunternehmen gibt es oft Vorgaben, wie genau eine Deko auszusehen hat (oft ein Foto/Skizze zum Komplett-Nachbauen). Dann verbringt man, wenn es um Bekleidung geht, einen nicht unerheblichen Teil der Arbeitszeit damit, Klamotten zu bügeln und fehlende Arme an Schaufensterpuppen aus Kartonresten wieder anzubasteln :-( Ich hatte auch das Pech, in der Ausbildung eine direkte Vorgesetzte zu haben, mit der ich nicht klar gekommen bin. Schüchtern wie ich war, traute ich mich nicht, Grenzen zu setzen, und wurde zum Teil ganz schön schikaniert. Dennoch zog ich die Ausbildung durch und schloss mit „sehr gut“ ab, was mir etwas Genugtuung verschaffte gegenüber der blöden Vorgesetzten.

Leider hatte ich nach der Ausbildung einiges Pech mit verschiedenen Anstellungen, was ich mir damals sehr zu Herzen nahm. Obwohl mir immer wieder gesagt wurde, dass ich gut arbeite, kam ich nie über die Probezeit hinaus. Bis mir später jemand mal steckte, dass es in dieser Branche häufig vorkommt: wenn eine Ladeneröffnung, Ostern, Weihnachten oder andere umfangreiche Umdekorationen anstehen, werden neue Leute eingestellt, jedoch lediglich als inoffizielle Kurzzeit-Unterstützung. Das sagt einem natürlich keiner… und wenn dann nicht mehr gebraucht wird, weil weniger Arbeit anfällt, und man ein unnützer Kostenfaktor wird, wird einem wieder gekündigt. In der Probezeit brauchen sie ja keine Kündigungsgründe angeben! Und der neue Mitarbeiter gibt in der Probezeit alles, weil er den Job ja behalten will, kommt selbst noch krank zur Arbeit, hat keinen Urlaubsanspruch… Diese Ausbeutungsmentalität hat mich sehr erschreckt. Inzwischen hatten sich auch die Berufsaussichten für Dekorateure verschlechtert, weil immer mehr Schaufenster zu Verkaufsfläche wurden und die Verkäufer notfalls ja auch eine „Puppe“ anziehen können, man so Kosten einspart. Ich befand mich also gefühlt und tatsächlich in einer Sackgasse und suchte nach einem Ausweg.

Gruftige Grafik

Während eines Deko-Jobs in einem Möbelladen hatte ich zugleich sehr viel mit Blumen und Pflanzen gearbeitet, daher dachte ich zunächst an eine Umschulung zur Floristin. Das Arbeitsamt genehmigte mir jedoch leider keine Umschulung, da ich ja offiziell in meinem Ausbildungsberuf noch als vermittelbar galt… Und letztlich schreckte mich das dann doch sehr geringe Gehalt eines Floristen etwas ab. Der Versuch, doch noch Grafikdesign oder Kunst auf Lehramt zu studieren, scheiterte an den Aufnahmeprüfungen, unter anderem, weil ich damals noch kaum  Computerkenntnisse besaß. Auch eine Umschulung zur Mediengestalterin für Digital- und Printmedien hätte mich gereizt, aber das wurde mir ebenfalls vom Amt verwehrt. Als Alternative bot mir das Arbeitsamt eine Weiterbildung zum dtp-Operator an, also Grafik in Verbindung mit Layout und Drucktechnik, von allem etwas. Das klang auch gut, ich nahm an und besuchte nun für anderthalb Jahre einen Bildungsträger. Das war schon eine coole Zeit, sehr interessant (Bildbearbeitung, Computergrafik, Webdesign, Druckvorstufe, Layout), aber leider umsonst. Denn obwohl ich auch hier mit „sehr gut“ abschloss, bekam ich ohne Berufserfahrung einfach keinen Job! Ich machte mehrere Praktika, baute mir eine eigene Webseite, bewarb mich bundesweit – aber erfolglos. Ich war verzweifelt. In den Praktika war es gut gelaufen, aber sie reichten natürlich nicht aus. Es gab jede Menge jobsuchende Grafiker, die mehr Erfahrung vorweisen konnten. Wieder eine Sackgasse! Zunächst versuchte ich noch, meine Chancen durch private Fortbildungen und Kurse zu verbessern. Doch fand ich damals wenig Brauchbares an Fernstudien für Berufsgrafik, mehr etwas für Hobbyanwender.

