Undead, undead, undead – Glückwunsch, Peter Murphy, du Godfather of Goth!

Der war schon so was wie der gruftige Bowie, damals in den späten 70ern.“ denke ich mir, als ich mir seine Videos anschaue. Peter Murphy, Sänger und Frontmann der legendären Band Bauhaus wird heute 57 Jahre alt.  Zwischen 1978 und 1983 prägte er zusammen mit der Band das Genre Gothic, was ihm den Spitznamen „Godfather of Goth“ einbrachte. Das populärste Stück „Bela Lugosi’s Dead“ ist seit nunmehr 35 Jahren einer der musikalischen Inbegriffe einer ganzen Musikrichtung und gilt als erstes Lied des Gothic-Rock. Doch nicht nur die Musik beeinflusste die Jugendkultur, sondern auch das Auftreten der Band.

Murphys markante Gesichtszüge – man achte auf die ausgeprägten Wangenknochen – der Stil sich zu schminken sind nicht nur Vorlage für das Idealbild des Goth sondern inspirierten James O’Barr auch zur Comicfigur Eric Draven in „The Crow“ die wiederrum ein paar Jahre später erneut den Stereotyp des „Gothic“ beeinflusste.

In den letzten 30 Jahren nach der Auflösung von Bauhaus versuchte sich Murphy in einer Band namens „Dali’s Car“, veröffentlichte einige Soloalben und erforschte fernöstliche Mythologie. Er konvertierte in den 80ern zum Islam, heiratete und lebt heute mit seiner Familie in Ankara. 2011 veröffentlichte er das hochgelobte Album „Ninth“, dass eine Brücke zwischen damals und heute bilden soll, bevor er 2013 in Californien unter Drogeneinfluss Fahrerflucht begang und zu 3 Jahren auf Bewährung verurteilt wurde. Zur Zeit befindet er sich auf einer ausgedehnten Tour.

Seit 1983 lebt der Mann von seinem Mythos, den er mit Bauhaus auf der Bühne prägte. Vermutliche beeinflusste seine Bühnen-Performance sogar die blutjungen Goths zu adaptiven Tanzstilen, wie man in diesem Video sehr gut sehen kann:

So richtig als Goth fühlte sich Murphy aber nie, er hielt Sängerin Nico eher dafür, wenn er sich an einen gemeinsamen Auftritt 1982 erinnert: „Nico was gothic, but she was Mary Shelley gothic to everyone else’s Hammer horror film gothic. They both did Frankenstein, but Nico’s was real.“ Auch wenn Ian Astbury vom Souther Death Cult im Buch von Dave Thompson behaupet: „The Goth tag was a bit of a joke,“ insists Ian Astbury. „One of the groups coming up at the same time as was Sex Gang Children, and Andi — he used to dress like a Banshees fan, and I used to call him the Gothic Goblin because he was a little guy, and he’s dark. He used to like Edith Piaf and this macabre music, and he lived in a building in Brixton called Visigoth Towers. So he was the little Gothic Goblin, and his followers were Goths. That’s where Goth came from.“

Gothic pur also, als Bauhaus und Nico in Salsbury 1982 gemeinsam auftraten. Christa Päffgen, wie Nico richtig hieß, war bei dem Auftritt deart zugedröhnt, dass Murphy sie während ihres Gesangs stützen musste, wie sich Ian Asbury erinnert: „Nico just ended up in Manchester on heroin. Southern Death Cult supported Bauhaus at Salford University when she did ‘Waiting for the Man’ with them, and Pete Murphy had to hold her up, she was so smacked out!” Sie starb 1988 an den Folgen dieses Lebenstils.

Muss nicht sein, das Murphy den selben Mist baut. Mit 57 sollte man so ganz langsam mal kürzer treten. Was er heute so für Platten kaufen würde kann man sich hier mal anschauen:

Herr Urbach, der Sonic Seducer und der Nationalismus

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Der Herr Urbach hat ein bewegte Vergangenheit. Gymnasium, Sparkassenkaufmann und Online-Werbung. Dann war er Mitglied der Piratenpartei und hat sich mit der Aktivistengruppe Telecomix durch das Umgehen der syrischen Netzzensur während des dortigen Bürgerkriegs einen Namen gemacht hat. Jetzt ist er freier Autor und arbeitet an seinem ersten Roman. Im seinem Blog widmete er sich jüngst mit dem Artikel „Der Sonic Seducer und der Nationalismus“ der aktuellen Ausgabe der besagten Zeitschrift, die mit dem Titel „Man spricht Deutsch„, Deutschlandfahnen und Bundesadler eine Sonderausgabe schmückt. Eine Ausgabe, die das Phänomen der deutschen Sprache in der Gothic-Musik beleuchten soll: „Ob Neue Deutsche Härte, Neue Deutsche Welle, Mittelalter, Gothic, Electro-Pop oder EBM: Fast überall wird deutsch gesungen. Wie oft und wie gut ist in der Sonic Seducer Sonderedition „Man spricht Deutsch“ nachzulesen“.  Beim Herrn Urbach sorgte das Cover dafür, dass er sich „spontan in meinem Mund übergeben musste.“ Er schreibt dem Herausgeber Thomas Vogel eine E-Mail, in der wortgewaltig Aufklärung fordert. Eine Antwort des Sonic Seducers bleibt zunächst aus, so veröffentlicht Urbach den Brief in einem entsprechenden Beitrag in seinem Blog. Da er in seinem veröffentlichten  Brief auch zu einem Rundschlag durch die schwarze Szene genötigt fühlt, möchte ich den Sachverhalt darstellen und selber einen offenen Brief an Herrn Urbach richten. Überraschenderweise wird am 9. Juli 2014 die Internetseite „Gruftis gegen Rechts“ (Inzwischen wieder geschlossen) ins Leben gerufen, die ebenfalls mit in die Diskussion einsteigen will. Doch eins nach dem anderen.

Er schreibt also dem Herausgeber des Sonic Seducer Thomas Vogel eine E-Mail, in der er um Aufklärung bittet.

Was haben Sie sich dabei gedacht, in Zeiten, wo Menschen nicht-Deutscher Herkunft 10 Jahre lang von Terrorbanden gejagt werden können, wo diese Menschen in Deutschland generell Angst um ihr Leben haben müssen und gerne mit dem Finger auf „die Ausländer“ gezeigt wird, eine Sonderausgabe zu machen, die nicht nur diesen ekelhaften Titel hat […] sondern auch noch mit der Deutschlandfahne und dem Bundesadler schmücken, die beide auch einzeln für ein Deutschland stehen, dass strukturell rassistisch, antiziganistisch, antisemitisch, faschistisch, homophob, imperialistisch und zu Guter Letzt auch noch völlig ohne Geschmack daherkommt.
Ich verstehe das nicht. Kommen Sie mir bitte nicht damit, dass die Grufti- oder schwarze Szene unpolitisch sei. Das ist sie nicht und jede Person die das behauptet, mag sich nicht damit auseinander setzen, dass in dieser Szene Nazis bzw. Rassisten rumlaufen und auch gerne mal der eine oder andere homophobe Witz gerissen wird. Außerdem ist Neofolk ja so tolle Musik. Auch der Blutharsch. Ist klar.

Da eine Antwort auf seine Nachricht ausbleibt, entscheidet er sich dafür, einen entsprechenden Blog-Eintrag zum Thema zu verfassen. Durch die sozialen Netzwerke verbreitet sich diese Breitseite gegen den Sonic Seducer sehr schnell, so dass man sich dort genötigt sieht, eine entsprechende Stellungnahme im Facebook-Profil des Sonic Seducer zu hinterlassen:

Wir möchten Stephan Urbach ausdrücklich bitten davon abzusehen, uns weiterhin völlig unreflektiert und unbegründet in die rechte Ecke zu drängen. Jeder, der Sonic Seducer kennt und regelmäßig liest, weiß 100 pro, dass gerade wir penibel darauf achten, dass keine Band mit (vermuteter oder offenkundiger) zweifelhafter Gesinnung auch nur namentlich erwähnt wird. Es ist befremdlich, dass wir wegen der Verwendung der deutschen Nationalfarben auf der aktuellen Sonderausgabe mehr oder weniger zu einer Stellungnahme gezwungen werden, die es aber geben wird. Bitte den Ball flach halten und einfach mal in die besagte Ausgabe reinschauen. Dann sollte eigentlich alles klar sein.

Das es Kommentare gehagelt hat, kann sich jeder vorstellen. Herr Urbach sieht darin „pures Gold„, denn die meisten Kommentatoren scheinen seine Vermutung in Sachen Nationalismus zu bestätigen, wie er in einem Nachtrag zu seinem ursprünglichen Artikel ergänzt.

Tatsächlich und kurioserweise verkündet gestern die Internetseite „Grufties gegen Rechts“, die Arbeit der von 10 Jahren aufgelösten „Geister Bremen“ wieder aufzunehmen. Für sie sind das Cover des Sonic Seducers, die Wutrede des Herrn Urbach und die auf Facebook entstandene Diskussion Anlass, die Arbeit gegen rechte Ideologien innerhalb der Szene wieder aufzunehmen.

Es ist mehr als 10 Jahre her, dass die Geister Bremen aufhörten, die “Gruftis gegen Rechts” zu betreiben. Sie hatten jahrelang wertvolle Arbeit geleistet und innerhalb der Szene über rechte Elemente in der Musik, in Symbolen und Motiven aufgeklärt. Wir sind nicht die Geister Bremen, sehen uns aber in ihrer Tradition und wollen die wertvolle Arbeit gegen Rechts fortführen. Auslöser für uns als Gruppe war das Cover des Sonic Seducer zu einer Sonderausgabe mit dem Titel “Man spricht Deutsch”. Darauf abgebildet war neben dem Ausspruch auch die Flagge der Bundesrepublik und dem Bundesadler. Die Gestaltung wurde von einem Menschen kritisiert und der dann wütend losstürmende Mob hat uns ein wenig geängstigt. Niemand hatte dem Sonic Seducer vorgeworfen, rechts zu sein. Wir glauben auch nicht, dass der Sonic Seducer rechts ist – einschlägige Bands finden im Sonic nicht statt und das halten wir auch für richtig. Doch auch Menschen, die definitiv nicht rechts sind, machen Fehler, meistens aus Unkenntnis oder weil sie einfach unüberlegt gehandelt haben.

Soweit die Fakten. Nachdem mir die ganze Diskussion zugetragen wurde und Herr Urbach die Kommentare in seinem eigenen Blog geschlossen hat, habe ich mich zu diesem Artikel und einer Antwort an Herrn Urbach hinreißen lassen:

Lieber Stephan Urbach,

ich mag Sie. Eigentlich. Querdenker, Andersmacher, Individualist und Kämpfer für die Meinungsfreiheit. So etwas flößt mir Respekt ein. Da veröffentlicht der Sonic Seducer einen Ausgabe mit dem wirklich – wie ich finde – bescheuerten Titel „Man spricht Deutsch“ und schmückt das Cover mit entsprechenden Farben und Symbolen. Ich finde das, genau wie Sie, völlig unpassend für ein „Leitmedium der Szene“, zu dem sie den Sonic Seducer in ihrem Text erheben.

