Spontis Wochenschau #02/2014

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Die Welt wird wieder paranormal. Endlich. Schluss mit der ewigen Erklärbarkeit von Dingen, dem Drang nach Information und Wissen. Wir werden wieder übersinnlich. Wie sonst ließe sich der ganze Mist erklären, der auf dieser Erde so stattfindet? Die Meisten warten regungslos auf das Ende, lassen sich mit Brot und Spielen aus dem Dschungel belustigen, andere versuchen Dinge zu ändern und scheitern an sich selbst. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen! Die Bundeswehr wird familienfreundlicher, sagt die Ursula, vermutlich werden Frau und Kinder zur Beerdigung des Papas in fremde Länder geflogen, weil der sich dort im Namen der Bundesregierung für fragwürdige Ziele erschießen lassen musste. Gruselig! Und Exorzisten würden in Stuttgart reich werden, denn dort demonstrierten einige Menschen gegen einen Bildungsplan, der Kindern näherbringen soll was es mit den ganzen Sexualitäten auf sich hat. Es ist aber auch alles durcheinander und so unchristlich. Und wenn Exorzisten Homosexuelle heilen können, warum nicht auch die Homophoben? Teuflisch! Mit jeder neuen Meldung wird dem geneigten Gruftie wieder ein bisschen wohler. Schließlich lohnt es sich wieder, schwarz zu tragen, nachdem die Ängste aus den 80ern endlich ausgeräumt sind.  Die aktuelle Zillo-Ausgabe ist übrigens auch verbrannt, einfach so. Womöglich Hexenliteratur. Ganz sicher sogar. Mir ist nicht mehr geheuer auf dieser Welt.

  • Kunst und Subkultur – Destroy the Silence: Schwarz hören und sehen | Schwarzvolk
    Ein Doppelknoten hält besser. Christin Lohmann, Künstlerin und Leserin, schrieb mir in einem Anflug von Selbstbewusstsein eine Selbstbewerbung via E-Mail. Zu Recht, wie sich herausstellen sollte. Auf einem anderen Blog sei ein Artikel über ihr Arbeit als Illustratorin zu finden. Ich finde: Sehr gelungen: Artikel und Kunst, schaut es euch an: „Der Name Ugly Perfection passt sehr gut. Er verrät schon die bizarren Vermischungen von Ästhetik und Hässlichkeit, die sie gekonnt verbindet. In den Gesichtern finden sich nicht bloß augenscheinliche Makel, sondern eher scheinen sie die Last des Lebens ausdrücken zu wollen: verhärmt, sorgenvoll und traurig sehen die aus. Aber auch Konventionen werden von ihr auf den Kopf gestellt. Ein älterer Herr mit kunstvollem Schnauzbart guckt mir aus einem Bild entgegen. In seinen Ohren große Tunnel. Bizarr sind oft die Proportionen der dargestellten Menschen. Die Füße in den Schuhen groß und klobig hängen an dürren Beinchen. Zerbrechlich wirken sie oft. Farbakzente, werden in den Zeichnungen, die von schwarz-weißen Kontrasten dominiert werden, gezielt eingesetzt. “I am the last unicorn” steht auf einem Werk in Orange und Gelbtönen. Darauf abgebildet eine junge Frau, die statt Händen und Füßen Pferdehufe vorzuweisen hat. Ein wiederkehrendes Symbol: Ein anatomisches Herz als Halskettenanhänger. “Ob es sowas wohl wirklich gibt?” werde ich gefragt. “Naja nach einiger Zeit stinkt das bestimmt gut”, antworte ich etwas schockiert, ganz bei dem Gedanken an einen organischen Anhänger.
  • Friedhof-Ästhetik im Doppelpack: Notre Dames Luxembourg und der St.-Pauli-Friedhof Dresden | Gedankensplitter
    Der in den Fußstapfen von Goethe, Hemingway und Hesse wandelnde Marcus Rietzsch hat auf seinen Reisen in Dresden und Luxembourg Station gemacht um die Schönheit der dortigen letzten Ruhestätten zu konservieren. Glücklicherweise lässt er uns daran teilhaben: „So grimmig der steinerne Adler auch wirken mag, eine kleine Spinne hat die Gefährlichkeit seines Schnabels missachtend ihre Fäden gerade dort angeheftet. Doch das ist nur eine der kleinen, von den meisten Besuchern wohl unbeachteten Ansichten, die sich mir auf dem 1862 eingeweihten und terrassenförmig angelegten St.-Pauli-Friedhof in Dresden bieten.“ – „…besuchte ich die Stadt Luxemburg im Großherzogtum Luxemburg. Einziges Ziel war – sicherlich nicht überraschenderweise – der Friedhof Notre Dames, der inmitten geräuschvoller Betriebsamkeit und verkehrsreichen Straßen liegt. Gegenüber fand ein Volksfest statt. Das Riesenrad erhob sich weit über die Bäume des Gottesackers, der sich in ordentlichen Reihen und in ebenso ordentlich rechtwinklig abgegrenzten Arealen präsentierte.“
  • Der Schatten junger Mädchenblüte | Telepolis
    Was bedeutet es, wenn ein 15-jähriges Mädchen sterben will? „Eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage, was es bedeutet, wenn man im Alter von 15 Jahren sterben will, liefern die von der Zeitung Le Monde befragten Mediziner nicht. Der Verweis auf die Wirtschaftskrise reibt sich an dem schon länger beobachteten Phänomen, wonach Mädchen im Pubertätsalter häufiger als Jungen einen Selbstmordversuch unternehmen. […] Nicht erwähnt wird bei alledem der psychische Stress, den sich Mädchen auferlegen, um einem Idealbild zu genügen, das in der Konsumwelt täglich gefeiert wird. Oder sind die Selbstmorde, die im Zusammenhang von Mobbing auf Sozialen Webseiten in Berichten groß dargelegt werden, oft mehrere Tage lang, nur als Einzelfälle zu sehen, die mit den Suizidgedanken der „schweigenden Mehrheit“ wenig zu tun haben? Mobbing zielt häufig auf äußere Mängel. Wie auch Krankheiten wie Magersucht, die von manchen als langsamer Selbstmord bezeichnet werden, mit einer Normvorgabe der äußerlichen Erscheinung zu tun haben.“ – Philippe Ariés sagte 1987: „Der Selbstmörder ist ein Toter, der seine Angehörigen in Ewigkeit zu Schuldgefühlen verdammt.“ – Depeche Mode 1988:  Little 15
  • Berliner Verbindung für Paranormales | BVP
    Hatten Sie jemals das Gefühl, eine unsichtbare Präsenz wäre in ihrem Haus? Fühlen Sie sich beobachtet oder sahen Sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung o. einen Schatten? Halten unerklärliche Geräusche Sie wach? Nehmen Sie einen seltsamen Geruch von Parfum, Tabak oder sogar Schwefel war? Hören Sie unerklärbare Stimmen in ihrem Haus? Vielleicht haben Sie eine kalte Stelle in ihrem Heim und fühlen sich unwohl? Wenn ja, dann könnte es bei ihnen spuken?…doch es kann auch natürliche Erklärungen für solche Anomalien geben!“ Nein, das ist nicht komisch gemeint. 2008 gründete sich die BVP um paranormalen Phänomenen auf wissenschaftlich-technischer Basis auf den Grund zu gehen. Gestern waren sie dann auch bei RTL „30 Minuten“ zu sehen. „Noch ahnen die fünf nicht, dass sie einer Nacht entgegenlaufen, die alle an ihre Grenzen bringen wird!“ Oh weh, warum ausgerechnet RTL?
  • Tagebuch eines Gothic-Mädchens | Der Standard
    Das Gothic nicht nur als Musikrichtung begriffen werden kann, beweist Fotografin Francesca Woodman, deren posthum veröffentlichten Arbeiten das Label „Amercian Gothic“ erhielten. Ob das gut oder schlecht ist und vor allem, was das überhaupt bedeutet, könnt ihr selber herausfinden: „Aus einem Glaskasten mit Tierpräparaten ragt ein Haarschopf. Zusammengekauert neben Fasan, Fuchs und Waschbär: ein Frauenkörper. Ein anderes Schwarzweißfoto zeigt eine Frau vor einer sich entblätternden, sich auflösenden Wand: Sie präsentiert – mittels Requisits – ihr Rückgrat, zeigt Verletztlichkeit und stellt so eine Analogie zur Wand her, die im Verfall ebenfalls ihre Grätenkonstruktion offenbart.“ Nachdem sie im Januar 1981 ihren Bildband „Some Disorderd Interior Geometries“ veröffentlichte, sprang sie in New York vom nächst besten Gebäude, um ihr Leben nach 22 Jahren zu beenden.
  • Wonderland – Blutiger Märchenschocker | Panini Comics
    Der Roman „alice im Wunderland“ von Lewis Caroll gehört zum Standardprogramm der Kinderliteratur. Die Comic-Reihe „Wonderland“ gehört allerdings nicht in Kinderhände. In der Wonderland-Serie drehen verschiedene Autoren und Zeichner drehten die fantastische Vorlage durch den Fleischwolf und machen aus dem ehemaligen Kinderbuch einen morbiden, abgrundtief blutrünstigen Märchenschocker. Die achte Ausgabe, die 2013 im Panini-Comics Verlag erschien spinnt die Story auf eine ganz besondere Weise: „Der Zipferlak ist besiegt, die Herzkönigin tot … das Wunderland versinkt ohne Herrscher im Chaos – was in der Heimat des Chaos einiges heißen will. Nun betritt der Rote Ritter die Bühne und der Untergang aller Ebenen droht! Es sei denn, eine Literaturstudentin auf der Erde entschlüsselt Lovecrafts Geheimnis! Das grandiose Präludium zu einer neuen Wonderland-Storyline! Noch nie war das Wunderland so verführerisch und so verstörend zugleich! Sexy und provokant!“ Es bleibt jedoch fraglich, ob es sich hierbei um schnöden Comic-Porn, verzerrte Märchen oder einfach Fantasy-Geschichten handelt.
  • E-tropolis Festival 2014
    Aus der Hauptstadt Berlin nach Oberhausen ins hämmernde Herz der schwarzen, elektronischen Musik. Zu seiner 4. Auflage zieht das Festival in die Turbinenhalle nach Oberhausen. Es gibt wohl kein geeigneteres Umfeld, als den stillgelegten Industrieomplex, der bis 1990 zur Erzeugung von Srom und Druckluft für die westfälische Stahlindustrie genutzt wurde. So passen „Die Krupps“ wie ein Passbolzen in die musikalische Führung des Festivals. Die Veranstalter versuchen den kritischen Spagat zwischen vielen Musikstilen zu meistern, der für alte Hasen und junge Hüpfer gleichermaßen interessant sein soll. Für die Haudegen der Szene bieten „Die Krupps“ ihr neues Album zum Genuss an, während Pouppée Fabrikk, Dirk Ivens Soloproject DIVE und Tyske Ludder musikalische Schützenhilfe bieten. Wer lieber etwas melodischer Unterwegs ist, wird sich mit Apoptygma Berzerk, Rotersand und Chrom anfreunden können, während Hocico, Agonoize und Suicide Commando das klangliche Gegenteil bedienen. Wer sich im Rythmus akuteller Club-Sounds viel wohler fühlt, dem empfiehlt sich Aesthetic Perfection, Faderhead, [x]-Rx, XotoX oder auch Steinkind. Der auf „Maschinenlärm“ spezialisierte Abgleger des Amphi-Festival läutet die Festival-Saison bereis am 22. Februar 2014 ein. Die Turbinenhalle öffnet um 14:00 ihre massiven Türen, der Eintritt kostet 42€.
  • Exorzismus über Skype | Nerdcore
    Reverent Bob Larson betreibt ein blühendes Exorzismus-Business. Nachdem er sich mit dem Teenage Girl Exorcism-Squad bereits einen Namen gemacht hat, bietet er jetzt seine Dienste via Skype an. Vom Teufel besessene Menschen aus aller Welt greifen zu seinem Angebot und lassen sich reinigen. Ich glaube, das muss ich bei Gelegenheit nochmal auseinandernehmen.
  • Kontraste – Widerstand gegen den Bildungsplan
    Endlich wieder schwarz tragen! In einer Zweifelphase des eigenen Szene-Daseins sollte man folgendes Video gucken. Danach gehts dem Gruftie besser, endlich bekommt das Ablehnen der gesellschaftlichen Normen wieder einen Sinn. Sorry lieber Leser, aber den kann ich mir nicht verkneifen.

 

Kommentar: Wann hat Gothic eigentlich sein Herz verloren?

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Es ist schon etwas Besonderes, wenn sich Szene-Künstler erheben, um über die Szene zu schreiben. Der Blick von den Bühnen der Republik ermöglich häufig ein umfassenderes Bild über eine Subkultur, der man häufig selber entspringt. Tim Hofmann, Gitarrist und Keyboarder der Gruppe fetisch:MENSCH tritt aus dem vermeintlichen Schatten den Oswald Henke gelegentlich zur werfen vermag und hinterfragt die sprichwörtliche Hand, die ihn füttert. Sein Blick von der Bühne zeigt ihm eine kritiklose Masse, die ihre Tiefe verloren hat und nun hilflos auf der Oberfläche paddelt. Hier kommt keiner zu kurz, die verbale Klatsche gegen die musikalische Gothic-Landschaft und deren einschlägigen Magazine sitzt. In seinem Artikel: Wann hat Gothic sein Herz verloren? Und wann seinen Sinn? schreibt er: „Vielleicht hat es nicht so wehgetan, weil es so langsam und schleichend passiert ist. Und genau deswegen tut es wohl auch besonders weh: Gothic, so wie wir es einst lieben gelernt haben, ist nicht mehr. Nur noch ein Schatten, eine Erinnerung.