Bio-Boom

Wie es der Zufall wollte, stieß ich bei meinen Fernstudien-Recherchen auf einen umfangreichen Lehrgang zur Naturkost-Fachberaterin. Zum einen hat mich Ernährungswissen und Lebensmittelkunde schon länger interessiert, ich koche auch sehr gern mit allerhand Getreide- und Reformhauszeugs, und zum anderen begann gerade der Bio-Boom, so dass die Job-Aussichten im Anschluss nicht schlecht aussahen. Ich kniete mich total rein, paukte wie eine Besessene (Zeit hatte ich als Arbeitslose genug) und suchte mir Praktika in einem Bioladen und Reformhaus. Ziemlich schnell nach erfolgreichem Studienabschluss bekam ich dann auch eine befristete Anstellung in einem Reformhaus – witzigerweise durfte ich dort sogar Schaufenster dekorieren und Werbematerial wie Prospekte gestalten. Leider war es nur befristet, so dass ich wieder suchen musste. Diesmal klappte es aber wirklich mit einer Anstellung in einem Naturkostsupermarkt. Ich hatte lange Zeit auch viel Freude an der Arbeit, vor allem an der schönen Präsentation der Waren (da kam die Deko-Tante wieder durch) und der Kundenberatung. Leider wurde im Laufe der Zeit jedoch immer mehr an Personal gespart, die Arbeit wurde immer stressiger. Unter Zeitdruck arbeite ich nur ungern, ich mache gerne etwas zu Ende, bevor ich was anderes mache, und schon gar nicht mehreres gleichzeitig. Jetzt musste jeder die Arbeit von zwei, drei Leuten machen und es war nur noch unbefriedigend. Gleichzeitig Brot, Käse und Wurst bedienen und dazu noch die zweite Kassenkraft sein, sobald mehr als 3 Kunden an der Hauptkasse anstehen – das schlauchte. Hinzu kam der ständige Schichtdienst, oft mit sogenannten „kurzen Wechseln“, zwischen den Schichten lagen oft nicht mal die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhestunden. Ich wurde immer öfter krank, bekam schließlich Asthma, igelte mich nach der Arbeit nur noch zu Hause ein, soziale Kontakte litten. Da dachte ich erneut daran, so geht es nicht weiter! Ich wollte mich wieder mehr auf das konzentrieren, was mir Spaß macht, anstatt immer mehr die Freude an der Arbeit zu verlieren. Was mir am meisten lag, war beraten und kreative Lösungen suchen. Lösungen suchen…. ich suchte….

Du bist, was du isst

getraenkeinfostand
Ein von mir aufgebauter Getränke-Infostand auf einem Schulfest.