Ganz ehrlich, ich lasse Ihnen ihre Meinung zu Deutschland. In manchen Dingen stimme ich sogar uneingeschränkt zu! Ich frage mich jedoch ernsthaft, ob es nicht völlig übertrieben ist, all diese verwerflichen Eigenschaften mit der Gestaltung eines Covers zu assoziieren? Offenbar reichen Ihnen diese Indizien für die Vermutung eines schwelenden Nationalismus.  Die in Facebook von Ihnen verlinkte Studie der Universität Marburg aus dem Jahr 2006, gibt auch nicht wirklich Aufschluss darüber, ob allein das Darstellen der Flagge oder des Bundesadlers zu vermehrtem Nationalismus führt. Ich bin also verwirrt. Genau wie Sie. Auch der Titel „Man spricht Deutsch“, der sich für mich wie die unfreiwillige Hommage an die gleichnamige Satire von Gerhard Polt handelt, birgt für mich keine potentielle Gefahr für eine ideologische Unterwanderung des Magazins. Es ist – und darin sind wir uns einig – ein schreckliches Cover. Dennoch, ich lasse Ihnen ihre Meinung. Für mich ich ist sie an den Haaren herbeigezogen und spiegelt eher ihre politische Haltung.

In ihrem Brief an Herrn Vogel, wettern sie auch gegen die schwarze Szene in der sie ja Nazis, Rassisten und homophobe Menschen vermuten und die ihrer Meinung nach alles andere ist, als unpolitisch. Um die Suppe zu würzen, werfen sie dann noch Neofolk und die Band „Blutharsch“ in den argumentativen Ring.

Seit 2008 betreibe ich diesen Blog und habe immer gegen eine Vereinnahmung durch rechte Ideologien oder gegen Homophobie gekämpft, berichtet und zum Nachdenken angeregt. Für mich liest sich ihre – mit Verlaub – verallgemeinernde und polemische Darstellung der Szene wie eine schallende, verbale Ohrfeige. Obwohl, wer sich mit Ihnen beschäftigt lernt ja, dass ein „Schlag in die Fresse“ für Sie ein adäquates Mittel gegen Nazis ist. Ein bisschen froh bin ich ja schon, dass ich kein Nazi bin. Oder halten sie mich für einen Nazi weil ich mich der schwarzen Szene zugehörig fühle?

Seien wir doch ehrlich Herr Urbach, ich mag solche verbalen Rundumschläge nicht. Wenn mir jemand etwas auf diese Art entgegenbrüllt, höre ich nicht zu, schalte auf Durchzug. Ich behaupte, dass ein Großteil der Szene mit dieser Art der Meinungsäußerung nichts anfangen kann. Ein wenig froh bin ich ja schon, dass sich gestern eine Internetseite mit dem Titel „Gruftis gegen Rechts“ gründete und die ganze Diskussion sachlich vorantreiben möchte. Die Diskussion auf Facebook, die Sie ja aufmerksam verfolgen, ist in gewisser Weise dem Ton ihrer Ausführungen geschuldet. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es so, wie man es in den Wald hineinruft, auch zurückschallt. In dem ganzen angiften jetzt potentiellen Nationalismus innerhalb der ganzen schwarzen Szene zu erkennen, halte ich für übertrieben. Vielleicht müssen sie einfach brüllen, weil sie eine Person des öffentliches Interesses sind, im Gespräch bleiben wollen und ja auch nächstes Jahr einen Roman veröffentlichen. Es sei ihnen gegönnt.

Herr Urbach, ich mag Sie. Eigentlich. Ich mag Sie für ihren Kampf gegen ein nationalistisches Deutschland. Irgendwie auch dafür, dass Sie den Fokus auf das Cover des Sonic-Seducer gelenkt haben. Uneigentlich kann ich ihre laute Art nicht leiden, die überzogene Polemik, das rüpelhafte, überzogene und rechthaberische. Vielleicht ist das am einfachsten mit den subkulturellen Wurzeln zu vergleichen. Die Grufties (also ich) und die Punks (ich unterstelle Sie) haben die gleichen Wurzeln aber eine vollkommen andere Art damit umzugehen. Die gleiche Party werden wir nie besuchen. Welche nun sinnvoller ist, überlasse ich dem Urteil der anderen.

Ich halte die Gothic-Szene immer noch für unpolitisch. Seit Jahren wehrt sie sich immer wieder gegen eine ideologische und politische Vereinnahmung. Das Duldungsverhalten gegenüber Musikstilen oder zwielichtigen Bands ist allerdings verbesserungswürdig, keine Frage. Das Buch, „Ästhetische Mobilmachung“, dass sie in ihrem Artikel ebenfalls anführen, hilft mir auch nicht beim nachvollziehen ihrer Meinung. Denn dort werden nur eine Hand voll Bands unter die Lupe genommen, die sich an eben diesen Randbereich bewegen. Daher finde ich eine Allgemeingültigkeit im Hinblick auf die ganze schwarze Szene für mehr als fragwürdig. Ich finde es sogar gut, dass die „Gruftis gegen Rechts“ jetzt wieder erklären wollen, obwohl ich mich an dieser Stelle frage, ob es in den letzten 10 Jahren so schlimm geworden ist? Die Szene hat keine ideologischen Nährboden.

Keine Frage, es gibt Nazis, Rassisten und Homophobiker in der schwarzen Szene. So wie in jeder anderen Szene auch, so wie in der Gesellschaft, so wie in jedem Land und auf der ganzen Welt. Dumme Menschen halten sich nicht an subkulturelle, ungeschriebene Regeln. Ich kann die Idioten in ihren Uniformen auch nicht leiden, die haben in „meiner“ Szene nichts verloren. Mit Neofolk kann ich nichts anfangen und doch gibt es Menschen die das in die Szene getragen haben und es dort leben. Wir müssen mit ihnen umgehen, aufklären und zum nachdenken anregen. Ihre Methode halte ich für zweifelhaft und uneffektiv, aber das ist nur meine Meinung.

Der Sonic Seducer hat Mist gebaut, das Cover ist peinlich. Goth sei dank war die Zeitschrift meiner Ansicht nach noch nie ein „Leitmedium“ der Szene, sondern nur ein Marketingblättchen mit Anzeigenwerbung.  Herr Urbach, auf ihrer Internetseite schreiben sie: „doch hinter meinen Pöbeleien im Internet steckt fundiertes Wissen und das können Sie für sich nutzen. “ Bitte, bleiben sie dabei ihre Pöbeleien auch mit Wissen zu untermauern. Den Eindruck erwecken ihren teilweise sehr „lauten“ Wutschriften leider nicht. Die taugen, meiner bescheidenen Meinung nach, höchstens für den nächsten Antifa-Stammtisch in der örtlichen Kneipe. Und das ist nun wirklich nicht ihr Niveau. Hoffentlich.

Spontis Wochenschau #06/2014

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Schland! Deutschland ist einen Fahnenmeer: Vorgärten, Balkone, Autos und Menschen sind über und über mit Devotionalien behangen. Schwarz-Rot-Gold (das eigentlich Gelb ist) sind die Trendfarben des Sommers. Die Biergärten mit TV-Anschluss platzen aus allen Nähten, während der Fußballspiele ist überall Volksfeststimmung und selbst nach dem Unentschieden gegen die USA gab es Autokorsos. Für ein paar Wochen im Jahr sind wir stolz darauf (je nach Ergebnis) deutsche Staatsbürger zu sein, freuen uns zusammen mit der Bundeskanzlerin und den Leuten beim Public Viewing. Sonst ja eher nicht so, ihr wisst schon, wegen der ganzen Vergangenheit und diesem unangenehmen Geruch nach „Rechts“. Die Ereignisse rund um die Machenschaften der FIFA sind zwar bekannt, aber sie interessieren uns genauso wenig wie das bei dem Putin und seinen homophoben olympischen Spielen. Da kommt man als „alternativer“ und „andersdenkender“ Mensch schon mal in Bedrängnis. Darf ich jetzt Fußball gucken? Darf ich mit der deutschen Mannschaft fiebern und mich freuen, wir die ein Tor schießen? Ob ihr es glaubt oder nicht, wir haben diese Frage in kleinem Kreis ausdiskutiert und sind zu dem Ergebnis gekommen: Aber ja doch! Informieren, nachdenken, hinterfragen, abwägen. Dann kann man auch fern von gruppendynamischen Prozessen (machen ja alle so) Fußball gucken und gemeinsam mit Freunden jubeln. Wissen was man tut und warum man es tut. Das System von innen heraus bekämpfen, auch nach dem Finale gegen die Niederlande :-). Für alle Totalverweigerer gibt es jetzt die Wochenschau, garantiert ohne Fußball.