Seit Jahren predigen die Veteranen das Ende der Szene, in nahezu jeder Dekade liegt die Szene im Sterben. Wir sind es gewohnt. Wir sind gewohnt zu hören, dass Gothic tot ist, dass es seine Tiefe verloren hat, seinen Gehalt. Die Anzahl derer, die resignieren, wächst stetig. Zu laut ist die Masse der Oberflächlichkeit, zu leise die eigene Stimme. Und dennoch fühlen wir uns noch irgendwie zu einer Szene hingezogen, die öfter gestorben ist als eine Katze.

Doch Tim Hofmann weiß zu differenzieren und schreibt weiter: „Wann hat er eigentlich aufgehört? Als der Graf ins Fernsehen ging? Als Mono Inc. beschlossen, ihre Karikatur von dunkler Musik zu veröffentlichen? Als zu viele WGT-Besucher das optische Ausstellen einer inneren Anders-Gefühlslage mit dem karnevaleskem Spaß am Verkleiden zu verwechseln begannen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es an all diesen Einzelpunkten nicht liegt. In jeder Szene gibt es Menschen, deren Herz tief verwurzelt drinhängt und solche, die nur an einigen Details gefallen finden. Alles hat eine Oberfläche. Das ist kein Problem  so lange es darunter auch die Tiefe gibt.“ Schon wieder jemand, der resigniert? Jemand, der die Hoffnung aufgibt? Es tut gut, dass jemand die Sache auf den Punkt bringt, ausspricht, was gesagt werden sollte und das Gewicht seiner Stimme dazu nutzt, die Reichweite zu erhöhen.

Tim Hofmann - Bei fetisch:MENSCH für Programmierung, Keyboards und Gitarre zuständig - Hier ein Bild aus seinem Twitter-Profil
Tim Hofmann – Bei fetisch:MENSCH für Programmierung, Keyboards und Gitarre zuständig – Hier ein Bild aus seinem Twitter-Profil

Die Szene, lieber Tim Hofmann, ist nicht tot. Wie gerne würde ich nur nicken und denken: „So ist es!“ Doch nach den Zeilen der Zustimmung folgen auch Zeilen des Prickelns, einem Gefühl das Dir sagt: „Nein! Schau doch mal hin!“ Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen den Ihrer Meinung nach schlimmsten Fehler, die Kritiklosigkeit, auszubügeln. Jedenfalls ein bisschen. Die Szene stirbt immer erst dann, wenn sie in einem Selbst stirbt, wenn man den Kampf aufgibt und sich von der Oberfläche so weit entfernt, dass ein gelegentliches Auftauchen unmöglich erscheint. Nach 6 Jahren bloggen bin ich mir mittlerweile sicher: Die Szene muss nicht sterben, die Geburtenrate ist gesunken, aber vorhanden.

Der Ton war uns Überzeugungs-Gothics immer etwas ganze Besonderes. Wir haben unter der Oberfläche der Gesellschaft nach den Nischen gesucht, nach der Individualität. Haben zugehört. Zugelassen. Selbst Schmerz und Hass. Haben hinter alle Dinge geblickt. Aber irgendwann haben wir dabei Toleranz mit Kritiklosigkeit verwechselt. Meinungsfreiheit war uns ein so hohes Gut, dass Irgendwann der Inhalt einer Meinung egal war. Der Inhalt. Das hat dazu geführt, das irgendwann jeder alles machen konnte – wir haben es geschluckt. Und irgendwann haben wir mangels besserer Angebote Dinge geschluckt, die wir so eigentlich nicht haben wollten. Irgendwann war ASP eine der besten Bands der Szene. Wir haben nie gelernt, wie wichtig und befruchtend konstruktive Kritik und Streit sind. Auseinandersetzung. Das Ergebnis ist, dass es keine guten neuen Szene-Bands gibt. Man betrachte nur die Programmfolgen der Festivals in den letzten Jahren.“

So ist es. Mensch Tim, großartig geschrieben! Doch das Prickeln bleibt, gibt es keinen guten Szene-Bands mehr, oder ersticken wir in der ständigen und überflutenden Verfügbarkeit von Musik? Seit Punk kann jeder Musik machen, seit dem Internet kann jeder darauf aufmerksam machen. Die paar Menschen, die sich ernsthaft mit der Musik auseinandersetzen und sagen könnten was gut oder schlecht ist, kommen kaum noch hinterher sich durch die Flut der Belanglosigkeit zu kämpfen um die Perlen zu entdecken. Was wäre fetisch:MENSCH ohne den Namen „Henke“? Du schreibst es selbst: „Es gibt immer noch hervorragende dunkle Musik. Musik, die unter die Oberfläche schaut und das Dunkel ertastet. Die Schnitte im Herz, die Wunden in der Seele. Kunst, wegen der wir uns einst in der Schwarzen Szene heimisch gefühlt haben.

Dass du diese Musik eher außerhalb gewohnter Pfade findest, liegt vielleicht auch daran, dass „Gothic“ ein Modelabel ist, auf das hunderte von „Musikern“ aufspringen um für tausende, die dem Mode-Diktat folgen, das nötige Futter zu produzieren. Randbereiche sind sicher noch nicht so stark infiltriert, hier hat eine Suche mehr Erfolg. Neofolk, der Prügelknabe der Szene, ist so ein Beispiel. Kommerziell noch zu uninteressant und voller Leidenschaft dümpeln hier einige Perlen in den Hoffnung auf den Durchbruch. Vielleicht liegt auch hier ein Problem: Der Wunsch von seiner Musik leben zu können, ist stark. Musiker machen am liebsten Musik. Doch Musik, die schneidet und Wunden reißt ist 2014 nicht mehr erfolgreich. Sie bleibt Leidenschaft.  So kommen viele Künstler an einen Punkt an dem sie sich fragen, wohin sie möchten. Musiker, so wie du, kennen das sicherlich. Es fehlt also nicht nur eine Szene mit Tiefe, sondern auch Künstler mit Tiefe. Was nun zuerst da war und wer von wem abgeguckt hat, bleibt diskutabel. Die Musik hat ihre Vorbild-Funktion verloren, das Publikum die Bereitschaft zuzuhören. Aber das hast ja bereits geschrieben.

Auf der anderen Seite steht dagegen ein übermächtige, starre Masse, die aus dem einstigen Blick ins Dunkel der Tiefe eine neue Oberfläche gemacht hat. Symbole, deren Chic jeder kennt und deren Bedeutung niemand mehr fühlt. Eine Masse, die aus den Erkenntnissen und mutigen Perspektiven von einst die Phrasen von jetzt gemacht hat. Sie ritualisiert abspult und in Online-Shops einkauft. So wie Mutti jedes Jahr die Weihnachtskugeln an die Tanne hängt – und am Ende beides für originäre Bestandteile eines christlichen Festes hält. Am deutlichsten wird das vielleicht, wenn man auf die toten Magazine blickt: Eine Szene, die so viel auf ihren Geist und ihre Gedanken hält, erträgt komplett geist- und journalismusfreie Szenehefte, in denen jeder Artikel an bezahlte Anzeigen gekoppelt ist? Ja. Und nein. Aber: Diese Situation ist entstanden, weil sie aus uns allen heraus so entstehen konnte.

Und da haben wir alle Schuldigen versammelt: Die Szene-Hefte, die Musiker, die Szene – ich ergänze noch die Veranstalter, die immer szenefreiere Bands zu Headlinern machen und die Discotheken die gelangweilt immer das gleiche Programm abspulen. Aber Tim, sei doch mal ehrlich. „Szene-Hefte“ kann man nicht im Supermarkt kaufen. Konnte man noch nie. Das ist wie früher, als eine breite Masse modegeiler Kids die BRAVO für ein Blatt mit Ahnung hielten. Die den Stil der „Grufties“ kopierten und die Musik hörten, von denen man erzählte. Szene-Journalismus und Szene-Geist findet man nicht mehr zwischen Fetisch-Bildern mit halbnackten Models.

Und nein, viele von uns ergeben sich nicht in das Schicksal, von dem du schreibst. Wir machen etwas. Es gibt unzählige Blogs und Magazine im Internet, es gibt leidenschaftliche Autoren die Nischen-Magazine herausbringen, die Bücher und Foto-Bände veröffentlichen, Künstler die fotografieren und erschaffen, die Ausstellungen organisieren um das geistige Auge zu bereichern. Die meisten machen das nicht, um Geld damit zu verdienen, sondern weil sie ihrer Passion nachgehen. Denn wenn du anfängst Geld mit dem verdienen zu wollen, was du tust, musst du Dich den Wünschen deiner Kundschaft beugen. Und so funktioniert Subkultur nicht. So hat sie noch nie funktioniert. Die Wunschvorstellung, mit Leidenschaft Geld zu verdienen, bleibt nur einigen wenigen vorbehalten.

So wahr Deine Worte auch klingen: Sie sind ein Schlag in das Gesicht derer, die ihre Leidenschaft eben diese Szene widmen, die Du für tot erklärst.

Wir sind zu gut darin uns in Aussichtslosigkeit zu wälzen. Wie wäre es mit einem Artikel „Gothic lebt! Wo das Herz der Szene wirklich schlägt.“ oder „Gefunden! Wie ich den Sinn der Szene erkannte.“ Hoffnungsvolle Artikel die eine Richtung zeigen, einen Anhaltspunkt bieten. Die Gedankenanstöße liefern und Möglichkeiten bieten. Tim Hofmann, verstehe mich nicht falsch, Dein Artikel ist wunderbar, wenn auch einseitig.  Er endet: „Es ist traurig.“ – Was können wir tun, wo gehen wir hin, was sollten wir lesen? Und ja, du hast mich auch überrascht, denn du predigst nicht nur, sondern stehst auch dazu. In 93 Kommentaren bleibst du am Ball und lebst die geforderte Diskussion.

Young & Cold Festival II – Das Selbermachen geht weiter

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Young and Cold Festival 2014In den vielen Grüften unserer Republik macht man sich mittlerweile Gedanken über die wirklich wichtigen Fragen 2014. Zu welchen Festivals gehe ich? Auch in der Spontis-Monarchie werden bereits die Weichen für ein musikalisches Jahr gestellt.Wo will man wieder hin, welches Festival spart man sich? Das Young & Cold Festival sorgte 2013 für eine handgemachte Überraschung die mit dem festen Vorsatz endete, auch dieses Jahr wieder dabei zu sein. Nicht zuletzt wegen der großartigen musikalischen Darbietungen, sondern auch wegen der Atmosphäre die das Publikum, die Örtlichkeiten und vor allem das Organisationsteam verströmte. Improvisation statt Professionalität stehen synonym für Leidenschaft statt Profit. Noch am letzten Abend des kleinen Festivals in der Augsburger Ballonfabrik versprachen die Macher, mit denen ich letztes Jahr ein Interview führte, für den 12. und 13. September 2014 einige Überraschungen bereit zu halten.

No More – Als der Punk nach Kiel kam

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Als 1978 der Punk nach Kiel kam, ahnte niemand, dass daraus eine der einflussreichsten musikalischen Strömungen werden sollte. Auch Tina Sanudakura und Andy Schwarz wissen noch nicht wo ihre Reise hingeht, als sie sich zu dieser Zeit im einem Proberaum treffen um gemeinsam Musik zu machen. Sie spielten einfach, von „Gothic“ oder „Wave“ redete sowieso noch niemand. Punk war laut, Punk war neu, Punk war unprofessionell. Und genau das machte ihn so attraktiv für die Beiden. Das Schleswig-Holstein Magazin würzt ein kurzes Porträt über den Kieler Punk mit einigen historischen Aufnahmen die eine kleine Zeitreise erlauben.

Im Sommer 1979 gründen Tina und Andy zusammen mit Christian Darc und Thomas Welz die Band „No More„, ihre ersten Aufnahmen entstehen in einer Waschküche mit angrenzendem Proberaum. 1981 wird der Song „Suicide Commando“ veröffentlicht. Es ist der bisher erfolgreichste Song der Band der nach über 30 Jahren immer noch in den Clubs gespielt wird. Der New Musical Express beschreibt den Stil des Stückes damals als „passende deutsche Electro-Mode“ vielleicht in Anspielung auf die gleichzeitig aufstrebenden Jungs aus Basildon mit ihrer Band „Depeche Mode“. Die Band geht auf Tour, veröffentlicht einige Alben und spielt sich vor allem in die schwarzen Herzen der mittlerweile aufstrebenden Gothic-Szene. 1986 wurde „No More“ aufgelöst, Tina und Andy beschritten mit ihrem Projekt „Nijinsky Style“ musikalisch völlig neue Wege.

