WGT 2016: Auftakt des 25. Wave-Volksfestes im Belantis

Ein markerschütternder Schrei durchschneidet die Nacht. Gedehnt spiralisiert er sich in schrille Höhen, um plötzlich zu verstummen. Schwarze Gestalten ziehen vorbei, melancholisch-romantische Musik klingt durch die kühle Nacht, in der kargen Beleuchtung verliert sich der Weg im Dunkel. Wie im Gruselfilm, ja, aber nicht so wie man sich das vorstellt, dieser Horror befand ich auf einem ganz neuen Level. Auftakt des Wave-Gotik-Treffens im Belantis-Freizeitpark. Nicht etwa Nacht- und schwarzgewandete Gestalten jagen mir einen Schauer über den Rücken, nein: bunt beleuchtete Fahrattraktivitäten und Rummelstimmung.

Ich war fest davon überzeugt dieses Jahr, wie sonst auch, mit meiner Zeltplatzcrew entspannt zu grillen, zu trinken und dann in die 4.2 abzuziehen um gemeinsam zu einem Mix zu tanzen, den man nicht als musikalische Offenbarung beschreiben kann, bei dem aber für jeden was dabei ist und von wo aus sich der Weg ins Zelt in Grenzen hält. War nüscht. Als meine Mitzelter verkündeten, dass das Belantis das erkärte Ziel war, war ich noch der festen Meinung man würde mich dort nicht finden, als man mir mitteilte, dass die einzige Alternative die Moritzbastei war und ich die Schlange sah, war ich geneigt in die Stadt zu eben jener zu fahren. Als mir klar wurde, dass viele meiner Bekannten da sein würden und ich in den kommenden Tagen nicht mit allen wirklich viel Zeit verbringen würde, beugte ich mich dem Gruppenzwang.

Fühle ich mich sonst in den ersten schwarzen Menschenmassen angekommen, war ich hier vorallem eines: irritiert. Durch das hell erleuchtete, orientalisch anmutende Eingangstor betrat man einen großen Platz. Zur Hälfte dunkel, zur Hälfte grell beleutet. Man sah eine Kantine, aber sonst nicht viel. In dieser erblindete man ob der grellen Beleutung nahezu und wenn man vorher auf den spärtlich beleuteten Wegen noch was gesehen hatte, dann jetzt ganz sicher nicht mehr. Es war Dunkel. Einzig die Fahrgeschäfte und Fressstände hoben sich grell erleuchtet gegen den schwarzen Nachthimmel ab. Die Musik war mystisch schön und trotz des vorangegangenen Kommentars von Robert und mir bei Bekanntgabe der Eröffnungststätte, erwägte ich mich auf Grund dessen im ersten Versuch einer vorsichtigen Anerkennung,  doch dann erreichten wir die Pyramide.

Nahtoderfahrung als neuester Kick für todessehnsüchtige Gruftis. Was sich liest, wie ein schlechter Groschenroman aus der Grusel-Ecke, scheint verstörende Realität.

Scheint es nicht nur, ist es. Zugegebenermaßen weis ich nicht, wie ich meinen persönlichen Horror in Worte fassen soll. Volksfest. Rummel. Kirmes. Schützenfest. Schlagerfreudentaumel. Das von dem ich mich sonst so sorgsam fern halte fand ich hier zur Eröffnungsfeier des 25. WGT im Belantis. Nicht unvorbereitet, aber was bisher nur in meiner pessimistischen Vorstellung vorkam, befand sich dann doch nochmals auf einem anderen Level und vielleicht sollte ich mich mit dem Erstellen von (selbst-)erfüllenden Prophezeiungen verdienen

Konsum, bedenkenloses Vergnügen, Einerlei, bunt und kurzweilig, hektisch, seicht. Bedeutungslos. Der Ort der leeren Fassaden. Des festgetackerten Lächeln. Die Lüge des Entfliehens. Das Grau einer Welt, die vorgibt zu schimmern um die Asche auf der sie errichtet wurde zu übertünchen. Utopia sieht anders aus.