  • Das Königreich der Jammerlappen | Cryptic Trails
    Wenn man die Interessengruppen in Sozialen Netzwerken wie Facebook durchforstet, könnte man auf die Idee kommen, daß die sogenannte „schwarze Szene“ ein Sammelsurium an selbsternannten Szenekönigen und ungekrönten Jammerlappen ist. Eigentlich stellen diese Menschen nur eine verschwindend kleine Minderheit dar, aber wie das nun mal im Internet so ist, schreit die Minderheit so laut, daß man denken könnte, sie wären stellvertretend für die anderen 90% die einfach die Backen halten und ihren Way of Life leben, ohne es an die große „hab-mich-doch-endlich-lieb-weil-ich-so-ein-tolles-individuum-bin“ Glocke zu hängen. Oft geben sich die Vertreter der von mir angesprochenen Gruppierung Namen wie „DarkPrincess666“ oder „LordHell“. Namen also, die den meisten von uns mit 14 schon peinlich aufgestoßen wären. Doch man kann den ganzen Jammerlappen und Bildzeitungsgothics da draußen keinen Vorwurf machen, daß sie geistig eher auf dem Niveau von Vorpubetierenden agieren (obwohl die meisten schon die 40 locker geknackt haben), denn sie wurden nie subkulturell sozialisiert und kennen den Kern der von ihnen so hochgehaltenen Szene nicht und ernähren sich selber nur von den Klischees, welche sie selber der „bunten“ Gesellschaft vorwerfen. Ein Oxymoron, das weh tut!“ (Danke an Mone vom Rabenhorst)
  • Hoaxmaster Alexander Waschkau im Gespräch | XTalkCast
    X-Was? XTalkCast ist ein noch recht junger Podcast für die schwarze Szene, in der sich Helmut Haberl alias „KillaB“ interessante Gesprächspartner aus der Szene sucht, um diesen auf den (schwarzen) Zahn zu fühlen. In Ausgabe 9 ist Alexander Waschkau, Hoaxmaster bei Hoaxilla, an der Reihe etwas über sich, die schwarze Szene und die damit verbundenen Themen zu erzählen. Kommerzialisierung in der Szene – gut oder böse? Satanismus, BDSM, Fetischismus, Okkultismus und Aberglaube – in dem wirklich gut gemacht Podcast wird ausreichend Raum gelassen, so dass sich Alexander in aller Breite äußern kann. Ob ihr den Ausführungen zustimmt oder die Inhalte eher ablehnt überlasse ich euch – ich finde persönliche Einblicke „hinter“ virtuelle Gestalten immer interessant. (Danke an Sophia Intolerantia)
  • So schlau wie Fabeltiere | Schemenkabinett
    Das Kabinett meiner Lieblingsmorbidianer beschäftigt sich im Juni mit den Krähen, die laut einer Fabel höchst intelligente Tiere sind. Das es sich dabei nicht immer auch um ein Märchen handelt, beschreiben die Beiden in einem sehr informativen Artikel: „Einst fand eine durstige Krähe einen Krug mit Regenwasser. Sie schaffte es aber nicht, den Inhalt zu erreichen, da der Wasserstand in dem Gefäß zu niedrig war. Die Krähe dachte nach, nahm dann mit dem Schnabel einen kleinen Stein auf und lies ihn in den Krug fallen. Der Wasserstand stieg durch die Verdrängung ein Stück an. Daraufhin warf sie weitere Steine in den Krug, bis sie das Wasser schließlich erreichen und ihren Durst löschen konnte.Dies ist die Fabel von der Krähe und dem Wasserkrug des griechischen Dichters Äsop (um 600 v. Chr.). Heute weiß man, dass diese antike Fabel keine rein erfundene Geschichte sein muss. Verschiedene Rabenvögel, darunter Geradschnabelkrähen (Corvus moneduloides) aus Neukaledonien, sind bei einem ähnlichen Versuchsaufbau nämlich dazu in der Lage, den Wasserstand in einem Gefäß mit Steinen gezielt zu erhöhen, genauso wie die kluge Krähe aus der Fabel.
  • Gothic gegen KinderarmutEin Lügengerüst kollabiert | Dark-News – Weltenfinsternis.de
    Ich habe nie verstanden, warum eine Subkultur karitative Projekte gründen muss um Menschen zu helfen. Es gibt unzählige etablierte Organisationen, die sich sicherlich über ehrenamtliche Hilfe oder auch Spenden freuen würden. Außerdem ist so die Gefahr ein wenig geringer, potentiellen Scharlatanen auf den Leim zu gehen, wie der jüngste Fall von „Gothic gegen Kinderarmut“ eindrucksvoll belegt. Weltenfinsternis.de berichtet: „Wir wurden durch einen guten Freund auf die Veranstaltung Gothic gegen Kinderarmut aufmerksam gemacht. Da wir sehr daran interessiert sind, Kinder etwas Gutes zu tun und ihnen eine Stimme zu verleihen, dachten wir uns, schauen wir mal genauer auf diese Veranstaltung. Heute möchte ich versuchen aufzuschlüsseln was im Zusammenhang mit Gothic gegen Kinderarmut und den sogenannten Veranstaltern Heinz G. M. (auch unter dem Nickname Graf Aslan von Askaban unterwegs) und seiner Lebensgefährtin Vicky H. (auch unter dem Nickname Victoria Black unterwegs) an fast unglaublichen Machenschaften herausgekommen ist. Viele dieser Machenschaften, durch M. begangen, gehen schon in die Kriminalität herein.“ Dark-News, die ein Interview mit dem Beschuldigten führten und es bei YouTube veröffentlichten, ergänzen: „Wir werden heute unser Youtube Interview zu dem Benefiz Gothic gegen Kinderarmut entfernen, da wir Herrn M. damit keine weitere Werbefläche bieten möchten, speziell in der Verbindung von Benefiz, Gothic, Kinderarmut und Herrn M.!
  • Mein Leben als „Grufti“ | MDR
    Beate Kaminski schildert in ihrem Erfahrungsbericht wie das als Grufti so war, damals in der DDR. „1987 besaß ich genau eine schwarze Hose. Und ich hütete sie wie ein Heiligtum, zwischen den Kunstfaser-Pullis und Cord-Hosen. Dieses Stück Stoff war für mich nicht nur ein in der DDR schwer zu ergatternder Modeartikel – es war ein Zeichen! Es war Protest und Anderssein. Es war schwarz. Und das allein war schon Protest genug. Ja, ich war in den 80er-Jahren das, was man als Grufti bezeichnet hat. Stasi-Chef Erich Mielke hat das in Ermangelung von Englischkenntnissen irgendwie falsch verstanden und nannte uns „Guffits“. Aber eigentlich hat uns auch sonst niemand verstanden. Und ich mich selbst am allerwenigsten. Ich wusste nur: Ich wollte anders sein.“ Ich weiß nicht woran es liegt, aber ich lese solche Artikel immer sehr gerne, zeigen sie doch oftmals einen kleinen Einblick in die Zeit, die heute in legendärer Verklärtheit und grenzenlosen Verdrängen nur den Schluss zulassen dürften, „Früher war alles besser“ – War es aber nicht, es war nur anders.
  • Treffenverwöhnt: Shan Darks WGT 2014 | Der schwarze Planet
    Wie erklärt die hübsche Rothaarige einem Alien aus dem All das WGT? In einer gelungenen Mischung aus Geschichte und Rückblick wirft Shan Dark einen Blick auf ihr WGT. Wie erklärt sie denn nun dem Alien das WGT?: „Ich wähle die Kurzfassung, doch schon nach zwei Stunden fühle ich mich innerlich und äußerlich von der Hitze ausgedörrt. Es lauscht cool aber ohne sichtbare Reaktion meinen Ausführungen. Kurz erwäge ich, dem Alien zum Schluss drei Fragen über mein Szenepalaver zu stellen, um seine Aufnahmefähigkeit zu prüfen. Doch es ist schneller: “Und was feiert ihr dann jedes Jahr hier?” – “Öhm… uns, unsere Subkultur” antworte ich, “und unseren guten Geschmack. Wir frönen und schwelgen in guter Musik und treffen uns mit Gleichgesinnten. Ist das eventuell Dein erster Besuch auf der Erde?” – “Ja, schon. Und was ist D-A-S da für ein Ding?” – “Mein Fä…” blitzschnell greift es nach meinem Fächer. Eher ungeschickt versucht es sich damit Luft zuzuwedeln. Ich mache eine zögerliche Handbewegung nach vorn: “Gib doch wieder her…” Alien betrachtet fasziniert den Fächer und murmelt: “Nein, ich will auch guten Geschmack haben.” Dann schiebt es mich plump zur Seite und geht weiter – kein Danke, kein Abschied, kein Überlebensfächer mehr.
  • „Gothic“ – Dokumentarfilm | Mitra Devi & Bea Huwiler
    Die schweizer Buchautorin und Filmemacherin Mitra Devi hat sich mit der Kamerafrau Bea Huwiler zusammengeschlossen, um mit dem am 31. August 2014 erscheinenden Film „Gothic“ eine ganz eigene und „schweizerische“ Sicht auf das Phänomen Gothic zu werfen: „Die Protagonisten: Ein Fotograf, der abgründige Fotos schiesst, ein Liebespaar, das nach Leipzig ans Wave-Gotik-Treffen reist, eine Autorin, die an einem Dark Roman schreibt, eine Domina, die farbenfrohe Bilder malt, und ein Musiker, der mit seinen Songs den Nerv trifft. Diese und andere Gothics erzählen über ihren Alltag, über Sinnsuche, Licht und Schatten. Ein bildgewaltiger, temporeicher Film über die Schweizer Gothic-Szene. Tiefgründig und humorvoll, morbid und herzerwärmend. Mit der unvergleichlichen Musik von „The Beauty of Gemina“.“ Zum Glück gibt es im fertigen Film deutsche Untertitel :-)
  • Umstyling zum Gothic | Irgendeine Sendung im Privatfernsehen
    Und damit niemand zweifelt: Es gibt sie noch, die simplen Sichtweisen für die breite Masse: „Mit über 40 zum Gothic. Eine Mutter und ein Vater wagen das Experiment und starten einen Ausflug in die Welt der schwarzen Klamotten und gruseligen Motive.“ Hier zum aufregen, abschwören und kopfschütteln:

https://www.youtube.com/watch?v=O1VKBQ9bHdw

Rezension: „Bastard Echo“ – Gegenwartslyrik trifft Grufti

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Martin Piekar, der mit „Bastard Echo“ seinen ersten Gedichtband veröffentlicht hat,  ist kein Unbekannter. Im Juli vergangenen Jahres führte ich ein Interview mit dem Lyriker, der mit seinen zeitgenössischen Werken die Fachpresse zu Lobeshymnen animierte und auch schon einige Preise abräumen konnte. Ich unterhielt mich mit dem mittlerweile 24-jährigen unter anderem über aktuelle Lyrik in der schwarzen Szene. Damals schrieb ich: „Aktuelle lyrische Ergüsse sind offenbar für viele Szene-Mitglieder nicht geeignet, um sich darin zu verlieren. Oder gibt man aktuellen werken nur keine Chance? Vielleicht sollte man manchmal zweimal hinschauen.“ Es kommt einer Fügung des Schicksals gleich, dass das Verlagshaus J. Frank mir vor einer Weile anbot, ein Rezensionsexemplar zu beziehen. Ich sagte zu, frei nach dem Motto „Wer A sagt, muss auch B sagen!“

Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mit Lyrik nicht viel anfangen kann, weder in alter noch in zeitgenössischer Lyrik kann ich mich wiederfinden. Noch bevor ich also dem Verlag zusagte den Gedichtband zu rezensieren, grübelte ich über Möglichkeiten nach, „Bastard Echo“ fachkundingen Augen vorzulegen. Mir kam sofort Florian G. von Karnstein in den Sinn, der neben seinen Tätigkeiten als Liedermacher, Sänger, Musiker und Mitblogger vor allem für eines bekannt ist, seiner Leidenschaft für traditionelle Lyrik.

Es galt die Frage zu klären, warum sich Menschen aus der schwarzen Szene – wie Florian – so selten mit modernen Lyrik beschäftigen. Martin Piekar konnte nur im Interview nur Vermutungen anstellen: „Alles ist nahezu „unbewegt“ von zeitgenössischer Lyrik. Das hat viele Theorien. Die Frage im Buchladen selbst ist: Lesen die Leute keine Lyrik, weil keine im Buchladen steht oder steht im Buchladen keine [zeitgenössische] Lyrik, weil sie niemand lesen will. […] Ist es also wirklich der Profitgier geschuldet? Sind Gedichte schwieriger als früher?“ Grund genug dem armen Florian ein Gastgeschenk unterzujubeln und ihn um eine Rezension zu bitten.

Florian G. von Karnsteins Rezension

Florian G. von Karnstein - Traditioneller Lyrik-Fan versucht sich in zeitgenössischer Dichtkunst.
Florian G. von Karnstein – Traditioneller Lyrik-Fan versucht sich in zeitgenössischer Dichtkunst.

Als ich „Bastard Echo“ in den Händen hielt, freute ich mich über die damit verbundene Aufgabe, eine Lyrik-Rezension zu schreiben, hatte ich doch bisher vor allem alte und mehr oder weniger bekannte Lyrik gelesen. Neuer und weiter von den von mir so geliebten steifen metrischen Korsetts entfernt als Ernst Jandls „Laut und Luise“ war es bei mir nie geworden. Eine ganz neue Chance also, einer Leserschaft etwas wirklich neues vorzustellen.

Nur stellte sich das schon sehr früh als Problems heraus… Gewöhnt an schwere altmodische Lyrik wie die von Goethe oder Poe tat ich mir sehr schwer mit dem ersten, „Bastard“ genannten Kapitel, vermisste ich hier doch nicht nur jede Art von Metrik (kein Problem!) sondern fand leider auch keinen Zugang zum Inhalt, der mir zeitweise ebenso absichtlich kryptisch und verschwurbelt vorkam wie beispielsweise Oswald Henkes Texte. Man verstehe mich nicht falsch: Ich freue mich, wenn Texte mir Rätsel aufgeben und ich mich animiert fühle, diese für mich in einer sicherlich sehr subjektiven Art und Weise zu lösen. Doch Rätsel, die mir das Gefühl vermitteln reiner Selbstzweck zu sein bewirken in etwa das Gegenteil. „Hoffentlich nicht noch ein moderner ’schwarzer‘ Literat, der eigentlich nur eine Aura des Bizarren um sich aufbauen will“ schoss es mir durch den Kopf, aber ich wollte fair bleiben und widmete mich dem zweiten Kapitel.

