30 Jahre Tschernobyl – Konrads bedrückende Reise in die Sperrzone

Heute wird die nukleare Katastrophe von Tschernobyl 30 Jahre alt. Erinnert Ihr euch? Damals war ich 12 Jahre alt und hatte allenfalls Angst vor dem Spinnen im Keller, dem Lauchgemüse meiner Mutter und vor Dirk von gegenüber, der mich damals immer verprügelt hat. Was jedoch im April 1986 in der einstigen Sowjetunion geschah, sollte nicht nur die Welt, sondern auch die Jugendkulturen und natürlich mich nachhaltig beeinflussen. Mit der jugendlichen Unbeschwertheit war es irgendwie vorbei.

Als der ambitionierte Fotograf und Spontis-Leser Konrad mir Anfang des Jahres von seiner bevorstehenden Reise in die Sperrzone um den Reaktor Tschernobyl erzählte, war für mich klar, dass ich die den Eindrücken und Bildern des 26-jährigen Friedbergers eine Plattform bieten wollte. Nicht nur, um eindrucksvolle Aufnahmen und einen interessanten Artikel zu präsentieren, sondern auch, weil diese Katastrophe für mich unmittelbar mit der Szene zu tun hat. Vielleicht geht es dem ein oder anderen genauso.

Im Morgengrauen des 26. April 1986 ereignet sich im Reaktorblock 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl der sogenannte Super-GAU. Während die Bewohner der nahe gelegenen Stadt Prypjat schlafen, fliegt die gewaltige Hülle des Reaktors durch eine enorme Detonation in die Luft. Eine Stichflamme schießt 1000 Meter in den ukrainischen Nachthimmel und bietet den aufgeschreckten Einwohner ein buntes und gleichzeitig bizarres Schauspiel. Die radioaktive Wolke, die sich durch die Explosion und den brennenden Reaktorkern ausbreitet, verbreitet in den folgenden Wochen in ganz Europa Angst und Schrecken. Ich weiß noch genau, wie groß die Verwirrung war, als die Nachrichten über den nuklearen Unfall berichteten und wie sich im Wetterbericht die radioaktive Wolke durch die vorherrschenden Windverhältnisse immer weiter Richtung Deutschland ausbreitete. Noch waren es Bilder in Nachrichten. Als dann aber Spielplätze gesperrt wurden, in der Tagesschau dazu geraten wurde bei Regen das Haus nicht zu verlassen, Gemüse und Salat aus den Regalen genommen wurden und die Leute begannen die jungen Pflanzen im Schrebergarten zu vernichten, war alles irgendwie unmittelbar, unausweichlich und unkontrollierbar.

Ein paar Monate später ist für viele alles vergessen. Deutsche Kernkraftwerke seien sicher, das AKW Brokdorf geht im Oktober 1986 ans Netz. Für mich war nichts in Ordnung. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum die Szene und ihre Musik damals so interessant waren. Texte und Auftritte voller Botschaften, Traurigkeit, Melancholie, Angst und Hoffnungslosigkeit fühlten sich nach Antworten an, die einem sonst keiner geben konnte.  Für mich sind die Erinnerungen an Tschernobyl und die Entwicklungen der folgenden Jahre essentieller Bestandteil meiner Szenezugehörigkeit. Konrads nun folgender Bericht unterstreicht diese Erinnerungen und meine heutige Einstellung für mich sehr eindrucksvoll.

Mit der Kamera durch Tschernobyl – Impressionen von Konrad

Tschernobyl 2016 - Ortsschild PrypjatIm März machte ich eine Fotoexpedition von urbexplorer.com in die Sperrzone von Tschernobyl. Die Reaktion seitens Familie und Freunde war ziemlich durchwachsen. Von „Das ist doch gefährlich wegen der Strahlung. Bist du sicher, dass du das machen möchtest?“ bis hin zu „Krass, wird bestimmt sau cool. Bring gute Bilder mit!“ war alles dabei. Ich kann auch verstehen, dass Einige Bedenken hatten. Allerdings würde es die Tour nicht geben, wenn es zu gefährlich wäre. Also fuhr ich nach Berlin und von da aus mit den anderen Teilnehmern erst nach Kiew und dann in die Sperrzone.