Und ein Schatten davon schlich sich auch in die WGT Eröffnungsfeier. Warum ich das so gruselig finde? Das ist ein Teil der „normalen“ Welt, in die ich nie ganz rein gepasst habe, in der ich mich manchmal fühle als laufe ich durch die Kulisse eines Filmes, in dem ich nicht mitspiele, welcher sich um ein Spiel dreht, dessen Regeln ich nur rational verstehen, aber nicht intuitiv ausführen kann. Das hat nichts mit der schwarzen Welt zu tun, die ich an Pfingsten suche. Nichts mit den Gefühlen, die diese Musik in mir auslösen kann. Nichts mit der Heimeligkeit einer liebevoll hergerichteten Veranstaltungsstätte oder dem Gefühl von Zerfall und Dystopie in runtergeratzen Veranstatungsstätten, in die sich die Musik wunderbar einfügt. Im Belantis schien viel der offenen Herzlichkeit und Ungetünchtheit des sonstigen WGTs zu verschwinden.

2016-05-13-005649Die Unvereinbarkeit dieser Dinge, Freizeitpark und WGT, sind leider nur der eine Punkt. Die Organisation war zusätzlich ziemlich lau. Zu wenig Shuttlebusse, schlechte WGTspezifische Beschilderung im Park, unausbalancierte Lichtverhältnisse und dadurch schweres Vorankommen und Konfusion. Man hätte sich – zumindest bei den Tanzfächen auf denen ich war – deutlich mehr Mühe geben können.
In der Pyramide legten irgendwelche Elektrozappelphillipe auf, die so in der Musik auf gingen, dass ich mich zeitweise fragte, ob das noch normal ist, oder ein Notruf angebracht wäre. Das Barpersonal war (überall) heillos überfordert. Die Pyramide so wie sie immer von innen aussieht – nach dem Innengerüst einer Fassade und die Besucheranzahl leider zu wenig für diese große Fläche.
Der Postpunk-Floor war musikalisch toll, befand sich aber in einer hellausgeleuchteten Art Kantine in einem Atrium, in dem sich der Geruch von heißem Fett über den gesammten Innenhof wandte, ebenso wie die Schlange der Essens- und Getränkeausgabe (wohlgemerkt getrennt).

Zumindest bei mir konnte so weder Stimmung noch WGT-Gefühle aufkommen. Nächstes Mal friere ich lieber bei der blauen Stunde! Andere Besucher sehen das wohl ganz anders:

 

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Bat Child
Bat Child (@guest_52474)
Vor 7 Jahre

Ist doch klar das wenn man direckt im Park nachfragt das der großteil der Leute die dort sind dass toll finden.
Aber natürlich macht sich sowas besser als wen man Negatief darüber berichten würde und zuweil kann man so auch wieder den aspeckt bringen die sehen nur so aus sind aber gans leib und tolerant.

Robert
Robert(@robert-forst)
Admin
Vor 7 Jahre

Sehr schöner Artikel, Flederflausch. Vor allem weil du als rasende Reporterin „mitgeschleift“ wurdest und vor diesem Hintergrund etwas zu sagen hast. Nun, dann war es wohl erwartungsgemäß. Ich finde mich in vielen Zeile Deines Texte wieder, vor allem das folgende Zitat hat mich beeindruckt und aus der Seele gesprochen, ein Befreiungsschlag der eigenen Gedanken die man zurückhält, weil man eben nicht dabei gewesen ist und sich immer – so wie du – einen Eindruck machen sollte.

Warum ich das so gruselig finde? Das ist ein Teil der “normalen” Welt, in die ich nie ganz rein gepasst habe, in der ich mich manchmal fühle als laufe ich durch die Kulisse eines Filmes, in dem ich nicht mitspiele, welcher sich um ein Spiel dreht, dessen Regeln ich nur rational verstehen, aber nicht intuitiv ausführen kann. Das hat nichts mit der schwarzen Welt zu tun, die ich an Pfingsten suche. Nichts mit den Gefühlen, die diese Musik in mir auslösen kann. Nichts mit der Heimeligkeit einer liebevoll hergerichteten Veranstaltungsstätte oder dem Gefühl von Zerfall und Dystopie in runtergeratzen Veranstatungsstätten, in die sich die Musik wunderbar einfügt. Im Belantis schien viel der offenen Herzlichkeit und Ungetünchtheit des sonstigen WGTs zu verschwinden.