Unter „Wie Distanzen welken“ präsentiert Piekar kurze Gedichte von zwar sicherlich nicht traditionellerer Form, doch mit für mich erstmals deutlich kohärentem Inhalt. Da kommt schon deutlich mehr rüber – wenn ich mich entscheiden müsste, wäre „Wenn Eifersucht nistet“ mein Favorit: Im Prinzip eine schlichte Beschreibung des Gefühls der Eifersucht an sich, doch wortstark auf den Punkt gebracht. Hat was.

Aber moment mal, bin ich also so stumpf, dass ich ein offensichtliches Motiv und einen klar beschreibenden Titel brauche um mit Lyrik etwas anfangen zu können? Schnell weiterlesen! Und direkt beim nächsten „Wie Kernschmelze tanzen“ betitelten Gedicht beantworte ich mir die Frage mit „Nein“. Denn: Ja, ich verstehe, dass es um extatisches Tanzen geht und um den drögen Heimweg mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Doch: Nein, es gibt mir leider wieder nichts. Die Wortkonstrukte wirken mir ebenso neuartig wie gekünstelt:

Gezeiten Drillmusik beglucksen uns Die frequentierte Tanzwut fickt Manch ethanolverpuppten Schwärmer ringsherum

Nein, danke… In „Hauptsache Bahnhof“ geht es ums Reisen. Um Frankfurt am Main. Um Berlin, Leipzig, Wiesbaden, Köln. Um Stadt an sich. Grau kommen die Gedichte daher, und wieder: Sicherlich irgendwie gut geschrieben, originelle Konstruktionen, aber voll an mir vorbei:

Matrjoschka-Dimensionen von Überfüllungen: spiele: Zug – Bahnhof – Stadt. Die Narreteien Vorbeifahrender und von meinen Haaren.

Ob das gekonnt ist müssen andere entscheiden. Mir ist es jedenfalls zu gewollt. Dabei mag ich das Knappe und Direkte seiner Sprache eigentlich sogar irgendwie. Schade. Meine Geduld kommt mir aber langsam abhanden, je weiter ich mich durch das Buch arbeite. Mittlerweile sind mehrere Tage vergangen, und ich habe allem mehrere Anläufe und Chancen gewährt. Die folgenden Kapitel überfliege ich irgedwann nur noch, ich gestehe es gern – zu konstant ist mein ärgerliches Kopfschütteln geworden. Ab „Claes Oldenburg – Bedroom Ensemble“ wird es mir endgültig zu bizarr. Hotelzimmer sind vermutlich das Thema, aber warum dabei Leoparden(mäntel) blauschwappende Kommoden beißen will ich eigentlich schon gar nicht mehr wissen. Bei „Siff“ aus der Reihe „M’Era Luna 2012“ komme ich mir richtiggehend verarscht vor und breche ich die Lektüre endgültig ab.

Also, wie kann hier ein Fazit lauten? Vernichtende Kritik? Nein, das nun auch wieder nicht. Wenn Piekars Werke eins sind, dann anders. Und ich bin mir sicher: Sie werden polarisieren, doch mir persönlich geben sie nichts. Er versteht wohl sein Handwerk, hat seinen eigenen Stil und wer durch meine bescheidene und viel zu kurz geratene Kritik irgendwie neugierig geworden ist, der sollte ihm auf jeden Fall eine Chance geben. Ich bin mir sicher, er wird mit seinem Stil sein Publikum finden. Nur werde ich persönlich nicht dazu gehören.

Für Gruftis nicht geeignet?

Ich bin Florian G. von Karnstein sehr dankbar für seine Rezension, lange hat er mit sich gekämpft: Darf eine Kritik so böse sein? Ich bin mir sicher, sie darf so böse sein. Dadurch wird sie nicht schlechter, sondern ehrlicher. Es kann nicht Ziel einer Rezension sein, möglichst wohlwollend über ein Werk zu urteilen, sondern authentisch. Wurde nun ein schlechter Gedichtband veröffentlicht oder sind „traditionelle“ Grufties die falschen Adressaten für diese Form der Kunst? Die Antwort lautet: Weder noch, denn Lyrik ist Kunst und was der Leser darin sieht, bleibt Interpretationssache. Martin Piekar wählt zum Transport seiner Gedanken die wilde und rotzige Art, wie eine Death-Metal Band brüllt er seine Gedichte ins Publikum, wohlwissend die Zuhörer in zwei Lager zu spalten. Die Einen lauschen gebannt während die Anderen das Konzert vorzeitig verlassen. Martin konnte Florian nicht für sich gewinnen, für 13,90€ könnt ihr selber entscheiden, euch entweder vor den lyrischen Kopf stoßen zu lassen, oder in Euphorie auszubrechen endlich jemanden gefunden zu haben, der schreibt was ihr fühlt.

Martin Piekar – Bastard Echo | Illustration: Michael Zander | Verlagshaus J. Frank 2014 · 13,90 Euro | ISBN: 978-3-940249-90-6
 

Rückblick: Spontis Family Treffen auf dem WGT 2014

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Sophie und Konrad - TobiDas Spontis-Treffen stand unter einem guten Stern, denn die Wetteraussichten waren brillant bis übertrieben, die Übergabe der Buttons war geglückt und ausreichend Magazine, Getränken und Kekse waren eingepackt. Gut, das Editorial des Spontis-Magazins wurde nicht von meiner persönlichen und wunderhübschen Lektorin kontrolliert und war entsprechend voller Fehler. Spontis unplugged sozusagen. Mir wäre das ja egal, ich bin da nicht so penibel aber für die Chefredakteurin, die soviel Liebe und Zeit in die Erstellung des Magazins verwendet hat, ein unverzeihlicher Fauxpas! Wir titeln daher diese Ausgabe mit der Unterschrift „jetzt mit 80% mehr Rechtschreibfehlern“ und ich versehen den Karton, in dem sich die Magazine befinden, mit einem entsprechenden Warnhinweis. (Dieser Warnhinweis verliert auch Online nicht seine Aussagekraft)

Mit dem Eintreffen auf der Wiese überschlagen sich für mich die Ereignisse. Innerhalb kürzester Zeit füllt sich die Wiese mit lieben Menschen von denen einige bereits seit dem ersten Treffen dabei sind, andere zum ersten mal vorbeischauen. Nehmen wir zum Beispiel Foxxi, der übrigens immer einer der ersten Besucher ist, auch schon auf dem ersten Treffen, das je stattgefunden hat.  Zunächst war mir seine Art doch ein wenig fremd, doch jetzt wäre ein WGT kein WGT, wenn der Wahlberliner nicht vorbeischauen würde. Was wäre das Treffen ohne Rosa, die mich bei unserem ersten Treffen menschlich so positiv überrascht hat und die ich heute immer noch interessant und anders finde. Vielleicht ist das sogar die Quintessenz des Treffens auf dem Treffen. Aus Gesichtern werden Bekannte, aus Bekannten werden Freunde. Das WGT fühlt sich mit jedem Jahr, in dem man mehr Leute trifft, die man auf dem Spontis-Treffen kennengelernt hat, ein wenig kleiner, ein wenig vertrauter und ein wenig schwärzer. Gruftzuckerl, so quirlig und lebendig fegt über die Wiese während der Gruftfrosch introvertiert und nachdenklich erklärt, wieso er Facebook nichts abgewinnen kann. Auch wenn wir äußerlich schwarz tragen, so ist unser Innerstes doch kunterbunt.

Pressespiegel zum 23. Wave-Gotik-Treffen in Leipzig

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In einer kleinen, nicht repräsentativen Umfrage auf dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig fragte ich einige Besucher, ob sich das Treffen „leerer“ oder „voller“ anfühlt. Hintergrund war die eigene subjektive Wahrnehmung, weniger schwarze Gestalten über den Weg gelaufen zu sein, als in den Jahren zuvor. Interessanterweise bin ich nicht alleine mit diesem Eindruck geblieben, denn die meisten Befragten sind ebenfalls weniger Gleichgesinnten begegnet. Einige fanden, es sei gleich geblieben – doch niemand hatte den Eindruck, es wären mehr Besucher als in den letzten Jahren. Die Fakten sprechen eine andere Sprache und verzeichnen sogar einen leichten Anstieg der Besucherzahlen gegenüber den Jahren 2011 und 2012. Die Leipziger Volkszeitung (LVZ) vermeldet am 10. Juni: „Angesichts der 59 in der Regel gut besuchten Veranstaltungsorte wirken 21.000 offizielle Besucher eigentlich wenig.“ Womöglich sorgt die Verlagerung des Treffens vom WGT-Geschichtsträchtigen Süden der Stadt in andere Stadtteile, wie beispielsweise Plagwitz, für eine gewisse Entzerrung und größere Verteilung der Besucher.

Dieses Jahr sind einige neue Veranstaltungsorte hinzugekommen, während andere, signifikante Ballungszentren verschwunden sind. Mit dem Wegfall des Werk II als Veranstaltungsort ist beispielsweise der Stadtteil Connewitz merklich leerer geworden. Über die Gründe, warum man den Veranstaltungsort mit der längsten Tradition aus dem Programm genommen hat, lässt sich nur spekulieren. Konzerte von Bands aus dem Neofolk-Genre sorgten in der Vergangenheit immer wieder für Konfliktpotential mit der in Connewitz stark vertretenen ANTIFA-Szene und haben die Veranstalter möglicherweise dazu bewegt, sich um Alternativen zu bemühen. Die LVZ schreibt: „Über Gründe wird viel spekuliert, benannt werden keine. Der Bruch ging jedenfalls nicht vom Werk 2 aus.“

Ein weitere Grund dürfte das sonnige Wetter gewesen sein, dass Leipzig über Pfingsten in ein Urlaubsparadies verwandelte, jedenfalls für Sonnenanbeter. Die breite Masse der Grufties fächerte sich nach Abkühlung ringend über die Festivaltage. So schreibt die BILD in ihrem kleinen, mit Fledermäusen geschmückten Artikel „Wir schwitzen in Schwarz„: „Ein beliebter Trend daher auch in diesem Jahr: Schwarze Tapes auf den Brustwarzen und Röcke, die so kurz eigentlich gar keine mehr sind.“ Viele Besucher nutzten daher die schattigen Plätze in den Parks der Stadt und blieben den sonst belebten Schnittstellen zwischen bunter und schwarzer Welt, wie der Moritzbastei und der Innenstadt, fern. Gastronomen freuten sich bereits im Vorfeld „auf eines der umsatzstärksten Wochenende des gesamten Jahres neben der Buchmesse.“ und rieben sich zusammen mit Hoteliers und Händlern die Hände, denn geschätzte 15 Millionen Euro machen das WGT zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor der Stadt.

Das WGT erweckte den Eindruck, es seien weniger Besucher. Die offizielle Besucherzahl von 21.000 spricht eine andere Sprache.
Das WGT erweckte den Eindruck, es seien weniger Besucher. Die offizielle Besucherzahl von 21.000 spricht eine andere Sprache.

Auf dem viktorianischen Picknick, mit dem für viele Besucher das WGT beginnt, ging es wie gewohnt turbulent zu. Zwischen Schwarzromantikern, Steampunks, Cybergoths, Cosplayern und Rollenspielern wimmelte es im Clara-Zetkin-Park erwartungsgemäß von Fotografen, Kamerateams und Schaulustigen. Ein Reifrock, der aus Warnwesten geschneidert wurde, machte an diesem Freitag unmissverständlich deutlich, dass sich Schwarz als „Trendfarbe“ längst erledigt hatte. Cornelius Brach rundet die Sache in einem Artikel des Stern ab: „Viele schwenken auf Weiß um – Weiß geht ja auch“, sagte der WGT-Sprecher Cornelius Brach am Sonntag, während die Pfingstsonne auf die Tausende Teilnehmer niederbrannte.“ Die sonst so provokationslustigen Veranstalter geben sich in diesem weltoffen und bunt, für meinen Geschmack jedoch ZU bunt.