Womöglich ist es der Kontinuität der Szene geschuldet, dass „Suicide Commando“ immer noch zum festen Repertoire eines „Classix“- Abend gehört. Auch eine belgische Band benannte sich 1988 nach dem Stück der ehemaligen Kieler Punk-Band. 2006 veröffentlichten die Beiden ein Compilation-Album mit dem Titel „Remake/Remodel“, auf dem auch erstmals neue Songs zu hören waren. Seit Ende 2008 sind die beiden auch wieder auf Tour, sammelten Inspiration und Bestätigung für ihre musikalischen Wurzeln. 2010 erscheint „Midnight People & Lo-Life Stars“ und 2012 das Album „Sisyphus“. Und auch nach 30 Jahren werden sie nicht müde, ihren Hit zum Besten zu geben. Eine Hommage an die eigene Vergangenheit und an die schwarze Szene, die den Song in ihr kollektives Langzeit-Gedächtnis aufgenommen hat.

Grund genug, ein mit alten Aufnahmen gespicktes Video zu produzieren und der Fan-Gemeinde zur Verfügung zu stellen. Die Aufnahmen aus der Zeche Bochum wurden 1984 aufgenommen und machen ganz nebenbei einen ganz besonderen Habitus deutlich: Gelebte Unterkühltheit. Kein Abfeiern auf der Bühne, keine schwingende Arme, keine Aufforderung zum gemeinschaftlichen Klatschen. Seien wir ehrlich, wird das dem Song nicht irgendwie gerechter?

2013 wollen Tina und Andy dem alten Klassiker eine Kur verpassen, schließlich liegt es in der Natur des Musikers, sich ständig neu zu erfinden. Irgendwie. Und so erscheint „Suicide Commando (v.32.x)“ im neuen musikalischen Gewand. Geschmackssache, möchte man meinen. No More pumpen den Song mit Steroiden der Neuzeit auf und garnieren ihn mit ihren aktuellen Einflüssen und Entwicklungen.  Der Song ist tanzbarer geworden und erschließt sich damit einem vielleicht viel jüngeren Publikum. Entscheidet selbst, was euch besser gefällt. Ich persönlich bleibe beim Klassiker, aber womöglich nur, weil er mit Erinnerungen beschwert das Versinken in seinen Klängen erst möglich macht.

Spontis Wochenschau #01/2014

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Kurz hatte ich den Impuls, mich über das Wetter aufzuregen. Von wegen kein Schnee und so. Doch diesmal haben die Kontrollmechanismen ausgezeichnet funktioniert! Die restlichen Floskeln können wir auch noch eben abhaken. Auch 2014 gibt es die Wochenschau, bla bla – werde wieder feinsäuberlich auswählen, blubber blubber – schickt eure Links an mich, laber laber. Fertig. Soll ich mich doch noch über das Wetter aufregen? Nein, ich lasse es.  Dann doch lieber über beschriftete T-Shirts. Ich behaupte: Verpacke irgendeine abstruse Ideologie in einen englischen Spruch und drucke es auf ein T-Shirt. Dazu irgendein Markennamen, der zum Status-Quo-Gefühl des Trägers beiträgt, fertig! „Proud Member of the NPD – since 1964“ Jetzt noch eine entsprechende Marke und ein aktuelles Design. Das Ganze kommt dann in die angesagten Läden zum Preis von 59€ und dem ein- oder anderen Möchtegern-Promi lässt man so ein Teil kostenlos zukommen. Irgendwann laufen dann tausende Idioten Werbung für eine Ideologie, die sie vermutlich ablehnen. Ihr glaubt nicht, dass das funktioniert? Ich hatte gehofft mich zu irren. Ein Video der Wochenschau belehrt mich eines besseren.

  • Fragen Sie Dr. Kürbis – Teil 32: Gibt es eigentlich Zombie-Raben? | Halloween
    Das Horror- und Gruselmagazin für Freizeit-Zombies ist auf den ersten Blick eine weitere Seite im Netz, die sich mit dem Thema Zombies beschäftigt, entsprechende TV-Serien rezensiert und gleich die passenden Kostüme und Schminkutensilien vetreibt. Doch auf den zweiten Blick steckt unheimlich viel Information unter der Haube des Magazins, so bietet die Rubrik „Fragen Sie Dr. Kürbis“ gut recherchierte Artikel für die Fragen des Zombie-Alltags. Der Besucher „Equinox“ möchte wissen, ob es Zombie-Raben geben kann und erhält einen ausgezeichneten Exkurs in Hexen-Tieren und Zombie-Wahrscheinlichkeit: „Diese Frage ist letztlich eine medizinisch-biologische, denn Zombies werden ja bekanntlich zu hirnfressenden Untoten, weil sie mit einem fiesen, mutierten Virus infiziert wurden. Aus wissenschaftlicher Perspektive sieht es so aus: Viren und Bakterien können durchaus bei verschiedenen Spezies die gleichen Wirkungen haben. Die Tollwut, die ja in vielen Zombie-Szenarien ein heißer Kandidat für die Krankheit ist, die durch Mutation zum Zombie-Virus wird, kann Tiere und Menschen gleichermaßen befallen – ein Biss genügt. Allerdings hat die Übertragbarkeit Grenzen: Tollwut kann zwar Menschen und die meisten Säugetiere befallen – Vögel, Echsen, Fische, Insekten usw. sind aber immun. Generell gilt die Faustregel: Je entfernter das Verwandtschaftsverhältnis zwischen zwei Lebewesen ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Krankheit bei beiden zum Ausbruch kommen kann. Und Raben sind stammesgeschichtlich sehr weit von uns weg. Zombie-Raben sind also eine sehr unwahrscheinliche Geschichte.
  • The Heavy Metal Subculture of Botswana, Africa | Messy Nessy
    Heavy Metal ist nicht nur ein musikalische Genre, sondern ganz ähnlich wie Gothic, eine Subkultur mit eigenem Kleidungsstil.  Während man in Europa eher einen dezenten Kleidungsstil verfolgt und sich höchstens für Konzerte und Disco-Besuche zurechtmacht, gibt es in Botswana eine lebendige Subkultur, die diesen Stil verinnerlicht hat. Der südafrikanische Fotograf Franck Marshall hat einen Ausflug in die dortige Szene gemacht und tolle Bilder geschossen. „There’s a competition between them to see who can look the most brutal,” says Marshall, who calls his subjects the renegades– ‘an underground minority rebelling against the status quo, redrawing the borders of both Heavy Metal and orthodox culture in Botswana’.
  • Free-Music-Friday: Best of 2013  | Micha Schmidt
    Wie lange darf man seine Umwelt eigentlich mit Jahresrückblicken penetrieren? Mitte Januar, sage ich jetzt mal. Micha Schmidt, mein persönliches Free-Music-Friday Idol, hat zusammengestellt, was er 2013 für hörenswert gehalten hat. 50 Minuten Spielzeit und 13 Songs kuscheln sich sicherlich ganz wohlig auf eine selbstgebrannte CD, einen kuscheligen USB-Stick oder andere Medien um die Musik dort zu hören, wo man sie genießen kann. Ganz besonders freut es mich für Karnstein von Farblos, der es wieder einmal auf einen Sampler geschafft hat.
  • Dresscode in der schwarzen Szene | Mondbote
    Das kritische Einauge hat sich eine Kolumne von Myk Jung, die im Gothic-Magazin erschienen ist, durch den Kopf gehen lassen. Im Prinzip geht es dem Jung darum, dass er die Vorgabe eines Dresscodes lächerlich findet. Der Mondbote unterstreicht seine These: „Wir schotten uns ab, schotten aber auch andere ab, die nicht so sind wie wir. Das kann natürlich erst einmal ein löbliches, subjektives Ziel für einen selbst sein, will man ja von Glotzern und Spießern in Ruhe gelassen werden. Gleichwohl sind wir aber selbst Glotzer und Spießer, im Grunde sind wir plötzlich das, was wir eigentlich verabscheuen. Hassen uns selbst. Und wer sich selbst nicht mag, dem können die anderen den Buckel runter rutschen. Das ist natürlich nicht schlimm, jeder daddelt vor sich selbst hin und lässt die Welt Welt sein. Wirklich bescheuert wird es meiner Meinung nach aber dann, wenn es zu einer Ideologie wird.“ Gut gebrüllt ihr Löwen! Da auch ich mich gelegentlich für eine Trennung verschiedener Subkulturen ausspreche möchte ich an dieser Stelle betonen, dass er mir hier um die musikalische Trennung geht, nicht um die des Publikums. Eine schwarze Tanzveranstaltung, die versucht alle Musikstile der Szene unter einen Hut zu bringen, funktioniert für mich nicht. Wird nie funktionieren. Ich denke, hier liegt das Problem, denn man macht dem Publikum den Vorwurf, durch zahlreiches auftreten zu bestimmen, welche Musik gespielt wird. Ich glaube ein Dresscode erübrigt sich, wenn man die Musik wieder in den Vordergrund stellt. Das hat im Zwischenfall beispielsweise immer funktioniert.
  • Black Metal wird immer dagegen sein | Zeit
    Black Metal scheint die einzige Musikrichtung zu sein, die auch heute noch schockiert. Es ist wohl Varg Vikernes geschuldet, dass der norwegische Black-Metal als besonders gefährlich gilt, denn der Kopf der Band Burzum ermordete 1993 Øystein Aarseth den Gitarristen der Metal-Band Mayhem. Autor Audun Lindholm beschäftigt sich für die Zeit mit der Subkultur, die wie keine andere provoziert, schockiert und polarisiert: „Der Bewegung gehörten vor allem Jugendliche an, die in einer gut funktionierenden, aber auch schallgedämpften Sozialdemokratie aufwuchsen, mit einer Jugendkultur, die sich nach dem Fall der Mauer entideologisiert hatte. Black Metal wurde mit seinem Ernst, seiner neoromantischen visuellen Ästhetik und seiner literarischen Orientierung eine Alternative zur westlichen Jugendkultur, die in den Neunzigern ihren Namen von ihrer eigenen Schlaffheit bekam: slacker. Wo andere populärkulturelle Ausdrucksformen von sorgloser Ironie, spielerischer Naivität, medialem Metabewusstsein und kleinen Erzählungen geprägt waren, stöberten die norwegischen Metal-Musiker in den dunklen Verliesen und tabuisierten Mythen ihrer Kultur. Überall in Norwegen saßen Jugendliche und schrieben Texte inspiriert von Nietzsche, dem Pastorendichter Thomas Kingo und der altnordischen Götterlehre. Es war eine geschichtlich interessierte, leistungsorientierte Subkultur, durchtränkt von pubertärem Übermut, in der man sich abwechselnd dem Nihilismus und der Nostalgie hingab.“
  • Gothics sind keine Satanisten – Oder vielleicht doch? | Dark-News
    In einem teuflischen 3-teiligen Artikel greift die Autorin „Mustaveri“ das Thema Satanismus allumfassend auf. Schluss mit Klischees! Oder vielleicht doch nicht? „Auch bei den Interessen gibt es Gemeinsamkeiten: Viele Gothics und auch viele Satanisten interessieren sich für Literatur, Philosophie und Kunst und sind auch selbst in diesen Bereichen tätig. Für die Gestaltung eines schönen Outfits für einen stilvollen Gothic-Abend braucht es nicht weniger Kreativität, als für die Inszenierung eines Rituals. Und auch in puncto Lifestyle haben Satanisten und Gothics einen gemeinsamen Nenner: Beide Gruppen lassen sich nicht gern vom Maistream beeinflussen und sich vorschreiben, was sie zu lieben und zu hassen haben, was sich dann auch mal in einer recht ungewöhnlichen Lebensgestaltung äußern kann. Auch gemein ist beiden Gruppen eine Tendenz zur Selbstinszenierung und zum Auffallen in der Öffentlichkeit.“ Die Autorin lässt offen, ob Gothics nun Satanisten sind oder nicht und überlasst dem geneigten Leser die Einschätzung. Vielleicht hilft auch die ausführliche Einschätzung des Themas dabei, den Satanisten ihre düstere Außenwirkung zu nehmen. Begebt euch selbst auf Spurensuche: Teil 1 (Begriffserklärung Gothic) – Teil 2 (Entstehung und Entwicklung der gefürchteten Religion) und Teil 3 (Schnittstellen von Satanismus und Gothic)
  • Gespräche mit Goth | Thomas Manegold
    Autor, DJ, Veranstalter und Produzent Thomas Manegold, die Goth gewordene Multitasking-Existenz hat ein neues Buch herausgebracht. Angelehnt an das Erfolgswerk (vermutlich) „Gespräche mit Goethe“ nennt er sein Werk „Gespräche mit Goth“. Ein zertörerisches Machwerk über ein zerstörte Existenz, die nahezu völlig zufällig ebenfalls als DJ tätig ist: „‚Ich? Ein Zombie?‘, frage ich leise zurück. Die Stimme nickt erwartungsvoll. Sie ist vielleicht fünf und soll mal eine Zombine werden, jedenfalls ist sie so angezogen: Rosa und Rüschen. Ein bisschen wie Barbie und ein bisschen wie ein Popsternchen, dem man noch keine Brüste angeklebt hat. Nein, Kleine, ich bin der einzige Mensch hier. Schau dich mal um, diese Welt ist ein einziger Drogenstrich. Huren beiderlei Geschlechts stehen in Glaskästen herum und bieten anderen Huren für deren sauer erficktes Geld Waren an. Sie haben alle eine ganz, ganz gefährliche Krankheit, die total ansteckend ist.‘ – ‚Wie heißt denn diese Krankheit?‘ – ‚Sie heißt Konsum.'“
  • Küchentisch von Ian Curtis wird versteigert | NME
    Für rund 10.000€ wurde neulich der Küchentisch von Joy Division Sänger Ian Curtis versteigert. Interessierte Fans der Band wissen, dass sich Curtis im Mai 1980 in seiner Küche im beschaulichen Macclesfield das Leben nahm, der arme Tisch musste tatenlos dabei zusehen. „The seller goes on to say that  Debbie Curtis sold the house and much of its contents to a neighbour, Dorothy  Smith, who operated the property as a bed and breakfast until 1996, when Smith’s  daughter, Vicky Morgan, took up residency. It was Morgan who sold the table to  the seller in 2005, after the makers of Control and Curtis‘ daughter  Natalie both declined the offer of owning it. The seller writes:  „Clearly this table is a unique item and I have put a reserve on the Table which  I think reflects its true worth. If it doesn’t sell I will merely keep it.“
  • Geschäft für Gothics und andere Nachtschatten-Gewächse | WAZ
    Frank van Düren, Kultkeller-Besuchern in Duisburg auch als DJ Otti bekannt, hat in der Steinischen Gasse ein Ladenlokal eröffnet, unweit seiner musikalischen Verwicklichungsstätte. Besonders spannend ist die Tatsache, dass er sich beim Verkauf nicht auf Neuware spezialisiert hat, sondern Second-Hand und Restposten-Kleidung in die Szene bringt. „Im Schaufenster begrüßt Elvis, eine Schaufensterpuppe samt Totenkopf, die Kunden. An der Wand hängt ein Totenkopf-Tuch mit der Aufschrift „Little Dead Boy“. Eine opulente Barock-Tapete, natürlich schwarz, versetzt die Kunden in die richtige Stimmung. Schon früher gab es an gleicher Stelle ein Fachgeschäft für Nachtschatten-Gewächse. Deren Sortiment hat van Düren übernommen. Außerdem Restposten aufgekauft und Secondhand-Kleider in den Laden gehängt. Frauen finden hier Engel-Flügel, ganz in schwarz und andere gewagte Outfits. Die Herren können Poster mitnehmen, Würfel für Spiele oder anderes Zubehör. Vor allem von der Kleidung erhofft sich der 34-Jährige, dass sie im Geschäft besser läuft als online. „Über Preise kann man reden“, steht auf einem Zettel. Er setzt bewusst auf Second-Hand, bei ihm sollen die Kunden stöbern und Schnäppchen machen. Er will eine Nische besetzen. „Geschäfte für Neuware gibt es in anderen Städten genug.“ […] Aktionsweise hat er manchmal auch auf, wenn die Nachtfalter sich auf den Weg zur Party machen – damit sie einen Eindruck von seinem Geschäft bekommen.“ Seinen Internetshop Nightshade betreibt er parallel weiter, nicht zuletzt weil er dort eine aktive Community um sich geschart hat.
  • Der Grufti Shuttle und sein Chauffeur | Zeitjung
    So entlockt man auch dem lächerlichsten Klischee den Profit. Michael Perkmann, Gruftie und Mediengestalter, vermietet sich und seinen Leichenwagen als Fahrdienst mit dem ansprechenden Namen „Rent-a-Leichenwagen“. Sein Angebot: Mit dem Leichwagen vor der Disco aufkreuzen, die Nachbarn erschrecken oder als Motiv für ein Fotoshooting – alles ist möglich. „Einen Leichenwagen zu besitzen, war schon immer sein Traum. Michel ist freiberuflicher Mediengestalter. Und als ein Bestattungsunternehmer eine Webseite bei ihm in Auftrag gab und fragte, ob er die Arbeit auch anderweitig vergüten könne, wies ihn Michel auf den Leichenwagen hin, den er in der Garage gesehen hatte. Der Bestatter überließ ihn Michel gerne, er hatte sich ohnehin einen neuen besorgen wollen.“ Eine Stunde mit dem Leichenwagen kosten übrigens 60€, für 300€ gehört euch Gruftie Michael und sein Leichenwagen einen ganzen Tag.
  • Maleficent – Angelina Jolie als Hexe | Walt Disney
    Es geht dem nächsten Myhtos an den Kragen. Nachdem Vampire und Werwölfe zu glitzernden Teenie-Stars verkamen und Zauberer zwischen Mordor und Hogwarth pendelten geht es jetzt den Hexen an ihre Wurzeln. Angelina Jolie, traum unzähliger schlafloser Nächte, wird zur Hexe. In Disney’s Maleficent macht man mit grünen Kontaktlinsen, rotem Lippenstift und schwarzen Hörnern eine erstklassige Hexe aus ihr. Im übrigen ist die Hexe eine alte Bekannte, spielte sie doch bereits 1959 in Disneys „Dornröschen“ die gezeichnete, böse Hauptrolle Malefiz. Ob der aktuelle Film die Erwartungen an eine anständige Hexe erfüllt, bleibt fraglich. Das Frau Jolie das neue Outfit steht, steht hingegen fest.
  • Was steht auf Deinem T-Shirt? |
    Endlich! Ich habe mir diese Frage schon seit 20 Jahren gestellt. Wissen die Leute eigentlich was auf ihren T-Shirts oder Pullovern gedruckt ist? Es ist schon paradox, da kaufen die Leute teure Shirts und laufen dann auch noch Werbung für das herstellende Unternehmen. Mirko Podkowik hat den Versuch gewagt und in Düsseldorf die Menschen angesprochen, um herauszufinden ob die wissen, was auf ihrem T-Shirt steht. Und siehe da: Meine Vorurteile finden sich bestätigt, denn die meisten haben keine Ahnung. Und noch viel schlimmer: Es scheint ihnen völlig egal zu sein! Hauptsache es sieht cool aus. Nicht auszumalen, welche Botschaften man den Träger auf die Brust drucken könnte, sie würden nicht fragen sondern kaufen.