In die Zone kommt man nur mit den nötigen Genehmigungen der Regierung, weshalb es sinnvoll ist, das über einen entsprechenden Reiseveranstalter zu machen. Es ist militärisches Sperrgebiet, welches in zwei Bereiche unterteilt ist. Der erste ist die 30km-Zone um den Reaktor, in welchem sich die Stadt Tschernobyl, in welcher wir übernachtet haben, und die Radarstation Duga-3 befinden. Die Stadt Prypjat liegt in der 10km-Zone, wenige Kilometer vom AKW entfernt. Jeden Tag arbeiten dort immer noch etwa 3000 Menschen am und um den Reaktor und an dem neuen Sarkophag, der später über den Block 4 geschoben werden und isolieren soll.

Wir besuchten als erstes Einsiedler, welche sich nach dem Supergau wieder niederließen. Auch, wenn das Gebiet als unbewohnbar eingestuft ist, werden sie und alle anderen Einwohner von der Regierung dort geduldet. Ihre Lebensmittel baut das Ehepaar selbst an, die Wohnräume sind klein und vollgestellt mit Kleidung, Nahrung und Erinnerungsstücken. Ich fühlte mich dort in ein anderes Jahrhundert versetzt. Ein Leben in Abgeschiedenheit, umgeben von leeren Häusern und Einöde ist für mich unvorstellbar.

Nach dem Besuch fuhren wir in die Geisterstadt Prypjat

Es ist schon seltsam, durch tote Straßen und Häuser zu gehen und sich vorzustellen, dass dort vor 30 Jahren das blühende Leben herrschte. Die Natur hat sich die Straßen und Plätze zurückgeholt, in den Gebäuden findet man das, was die Menschen einst zurückgelassen haben. Ich kam während unseres Aufenthalts aus dem Staunen kaum heraus. An jeder Ecke gab es etwas neues zu sehen. Es war faszinierend, verstörend, dystopisch und apokalyptisch. Einige Bilder waren beängstigend und für uns heute unvorstellbar. Überall, besonders in den Schulen lagen Gasmasken herum – als Vorbereitung auf den Ernstfall.

Vieles wurde wahrscheinlich erst Jahre später so drapiert, hat aber seine Wirkung nicht verfehlt. Im Gegenteil, denn so wird die Tragik noch einmal drastisch verdeutlicht. Es war eine Mischung aus natürlichem Verfall, Vandalismus (der sich leider nie ganz vermeiden lässt) und dem ebenfalls häufigen Umgestalten ehemaliger Besucher.

Wir besuchten hauptsächlich öffentliche und soziale Einrichtungen, wie Kindergärten, Schulen, das Krankenhaus, aber auch die Fabrik Jupiter mir Bürogebäude und riesigen Hallen.Wir machten einen Spaziergang durch den Stadtkern mit einigen Stopps, wie dem Kulturzentrum, Läden, einem Café und natürlich auch dem Rummelplatz mit Autoscooter, Karussell und Riesenrad. Von 2 Hochhäusern hatten wir einen eindrucksvollen Blick über die gesamte Stadt uns deren Umland.

Am Horizont konnte man das Kernkraftwerk mit dem neuen Sarkophag sehen. Der Übeltäter ruht nur wenige Momente von der ehemaligen 50.000 Einwohnerstadt, als wäre nichts gewesen, wie ein Drache in seinem Horste neben einem Dorf, welches er gerade niedergebrannt hat.

Umso beeindruckender war es, als wir zum Kraftwerk selbst gefahren sind. Wir hielten direkt am Tor zu Block 4 mit dem Denkmal, welches an den Unfall erinnern soll. Bei dem Anblick wird einem schon etwas mulmig – von hier waren es nur noch wenige Meter bis zum Reaktor. Wissend, dass der alte Sarkophag eher eine Übergangslösung ist. Die Menschen, die wir hier gesehen haben, arbeiteten ganz normal, als wäre es ein Ort, wie jeder andere. Lediglich der Straßenkehrer hatte eine Staubmaske auf. Generell wirken die Menschen in der Zone, egal, ob Militär, Arbeiter, etc., sehr entspannt. Ich denke mal, dass sie einfach an das Leben hier gewöhnt sind. Es gibt feste Regeln, die zu befolgen sind, und solange jeder ordentlich seine Arbeit verrichtet, besteht wenig Gefahr für alle.

