Die Schweiz kann auch anders! – Reikon DeVore aus Solothurn

In meinem Artikel über die Dokumentation „Gothic“ von Mitra Devi habe ich nicht mit Kritik gespart. Zu Recht? Meine Sichtweise auf den Film habe ich nicht geändert, ich war mir aber schon beim Schreiben des Beitrags sicher, dass die Szene in der Schweiz mehr zu bieten hat. Ich bin also ich in meine Kontaktliste getaucht und habe Schweizer gesucht, die mir ihre Sichtweise auf die Doku und die Szene in der Schweiz schildern könnten. Ich wurde fündig und spontan erklärten sich einige dazu bereit, sich meinen Fragen zu stellen. In meiner kleinen Artikelserie „Die Schweiz kann auch anders!“ zeige ich einige Menschen, die die dortige Szene vielleicht in ein anderes Licht rücken. Reikon DeVore aus Solothurn in der Schweiz widmet seit 10 Jahren einen grossen Teil seines Lebens der Fotografie und allem, was man mit visueller Kunst umschreiben könnte. Ich lernte ihn erstmals auf dem Wave-Gotik-Treffen 2014 kennen und während des diesjährigen WGT habe ich ihn in unserer Wohngemeinschaft in all seinen schillernden Facetten erleben dürfen. Er ist nicht nur ein begabter Fotograf, sondern konnte auch seine Talente für Make-Up und Kleidung-Stile eindrucksvoll unter Beweis stellen.

Auf seinem Foto-Blog HYS✝ERIA DOGMA zeigt er „junge, alternative Seelen mit einer eigenständigen Sicht auf die Welt“. Seine Arbeiten weichen deutlich vom üblichen Mainstream der Gothic-Fotografie ab. Er beschreibt mir seine Vorlieben so: „Meine Interessenfelder liegen besonders im exzentrischen, düsteren, wirren oder auch träumerischen Bildmaterial. Ich hege eine grosse Leidenschaft für Musik aller Art und lasse diese in meine Werke miteinfliessen.“ Wenn mal keine Models zur Verfügung stehen, schlüpft er auch gerne selbst in exzentrischen Variationen seines Ichs. Auf seinem Youtube-Kanal betätigt er sich darüber hinaus auch noch als Filmemacher und zeigt besondere Momente seiner Arbeit oder seines Lebens.

Du hast die Dokumentation „Gothic“ von Mitra Devi auch gesehen, was denkst du darüber? Kennst du einige der Protagonisten oder die Filmemacherin?

In der Schweiz ist bekanntlich alles sehr überschaubar und klein, von daher kannte ich zwei der Hauptprotagonisten, Michael und Arnoldo, die beide auch stark präsent sind. Die Filmemacherin Mitra Devi war mir bis dahin unbekannt, ich habe mir aber einige Interviews von ihr angesehen und hielt auch mal einen Roman von ihr in der Hand. Für mich war klar, dass sie grossen Wert auf die morbiden Inhalte und die Konfrontation mit der Aussenwelt aufzeigen wollte. Leider gehören Elemente wie BDSM und eine Domina für mich persönlich nicht sinnbildlich zum Thema Gothic, aber ich verstehe, warum sie es für ihre Arbeit als spannend empfand. Sie betonte in ihren Interviews stets, dass sie vom düsteren und morbiden angezogen würde, auch wenn sie selber nicht in dieser Welt lebt, sei sie doch immer fasziniert davon. Ich glaube deswegen kam sie auch auf die Grundidee dieser Dokumentation. Es gab von jeder Person Aussagen, die ich auch auf mich beziehen konnte, aber so ganz wiedergefunden habe ich mich nicht. Ich bin da glaube ich auch einiges selbstironischer.

Wie würdest du die Gothic-Szene in der Schweiz beschreiben?

Sehr familiär und halt auch klein und das schweisst in gewisser Weise zusammen. Ich finde es gibt eine ganz beachtliche Dichte an Veranstaltungen und Konzerten, bei denen man häufig bekannte Gesichtern über den Weg läuft. Wer etwas mobil ist, findet eigentlich jedes Wochenende in einer größeren Stadt entsprechende Ausgehmöglichkeiten.

Du bewegst dich auch viel in anderen europäischen Gothic-Szenen, gibt es Schweizer Eigenheiten die Eure Szene irgendwie kennzeichnen?

Ich glaube unsere Gothic-Community ist eher bodenständiger und ruhiger als die in anderen europäischen Ländern. Ich glaube man spürt auch etwas den Bezug zur Ländlichkeit die uns hier umgibt, viele sind sehr naturbezogen.

In der Doku wird Fotograf Chris gezeigt, der „Gothic-Fotografie“ betreibt. Dabei definiert er „Gothic-Lolita“, „Horror-Style“ und die üblichen Friedhofs-Bilder als gruftig. Du bist selber Fotograf und verdienst Dir damit deinen Lebensunterhalt (?) Wie würdest du „Szene-Fotografie“ definieren?