 

Gothic Shanghai – Chinas bunte Metropole von ihrer düsteren Seite

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Was machen eigentlich zwei düstere Europäer, die nach Shanghai gezogen sind und dort keine „Szene“ finden? Ist doch ganz einfach, sie gründen selber eine. Vor einer Weile stieß ich auf die Seite Gothic-Shanghai, die in Chinas pulsierender Metropole schwarze Parties und andere Events organisiert. Für mich stand fest, dass ich die beiden Köpfe hinter dieser Idee unbedingt kennenlernen muss.  Janina (26) stammt aus Hessen und organisiert die Veranstaltungen und pflegt die Internetseite, während ihr Ehemann Nikita (26), der in Russland geboren ist, als DJ die Ohren der Zuhörer verwöhnt. Die beiden haben schon zahlreiche Parties oder kleine Treffen organisiert und konnten im Laufe der Zeit einen gleichgesinnten Kreis um sich scharen. Für Spontis hat sich Janina die Mühe gemacht, ihre Wahlheimat einmal aus einem düsteren Blickwinkel zu betrachten und verfasste ein spannendes und äußerst informatives Porträt über eine der größten Städte der Welt. 

Shanghai ist mit einer Bevölkerung von bis zu 30 Millionen Menschen eine der größten Städte auf dem Globus. Eine moderne, internationale, bunte, chinesische Metropole im Spannungsfeld zwischen Tradition und Kommerz. Bunte Neonlichter treffen auf chinesische Pagoden und bei Starbucks gibt es mehr Tee- als Kaffeesorten. Aber auch Shanghai hat seine ganz eigene „düstere“ Seite und auch im „Paris des Ostens“ gibt es eine schwarze Szene. Man muss sie nur finden…

Spätestens seit der Expo 2010, für die sich die Stadt besonders „aufgehübscht“ hatte, ist die „Perle des Orients“ weltweit als moderne und bunte Metropole berühmt. Sicherlich wurde dieser Eindruck des internationalen Publikums auch durch gezielte Maßnahmen der Regierung geformt. So wurden beispielsweise im Vorfeld in öffentliche Verkehrsmitteln Videos gezeigt, die die Umgangsformen der Bevölkerung (u.a. in der Metro erst andere aussteigen lassen und dann selbst einsteigen, in geschlossenen Räumen nicht auf den Boden spucken, Abfall nicht einfach auf den Boden werfen usw.) schulen sollten. Aber auch die Stadt selbst legte sich ins Zeug und verwirklichte verschiedene Bauprojekte. Unter diesen war auch die Neugestaltung der Uferpromenade „Bund“ am westlichen Ufer des Huangpu-Flusses seit 2008. Neben den zahlreichen eindrucksvollen europäischen Kolonialbauten erstreckt sich hier nun direkt am Flussufer eine gepflegte Promenade mit Blick auf den ultra-modernen Stadtteil Pudong mit seinen imposanten Wolkenkratzern und dem Oriental Pearl Tower als Wahrzeichen der Stadt. Auf dieser kann man nun auf 2,6 km Länge flanieren – solange es die Massen an Touristen und Besuchern zulassen, die nach Einbruch der Dunkelheit einfallen, um die spektakulär beleuchtete Skyline zu bestaunen. Der Bund war auch für mich eine der ersten Sehenswürdigkeiten, die ich in Shanghai besucht habe. Und noch immer fasziniert mich dieser Ort als Spiegelbild Shanghais. Denn hier treffen Geschichte und Moderne auf eine wirklich eindrucksvolle Art aufeinander und ich habe beim Anblick der illuminierten Skyline immer eine Idee im Hinterkopf „Alles ist möglich!“.

Chinesische Kultur – Eine Entdeckungstour mit Zick-Zack

Shanghai Teehaus
Janina vor der Zick-Zack-Brücke im Yu-Garten, die so aussieht, damit Damonen sie nicht überqueren können
Qiuxia Garden
Quixia Garden –  Bereits seit dem 15. Jahrhundert lockt der abseits gelegene Garten seine Besucher

Ein ähnlicher Satz fällt einem auch ein, wenn man an chinesisches Essen denkt. Denn in China gibt es tatsächlich kaum etwas, was nicht auf dem Teller landen kann. Die chinesische Küche ist eine der reichsten der Welt und für jeden Geschmack gibt es viel zu entdecken. Interessant ist dabei, dass in einem chinesischen Restaurant nicht jeder Gast sein Gericht auf seinem Teller bekommt. Stattdessen bestellt man zusammen mehrere Gerichte, welche für alle gemeinsam auf den Tisch kommen und jeder bedient sich. Ich esse (fast) alles und gehe daher auch gerne in kleine Restaurants, welche keine bebilderte oder englische Speisekarte anbieten. Hier deute ich dann einfach auf verschiedene Schriftzeichen und lasse mich überraschen. Ein wenig „Mut“ gehört dann schon dazu. Aber bis auf Seegurke hatte ich bis dato noch nichts, was mir so gar nicht geschmeckt hat. Doch auch wenn man bestimmte Dinge nicht mag, kommt man kulinarisch mit Sicherheit auf seine Kosten. So gibt es beispielsweise mit unterschiedlichen Tofu- und Sojafleisch-Sorten auch für Vegetarier mehr als genug Gerichte auf jeder Speisekarte.

Und wem dann nach chinesischem Essen der Sinn auch noch nach chinesischer Kultur steht, der kann dem Yu-Garten und seinem Teehaus eine Chance geben. Der Steg, der zum Teehaus in einem Goldfischteich führt, ist übrigens im Zickzack angelegt, damit Dämonen (die angeblich nur gerade aus gehen können) das Gebäude nicht erreichen können. Aber: Dieser Garten gilt als einer der schönsten in ganz China und ist deshalb eine der wichtigsten Touristenattraktionen. Daher ist er normalerweise recht überlaufe und in der gesamten Umgebung versuchen lokale Händler sich daran, vollkommen überteuerte Artikel (Souvenirs, Tee, Spielzeug, Kleidung, Schuhe, Snacks, Getränke, Weihnachtsdekoration und mehr) an den Mann zu bringen. Daher kann ich den Yu-Garten nicht uneingeschränkt empfehlen. Deutlich idyllischer (vielleicht, weil er deutlich schwerer zu finden ist) ist beispielsweise der Qiuxia Garden im Norden Shanghais. Dieser gehört zu den fünf schönsten chinesischen Gärten der Stadt und hier kann man wirklich ungestört einige Stunden in einer bereits im 15. Jahrhundert erstmals angelegten Landschaft genießen.

Zuhause – Der einzig wahre Underground

My home is my crypt
Zuhause ist meine Gruft, hier richte ich es mir so ein, wie es mir gefällt
Hausbar
Die vielleicht gruftigste Bar-Deko in Shanghai befindet sich in unserem Wohnzimmer

So findet man in Shanghai Moderne, kulinarische Genüsse und chinesische Idyllen. Aber auch in Sachen Weltoffenheit muss sich das „Tor zur Welt“ nicht hinter anderen internationalen Metropolen verstecken. Bis zu einem Drittel der Bevölkerung in Shanghai besteht aus Ausländern. Und wenngleich man in kleineren Restaurants und Geschäften sowie im Taxi noch immer vergeblich nach englischsprachigem Service sucht, ist Shanghai eine der westlichsten Städte Chinas. Westliche Küche und Kultur gibt es an nahezu jeder Ecke und auch die Wünsche partywütiger Europäer werden zur Genüge bedient. Während Chinese sich lieber mit Whisky und grünem (Eis-)Tee in einer KTV Bar beim Karaoke vergnügen, zieht es die meisten Ausländer in die einschlägigen Clubs und Bars, wo hochpreisige Cocktails und Hip Hop, House oder Techno-Beats an jedem Wochentag locken. Und gefeiert sowie getrunken wird hier dann mehr als genug. Spätestens wer einmal die müden Gesichter seiner jüngeren Kollegen beobachtet hat, die an höchsten drei Tagen der Woche NICHT verkatert im Büro erscheinen, weiß mit Sicherheit, weshalb Shanghai auch eine DER Partymetropolen der Welt ist. Und mit Drum&Base, Dubstep oder Trance in den populären „Underground“-Clubs gibt es auch noch ausreichend abwechslungsreiche Vergnügungsmöglichkeiten für jeden, dem „Black Music“ oder House alleine zu eintönig ist.