Radarstation Duga 3

Eine der letzten Stationen war die Duga 3 Radarstation, die nach dem Unfall aufgegeben wurde. Dieses 150m hohe und 750m lange Gebilde soll wohl den Westen abgehört haben. Berichten zufolge hat die Station aber auch in der Sowjetunion in vielen Sendern ein Störsignal hinterlassen, ähnlich dem Klopfen eines Spechts. Daher hat sie auch den Spitznamen „Woodpecker“. Imposant ist sie allemal. Das Gelände ist riesig und hat auch wieder viel zu bieten, wie Schulen, Steuereinheiten, Spielplätze und vieles mehr. Wir haben davon nur einen Teil besucht.

Dokumentation oder Sensationstourismus?

Sowohl vor, als auch nach der Reise kam immer wieder die Frage nach der Strahlung. Klar gibt es dort radioaktive Strahlung und einige Bereiche dürfen deswegen auch nicht betreten werden. Allgemein gesehen ist der Wert dort aber im Bereich des Erträglichen und auf den Straßen nicht höher als in Berlin. Wir hatten genug Dosimeter dabei, die uns vor zu hoher Strahlung gewarnt haben, und unser Guide hat uns einige Hotspots gezeigt, bei denen einem schon etwas mulmig wurde – Werte um die 90 Mikrosievert/h. Beim Verlassen der Zone muss man zudem einen Scanner passieren, damit man nichts Radioaktives mit raus nimmt. Sofern man sich also an die dort herrschenden Regeln hält, ist alles in Ordnung.

Bild von KonradAbschließend möchte ich noch sagen, dass es die wohl beeindruckendste und interessanteste Reise meines Lebens war. Durch verstrahltes Land zu gehen, die Kamera immer im Anschlag, auf der Suche nach dem richtigen Motiv ist angesichts der tragischen Geschichte etwas merkwürdig, auch für mich selbst. Es ist eine Gratwanderung zwischen geschichtlich-fotografischer Dokumentation und Sensationstourismus (womit ich auch schon konfrontiert wurde). Jeder hat seine Beweggründe für diese Tour. Meine konnte ich hier hoffentlich etwas verdeutlichen.

Oft habe ich mich gefragt, wie die Stadt in ihrer Blütezeit aussah und wie die Menschen hier lebten. Hatten sie Angst, dass es eines Tages einen Unfall im Kraftwerk geben könnte und wie sind sie damit umgegangen? Hätte man das alles verhindern können? All diese Gedanken mit den Eindrücken vor Ort haben mir oft eine Gänsehaut beschert. Den Blick zu uns gerichtet, komme ich auf ähnliche Gedanken.

Ich war letztes Jahr auf dem Maintower in Frankfurt und konnte von da aus das Kraftwerk Biblis sehen. 60 km sind eine vergleichsweise große Distanz und dennoch nicht groß genug. Ich gehe mal davon aus (und hoffe), dass unsere Kernkraftwerke recht gut gesichert sind und im Falle eines Lecks im Reaktor oder Ähnliches schnell und gut reagiert wird. Einen Ausstieg aus der Atomenergie sehe ich in den nächsten Jahren nicht. Wünschenswert wäre es auf jeden Fall. Es wird noch lange dauern, bis sich erneuerbare Energien so sehr etablieren, dass sie die alten Quellen ablösen können. Und selbst dann ist die Gefahr der Kraftwerke noch nicht vorbei. Tschernobyl ist noch heute in Betrieb und kann nicht einfach abgeschaltet werden. Auch der Atommüll ist ein weiteres Problem, für das es noch keine endgültige Lösung gibt. Ich hoffe aber, dass es diese gibt, bevor es zu spät ist. Vielleicht ist dieser Jahrestag ja ein Anreiz für neue Diskussionen auf allen Ebenen, welche auch die ein oder andere gute Idee hervor bringen und zu Taten anregen.

