Gothic Friday September – Das Netz hat mir das Schwarzsein erst ermöglicht (Victor)

Kaum ist man mit dem eigenen Beitrag fertig, da liegt Victors umfangreiches Statement bereits im digitalen Briefkasten. Als ziemlich früher Internet- und Social Media-Nutzer tobte er sich überall mal aus und fand letztlich über das Netz in die Schwarze Szene. Doch lest selbst…

Nachdem ich nun schon längere Zeit Spontis als Leser und gelegentlich (unter anderen Namen – warum steht weiter unten) Kommentator verfolge, sehe ich mich nun anlässlich des Gothic Friday quasi genötigt, auch einmal etwas beizutragen.

Das Netz entdeckte ich schon 1996 mit Beginn meines Informatikstudiums für mich, allerdings erst einmal in Form diverser textbasierter Online-Rollenspiele (sogenannter MUDs), da die Webseiten dieser Zeit eher … nunja … spartanisch und ästhetisch wenig ansprechend waren und öfter “Hier ist eine Baustelle” als echten Inhalt zeigten. Später habe ich dann aber auch mehr oder weniger alle anderen Aktivitäten im Netz einmal probiert: eigene Webseiten, Foren, Singlebörsen, Blogs, soziale Netzwerke, habe meinen kreativen Output in Online-Galerien hochgeladen etc. Auch heute nutze ich das Netz noch sehr intensiv, aber mit mehr Vorsicht im Hinblick auf den Schutz meiner Daten und Privatsphäre.

Internet & Schwarzsein

Im Grunde hat mir das Netz das Schwarzsein überhaupt erst ermöglicht. Aufgrund meiner Introvertiertheit war es neben einschlägigen Zeitschriften für lange Zeit die einzige Informationsquelle für mich, da sich in meinem sozialen Umfeld anfangs keine “Schwarzen” befanden und ich es einfach nicht über mich brachte, in die nächste Disco zu gehen und mir fremde Leute anzusprechen. Das Netz mit seinen Foren, Communities und der Anonymität machte es viel einfacher, sich zu informieren, mit Anderen ins Gespräch zu kommen, Veranstaltungen, neue Musik und Inspirationen zu finden. Besonders Seiten wie Radio Dunkle Welle,  Schwarzes Glück und diverse Blogs und Foren haben mir bei meiner “Schwarzwerdung”  starke Impulse gegeben.

Das bedeutete das aber auch, dass sich mein Sozialleben zeitweise fast ausschließlich im Netz abspielte: ich habe teilweise ganze Tage und Nächte in Online-Spielen, Chats und Foren verbracht und so sicher nicht nur mein Studium unnötig verlängert.

Zeitweise habe ich selbst einige (Bilder-)Blogs bei Tumblr betrieben, darunter zwei goth-inspirierte Fashion-Blogs und einen Blog mit goth-inspirierter Einrichtung und anderem Zeug. Ursprünglich wollte ich nur ein paar Bilder als Inspiration sammeln, um meine Outfits aus der Hoodies-und-Jeans-Ecke zu holen und zu lernen, mich wie ein erwachsener Mensch zu kleiden, sowie Ideen für Experimente mit der Nähmaschine zu sammeln. Mit der Zeit wurde wurde die Jagd nach neuen Bildern aber ein Hobby, das mich wie zuvor Spiele und Chats mehrere Stunden täglich kostete.

Victor von Void 2Victor von Void 3Victor von Void 4

Es wird gern behauptet, dass Kontakte im Netz flüchtig sind und so keine echten Freundschaften entstehen können. Dem kann ich aber meine eigenen Erfahrungen entgegen halten: ich habe nicht nur viele Leute, die ich heute zu meinen engsten Freunden zähle, im Netz kennengelernt, auch die Frau an meiner Seite hat mich in einer schwarzen Singlebörse gefunden. Viele andere Leute scheinen ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben, daher ist für mich das Netz einer der Gründe, warum die Schwarze Szene als solche überhaupt noch existiert.