Überhaupt ist die gesamte Berichterstattung über das Festival eher dürftig. Leitmedien wie die „Welt“, die „Zeit“ oder auch die „FAZ“ ignorieren das Spektakel mittlerweile inhaltlich und schmücken sich, wie viele anderen Medien, mit den ewig gleichen und belanglosen Kurztexten die sie mit möglichst extremen Fotos würzen. Die Leipziger Volkszeitung festigt 2014 erneut ihre Position als Leitmedium des Treffens und hat neben guten Redakteuren und Autoren (wie beispielsweise Alexander Nym) auch mittlerweile kritische Worte, jedenfalls für die Stadt Leipzig: „Das ohnehin höchst unbefriedigende Müllmanagement im Park gerät dabei voraussehbar zur ekelhafte Katastrophe. Fast rührend, wie die reinlichen Gruftis ihren Abfall penibel zu den großen Haufen tragen, die andeuten, dass darunter ein übervoller Papierkorb steht. […] Ein imageträchtiges Bild für Leipzig schaffen sie aber nicht.

Autorin Nadine Eckermann sorgt dann auch für das heimliche Schmunzeln auf den schwarz geschminkten Lippen. In ihrem kleinen Artikel „Gothic für Anfänger“, der in der Samstags-Ausgabe der LVZ erschienen ist formuliert sie in ihren „Tricks“: „Mit Öffis reisen. In der Bahn führt man die schrägsten Gespräche. In den ersten Jahren wundert man sich über Fragen nach der Schlafstätte im Sarg und Zubereitungstopps für Hühnerfüße in Absinthsoße. Später antwortet man routiniert: Gruftis schlafen nicht. Gruftis essen nicht.

In Genreübergreifender Neugier widmet der Metal-Hammer dem WGT 2014 auch einen Artikel, von dem ich mir aber etwas mehr Differenzierung erwartet hätte, frei nach dem Motto „von Subkultur zu Subkultur“: „Kaum erreicht man die Grenzen von Leipzig, färben sich die Straßen mit einem Mal schwarz. Wunderschöne Gestalten, wie aus dem viktorianischen Zeitalter hinterblieben, ziehen durch die Stadt. Sie schleppen ihre weiten Reifröcke und ihre in enge Corsagen und Korsette geschnürten Taillen durch die knallende Sonne und wedeln sich mit Fächern immer wieder Frischluft in die stark geschminkten Gesichter und die kunstvoll hochgesteckten und von skurrilen Hütchen gezierten Haare; zukunftsartige Cyberwesen richten ihre neonbunten, schlauchartigen Outfits und marschieren im Gleichschritt auf hohen, mit Nieten geschmückten Plateau-Absätzen mit der dunkelbunten Kolonne Richtung Heidnisches Dorf. Dort vereinen sie sich mit Wikingern, Rittern, Zombies und anderen Wesen wie aus einer fremden Zeit zu einer großen, feiernden Gesamtheit.

Bewegende Momente

Kameras in jeder Größe sorgten an allen Tagen für bewegte Bilder und wirkten für die Einen anziehend und für andere abstoßend. Ich selbst bin ebenfalls Opfer eine solchen Kamera geworden, wenn auch freiwillig, doch dazu gibt es in meinem Nachbericht zum Spontis-Treffen 2014 (wird dann auch hier verlinkt) aber etwas ausführlichere Einblicke. Der MDR sorgte nicht für Überraschungen auf dem kleinen Treffen beim Treffen sondern auch für einen der Besten Reportage der letzte Jahre, die über das WGT gedreht wurden. Das Kulturmagazin des MDR „artour“ gab mit ihre kleinen Reportage „Die Farbe Schwarz – Unterwegs auf dem Wave-Gotik-Treffen“ interessante und sehr spannende Einblicke. Allein die Namen der Gesprächspartner verspricht einzigartige Einblicke: Alexander Nym, Myk Jung, Mark Benecke und Blonder (Fair Sex), Anne Clark und Michael Brunner (!).

In der Tat wurde die Redaktion äußerst gut beraten und hat mit Brunner den Gründer des WGT vor die Kamera geholt, der sich sonst ziemlich medienscheu gibt. In einem sehr persönlichen Einblick erzählt dieser von den Anfängen des Festivals, von der geheimen Feier in Potsdam, zu der er zwei Freunde anrief aus denen letztendlich 200 wurden. Sogar zum „Chaos-Festival“, dass 2000 zu seinem Ausscheiden führte, äußert er sich sehr ausführlich.

Ich bin immer noch sehr beeindruckt. Hier werden die richtigen Fragen an die richtigen Leute gerichtet. Auch von der Partie ist Inga Siebert, die ihre endlich vorgestellte Dokumentation „Vita Nigra“ vorstellt (Spontis berichtete).

Tatsächlich möchte ich mich an dieser Stelle ganz offiziell bei der Redaktion des MDR bedanken die sich bei der Recherche über das WGT so viel Mühe gegeben haben und so feinsinnig und tiefgründig in die Materie eingestiegen. Bislang ist mir noch kein besserer Bericht der „etablierten“ Medien untergekommen. Sicher, ich muss nicht mit dem Dargestellten konform gehen und auch nicht jede Meinung teilen, doch seinen Bildungsauftrag hat der MDR erfüllt und erstmals habe ich wieder das Gefühl, meine Rundfunkgebühren sinnvoll angelegt zu haben. Fantastisch, wie vielen Aufnahmen alter Beiträge aller möglichen Sender gezeigt werden, großartige Arbeit! Sei es die Aufnahmen des Batcave oder Mitschnitte von DEFA-Aufnahmen, hier wurde akribisch und detailreich gearbeitet!

Der regionale Sender hat aber auch in der weiteren Berichterstattung die Nase vorn und berichtet gleich mehrfach über das Festival, wie die nachfolgenden Mitschnitte zeigen.  Die Privatsender lassen sich allenfalls zum Standard hinreißen und titeln „So modisch ist die Gothic-Szene: Von wegen düsterer Gammel-Look“, wie die Sendung „Explosiv“ auf RTL und fasst zusammen: „Wenn Sie glauben, es handle sich beim Gothic-Lifestyle um eine Randerscheinung, haben Sie sich getäuscht. Die Liebe zur schwarzen Szene geht nämlich durch alle gesellschaftlichen Schichten: Vom Biophysiker, Medizinstudenten und Betriebsprüfer ist alles dabei. Offenbar trügt also der erste Eindruck des alles verweigernden und immer nur düsteren Grufties. Und einen Dresscode, an den sich alle halten, gibt es auch nicht. Hier trägt eben jeder einfach das, was ihm am allerbesten gefällt.

Noch weitere Artikel, Videos oder Bericht? Ergänzt in den Kommentaren, was ihr findet. Ich werde sie dann hier im Artikel einpflegen.

 

 

Video: Diary of Dreams – Düstere Klänge, fröhliche Typen

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Es soll Menschen in der schwarzen Szene geben, die gelegentlich lachen oder auch fröhlich sind. Wenn man ehrlich ist und „Gothic“ zu ende denkt, ist das sogar eine mögliche und logische Konsequenz. Dazu später mehr. In der Lokalzeit Bergisches Land wird Adrian Hates und seine Band Diary of Dreams vorgestellt, im Untertitel heißt es dazu: „Düstere Klänge, fröhliche Typen“. Noch zu Schulzeiten ahnte Adrian, der zu dieser Zeit Gitarrist in zwei Schülerbands war, dass er eine eigene Band brauchte, um seine eigenen Vorstellungen von Musik zu realisieren. Zusammen mit Alistar Kane gründete er 1989 seine eigene Band, die er nach dem von ihm geschriebenen Gitarrenstück „Tagebuch der Träume“ benannte. Zusammen mit wechselnden Musiker, von denen Gaun:A am längsten dabei ist, veröffentlichten Diary of Dreams rund 20 Alben. Unverwechselbar ist der Gesang des sympathischen Frontmanns, der für die Lokalzeit erklärt, was es mit dem Düsteren auf sich hat:

Das Dunkle ist ein Teil von mir. Der ist mit mir geboren und den kann ich leider nicht abschütteln, manchmal wünscht man sich das. Ist witzigerweise auch ein Thema, was auf dem aktuellen Album ganz stark vertreten ist, weil ich das Auseinandersetzen mit der dunkle Seite als sehr wichtig empfinde – klingt jetzt ein bisschen nach Star Wars, ist es aber nicht wirklich (lacht) – sondern mehr so dass ich denke, dass jeder Mensch seine zwei Seiten hat, die mehr oder weniger ausgeprägt sind. Bei mir ist das der düstere Moment in meinem Leben, den ich in der Musik auslebe, damit ich im Alltag ausgeglichen und normal bin und mich zivilisiert mit meinen Mitmenschen unterhalten kann.

Vielleicht ist die Überschrift gar nicht so abwegig wie sie zunächst erscheint. Die Beschäftigung mit der „dunklen“ Seite der eigenen Existenz, das Zulassen von Schmerz, Trauer, Traurigkeit und Melancholie ist vielleicht der beste Katalysator für ein erfülltes und glückliches Leben. Ich übersetze die „Abwendung von der Spaßgesellschaft“ in meine ganz eigene Lebensphilosophie. Die Unterdrückung der dunklen Seite, das Ersticken jeder Melancholie in einem Meer aus Spaßbereitschaft ist doch auf Dauer nur eine Fassade. Ständiges unterdrücken führt zu einer Art Suchtverhalten, wie brauchen immer mehr Einflüsse um nicht von unsere Gedanken eingeholt zu werden. Irgendwann platzt dann die Blase und der Mensch droht zu verbittern. Für mich gehört gelebte Traurigkeit zum Szeneleben dazu, ich muss mich nicht verstecken, wenn ich nicht gut drauf bin, darf traurig, melancholisch und depressiv sein. Adrian Hates verpackt seine „Dunkle Seite“ in seinen Texten, jeder Auftritt ist womöglich ein Ausdruck, eine Befreiung. Ist da nicht die logische Konsequenz ein „fröhlicher Typ“ zu sein?

Okay, ihr dürft zu Recht verwirrt sein. Mein Schreibstil ist ganz weit weg von jedem roten Faden und logischen Satzbau. Doch irgendwie weiß ich, dass ihr mich versteht. Hoffentlich. Auch wenn ich die Musik von Diary of Dreams nicht vollumfänglich mag, ist mir Herr Hates schwer sympathisch.

Mein schaurig schönes Tagebuch – Episode 4: Sport ist Mord

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Liebes Tagebuch. Körperliche Ertüchtigung in klimatisierten Fitness-Tempeln voller Menschen in quietschbunten Sportklamotten, die zu technoiden Klängen dem Gebrüll eines Vortänzers folgen, gehörte bislang zu den schlimmsten GAUs (Größte anzunehmende Unmöglichkeit) meiner Vorstellungskraft. Sport im Allgemeinen zählte nicht unbedingt zu den Dingen, die auf meiner Prioritätenliste ganz oben angesiedelt sind. Muskeln, breite Schultern und ein gestählter Körper gehören nicht zu der idealisierten Vorstellung meiner Selbst. Und jetzt? Gerade habe ich meine Sporttasche leergeräumt, das vollgeschwitzte Handtuch in die Wäsche gebracht, die Sportschuhe durchgelüftet und meine Badekappe und Schwimmbrille zum Trocknen aufgehangen. Was ist passiert?