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Orphi
Orphi(@orphi)
Editor
Vor 7 Jahre

Auch für mich war Tschernobyl ein absolut traumatisches Erlebnis und der Vorfall war garantiert mit ein Grund für Verzweiflung und ein düsteres Lebensgefühl. Wer nicht dabei war, kann sich das vielleicht gar nicht vorstellen. In der Tagesschau sah man nicht nur die Nachrichten über den radioaktiven Regen nach Tschernobyl. Wir rannten damals mit dem Geigerzähler durch den Schrebergarten und haben letztlich doch alles Gemüse vernichtet. Es hieß auch, dass die Wälder durch die Umweltverschmutzung sterben (saurer Regen). Die Russen und die Amerikaner drohten sich im Fernsehen ganz offiziell mit Atomschlägen. Alles Gründe, über die Welt und die Gesellschaft nachzudenken und sich abzuwenden. Unsereins fand dann Weltschmerz, Gesellschaftskritik Angst und Trauer in der Szene-Musik gespiegelt. Vielleicht nicht immer bewusst. Konrads Bericht zeigt, wie es 30 Jahre (!) nach einem Atomunglück in der Region aussieht. Eine Möglichkeit, auch der jüngeren Generation die Gefahr von Atomkraftwerken deutlich zu machen. Vielen Dank, Konrad.

stoffel
stoffel(@stoffel)
Vor 7 Jahre

Vielen Dank für’s „mitnehmen“ Konrad und die wirklich beeindruckenden Bilder … faszinierend und erschreckend zugleich. Der besagte Schauer über den Rücken kam nicht nur einmal.
An „Sensationstourismus“ hätte ich im Leben nicht gedacht … ich persönlich sehe die Tour als eine Möglichkeit sich vor Ort ein Bild zu machen … da wird mir wieder einmal bewusst wie Bekloppt die Spezie Mensch manchmal ist.

mela
mela (@guest_52090)
Vor 7 Jahre

Danke, Konrad, für deinen Bericht.
In die Sperrzone möchte ich auch schon länger, ohne Kamera (bin kein Freund von Fotografien). Deine Bilder sind bedrückend und fangen dennoch die Atmosphäre vermutlich nur in Bruchstücken auf.

Ich komme gebürtig aus dem Wendland, für mich ist Radioaktivität und Atommüll ein Thema seit meiner Kindheit. Als ich vor über zehn Jahren in Salzgitter gewohnt habe, sollten die Stollen von Schacht Konrad als Lager dienen – diese führten unter dem Grundstück entlang, auf dem ich wohnte.
An Tschernobyl kann ich mich nur ganz dunkel erinnern – ich war damals erst drei Jahre alt. Mir hatte damals Jahre später noch meine Grundschullehrerin bei einem Waldspaziergang erklärt, warum wir keine Pilze oder Bucheckern sammeln durften.
Und vor 20Jahren habe ich an einem Spendenlauf teil genommen, der an das zehnjährige erinnern sollte. Vielleicht laufe ich in zwanzig Jahren beim 50. Jahrestag wieder bei einem mit.
Und besuche bis dahin die Sperrzone selber.

Guldhan
Guldhan(@guldhan)
Vor 7 Jahre

Hat eigentlich mal jemand mitgezählt? Natürlich sind Tschernobyl bzw. Prypjat sehr fotogen und Fukushima mittlerweile Youtube-Star. Aber sonst?
Wer sich dahingehend mal einen heiteren Nachmittag machen möchte, kann in der Liste der International Nuclear and Radiological Event Scale (der Internationalen Bewertungsskala für nukleare und radiologische Ereignisse) stöbern. Seien es Unfälle, seien es meldepflichtige Störungen, sei es irgendeine Dunkelziffer an internen Problemen, von altersschwachen Reaktoren, die nun nicht unbedingt immer gleich jeder Depp erfahren sollte.
Man braucht sich um solche GAUs -bin ich eigentlich der einzige, der es als Hohn empfindet, vor den Begriff des Größten Anzunehmenden Unfalls noch ein leuchtendes »Super« zu setzen- wenig Gedanken zu machen, wenn man bedenkt, was permanent um uns herum so in Luft und Wasser geblasen und in die Erde gekleckert wird. Da können inländische Anlagen noch so sicher sein. Und der Russe, auch zeitgeschichtlich, schön weit entfernt und der Japaner noch weiter weg, das ist völlig egal. Im Grunde haben wir doch permanent alle etwas davon. Somit auf weitere 30 erfolgreiche Jahre in eine strahlende Zukunft. Ja, ich liebe dieses platte Wortspiel.