Gräber, Blut, Memento-mori… das sind alles Elemente für die „Gothic“ eben sehr bekannt ist. Ich denke, die werden auch nicht so schnell „out“ und definieren die Szene auch weiterhin. Ich habe da einen ganz anderen Fokus. Für mich persönlich liegt nicht die explizite Darstellung dieser Elemente im Vordergrund, sondern vielmehr eine Gefühlslage, die Vergänglichkeit eines Augenblicks – was bei einer Fotografie ja immer der Fall ist – der nie wieder der selbe sein wird.

Könnte man sagen, dass es wichtig ist, eine Stimmung einzufangen anstatt eine eben solche durch den Einsatz von beispielsweise Blut zu erzeugen? Du definierst Gräber, Blut und Memento-Mori als Szene-Elemente. Was ist mit nackter Haut, sexuellen Reizen und Anspielungen? Ganz offensichtlich arbeitet der Fotograf in der Dokumentation ja genau damit.

Für mich persönlich ist das der Fall. Ich bin auch sehr sensibel was der Umgang mit dem Ausdruck des Bildes angeht. (nicht dass mir diese Symbole zu grafisch oder agressiv wären) Ganz besonders in der Gothic-Kultur zelebriert man ja auch einen gewissen Weltschmerz und eine düstere Art des Schwelgens. Das hat für mich viel mehr Gewicht als Blut und nackte Haut. Mit einer gekonnten Inszenierung muss beides dieser Elemente nicht „Billig“ oder plump aussehen, aber genau für so etwas braucht es dann wieder dieses Feingefühl und das Verständnis dieses Grundgedankens.

Mit welchen Motiven und Menschen beschäftigst du Dich in deiner Fotografie, was ist Dir da wichtig?

Ich arbeite in erster Linie mit Menschen die für ihre Werte einstehen, die ihre Sicht auf die Welt mit meiner teilen und die auf der einen Seite genauso stark und auf der anderen Seite genauso zerrissen sind wie ich. Meinen Models möchte ich gerne die Möglichkeit bieten auf eine Bühne zu steigen und ihre ganz eigenen, düsteren Vorstellungen zu präsentieren. Schönheitsideale oder Wertvorstellungen, die vielleicht nicht so ganz konform sein mögen, liegen mir da genauso am Herzen.

Bis du der Ansicht, dass Szene-Magazine und tausendfach angeklickte „Gothic-Fetisch-Bilder“ im Internet durch ihre Form der Darstellung von „Gothic“ die Szene verwässern und Einflüsse einbringen, die mit „Gothic“ nichts zu tun haben?

Ich denke die Nachfrage formt auch immer etwas das Angebot und Szenen entwicklen sich wie ihr Umfeld konstant weiter. Ich denke nicht, dass diese Magazine oder Onlinesourcen Gothic weichspülen oder es „verkommen“ lassen. Vielmehr denke ich, dass jede Generation ihre eigenen Sehnsüchte und Vorstellungen mit sich bringt und die werden dann von diesen Medien aufgegriffen und verbreitet.

Woran liegt es denn, dass der Trend immer mehr in Richtung Verkleidung geht und dass „Sex sells“ auch in die ursprünglich so zugeknöpften Szene Einzug gehalten haben?

Auch eine Subkultur kann sich dem Einfluss der Massenmedien nicht vollends entziehen, und da ist „Sex Sells“ bekanntlich ein großes Aushängeschild. Auch bei den Schwarzkitteln hat man nach einigen Jahren immer wieder das Verlangem nach etwas Frischem. Jede neue Generation von Gruftis bringt auch neue Bedürfnisse und braucht einen höheres „Schock-Level“, weil alte Grenzen und Tabus bereits erschöpft sind. Seit auch die Schwarze Szene zu einem rentablen Geschäft wurde, muss man halt auch mit Werbetricks und Medienechos aus der „bunten Welt“ rechnen, die Einfluss auf eben diese Bedürfnisse nehmen.

Die Schweizer selbst kommen in der Doku nicht so gut weg. Stimmt das gezeichnete Bild?

Das ist ein Teil der Doku den ich leider zu 100% unterschreiben könnte. Fast jeden dieser Aussagen kam mir selber schon zu Ohren. Man kann natürlich nicht alle in einen Topf rühren, aber es zeigt doch ganz gut, was man hier zu erwarten hat.

Für alle, die trotzdem die Schweiz besuchen möchten: Welche Clubs oder Veranstaltungen kannst du empfehlen oder gibt es noch Schweizer Bands die du empfehlen könntest.

Noxiris ist unser größter Partyveranstalter in der Schweiz und hosted auch sehr viele Konzerte und den großen Silvesterball in Zürich. The Graveyard Scene und Dangereux fokussieren sich eher auf den guten alten Batcave & 80ies Wave, dieStille ist im Raum Bern bekannt für ihre umfassenden Events. In regelmässigen Abständen finden zudem etwas exklusivere Schlossparties statt. Zudem gibt es im X-Tra Club Zürich jeden Mittwoch mit der Veranstaltung „More than Mode“ eine kostenlose Gothic Party.

Auch wir haben unsere Sound-Exporte die ich in anderen Ländern immer wieder zu hören bekomme. The Beauty of Gemina, Lost Area – die sich aber leider aufgelöst haben – und Stoneman zählen wohl zu den bekannteren Acts, die mir auch ausserhalb der Grenzen immer wieder begegnen.

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Mone vom Rabenhorst
Vor 8 Jahre

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