Beginnen wir von vorne. Vor einem guten Jahr äußerte sich meine Schwester recht negativ zur ihrer Eigenmotivation in Sachen Schwimmen und auch ich gehöre nicht unbedingt zu den Motivationswundern wenn es darum geht, selbst etwas zu machen. Wir beschlossen, dass es eine gute Idee wäre, gemeinsam den gegenseitigen Schweinehund zu bekämpfen und wieder mit dem Schwimmen anzufangen, denn geschwommen haben wir seit unserer frühesten Jugend. Nur jetzt irgendwie nicht mehr. Mein Schwester war in unserer Familie Vorreiterin in Sachen Vereinssport, jahrelange Mitgliedschaft im örtlichen Schwimmverein machten aus ihr ein ausgezeichnete Schwimmerin, die auch bei lokalen Wettkämpfen stets ein gute Figur machte. Ich selbst eiferte ihr nach, oder wurde zu Nacheiferung gezwungen, ich bin mir nicht mehr ganz sicher. Ich wollte aber irgendwas mit Bällen machen und entschied mich, Wasserball zu spielen, auch im Verein, auch mit lokalen Wettkämpfen.

20 Jahre später scheint die Vergangenheit ertrunken zu sein. Mit dem „Erwachsenwerden“ ändern sich manchmal die Prioritäten, auch zum Negativen. Unsere ersten Schwimmversuche im neu gebauten, örtlichen Schwimmbad waren vielversprechend, es machte uns tatsächlich Spaß wieder auf der Bahn für die „sportlichen“ Schwimmer unsere Bahnen zu ziehen. Zwischendurch ließen wir uns von den „Blubberblasen“, wie wir die Sprudelliegen tauften, Ganzkörpermassieren. Die Zeit darauf nutzen wir darüber hinaus auch für ein neues Kennenlernen, viel zu lange haben wir uns nicht mehr richtig unterhalten. Mit jedem Blubberblasen-Talk merke ich, wie weit weg mir meine Schwester erscheint und wie nahe wir uns doch stehen.

Zurück zum Sport. Nach anfänglichen 20 Bahnen haben wir uns auf inzwischen stattliche 50 Bahnen hochgearbeitet. Mittlerweile lästern wir sogar über die Kraul-Platscher, Beckenrand-Plauderer und Kopf-über-Wasser-Schwimmer, die die Bahn durch ihre Anwesenheit zum Hindernissparcour werden lassen. Der konditionierte Spar-Wille veranlasste uns dazu irgendwann eine „Platin-Karte“ käuflich zu erwerben, von der man nach guter alter Prepaid-Manier Guthaben verschwimmen konnte. Bei einem der schon traditionellen Blubberblasen-Gespräche kristallisierte sich heraus: Schwimmen allein kann noch nicht alles sein, vor allem meine Schwester gierte in ihrer neu gewonnenen Sportlichkeit nach mehr. „Ich muss noch was für meine Haltung tun.“ und auch ich konnte mich nicht gegen die Tatsache wehren, dass mein durch Bandscheibenvorfälle lädierter Rücken etwas Hilfe brauchen konnte. Darüber hinaus könnte man durch eine kombinierte Mitgliedsgebühr weiterhin vergünstigt schwimmen gehen. Aber alleine in so ein Fitness-Studio, das war ihr dann doch nicht ganz geheuer.

Was soll ich anziehen?

Wem sagte sie das? Schließlich bin ich ihr Bruder und meiner Schwester in erstaunlich vielen Dingen doch ähnlich. Allein der Gedanke an gestählte Männer, die ächzend und stöhnend Metall bewegen und sich dabei im Spiegel bewundern, war mir zuwider. Auch die angepriesenen Kurse machten den Gedanken nicht angenehme. Ein Trainer der seine Gefolgschaft über ein Mikro einpeitscht: „Come on! Noch 5…. yeah…. noch 4…. wuuuuh … noch 3 … Come On! 2 noch…. YEAH!“ Ich in so eine Testosteron-Fabrik? In ein militärisch gedrillte Sperrzone der Lächerlichkeit sich im Takt zu furchtbarer Musik bewegen? Ist es einem Gruftie überhaupt erlaubt, sich derart körperlich zu ertüchtigen? Und vor allem: Was soll ich anziehen??

Ich warf die Bedenken über Bord. „Einfach mal machen und nicht immer meckern!“ Ein Probetraining beim Rückenfit-Kurs schien uns eine gute Gelegenheit, die neu gewonnenen Ambitionen auf die Probe zu stellen. Logisch dass ich erstmal zum Shoppen pilgerte um die Lücke im Kleiderschrank mit der imaginären Aufschrift „Sport“ mit Klamotten zu füllen. Ich denke, dass allein diese Odyssee einen Roman füllen könnte, ich beschränke mich aber auf die wesentlichen Erkenntnisse: Sportbekleidung ohne Werbung scheint eine Rarität zu sein, irgendwo prangert immer eine überdimensionale Aufschrift des Herstellers. Trainingsklamotten für Männer betonen mitunter die primären Geschlechtsorgane und sind damit ästhetisch gestorben. Ein Mann in der Damenabteilung für Sport-Klamotten ist noch ungewöhnlicher als eine Frau auf der Herrentoilette, jedenfalls wies mich die Verkäuferin gleich 3 mal darauf hin, dass „Männerkleidung“ ein Stockwerk tiefer zu finden ist. Und offensichtlich sind quietschbunte Farben Zeichen für Sportlichkeit, denn es war mit nahezu unmöglich schwarze Turnschuhe zu finden – Nieten, Schnallen und Totenköpfe hatte ich mir ja schon abgeschminkt.

Und so stand ich da, in meiner schwarzen Damen-Jogginghose, den schwarzen Turnschuhen mit Schnürsenkeln um dem Joy Division T-Shirt als letzte visuelle Bastion der Andersartigkeit. Der Rückenfit-Kurs war ein demografischer Schnitt durch die Gesellschaft, innerlich lächelte ich siegessicher über die Ü60-Truppe im linken Augenwinkel, stempelte die jungen Frauen zu meiner rechten als Poser ab, die im markeneinheitlichen Outfit (selbst die Strümpfe!) nur darauf warteten von mir in Grund und Boden geturnt zu werden. Welch maßlose Selbstüberschätzung! Handwerker sind keine Sportler und Grufties schon gar nicht. Als der grauhaarige Faltenbalg links von mir seinen Oberkörper bei gestreckten Beine souverän in Richtung Boden bewegte verschwand das siegessichere Lächeln schlagartig. Und auch die Poserinnen ächzte nicht so laut wie meine Wenigkeit nach nur 30 Minuten. Meine Schwester, die dank mangelnder Körperkoordination hilflos mit den Armen und Beine fuchtelte, war nur ein schwacher Trost in meiner Scham. Aber immerhin ein kleiner.

Nach weiteren 30 Minuten war der Spuk vorbei und ich war reif für den Sarg, doch unser „Personal-Coach“ Patrick fing uns nach dem Kurs souverän ab, um mit uns eine „Geräterunde“ zu starten. Und ehe ich lateinische Beschwörungsszauber murmeln konnte fand ich mich in so einer mittelalterlichen Foltermaschine wieder, die nur „zur weiteren Unterstützung des Rückens“ dienen würde, so Trainer Patrick. Ja, ja!

Und so mache ich fleißig meine Geräte-Runden, strecke und dehne mich im Rücken-Fit-Kurs und ziehe stetig meine Bahnen durch das Wasser. Gerätetraining finde ich immer noch doof, den Rückenkurs nehme ich als notwendiges Übel einfach mal hin, während ich mich letztendlich immer wieder auf das Schwimmen freue. Immerhin konnte ich durch Stiltreue bei der T-Shirt Auswahl (Depeche Mode, Siouxsie & The Banshees, Joy Division) eine gewisse Individualtät bewahren. Jedenfalls einen kleinen Hauch.

Sport ist Mord!

Wiedereinmal ist Martin Gore an allem Schuld. Denn der macht schon seit einer ganzen Weile intensiv Sport weil er einfach merkt, dass man die Erscheinungen des Alters (und die Anstrengungen des Tour-Lebens) nur durch Fleiß besiegen kann. Und was der kann, kann ich auch. Ich meine, machen wir uns nicht vor. Die Zeiten, in denen wie 2 Pizzen verdrückt haben ohne einen Gramm zuzunehmen sind endgültig vorbei. So ein jugendlichen Stoffwechsel ist äußerst erstaunlich. Auch die Zeiten als junger Mann, in denen man allein vom schnüren der Docs Muskeln ausbilden konnte, sind passé. Heute erreicht man das vermeintliche Idealbild nur durch Fleiß und Verzicht. Was für ein trostloses Leben, so als bald 40-jähriger. Da fragt man sich zwangsläufig, woher dieses Idealbild kommt und bleibt verärgert mit der Erkenntnis zurück, dass wir alle irgendwie nach Uniformität streben. Körperliche und ästhetische Idole setzten meist ein gewisses Erscheinungsbild voraus, der Hang zur Selbstdarstellung würzt das Ganze mit gelegentlichen Unzufriedenheiten und Selbstzweifel.

Fitness-Studios sind die Verkörperung des „Bösen“, in ihr manifestiert sich der Wunsch unserer Gesellschaft das propagierte Idealbild des Menschen auszufüllen. Fitness-Messen sprengen mittlerweile Besucher-Rekorde, es gibt in den Städten mehr Fitness-Studios als Tankstellen und auch der Markt für Nahrungsergänzungsmittel zur „Körperoptimierung“ boomt. Gothic sein, dass bedeutet doch auch „dagegen“ zu sein. Gegen eine Spaßgesellschaft, gegen die Gleichschaltung, gegen die Unifomität. Ich meine, wie lächerlich mache ich mich eigentlich diese Werte zu fordern, während ich 2 mal in der Woche im Fitness-Studio einchecke?

Auf der anderen Seite bin ich in einem Lebensalter angelangt, dass immer weniger verzeiht. Das Leben hat bereits Spuren hinterlassen, chronische Fehler in der Vergangenheit sorgen für spürbare Defizite. Jeder, der Ü40 (oder knapp drunter) auf dem WGT 4 Tage mit umherlaufen, feiern und tanzen verbracht hat weiß, dass diese Leistung ihren Tribut fordert. Mit 19 bin ich nach dem Donnerstag in der Discothek in den frühen Morgenstunden direkt in die Lehrwerkstatt gefahren. Mit 39 brauche ich 3 Tage Urlaub und eine kühlende Augenmasken auf dem Sofa.

Und so ermordet der Sport auf eine subtile Art und Weise ein wenig von der gefühlten Andersartigkeit. Sicher, ich könnte mir selbst den Buckel runterrutschen und mich einfach dem Genuss hingeben. Will ich aber nicht. Dann bin ich lieber ein bisschen leiser, wenn es darum geht sich über die zu echauffieren, die zu blinkenden Lichtern und lauter Musik auf Fahrrädern strampeln, die nicht von der Stelle kommen.

Dokumentation 1995: Satanismus – Im Namen des Teufels

Schon wieder Satanismus? Ich würde eher sagen: Immer noch. Die Gothic-Szene hat mit Satanismus nichts zu tun, doch das gruftige Spiel mit Symbolik und Okkultismus macht es für den Außenstehenden schwer, zu differenzieren. Gepaart mit Neugier und jugendlichem Leichtsinn probiert man sich aus und landet schnell in einem merkwürdigen Umfeld. Wer dann die Grenzen nicht kennt, nicht begreift oder nicht einhalten will, wird schlimmstenfalls Bestandteil von Dokumentationen und Zeitungsartikeln. „In den falschen Köpfen wird Satanismus zur Gefahr.“ sagte Orphi Eulenforst zu mir, als ich leichtsinnig und unbewusst den Satanismus in einem Artikel verharmloste.  Ich verschob den Schnellschuss wieder in die Entwürfe und dachte nach. Wie nähert man sich diesem Thema?