Genau so ist es. Es bleiben Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Und noch schlimmer: Sie sind sogar gegensätzlich, schließen sich einander aus und sind wie Feuer und Wasser. Jedes Element für sich hat seine Daseins-Berechtigung. Will sagen: Ich habe nicht gegen Freizeitparks und begebe mich gelegentlich sogar selbst dem oberflächlichen Vergnügen hin. Möglicherweise, weil ich jemanden begleite, einer Einladung folge oder auch einfach selbst mal wieder Achterbahn fahren möchte. Ich fahre gerne Achterbahn. Aber eben nicht wenn mit Tränen in den Augen über die Tanzfläche schlurfe, mich Emotionen, Traurigkeit und Weltschmerz hingeben möchte. Dann brauche ich Nebel, Musik und eine „runtergeratzte“ Tanzfläche.

Sicher, der Besucher hatte die Wahl. Fahre ich dorthin oder nicht? Jeder konnte selbst entscheiden. Ich vermisse jedoch ein wenig die Echtheit der Veranstalter, die sich sonst mit Inszenierung immer sehr viel Mühe gegeben haben um dem WGT den nötigen Rahmen zu bieten, die sich in Schweigen gehüllt haben, wenn es um ihr umstrittenes Kartendesign ging, die entgegen alles Widerstände beim Konzept des WGT bleiben und denen es immer wieder gelingt Stadt und Festival in so ein Symbiose zu fügen.

Da wirkt Belantis wie eine Expansion in die falsche Richtung. Eine Seifenblase, die bunt und riesig schillert, um dann zu zerplatzen.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 7 Jahre

Vielleicht sind einige auch nur wegen der musikalischen Veranstaltungen zum Belantis gefahren?
Immerhin war ja das „alte WGT-Team“ um Michael Brunner an den Reglern angekündigt.
Ich vermute mal, wenn dort keine Parties stattgefunden hätten (diese woanders stattgefunden hätten),
wäre die Resonanz beim Belantis eine andere gewesen.
Nun ja, andererseits sind ja auf dem WGT mittlerweile genug „ausschließlich-WGT-Gothics“,
und das zeigt sich natürlich auch an der Resonanz auf ein solches „Kultur“-Angebot ;-)

Robert
Robert(@robert-forst)
Admin
Vor 7 Jahre

@Tanzfledermaus: Das glaube ich nicht. Ein Großteil der Besucher kann doch mit dem Namen „Brunner“ gar nichts anfangen. Wovon reden wir denn? Vom Gründer des WGT, der eine Idee in die Tat umsetzte und das schönste Festival der schwarzen Szene schuf. Was sollte der für besondere Musik auflegen? Nun ja. Ich vermute ganz stark, dass Neugier ein großer Beweggrund für einen Besuch in Belantis gewesen ist. Möglicherweise wäre die Anzahl derer, die nächstes Jahr diese Event besuchen, überschaubarer. Dann, wenn die Neugier aufgebraucht ist.

Im Grunde bin ich ein wenig enttäuscht, dass es soviele gibt, die in diesen Park wollten und wie wenig man nur noch hinterfragt, Werte schützt und eine gewisse Form der Rebellion lebt. Konsumieren um jeden Preis?

Wie gesagt. Das ist meine ureigene Meinung. Die ist noch nicht mal besonders „szenig“, weil früher war das im Grunde ganz genau so. Ich hatte nur immer gedacht, dass die Anzahl derer, die eben nicht so sind, in der Szene größer wäre als im sogenannten Mainstream.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 7 Jahre

@Robert: stimmt, sofern das nicht extra groß herausgestellt wurde, dürfte der Name vielen nichts sagen. Ich dachte, das wäre irgendwie groß angekündigt gewesen ;-)

Sei nicht traurig, Du hast ja selbst geschrieben, dass Du Achterbahnfahren eigentlich (gelegentlich) magst, nur eben das Drumherum nicht.
Vielleicht geht es einigen Schwarzen so, dass sie das Angebot auf Rummelplätzen zwar schon mögen, nur eben das klassische Volksfest-Publikum nicht.
Vielleicht sahen manche auch eine Chance darin, diese Seite mal ohne unangenehme bunte Stino-Horden ringsherum auszuleben?
Ich denke nicht, dass das Belantis nun jedes Jahr dabei sein wird. Und die Szene ist auf dem WGT ohnehin verwässert, dazu braucht es kein Belantis.