Aber mal ernsthaft. Prypjat reizt auch mich schon seit Jahren. Sowie ich ohnehin eine Leidenschaft für großangelegte Stadtruinen besitze. Und irgendwann würde auch ich gerne durch dessen brüchige Straßen und ruhenden Gebäude streifen. Außerhalb von »S.T.A.L.K.E.R. – Call of Pripyat«.
Das Argument des Sensationstourismus würde ich persönlich nicht ernst nehmen. Jedes befremdliche, jede Tragik, besitzt ihre Faszination, sonst würde man diese ja auch nicht erfahren wollen. Sei es in der BILD, an einem Unfallort oder eben vor Ort im Strahlungsgebiet. Diese Art von Neugier liegt uns inne. Und mit je mehr Respekt man an diese Neugier herangeht oder je mehr Wert man aus dieser zieht, desto weniger braucht man sich für seinen Umgang damit zu rechtfertigen.

Scarlet Wollstonecraft
Scarlet Wollstonecraft (@guest_52093)
Vor 7 Jahre

Es ist doch wirklich interessant, wie verschiedene Generationen auf die hier aufgeführten Bilder reagieren. Als 90er-Kind sehe ich zunächst sublime Ruinen, die irgendwie trist und doch schön sind. Zwar bin ich mir des historischen Hintergrunds bewusst, doch die Sicht auf diese Ruinen ist – verständlicherweise – eine distanzierte. Auch Konrads Eindrücke sind sehr analytisch, obwohl er direkt vor Ort war. Daher finde ich es richtig schön, dass hier einige Zeitzeugen ihre Erfahrungen mit der Atomkatastrophe geschildert haben. Insbesondere der Bezug zur Schwarzen Szene ist für mich absolut nachvollziehbar – allerdings auch wieder mit einer gewissen Distanz, da mein Szeneeinstieg in einer sehr friedlichen Zeit stattfand. Ich schätze mal, dass der Weltschmerz in den 80ern insgesamt authentischer war. Und plötzlich kommt man sich als moderner Gruftie richtig klein vor.^^

Mone vom Rabenhorst
Vor 7 Jahre

Ich kann mich auch noch gut an „Tschernobyl“ erinnern, schrecklich! Muß ich nicht noch mal haben.
Ich hoffe nur, daß alle AKW’s dieser Welt noch ca. 30 – 40 Jahre (?) irgendwie durchhalten, dann bin ich voraussichtlich weg und kriege die ganze Scheiße hier nicht mehr mit. Ändern kann ich daran eh nix. Zum Glück haben wir keine Kinder. Eine Schande, was die älteren Generationen (hauptsächlich Regierungen, Politiker, große Firmen) der Nachwelt hinterlassen, vor allem in Sachen Atommüll, bei dem niemand weiß, wie gefährlich das noch werden kann.