In den falschen Köpfen werden selbst christliche Ideen zu Gefahren, so viel steht fest. Beim Satanismus sind jedoch die Auswirkungen gefährlicher, da Ideen und Visionen, wie sie Aleister Crowley oder Anton LaVey gesponnen haben, deutlicher radikaler und zerstörerischer sind als die Sichtweisen der übrigen „etablierten“ Religionen. Grufties, so legt auch die Dokumentation nahe, haben eine gewisse „Nähe“ zum Satanismus. In den meisten Fällen, ist das aber lediglich das Produkt visueller Überschneidungen, wie die Farbe Schwarz oder ein Faible für religiöse oder okkulte Symbolik. Auch vereinzelte „Jugendsünden“, wie Nachts auf Friedhöfen herumschleichen oder Gläserrücken, die aus der bekannten Mischung von Neugier und Leichtsinn entstehen, haben dieses Vorurteil bestätigt. 

Die Gothic-Szene hat nicht mit Satanismus zu tun, doch die Taten Einzelner sind auch heute immer noch Nährboden für diese Einschätzung. Der Mordfall von Witten, bei dem Manuela und Daniel Ruda 2001 den 33-jährigen Frank H. töteten, färbte auf eine ganze Szene ab. Wer mit entsprechenden Dingen provoziert (666, umgedrehte Kreuze, Pentagramm mit der Spitze nach unten, Baphomet…), muss mit der Verantwortung des Erklärens leben. Ich möchte mit diesen Videos die Grundlage für eine Beschäftigung mit der eigenen Provokation anregen, nicht um davon abzuraten, sondern um ein blindes Verwenden dieser Symbole durch das Bewusstsein ihrer Bedeutung zu ersetzen. Die folgende Dokumentation aus dem Jahr 1995 fasst (stellenweise plakativ) zusammen, wie die dunkle Seite des Satanismus ausgesehen hat.

Interessante Tatsache: Je weiter der Bericht in die Materie einsteigt, umso ungruftiger wird es. Zum Ende der Dokumentation gerät die Eröffnungssequenz völlig aus dem Zusammenhang. Es sind kranke Menschen, die kranke Taten begehen und Grufties sind nicht pauschal krank. Fragen wir uns also: Warum ist es so oft „Gothic“ das in die Thematik einsteigt? Wissen die Besucher, die zur Zeit auf dem WGT herumlaufen, welche Bedeutungen ihre Symbole haben?

Rückblick: Die Besucher 2013 – Wave-Gotik-Treffen zwischen Schein und Sein?

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Für alle Daheimgebliebenen, Verhinderten und Unabkömmlichen hier der erste Teil des WGT-Specials. Mein Artikel über die Besucher des Wave-Gotik-Treffen 2013 aus dem Pfingstgeflüster. Dabei handelt es sich um die Essenz aus rund 50 Fragebögen, die den Fotografierten mitgegeben wurden. Wer möchte, kann sich auf der verlinkten Seite des Geflüsters noch Exemplare der Vergangenheit sichern und geduldig darauf warten, dass die 2014er Ausgabe erscheint. Die Rechte der Bilder liegen bei den jeweiligen Fotografen.

Das WGT ist vorbei. Ich sitze an meinem Schreibtisch, höre Musik und reise in meinen Erinnerungen. Ich denke an Momente – wie die schwarze Masse sich durch die Stadt zog oder wie die Tram unzählige kuriose Gestalten an die Haltestellen erbrach. Die Möglichkeit, Menschen wiederzusehen, zu denen sich der Kontakt sonst auf Buchstaben beschränkte, neue „Gothics“ mit den gleichen Leidenschaften und Interessen kennenzulernen. Ich werde ein wenig melancholisch. Sicher ist das die Sehnsucht nach einem Platz, an dem man in seiner Andersartigkeit nicht allein war. Ein fünftägiger Erholungsurlaub im schwarzen Meer.

Einen Augenblick lang stutze ich in meinen Gedanken. War das wirklich „schwarz“, was ich in Erinnerung habe? Was ich gesehen habe, war vielmehr eine bizarre bunt-schwarze Mischung aus Subkulturen, Stilen und Szenen. Seit einigen Jahren fällt das Wort „heterogen“ immer wieder im Zusammenhang mit der Gothic-Szene. Das Wort spricht von der Uneinheitlichkeit der Dinge und meint damit die Vielzahl der Stile, die sich zu Pfingsten in der Stadt und an den zahlreichen Veranstaltungsort einfinden.

Die Gothic-Szene ist immer facettenreicher geworden. Von Beginn an nimmt sie beständig neue Stile in sich auf, bietet anderen Szenen ein Refugium und erweitert sich um immer neue Musikrichtungen. Einige begrüßen diese Entwicklung. Sie freuen sich über die Möglichkeit, ihrem Selbst in immer neuen Facetten Ausdruck zu verleihen. Andere stehen dem Ganzen skeptisch gegenüber und können mit vielen neuen Entwicklungen nichts anfangen, sehen ihren Schutzraum bedroht.

Shan Dark, die in diesem Jahr zum 13. Mal das WGT besuchte, fasst einige Gedanken der Kritiker zusammen: „Mittlerweile ist das WGT in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem Kostümfest der Skurrilitäten verkommen. Dass dahinter eigentlich eine von der Musik geprägte Untergrund-Szene steckt mit geistigen, kulturellen, emotionalen Inhalten, wird gar nicht mehr wahrgenommen.“ In ihrer Erinnerung an die eigenen Anfänge unterscheidet sich die Szene von Heute durch ihren Geltungsdrang nach Außen: „Damals wollte man unter sich bleiben und hat höchstens untereinander nach Anerkennung in Kleidung, bei Haaren und Optik gesucht, aber nicht bei den Medien oder gar bei Otto Normalbürger.

Alice Insanity und Nec Romant: Ich bin der Meinung, dass es in den Anfängen der Szene nicht darum ging, durch die Gegend zu stolzieren und zu zeigen, wie toll man in seinen Kleidern aussieht, sondern eher, so abgedroschen es sich auch anhört, um Abgrenzung (c)
Alice:  „Ich bin der Meinung, dass es in den Anfängen der Szene nicht darum ging, durch die Gegend zu stolzieren […] sondern eher […] um Abgrenzung“ 
Bild (c) Marcus Rietzsch
Wir kommen nicht daran vorbei, uns mit den Anfängen zu beschäftigen. Das sollte jeder machen, der sich einer Szene zugehörig fühlt und sich irgendwann mit den Inhalten und Werten auseinandersetzt. Nach 30 Jahren lockt die Szene immer noch Menschen an, die sich selbst darin verwirklichen können. Alice Insanity findet es schade, dass diese Art der Selbstdarstellung für viele Besucher des WGT die einzige Verbindung zu „Gothic“ ist. „Ich bin der Meinung, dass es in den Anfängen der Szene nicht darum ging, durch die Gegend zu stolzieren und zu zeigen, wie toll man in seinen Kleidern aussieht, sondern eher, so abgedroschen es sich auch anhört, um Abgrenzung“.

Selbstdarstellung oder Selbstverwirklichung?

Wie weit darf Selbstdarstellung gehen und wo liegen die Grenzen der Selbstverwirklichung angesichts pompöser Gewänder und karnevalistischer Outfits auf dem WGT? Dürfen wir uns überhaupt über die aufregen, die sich in ihrer Facette visuell ausleben? Eine Frage, die auch mich beschäftigt.

Selbstdarstellung, so findet Snowlady, ist ohnehin aus dem Leben nicht wegzudenken. „Ich stelle mich jeden Tag selbst dar und kommuniziere mit meinem Aussehen mit meiner Umwelt, ob ich das möchte oder nicht. Das WGT gibt vielen Besuchern die Möglichkeit, eine Seite zu zeigen, die im Alltag keinen Platz findet. Das WGT gibt die künstlerische Freiheit, die eigene Erscheinung als Leinwand zu betrachten und verdeckte Dinge an die Oberfläche zu kehren.„ Das WGT ist alljährlicher Höhepunkt der „schwarzen“ Szene und seiner Individualisten. Stygian Sin lebt sich hier ganz besonders, „Da ich Kleidung liebe, gerne selbst anfertige und eh das ganze Jahr über Schwarz trage, hübsche ich mich für das WGT gerne noch extra auf. Es macht mir Spaß, aufzufallen und ich lasse die Gelegenheit bestimmt nicht aus, meine neuesten Kreationen vorzuführen.

Kreativität war immer schon ein wichtiges Merkmal vieler Subkulturen. In der Gothic-Szene schließt das auch den kreativen Umgang mit seinem Körper und der eigenen Bekleidung ein. Ninette nutzt diese Möglichkeit, sich kreativ auszudrücken. Für sie ist die Verwandlung nicht nur das Schlüpfen in andere Rollen, sondern auch ein Teil von ihr selbst. „Es macht mir einfach sehr viel Spaß, und mein Leben beinhaltet schließlich noch eine ganze Ecke mehr als die äußere Selbstdarstellung. Das Gothic-Styling hat für mich viel damit zu tun, mich künstlerisch auszudrücken, auch wenn viele mich sicher erst einmal als „eitle Tussi“ oder „Poserin“ abstempeln. Die Menschen, die mir wichtig sind und mich kennen, wissen, wie viel mehr ich wirklich bin.

Oftmals verbindet man mit dem Wort „Selbstdarstellung“ etwas Negatives. Mademoiselle Karma plädiert deshalb für eine andere Bezeichnung: „Das Wort ,Selbstdarstellung‘ – erst Recht in Verbindung mit Gothic – hat für mich eine sehr negative Konnotation. Es schwingt immer diese Mutmaßung mit, dass man sich nur in Schale werfe, um möglichst oft fotografiert zu werden oder von möglichst vielen Menschen bestaunt, oder besser begafft, zu werden. Viele andere Menschen – mich eingeschlossen – empfinden das Wort ,Selbstverwirklichung‘ als wesentlich treffender.

„Selbstdarstellung muss nicht immer schlecht sein,“ sagt hingegen Dorian Daimonion. Für ihn kann sie „inspirierend wirken oder zum Nachdenken anregen und in der Regel doch auch der Ästhetik der Szene sowie des WGT dienen. Ich kritisiere die Selbstdarstellung insofern nur dann, wenn der Weg zur Selbstverliebtheit allzu weit gegangen wurde.“ Niniel-Chan verweist auf die offensichtliche Verbindung zwischen der „schwarzen“ Szene und dem Drang, sich selbst zu präsentieren: „Zur Szene gehört ganz klar immer eine gewisse Form der Selbstdarstellung, da ja jeder auch nach außen tragen möchte, was er ist […] Ich kann an sich nichts Schlechtes daran finden, sofern sich hinter einer schönen Hülle auch noch ein Mensch mit Charakter verbirgt, der nicht nur zum Schaulaufen in der Szene ist.

