Cure-Fans – Originell oder zum Gruseln?

Bloß nicht lachen. Keine Mine verziehen und möglichst gruftig in die Kamera gucken. Irgendwie wirkt das schon aufgesetzt mit dem Skelett zu meiner Linken, aber die Fotografin hat gesagt, so wollen sie das Gruselige unterstreichen. Nun ja, was soll es, ist ja für meine Lieblingsband…

Carla ist wieder zurück. Nachdem die Jugendzeitschrift Bravo sie schon für einige andere Artikel zur schwarzen Galeonsfigur auserkoren hat, ist „Ratte“ wieder einmal Vorzeigegrufti der Münchener Szene. Vielleicht war es damals genau so, wie ich es mir in den ersten Sätzen ausgedacht habe. Vielleicht erfahren wir ja eines Tages, wie es wirklich war mit Carla der Schockfriseuse. Hübsch anzusehen ist sie ja, das blass geschminkte Gesicht, das Siouxsie Sioux Make-Up um die Augen und dazu die roten Lippen von Robert Smith die unter der verwuschelten schwarzen Mähne wie die Kirsche auf der Sahne wirken.

In dem Artikel über die Cure-Fans widmet sich die Bravo der Frage: „Originell oder zum Gruseln?“ und schickt 6 Gruftis bei Tageslicht und in voller Montur durch die Münchener Innenstadt. „‚Ja, jetzt schau dir das an!!!!‘ Mit offenem Mund bleiben ältere Passanten auf der Straße stehen, wenn Micky, Elke, Denise, Michael, Tanja und ‚Ratte‘ durch München laufen. Und dann fangen sie an, hinter den Cure-Fans herzuschimpfen: ‚Euch müsste man…‘

Einsperren, wegschließen, vergasen? Ich kann mir gut vorstellen, dass man den Platzhalter beliebig ergänzen könnte, denn die Provokation war perfekt. Ob sie beabsichtigt war, lassen wir einmal dahingestellt, ganz sicher würden die sechs auch heute noch ähnliches Aufsehen erregen, auch wenn die Reaktionen vielleicht anders ausfallen würden. Gerade in den Metropolen dieses Landes scheint ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten zu sein, mancherort erntet man sogar Lob und ehrlich gemeinte Neugier für so eine ausgefeiltes Outfit. Ich meine, sie sehen ja auch wirklich großartig aus:

Bravo Artikel Seite 2Bravo Artikel Seite 1Die sechs sehen ja auch wirklich aus wie Figuren aus dem Horrorkabinett – schwarzgewandet, mit weißgeschminkten Gesichtern, grellgefärbten Haaren, abenteuerlichen Aufmachungen. Da ist Micky mit seiner gruseligen Metallpranke, ‚Ratte‘ sieht mit ihrem Burgfräulein-Hut aus wie frisch aus dem Mittelalter ins 20. Jahrhundert entsprungen. Oder Denise, wasserstoffblond und sexy im schwarzen Mieder und ganze 14 Jahre alt. Oder auch Tanja im nagelneuen 60er-Jahre-Look, dem allerletzten Waver-Schrei. Noch vor ein paar Wochen war Tanja genauso schwarz wie die andern, mit abrasierten Schläfen und hochtoupierten Haaren. Dann wurde es ihr langweilig: ‚Schwarz und gruftig, das hat jeder.‘

Die Mode der Gruftis war schon in Teilen der breiten Masse angekommen. Die Bravo propagierte fleißig einen neuen Stil und Underground-Fashion-Versender platzierten ihre Klamottenwerbung zielgruppengerecht auf der selben Seite der Zeitschrift. Um „anders“ zu bleiben musste  man sich weiterentwickeln. Darum darf es auch gerne mal unpraktisch sein. Micky Metallpranke gibt zu: „Die Hand kannst du vergessen, die kannste nicht mehr biegen und nichts. Aber es sieht eben geil aus, und drum mach ich’s mir manchmal.“ Wer schön sein will, muss leiden. Das gilt auch heute noch.

Für die aufregenden Frisuren der Waver zeichnet sich ein Münchener Szene-Friseur verantwortlich. „Man geht in den neuen Frisierladen von ‚Mad Max‘, Münchens verrücktem Friseur. Dort lassen sich Typen wie Denise oder Ratte die Haare umfärben oder ganz neu stylen. Für seine friedhofs-begeisterte Kundschaft hat Max deshalb ein halbes Dutzend Skelette von Fachgeschäften für Medizinstudenten gekauft. Sie sind aus Plastik naturgetreu nachgebildet und sehr gelenkig. Mit knallbunten Kunsthaarschöpfen auf den Totenköpfen sehen sie wirklich schrill aus. Dazu kann die ‚Mad Max‘-Kundin das Enstehen ihres neuen Outfits in einem stilgerechten Spiegel betrachten: ein Sarg, hochkant gestellt, mit verspiegeltem Deckel. Und dazu Musik von ‚Cure‘ oder ‚Christian Death‘ in voller Lautstärke.“ Der Friseur existiert auch heute noch. Mad Max (vom Friseurmeister Max Harter) hat seit 1983 seinen Salon in München-Neuhausen und gibt sich immer noch genauso ausgeflippt wie immer.