Flederflausch
Flederflausch(@flederflausch)
Vor 7 Jahre

@ Scarlet: Wenn ich mir so den Zustand der Welt anschauen: zahlose Konflikte und Flüchtlinge, wiederaufkeimender Fremdenhass und Rechtspopulismus, zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, Umweltverschmutzung, Ausbeutung von Arbeitskräften und ganzen Volksgruppen etc. dann scheint mir an den 80ern nichts authentischer. Nur näher,unmittelbarer. Was bekommt man schond davon mit, wenn in Indien mal wieder ein Arbeiter von vielen an den Folgen der Arbeit mit giftigen Chemikalien ohne Schutzausrüstung stirbt, dass wir billig Kleidung kaufen können. Was interessiert hier schon, wenn Boko Haram mal wieder hunderte Frauen und Mädchen entführen um als Kämpferfrauen zu versklaven? Wer berichtet schon wenn in Südamerika wieder eine Frau zu einer Jahrelangen Gefängnisstraffe verurteilt wird, weil sie in der Illegalität einer Schwangerschaft abgebrochen hat, weil sie legal keine Abtreibung erhalten kann, egal unter welchen Umständen oder in welchen Lebensbedingungen das Kind entstand.
Ja, das ist weit weg, ja das ist nicht vor unserer Haustüre und ja uns geht es verhältnismäßig sehr gut. Aber mit unserer Konsum und Lebensweise sind wir teilweise daran beteiligt (Stichwort Konsum), dass wir heute priviligiert leben heißt nicht, dass es morgen noch so ist, heißt nicht, dass die Mensche hierzulande besser miteinander umgehen, dass die Zukunft strahlender ist. Unsere Zukunft ist prekär.
Bitte versteh das nicht als persönlichen Angriff, das ist es nicht, deine Aussage ist nur der Aufhänger ;)

Darüber hinaus, schöner Einblick, danke dafür :)

Gruftfrosch
Gruftfrosch(@gruftfrosch)
Vor 7 Jahre

Gut geschrieben, Flederflausch. Sehe ich auch so und danke für den Bericht Konrad. Als im April 1986 Geborener hat mich dieses Unglück irgendwie schon seit Kindesbeinen an begleitet. Es war mir als Kind schwer möglich zu verstehen, wie diese unsichtbare Gefahr in der Lage ist, Tausende Menschen zu töten, von der man meinte, sie im Griff zu haben. Auch heute noch ist es ein Thema. Um Deutschland herum stehen so einige ziemlich abgerockte AKW’s, die besser heute als morgen still gelegt werden sollten.

Orphi
Orphi(@orphi)
Editor
Vor 7 Jahre

Kann man sich diese „soziale Stille“ eigentlich heute noch vorstellen, wenn man in einer Welt voll facebook, snapchat und Co aufwächst? Man hatte in den 80ern morgens Kontakt zu den Eltern und Geschwistern, bis zum Nachmittag mit Lehrern und Mitschülern, nachmittags dann ein paar oberflächliche Stunden mit Freunden/Nachbarn/Bekannten oder „Vereinskameraden“. Ich hab mich viel im Jugendzentrum rumgetrieben. Das war es! Keine Smartphones, kein Internet, keine Kontakte über die Stadt hinaus, oft nicht einmal Telefon, weil das damals sauteuer war, wenn man stundenlang telefoniert hat. Man war mit sich und seinen Gedanken also -übertrieben gesprochen – die meiste Zeit des Tages sehr alleine. Ich war damals 15 Jahre alt und – wie Robert es schon schrieb – eine heile Welt brach zusammen. Wenn Du nur weißt, dass es in den Supermärkten keine Milch, kein Gemüse und kein Obst mehr gibt, und dass der Erdboden durch ein bisschen Regen auf Jahrzehnte verseucht ist, dann bekommst Du Todesangst. Wenn Du dann noch weißt, dass es sich in diesem Fall nur um einen „kleinen“ Unfall in einem Atomkraftwerk handelte, Russland und Amerika aber mit ganzen Atomraketen aufeinander zielen, dann wird das Ganze zu einer massiven Weltuntergangsstimmung … mit nur einer geringen Möglichkeit, sich darüber auszutauschen oder sich mit jemandem zusammenzuschließen. Wir gründen eine facebook-Gruppe, kotzen uns im Netz aus und klicken auf gefällt mir … das hätte uns damals vielleicht ganz gut getan. Ging aber nicht. Ich lag stundenlang auf dem Bett und hab an die Decke gestarrt – und dabei Musik gehört. So war das.