Was aber macht man hier, wenn man nicht allzu viel für kunterbunten Kommerz übrig hat, „Underground“ ein wenig anders als die hiesigen Promoter definiert und mit ziemlicher Sicherheit weiß, dass nicht jeder Goth Metal hört und sich auch nicht zum Zeitvertreib Zigaretten auf der Haut ausdrückt (ja dieses dämliche Klischee wurde mir hier von Ausländern tatsächlich schon an den Kopf geworfen). Nun, zum einen finden sich in den unzähligen Parks und Gärten der Stadt wahre Perlen, die es sich immer wieder zu besuchen lohnt. Und auch die Museen und sonstigen Attraktionen der Stadt stehen einem auch dann offen, wenn man schwarz trägt. Aber abseits davon wird es schon ein wenig schwieriger, seine Freizeit in Shanghai so zu gestalten, wie man es vielleicht in Deutschland tun würde…

Während ich in Europa normalerweise jedes Wochenende ausgegangen bin, verbringe ich in Shanghai deutlich mehr Abende mit meinem Mann und unseren zwei Katzen zu Hause. Schließlich bestimmen hier wir, was aus den Lautsprechern kommt und die Getränke kosten ein Zehntel dessen, was ein Club oder eine Bar verlangen würde. Und selbst die Deko ist „düsterer“ als sonst wo in der Stadt.

Nocturnal Food
Nocturnal Food – Der nette Chinese mit seinem großen Freiluft-BBQ zusammen mit Nikita
Nocturnal Food - Blick auf dem Grill
Auf den Grill kommt chinesische Hausmannskost: Lamm, Huhn, Meeresfrüchte, Tofu und Pilze

Aber auch wenn es um das leibliche Wohl geht gibt es in China eine „Spezialität“ die wenigstens mit einem Augenzwinkern als „düster“ bezeichnet werden kann. Damit sind jetzt nicht die fast schwarzen Tausendjährige Eier (die übrigens ganz gut schmecken) gemeint. Und auch der letzte große Lebensmittelskandal (Rattenfleisch wurde als Lammfleisch getarnt) oder gar streng verbotene „Speisen“ (auf die ich nicht näher eingehen möchte, weil es sonst selbst den Hartgesottene ganz anders werden würde) haben damit nichts zu tun. Aber bei uns beginnt das Wochenende normalerweise freitagabends nach Einbruch der Dunkelheit. Denn erst dann erscheinen sie: die netten Chinesen, die mit ihren Fahrrädern Kühlboxen und einen langen Grill herankarren und damit beginnen, „night barbecue“ oder – wie wir es nennen – „nocturnal food“ an nahezu jeder Straßenecke (oder in kompletten Straßen, in denen es dann kaum ein Durchkommen mehr für die Autos gibt) anzubieten. Über Holzkohle werden hier Lamm, Huhn, Fisch, Meeresfrüchte, Tofu, Pilze und anderes Gemüse gegrillt und mit verschiedene Gewürzmischungen abgeschmeckt. Super lecker, sehr günstig. Aber bis auf die „Öffnungszeiten“ wirklich nur mit einem Augenzwinkern „düster“…

Gothic Shanghai – „Made in China“ – Maßgeschneiderte Kleider zum Schnäppchenpreis

Janina und die Pagoden
In Shanghai gibt es unglaublich viele Leute und dennoch fallen manche ganz besonders auf

Interessanter wird es, sobald es ums Einkaufen geht. Praktisch alles, was die einschlägigen Gothic-Stores in Europa anbieten, ist „Made in China“. Bei uns sorgte das auf der Shoppingmeile auf dem WGT schon für viel Belustigung, wenn Artikel zum zehnfachen Preis dessen, was wir hier im Einzelhandel dafür zahlen würden, als „Sonderangebot“ angepriesen werden. Nichtsdestotrotz gibt es aber in Shanghai nicht ein einziges Ladengeschäft, das auf Gothic-Kleidung spezialisiert wäre. Wer daher in Shanghai nach einem neuen Grufti-Outfit stöbern möchte, muss dafür zu Hause vor dem Rechner sitzen und sich durch die unzähligen Online-Angebote klicken. Wer jedoch nach etwas sucht, das garantiert kein zweiter hat, und bereits mehr oder minder weiß, was er oder sie will, der wird in Shanghai garantiert nicht enttäuscht. Denn in den verschiedenen „tailor markets“ der Stadt kann man sich alles auf den Leib schneidern lassen, was man sich nur vorstellen kann. Die meisten Kunden lassen hier Anzüge, Hemden oder Hochzeitskleider fertigen. Aber auch ausgefallene Ideen werden ohne größere Probleme umgesetzt. Ein wenig kompliziert kann es werden, dem chinesischen Schneider (auch hier wird nur rudimentär Englisch gesprochen) seine Vorstellungen verständlich zu machen. Aber mit Händen, Füßen und vielleicht einem Bleistift kommt man am Ende doch irgendwie zurecht. Allerdings sollte man immer einplanen, dass nicht alles so wie geplant verläuft und das neue Outfit mehr als einmal anprobiert und umgeändert werden muss. Aber wo sonst bekommt man zum Beispiel ein nach den eigenen Wünschen maßgeschneidertes Kleid für unter 200 Euro?!

Lustig kann es dann werden, wenn man sich mit dem neuen Outfit auf den Weg durch die Stadt begibt. Wortwörtlich genommen ist Shanghai’s „Underground“ sehr gut ausgebaut. Denn neben den zahllosen, günstigen Taxis ist die Metro das Transportmittel Nummer eins. Von „Dörflern“ die die große Stadt erkunden bis zu Geschäftsmännern und –frauen sieht man hier fast alles. Während der eine auf seinem neuen Tablet PC spielt oder arbeitet kümmert sich die nächste Dame sehr undamenhaft mit einem Nagelknipser um ihre Pediküre. Ja, hier werden manchmal in der Metro die Fußnägel geschnitten. Nicht schön, aber irgendwann schon fast normal. Während sich die meisten Chinesen von einem solchen Bild nicht aus der Fassung bringen lassen, sorgt es dafür um viel Aufsehen, wenn man „anders“ aussieht.

1930s Street
Hier gibt es sogar ein Cafe, dass mal nichts mit einer großen Kette zu tun hat
1930s Street 2
Die 1930s Street am People Square – Einen gewissen Charme hat der unterirdische Komplex

Kinder, die mit dem Finger auf mich zeigen (und nach der Informationen meiner des Chinesischen mächtigen Freunde insbesondere meine mal rote, mal pinke, mal violette Haarfarbe kommentieren) sind dabei genau so wenig eine Seltenheit wie Leute, die uns ohne zu fragen und ganz unverfroren fotografieren. Und wenngleich es manchmal einem Kleinkrieg gleichkommt, wenn man in den großen Stationen wie People’s Square umsteigen muss, weil viele Chinesen scheinbar einfach nicht verstehen wollen, dass es Sinn macht die anderen Fahrgäste erst ausstiegen zu lassen bevor man selbst in den Zug stürmt, so erweist sich dieses Interesse manchmal auch als nützlich. Denn mit Plateaus, ungewöhnlicher Haarfarbe und ein wenig Styling starren die Damen und Herren dann eher mit offenem Mund und machen tatsächlich Platz, anstatt einen wie wild wieder in den Zug hinein zu drängen.

Deeply White statt Selbstbraeuner
In Shanghai gilt Blässe als Schönheitsideal, deshalb sind „Deeply White“ Produkte der Renner

Und wenn wir gerade bei People’s Square sind: Genau an dieser Metrostation gibt es die „1930s Street“. Das klingt interessant und die ersten Meter dieser unterirdischen Straße haben tatsächlich einen gewissen Charme mit alten Fotografien und einem gemütlichen Cafe, das ausnahmsweise mal nichts mit Starbucks und Co zu tun hat. Der Rest des unterirdischen Komplexes ist allerdings nicht mehr als ein weiteres großes Einkaufszentrum.

Sollte man bei einem Streifzug durch das Einkaufszentrum auf eine Drogerie stoßen, kann hier ein Blick auf das Angebot für ein Lächeln auf dunkel geschminkten Lippen sorgen. Denn wo in Europa Selbstbräuner, Bräunungslotionen oder beige-braunes Makeup beworben werden, ist das Schönheitsideal in China beziehungsweise in ganz Asien ein anderes. Hier locken Gesichtscremes, Bodylotions, Duschgels und mehr mit „Whitening-Effekt“ und helles Makeup, um dem Ideal des „Porzellanteint“ so nahe wie möglich zu kommen.

Während dies jedoch nur oberflächlich und lediglich aus einem „Fashion“-Standpunkt heraus das Interesse eines Goths wecken kann, so hat die Geschichte Shanghais einige Kapitel zu bieten, die wirklich düster sind. Über diese erfährt man normalerweise in der Stadt nur sehr wenig – Shanghai ist gerne modern und multikulturell und zeigt nur sehr ungern die blutige Geschichte, die die Stadt geformt hat.

Blutiges Shanghai – Eine bewegte Geschichte

Ab 1842, dem Ende des ersten Opiumkriegs, war die Stadt de facto permanent unter ausländischer Besetzung. Briten, Franzosen, Amerikaner und Japaner brachten die Stadt genauso unter Ihren Einfluss wie Verbrechersyndikate. So bildeten sich innerhalb der Stadt nach und nach Siedlungen heraus, die Chinesen nicht betreten durften. Berüchtigt sind beispielsweise Schilder, die an den Eingängen von Parks proklamierten „Keine Hunde, keine Chinesen“. Während des Taiping-Aufstands, dem opferreichsten Bürgerkrieg der Menschheitsgeschichte, boten die ausländischen Siedlungen jedoch eine mehr oder minder sichere Zuflucht vor den Massakern. Und 1860 konnten die britischen und französischen Streitkräfte die Armee des Taiping-Königs zurückschlagen.

Shanghai - Blutige Schlacht 1927
„Wie abgebrochene Halme nach der Ernte liegen die Leiber junger Studenten und Arbeiter im Staub. Ihre einfache Kleidung zeigt deutlicher als eine Uniform den Unterschied zwischen ihnen und dem Mann, der jetzt seinem Begleiter ein Zeichen gibt. Der Triumph im Lächeln des Geschäftsmannes, als er sich hinter den Toten postiert, wurde damals photografisch festgehalten und ist uns heute auf dieser Postkarte erhalten geblieben.
Lese mehr des Artikels „Erinnerungen einer Postkarte

Jedoch halfen die Flüchtlingsströme sicherlich nicht dabei, die Lebensbedingungen der armen, chinesischen Stadtbevölkerung zu verbessern. Und auch die Menschen, die vor dem Boxeraufstand (1900) oder dem Sturz des letzten Kaisers (1911) in die ausländischen Konzessionen flüchteten, fanden dort keine guten Lebensbedingungen vor. Aus dieser Situation heraus wurde Shanghai zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereits zu einer Weltstadt, aber zugleich auch zu einem wahren Moloch. Die Stadt war zu dieser Zeit schon beinahe ein Synonym für Sünde. Opiumhöhlen, Spielhöllen, Bordelle und andere zwielichtige Etablissements hatten das Leben in Shanghai fest in Ihrem Griff. Und zeitgleich begann der chinesische Kommunismus seinen Weg in Shanghai. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs wurden die einstmals deutschen Besitztümer Chinas an Japan gegeben, anstatt an China zurück zu fallen.

Dies führte ab 1919 zu Protesten und Streiks der chinesischen Bevölkerung, die sich nicht mehr mit den „ausländischen Imperialisten“ abfinden wollten und 1921 wurde in Shanghai die Kommunistische Partei Chinas gegründet. 1925 wurden in Shanghai demonstrierende chinesische Studenten von britischen Soldaten erschossen und die Nationale Revolution wurde ausgerufen. 1926 folgte das Shanghai Massaker, bei dem ein chinesischer Politiker und Militär seine Waffenlager für die Triaden (die „Chinesische Mafia“) öffnete worauf hin in der Folge schwerbewaffnete Kriminelle Massaker an Kommunisten und Arbeitern anrichteten und die Basis der Kommunisten praktisch auslöschten. Innerhalb weniger Wochen wurden so über 5000 Menschen ohne eine Gerichtsverhandlung exekutiert. Während der Mandschurei-Krise (1931) und dem Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg (1937-1945) griffen japanische Truppen die Stadt an, welche von Willkürjustiz und Drogenkartellen beherrscht wurde. Japan konnte seine Macht über Shanghai behaupten und internierte ab 1943 jüdische Flüchtlinge im Shanghaier Ghetto. Nachdem Shanghai mit dem Ende des zweiten Weltkriegs wieder an China fiel, marschierte Mao Zedong bereits 1949 ein die Stadt ein und brachte sie unter kommunistische Kontrolle. Die Ausländer flüchteten und ihr Kapital wurde konfisziert oder massiv besteuert. In den folgenden Dekaden wurden alle westlichen Einflüsse der Stadt unterdrückt. Das gesamte Ausmaß dieser Unterdrückung wird einem bewusst, wenn man die Geschichte ausländischer Friedhöfe in Shanghai betrachtet. Doch dazu später mehr. Ab 1966 nahm die Kulturrevolution von Shanghai aus ihren Lauf und hemmungslose Zerstörung und Rachefeldzüge erschütterten die Stadt. Und erst ab Mitte der 80er Jahre entschied die Chinesischen Zentralregierung, Shanghai erneut als eine Metropole mit Vorreiterrolle der Modernisierung auszubauen und zu profilieren.