SayShaya (c) Jana Northe
SayShaya: „Niedlichkeit, Strenge oder dezente Sinnlichkeit.“
Bild (c) Jana Northe

Das Äußere spiegelt unsere Leidenschaften, Interessen, Wünsche und immer auch ein bisschen unserer Seele. Auch Lucretia Levi drückt sich gerne über ihr Outfit aus: „ich […] sehe das aber nicht als Outfitwettbewerb (Wer hat den größeren Reifrock? Die höher toupierten Haare? Die meisten Fotos?) sondern als Möglichkeit, einmal auch bei Tageslicht übertrieben und so wie ich es am schönsten finde durch die Stadt laufen zu können.“ Gargamel ergänzt: „Ohne Leute, die die Faszination haben, ihr Äußeres in „Gothic-Ästhetik“ zu präsentieren, wäre die Szene nur noch ein langweiliger Haufen schwarz Uniformierter.

Vielfalt der Stile

Ich rufe den Bilderordner zum WGT auf und durchsuche die einschlägigen Kanäle nach Bildern. Mir fällt auf, dass ich versuche, alles und jeden zu kategorisieren. Ich erlebe, wie das Äußere über die Schublade entscheidet, in die ich den Abgebildeten stecke. Steampunks, Neoromantiker oder doch lieber Viktorianer, Waver, Batcaver und Fetisch-Goths? Und wo sind die Cyber geblieben? Ich erwische mich dabei, wie ich immer neue Schubladen beschrifte und alte Schubladen ausmiste. Mir fallen die Patchwork-Gruftis auf, die gleich mehrere Stile mischen oder ihr Outfit nach Tageslaune wechseln. Immer mehr Besucher des WGT betreiben Schubladen-Hopping, wenn man das so ausdrücken kann. Nachtschatten bestätigt meinen Eindruck: „Ich lasse mich nicht in eine Schublade stecken. Mein Musikgeschmack ist auch nicht auf eine Richtung festgelegt. Also warum soll ich mich dann bei dem Kleidungsstil festlegen?“ SayShaya ist ihrer Szene treu, kleidet sich aber jeden Tag „in verschiedenen Attributen, die ich mir selbst zuordne, wie Beispielsweise Niedlichkeit, Strenge oder dezente Sinnlichkeit. So kann ich verschiedene Seiten meiner Persönlichkeit ausleben. Dabei bleibe ich jedoch eher meinem Stil und dem schlicht-romantisch-schwarzem treu, da ich glaube in Lack/Leder oder Steampunkoutfits verkleidet zu wirken.

Missy O erzählt: „Ein Stil muss eine große Begeisterung bei mir auslösen und mich als Gesamtkonzept (Musik, Kunst, Kleidung, Literatur, etc.) überzeugen. Ich möchte einen Stil „leben“, ich verkleide mich nicht.“ Es scheint generell wichtig zu sein, dass man sich trotz der modischen Vielfalt nicht verkleidet. Das zumindest zieht sich wie ein roter Faden durch die Antworten derer, die nach ihrem Kleidungsstil gefragt wurden. Wobei die Authentizität offensichtlich mittlerweile nicht mehr an einem stimmigen Zusammenhang von Outfit und bevorzugter Musik festzumachen ist. Lucretia Levi: „Kleidungsstil und Musikgeschmack müssen auch nicht zwingend so zusammenpassen, wie wir uns das manchmal vorstellen. Jemand kann am liebsten Lack tragen und dabei Mittelaltermusik hören oder optisch eine SchwarzromantikerIn sein, musikalisch aber Postpunk bevorzugen. Das Wichtigste ist, sich in seiner Kleidung wohlzufühlen und nicht krampfhaft etwas darstellen zu wollen.

Lucretia Levi (c) Isabel Thomas
Lucretia Levi: „einmal auch bei Tageslicht übertrieben und so wie ich es am schönsten finde durch die Stadt laufen zu können
Bild (c) Isabel Thomas

M. Synthetic bringt es nochmal auf den Punkt: „Grundsätzlich habe ich nichts gegen die Vielfalt der Stile, solange sie ehrlich ist, das heißt solange man für seinen Stil auch steht und ihn verkörpert.“ Ich persönlich bin mir auch nach all diesen Antworten nicht sicher, inwieweit sich die beschworene „Heterogenität“ mit meiner Vorstellung von der „Schwarzen Szene“ deckt. Schwarz ist doch nicht nur eine Farbe! Wenn Schwarz durch Bunt ersetzt wird, verliert die Szene doch nur ein Detail, oder?

Schwarz spielt noch immer eine Rolle

Ich frage mich, ob die Farbe „Schwarz“ als Zeichen der Abgrenzung ausgedient hat. Wurde sie durch ein „inneres Schwarz“ abgelöst? Wie sonst könnte man die Farben und Stile erklären, die sich auf dem WGT, das sich als Mekka der „schwarzen Szene“ etabliert hat, versammeln? Was bedeutet eigentlich Schwarz noch für die Besucher?

Sarah Selene: „Schwarz ist keine Farbe, sondern ein Kontrast! Ein Kontrast zur allgemeinen Welt, zu allem „normalen“, zu der stressigen und hektischen Welt. Ein Kontrast, der Aufmerksamkeit erregt, der zeigt „Hier schaut her. Ich bin anders und bin es gern!
Für Niniel-Chan ist Schwarz „einfach das Synonym für diese vielfältige Szene, in der ich mich bewege. Es stellt für mich keine Pflichtfarbe für Kleidung dar, um dazu zu gehören, sondern wohl am ehesten ein Lebensgefühl.“ Schwarz ist für sie also nicht das Abgrenzungsmerkmal zur „bunten“ Gesellschaft, sondern die Umschreibung eines Lebensgefühls. Nachtschatten formuliert es so: „Schwarz ist keine Farbe, sondern eine Lebenseinstellung. Es geht in der Schwarzen Szene nicht darum mit der Farbe dem Tod zu huldigen. Es ist vielmehr ein Abheben von der Masse und stellte am Anfang ein Aufbegehren gegen die Obrigkeit dar. Im Schwarzen liegt viel Gefühl, vor allem schwingt immer ein Hauch Melancholie mit.“ Foxglove meint: „Schwarz ist mehr als nur eine Farbe, es ist eher eine Lebenseinstellung, da schwarz mit Dunkelheit assoziiert ist, also der Abwesenheit des Lichtes. Aber nur wer die Dunkelheit kennt, kann das Licht und das damit verbundene Strahlen erkennen.

Es ist erstaunlich, wie viele der Besucher die gleichen Assoziationen mit „Schwarz“ verbinden. Bei dem Versuch, alle genannten Eigenschaften zu berücksichtigen, ist mir aufgefallen, dass Tanja die meisten der genannten Begriffe in ihrer Antwort erwähnt: „Schwarz ist die Farbe der Kreativität, da aus dem Dunkel alles geboren wird. Durch seine Schwere und Distanziertheit steht es für mich auch für Würde und Eleganz.“ Doch ist das alles? Nec liefert eine Erklärung, die mich innerlich zum Lächeln bringt und die das zusammenfasst, was ich persönlich mit der Farbe verbinde: „Schwarz bedeutet für mich den Blick hinter die Kulisse des ach so schönen und heilen Lebens, und dass auch das Dunkle, Hässliche und Ungewöhnliche schön sein kann, wenn man es einfach aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.

Sarah Selene Bild (c) P2
Sarah Selene: „Neben der Musik interessiere ich mich vor allem für Kunst […] es ist immer ein Stück einer Geschichte, die man damit einfängt
Bild (c) P2
Blick hinter die schwarz-bunte Kulisse

War früher das Äußere ein unverwechselbarer Indikator für die subkulturelle Zugehörigkeit und sogar für den Musikgeschmack, so fällt es mir heute, beim Durchsehen der vielen Erinnerungsbilder, schwer, die Leute auf dem WGT einzuordnen und Parallelen zu mir zu finden. Doch das ist nur bei oberflächlicher Betrachtung so. Es gibt nach wie vor Dinge, die uns verbinden. Mit dem Begriff „Schwarze Kultur“ beschreibt man eine Vielzahl von Interessen, die viele wieder zusammenführt, die optisch getrennt erscheinen. Foxglove stellt fest: „Die Ausstellungen während des WGT zeigen die Szene und deren Themen aus vielen interessanten Blickwinkeln. Dadurch ist es möglich seinen Horizont zu erweitern und die Sichtweise anderer auf scheinbar vertraute Themen zu erkennen. Ähnlich ergeht es mir mit den Lesungen, bei denen teilweise überraschende Einsichten gewährt werden.

Die Gothic-Szene findet sich nicht nur im Bereich der Musik zusammen. Das stetig wachsende Rahmenprogramm ist Beweis genug. Von Jahr zu Jahr gibt es mehr Ausstellungen, Führungen, Lesungen und Veranstaltungen mit kulturellem Hintergrund. Überdurchschnittlich oft wagen Szene-Mitglieder den Sprung auf „die andere Seite“ und versuchen mit ihren Talenten andere zu erreichen. Sarah Selene lässt sich beispielsweise von den zahlreichen Ausstellungen inspirieren: „Neben der Musik interessiere ich mich vor allem für Kunst. Nicht nur, weil ich versuche, mit meinen Bildern Kunst zu schaffen, ich zeichne und male auch. Ich habe die Ausstellung im agra-café besucht und war begeistert von den Bildern der Künstler. Es ist immer ein Stück einer Geschichte, die man damit einfängt, versucht wiederzugeben und dem Betrachter daran teilhaben zu lassen und das ist auch das Faszinierende daran – in meinen Augen.

Auch Reflexion und Selbstreflexion sind verbindende Element hinter der schwarz-bunten Kulisse. SayShaya bringt dies so zu Papier: „Mich faszinieren vor allem philosophische Gespräche und Lesungen, da ich den Sinn und Unsinn der Dinge gern erkunde. Neben geistreichen Gedanken begeistert es mich auch die Emotionen anderer in Kunst, Photographie und Tanz zu beobachten, wodurch man selbst emotional berührt wird und den eigenen Gedanken beraubt den Moment genießen kann.

Das, was uns verbindet, liegt offensichtlich zum großen Teil unter der Oberfläche. Mir fällt eine interessante Erfahrung ein, die ich beim Besuch der Ausstellung über „Gruftis in der DDR“ im „runden Eck“ machen durfte. Das Treppenhaus des Museums war Ausstellungsfläche und Ort der Begegnung. Die Menschen, die mir über die Etagen begegneten, waren sozusagen einen Querschnitt durch die schwarze Szene. Cyber-Gothics, Steampunks, Neoromantiker, Batcaver und Waver standen nachdenklich vor den Ausstellungsstücken und versuchten, eine Vergangenheit zu verstehen, die ihnen fremd und weit entfernt erschien. Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten dürfen wir uns nicht mehr auf unser Auge verlassen. Die Gothic-Szene ist – so sehr ich dieses Wort hasse – äußerlich heterogen geworden. Hier findet jeder seine Nische der Selbstdarstellung, die jedoch nichts über eine Zugehörigkeit aussagt.

Der detaillierte Blick zeigt, dass das Äußere heutzutage über das innere „Schwarz“ hinwegtäuscht und nicht jeder, den man mit seinen Interessen, Leidenschaften und Sichtweisen auf gleicher Wellenlänge vermutet, auch äußerlich kompatibel ist. Diese Uneinheitlichkeit macht es für uns schwer, zu unterscheiden. Wir müssen uns miteinander beschäftigen um herauszufinden, was hinter den kalkweißen Gesichtern, Irokesen und Piercings steckt und welches Herz unter den Korsagen schlägt. Anima Libraria weiß, was hinter ihrer Fassade mit anderen gemeinsam hat: „Trotz aller Unterschiedlichkeiten ist es das, was in meinen Augen alle Gothics verbindet: Leidenschaft.“ Und diese Leidenschaft schließt das eigene Selbst mit ein.