Flederflausch
Flederflausch(@flederflausch)
Vor 7 Jahre

Robert und Sabrina: ich finde eure Schilderungen sehr spannend. Ich kann mir das sicher auch ein stückweit nicht vorstellen, weil ich eben mit den „modernen“ Medien aufgewachsen bin und man das ja im Nachhinein immer anders bewertet als in der unmittelbaren Situation…

Nennen wir die Bilder künsterlisch gelungen, zumindest war es das, was ich mit „schön“ meinte ;)

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 7 Jahre

Ich bin ja derselbe Jahrgang wie Robert, habe das Geschehen damals also ebenfalls bewusst erlebt. Es hat mir schon ziemlich Angst gemacht, diese unsichtbare Gefahr. Ich weiß noch, dass ich immer, wenn ich rausging, nach dieser gefährlichen „Wolke“ Ausschau hielt. Es war wenig greifbar. Okay, ich war elfeinhalb Jahre alt, da machte ich mir sonst wenig Gedanken um die Welt, das war irgendwie neu. Aber Nachrichten schaute ich damals zum Glück noch nicht, sonst hätte ich wohl schlechte Träume bekommen. In der Schule sprachen wir damals nicht darüber. Vermutlich hatten die Erwachsenen Schwierigkeiten, uns das zu erklären.

Später, als ich etwas älter war, so mit zwölf, dreizehn Jahren, bekam ich schon des öfteren Angst vor Katastrophen, Kriegen und Epidemien. Ich las viel in der „Geo“ und auch in der Schule wurde immer mehr Politisches behandelt. Ich lag nachts stundenlang wach und hatte regelrecht Panik-Attacken. Irgendwann versuchte ich es mit Verdrängung, aber träumen tat ich immer wieder von Naturkatastrophen, Kriegen, Flugzeugabstürzen und anderen angsteinflößenden Dingen. Ob das typisch für die Stimmung in den 80ern war – Kalter Krieg, Umweltschäden usw. – weiß ich nicht, aber vermutlich haben die Kids ein, zwei Jahrzehnte später weniger Sorge um solche Themen gehabt, als recht viel Frieden herrschte und auch Umweltschäden wie das Waldsterben scheinbar zurückgingen, weniger Thema waren.

Seit ein paar Jahren mag ich einfach keine Nachrichten mehr schauen, weil einfach viel zu vieles passiert, was mir wieder massiv Angst einjagt. Fukushima, heftige politische Spannungen rund um den Erdball (warum wird die Menschheit nicht endlich mal klug/vernünftig und lernt aus vergangenen Konflikten?), Terrorgefahr, erneuter politischer Rechtsruck… es ist einfach furchtbar, und ändern/verhindern kann ich einzelnes Menschlein davon eh nichts. Ich sehe auch wenig Hoffnung in Demonstrationen, selbst Massen auf den Straßen bringen die Politiker nur seltenst zum Umlenken. Diese Hoffnungslosigkeit ist etwas, was mich dazu treibt, mich mit schönen Dingen zu befassen. So lange ich es noch kann. Carpe Diem.

Zu den Fotos aus Tschernobyl und Umgebung: ich finde es gut und richtig, zu zeigen, was dort passiert (ist). Es gab mal eine spannende Sendereihe, was geschehen würde, wenn die Menschheit von der Erde verschwände. Wie schnell alles zerfallen würde und wie lange manches wiederum bestehen bleibt. Verfall und Ruinen haben mich schon immer fasziniert. Alles, was Geschichte sichtbar macht. Was zeigt, wie unbedeutend der Mensch eigentlich ist. Wie unverwüstlich die Natur.
Ich fotografiere selbst sehr viel an sogenannten „Lost Places“. Diese Orte berühren mich, lassen mich staunen und schaudern, zugleich hat der Zerfall eine ganz eigene Ästhetik.

Radioaktive Sperrzonen sind trügerisch. Scheinbar holt sich die Natur alles zurück, aber die ist dennoch verwundet. Das Bizarre ist, dass die Gefahr nicht sichtbar ist. Es sei denn, durch technisches Gerät, das warnt. Der sorglose frühere Umgang mit radioaktivem und giftigem Material hat etliche Menschen auf dem Gewissen, noch heute schlummert vielerortens Gift und anderes schädliche Zeug. Das ist etwas, das der Mensch zu verantworten hat. Das Schlimme ist nur, dass es fast immer Unschuldige, Ahnungslose trifft.
Wenn Menschen bewusst in verseuchte Gebiete zurückkehren, sind sie der Gefahr bewusst. Das ist etwas anderes. Aber verstehen tu ich solche Entscheidungen nicht.