Mit der Zeit lernte ich natürlich auch, dass man im Netz ein wenig auf seine Daten und Privatsphäre achten sollte. Anfangs war ich, wie die meisten Leute, recht unbedarft und habe oft persönliche Daten großzügig angegeben und für Accounts bei verschiedenen Seiten und Services die gleichen Namen, Email-Adressen und Passwörter genutzt, mit der Folge, dass ich in Online-Diskussionen mit persönlichen Daten angegriffen wurde, nach Datenlecks plötzlich einige meiner Accounts sperrangelweit offen standen, ich in einer Spamflut zu ersticken drohte und Leute aus meinem beruflichen Umfeld mich auf private Aktivitäten ansprachen (gothseidank meist nicht negativ). Heute sorge ich dafür, dass meine Netz-Aktivitäten soweit wie möglich nicht mit meinen realen Daten verknüpft werden können, wenn man mich nicht persönlich kennt und weiß, welche Persona auf einer bestimmten Seite mir zuzuordnen ist.

Soziale Medien

Soziale Medien waren schon immer Teil “meines” Netzes. Meinen ersten Account bei Facebook habe ich eröffnet, noch bevor es eine deutsche Seite gab, davor habe ich andere, ähnliche Netzwerke genutzt, Foren besucht und mich in Singlebörsen herumgetrieben (glücklicherweise ;)). Victor von Void 5Allerdings habe ich heute ein eher gespaltenes Verhältnis zumindest zu Facebook: ich habe noch einen Account, aber weder enthält der echte Daten, noch poste ich Statusmeldungen oder habe dort “Freunde”. Facebook dient für mich einzig als Informationsquelle für Veranstaltungen, lokale Nachrichten, Musik und Humor. Ein Grund dafür ist die mangelnde Kontrolle darüber, was mit meinen Daten geschieht, ein anderer meine zunehmende Abneigung dagegen, jede kleinste Information von Leuten, die ich nur peripher kenne, ständig vorgesetzt zu bekommen.

WhatsApp benutze ich regelmäßig, allerdings auch nur mit wenigen ausgewählten Kontakten. Darüber hinaus ist es mir einfach zu viel Aufwand, noch andere Messenger zu installieren und parallel zu nutzen.

Für Singlebörsen habe ich keinen Bedarf mehr, und auch Foren frequentiere ich kaum noch (meist nur noch zu technischen und/oder beruflichen Themen), auch weil ich zunehmend das Interesse an den oft oberflächlichen, unsachlichen und zeitraubenden Diskussionen dort verliere. Was uns zum nächsten Punkt bringt….

Sinkendes Niveau und Selbstdarstellung

Wer meint, dass die “Verflachung der Diskussionskultur” erst mit den sozialen Medien begonnen hat, liegt meiner Meinung nach komplett falsch. Wenn man sich einmal die Graffitis in Ruinen aus dem Altertum anschaut, weiß man, dass schon dort die Anonymität für übelste Ausfälle genutzt wurde. Auch in den ersten Foren und Newsgroups im Netz war die Diskussionskultur schon ähnlich degeneriert. Was sich geändert hat, ist, dass heute nicht mehr nur Nerds im Netz unterwegs sind, sondern dass sich mit den sozialen Medien mehr Menschen im Netz bewegen, die mit immer weniger technischen Hindernissen immer mehr am Netz-Leben partizipieren können, und dass dadurch natürlich auch die Reichweite und die Häufigkeit und damit die Wahrnehmung solcher “Diskussionen” größer ist.

Ebenso der Drang zur Selbstdarstellung: früher lief das in einem kleineren Rahmen, durch auffälliges Verhalten in der Öffentlichkeit, Lautstärke, Kleidung. Das Netz ist lediglich ein weiterer Ort an dem die Menschen, die die Anlage dazu haben, ihrem Exhibitionismus frönen können und das auch im größtmöglichen Umfang nutzen.