…und fand schließlich tatsächlich eine: Ernährungsberatung! Die hatte ich im Laden zum Teil schon durchgeführt, da Naturkost-Fachleute auch ein umfangreiches Ernährungs-Fachwissen lernen, wie zum Beispiel die Ernährung von Schwangeren, Stillenden und Allergikern. Ich freute mich immer, wenn ich Kunden weiterhelfen konnte, die entweder ein Ersatzprodukt suchten, ihre Ernährung umstellen wollten oder Fragen zu den bioladen-spezifischen Produkten hatten. Ein Ökotrophologie-Studium hätte leider einiges an erneuter Zeitinvestition und finanzieller Unsicherheit bedeutet, aber zum Glück entdeckte ich, dass derselbe Bildungsträger, bei dem ich das Naturkost-Fernstudium absolviert hatte, auch einen Lehrgang zum Ernährungs-Coach anbot. Hinzu kam das unverschämte Glück, dass ich viel Zeit und Kosten sparen konnte, da sich einige Lehrbrief-Inhalte beider Kurse überschnitten! So konnte ich in nur 4 statt 10 Monaten den Kurs berufsbegleitend machen. Der Nachteil war, das ich als nicht klassisch Studierte keine Anerkennung der Krankenkassen bekam, mir also nur der Schritt in die Selbständigkeit blieb, sofern mich keine Praxis oder andere Institution in Ernährungsfragen einstellte. Ich putzte Klinken wie verrückt, baute mir eine neue Webseite und auch ein Netzwerk mit Praxen, Beratungsstellen und Bildungsträgern auf – und landete schließlich in der Erwachsenenbildung und als Leiterin von Kochkursen an Schulen (selbständig). Das ging ein paar Jahre gut, hat mich sehr, sehr beschäftigt und zum Teil auch sehr beglückt, aber leider irgendwann auch wieder sehr frustriert. Die Seminare wurden eingestellt nachdem der Bildungsträger verkauft wurde. Den Schulen wurden nach und nach Gelder gestrichen, ein längeres Ernährungserziehungs-Projekt an einer Schule wurde von Lehrern und Eltern torpediert. Ich brachte das Projekt noch zu Ende und überlegte, was ich nun machen könnte, um wieder mehr finanzielle Sicherheit zu haben. Es war mir zwar nie wichtig, viel Geld zu verdienen, aber ein gewisses Maß an Sicherheit möchte ich doch haben.

Hungrige Mäuler stopfen

Ich ließ mich nicht entmutigen – wieder mal war Lösungsfindung angesagt (ist ja kreativ). Warum nicht FÜR Kinder kochen, wenn ich schon MIT Kindern gekocht habe und in Seminaren über Kinderernährung dozierte? Also putzte ich wieder Klinken bei Kitas und Jugendprojekten, ob sie nicht eine Köchin bräuchten, die sich in Fragen zu Kinderernährung und Allergien gut auskennt. Ich bot an, auch erstmal als Vertretung zu arbeiten, was letztlich dankbar aufgenommen wurde. So durchlief ich einige Kitas, lernte immer mehr hinzu und hatte überraschend viel Erfolg: in fast allen Kitas, in denen ich kochte, hätten sie mich im Anschluss am liebsten weiterbeschäftigt! Das tat meinem etwas angeknacksten beruflichen Selbstbewusstsein unglaublich gut, zumal ich ja Quereinsteigerin bin, keine ausgebildete Köchin. Doch es fiel mir überhaupt nicht schwer, mich in die „Massenverpflegung“ hineinzufinden, zumal es immer kleine, familiäre Kitas waren, in denen ich arbeitete. Inzwischen habe ich einen befristeten Vertrag bekommen, mit recht guten Aussichten auf anschließende Weiterbeschäftigung. Die Arbeit macht Spaß und Kochen ist letztlich auch eine kreative Tätigkeit, zumal ja noch einiges an Organisation und Planung hinzukommt. Ich hoffe, dass ich jetzt wirklich mal „angekommen“ bin und diese Arbeit noch lange mit Freude machen kann.

Hier beim Kochen mit Kindern in einem Ferienprojekt:

kochkurs1 kochkurs2

Grufti bei der Arbeit

Bisher hatte ich das Glück, mich mit meinem Äußeren nicht allzusehr an irgendwelche gesellschaftlichen Normen anpassen zu müssen. In der Deko-Branche gab es nie Probleme mit einem etwas „anderen“ Outfit, es wurde sogar eher gut gefunden, dass sich ein kreativer Mensch auch optisch etwas abhebt und mutiger ist. Dennoch bin ich nie heftig gestylt arbeiten gegangen, zu unpraktisch durften die Sachen beim Herumwerkeln schließlich auch nicht sein und es reichte mir, mich durch bunte Strähnen, „Katzenaugen“ und dunkle Kleidung ausdrücken zu können.