Mit einer Vergangenheit voller so viel Blutvergießen ist es nicht zu sehr verwunderlich, dass es in Shanghai mehr als einen Ort gibt, an dem es (angeblich) spukt. Und schon gar nicht wenn man weiß, wie abergläubig die meisten Chinesen sind.

Die Geister der Toten treiben ihr Unwesen – Spuk in Shanghai

Yan An Elevated Road
Die geheimnisvolle Säule des Verkehrsknotenpunktes
(c) M. Takehara – Google Maps

So gibt es an der Yan An elevated Road, einem der wichtigsten Highways der Stadt der sich auf verschiedenen Ebenen mit vielen anderen Straßen, Brücken und Highways schneidet, eine besonders auffällige Säule. Der Rest der Konstruktion besteht aus schödem grau-beigem Beton. Doch eine Säule an der Kreuzung Chengdu Bei Lu und Yan An Lu ist mit silbern und golden glänzenden Platten und einem erhobenen Drachen-Bild verkleidet. Warum? Nun während der Bauarbeiten stießen die Arbeiter bei den Bohrungen und Aushebungen für das Fundament auf eine Steinschicht, die sie schlicht nicht durchbrechen konnten. Niemand war in der Lage, dies zu erklären. Bis ein Mönch die Bauherren darüber aufklärte, dass es sich nicht um Stein, sondern um den Schwanz eines enormen, uralten Drachen handeln würde, der an dieser Stelle unter der Erde schlafe. Die Regierung bat den Mönch um Hilfe. Nach Gebeten, Beschwörungen, Opfergaben und so weiter teilte der Mönch mit, man müsse die Säule zu Ehren des Drachen umgestalten um ihn zu besänftigen und zu bitten, seinen Schwanz ein wenig zur Seite zu bewegen. Und siehe da: Nachdem beschlossen war, die Säule in Ehrerbietung für den Drachen neu zu gestalten, konnte die Steinschicht ohne Mühe durchbrochen und die Straße weiter gebaut werden. Manche Quellen geben an, der Mönch sei am selben Tag ohne einen klaren Grund tot umgefallen. Andere lassen diesen Punkt aus und gebe keine weiteren Informationen zum Schicksal des Mönchs.

Ein anderer Ort, an dem ein Geist noch heute sein „Unwesen“ treiben soll, ist das Paramount Theater. Dieses architektonische Kleinod im Art-Deko Stil war in den 20er Jahren ein Art „Lustschloss“ in dem sich die monetäre Elite der Stadt, also zu dieser Zeit vornehmlich Opium-Dealer, Kriminelle, Mafiosi und ähnlich eher zwielichtige Gestalten, vergnügten. Nachdem eine junge Taxi-Tänzerin einem japanischen Soldaten seinen Wunsch, mit ihr zu tanzen, verweigerte, ordnete der Soldat umgehend an, das Mädchen für diese Zurückweisung zu erschießen. Ob er selbst den Abzug drückte oder jemanden dafür anheuerte, ist nicht mehr sicher. In jedem Fall jedoch wurde das Mädchen für diese Selbstbestimmung und einem ihr offensichtlich nicht zugegestandenen Gefühl von Würde hingerichtet. Und noch heute soll man in der Nacht den Geist der Tänzerin sehen können, wie Sie alleine Ihre Runden im ehemaligen Tanzsaal im 4. Stock dreht.

Im selben Gebäude wurde in den 90er Jahren ein Bauarbeiter von einem einstürzenden Gerüst erschlagen. Ob die einsame Tänzerin in diesen Vorfall involviert war oder der Mann einfach Pech hatte, werden wir wohl niemals erfahren. Jedoch sollte man heute um das Paramount Theater herum Vorsicht walten lassen – denn der unglückselige Bauarbeiter scheint sein Schicksal nicht ohne Weiteres hinnehmen zu wollen. Das Gebäudemanagement erhält bis heute zahllose Beschwerden über verschiedenste Objekte, die vom Gebäude aus auf Passanten fallen oder geworfen werden. Niemals jedoch wurde jemand gesichtet, der die Objekte geworfen hätte.

Ein weiteres Mädchen mit einem unglücklichen Schicksal hat den Ort Ihres Ablebens in der Nanjing Xi Lu offenbar auch nicht verlassen. In den 80er Jahren befand sich in dem Gebäude ein beliebtes Hotel. Eine ungeschickte Kellnerin verschüttete hier eines Tages Tee über das Hemd eines Gastes. Zur Strafe wurde das Mädchen von seinem Chef in einem Raum im Obergeschoss eingeschlossen, um über ihr Fehlverhalten nachzudenken. Doch am selben Abend brach ein Feuer im Hotel aus. Die Gäste und das Personal konnten sich alle ins Freie retten – doch niemand dachte daran, die ungeschickte Kellnerin aus ihrem „Gefängnis“ zu befreien und das Mädchen starb in den Flammen. Manchmal soll sie seitdem ihr Gesicht am Fenster im Obergeschoss zeigen. In jedem Fall jedoch scheint sie keine Besucher zu wünschen. Denn seit dem verheerenden Brand wurde das Gebäude nicht wieder aufgebaut. Und wenngleich überall in Shanghai alte Bauten abgerissen werden, um Platz für mehr Wolkenkratzer zu schaffen, steht das ehemalige Hotel noch immer ausgebrannt und leer in einer erstklassigen (und teuren!) Lage im Stadtzentrum. Es gab viele Versuche, das Gebäude wieder aufzubauen oder es abzureißen und etwas Neues zu bauen. Aber niemals mit Erfolg – denn spätestens nach ein paar Tagen nahmen alle Bauarbeiter (die aus ganz China nach Shanghai kommen, um hier Geld für Ihre Familien zu verdienen) und sogar potentielle Käufer, die sich ihre Investition zunächst genauer ansehen wollten, Reißaus und weigerten sich, das Areal auch nur zu betreten.

drachen und weihnachtsmaenner
Ob die Drachen wirklich nur Skulpturen sind? Nikita legt wagemutig seine Hand in den Schlund des Biestes

Und selbst moderne Geschäftsgebäude bleiben nicht von Geistern und dem Einfluss alter Gottheiten verschont. So gab es beim Bau des Plaza 66 immer wieder verschiedene Probleme. Es schien, als wolle das Gebäude trotz einer professionell berechnete Statik einfach nicht wie geplant stehen bleiben. Die Lösung kam hier in Form eines Feng Shui Meisters, der als Berater herbeigezogen wurde. Dieser erläuterte, dass offenbar eine alte Gottheit unter dem Fundament lebte und den Bau so erschwerte. So wurde Räucherwerk für die Gottheit dargeboten und das Design des Gebäudes wurde verändert, um an ein brennendes Räucherstäbchen zu erinnern. Und siehe da: Der Bau konnte ohne weitere Schwierigkeiten abgeschlossen werden und Plaza 66 steht seitdem so solide, als habe es nie ein Problem gegeben.

Weitere unerklärliche Probleme ergaben sich 2009 beim Abriss eines alten Anwesens. Im nahe gelegen Krankenhaus mussten immer wieder Arbeiter mit ungewöhnlichen Bisswunden behandelt werden. Man konnte jedoch keine wilden (Straßen-) Tiere ausfindig machen und die Männer weigerten sich, nach ihrer Genesung auf die Baustelle zurück zu kehren. Ein junger Mann attackierte nach einiger Zeit gar seinen Vorgesetzten mit einem Hammer und schwor später, dass Eidechsen ihn dazu gezwungen hätten. Nur wenige Wochen später schwor eine Anwohnerin, einen Drachen auf einem der Baukräne beobachtet zu haben. Und die Mitarbeiter des Four Season Hotels gegenüber der Baustelle begannen, sich gegen die Nachtschicht zu weigern, weil sie nachts immer wieder von geisterhaften Tieren heimgesucht wurden. All das mag nach einer guten Ausrede für Faulheit klingen. Aber selbst für Skeptiker ist die Geschichte hinter dem Anwesen, dass hier abgerissen wurde zumindest interessant: Zwei Brüder namens Qiu immigrierten um 1900 von dem Land nach Shanghai, um nach Arbeit zu suchen. Sie kamen, wie die meisten Arbeiter, gerade so über die Runden. Bis sie 1915 ein altes Lager betraten in dem ein deutscher Händler, der während des ersten Weltkriegs aus der Stadt geflohen war, sein gesamten Bestand an Farbe zurückgelassen hatte. Da im Zuge des Krieges die Häfen geschlossen wurden, explodierten die Preise für (importierte) Farbe und die Brüder wurden auf einen Schlag reich. In ihrer folgenden Dekadenz waren die Qiu Brüder selbst im damaligen Moloch Schanghais nahezu unübertroffen und ihre luxuriösen Villen auf Anwesen mit Pfauen, Krokodilen, Tigern und mehr als lebende Gartendekoration hätten selbst einen König erblassen lassen. Bis beide eines Tages einfach verschwanden. Niemand wusste, wohin sie gegangen waren und niemand sah sie je wieder – weder lebend, noch tot. Und beinahe wären sie ganz in Vergessenheit geraten, hätte der Abriss des Anwesens sich nicht so ungewöhnlich schwer gestaltet.

Gothic Shanghai – 30 Millionen Menschen und kein Friedhof

Jing An Tempel
Früher ein Friedhof, heute Naherholungsgebiet mit Tempel und Geschichten von Geistern im Wasser

All diese Geschichten sind sicherlich interessant und eine Geistertour durch Shanghai ist für einen Goth sicherlich interessanter als ein schnöder Pubcrawl. Aber dennoch will nicht jeder nach Geistern, Drachen oder Gottheiten suchen. Nach jedem Klischee wäre es wohl eher angebracht, auf einem schön gestalteten Friedhof nach der schwarzen Szene zu suchen. Aber in Shanghai wird das leider nichts. Denn trotz bis zu 30 Millionen Menschen in der Stadt – und dementsprechend vielen Todesfällen – gibt es in Shanghai nicht einen einzigen Friedhof. Die Chinesischen Traditionen rund um das Ableben sind anders als in Europa. In vielen Fällen bewahren die Angehörigen die Asche der Verstorbenen zu Hause, gegebenenfalls im eigenen Familienschrein, auf. Oder das Begräbnis findet in einem Dorf etwas unter 1 Stunde von Shanghai entfernt statt, dass als der Friedhof Shanghais gilt. Jedoch war das nicht immer so. Bis zum Einmarsch Mao Zedongs hatte zumindest die ausländische Gemeinde eine ganze Reihe an Friedhöfen, auf denen ganz nach westlicher Tradition die Toten beigesetzt wurden. Doch die Unterdrückung westlicher Einflüsse durch die Kommunisten bezog sich nicht nur auf die Lebenden. So wurden in den 50er Jahren alle ausländischen Friedhöfe geschlossen. Teilweise wurden die Toten exhumiert und verbrannt, teilweise wurden einfach die Grabsteine entfernt. In jedem Fall jedoch bekam das Areal eine neue Bestimmung. Über manchen ehemaligen Friedhöfen befinden sich heute Straßen oder Gebäude. Aber für ihre Lage und die bereits vorhandene Landschaftsgestaltung wurden die meisten ehemaligen Friedhöfe in öffentliche Parks umgewandelt.

Ein besonders schönes Beispiel für einen solchen Park, der wohl im wahrsten Wortsinne noch einige Leichen im Keller verbirgt, ist der Jing’an Park. Direkt neben dem gleichnamigen Tempel gelegen, bietet der Park ein Stück Idylle im Großstadttrubel mit alten Bäumen (die noch aus den Friedhofszeiten stammen), einem Teich und einem Restaurant. Auch um diesen Park ranken sich verschiedene Geistergeschichten von Wassergeistern die einen in den Teich locken und Baumgeistern die die Lottozahlen vorhersehen können. Ich persönlich empfinde den Park aber einfach als einen ganz besonders beruhigenden Ort. So hat sich der ehemalige Friedhof sicherlich ein gutes Stück Friede bewahrt. Einzig als Beweis dafür, wie schnell die Menschen vergessen können, schafft der Jing’an Park es, mir doch ab und an einen leichten Schauer über den Rücken laufen zu lassen.

Was also macht die schwarze Szene, wenn einschlägige Szenetreffs und gar die „obligatorischen“ Friedhöfe fehlen? Gibt es wenigsten Szeneclubs in denen man seinem düstere Musikgeschmack frönen kann oder Konzerte, für die es sich lohnt das Haus zu verlassen? Die Antwort ist Jein.