Das gilt genauso und ohne Einschränkung ebenso für die Schwarze Szene im Netz. Die sozialen Medien, Foren, Chats usw., die ich frequentiert habe, hatten auch immer einen nicht geringen Anteil an niveaulosen Diskussionen und Leuten, die sich wahlweise möglichst klischeehaft oder exhibitionistisch präsentierten. Diskussionen über die “wahre” Musik (also letztendlich das sinnlose Bashing bestimmter Bands, Genres etc.), Kleidung oder Geisteshaltung waren und sind immer noch an der Tagesordnung.

Selbst auf Spontis habe ich schon beobachtet, dass in Kommentaren Arroganz und Elitendenken hemmungslos ausgelebt werden (die Diskussion zum letzten Amphi-Video, anyone?). Meinungen zu äußern ist erwünscht, aber die Art und Weise, in der das geschieht, ist über die Jahre nicht besser geworden und entspricht nicht dem, was ich eine gepflegte Diskussion nennen würde.

Ein weiterer Trend, den ich beobachte und für den meiner Meinung nach auch das Netz eine gewisse Rolle spielt, ist, dass schwarze Veranstaltungen, Online-Shops und Ähnliches zunehmend mit, und ich benutze bewußt die abwertende Bezeichnung, Tittenbildern beworben werden. Hier trifft der Exhibitionismus und Drang nach Selbstdarstellung der Models (die meisten dürften über das Netz rekrutiert worden sein) auf den Wunsch nach größtmöglicher Aufmerksamkeit bei gleichzeitiger Minimierung des Aufwands seitens der Veranstalter. Wurden früher Flyer liebevoll per Hand gemalt oder als Collage zusammengestellt, wird heute ein Bild geschossen, wenn es nicht gleich irgendwo aus dem Netz gezogen wird, im DTP-Programm etwas Text hinzugefügt und fertig ist die Sache. Maximal 30 Minuten Arbeit. Allerdings frage ich mich dann immer, ob bewusst nur der Teil der Szene angesprochen werden soll, der mit dem kleineren Gehirn weiter unten denkt…

Mina Miau
Mina Miau – Der Blog einer Freundin, auf dem ich als Gastautor unterwegs bin

Bestandsaufnahme

Abgesehen von “nicht-schwarzen” Seiten (beispielsweise Nachrichtenseiten, Technik-Blogs) und Spontis folge ich heute nur noch wenigen “schwarzen” Internetauftritten mehr oder weniger regelmäßig. Zwei sind gothic-rock.com und Unter.Ton, Online-Musikmagazine/Blogs, der Rest findet sich bei Facebook (dabei kommt der einzige Vorteil des Netzwerks zum Tragen: man findet alles auf einem Haufen). Das hat zu einem großen Teil damit zu tun, dass ich einfach nicht mehr die Zeit investieren will, die nötig ist, um die interessanten Beiträge zu finden und zu filtern.

Euer Teil des Netzes

Ich bin derzeit weniger aktiv als früher. Abgesehen von sozialen Netzwerken bastele ich an kleinen Spielen für mobile Geräte und die Info-Websites dafür und diene als Fotograf und neuerdings Gastautor für den persönlichen Blog meiner Freundin, der gelegentlich auch mal einen Post rund um die Schwarze Szene enthält. Darüber hinaus trage ich aber eher wenig dazu bei, die Informationsflut im Netz noch weiter zu vergrößern.

 

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Kommentare

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Victor von Void
Victor von Void(@vivovo)
Vor 7 Jahre

@Svartur: Danke, ich werde es mir mal anschauen! :) Ich hätte nicht gedacht, dass jemand eine Dissertation über so ein Nischenthema schreiben würde….

Svartur Nott
Svartur Nott (@guest_52850)
Vor 7 Jahre

Das hätte ich auch nie gedacht – bis ich dann in der Unibib drüber gestolpert bin ^^

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