Im Bioladen hatten wir anfangs einfach eine Schürze über unserer Alltagskleidung, da hatte ich auch ziemliche Narrenfreiheit, zumal außer mir noch ein Punk und ein Heavy Metal-Freak bei uns arbeiteten. Die Bio-Szene ist ja auch zum Großteil etwas alternativer. Später gab es leider einheitliche Arbeitskluft, zum Glück in Dunkelblau (beim Reformhaus-Praktikum war es neongrün, da fühlte ich mich schon reichlich komisch drin), das ging noch. Bei einem Käppi hätte ich allerdings gestreikt ;-)

Während meiner Selbständigkeit schwankte ich im Kleidungsstil zwischen praktisch-unempfindlich-schwarz (Kochkurse), schlicht schick schwarz (Beratung) und dunkelbunt-elegant (Seminare), letzteres war schon das Harmloseste, was ich bislang aufbieten musste. Beim Kochen habe ich jetzt das Glück, dass es auch schwarze Kochbekleidung gibt, und meine Chefin sich auch mit simplen schwarzen Shirts arrangieren konnte. Ein Zugeständnis an meinen jetzigen Job habe ich jedoch machen müssen: wieder in die Kirche einzutreten (heutzutage eigentlich unsinnig, sowas, zumal wenn’s nur auf dem Papier ist).

Schminken und Haare stylen mach ich derzeit nur selten, da ich für meine furchtbaren Haare keine befriedigende halbwegs flippige Alltagslösung gefunden habe und da meine Augen auch häufig gereizt sind, fällt Schminken oft aus. Durch die Brille, die ich erst recht spät bekam, habe ich eh nur noch wenig Lust, mich zu schminken – sieht man ja dann kaum. Aber ich würde schon gerne auch im Alltag (wieder) mehr aus mir machen. Eine sowohl-flippige-als-auch-alltagstaugliche Frisur, die bei mir nicht schon nach wenigen Stunden zusammenfällt, das würde mich schon sehr glücklich machen. Irgendwie möchte man sich ja doch äußerlich ausdrücken, für sich selbst ansehnlich finden. Ich suche auch hier (noch) nach einer idealen Lösung… ;-) Es ist ja auch die Frage, wie viel Zeit man morgens im halbgaren Zustand für sein Styling investieren möchte. Da ist mir etwas mehr Schlaf mittlerweile wichtiger als äußerliche Selbstverwirklichung. An freien Tagen genieße ich es allerdings schon, einfach das anziehen zu könne, worauf ich Lust habe, und niemand mir da reinreden kann. So fühle ich mich dann auch am wohlsten.

Ich muss nicht auf Biegen und Brechen deutlich als Grufti erkennbar sein, aber meinen Anspruch an eine gewisse Ästhetik ausleben dürfen. Jeden Tag auf der Arbeit auch stilistisch in eine komplett andere Kluft zu schlüpfen, ist für mich irgendwie seltsam, fühlt sich fremd an. Aber das geht dem Banker, der am Feierabend wieder vom Anzug mit Schlips in seine geliebten Jeans und das Lieblings-Shirt wechselt, vermutlich ebenso. Das ist nichts speziell Gruftiges. Ich für meinen Teil kann mit Kompromissen in Bezug auf Arbeitskleidung leben, sofern mir eine gewisse Narrenfreiheit in Sachen Frisur und Haarfarbe gewährt wird. Zum Glück ist es heutzutage und besonders in einer Großstadt kein Stein des Anstoßes mehr, bunte Haare oder Strähnen zu haben. Tattoos und heftige Piercings habe ich keine und will auch keine, daher mache ich mir darum keine Gedanken. Mein kleiner Nasenstecker hat bislang auch noch keinen gestört. Gruftis werden von der Gesellschaft immer mehr akzeptiert, daher stellt sich heute nicht mehr so deutlich wie noch in der 80ern oder 90ern die Frage, inwiefern man seine Szenezugehörigkeit nach außen tragen kann, wenn man ins Berufsleben eintritt. Und das ist etwas, das ich sehr genieße, denn ich bin jemand, der es hasst, aufgrund seines Äußeren mit Vorurteilen und fiesen wie falschen Klischees konfrontiert zu werden.