Gothic Shanghai – Die lokale Szene

Infernotanz
Erste Adresse für dunkle Unterhaltung ist das „Inferno“
Lacrimosa Konzert in Shanghai
Obwohl es eigentlich eine Metal-Bar ist, finden hier auch Gelegentlich gute Konzerte angesagte europäischer Acts statt

Der wohl beste Anlaufpunkt, um schwarz zu tragen und dazu zumindest im Ansatz passende Musik außerhalb der eigenen vier Wände hören zu können, ist eindeutig das Inferno. Wirklich „Goth“ ist es zwar nicht und die aktuelle Location ist viel mehr Bar als Club. Aber der Betreiber ist ein ganz lieber dänischer Metalhead. Und wenngleich das Stammpublikum normalerweise mehr nach Heavy oder Death Metal verlangt, so konnten wir doch mehr als einmal zu den Sisters of Mercy um den Billardtisch herum Totengräber miemen, uns zu ASP im Takt wiegen und sogar einen spontanen Minitanzkurs zu Spetznaz starten, bei dem die Chinesen versuchten zu verstehen, was stompen ist und warum zum Henker manche Leute (zumindest im Rhein-Main-Gebiet) in der Disko im Dreieck herumhüpfen. Ich befürchte zwar dass ich keine gute Tanzlehrerin bin, aber Spaß hat es allemal gemacht. ;-) Und nächstes Jahr mit der neuen Location (geplant ist der Umzug in größere Räumlichkeiten mit richtiges Tanzfläche, Bühne und Küche) soll alles dann noch besser und aus den gelegentlichen Gothic Shanghai Parties sollen regelmäßige Veranstaltungen werden.

Hin und wieder finden auch interessante Konzerte statt. Beispielsweise Lacrimosa waren zwischenzeitlich bereits zwei Mal hier zu Gast, Lacrimas Profunde haben es letztes Jahr auch geschafft und größere Namen wie Epica oder Leaves Eyes finden nicht selten ihren Weg nach Shanghai. Die meisten Konzerte gehen jedoch mehr in Richtung Metal. Das gefällt der Zentralregierung nicht so gut und ein Konzertveranstalter, mit dem wir auch privat in Kontakt stehen, wurde schon mehr als einmal von der Regierung dazu aufgefortert, nicht so viele ausländische Metalbands ins Land zu holen. Lustigerweise bezog sich diese Aufforderung ausgerechnet (auch) auf Lacrimosa, aber für viele Chinesen gilt einfach Gitarren + düster muss Metal sein. Wer sich daran nicht stört und Bands sehen möchte, deren Namen auch in Europa vielen ein Begriff sind, der ist dann normalerweise im MAO Livehouse am Besten aufgehoben. Ganz unbedarft und ohne das Programm zu kennen sollte man aber besser nicht herkommen, denn wie der Name erraten lässt ist das einfach nur eine Konzerthalle.

Interessanter wird es, wenn man sich auch für unbekannte Bands und lokale Acts begeistern kann. Zwar ist die Live Szene insgesamt in Peking definitiv größer, erfolgreicher und spannender, aber auch in Shanghai muss man darauf nicht ganz verzichten. Für Festivals wie das Midi bei dem neben Rock, Metal und Pop beispielsweise auch Rockabilly und Punk zu hören und sehen sind oder das inzwischen bereits 2 mal begangene Shanghai Punk Festival kommen die Veranstalter zwar nicht ohne Bands aus dem Rest des Landes und der Welt aus. Aber auf dem WGT spielen ja auch nicht nur Interpreten aus Leipzig. Ok, in Leipzig leben nie und nimmer 30 Millionen, aber ihr wisst was ich meine. Für Bands made in China ist Yuyingtang, eine kleine und etwas heruntergekommene Live Bar, der richtige Anlaufpunkt. Hier wurde das Shanghai Punk Festival geboren (und wir wissen wohl alle, dass es die schwarze Szene in ihrer heutigen Form ohne den Punk niemals gegeben hätte) und selbst Abende mit „düsterem“ Anstrich finden sich hier im Programm. Die gebotenen Musikrichtungen sind zwar hier und da ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber wenigstens kommen einem Lady Gaga und Co hier nicht unter. Dafür gibt es zwar „Shitgaze“ oder eine gelangweilte, kettenrauchende Chinesin mit einem übermotivierten Amerikaner an den Synthesizern und das ganze nennt sich dann experimenteller Elektro Goth oder so ähnlich. Aber die Band sind nun einmal keine (vielleicht ja auch nur noch keine) bekannten Größen.

Und in dem Stadium, in dem sich die schwarze Szene in Shanghai befindet, sind die Erwartungen an eine derartige Veranstaltung auch deutlich geringer als die Hoffnung darauf, den einen oder anderen „Gleichgesinnten“ zu finden. In dieser Hinsicht schafft Shanghai, bzw schaffen es die Chinesen, immer wieder, einen zu überraschen. Natürlich wird man nicht immer positiv überrascht. Wenn zum Beispiel jemand aus den USA zu einem Gothic Picnick auftaucht und dann strahlend lächelnd erzählt dass er bzw. sie am Abend noch auf diese oder jene Party geht, deren Beschreibung jedem mit ein wenig anderem Musikgeschmack ein obligatorisches Augenrollen und Stöhnen entlockt, weil „Musik egal ist und man nur gekommen ist, weil der Goth Style so fashionable ist„, dann ist das schon ein leichter Dämpfer. Wenn dann aber ein eigentlich eher unscheinbare Chinese nicht nur nach Lacrimosa fragt, sondern sich auch riesig über Devil Doll freut oder plötzlich beginnt, über Haus Arafna zu plaudern oder im sonst ja doch wenn düster dann metallisch orientierte Shanghai im Nitzer Ebb Shirt herumläuft, dann sind das ausgesprochen angenehme Überraschungen.

Gothic Shanghai – Anderssein in China

Viktorianisches Picknick in Shanghai
Ein viktorianisches Picknick in Shanghai. Manche bringen ein zweites Outfit mit, um sich im Anschluss wieder zu verkleiden.

Wie aber sieht es mit der Akzeptanz einer solchen Andersartigkeit aus? Hier ist die Situation in China leider noch recht schwer. Dies gilt zumindest für junge Chinesen. Es mag wohl in Shanghai ein wenig besser sein. Aber auch hier gilt: Man lebt so lange bei den Eltern und tut das, was diese als richtig erachten, bis man mit Anfang/Mitte 20 „eine gute Partie“ heiratet, am Besten gleich in den Flitterwochen ein Kind zeugt und diesem dann wiederum vorschreibt, wie man ein anständiges Leben führt. Und wenn das die Eltern nicht schaffen, dann holen Großeltern auch mal das Kind gegen den Willen von Mutter oder Vater zu sich, um es ordentlich zu erziehen. Platz für allzu offene Andersartigkeit im weitesten Sinne gibt es in diesem Weltbild nicht. So haben wir eine Freundin von Anfang 20, die momentan ihre Universität abschließt. Und zu jedem Treffen bringt sie ein zweites Outfit mit, um sich umziehen zu können, bevor sie spätestens um 22 Uhr wieder nach Hause geht. Ausländern kann so etwas natürlich niemand vorschreiben. Von dem – nennen wir schamloses Starren, mit dem Finger Deuten und Fotografieren einmal so – großen Interesse hatte ich ja schon geschrieben. Amüsant kann es dann werden, wenn der Interessierte tatsächlich auch Englisch spricht.

Picknick - Cute Goth eating Pineapple
Janina Gantzert – Autorin des Artikels und schwarz gekleidete Langnase in Shanghai.

Wir wurden schon einige Male gefragt, ob wir Rockstars, Schauspieler oder Performance-Künstler wären. Denn dass es so etwas wie eine schwarze Szene gibt und manche Leute halt einfach so rumlaufen, scheint den meisten unvorstellbar. Gut daran ist, dass einem von Chinesischer Seite damit auch kaum Ressentiments entgegen gebracht werden. Während viele Ausländer sehr vorurteilsbeladen sind, haben Chinesen, die nie etwas von der Gothic Szene gehört haben, natürlich auch nichts von den zugehörigen Klischees gehört. Auf das eigene Kind würde man so eine blasse, in schwarz gehüllte Langnase zwar nicht aufpassen lassen, aber schauen, für ein gemeinsames Foto posieren oder sich ein Bonbon geben lassen kann der oder die Kleine ruhig – auch schwarz gekleidete Langnasen beißen ja normalerweise nicht.

Fazit

Die schwarze Szene in Gothic Shanghai ist extrem klein und Veranstaltungen für diese sind rar. Es ist nicht immer leicht, hier als „Goth“ zu leben und sich auch so auszuleben. Konformität ist im kommunistischen China noch immer ganz groß in Mode und durch strenge soziale Regeln und Normen ist es insbesondere für Chinesen nicht leicht, anders zu sein. Aber wo nicht viel ist, ist zumindest viel Luft nach oben. Die schwarze Szene wird in China wohl nie einen Status erreichen, der mit Deutschland im Speziellen oder Europa im Allgemeinen vergleichbar wäre. Muss sie auch nicht – mir persönlich würde es vor der Chinesischen Variante von „Geboren um zu leben“, am Besten in allen KTVs der Landes und als Soundtrack zum Gruppentanzen auf dem Bürgersteig (ein ganz spezielles Hobby in China…) grauen. Aber der Nährboden für die Entwicklung von („echter“) Subkultur ist gegeben und ich bin sehr gespannt, was hieraus in Zukunft weiter erwachsen wird.

Janina und ihr Mann Nikita werden vermutlich 2014 auf dem WGT zu Gast sein, vielleicht haben wir dann Gelegenheit die Autorin persönlich kennenzulernen und ihr für die weitere Planung ihres Lebens, die erstmal einen weiteren Besuch in Leipzig unmöglich macht, viel Glück zu wünschen. Ich jedenfalls bin sehr dankbar und stolz einen solch umwerfenden Artikel hier veröffentlichen zu dürfen. Wer mehr über Janina, ihr Leben in China und ihre Seite gothic-shanghai.com erfahren möchte, dem sei ein Interview mit ihr empfohlen, dass hier bald erscheint. Außerdem habt ihr die Möglichkeit, Janinas SHOP bei Ebay zu besuchen, in dem sie einige Artikel,  die in Shanghai produziert werden, möglichst kostengünstig nach Deutschland verschickt. Hier noch einmal alle Bilder, die freundlicherweise von Janina zur Verfügung gestellt wurden:

 

Musikperlen – Der Songtitel „Sperma wie Honig“ lässt mich verwirrt zurück (Tauchgang #29)

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Wave und Gothic, zwei musikalische Strömungen der 80er, die letztendlich in der schwarzen Szene mündeten. Was der Definition nach Wave und was Gothic ist, dürfen die Gelehrten entscheiden. Im Grunde waren aber das die ersten beiden Strömungen, die die Jugendkultur in der Mitte der 80er Jahre formte. Der eher klassische instrumentierte Gothic-Rock traf zu Beginn der 80er Jahre auf den New-Wave, der oftmals rein elektronisch entstand. In Deutschland nannte man sie „Waver“ und „Grufties“, musikbegeisterte Jugendliche mit unterschiedlichen Schwerpunkten, die ihre klanglichen und inhaltlichen Schnittmenge fanden. Der „Wave“ hat teilweise kuriose Wurzeln und ist in den letzten 30 Jahren stets seinem Credo treu geblieben. Elektronisch und tanzbar, dezent und zurückhaltend, eingängig oder tiefgründig. Ich bin, wonach mir ist. Mal gruftig, mal wavig. Heute ist (m)ein waviger Tag.

Bottroper Hammerchor – Jupp Pütta (1982)

Vor 30 Jahren (eigentlich vor etwa 31 Jahren, aber man verzeihe mir diese Ungenauigkeit) wurde der Punk elektronisch. Synthesizer, Sequenzer und Drumcomputer wurden erschwinglich und verfügbar. Während die einen noch für ihre Gitarren sparten um den Ausläufern des Punk-Rock hinterherzuhechten, schossen unzählige deutsche Bands aus dem Samen des Gedanken „Das kann ich auch!“ und formten etwas, das viele Jahre später immer noch als „Neue deutsche Welle“ belächelt wurde. Doch es war ein Nährboden für ungebändigte und rohe Kreativität. 1982 dachte der Bottroper Krautrocker Jürgen Pluta über die NDW nach, um dann mit Werner Boschmann, einem Bottroper Autor für Ruhrgebietsgeschichten, den „Bottroper Hammerchor“ zu formieren. Ihrem Helden „Jupp Pütta“ ist nichts wichtiger als seine Heimat, ihr dürft raten, worum es sich handelt.

Second Decay – A kind of Dream (1992)

10 Jahre später ist Wave erwachsen geworden, der Sound klingt immer noch wie 80er, nur viel moderner. Die Songs bleiben tanzbar und die Melodien eingängig, doch inhaltlich ist Wave schon längst mit Gothic verschmolzen. Die Waver der 80er nennen sich nun Darkwaver, ihre Rückzugsorte teilen sie sich immer noch mit den Grufties. Eine Verbindung, die nun schon 10 Jahre friedlich nebeneinander existiert.  Andreas Sippel und Christian Purwien gründen zum Ende der 80er ihre Band „Second Decay“ und bringen Wave in seine nächste ernst zunehmende, düstere Phase.