Gruftfrosch
Gruftfrosch(@gruftfrosch)
Vor 7 Jahre

Ich bin jedenfalls einmal mehr froh, lieber zur Blauen Stunde gewackelt zu sein. Dennoch danke Flederflausch, dass du dich in die „Höhle des Löwen“ gewagt hast und mir und uns damit im Grunde die Bestätigung geliefert hast, warum man diesem Ort besser aus dem Weg gegangen sein sollte.

Robert
Robert(@robert-forst)
Admin
Vor 7 Jahre

@Bat Child: Ist das Resümee aller Besucher denn durchweg positiv, weil sie sich sonst eingestehen müssten einen Fehler gemacht zu haben? Du, ganz ehrlich, soll jeder schön finden, was er schön findet. Für mich hat das mit Szene, Subkultur, Lebensart und Einstellung nichts zu tun. Aber das, so haben wir gelernt, ist ja auch nicht mehr der gemeinsame Nenner in der Gothic-Welt.

 Flederflausch : Eine einmalige Sache? Ich hoffe, bin aber skeptisch. Es bleibt doch wie es ist. Das WGT gehört fest zum Leipzig-Tourismus, steht mittlerweile in jedem Reiseführer und wird an Stellen beworben, die so gruselig sind, dass sich die schwarze Stiletto-Fingernägel aufrollen. Die Besucherzahl stagniert (trotz anders lautender Meldungen) seit Jahren. Will man so neue Besucher locken? Ein breiteres Angebot offenbaren? Oder ist das ein Tribut an eine „familiäre Szene“, in der immer mehr Kinder groß werden?

Vor Jahren habe ich einen Schrecken bekommen, als ich davon hörte, dass die amerikanische Szene in Disneyworld feiert, auf Kreuzfahrten geht und sonstwas unter einem schwarzen Schirm veranstaltet. Da habe ich mir gedacht: Die kopieren „unsere“ Szene und machen Kaugummi und Popcorn drauf um sie für sich selbst schmackhaft zu machen. Jetzt scheint der Kram, so ähnlich wie Halloween oder der Weihnachtsmann wieder zu uns zurück zukommen, als Re-Import der uns dann als Experiment verkauft wird.

Ich bin gespannt, ob es nächstes Jahr eine Wiederholung gibt.

Tanzfledermaus
Tanzfledermaus(@caroele74)
Vor 7 Jahre

Die Frage ist ja auch, muss es denn überhaupt immer weiter wachsen?
Wenn die Zahlen bei ca. 20.000 stagnieren, sind das ja immerhin noch eine Menge Besucher.
Leipzig platzt doch jetzt schon über Pfingsten aus allen Nähten.
Dann lieber das Level beibehalten oder „Gesundschrumpfen“ und dafür mehr Qualität als Quantität.
Wenn sich die Macher auf das Wesentliche konzentrieren würden, anstatt immer mehr ins Boot zu holen,
was mit dem eigentlichen Szenegedanken nicht mehr viel gemein hat, würden trotzdem immer noch viele kommen.
Die meisten schreiben doch, Hauptgrund für’s WGT ist, Leute (wieder) zu treffen.
Konzerte und Rahmenprogramm schafft man eh nur zum Teil. Wozu das dann also immer weiter aufbauschen?
Dann wird alles nur noch unübersichtlicher, teurer und mehr als eine Veranstaltung kann man eh nicht zugleich besuchen ;-)

Blackneon
Blackneon (@guest_56764)
Vor 6 Jahre

Ich fand es eine schöne Idee ,mit dem Park 25 Jahre WGT gibts nur einmal .
Natürlich kann man sich immer streiten ob das alles so sein muss ich sehe es als eine wundervolle
geste.

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