Flederflausch
Flederflausch(@flederflausch)
Vor 7 Jahre

Seit ein paar Jahren mag ich einfach keine Nachrichten mehr schauen, weil einfach viel zu vieles passiert, was mir wieder massiv Angst einjagt. Fukushima, heftige politische Spannungen rund um den Erdball (warum wird die Menschheit nicht endlich mal klug/vernünftig und lernt aus vergangenen Konflikten?), Terrorgefahr, erneuter politischer Rechtsruck… es ist einfach furchtbar, und ändern/verhindern kann ich einzelnes Menschlein davon eh nichts. Ich sehe auch wenig Hoffnung in Demonstrationen, selbst Massen auf den Straßen bringen die Politiker nur seltenst zum Umlenken. Diese Hoffnungslosigkeit ist etwas, was mich dazu treibt, mich mit schönen Dingen zu befassen. So lange ich es noch kann. Carpe Diem.

Seid ich keinen Fernseher mehr habe schaue ich auch nur noch Nachrichten, wenn ich bei meinen Eltern bin. Mir geht es da ähnlich wie dir und in letzter Zeit bekomme ich regelmäßig „I don’t want to live on this planet anymore“ Anfälle, wenn ich dann über die Nachrichtenseiten mitbekomme was passiert.
Die Welt ändern kann man sicher nicht, ich finde es aber wichtig in seinem eigenen Umfeld zu tun was man kann. Sei das in manchen Bereichen bewusster zu leben, andere Menschen mit Respekt und Offenheit zu begegnen oder sich lokal in irgendeiner Art und Weise zu engagieren. Gerade was die aufkeimende Fremdenfeindlichkeit angeht finde ich dürfen wir nicht wegsehen. Vielleicht ändert eine Demonstration erstmal nicht viel – aber es eine Form der Meinugsäußerung, des Unmuts, des wir sind damit nicht einverstanden und was die Nazis angeht – wir sind viele, ihr seid hier die Minderheit.

Darüber hinaus, Lost Places fotografiere ich auch super gerne, finde es dabei aber immer schade, wie viel von den vorherigen Besuchern zerstört wurde…

Konrad
Konrad (@guest_52178)
Vor 7 Jahre

Ich melde michd ann auch mal zu Wort, wenn auch recht spät.
Vielen lieben Dank für die netten Worte zu meinem Bericht und besonders an Robert, der mir die Möglichkeit hier gegeben hat. Meine Gednaken würden sonst noch heute in meinem Kopf schlummern.
Ich finde es interessant zu lesen, wie ihr diese Zeit miterlebt habt und wie sie euch beeinflusst hat. Ich als 89er Jahrgang kann dazu nicht viel sagen. Meine erste „Begegnung“ mit Prypjat war die von Tanzfledermaus beschirebene Sendung, was wäre, wenn die Menschheit nicht mehr existieren würde. Das war aber noch lange bevor ich angefangen habe zu fotografieren. Von allen Lost Places ist die Sperrzone der wohl eindrucksvollste Ort mit der tragischsten Geschichte. Ich war danach so gesättigt an Eindrücken, dass ich die Kamera einfach links liegen ließ und erst meine Gedanken ordnen musste. Man kann sagen, dass ich den Gipfel und somit das größte Ziel erreicht habe. So langsam geht es wieder und ich werde mich in nächster Zeit neuen Orten widmen können.

Das Thema Sensationstourismus habe ich mit eingebracht, da mir der Gedanke des öfteren kam. Überall, woe Schreckliches passiert, gibt es Schaulustige. So auch sicher bei Tschernobyl. Von Kiewaus kann man immer wieder Tagestouren dorthin buchen, wie in ein Freilichtmuseeum und tatsächlich behaupte ich mal, dass die Schwelle dahin nicht so groß ist. Guldhan hat das sehr schön beschreben.

Allen, die mit dem Gedanken spielen, einmal nach Tschernobyl zu fahren, kann ich nur sagen: Macht es! Die Guides kennen das Gelände sehr gut und wissen, wo ihr hin dürft und wo nicht. Die Erfahrung ist es wert.

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