The Frozen Autumn – Sperm like Honey (2002)

Offensichtlich ist es Mitte der 90er Jahre schon wieder vorbei, denn der Darkwave wird bis zu Jahrtausendwende von immer neuen Strömungen zersetzt. Was man zu diesem Zeitpunkt „Darkwave“ nennen kann entzieht sich meiner Einschätzung. Wave scheint zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu existieren, klassische Bands geben sich neuen Einflüssen hin, Neofolk drängt aus dem Untergrund an die schwarze Oberfläche. Techno, Future-Pop und Elektro überlagern die Wave-Attitüde. 2002 weiß offenbar niemand, was Wave ist. Mit ein bisschen guten Willen halten „The Frozen Autumn“ als italienische Speerspitze die Stellung.

Automelodi – Schema Corporel (2012)

Auch wenn es zunächst anders erscheint, wir haben einen Zeitsprung von rund 30 Jahren hinter uns gebracht. 2012 scheint sich Wave wieder zurückzuentwickeln. Es schwimmt ebenso auf der Retrowelle, wie unzählige andere Stile und Genre. Heute nennt man Wave „Minimal Synth“ oder so ähnlich. Für mich bleibt es gleich, was nicht heißt, dass es schlechter ist als „damals“, im Gegenteil. Automelodi, mit Xavier Paradis als Sänger und Schreiberling, lassen mich in Erinnerungen schwelgen. Cold Wave, so nannte man seiner Zeit den französischen Ableger des Wave, erlebt seine Reinkarnation.  Wave nennt man heute sowas nicht mehr, die Genrebezeichnungen werden immer länger. Doch eins bleibt, elektronisch und tanzbar, dezent und zurückhaltend, eingängig und tiefgründig. Die Vision meiner mittlerweile 30-jährigen Waverei. Ich habe mir einfach abgewöhnt die Genre zu überblicken, die Bands einzusortieren oder nach Genre-Reitern zu suchen. Waver und Grufties, die gibt es heute auch noch, die meisten von ihnen schwimmen 2012 auf beiden Strömungen. Ich bin mir sicher, dass niemand mir Recht oder Unrecht geben wird, denn überall schwebt der subjektive Geschmack mit. Heute ist ein waviger Tag. Irgendwie.

 

Die 5 möglicherweise schönsten Modesünden der 80er Jahre

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Frohes neues Jahr! Der beste Vorsatz für dieses Jahr ist, wieder in die Vergangenheit zu blicken, um zu sehen, was 2014 wieder „in“ sein wird. Präsentiert werden heute, die 5 schönsten Modesünden der 80er Jahre. Mit dabei sind auch die „Punker“, wie der große Privatsender den vierten Platz tauft. Die Grufties werden gleich mit unter den selben Hut, oder besser, Haarschopf gesteckt. Frau Eulenforst protestiert übrigens im Hintergrund auf das Schärfste, weil die Video-Szene der Punker mit „The Cure“ unterlegt wurden!  Man hat hier einfach mal die Punker mit ein paar Grufties gemischt. Einige der Bilder stammen übrigens von Besuchern des „Wartesaals“ in Köln, die Filmemacher Thomas Schmitt 1985 für seine Reportage Cooltour interviewte. Doch der Reihe nach. Modesünden, wie man sie zurückblickend nennt, kommen wieder. Seit etwa 2010 drängen sich die 80er mit all ihren Merkwürdigkeiten wieder in den Vordergrund. Seien es knallige Neon-Farben oder bunte Sonnenbrillen. Es bleibt uns nichts erspart. 2014 in den Startlöchern:

Schulterpolster, der fünfte Platz der Modesünden. Meine Schwester hatte damals auch so einen Blazer mit Schulterpolstern und diese komischen Pullover, in denen man die Dinger mit einem Klettverschluss  befestigen konnte. Größe, Dicke und Anzahl waren flexibel und wurden immer so gewählt, dass die Silhouette zwischen Kopf und Schulter rechtwinklig erschien. Ich glaube, es ist überflüssig zu fragen, warum man das so gemacht hat. Es wurde so gemacht, irgendeine Modezeitschrift hat den Keim bestimmt gepflanzt. Doch die Dinger sind relativ schnell wieder verschwunden, ich weiß gar nicht mehr genau wann. Ich glaube, mit den 90ern, als kurze Radlerhosen in Mode kamen. Hört bitte nicht auf die Zwischentexte, die sind einfach furchtbar. „Frauen wollten die besseren Männer sein.“ Wenn ich so einen Unsinn höre.

Auf Platz 4 der schönsten Modesünden sind die „Punks“, obwohl ich das natürlich nicht als Modesünde betrachte, sondern als Heiligtum. Die O-Töne der Passanten sind übrigens erlesene Perlen der deutschen Bildungselite. Die gibt es heute auch noch, ihr müsst nur mal nach Asylbewerberheimen fragen,  die Zitate könnte man 1:1 übernehmen. Ich bin an dieser Stelle mal dafür, dass wir diese Sünde galant überspringen.

Platz 3 geht an eine Person, Gloria, Fürstin von Thurn und Taxis. Also besser gesagt, ihre Frisuren. In den Medien bekam sie damals die Spitznamen „Punker-Fürstin“ oder auch „Prinzessin TNT“ und wurde zum gefragten Party-Gast. Heute ist sie eher brav, streng katholisch und meint, die Schwarzen in Afrika würden zuviel „schnackseln“ und deshalb so oft an AIDS sterben. Ehrlich, Mariae Gloria Fernanda Joachima Wilhelmine Huberta Prinzessin von Thurn und Taxis, deine Frisuren waren mir lieber.

Platz 2, geht an die – fast schon logisch dass wieder eine Jugendkultur herhalten musste – Popper. Die Zwischentexte machen mich diesmal richtig aggressiv. Nachhaltig berühmt geworden sind die Popper eigentlich wegen ihrer berühmten Popper-Knigge, die als kopiertes Machwerk jahrzehntelang die Runde machte. Die Kids trugen reich, wollten reich werden, reich heiraten und reich aussehen. Sie gaben sich maximal arrogant und nutzten den schamlosen Wettbewerb in Sachen Outfit als Alleinstellungsmerkmal. Mitte der 80er soll es dann schon wieder vorbei gewesen sein. Ihre Frisur, die Popper-Tolle, ein Statement: Die Welt nur mit einem Auge sehen, das ist die Zukunft. Schönes Zitat: „Also Luxus möcht ick haben, richtigen Luxus. Schön, reichen Mann, keine Kinder und ein großes Haus mit Swimming-Pool draußen und drinnen.

Platz 1 – zum Glück kaufe ich meine Unterhosen selber – wird von der Männer-Unterwäsche regiert. Denn nachdem sich nun auch die Jungs schminken, emanzipieren sie jetzt auch ihre Unterhosen. Schluss mit Feinripp! Stattdessen Tangas, Strings, Boxershort, merkwürdige Ganzkörperunterhosen. Ich weiß an dieser Stelle nicht, was hier Sünde sein soll. Klingt ja fast so, als würde der Mann von heute immer noch dazu verdonnert sein, Unterhosen im 10er Pack zu kaufen. Ist er?

 

Cannibal Cocktails – Die Tote wird getrunken

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Die Rechtsanwältin Silvia ist Witwe, ihre Frau Patricia beging 2012 Selbstmord und stürzte sich aus dem siebten Stock eines Hauses. Zusammen mit ihren Freundinnen feiert Silvia am ersten November eine ganz besondere Totenehrung. Die Asche der Verstorbenen wird in Wodka aufgelöst und wie ein Kelch herumgereicht. „Wir wissen nicht genau, warum wir Particias Asche trinken, weil du die Freiheit empfindest es zu tun. Tot sein heißt, überall und nirgens zu sein und der symbolische Akt, die Asche der Toten zu nehmen und zu verteilen, in einer Demo, ins Meer oder eben diese zu trinken, das vergegenwärtigt überall Leben und Tod.“ Nur Silvia, die Ehefrau der Toten, bringt es nicht über sich, vom Cannibal Cocktail zu trinken. In der Spontis-Reihe „Leben mit dem Tod“ geht es diesmal in das vermeintlich konservative Spanien.

Es ist Allerheiligen. Mit den Freundinnen der Toten Helen, Lucia und Marianna besucht Silvia den Friedhof Poblenou in Barcelona, einen der Lieblingsplätze der Toten. Die imposante Skulptur (siehe Bild), die auch der „Kuss des Todes“ (El Beso de la Muerte) genannt wird, faszinierte die verstorbene Patricia ganz besonders. Die nachdenkliche Frau schrieb Gedichte über das Sterben und „sie stand dem Tod näher als dem Leben„, so ihre Frau Silvia. Es mag bizarr klingen, dass gerade im konservativen Spanien derart merkwürdige Rituale abgehalten werden. Übrigens, in Deutschland, dem offensichtlich noch konservativerem Land, darf man die Asche seines nächsten noch nicht mal mit nach Hause nehmen, die hier leidet die Individualität unter dem Friedhofszwang. Was man hier mit den sterblichen Überresten macht, steht folglich gar nicht zur Debatte.

In einem weiteren Bericht des Magazins „Yourope“, dass auf ARTE ausgestrahlt wird, zeigt man die Gruppe der jungen Spanierinnen, die den Tod ihrer Freundin Patricia feiern. Zwischen Performance-Kunst, Selbstdarstellung und Nervenkitzel den Verstorbenen gedenken? Die Argumente wirken vorgeschoben, die Kunst wirkt aufgesetzt und die Anteilnahme wird zur Nebensache. Vermutlich hat es mehr als einen Grund, warum Silvia nicht vom Cocktail nascht. Rebellion der Totenverehrung in einem konservativen Staat? Die Beweggründe bleiben ein Rätsel, die Wertung ebenso.  Dem Autor bleibt nichts anderes übrig, als Gedankenanstöße zu liefern. Denn jeder, der sich in Gedanken über dieses Ritual echauffiert, dem sei gesagt, dass viele Lebensmittel die sterblichen Überresten von Tieren enthalten. Der Unterschied findet wohl nur im Kopf statt, jedem sei seine Art der Trauerbewältigung gestattet. Kleidung der Toten tragen? Warum nicht. Der Gruppe von Spaniern unterstelle ich derweil eine gewisse Form des Geltungsdrangs. Was ein gemaltes Herz aus Menstruationsblut für die Tote ausdrücken soll, bleibt mir wohl auf ewig schleierhaft.

 

 

 

Tödliche Themen bei Tee und Kuchen: Die Death Cafes

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Im Death Cafe gibt es vier Regeln. Ein Death Cafe kostet kein Geld, es ist keine Verkaufsveranstaltung, es wird keine Trauerarbeit geleistet und es gibt immer Tee und Kuchen. Vor ein paar Jahren lud Jon Underwood Menschen in sein Haus ein, um sich mit ihnen über den Tod zu unterhalten. Tee und Kuchen waren Pflicht, denn „wenn man über den Tod spricht, hilft es etwas zu essen und zu trinken, um keine Angst zu haben. Die süßen Sachen erleichtern das Gespräch, weil du noch spürst, dass du am Leben bist.“, so Jon, der mittlerweile über 400 Death Cafes auf der ganzen Welt über seine Internetseite betreut.

Die Idee folgt seiner Vision, den Tod aus der dunkle Ecke zu holen und ihn ins pralle Leben zu integrieren. Mit Tee und Kuchen. Der Mensch sucht immer wieder nach neuen Möglichkeiten, mit seiner Angst vor dem Tod umzugehen. Heute ist es notwendiger, das Thema offensiv in der Vordergrund zu drängen, denn Tod findet immer mehr im Verborgenen statt. Irgendwo habe ich gelesen, dass in Deutschland rund 90% aller Menschen im Krankenhaus sterben, Bestatter kümmern sich um die sterblichen Überresten, die meisten Särge sind geschlossen. Im Kreis der Familie zu sterben, war früher selbstverständlich, heute fast schon eine Besonderheit.

In der britischen Hauptstadt London, in der Jon das Death Cafe einst ins Leben rief, fehlt ein ernsthafter Austausch mit der eigenen Vergänglichkeit. Die Stadt pulsiert, ist anonym und schläft niemals. In der Woche hat man im Job zu funktionieren um am Wochenende das Leben in vollen Zügen zu genießen. Tod? Das Leben ist zu kurz, um darüber nachzudenken. Dass es in Deutschland noch keine Nachahmer von Jons Idee gibt, liegt naturgemäß in der Skepsis, mit der viele Deutschen neuen Strömungen begegnen.

Das aktuelle Jahr neigt sich dem Ende zu, viele reflektieren die schlimmen und stressigen Ereignisse und fassen gute Vorsätze, die sich meist um die eigene Gesundheit drehen. Vielleicht nimmt man sich auch mal ein wenig Zeit, nicht über die eigenen Wehwehchen zum jammern, sondern über den Tod zu reden. Ganz natürlich, ganz offen, vielleicht bei Kaffee & Kuchen? Ich kann mich nicht ganz entscheiden, ob ich das ganze eher belächeln soll, oder ob die Idee tatsächlich Zukunft haben könnte. „Nur wenn du Dich mit dem Tod beschäftigst, kapierst du erst das Leben.