Anders sein, auffallen, provozieren? Die Beweggründe sind höchst unterschiedlich und können sicher nicht über einen Kamm (welch Wortwitz) geschert werden. Was bei einigen Jugendlichen sicherlich ein Phase der modischen Erscheinung war, kann bei anderen eine Form der Rebellion gewesen sein. Viele sind „rausgewachsen“, manche sind ihrem Styling aber treu geblieben und füllen die äußere Hülle auch mit Inhalten.

Ein wenig trauere ich den Zeiten dieser Artikel nach. Die Entwicklung zu „weniger ist mehr“ und „auffallen um jeden Preis“ ist nicht nach meinem Geschmack und treibt immer mehr bunte Blüten aus Gummi, Latex und Lack ins Meer der schwarzen Gewächse. „Szene-Zeitschriften“ vermitteln ein Bild der aufreizenden, figurbetonten und lasziven Fetischfrau als stilprägend für die Gothic-Szene, während sich so mancher Mann damit begnügen muss, als blutverschmierter Zombie abgelichtet zu werden. Ich wiederhole mich, immer wieder. Doch war es nicht die Gothic-Szene, der man eine große Toleranz hinsichtlich der körperlichen Erscheinung zusprach? Gerade beim weiblichen Gruftie bin ich mir da nicht mehr so sicher, denn was in Katalogen und Zeitschriften als „IN“ betrachtet wird, erfordert oftmals ein ideales Erscheinungsbild. „One size fits all.“ Wer heute schon mal ein Netzhemd mit dieser Bezeichnung gekauft hat, wird wissen, wovon ich spreche.

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Serapion
Serapion (@guest_18019)
Vor 12 Jahre

Super, genau solche Artikel meinte ich mit meinem letzten Eintrag! ;-) Weißt Du denn, von wann genau der Artikel ist? Den Friseurladen sieht man auch in diesem Filmbeitrag kurz: http://www.youtube.com/watch?v=3xSmXuzcTa0

Death Disco
Death Disco (@guest_18023)
Vor 12 Jahre

Den Bericht kannte ich gar nicht. In der Bravo wirkt das immer so aufgesetzt. Die hatten da sicher wieder nachgeholfen und damit auch noch Trends gesetzt. :)

Denise ist hier aber mein klarer Favorit. Schwarze Klamotten, blonde Waver-Frisur. Was gibt es Schöneres? ;) Das ist alles viel zu selten geworden. Diesen Style durfte man noch bis in die frühen 90er hinein live erleben. Die Mitt-/End-90er waren immer so furchtbar zwingend schwarz. Bloß kein Körnchen Farbe im Haar.

tobikult
tobikult(@tobikult)
Vor 12 Jahre

Kurz war ich geneigt, bei meinem nächsten Stop in München zum Friseur zu gehen. Aber 50 EUR für den einfachen Haarschnitt ist eine An- bzw. Absage! Bei den alten Artikeln trauere auch ich immer ein wenig. Ich vielmehr, dass ich damals entweder zu jung war oder „nur“ Zaungast der Gruftiszene war. Jaja, die guten alten Zeiten…

Rosa Chalybeia
Rosa Chalybeia (@guest_18030)
Vor 12 Jahre

Mir ging gerade das gleiche durch den Kopf wie Tobi: beim nächsten Trip zu Freunden in München einen Friseurabstecher machen – scheint nach dem perfekten Mann für gruftig-haarige Anliegen zu sein *g* – aber die Preise schrecken auch mich dann schon etwas ab …

Schöner Artikel – sofern man den Text jetzt ausblendet, die Bilder sind einfach grandios – und mir sind neu verbaute Alltagsgegenstände und beklebte Schultüten als Hennins auch sympatischer als 08/15-schwarz. Das man Selbstbauambitionen, auch wenn sie vielleicht eher unprofessionell ausfallen mögen, immer so hämisch kommentieren muss …
Was icha uch entzückend finde ist das Arsenal wirklich wunderhübscher gemalter Augenbrauen <3 ;)

Pitje
Pitje (@guest_18098)
Vor 12 Jahre

Cooool! Danke für den alten Zeitungsausschnitt und dem Link zum Film. In den 80ern hatten die Grufties einfach das bessere Styling. Leider sieht man solche Oldschool-Leute kaum noch. Ich hab den Eindruck, dass heute einfach weniger Leute den Mut und die Entschlossenheit haben, sich so radikal zu stylen. Darum sehen die jungen Gruftis heute meistens irgendwie verkleidet aus. Naja und irgendwann tritt man ins Arbeitsleben ein und dann können das viele Leute aus beruflichen Gründen einfach nicht mehr so durchziehen….

Mr. Niles
Mr. Niles (@guest_24062)
Vor 11 Jahre

Mir sind Anfang des 21.Jhds. leider die Haupthaare ausgefallen -> also Iro adé – heute reicht`s nur noch für Glatze mit Zopf. Aber dass man mit jetzt fast 44 Jahren immer noch damit aneckt, find´ich gut :D

Friseure München Neuhausen
Friseure München Neuhausen (@guest_46973)
Vor 10 Jahre

Das ist schon i-wie creepy. Aber schön wie viel Mühe sich die Leute dabei nehmen. Ist alles immer schön durchdacht und angepasst. Gibt viel mehr Leute denen ihr Äußeres egal ist :)

LG,
Sandra von Friseur München Neuhausen

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